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GESCHICHTE UND PRINZIPIEN DES BIKEPACKINGS

Abenteuerliche Reisen per Fahrrad haben eine lange Geschichte. Schon im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert begaben sich wagemutige Radfahrer auf Expeditionen, die alles andere als Sonntagnachmittagsausflüge waren. Vielleicht am bekanntesten wurde der für einige Jahre in die USA ausgewanderte Brite Thomas Stevens, der 1884 bis 1886 von San Francisco aus in östlicher Richtung den Globus umrundete und dabei 22.000 Kilometer Landweg hinter sich brachte – auf dem Hochrad! Mit der Entwicklung des Safety Bikes etwa zur gleichen Zeit war dann die heute noch meistgenutzte Bauform des Fahrrades erreicht. Diese auch als Rover bezeichnete Konstruktion mit den gleich großen Rädern machte das Radfahren sicherer und sorgte für seine schnelle Verbreitung auf der ganzen Welt. Gepäcksysteme gab es jedoch noch längere Zeit nicht – wer per Rad reiste, musste sich diesbezüglich sehr einschränken.

Was Radfahren mit leichtem Gepäck betrifft, legte die 25. US-Infanteriedivision zum Ende des gleichen Jahrhunderts Lösungen vor, die noch heute als Beispiel und Inspiration dienen können. Eine als Buffalo Soldiers bekannt gewordenen Brigade von etwa zwei Dutzend Männern unter Führung ihres Leutnants James A. Moss unternahm verschiedene Langstreckenfahrten, darunter eine »Expedition« über 3.000 Kilometer von Montana nach Missouri in 40 Tagen, mit sechs Ruhetagen.

Die Fahrräder dieser Infanteriebrigade waren alles andere als leicht. Diese Tatsache sowie das Ziel, schneller als die Kavallerie unterwegs zu sein, zwang die Truppe zu einem absolut minimalistischen Gepäckkonzept.

Jeder Soldat führte eine Lenkerrolle mit einer Zeltplane, einem Satz Wechselwäsche, zwei Paar Socken, Taschentuch und Zahnbürste bzw. -pasta mit sich. Im Rahmendreieck wurde der Proviant verzurrt, hauptsächlich Brot, Schinken, Bohnen, Dosenfleisch, Kaffee und Zucker. Weniger wichtige Dinge wie Handtuch, Seife und Lappen für die Fahrradpflege teilten sich jeweils zwei Männer. Gruppenführer transportierten das Notwendigste an Medikamenten, Werkzeug, Ersatzteilen und Zündhölzern. Die beladenen Räder hatten ein Gesamtgewicht von 25 bis 27 Kilogramm. Dazu kamen das etwa fünf Kilogramm schwere Gewehr und 50 Schuss Munition. Trotz deutlich leichterer Fahrräder ist die Mehrzahl der Radreisenden noch heute mit ähnlich hohen Lasten unterwegs.

In der jüngeren Vergangenheit hat die Entwicklung der sogenannten Self-Support-Ausdauerrennen wie etwa der Tour Divide (4.400 km vom kanadischen Banff bis nach Antelope Wells an der US-Mexikanischen Grenze) oder der GST/Grenzsteintrophy (ca. 1.300 km entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze) die Vorstellung dessen, was an Gepäckminimalismus möglich ist, entscheidend geprägt. Der Begriff »ultraleicht« hat im Zusammenhang mit derartigen Radtouren neue Dimensionen erreicht. In Analogie zum Backpacking (Rucksackwandern) hat sich inzwischen der englische Ausdruck Bikepacking eingebürgert, und zwar für meist offroad durchgeführte Fahrradtrips mit Übernachtung(en) bei minimalistischer Gepäckausstattung. So bleibt der Einfluss auf das Fahrverhalten gering, und die Auswahl der Routen und Regionen ist entsprechend groß.

Mit den heute sehr leichten, belastbaren und klein verstaubaren Campingausrüstungen hat sich das notwenige Transportvolumen für Touren mit Übernachtungen drastisch reduziert. Immer häufiger sind Gepäckträger und -taschen überflüssig und eng am Rad verzurrte Rahmen- und Lenkertaschen erfüllen deren Aufgaben, auch bei Touren, die über Wochen und Monate gehen.

Fraglos ist es Teil des Vergnügens, auf einer Radtour alles Notwendige mit sich zu führen. Dennoch ist das Ansammeln von individuellem Besitz ein zweifelhafter Zug unserer aktuellen Lebensweise.


