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2. Kapitel

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Im blauschwarzen Himmel stand ein Halbmond. Wie Weihnachtszierrat hing er am höchsten Geäst der Wacholdergruppe. Dreihundert Meter unterhalb und südöstlich davon bahnte sich ein Fluss seinen zerfurchten Weg durch den Fels – Fels, der eine Vielzahl an unterschiedlichen Leben Platz bot und über ein erstaunliches Ökosystem verfügte.

Der Regen hatte sich in jenen feinen Nieselregen verwandelt, den man erst fühlt, wenn man sich mit den Händen durchs Haar fährt und merkt, dass sie feucht sind. Es war kühl, herbstlich kühl, aber der Regen war noch warm von den letzten Wehen eines sehr heißen Sommers.

Max trat von der Gulfire weg und nickte zufrieden. „Ein kleiner Spaziergang bis zur der Anhöhe, dann dreihundert Meter durch eine Schlucht. Können Sie es schon hören?“

Hansen hatte aufgehört, sich zu übergeben und begann sich den Mund abzuwischen. Er horchte in der Ferne. „Stampfen?“

„Kommen Sie?“ fragte Max und ging mit der Umhängetasche einfach los. „Das Ganze erinnert mich an Utah und Arizona. Die Landschaft, meine ich. Das Terraforming hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Doch hier und da gibt es Mutationen. Fliegenlarven gehen ein oder bilden sich neu. Pflanzensamen folgen einem chaotischen Code. Sehr komplexes Thema“, fuhr er fort und begann rasch in seiner schnellen Gangart zu gehen. „Aber regelmäßig bekommen wir auch Anfragen von Umweltämtern, ob Forschungen möglich wären. Nur zu gern würde ich sie lassen, aber wenn Banden auf sie aufmerksam werden würden, wäre es vorbei. Schade eigentlich.“

„Müssen Sie die ganze Zeit reden?“ ätzte Hansen schwer und schien Mühe Schritt zu halten. Dann hielt er plötzlich inne. „Moment! Mutationen!? Wovon reden Sie?“

„Wir haben uns den Planet mit Gewalt geholt, Spiro“, erklärte Max und zeigte auf das ausladende Areal vor sich. „Terraforming ist nicht unumstritten. Stellen Sie sich vor, jemand anderes verwandelt sie in einen Elefanten oder in einen Nachttisch. Die Umstrukturierung dauert Jahre, kostet Ressourcen und Geld, aber letztendlich ist es eine Vergewaltigung. Dasselbe haben wir mit dem Mond gemacht, aber dort lebt eh nichts mehr. Den Gesteinsbrocken ist es egal. Ein voller Erfolg – aber hier stemmt sich ein ganzes Ökosystem gegen die aufgezwungene Natur. Es wird dauern, aber die Welt wird Kompromisse eingehen. Daher Mutationen. Und wenn wir nicht aufpassen, werden die Menschen sich hier auch verändern…“

„… oder zur Seite geschoben.“

„Ich sehe, Sie begreifen schnell.“ Er lächelte sanft und atmete tief durch. „Genießen Sie das hier. Irgendwann machen wir den Laden dicht. Das ist unvermeidlich. Sobald wir hinter der Anhöhe sind, werden wir langsam und gemächlich in eine Welt eintauchen, die Sie so noch nie erlebt haben. Zentrale, hören Sie mich?“ Max legte zwei Finger unter sein rechtes Ohr. Ein implantiertes Modul, mit Bioenergie versorgt, meldete sich in der Ohrmuschel mit einem Knacken. „Hier Zentrale, alles gut bei ihnen?“

Hansen sah sprachlos zu, wie Max scheinbar mit sich selbst sprach. „Haltet weiter Kontakt und folgt uns. Wir gehen langsam vor. Geben Sie uns die Zielkoordinaten.“ Er sah Hansen fragenden Blick und deutete gen Himmel. „Die da oben werden uns lotsen. Weichen Sie mir nicht von der Seite, Hansen.“

In seiner Ohrmuschel knackte es erneut. „Roger, Captain. Zielperson lokalisiert. Wetterbedingungen klar und deutlich. Aufkommende Präsenz feindlich, aber abgelenkt. Wünschen viel Erfolg.“

„Roger, Ende und Aus.“

„Wieso habe ich so etwas nicht?“

„Warum sollten Sie?“ fragte Max zurück. „Das Implantat hätte unnötig Zeit und Schmerzen gekostet. Für einen einmaligen Gebrauch? Ich hielt es für unnötig.“ Er ging voraus und kam als Erster an der Schlucht an. „Nun zum Problem: Michel Brown ist umgeben von PureSky-Mitgliedern, die gerade am Feiern sind. Wir stoßen vor, trinken ein Bier, tanzen zum Takt und gehen langsam ins Innere des Baus. Hansen, Sie werden keine Max MacLaine-Nummer abziehen, einverstanden? Wenn wir ihren besten Chemiker entführen, werden sie nicht tatenlos zusehen. Haben wir uns verstanden?“

„Jaja.“

Es dauerte vierzig Minuten, bis die beiden vor sich eine stillgelegte Fabrik erblickten. Atemlos starrten sie zu dem Bau, der durch wenige Lampen und einer Menge Fackeln erhellt war. Vor dem Eingang standen eine Vielzahl von Autos, Motorrädern und Busen zwischen denen einzelne Gestalten im Zwielicht auftauchten. Die Nacht wandelte sich zum Tag, und die Partie war im vollen Gang. Hansen überprüfte seine Waffe zum wiederholten Male und steckte sie sich mit dem Schalldämpfer hinten hinter dem Gürtel, während er den Kopf schräg legte. „Techno, Heavy Metal…Dubstep? Können die sich mal entscheiden?“

Max kicherte leise und ging einen schmalen Pfad voraus ins Tal.

Der Bass wummerte hart. Getränke wurden gereicht und reichlich geraucht und getanzt. Kaum war das Team an dem Zaun zum Eingang angekommen, rochen sie Fäulnis, Schweiß, kochendes Essen, brennenden Holz und den unverwechselbaren Geruch von Marihuana. An einigen verrosteten, halbverfallenen Autos gelangten sie zum Haupteingang.

Drei Männer saßen mit gekreuzten Beinen um ein kleines Lagerfeuer herum und brieten eine Katze, die sie auf einen Schirmstock aufgespießt hatten. Sie waren bis zur Taille nackt, und Brust und Gesicht waren mit etwas beschmiert, das die Farbe von Rost hatte. Das hüftlange Haar wurde von Haarbändern zurückgehalten. Einer von ihnen hatte sich grüne und gelbe Papageienfedern in sein band gesteckt und sah wie ein Indianer mit traurigem Kopfschmuck aus. Ihre Waffen lagen griffbereit neben ihnen, lange, im Schein des Feuers glänzende Messer, handgefertigte Bogen und Köcher mit Pfeilen, die aus Angelruten geschnitzt und deren Spitzen mit langen Nägeln bewehrt waren. An dem Zaun lehnte eine lange Stange. Zuerst hielt Max die Dinger, die von ihr herabbaumelten, für Tierfelle. Dann erkannte er, was sie wirklich waren – menschliche Skalps.

