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Die vier Jahre Grundschule

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Ach was find ich die Schule schön. Wir malen den ganzen Tag Striche in Hefte. Mal sollen die Striche gerade sein, mal schräg. Da ich von meinem Onkel schon vieles gelernt habe, wird mir die Schule langsam langweilig. Ich widme mich dem Schwatzen, was natürlich viel interessanter ist. Meine Banknachbarin heißt Doris und soll mein ganzes Leben lang meine Freundin bleiben. Wir schnattern und hören nicht die Lehrerin. Und weil ich nicht auf die Ermahnungen der Lehrerin hören kann, sitz ich dann und wann schon mal allein, ganz vorn auf der ersten Bank. Im Laufe der 1. Klasse und im Sinne der sozialistischen Erziehung werden wir Jungpioniere. Zum Montagsappell dürfen wir mit weißer Bluse und blauen Halstuch antreten. Meine Mutter bricht sich fast die Finger, wenn sie mir das Pioniertuch mit richtigen Knoten binden soll. Der Montag beginnt demzufolge mit Ärger und ich finde Halstuch und Bluse schlichtergreifend dumm. Dem Bleistift folgt der erste Tintenfüllhalter. Vater macht eine Wissenschaft daraus, mir zu erklären, wie man das Ding mit Tinte füllt. Lieber hätte er mir erklären sollen, wie Tinte wieder aus Hosen und Blusen verschwindet. Das aber tut er zu meinem Leidwesen nicht und so setzt es öfters mal eine Ohrfeige für Tintenkleckse auf meinen Sachen. Die ersten Buchstaben und Zahlen verdrängen die langweiligen Striche. Buchstaben schreiben erweist sich als erste kleine Schwierigkeit. Da rutschen die O´s und A´s aus den Linien. Die Nase fast auf dem Schreibheft und die Zungenspitze folgen dem Füllfederhalter, versuche ich krampfhaft die Worte in ihre vorgeschriebenen Reihen zu balancieren. Das erste Schreibheft zeugt von der Kunst des Schreiben lernen und außer schiefstehenden Buchstaben wechseln sich Tintenkleckse mit Radiergummilöchern ab. Der Versuch, falsch geschriebene Worte mit einem Radiergummi zu entfernen, entpuppt sich zu einem sinnlosen Unterfangen. Das Ende vom Lied, meinem Vater gefällt meine Schreibkunst nicht. So geschieht es, dass ich eben so ein Schreibheft völlig neu anlegen muss. Zu Deutsch, ich darf alles in Reinschrift in ein frisches Schreibheft übertragen. Mein Erzeuger steht dabei hinter mir. Da mir wieder und wieder ein Wort aus der Schreibreihe rutscht, bekomme ich so eine derbe Kopfnuss, dass ich auf die Tischplatte knalle und die Nase blutet. Noch einmal muss ich die angefangene Seite neu beginnen. Die Tränen laufen mir über das Gesicht. Und draußen spielen die Kinder!

Mein Schulweg ist der kürzeste von allen Schülern der 1.-4. Klasse. Wir wohnen gleich über die Straße. Somit komme ich in den Genuss, nicht Mittagsruhe halten zu müssen. Nach dem gemeinsamen Mittagsessen darf ich nach Haus gehen, während sich die anderen aus meiner Klasse mit den Schulvorschriften quälen müssen. Mittagsschlaf, Kaffe trinken, Hausaufgabenstunde und ganz artig Spielen. Nach der Schule gleich nach Haus gehen zu dürfen, ist wohl ein Vorteil. Der Nachteil besteht darin, dass meine Eltern fürchterlich schnell informiert werden, wenn ich wieder mal nicht im Sinne der Lehrkörperschaft gehandelt habe.