Eine vollständige geländetaugliche Bikepacking-Radausstattung, inklusive Raum für eine digitale Spiegelreflex-Kamera: aufsteigen und losfahren!

Wer weniger Kram zu verwalten hat, hat mehr vom Leben – das ist der Hintergrund des Simplify-Trends. Und das gilt natürlich auch für Radtouren. Mit nur drei Leitlinien im Kopf holt man das Maximum aus einem Radabenteuer heraus:

• Nimm nur mit, was du wirklich brauchst

• Steigere deinen Fahrspaß

• Fahre weiter

NIMM NUR MIT, WAS DU WIRKLICH BRAUCHST

Das klingt erst einmal nicht weiter schwierig, aber tatsächlich neigen wir alle dazu, mehr einzupacken als wir unterwegs wirklich benötigen. Wir nehmen noch einen Satz Unterwäsche mit, denn »der braucht ja kaum Platz«, einen Reservekanister Brennstoff, das aufblasbare Kopfkissen »weil es bequemer ist« und das zweite Paar Handschuhe für »wenn das erste nass ist.« Die Liste ist endlos, und es finden sich Gründe für jedes einzelne Teil darauf. Bis auf den Campingstuhl vielleicht, denn wenn du auf der Erde schläfst, dann kannst du ja wohl auch darauf sitzen. Nein, es ist nicht nur der Campingstuhl: Bleib bei dem, was du wirklich brauchst. Alles andere ist eine Last, die dich bedrückt – so einfach ist das.

Das Schönste am Reisen mit wenig Gepäck ist die Art und Weise, wie dies deine Tour formt. Aus der »Was ist, wenn …«-Gedankenwelt wechselst du in die Wahrnehmung dessen, was deine Reise in jedem gegebenen Moment für dich bereit hält. Wenn du neue Orte und Landschaften besuchst, wirst du nun viel mehr Kontakt zu Land und Leuten haben, als wenn du in einer »Ich hab alles dabei, was auch immer geschieht«-Blase durch die Welt kurbelst.


Eine unserer Unterkünfte im Himalaya war der Klassenraum einer Grundschule. Improvisation brachte uns in engen Kontakt mit der lokalen Gemeinschaft, und daraus entwickelten sich wunderbare Freundschaften.

Tatsächlich lässt sich fast alles, was du an Wichtigem nicht eingepackt oder verbraucht hast, auch unterwegs finden, improvisieren oder ersetzen.

Glücklicherweise bieten Bikepacking-Taschen von vornherein weniger Stauraum als ihre voluminösen Vorgänger an den Gepäckträgern. Wer gern reichlich packt, muss sich anfangs ziemlich umstellen, aber der begrenzte »Kofferraum« hilft beim Eindampfen aufs wirklich Notwendige.

Der Punkt ist, sich immer weiter an seine Komfortgrenze heranzuarbeiten. Mit etwas Erfahrung liegt die wesentlich weiter unten auf der Gewichtsskala als du am Anfang gedacht hast.

Kleine Sünden, große Freud’


Wildes Campen in Kirgisien, gewürzt mit lokalen Spezialitäten. Kapselheber und Korkenzieher sollte man unterwegs immer dabei haben.

Wir haben alle unsere kleinen Laster, und wann könnte man sie besser genießen als nach einem langen Tag auf dem Rad? Kennzeichen des ultraleichten Reisens ist der Verzicht auf unnötige Dinge, nicht der unnötige Verzicht auf den Spaß an der Tour! Irgendwo lässt sich immer noch ein Schokoriegel unterbringen, eine Tüte Erdnüsse oder ein Flachmann. Und der Abend hat sein Highlight.

Aber keine Angst: Zahnbürsten absägen ist nicht notwendig. Es sei denn, du hast Spaß dran …

STEIGERE DEINEN FAHRSPASS

Unterwegs auf einem Singletrack in den Bergen, leichtes Gefälle, ein paar Kuppen mit spektakulären Panoramen, frische Beine, ein gut abgestimmtes Rad, Kurven ohne Ende – der Stoff, aus dem Mountainbikers Träume sind.

Und nun stell dir die Szene mit Packtaschen vor, schwer beladen und breiter als der Trail. Statt der Reifen auf dem Weg und den hinter dir kullernden Steinchen hörst du nur dein lauter werdendes Keuchen und irgendein Quietschen am Gepäckträger. Plötzlich hoffst du bei jeder Kurve, es möge die letzte sein. Deine Beine hoffen mit dir.

