Читать книгу Stürme der Prärie - Jutta Maschmeier - Страница 5

3. Kapitel

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Karen seufzte. Nun war sie schon seit einer Woche mit den Papieren der Ranch beschäftigt. Trotzdem war noch kein Land in Sicht. Verzweifelt schaute sie auf die ganzen Unterlagen, die im Büro auf dem Boden verteilt waren. Das war ihre Art, die Sache anzugehen, erst einmal alles sichten und sortieren. Der Schreibtisch war dafür zu klein gewesen und so hatte sie einfach alles auf dem dicken schweren Teppich verteilt. Sie saß im Schneidersitz mitten drin, einen dicken Aktenordner auf dem Schoß. Karen trug ihre Jogginghose und ein T-Shirt, Gott sei Dank hatte sie ihre Sportsachen eingepackt, denn das war einfach bequemer, wenn man hier auf dem Fußboden hockte. Ihre langen braunen Haare trug sie heute offen. Sie fielen ihr weich über die Schultern. Make-up hatte sie nur wenig verwendet, denn hierher verirrte sich sowieso kein Mensch. Karen schob ihre kleine Lesebrille etwas höher und studierte die Futterbestellungen, die sie gerade in der Hand hielt. Zuerst hatte sie befürchtet, dass sie schnell mit ihrer Arbeit fertig sein würde und sich dann wieder einen neuen Job hätte suchen müssen. Doch als Betty ihr an jenem Nachmittag die Unterlagen gezeigt hatte, ahnte sie schon, dass eine Menge aufgearbeitet werden musste. Betty hatte untertrieben, als sie gesagt hatte, sie käme mit der Buchführung nicht so zurecht. Es war das reinste Chaos! Doch es war eine Herausforderung, der sich Karen gerne stellte. Sie hatte schließlich einen Abschluss in Betriebswirtschaft. Das Büro lag im hinteren Teil des Hauses zur Nordseite. So war es angenehm kühl hier. Die schweren Vorhänge waren immer halb zugezogen, damit die Sonne nicht hereinscheinen und den Raum aufheizen konnte. Überhaupt war es ein wenig düster in diesem Raum, den Bettys verstorbener Mann eingerichtet und benutzt hatte. Die Wände waren mit Mahagonieschränken und Regalen vollgestellt. In der Mitte des Raumes stand ein großer schwerer Schreibtisch. Es gab sogar einen Computer, doch der war nicht mehr auf dem neusten Stand. Er schien nicht oft genutzt worden zu sein. Nur das Internet wurde ab und zu von den jungen Leuten gebraucht, wie Betty erklärte, doch sie selbst stand damit auf dem Kriegsfuß. Mr. Milton hatte eine beachtliche Buchsammlung im Laufe seines Lebens zusammengetragen, die in den Regalen verstaubte. Karen hatte sogar ein paar Erstausgaben entdeckt. Auch signierte Werke waren dabei. Wenn sie mit der Buchführung fertig war, wollte sie auf jeden Fall die Sammlung katalogisieren und vor allem entstauben. Also hatte sie noch viel Arbeit vor sich. Somit brauchte sie sich erst einmal keine Sorgen um die Zukunft machen. Eigentlich fühlte sie sich auch sehr wohl auf der Ranch. Mit Betty und Martha hatte sie sich gleich gut verstanden, aber auch Inka war nicht mehr ganz so zurückhaltend wie noch vor einer Woche. Immer öfter setzte sie sich abends zu ihr und fragte sie über New York und das Leben in der Großstadt aus. Karen erzählte ihr gerne davon, ohne allzu viel von sich selbst zu offenbaren. Schließlich wusste niemand, dass sie eine Millionenerbin war, und das sollte auch so bleiben. Außerdem, wer weiß, vielleicht hatte ihr Vater sie längst enterbt. Doch darüber wollte sie lieber nicht nachdenken. Mittlerweile hatte sie auch Bill, Marthas Sohn, kennengelernt. Ein netter junger Mann, groß, blonde Locken, freundlich blickende Augen. Doch allzu oft hatte sie ihn noch nicht gesehen, da er immer mit Derek unterwegs war. Der wiederum behandelte Karen wie Luft. Ja, er ignorierte sie völlig. Außer „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ hatte er nicht mit ihr gesprochen, obwohl er doch nun sehen konnte, dass sie keineswegs Urlaub hier machen wollte. Gleich am zweiten Tag hatte Karen sich den Wecker gestellt und war früh aufgestanden, was sie unter früh verstand, denn die anderen waren trotzdem schon alle unterwegs gewesen. Na ja, sie musste ihre Arbeit nicht um sechs Uhr Morgens beginnen. Also betrat sie nun immer um acht Uhr das Büro. Außer zur Mittagszeit gönnte sie sich keine Pause. Nach dem Mittagessen machte sie immer einen kleinen Spaziergang, schließlich brauchte sie auch ein wenig frische Luft. David hatte sie meist begleitet, doch gestern war er wieder abgereist. Er musste seine Stelle in Phoenix antreten. Karen war ein wenig traurig, dass er nicht mehr da war, denn sie hatten sich gut verstanden. Er war ihr ein guter Freund geworden, oder war es mehr? Nein, da war sie sich sicher, ihre Gefühle gingen über Freundschaft nicht hinaus. Als er sie gestern zum Abschied geküsst hatte, war das ein Freundschaftskuss gewesen, jedenfalls für Karen. Trotzdem vermisste sie ihn jetzt schon. Völlig in Gedanken versunken kaute Karen auf ihrem Bleistift herum. Sie ahnte nicht, wie jung und hübsch sie in diesem Moment aussah. Und sie ahnte auch nicht, dass sie nun schon eine ganze Weile beobachtet wurde. Derek stand in der Tür, doch Karen bemerkte ihn erst, als er plötzlich losdonnerte:

„Wie sieht es denn hier aus? Ist das Ihre Vorstellung von Ordnung? Hier kann man keinen Schritt mehr vor den anderen machen!“

Vorsichtig versuchte er, zwischen die Blätterstapel zu treten, doch es war unmöglich.

Karen schaute erschrocken auf, diese tiefe Stimme ließ sie jedes Mal zusammenzucken.

„Dieses Büro scheint sowieso schon lange keiner mehr betreten zu haben. Die Buchhaltung ist das reinste Chaos und ich versuche nur, ein wenig Ordnung hineinzubekommen“, erklärte sie erzürnt.

„So, ist das so?“ Derek gab es auf, zwischen den Stapeln zu balancieren, und ging nun geradewegs zum Schreibtisch, wobei er einfach auf die Unterlagen trat. Dort nahm er in dem großen Ledersessel Platz und schaltete den Computer ein.

„Sie müssen zugeben, dass Ihre Methode etwas ungewöhnlich ist“, räumte er nun schon friedlicher ein.

„Ja, das ist wohl wahr. Aber sehr effizient, glauben Sie mir.“

Karen versuchte, sich wieder auf den Aktenordner vor sich zu konzentrieren, doch es machte sie nervös, dass Derek nun auch im Raum war. Eine Zeit lang schwiegen sie, Derek checkte seine E-Mails und Karen beschäftigte sich mit ihren Unterlagen. Doch Karen hatte noch etwas auf dem Herzen.