Von Statur gleich ich eher einer spindeldürren Puppe und niemand nimmt an, dass ich mich wehren könnte. In den Pausen ärgern mich die Kinder aus meiner Klasse gern, in dem sie meinen Namen verdrehen. Sie rufen mir nach, Letse, Petze, du bist doof! Dabei umkreisen mich Jungen und Mädchen im Schulhof. Mein Vater hatte mich gelehrt, Unrecht gleich zu klären und wenn es sein muss, mit der Faust. So sehe ich zu, als man mich in der Pause mal wieder ärgert, dass ich einen von den Schreihälsen erwische. Umsonst wetze ich von einem zum anderen. Dabei lachen sie mich aus. In mir steigt eine mir bis dahin unbekannte Wut im Bauch hoch. Plötzlich finden sich meine Hände in den Haaren einer dieser Schreihälse wieder. Kräftig ziehe ich am Pferdeschwanz. Erschrocken über den Haarbüschel, welchen ich in der Hand halte, renne ich weg und versteckte mich im Keller. Marion, so heißt das Mädchen höre ich bis nach unten. Das Herz rast und ich fange an zu weinen.

Meine Lehrerin find et mich sitzend am Kellerboden mit dem Haarbüschel in der Hand. „ Komm mit nach oben“, nimmt mich an die Hand und wir gehen ins Lehrerzimmer. Dort steht die plärrende Marion, alle Lehrer und schauen mich stirnrunzelnd an. Gerade will tief Luft holen und erklären, was passiert ist. Ich komme nicht dazu. Ein gewaltiger Sturm an Stimmengewirr dringt an mein Ohr: das ist unmöglich, wie kannst du so etwas nur machen, das erfahren deine Eltern, du bekommst einen Tadel, du bist kein Jungpionier mehr. Und so weiter und so weiter. Keiner fragt mich, oder lässt mich zu Wort kommen, warum ich Marion in die Haare gezogen habe. Danach darf ich zurück in meine Klasse gehen. Und das ist so ein Nachteil. Kaum stelle ich zu Haus angekommen meinen Schulranzen in die Ecke, setze mich an den Mittagstisch gucke meine Eltern hungrig an, freue mich auf Reis mit Kirschen, da geht meinem Vater der Hut hoch. Na klar, meine Lehrerin hatte bereits ihren ersten Elternbesuch bei uns zu Haus absolviert. Klasse!

Wie gewohnt in der Schule, will ich aufstehen und reden. „ Setz dich, bist doch nicht in der Schule“, spricht mein alter Herr mich gereizt an. Also setze ich mich wieder hin und fang an zu erzählen. Wenn ich auch mit sehr viel Strenge erzogen wurde, so tadelt er mein Handeln nicht. Er befindet mich im Recht und für mich folgt diesmal keine Strafe. „Na gut, ich kann dich verstehen und hänseln lassen musst du dich nicht. Wir sind eine anständige Familie. Aber gleich einen ganzen Büschel Haare hättest du ihr nicht raus ziehen müssen. Morgen gehst du dich entschuldigen. Ist das klar?“ Ich nicke stumm und esse ohne Appetit den bereits kalten Reis auf.

Dieses Ereignis prägt mein Leben als Schulkind in der Mariannen Straße. Irgendwie habe ich mir Respekt verschafft, ohne es zu wissen.

Mein Wissen vom Onkel Klaus habe ich ausgeschöpft und somit höre ich neuerdings zu, wenn der Unterrichtsstoff neu ist.

Das Schwatzen mit meiner Freundin Doris kann ich nicht unterlassen, was zur Folge hat, dass meine Freundin Doris den Stoff im Unterricht nicht mitbekommt und ihre Zensuren schlechter werden. Ja und ich habe die Begabung zu schwatzen und trotzdem alles im Unterricht mit zu bekommen.