Er bedeutete Hansen sich ruhig zu verhalten und schlenderte gemächlich zu der Gruppe. „Nabend.“

Der Ältere blickte kaum auf. „Hast du dich verlaufen, Fremder?“ Die anderen beiden sahen Max mit gemäßigten Interesse zu, wie er umständlich nach seinen Bitcoins kramte. „Wollen mal sehen, wie die Party steigt. Können wir rein?“

„Von welchem Stamm?“

Lauernde Blicke maßen ihn. Jemand nahm sein Messer zur Hand und schien zu warten.

„Von den Ewoids unten um Fluss. Haben den ganzen Tag Bäume gefällt, sag ich.“ Max rotzte gekonnt in eine Ecke und kratzte sich ungeniert am Sack. Er war plötzlich ein ganz anderer. „Die Sache mit Roy hat uns mitgenommen, Mann. Konnte ihn gut leiden. Spencer, richtig?“

„Er ist Spencer. Ich bin Trevor“, half der Ältere aus und nickte knapp. „Roy hätte besser aufpassen sollen. Verdammte Schande, sage ich.“ Er maß ihm mit einem nicht unfreundlichen Blick. „Die Ewoids sind in Ordnung. Sag Pjotr, dass er mir noch zehn Bitcoins schuldet.“

Max tat genervt. „Himmel, wie oft muss ich das noch hören!? Ständig leiht er sich Geld.“

Alle drei nickten sich zu. Ja, das war Pjotr.

Schließlich nickte der Ältere und wies auf den Eingang. „Na, geht schon rein.“

Eine breite Neonlichtreklame strahlte in kreischend hellen Farben das Wort Lagoony in den Himmel.

„Passender Name. Werden Sie gleich sehen.“

Hansen folgte Max über einen schmalen Weg, der zur Haupthalle führte. Schon jetzt fiel es ihnen schwer sich bei dem Lärm zu verstehen. „Infos, Hansen. Die Hälfte des Erfolgs.“

Die Fabrik war sehr alt. Sie hatte angefangen, alt und überholt zu sein, als die ersten Schiffe den Planeten verließen und war jetzt eine riesige, zugige Halle, die in Aufbau und Aussehen des einfachen Philosophen der Technokraten des neunzehnten Jahrhunderts wiederspiegelten. Auf den gut zehn Meter hohen Pressstanzen hatten sich Schaulustige und Unterhaltungssüchtige versammelt, deren Ränder nur notdürftig mit Paketband abgesperrt waren. Zahllose Discokugel drehten sich synchron und warfen glänzenden Schein an die Wände und an die Gesichter von rund sechshundert Personen, die tanzten, grölten, tranken oder sich prügelten. Je nach Laune. Max atmete tief den Gestank der Dekadenz und des ungezügelten Lotterlebens ein und grinste Hansen zu.

Vorne auf einer Schwebebühne sorgten Boxen für Lärm, während drei Gitarristen sich anstrengten, der Party den passenden Sound zu liefern. Vor ihnen eine nackte Frau, die ungezügelt mit einem Mikrofon Strophen sang, als hinge ihr Leben davon ab. Was wohl stimmte. Der Menge gefiel es.

Nach nicht mal zehn Sekunden hatte Max begriffen, worum es den PureSkys in erster Linie ging: Lärm, Sex und reichlich Bier.

Er setzte sich an die Bar und legte einen Bitcoin hin. Der Wirt, ein Riese mit zwei gelben Augen, die wie Urinlöcher im Schnee anmuteten, reichte zwei Dosen und putzte weiter seine Gläser.

Max, kahlköpfig, weiß und mit breitem Bizeps wurde schnell akzeptiert. Verhärmte Gesichter maßen ihn mit freundlichen Blick. Ohne zu fragen stellte der Wirt eine zusätzliche Schale Erdnüsse vor ihnen hin.

Hansen hingegen entsprach nicht ganz dem Credo dieses Vereins. Nach dem dritten Anrempeln von der Seite hatte er genug, und stellte sich den Leuten, die ihn offensichtlich nicht hier haben wollten. Ein lautes Wortgefecht, kurzes Geschrei und ein demonstratives Zeigen seiner Waffe – schon hatte er seine Ruhe. Erstmals.

Max hatte dafür keinen Blick.

Neben ihm kam es zum Streit: zwei betrunkene Kerle schlugen und traten auf sich ein und gaben sich Schimpfworte - bis der Erste ein Messer zog.

Plötzlich ging das Licht aus.

Murren von allen Seiten, jemand schrie etwas, bis ein Lichtkegel die Bühne aufleuchten ließ. Die Band war verschwunden. Jetzt stand dort eine Frau.

Es wurde still.

In einem roten Bademantel bekleidet blickte die dralle Schönheit mit dem feuerrotem Haar zu den Massen und hob das Mikrofon an ihre Lippen. Max runzelte die Stirn und beugte sich vor.

„Willkommen im Lagoony“, gurrte sie kokett und begann mit der anderen Hand an dem Kabel zu spielen. „Wir möchten kurz innehalten und uns daran erinnern, was unsere Gründerväter mit auf dem Weg gegeben haben. Ich sehe in jedes einzelne Gesicht und erkenne Güte, Stärke und… Reinheit. Auf euch, meine Freunde.“ Sie stolzierte los und von der Seite schoben kräftige Männerhände ein Klavier auf die Bühne, an dem sich schnell ein Pianist setzte. Das Klavier war nicht gestimmt, aber das spielte keine Rolle: die Frau traf jeden Ton perfekt und ihre hohe Falsettstimme sang tönend und voll.

The snow glows white on the mountain tonight

Not a footprint to be seen

A kingdom of isolation

And it looks like I'm the queen

The wind is howling like this swirling storm inside

Couldn't keep it in, heaven knows I've tried

Don't let them in, don't let them see

Be the good girl you always have to be

Conceal, don't feel, don't let them know

Well, now they know

Mit allem hatte Max gerechnet – nur nicht damit. Langsam ließ er sein Bier sinken und starrte wie getroffen zu der Frau, die sich schamlos aus einem bekannten Musical bediente. Den anderen Männern und Frauen schienen es ähnlich zu gehen: gaffende Blicke, schmachtend und voller Ehrfurcht, starrten sie alle gebahnt zu der reizenden Schönheit, die sich langsam auszuziehen begann.

Eine Peepshow.