„Das Computersystem ist veraltet. Wenn Sie ihn ein wenig aufrüsten würden, könnten Sie ein Programm installieren, das die Buchhaltung sehr vereinfachen würde. Sie müssten höchstens einmal in der Woche ein paar Eingaben machen und hätten jederzeit einen Überblick über die finanzielle Situation der Ranch. Mit einem Knopfdruck hätten Sie sofort alle Unterlagen für das Finanzamt oder eine Steuerprüfung parat. Außerdem könnten Sie sich Statistiken anfertigen, mit denen Sie die Effizienz überprüfen könnten. Auch Bestellungen und Personalabrechnungen würde das Programm für Sie erledigen. Also ich finde, das wäre dringend nötig. Sie sollten einmal darüber nachdenken.“

Karen hatte sich so in Rage geredet, dass sie ihn nun mit roten Wangen erwartungsvoll ansah. Derek war ein wenig überrascht, doch er schien zu überlegen, wobei er sie eingehend musterte. Nervös rutschte Karen auf dem Boden hin und her. Dieser Blick aus seinen dunklen Augen ging ihr durch und durch. Er schien es zu bemerken, denn um seine Mundwinkel zuckte es leicht.

„Finden Sie?“, fragte er nun.

Karen nickte. „Es wäre eine enorme Erleichterung. Sie bräuchten natürlich jemanden, der sich mit dem Programm etwas beschäftigt. Doch wenn man die Grundkenntnisse hat, ist es wirklich sehr einfach.“

„Und Sie haben diese Kenntnisse?“, fragte Derek, ohne sie einen Moment aus den Augen zu lassen.

„Ja, natürlich.“

„Sie würden also diese Einführungsschulung übernehmen?“

Wieder nickte Karen und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

„Was würde die Aufrüstung und das Programm in etwa kosten?“ Derek schien interessiert.

Karen nannte ihm eine Summe und er nickte zustimmend.

„O. k., dann fahren wir zwei morgen nach Sedona und bestellen alles Nötige. Ist Ihnen neun Uhr recht? Oder ist das zu früh?“ Da war wieder dieser ironische Unterton, der Karen immer so ärgerte.

„Nein, das ist in Ordnung“, zischte sie zurück.

Wenn Blicke töten könnten, wäre Derek sofort vom Stuhl gefallen. Doch das schien ihn zu amüsieren, denn er lächelte und zeigte dabei seine weißen Zähne und zwei interessante Grübchen.

Mein Gott, warum muss dieser Mann so verdammt gut aussehen?, ging es Karen durch den Kopf. Sie fühlte sich wie ein Schulmädchen, das ihren Lehrer anhimmelte. Verlegen senkte sie den Blick.

„O. k., dann bleibt es dabei. Und machen Sie Schluss für heute, das Essen ist fertig.“

Damit verließ Derek das Büro, wobei einige Blätter aufwirbelten und von ihren Stapeln rutschten. Karen stöhnte. Dieser Mann brachte auch alles durcheinander, aber am meisten sie selbst.

Am nächsten Morgen stand sie pünktlich auf der Veranda. Sie ignorierte einige anerkennende Pfiffe von den Stallburschen. Schließlich trug sie nur einen leichten Sommerrock und eine Wickelbluse, nichts Besonderes. Doch für die Rancharbeiter schien es ein ungewohnter Anblick zu sein. Nun, allzu viele junge Frauen gab es hier auch nicht, außer Inka und die trug ausschließlich Jeans und T-Shirts. Karen überlegte gerade, ob sie im Haus auf Derek warten sollte, als ein staubiger Jeep vor der Veranda hielt. Derek machte die Beifahrertür von innen auf und knurrte:

„Steigen Sie ein.“

Karen gehorchte, obwohl diese Begrüßung nicht sehr nett war.

„Guten Morgen“, sagte sie deshalb besonders freundlich.

Doch es kam keine Antwort. Na toll, mit einem übelgelaunten Derek auf engstem Raum, das konnte ja heiter werden. Karen schaute während der ganzen Fahrt nach Sedona angestrengt aus dem Fenster. Auch Derek machte keine Anstalten, eine Unterhaltung zu beginnen. Auf halber Strecke begegneten sie ein paar Rindern, die mitten auf der Straße standen. Derek fuhr hupend und fluchend langsam an ihnen vorbei. Als sie das Hindernis passiert hatten, griff er zum Funkgerät und rief laut nach Bill.