In der dritten Klasse kommt zum Sport das Schwimmen dazu. Als Naseweis kann ich natürlich schon schwimmen. Und das kam so. In einem nicht weit ab gelegenen Stadtteil von meinem Zuhause, gibt es ein Schwimmbad, das nur im Sommer geöffnet hat. Der Sommer in einer Großstadt wirkt sich nicht gut auf die Menschen aus. Hitze, Staub, die Menschen haben selten oder eher kaum zu Haus eine Badewanne. Also, man geht im Sommer ins Freibad. Ich auch. Nach dem ich meine Mutter stundenlang, nein Tage lang quäle, ich will auch schwimmen lernen, lässt sie sich irgendwann drauf ein und ich darf mit Evelyn, eine Spielkamedin ins Freibad. „ Geh nicht so dicht ans große Becken, höre ich sie noch sagen“, weg bin ich. Evelyn versteht bereits die Kunst, sich über Wasser zuhalten. Aber ich noch nicht! Evelyn erklärt mir, wie ich es anstellen muss, um mich über Wasser zu halten. „ Du musst paddeln wie ein Hund, dann gehst du nicht unter“. Ich gehe natürlich unter, aber nicht sehr wirklich, das Wasser reicht mir bis zum Hals, wenn ich stehe. Fast vorsichtig paddele ich zum Rand des Beckens und halte mich dort an der Haltestange fest. Einer von den Bademeistern sieht uns und eilt auf uns zu. „ Raus hier, könnt ihr nicht lesen? Baden für Nichtschwimmer nicht erlaubt.“ Lesen, ja das konnten wir, aber noch nicht schwimmen und das wollen wir. Der Bademeister erbarmt sich unser, gibt uns jeden einen Schwimmring und geht mit uns zum kleinen Becken. „ So und hier könnt ihr jetzt probieren, wenn ich Zeit habe, schaue ich mal her.“ In nur ein paar Tagen kann ich schwimmen, als Dank klauen wir aus einem Garten der naheliegenden Gartenanlage einen riesigen großen Strauß Blumen. „ Na wo habte denn den je klaut“, grinst der Bademeister uns an und verschwindet mit den Blumen.

Unsere große Stadt besitzt eine richtige tolle große neue Schwimmhalle, genannt die Elbeschwimmhalle. Die Elbe, ein großer Fluss fließt durch unsere Stadt und teilt sie auch. Die Schwimmhalle trägt deshalb auch den Namen des Flusses. Da fahren wir nun einmal die Woche hin, mit der Straßenbahn. Die ganze Klasse muss sich in einen Wagon drängeln, damit unsere Turnlehrerin nicht die Übersicht verliert. Die mitfahrenden Gäste sind nicht gerade begeistert, wenn so ein Haufen von schnatternden sich schubsenden Kindern einen Wagon ohne Verluste bevölkert. Aber auch diese Zeit geht vorbei. Oh, was für ein Haus, ich habe noch nie eine Schwimmhalle gesehen, weder von außen, geschweige denn von innen. Bevor wir in die Halle eintreten dürfen, gibt es noch strenge Regeln der Lehrerin, die wir zu befolgen haben.

Drinnen riecht es fürchterlich, im Gänsemarsch teilten wir uns in zwei Gruppen. Rechts die Mädchen, links die Jungen. Bekleidet mit Badeanzug und Badekappe betreten wir die eigentliche Schwimmhalle, auch hier riecht es so nach Toilette. Der Geruch beißt in die Nase und nimmt einem die Luft zum Atmen. Unsere Turnlehrerin klärt uns auf und wir finden es plötzlich gar nicht mehr so schlimm. Das Zeug nennt sich Chlor und soll die Becken von Verunreinigungen frei halten. Wie sehen denn die Jungens aus, wir Mädchen lachen uns krümelig. Offensichtlich schauen wir nicht besser aus, denn auch die Jungens fangen an zu kichern. Wie im Freibad, gibt es ein Schwimmbecken für Nichtschwimmer und eines für Schwimmer mit einem ganz großen Turm zum Springen. Das große Becken erweist sich für uns 3-Klässler zunächst als Tabu. Die Schwimmstunden gehören zu meinen Lieblingsunterrichtstunden und gehen viel zu schnell vorbei.

Wenn ich auch sonst die Appelle am Montagmorgen für unbequem, kalt, langweilig und was weis ich noch alles halte, freue ich mich sehr, als zum Abschluss der 4.Klasse ich bereits öffentlich für meine Schwimmkünste gelobt werde und die Schwimmstufe in Goldhalte.

Ferien, wer liebte dieses Wort nicht. Für gewöhnlich heißt das Spielen in der Straße, länger draußen bleiben, keine Hausaufgaben, weniger Pflichten.

In unserem Stadtteil gibt es drei Klicken. Die Klicke aus der Sophien Straße, die aus der Randauerstraße und wir, die aus der Mariannen Straße. Häuserzeilen, welche in den zwanziger Jahren für die Arbeiter des Stahlwerkes gebaut wurden, ohne jeglichen Schnickschnack und mit einem Plumpsklo für alle Mieter eines Aufganges. Da kommt man so manches Mal in Nöten. Und hier bin ich der Boss aus der Mariannen Straße. Keiner kann so schnell Roller fahren, oder so schnell laufen wie ich, oder canceln um Pfennige, oder kieseln mit Kiesel und Peitsche.