Max Snow schluckte schwer und spürte, wie er rot wurde. Vergessen war der Auftrag, die ganze Vorsicht und seine militärische Laufbahn. Jetzt gab es nur sie und ihre Stimme.

Neben ihm steckte der Kerl sein Messer wieder ein und vergaß anscheinend seinen Kontrahenten, der sich mit einem Ärmel die Nase putzte.

Mitten im Song verlagerte sich das Stück vier Ganztonschritte höher, und ihr Gesang wechselte ohne Mühe vom Englischen ins Russische, dann ins Japanische und ins Französische. Die Meute seufzte nickend und ergeben. Max konnte es ihnen nicht verdenken. „Hey“, stupste er den Wirt an. „Wer ist das?“

„Culdoras“, sagte der Riese und zwinkerte ihm kurz zu. „Roxanne. Vergiss es, Alterchen. Die ist für niemanden zu haben.“

„Machen wir jetzt weiter, oder was!“ herrschte Hansen ungerührt und zog ihn zur Seite. „Was ist jetzt!?“

„Jaja“, murmelte Max, setzte sich aber wieder. „Keine Eile.“

Die Fabrik zitterte vor ekstatischem Applaudieren, als Roxanne Culdoras endete. Culdoras, dachte Max versonnen, das bedeutet Hintertür. Wie backdoor. Wenn das kein Zeichen ist…

Er lächelte entspannt, als die Sängerin gleich mit dem nächsten Lied begann.

Sie sang von Sternen, die noch in aller Ewigkeit schienen, von Liebenden die sich niemals entfremdeten und von der Sehnsucht, die manch altes Herz ergriff. Max glaubte ihr jedes Wort.

Es war der Moment, an dem er sich noch später gern erinnerte: selbst die Kriminellen um ihn herum lauschten den Worten der Sirene, die sie alle in den Untergang führen würde. Er begriff aus einzelnen Gesprächsfetzen, dass sie die Menge führte und den Ton angab – sprichwörtlich. In einen Untergang, in den sich auch selbst Captain Max Snow bald wiederfinden würde.

Als er sich nach dem dritten Lied kurz umdrehte, war Hansen verschwunden.

Spiro Hansen näherte sich vorsichtig dem Keller der Fabrik, bereit loszuschlagen. Er umrundete geschickt die erste Wache, die sich zu einer Bedienung vorbeugte, um sich ihre Nummer geben zu lassen und tauchte in die Dunkelheit ab. Langsam verzog er sich in die Schatten, passierte einen Kontrollpunkt, indem er vorgab einen Kasten Bier für den Wirt zu suchen und stand schließlich vor der Tür des Drogenlabors. Dass es die besagte Tür war, wusste er, weil jemand freundlicherweise mit krakeliger Handschrift es draufgeschrieben hatte. Aus dem Inneren drangen dumpfe Geräusche, die sich wie ein Gespräch anhörten.

Schnell huschte er hinein und stand bald in einem Wald aus Zylindern, Bechergläsern, Reaktionsgefäßen, Erlenmeyerkolben, Pulvertrichtern und Laborwaagen. An den Wänden stapelten sich Kisten und Kästen, große Bottiche und ein Kühlschrank, vor dem, dem Rücken ihm zugewandt, ein Mann hockte. Als hätte er das Brennen von Hansens Blick in seinen Nacken gespürt, drehte er sich plötzlich um.

Er hatte ein großes, breitflächiges Gesicht und kaum Haare. Offensichtlich lebte er in besseren Verhältnissen als die anderen, denn er war nicht halb so abgezehrt und schmutzig wie sie. Mit einem halboffenen Laborkittel bekleidet, unter dem man fleckige Unterwäsche und Badeschlappen erkennen konnte, wirkte der unrasierte Mann wie die Karikatur eines Laboranten. „Kumpel, mach doch bitte die Tür zu, ja?“ Er schnappte sich ein Bier und schien in Geberlaune zu sein. Mit einem Lächeln reichte er Hansen eins.

Michel Brown.

Hansen grinste zurück, griff nach dem Bier und wollte gerade auf ihn zugehen, als ihn ein harter Schlag traf und ein heftiger Schmerz durch seine Schulter jagte.

Der Hieb ließ ihn in die Knie gehen, aber brach nicht zusammen. So hart war er nun doch nicht gewesen. Langsam und mit verzehrten Gesicht drehte er sich herum.

Vor ihm stand ein großer Kerl mit einem Kopf wie eine Billardkugel, der direkt auf dem Rumpf zu sitzen schien und von einer schwarzen Matte bedeckt war. In seinen Augen lag ein stumpfsinniger Ausdruck, und seine dicken Lippen zuckten ununterbrochen. Er hielt eine große Metallstange in der Hand, mit der er herausfordernd in seine andere Hand klatschte. Platsch. Platsch.

„Wie bist du hereingekommen?“ fragte der Riese.

Brown schien nicht zufrieden. „Mensch, Charlie, kein Wunder, das ich keine Freunde habe. Lass den Mann doch in Ruhe.“

Hansen bewegte seine Schulter und versuchte, den Schmerz zu ignorieren. „Durch die Tür“, antwortete er gehorsam.

Der große Mann wandte sich an Michel Brown, wobei er seinen ganzen Körper herumdrehte, als wäre es ihm aufgrund des fehlenden Nackens unmöglich, allein den Kopf zu bewegen. „Was zum Teufel macht der Kerl hier, Michel?“

Brown gab sich unbeeindruckt. „Muss wohl reingeschlüpft sein.“

Der Mann mit der Stange schüttelte den Kopf, worauf sein ganzer Körper zu wackeln begann. „Roxanne will nicht, dass du den Raum verlässt. Das schließt Besuch mit ein, hörst du?“

„Jetzt gib dich nicht so wichtig, Charlie. Ich brauche auch mal Luft zum Atmen. Hier“, er griff zu einem Becher, zog eine gerollte Zigarette hervor und steckte sie dem Riesen in den Mund. „Geht aufs Haus, Mann. Und jetzt lass ihn in Ruhe!“

Ohne eine Antwort abzuwarten, schnappte er sich Hansens Arm und führte ihn weg, rund um den Labortisch zu seinem fleckigen Sofa auf dem eine nackte Frau schlief. „Wolltest mal ein bisschen checken, was wir so machen, was?“ fragte er nicht unfreundlich und hielt ihm ein Feuerzeug hin. „Kann ich verstehen, Mann. Sind doch alle gleich. Ist kein Geheimnis. Jeder will ein bisschen Glück. Ich sitze schon seit Monaten hier unten. Scheint die Sonne? Ist gerade Vollmond? Ich weiß es nicht“, stöhnte er leise und setzte sich neben ihm. „Bin VIP-Gast. Drauf geschissen, sag ich. Ständig nur Arbeit, Arbeit, Arbeit. Urlaub wäre schön.“

Hansen starrte benommen auf sein Bier und seinen Joint und legte sie beide zur Seite. „Aber es gab auch mal andere Zeiten, was?“

„Kannste laut sagen“, grunzte Brown und zündete sich seinen Joint an, den er sich von irgendwoher geschnappt hatte. Erst jetzt bemerkte Hansen überall Teller, Kästen und Wannen in denen Dosen, Pakete und kleinere Tütchen offen herumlagen.