„Verdammt, hier sind ein paar Ausreißer auf der Zufahrtsstraße. Wer hat da nicht aufgepasst?“

„Kümmere mich sofort drum, Boss“, ertönte Bills Stimme aus dem Funkgerät.

„Kann man euch denn nicht fünf Minuten aus den Augen lassen?“, wetterte Derek weiter und hängte das Mikrofon wieder ein. Dann gab er wieder Gas, soweit das auf dieser holprigen Straße überhaupt möglich war. Ein paar Minuten später waren wieder einige Rinder zu sehen, doch sie waren weit genug von der Straße entfernt.

„Sind das alles Ihre Tiere?“, fragte Karen neugierig.

„Mmmmh.“ Das war es dann auch schon mit der Konversation. Als sie in Sedona ankamen, hielt Derek zuerst vor dem Postamt.

„Ich hol nur schnell unsere Post. Da der Weg zu weit ist, wird sie uns nicht zur Ranch geliefert“, erklärte er kurz.

Danach fuhren sie direkt zu einem Computerladen. Der Besitzer begrüßte sie erfreut.

„Na, das ist ja mal seltener Besuch“, stellte er fest.

„Wir brauchen ein paar Sachen, unser Computer ist nicht mehr auf dem neusten Stand“, sagte Derek.

„Das habe ich dir schon vor drei Jahren gesagt, aber auf mich hast du nicht gehört.“

Der Besitzer schaute nun interessiert zu Karen, die sich erst einmal im Hintergrund gehalten hatte.

„Dann sagen Sie ihm mal, was wir alles brauchen“, wandte sich Derek an sie.

„Sie haben es also geschafft, seine Meinung zu ändern? Kompliment.“

Der Mann lächelte Karen freundlich an. Karen zählte nun einige Sachen auf, die sie benötigte, doch alles war nicht vorrätig. Der Mann bot ihr nun Alternativen an. Er benutzte dabei Fachausdrücke, was für Karen kein Problem war. Sie war in ihrem Element. Nur bei dem Programm für die Buchhaltung ging sie keinen Kompromiss ein. Der Ladenbesitzer versprach, es so schnell wie möglich zu bestellen. Dann packte er alles in einen Karton und drückte ihn Derek in die Hand.

„Haben wir nun alles?“, fragte er Karen.

„Fast, das Programm und eine Grafikkarte fehlen noch“, antwortete sie.

„In ein paar Tagen wird die Bestellung da sein. Ich melde mich dann“, sagte der Mann.

Derek verstaute den Karton im Jeep und schaute Karen fragend an.

„Ich muss ein paar Besorgungen für Martha machen, wollen Sie mit oder möchten Sie selbst noch einkaufen gehen?“

Oh ja, einkaufen! Es gab so einige Toilettenartikel, die Karen dringend benötigte, außerdem hätte sie gerne mal nach passenderer Kleidung geschaut, doch leider gab es ein Problem. Sie hatte nur noch zwei Dollar in der Tasche und sie hätte niemals Derek um einen Vorschuss gebeten. Also hatte sich das Thema Einkaufen damit erledigt.

„Nein, ich brauche nichts“, antwortete sie und schüttelte mit dem Kopf. „Wenn es Sie nicht stört, begleite ich Sie.“

Derek schaute sie verwundert an, mit dieser Antwort hatte er wohl nicht gerechnet, akzeptierte es aber und hielt ihr die Tür zum Jeep auf.