Nur Singen kann ich nicht, das klingt einfach fürchterlich. Manchmal spielen wir Schlagerparade bei uns auf dem Hinterhof. Ein Hinterhof, wie Zille ihn nicht besser hätte illustrieren können. Ein paar fast verfallene Kaninchenställe und ein Fahrradschuppen, Wäscheleinen und altes Straßenpflaster zieren den Hinterhof. Der Putz an den Hauswänden bröckelt und die Farbe Grau tendiert hier an erster Stelle. Zum Singen ziehen wir uns eine Decke als Vorhang im Durchgang des Hinterhauses und mittels eines Kochlöffels, als Mikrophon gedacht, gibt jeder sein bestes. Bernd, ein Mitbewohner des Vorderhauses kann am schönsten singen. Er kauft sich die damals erhältlichen Texthefte und lernt die Liedtexte der derzeit aktuellen Schlagersänger auswendig. „ Rote Lippen soll man küssen….“, na ja ich habe weder diese Hefte, noch Talent zum Singen und somit werde ich dem Chor zugeordnet und musste brummen. Lange spiele ich das Spiel Schlagersänger nicht mit, dass ist für Memmen und Bernd ist eine.

Ich kriech lieber mit den mutigen Jungen aus der Klicke auf dem Ascheberg rum. Mir und meinem Bruder ist es aufs strengste untersagt, die Spielstraßen zu verlassen. Die anderen Kinder kennen solche Verbote nicht. Aber ich will unbedingt mit, also übergehe ich dieses Verbot und renne den Jungen nach. Vorbei an Oma, ja die Oma, immer seltener besuche ich sie. Dabei liebe ich sie so sehr. Mein Onkel Klaus studiert, irgendwo in unserer Republik und ist nie zu Hause.

Durch den sogenannten Kantorgang kommt man zum ehemaligen Ascheberg. Viel sieht man nicht mehr davon. Aber es reizt eben doch, über die Hügel und über die stinkenden Schlammlöscher zu rennen. Wer da nicht gut springen kann, sieht halt eben schlecht aus danach und noch schlechter bei den Eltern daheim. Denn Waschmaschinen gibt es noch nicht und fast jede Familie muss mit der Hand waschen. Dass das nicht leicht ist, davon kann ich ein Lied singen. Als ältestes Kind der Familie obliegt es mir ganz allein, meiner Mutter beim Waschen zu helfen. Freitags heizt mein Vater den großen Waschkessel im Waschhaus an. An solchen Tagen, zu mindestens im Winter, haben wir in unserem Kinderzimmer warme Füße. Die Waschküche liegt direkt unter unserem Zimmer. Früher war dies der Heuboden und die Waschküche ein Pferdestall. Heut heißt es Hinterhaus, wir wohnen dort, ohne Klo und Waschbecken. Die gekochte weiße Wäsche zieht meine Mutter durch eine Nassmangel und ich kleines Ding soll diese dann in einen großen Korb legen. Nach der Weißwäsche folgt die Buntwäsche und hier tret ich dann richtig in Aktion. Alle Socken gehören mir. Welch ungerechtes Spiel. Dazu stell ich mich auf einen kleinen Fußhocker und mittels Bürste schruppe ich Socke für Socke. „ Ich hasse Strümpfe“, sage ich meiner Mutter und schaue sie aus traurigen Augen an. Kein Erbarmen, nein, Mutter bleibt eisenhart und ich muss meine Arbeit zu Ende bringen. Dabei habe ich noch eine Schwester, welche ein Jahr vor mir geboren wurde. Karin brauchte nie beim waschen mit anpacken. Sie wohnt bei meiner zweiten Oma auf dem Land und genießt alle Vorzüge eines verwöhnten Einzelkindes. Manchmal fahren wir zu den anderen Großeltern. Der Weg dorthin dauert lange und nur mit Bahn oder Bus zu erreichen. Auch diese Oma liebt mich sehr. Sie herzt mich und drückt mich ständig, streichelt mein strohblondes Haar und schaut mich dann stets mit fragenden Augen an. Viel später erfahre ich, warum.

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