Hansen war kein Fachmann, aber er erkannte ein Drogenlabor wen er eins sah. Designerdrogen sind synthetisch hergestellte Rauschmittel, deren Molekülstruktur auf der Basis von Leitstrukturen entworfen wurde, mit der Absicht, ein Rauschmittel herzustellen. Und in dem Keller lagerten Millionen von Credits, mit denen man auf der Erde eine Großstadtszene versorgen konnte. Doch wegen einer kleinen Traumreise ins Lala-Land war er nicht hier.

„Möchte gerne wissen, wie es früher war.“

Brown stieß einen perfekten Rauchkringel aus. „War früher ein verdammt guter Laborant. Die steilen Miezen an der Uni haben mich geliebt. Ich bekam Preise. Verdammt gute Noten“, säuselte er bereits in andere Sphären und deutete mit einem obszönen Zeichen in Richtung des Riesen, der sich immer noch nicht wegbewegt hatte. „Charlie sehe ich jeden Tag. Kanns ihm nicht verübeln, dass er neidisch ist. Der ist doch zu blöd, um einen Erlenmeyerkolben von einer Tischlampe zu unterscheiden.“ Er kicherte leise.

Der Riese funkelte ihn böse an und ließ erneut seine Keule in die Hand klatschen. „Herumlungern gibt es hier nicht! Was ist mit den Aufträgen...?“

Brown zeigte auf verschiedene Ecken des Raums: „Die Samstaglieferung steht dort, die Montagslieferung steht dort und dort hinten ist die Toilette, die du saubermachen kannst.“

„Michel, ich warne dich!“

„Nein, ich warne dich, mein Freund“, bellte Brown und stieß sich selbst den Finger auf die Brust. „Wenn du weg bist, sucht Roxanne einfach einen anderen Abiturabrecher, der Muskeln statt Hirn hat. Davon gibt es hier reichlich. Aber wenn ich weg bin… tja, dann sieht es zappenduster aus, mein Freund.“ Hässlich lachte er den Riesen aus, bis es Charlie zu dumm war und lieber wieder verschwand.

„Den sind wir los!“ Er nahm einen großzügigen Schluck und prostete Hansen zu. „Sag mal, was geht den draußen ab?“

„Gute Party“, meinte Hansen leise. „Du kommst aus London, wie?“

Brown hob eine Braue. „Hört man das immer noch heraus? Ich dachte, ich wär ihn los.“

„Du stammst aus Croydon.“

Brown zögerte beim Trinken und blinzelte.

Hansen sah ihn äußerlich ruhig an.

„Was wird das hier?“ fragte er lauernd.

„Das stimmt doch, oder?“

„Wer bist du?“

„Du bist Michel Brown.“

„Wer bist du?“

Hansen schluckte hart und verengte die Augen zu Schlitzen. „Donnerstag, den 26. Mai 2067. Na, klingelt es da?“

Die Fackel der Erkenntnis glomm schwach in Browns Gehirn, der Weg war versperrt durch Selbsttäuschung, Verleumdung und dem Missbrauch von Drogen.

Hansen wartete geduldig ab.

Dann …

Brown schluckte und rollte wild mit den Augen und suchte verzweifelt nach einer Erklärung. „Bin ich nicht gewesen.“

Die Hand schoss vor und umpackte Browns Genick.

„Lass mich!“ Schützend hielt Brown die Arme vors Gesicht und rollte sich gleichzeitig flink vom Sofa. Die umgestoßene Dose Bier lief über den Boden, während Hansen sich über den Laboranten aufbaute.

Die Tür ging auf. „Marsch, zurück auf deinen Platz“, brüllte der Riese, während Brown auf allen Vieren unter dem Labortisch kroch. Hansen war schneller.

Der Revolver bewegte sich wie von selbst in Spiros Hand, während er seitlich stehend anlegte und in einer einzigen fließenden Bewegung einen Schuss abgab. Mochte Charlie Muskeln und den Drang zum Verletzen haben – eine Kugel im Kopf änderte daran alles.

Nur ein sanftes Plopp war zu vernehmen gewesen.

Der massige Körper stürzte nach hinten und riss dabei ein ganzes Regal mit Gläsern und Kolben nach unten. Vom Lärm wurde die Frau auf dem Sofa wach.

Und schrie.

Von dem Moment ging alles schief.

Max war nervös.

Sein instinktives Unbehagen steigerte sich ins Bodenlose; so hatte er sich zuletzt bei der Theoretischen Prüfung gefüllt und die lag Jahre zurück. Das hier war eine Nummer schmerzhafter, gruseliger, denn tief in seinem Inneren wusste er, wenn er scheiterte, würde er die Sonne nie mehr so sehen wie bislang. Sie würde nur ein Gasplanet sein.

Das ist doch verrückt, dachte er genervt und blickte zerknirscht zu Boden. Du bist ein hochdekorierter Mann mit tadellosen Lebenslauf. Er konnte einen Hubschrauber fliegen, seine Steuererklärung selbst machen und hatte sogar einmal bei einer Geburt ausgeholfen.

Das ist alles falsch.

Die Hände zitterten.

Wie betäubt klopfte er an die Tür.

„Herein.“

Die Abstellkammer war nicht der Rede wert, aber wegen den Räumlichkeiten war er auch nicht gekommen. Vor dem einzigen Spiegel stand sie – hochaufgerichtet und stolz, während sie mit einem Lippenstift die Lippen nachzog. Fragend blickte sie ihn an.

Er stockte kurz. Was sollte er sagen?

„Was macht ein schöner Ort an einer Frau wie diesen?“

Nein.

Er blinzelte, lächelte dümmlich und grinste dann schief.

Sie blickte ihn vom dem Spiegel aus an und zog eine einzelne Braue nach oben. „Versuch es nochmal, Casanova. Oder besser: raus aus meinem Zimmer!“

„Ähm… ich wollte nicht unhöflich sein…“

„Wo ist Charlie?“

„Kenn ich nicht.“ Er räusperte sich kurz. „Ich muss mich entschuldigen…“

„Musst du?“ Fragend drehte sie sich um und maß ihn aufmerksam. „Was denn? Keine Blumen!? Der Typ vor dir hat mir seine Maxe geschenkt.“

„Du singst toll.“

„Weiß ich selbst.“ Sie bedachte ihn mit einem spöttelnden Blick und machte eine leichte Wegwerfbewegung, als wäre sie es müde mit Typen wie ihn zu reden. Es traf ihn.

