Читать книгу Online am Abgrund - Jutta Berg - Страница 9
5. Kapitel: Der nächste Termin
ОглавлениеAm 25.01.2011 um 17:52
schrieb: Jule22
Betreff: nächster Termin
Hallo Jutta, Heute habe ich meinen Dienstplan für den nächsten halben Monat bekommen. Darauf habe ich dann, mit dem Therapeuten, einen neuen Termin gesucht - der ist erst am 15.02. Ich weiß gar nicht, wie ich so lange auf der neuen Arbeit mit mir klar kommen soll. Habe so Angst, dass jemand was mitbekommt oder ich mich in einer Situation komisch verhalte und alle denken, was ist denn mit der Neuen los. Warum kann ich nicht voll Selbstbewusstsein anderen gegenüber treten? Die ersten Tage werden schrecklich werden.
Hoffe, dass keine neue betriebsärztliche Untersuchung nötig ist oder dergleichen. Jetzt geht das Verstecken erst richtig los. Was soll ich nur machen, wenn ich mich nicht mehr verstecken kann? Fühl mich jetzt gar nicht mehr wohl bei dem Gedanken, wieder neu anfangen zu müssen. Meine Gedanken drehen sich nur noch um diesen ersten Februar, wenn dann wirklich keine lange Kleidung unter den Kitteln erlaubt ist, was mache ich dann? Hau ich ab und fahr mich mit dem Auto an den nächsten Baum…? Hab so Angst in Panik zu geraten und nicht mehr klar denken zu können. Warum musste ich nur wieder mit dem Ritzen anfangen? Es könnte alles viel leichter sein. Bin so sauer auf mich. Versteh mich nicht, wie ich das machen konnte.
Am 25.01.2011 um 18:45
schrieb: Jutta
Betreff: Re: nächster Termin
Liebe Jule, kannst Du bitte Deinen Gedanken befehlen, dass sie sich ein positives Arbeitsfeld ausmalen? Du bist einseitig programmiert. Ein neuer Anfang ist immer auch eine neue Chance. Niemand weiß was von Dir. Du arbeitest gut und stellst natürlich viele Fragen zuerst. Lächle! Übe das Lächeln! Damit machst Du Dir Freunde. Man wird Dir wohlwollend entgegenkommen. Wenn man einen Pickel hat oder die Hose einen Fleck, leidet man auch nur selbst darunter. Die andern merken das gar nicht! Hör sofort auf mit dem Ritzen und pflege Deine Narben gut. Die ersten Tage werden ungewohnt sein. Du wirst Dich zurechtfinden. Schade, dass Du bis zum 15.2. warten musst mit dem nächsten Gespräch. Aber ich bleibe gern mit Dir im Kontakt bis dahin! Wenn Du das Buch: "Die Glücksformel" kriegen kannst, würde Dir das bestimmt helfen. Gedanken kann man stoppen, in eine positive Richtung lenken, dann ändern sich auch die Gefühle und das Verhalten. Man muss nur anfangen!
Herzlich und Mut machend,
Deine Jutta
Am 26.01.2011 um 16:30
schrieb: Jule22
Betreff: Re: Re: nächster Termin
Hallo Jutta, im Moment kann ich das leider nicht - positiv denken. Bin nur noch auf Flucht programmiert. Kann das leider selbst auch nicht einfach abstellen. Das schreibt sich leicht, "Hör sofort auf mit dem Ritzen und pflege Deine Narben gut." Aufgehört habe ich schon öfter, ist ja nicht so, dass ich mich tagtäglich ritze. Am liebsten würde ich die Narben auch vergessen, sobald ich sie sehe geht’s mir schlechter. "Gedanken kann man stoppen, in eine positive Richtung lenken und dann ändern sich auch die Gefühle und dann das Verhalten. Man muss nur anfangen!" Ich dachte du wüsstest bereits, dass ich sehr gewillt bin etwas zu ändern. Habe mir auch schon Bücher gekauft, wie z.B. "Ich vergebe" oder "Sorge dich nicht- lebe". Die waren so schwer geschrieben, dass ich sie nicht mal bis zur Hälfte gelesen habe. Ich konnte einfach nicht umsetzen, was da drin stand. Ich bin ein bisschen traurig, dass du denkst, ich könnte einfach einen Schalter umlegen und dann ginge es mir besser. Sag du mir, wie ich positiver denken kann, wenn mir meine nächsten Tage so schwierig erscheinen?