Es geht aber nicht nur um die vermehrte Anstrengung, die ein höheres Reisegewicht mit sich bringt. Eine reduzierte Ausrüstung, gut am Rad verteilt (siehe Kapitel 3), macht sich auch im wesentlich besseren Handling des Bikes bemerkbar, besonders abseits des Asphalts. Mit richtig angebrachtem Minimalgepäck ist das Bike fast so perfekt zu fahren wie ohne jede Zuladung. So schenkt es dir ein Maximum an Fahrspaß, während es dich jeden Tag einem neuen Ziel entgegen trägt.


Ein traumhafter Trail, aber einer von uns hat mehr davon, weil er die bessere Packstrategie gewählt hat.


Singletracks lassen sich am besten mit möglichst wenig Gepäck genießen, und das gilt nicht nur in den Schweizer Alpen.

Immer wieder heißt es, der Weg sei das Ziel. Natürlich gilt dies auch für eine Radreise, sei sie nun kurz oder lang. Die ständig wechselnden Perspektiven, die Geräusche, die Anstrengung – all dies werden bleibende Erinnerungen an deine Tour. Und je mehr du deine Zuladung minimierst, desto schöner werden diese Erinnerungen.

FAHRE WEITER

Weniger Gepäck bedeutet leichteres Reisen, was dich schließlich auch weiter fahren lässt. Das kannst du ganz nach persönlicher Vorliebe ausnutzen: längere Tagesetappen fahren, oder mehr Zeit außerhalb des Sattels (Sightseeing, Strand …) verbringen, oder abgelegene Regionen besuchen, die du mit einem vollgepackten Reiserad nicht erreichen würdest.

Man kann sich vielleicht selbst schwer vorstellen, täglich 250 und mehr Offroad-Kilometer abzureißen, wie es die Bikepacking-Spezialisten auf der Tour Divide regelmäßig tun. Aber es zeigt, was mit wenig Gepäck möglich wird und ist eine Quelle der Inspiration. Ein ultraleichtes Übernachtungs-Kit kann 20, 50 oder sogar 100 zusätzliche Kilometer möglich machen.


Verborgene Tunnel an der Grenze zu Afghanistan.

Ultraleicht kann auch zu leicht sein


Auf den rauen Bergstrecken Nepals sind 27,5- und 29 Zoll-Räder mit dicken Reifen die beste Wahl.

Man kann an den erstaunlichsten Stellen Gewicht sparen, soweit es um dich und dein Fahrrad geht, aber vorher sollte man sich den Untergrund anschauen, den man unter die Räder nehmen will. Natürlich ist es verlockend, rotierende Massen zu verringern. Aber mit dem Radumfang und den Reifendurchmessern zu geizen, kann knochenschindende Folgen haben. Raues Terrain erfordert Traktion, Kontrolle, Standfestigkeit und auch Komfort, vor allem, wenn du mit Gepäck unterwegs bist. An den Vorteilen größerer Rad- und Reifendurchmesser im Gelände sollte man nicht sparen.

Mit mehr Möglichkeiten bei den Reisedistanzen bleibt dir nur die Aufgabe, dich zwischen mehr Strecke, mehr Ruhe und mehr Abwechslung vom Rad zu entscheiden.

Noch eine wichtige Ergänzung: Wer rauere oder abgelegene Regionen der Erde bereist, wird schnell bemerken, dass übersichtliches, leichtes Gepäck auch dann von großem Vorteil ist, wenn man nicht im Sattel sitzt. Das Rad einen Trampelpfad bergauf schieben, einen Radtransport mit Bus oder Eisenbahn durchführen, eine Exit-Strategie finden, wenn Plan A und B nicht erfolgreich waren – das alles geht mit knappem Gepäck und kleinen Packtaschen wesentlich leichter von der Hand. So etwas hast du vielleicht gar nicht im Plan, aber es kommt einfach vor, wenn du die ausgetretenen Pfade verlässt. Und genau in diesen Momenten, gar nicht so sehr im Sattel, begreifst du die handfesten Vorteile deines reduzierten Gepäcks.


Beim Besteigen eines Fernzuges …


Rad und Gepäck auf das Dach des Reisebusses laden …


Schieben oberhalb 5.000 Meter.

Ob du dein Bike kurbelst, schiebst, trägst oder verlädst: Weniger Gewicht bedeutet weniger Schweiß, weniger Sorge und eine Menge mehr Möglichkeiten. Vom Spaß ganz zu schweigen.

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