Also…

…setzte er alles auf eine Karte:

„Ich bin niemand, der gerne flirtet. Mir fallen keine schönen Redewendungen ein, noch bin ich auf ein kurzes Abenteuer aus. Eine schöne Frau kennenzulernen ist eine Sache, aber ich glaube nicht an eine kurze Romanze oder an die wahre Liebe. Ich bin ein Mann der Zahlen, der Fakten. Bezaubert hat mich deine Stimme, deine Art zu singen… nicht dein äußeres Erscheinen. Ich bin kein Narr.“ Er hielt ihren konzentrierten Blick nicht länger aus und blickte zu seinen Stiefeln. „Aber ich weiß, wer so singt, der kann kein schlechter Mensch sein.“

Stille.

Langsam senkte sie den Lippenstift, beobachtete ihn aufmerksam. „Du sagst, du glaubst nicht an die Liebe. Wie sollte eine Partnerschaft sonst aussehen?“

„Sie wird zementiert durch Freundschaft. Nicht durch ein Gefühl.“

„Ich glaube nicht an Freundschaften zwischen Männern und Frauen.“

„Das tut mir leid. Ich wünsche dir daher neue Erfahrungen.“ Er kratzte sich umständlich am Kopf. „Wir könnten kaum unterschiedlicher sein, aber eine Gewissheit teilen wir: nämlich, dass wir unterschiedliche Wege gehen müssen.“

Sie machte ein sonderbares Gesicht, als wäre sie sich nicht sicher, was er eigentlich wollte.

„Bitte?“

„Ich sage nicht auf Wiedersehen, denn das wäre gelogen. Goodbye.“

Sie starrte ihn an, während seine Hand krampfhaft versuchte den Türknauf zu drehen. Wieso ging sie nicht schnell auf und entließ ihn aus diesem Drama?

Er rüttelte fester.

Doch zu spät…

… langsam kam sie näher.

„Willst du mir nicht deinen Namen sagen?“

„Hab ich… das nicht...?“

„Für gewöhnlich tut man das“, berichtigte sie ihn und stand auf. Groß, größer als er. Das merkte er erst jetzt.

„Ähm…. Ja, Max. Max heiße ich.“

„Also Max. Schön, Max. Ich heiße Roxanne.“

Und hielt ihm die Hand hin.

Wie betäubt griff er danach.

„Nur die Ruhe, Max.“ Endlich lächelte sie, halb amüsiert über seine Versuche und spielte kokett mit eine ihrer Locken. „Mir scheint, du bist keiner dieser erbärmlichen Kriminellen. Oder etwa doch?“

„Ganz erbärmlich, sogar.“

Grüne Augen.

Fasziniert sah er sie an: rote Haare, grüne Augen… und der Rest war auch weit über den Durchschnitt.

„Wirklich.“ Ihr Lächeln wuchs in die Breite. „Du bist keiner von meinen Leuten, oder? Nein, so jemand wäre mir vorher aufgefallen. Lass dich mal anschauen.“ Ihre manikürten Finger fuhren über seinen Adamsapfel. „Seltsam“, bemerkte sie leise, „dass du sauber bist.“

„Ich mache mich immer frisch, wenn ich ausgehe“, sagte er lächelnd.

„Wie recht du hast. So sollte es sein.“ Sie schnupperte, und kam näher.

Kurz vor seinem Hals verharrte sie. „Gut riechst du, Max. So gepflegt und erholt.“ Sie blickte ihn von der Seite aus an. „Wo kommst du wirklich her?“

Max spürte, dass es eng wurde. Gut, genug der Romantik. Langsam ging er auf Distanz.

„Du, ich muss dann los…“

Plötzlich war da die Waffe. Ihr Lauf zielte auf seinen Hals. Zu nahe, viel zu nahe.

Langsam verkrampfte er sich.

Das gefiel ihr.

„Magst du es grob, Max?“ Ihre Stimme wurde um eine Oktave tiefer. Ein seltsamer Glanz ging von ihren Augen aus, als hätte sie einen Schalter umgelegt. Das war nicht mehr die verführerische Sängerin vor ihm. „Ob Mann oder Frau – ich mache es so, wie es mir gefällt.“

Er lächelte hart. „Ist es schräg, dass ich dich noch besser kennenlernen will?“

Sie lachte und ließ plötzlich ab. Maß ihn mit einem amüsierten Blick. „Witzig.“

Jetzt roch er sie auch. Süß. Schwerer Duft.

Schließlich nickte sie und deutete zur Tür. „Nun geh. Ich habe noch zu tun“, befahl sie.

An ihrem Blick erkannte er, dass sie keinen Widerspruch duldete.

Kaum war die Tür hinter ihm zu, musste er verschnaufen.

Captain Max Snow, weit über vierzig Jahre alt und Leiter einer streng geheimen Abteilung eines privaten Sicherheitsunternehmens, hatte sich wie ein pubertierender Trottel vor seinem ersten Tanz aufgeführt. Erbärmlich.

Zwei HellsAngels kamen vorbei und zählten eins und eins zusammen – und grinsten wissend.

Max kam sich dämlich vor.

„Mach dir nichts draus“, höhnte einer von ihnen, „La Muerte lässt jeden abblitzen.“

Er nickte verstehend und wandte sich um. Natürlich hatten sie recht. Hoffentlich bekam das niemand in der Kommandobasis mit – den drohenden Tratsch hinter seinem Rücken würde er nicht ertragen können.

La Muerte.

Langsam machte es Klick in seinem Verstand.

Sofort suchte er einen stillen Ort auf und drückte an seinem rechten Ohr, um Kontakt herzustellen. „Smith?“

„Boss?“ Preston Smiths Stimme klang besorgt. „Was geht da unten vor?“ wollte er wissen.

Max schluckte hart. „Was… meinst du?“

„Wir haben schon sieben Ausfälle. Genau unter dir. Das ist Hansen, was?“ Sieben. „Er hat jetzt Michel Brown. Du solltest schleunigst verschwinden!“

Sieben Leben.

„Wie meinst du das…Oh, verdammt!“ Max wartete nicht lange, sondern schob sich durch die Menge und versucht bloß nicht aufzufallen. Wummernde Techno-Musik begleiteten seine dunkelsten Gedanken, während er sich seinen Weg bahnte. Zügig umrundete er die den Tanzplatz und war schon halb draußen, als ein Alarmsignal ertönte. Sofort endete die Musik und Rufe wurden laut. Dringende, sehr bedrohliche Rufe.

Sofort änderte er die Richtung und huschte in einen Gang, dessen Treppe zum Dach des Gebäudes führte. Abstand gewinnen. Überblick verschaffen. Das war jetzt wichtig. Während er die Treppe nahm, rannten unter ihm die Menschen.

Er verspürte keine Lust sich erklären zu müssen.