Da ist der schwere Kontaktaufbau mit neuen Kollegen, mein geringes Selbstbewusstsein, Gespräche mit der neuen Leitung und die Unsicherheit in mir, dass mein SvV doch sichtbar für andere wird. Da fühle ich mich natürlich wie in die Ecke gedrängt, habe das Gefühl immer weniger Raum zum Atmen zu haben. Wenn ich noch nicht mal selbst mein Verhalten einschätzen kann, wie kann ich mich dann anderen erklären? Ich konnte die letzten Nächte schon nicht mehr schlafen, kann mich immer schlechter auf Arbeit konzentrieren und mir ist ständig übel. Die Angst sitzt tief in mir, ich komm nicht dagegen an. Heute ging’s mir so schlecht, dass ich schon ganz aufgeben wollte. Ich habe Angst vor mir selbst. Ich brauche mir keinen Plan zu machen, wie mein letzter Tag aussehen wird (so wie meine Bekanntschaft, die sich ihren Geburtstag ausgesucht hat). Es kommt plötzlich und ich kann nicht sagen, ob ich am nächsten Tag heil auf Arbeit komme. Es ist wie ein Stromschlag, der mich dann lenkt, ich kann dann auch nicht positiv entgegen wirken - ich schaff es einfach nicht.
Am 26.01.2011 um 22:20
schrieb: Jutta
Betreff: Re: Re: Re: nächster Termin
Liebe Jule, ich wollte Dich auf keinen Fall unter Druck setzen. Wenn Du schon so viel versucht hast, positiv zu denken und es nicht klappt, dann sind Deine Ängste einfach ernst zu nehmen. Du kommst mir vor wie ein verschrecktes Reh, das kreuz und quer durch den Wald rennt und ich würde Dir so gerne eine Ruhe gewähren, ein Innehalten, Aufatmen und Umschauen. Vielleicht gibt es Zeichen der Freundlichkeit in Deiner neuen Arbeit? Kannst Du mir die neuen Kollegen beschreiben? Was sind Deine Aufgabengebiete? Gibt es erholsame Pausen, irgendetwas, das beruhigend auf Dich wirkt? Ich grüße Dich herzlich in der Hoffnung, dass Du Dich wenigstens zeitweise entspannst. Mein Mann ist heute ins Krankenhaus gekommen mit einer Lungenembolie, ich bin erst seit einer Stunde zu Hause und entspanne mich auch gerade und lasse die Hoffnung wachsen...
Herzlich, Deine Jutta
Am 27.01.2011 um 05:00
schrieb: Jule22
Betreff: Re: Re: Re: Re: nächster Termin
Hallo Jutta, es tut mir sehr leid, dass du selbst grad so Sorgen hast. Ich bin ja Krankenschwester und weiß sehr gut was mit der Diagnose anzufangen. Meine neuen Kollegen werden halt auch Pflegekräfte sein und Ärzte. Die Rehaklinik ist auf Neurologie, besonders Schlaganfälle spezialisiert. Ich fange ja erst nächsten Monat da an - weiß also noch nicht richtig auf was ich mich da eingelassen habe. Habe jetzt gar keine Lust auf Arbeit zu fahren, bin heute als Fachkraft wieder allein und weiß, dass heute eine Bewohnerin aus dem Krankenhaus entlassen wird. Wird ein stressiger Tag. Am liebsten würde ich jetzt heulen, weil ich weiß, dass ich es ja doch nicht schaffe einen Unfall zu bauen. Ich muss durch diesen Tag heute einfach durch. Bin noch so müde und total kraftlos.
Jule
Am 27.01.2011 um 21:50
schrieb: Jutta
Betreff: Re: Re: Re: Re: Re: nächster Termin
Liebe Jule, ein Unfall würde die Probleme nicht wirklich klären. Man muss halt wirklich genau hinsehen, was los ist. Bei meinem Mann war die Diagnose sehr wichtig, um den Behandlungsplan zu entwerfen. Meinst Du nicht auch, dass bei Dir eine klare Diagnose einen Plan hervorrufen würde, wie es besser mit Dir werden kann? Falls Du Depressionen hast, würden Medikamente helfen. Hast Du die schon mal versucht? Mit Deinem Seelenzustand darfst Du Dich einfach nicht abfinden! Das ist doch kein Leben so. Es soll mehr Kontakt hinein, mehr Sinn, mehr Genuss, stimmt's? Du bist jetzt 22, hast Du schon mal überlegt, was Du in 10 Jahren über die Phase sagen würdest, in der Du gerade bist? Ich wünsche Dir so, dass Du Deinen Weg findest.
Herzlich und gern, Jutta