Hanson, dachte er bitter. Du hast dir wirklich einen Arschtritt verdient!

Oben angekommen, bemerkte er eine Wache auf dem Dach, die aber gottlob am anderen Ende des Daches stand und angestrengt in die Ferne blickte. Hinter einem Schornstein kauerte er sich in dem Schatten und nahm Kontakt auf: „Was ist passiert? Die Kurzfassung!“ Seine Stimme klang gepresst.

Smith sprach deutlich und langsam, als wolle er den Zorn seines Chefs teilen: „Der Mistkerl hat wie wild um sich geschossen und ist mit Brown in die nähere Siedlung. Beide fliehen in nordwestlicher Richtung. Ich sehe auf dem Wärmebild, dass man sie schon entdeckt hat. Drei Fahrzeuge nähern sich schnell. Sollen wir abbrechen?“

Max schloss kurz die Augen. Fassungslos. „Dieser Arsch! Nein“, entgegnete er schroff. „Halt eine Gulfire bereit. Er rennt in die falsche Richtung! Gott, das wird ihm noch leidtun.“ Ich hätte ihm seine Waffe abnehmen sollen, dachte er verbittert. Doch dafür war es zu spät.

Ein Schuss knallte hinter ihm. Max unterbrach das Gespräch und wandte sich vorsichtig um. Die Wache hatte jetzt auch die Flüchtenden entdeckt und eröffnete mit einem Jagdgewehr das Feuer.

Geduckt schlich er über das Dach und kurz vor dem Mann nahm er Anlauf.

Die Wache schien ihn zu spüren, drehte sich herum und legte an, als Max schon bei ihm war und mit einer schnellen Rechts-Links-Kombination ihn außer Gefecht setzte.

Getroffen sank der Mann zu Boden.

Er betrachtete seinen Fund: ein Matchgewehr Modell 54 mit Zweibein und einem Zielfernrohr. Kurz wunderte er sich über den guten Fund, als er schon aus den Augenwinkeln die drei Jeeps auftauchen sah. Hansen würde keine Chance haben.

Sofort nahm er eine bequeme Position ein, wickelte sich den Gurt des Gewehrs einmal um den rechten Arm und zielte sorgfältig. Atmete tief aus. Drückte ab.

Der erste Jeep verlor die Kontrolle als seine Kugel eins der Vorderräder traf. Der schlingernde Wagen krachte gegen den zweiten, der sofort stehenblieb. Männer stiegen aus und besahen sich den Schaden.

Bleibt nur noch Nummer drei.

Wieder zielte er, hochkonzentriert. Schoss. Die Kugel verfehlte das Ziel um einen Meter. Schnell lud er nach, maß Strömungswinkel per wilder Schätzung und zielte diesmal weit nach vorne. Der Fahrer schien über einen sechsten Sinn zu verfügen, denn im richtigen Moment machte der Jeep einen Satz nach rechts und wieder verfehlte Max ihn.

„Verdammt“, hauchte er verzweifelt und legte wieder an.

Zielte, hielt kurz den Atem an und schoss.

Diesmal traf er.

Der Jeep wurde langsamer und blieb schließlich stehen, während das andauernde Hupen Maxs dumpfe Befürchtungen nur bestätigten. Den Reifen hatte er nicht getroffen…

Er biss sich auf die Unterlippe und zischte einen Fluch.

Hansen war erstmal in Sicherheit, aber Max rechnete den achten Toten auf sein Konto.

Warte, bis ich dich erwische!

Kurze Rufe wurden laut. Mittlerweile hatten die Autofahrer begriffen, woher die Schüsse kamen. Schnell ließ er das Gewehr liegen und rannte zur Nordseite, wo er eine Feuertreppe entdeckte. Hastig kletterte er nach unten, sprang auf einen Müllcontainer und kam am Boden auf. Jetzt hieß es unbemerkt verschwinden, und gleichzeitig schnell zu Hansen aufschließen.

Max hatte alle Mühe, diese beiden Gegensätze im Tumult zu vereinen. Indem er sich einer Suchtruppe anschloss und ein braves Gangmitglied spielte, kam er so nahe wie möglich heran – schließlich trennte er sich von der Gruppe und lief geduckt in eine Gasse zwischen einfachen Zweckbauten, die wie alles auf Oasis verfallen und ausgemustert wirkten.

Schon nahm er wieder Kontakt auf: „Smith, wo ist Hansen?“

„Oh, dir geht es gut. Soll ich Teams Eins und Drei runterschicken, Boss? Sind gerade bereit. Dauert keine zwanzig Minuten.“

„Nein.“

„Aber Boss…“

„Ich will keinen Krieg, Smith. Selbst wenn es unseren Tod bedeutet.“

Pause. Smith schien zu überlegen. „Das schaffst du nicht alleine, Boss. Die wollen ihn wiederhaben – und den Penner tot sehen. Die werden alles auf den Kopf stellen. Sind in Dreier-Teams unterwegs zu dir. Lass dich nicht erwischen.“

Max schluckte. Ein Worst-Case-Szenario, vor dem er sich schon immer gefürchtet hatte. Seine anfängliche Wut über Hansen brandete auf in einer Wolke aus Magma, das ihm fast schlecht wurde. „Wo steckt er?“

„In einem Parkhaus. Klug ist er nicht“, bemerkte Smith und schien sich zu wundern. „Wenn sie ihn entdecken, sitzt er in der Falle. Oberstes Deck, genau vierhundert Meter in südlicher Richtung. Ist leider nicht zu verfehlen.“

„Was weißt du über La Muerte?“

„Wir haben allein sechszehn Einträge…“

„Roxanne.“

Pause.

„Schlimm.“

Max erstarrte bei dem Wort. „Wie schlimm?“

„Roxanne Culdoras. Brucha. La Muerte.“ Er schien Momente zu brauchen, um die Informationen zu verarbeiten. „Boss, das ist eine sehr gefährliche Frau. Sängerin, Tänzerin und Exfrau von Diego Chonce Palvias, Erster Khan des Drogenkartells von Spanien. Hat von ihm gelernt, und ihn selbst erschossen. Kann mehrere Sprachen und vollstreckt selbst die Urteile. Erst der russische Geheimdienst hat sie schließlich erwischt. Ist seit drei Wochen hier. Die müssen wir im Auge behalten.“

Max stöhnte leise und schloss die Augen. Er verlor allen Mut – und einen nicht geringen Teil seines Verstands dazu. Er war sich nicht mal bewusst, dass er zu lange an einem Ort verweilte, bis er von Weitem Schüsse hörte. Bad Woman.

Böses Blut.

Eine rothaarige, grünäugige Spanierin.

Als Hexe und der Allerheiligste Tod verehrt.

Er prüfte seine Gefühle und konnte nicht verstehen, was gerade mit ihm los war. Seltsamerweise… wollte er sie jetzt mehr als je zuvor.

„Schätze, ich brauche eine Therapie“, seufzte er leise, zog seine Waffe und machte sich schnell auf dem Weg.

Der erste Trupp hatte Hansen und Brown erspäht und tat etwas, was für einen gebildeten Soldaten undenkbar war: sie griffen an und warteten nicht auf Verstärkung.

Max hechtete über den ersten Wagen, den jemand quer an der Einfahrt zum Parkhaus gestellt hatte. Die erste Leiche war ein junger Mann mit einem Schrotgewehr, an dem Max kurz anhielt. Schnell tastete er seine Taschen ab und fand ein Klapphandy, mit denen sie sich wohl untereinander verständigten. Das war gut. Weniger gut war, dass gerade ein Kampf über ihn stattfand. Die zweite Leiche ließ nicht lange auf sich warten. Schnell hastete er nach oben und konnte gerade noch so miterleben, wie Hansen in bester Wildwestmanier den Letzten der drei tötete.

Etwas außer Atmen kam er auf dem obersten Deck an und bedeutete Hansen nicht zu schießen, der mit einem völlig aufgelösten Michel Brown neben einem Bus standen und erbärmlich aussahen: Michel Brown hatte eine schlimme Platzwunde am Kopf und jammerte leise, was der ganze Mist denn sollte während Hansen mit einem blutverschmierten Hemd und einem gefährlichen Flackern in den Augen der ganzen Welt von Oasis gerade den Kampf angesagt hatte.

Zum Glück für Max erkannte er ihn rechtzeitig und ließ seine Waffe sinken.

„Gott sei Dank, da sind Sie ja!“ schnaufte Hansen erleichtert und wurde im nächsten Augenblick wieder anmaßend: „Das haben Sie allein mir zu verdanken, dass…“

Der Schlag riss ihn von seinen Füßen, dass er fast im Flug eine hundertachtzig Grad-Drehung um die Achse machte und hart auf den Beton prallte. Krümmend hielt er sich die Nase, aus der das Blut nur so strömte. Max war noch nicht fertig mit ihm. Doch zuerst wandte er sich an Brown, der seinen Retter in Max mutmaßte. „Himmel, Sie kommen genau rechtzeitig! Der ist verrückt!“

„Ach, wirklich?“ Er reichte Hansen die Hand, während er mit der anderen hinter seinem Rücken den Sezierer aus der Umhängetasche holte. „Sind Sie Michel Brown?“

Brown verstand die Geste falsch und ergriff lächelnd den Arm. „Ja, das bin ich. Hat Roxanne sie geschickt? Guter Mann, sie können sich alles wünschen…“

Max griff zu, riss ihn nach vorne und drückte den Injektionsstift in seinen Hals. Brown verstand die Welt nicht mehr, fasste sich an den Hals und starrte Max aus glasigen Augen an. „Warum…?“

Dann sackte er zusammen und war für eine lange Zeit nicht mehr ansprechbar.

Währenddessen war Hansen mit hochrotem Kopf aufgestanden. „Sind Sie verrückt geworden!?“

Max packte zu und schüttelte den Killer. „Elf Männer sind tot! Hast du den verdammten Verstand verloren!?“

„Ganz ruhig. Das sind doch alles Krim-“

Wieder ein Schlag. Max war so aufgeregt, dass er beim Sprechen schon spuckte: „Das war Mord, du Bastard! Kaltblütiger Mord von einem Wahnsinnigen. Gleich elf Mal. Ich lasse dich mit deinen Händen die Namen der Toten in Stein meißeln, und zwar ohne Meißel und Hammer und dann entscheide ich, ob ich dich kleine Ratte nicht einfach hierlasse.“

Hansen zuckte erschrocken zusammen. „Das wird Waldmann…“

„Scheiß auf ihn! Und scheiß auf dich!“ Max packte sein Kinn und drückte so fest zu, als wolle er Saft daraus pressen. „Das sind Menschen, Spiro. Sie wurden schon bestraft, indem sie hierherkamen. Nichts wird etwas daran ändern.“ Er holte aus und versetzte ihm einen Schwinger, dass Hansen wie ein Schweizer Taschenmesser zusammenklappte. „Du hast einen Krieg angefangen, Junge.“ Er atmete schwer und sah sich zur Auffahrt um. „Die werden uns jagen. Und sie werden Hilfe Snown. PureSky ist die einzige Konstante im diesen Chaos. Sie haben über Jahre Verträge geschlossen und werden ihre Bündnispartner auf den Plan rufen. Die Gregs, die Army of Brothers, die H-66… jeden, den sie mit Drogen beliefert haben, wird hier auftauchen.“ Er holte tief Luft, und kurz flackerten Szenarien der schrecklichsten Art vor sein geistiges Auge. Ihn durchlief ein Schaudern. „Fast neunzigtausend Verbrecher. Deine Taten können nicht gerechtfertigt sein…“

Zu seiner Überraschung war Hansen schnell wieder auf den Beinen und konterte mit einem flinken Haken, den Max kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Getroffen wankte er gegen ein Auto.

Hansen wirkte, als würde er sich gleich auf Max stürzen wollen: die Augen kalt, die Schultern nach vorne und die Arme wie ein Preisboxer haltend. Doch bevor es richtig losgehen konnte, ließ Hansen die Deckung fallen und lächelte. „Vierzehn.“

„Was?“

„Vierzehn Millionen für diesen Dreck, Snow.“

„Natürlich Geld…“

„Was sonst, Snow? Während Sie weiter in der Station Akten sortieren, sitze ich in drei Wochen auf den Bermudas und schlürfe ich Drinks in der Sonne.“

Max schüttelte den Kopf. „Derrick und du habt den Verstand verloren. Meinetwegen ist es die Hölle, wenn einem Vater so etwas passiert. Ja, das sehe ich ein. Aber das rechtfertigt keinen Mord! Gott, bin ich der einzige hier, der das so sieht!?“ Er stampfte wütend auf.

Hansen zeigte auf den schlummernden Brown. „Er sieht es bestimmt so wie du!“ Wankend kam er auf die Füße und zeigte gen Himmel. „Dann hol doch deine ach so tollen Teams her…“

„Warum?“ wollte Max wissen.

„Um zu kämpfen?“

Max sah ihn an, als hätte er mehrere Klassen ausgelassen. „Wie bitte!? Sechs Söldner gegen neunzigtausend? Nie im Leben. Das ist doch keine griechische Tragödie!“

„Dann hol schon dein Raumschiff her“, zischte Hansen. „Und lass uns endlich verschwinden.“

„Dafür ist es zu spät.“ Er starrte den sprachlosen Hansen an und verspürte keine Lust mehr mit ihm zu streiten. „Alles ist zu spät. Die Gulfire ist fort. Und in dem Tumult kommt sie erst gar nicht auf den Boden. Wir müssen warten.“

„Wie lange denn?“

„Sehr, sehr lange.“

In dem Moment ertönte eine Autohupe.

Ein weißes Taschentuch schwenkend bewegte sich Max auf die Brüstung des Daches zu. Von hier hatte man einen herrlichen Blick auf die Straße. Und die Straße war voll.

Ein Dutzend Jeeps mit Männern und Frauen, die böse nach oben starrten. Max kam sich wie auf einem Präsentierteller vor und schwenkte mit mehr Nachdruck sein weißes Tuch. Niemand rührte sich. Dann bemerkte er den Grund.

Sie war noch nicht da.

Langsam fuhr eine Limousine vor. Ein Prunkstück, dessen Lack so festlich glänzte, als hätten alle Kriminelle von Oasis jedes Stäubchen Glitter gesammelt, um es im Lack zu verewigen. Schrecklich unpraktisch, fand Max, aber Stil hatte es.

Roxanne- Brucha und la Muerte in einer Person- hatte ihre Gruppe in Griff. Niemand sagte ein Ton oder rührte sich von der Stelle, bis sie endlich ausgestiegen war und sich neben einem Jeep lehnend positioniert hatte. Mit einer Fuchsstola und einem schwarzen Kleid sah sie wie eine wahrhaftige Königin aus. Was sie wohl auch wahr.

Max konnte sein Pech kaum fassen: konnte es nicht eine Pilotin sein? Oder die nette Sekretärin im Hauptlabor? Oder sonst irgendwer. Als hätte Preston Smith nicht schon mit wenigen Worten das Unheil in groben Zügen beschrieben, konnte er sich jetzt vor Ort überzeugen, dass mit Roxanne nicht gut Kirschen essen war. Er konnte förmlich riechen, wie sie Ärger zum Frühstück verspeiste und mittags eine doppelte Portion verlangte… nur, um dann am Abend die Welt in Brand zu stecken.

Sie spuckte ein Kaugummi aus und blickte interessiert nach oben, als wäre ihr bei einem Spaziergang eine interessante Kleinigkeit am Wegesrand aufgefallen. Erstaunt zog sie die Luft ein. „Ich hätte nicht gedacht, dich unter diesen Umständen wiederzusehen.“

Max spürte, wie sich seine Mundwinkel automatisch nach oben zogen.

Sie erinnert sich an mich.

Der Rationale Teil in ihm wollte fliehen. Runter vom Planeten und wieder ins gemütliche Büro im Vakuum, wo Akten gesichtet und vom Schreibtisch Einsätze geplant wurden. Das Aufregendste hier war eine Abmahnung gewesen, die aber nach einem persönlichen Gespräch wieder zurückgenommen wurde.

Der Romantische Teil jedoch bewunderte ihren Stil. Den hatte sie. Trotz der verwahrlosten und verhärmten Gruppe um sie herum wirkte sie wie eine typische Unternehmerin in einem der besseren Viertel von Beverly Hills.

Außerdem hatte er einen Wahnsinnsausblick in ihren Ausschnitt…

Er schluckte trocken und leckte sich über die Lippen. „Ja, tut mir leid.“

Alle Blicke richteten sich nach oben und schienen eins zu vermitteln: Was geht uns das an, wie du dich dabei fühlst? Gleich bist du tot. Du weißt es nur noch nicht.

„War nicht so geplant…“

„War es geplant, dass du dich mit meinem Laboranten verdrückst? Max, richtig? Ich will ihn wiederhaben.“

Er überlegte fieberhaft, was er sagen sollte. Er musste sich ihr erklären. Also die Wahrheit: „Michel Brown hat eine Vorgeschichte. Es gibt Leute, die sich dafür interessieren.“

„Tja, das ist Mist.“ Sie zuckte mit den Schultern und schien sich ihren Teil dabei zu denken. „Ich will es kurz machen, Max: ich sehe eine Treppe zum Dach und habe zwanzig Gewehrläufe. Am besten, ihr kommt runter.“

„Ich habe nur eine Frage…“

„Was?“

„Was ist deine Lieblingsmusik?“

Stille.

Einer ihrer Männer zischte etwas, und die anderen lachten leise. Auch Roxanne lächelte kopfschüttelnd. „Nimmst du das hier nicht ernst, Max?“

„Ich liebe Cant´t help falling in love von Elvis Presley.“

Hansen hinter ihm starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

Roxanne lachte über einen Witz, den jemand in ihrer Nähe riss. „Du lockerst die Situation ziemlich auf. Aber ja, gutes Stück. Das gebe ich zu.“

„Kannst du es für mich singen?“

Einige Männer und Frauen legten den Kopf schief oder warfen sich verwirrte Blicke zu.

Sie starrte hoch und wurde schlagartig ernst. „Ein andermal. Jetzt wird es brutal.“ Sie nahm die Sonnenbrille herunter. „Bei drei seid ihr unten, oder…“

Selbst aus der Entfernung konnte er ihren eiskalten Blick spüren. Sie würde nicht zögern, die bewaffnete Meute ihnen auf den Hals zu schicken.

So kalt.

So tödlich.

Eine Wahnsinnfrau.

„Mir gefällt Try von Pink auch sehr gut“, krächzte er leise und wusste, dass er bald jeglichen Respekt vor sich selbst verlieren würde.

Sie blinzelte verstört, richtete ihren scharfen Blick zur Seite.

Jetzt lachte niemand mehr. Das scharfe Durchladen von Waffen wurde laut. Ein Gewitter mit viel Blei kündigte sich an, und niemand würde daneben schießen.

„Du hast elf Männer getötet, Max. Das kann ich nicht durchgehen lassen.“ Sie nickte ihren Leuten zu. „Holt mir ihre Skalps“, dröhnte sie tief. Sie wandte sich ab und schnippte mit den Fingern. Wie auf Kommando stürmten die ersten vor und rannten nach oben.

„Und Brown?“ fragte jemand neben ihr.

Roxanne begriff die Frage nicht. „Was? Nein, lebend natürlich. Los, geh schon.“ Sie blickte ihnen nach und schüttelte den Kopf, setzte sich hin und zündete eine Zigarette an.

Als sie die Kippe austrat, kamen ihre Männer langsam wieder herunter. „Das haben sie da gelassen.“

Roxanne starrte auf das einfache Klapphandy und den beigefügten Zettel, auf dem jemand in ungelenker Schrift geschrieben hatte: Ruf mich an.

„Ist das ein Smiley daneben?“ wollte einer der Männer wissen und beugte sich vor.

Roxanne war nicht dumm, aber diese Art von Dreistigkeit erstaunte sie.

„Nein, das ist das Gesicht eines ziemlich großen Idioten.“

Was stimmte mit dem Kerl nicht?

Wrong turn

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