„Na dann, auf zum Supermarkt.“

Sie fuhren zu einer großen Supermarktkette und arbeiteten gemeinsam Marthas Einkaufszettel ab. Beim Einkaufen waren sie wirklich ein gutes Team, denn sie hatten schnell alles beisammen. Nachdem die Einkäufe im Jeep verstaut waren, machten sie sich wieder auf den Rückweg. Um in den Oak Creek Canyon zu gelangen, mussten sie eine Bergkette überqueren. Karen konnte sich an der Landschaft gar nicht sattsehen. Als sie auf dem Gipfel des Berges angekommen waren, kam sogar ein kleiner Begeisterungsschrei über ihre Lippen. Derek lächelte kurz und hielt an einem Aussichtspunkt an. Karen sprang aus dem Jeep und stellte sich an die Felskante. Langsam ließ sie ihren Blick über diese atemberaubende Bergwelt gleiten. Sie versuchte, jedes Detail förmlich aufzusaugen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. Als sie nun Dereks Stimme hinter sich hörte, zuckte sie kurz zusammen.

„Das da vorne ist ‚Butte Rock‘ und gleich daneben der ‚Coffee Pot Rock‘“, erklärte er, wobei er auf die genannten Berge zeigte.

„Das ist der Wahnsinn!“, entfuhr es ihr.

„Der sieht gar nicht aus wie eine Kaffeekanne“, stellte sie verwundert fest.

„Doch, mit ein bisschen Fantasie schon.“

„Na ja, mit viel Fantasie!“

„Am schönsten ist es hier oben bei Sonnenuntergang. Die Sonne taucht dann alles in ein mystisches rotes Licht. Vielleicht haben Sie noch mal die Gelegenheit, sich das anzusehen.“

„Vielleicht.“

Karen konnte sich gar nicht sattsehen. Sie nahm sich fest vor, diesen Ausblick auch einmal bei Sonnenuntergang zu genießen. Derek war bereits wieder am Jeep. Ein paar Minuten später ging sie auch zurück, wenn auch nur widerwillig.

„Genug gesehen?“, fragte er.

„Eigentlich nicht, aber es gibt heute noch andere Sachen zu tun, nicht wahr?“

Karen war auch froh, wieder im kühlen Jeep zu sitzen, denn die Mittagssonne brannte sehr.

„Das ist etwas anderes als das Häusermeer in New York, stimmt’s?“, fragte Derek, als er den Motor startete.

„Ja schon, aber auch New York hat seine Reize. Waren Sie schon mal auf dem Empire State Building und haben dort die Aussicht genossen? Es ist ebenso atemberaubend, aber halt ein anderer Ausblick.“

„Nein, ich war noch nie in New York, aber wenn Sie das sagen, muss ich das wohl irgendwann einmal nachholen“, sagte Derek, während er sich wieder auf die Straße konzentrierte.

Er fuhr nun schneller als vorher, als hätten sie Zeit aufzuholen, doch Karen störte das nicht. Sie hatte bereits festgestellt, dass er ein sicherer Fahrer war. Als sie wieder von der Hauptstraße abbogen und den Weg zur Farm einschlugen, fragte sie:

„Beginnt hier das Land Ihrer Familie?“

„Jepp. Genau hier und es reicht bis hinter diese Bergkette da drüben.“ Derek zeigte auf Berge, die rechts von ihnen lagen. „Um bis an das andere Ende unseres Landes zu kommen, brauchen Sie drei Tage mit dem Pferd. Leider ist nicht alles mit dem Jeep zu erreichen, weil es dort keine Straßen gibt. Deshalb nehmen wir auch manchmal einen Helikopter, zum Beispiel um die Zäune zu überprüfen, das kostet nicht so viel Zeit. Wenn Sie Lust haben, können Sie nächste Woche mitfliegen, da mache ich wieder einen Kontrollflug.“

„Oh, gerne! Das wäre wirklich toll!“, antwortete Karen begeistert.

Mit so einem Angebot hatte sie nun wirklich nicht gerechnet, vor allem nicht von Derek.

„Fliegen Sie selbst?“, fragte sie nun.

„Ja, es ist nur ein kleiner Helikopter, den ich manchmal miete. Wie gesagt, man spart dabei viel Zeit.“

„Wie weit ist es bis zum nächsten Nachbarn?“, fragte sie weiter. Wenn er schon mal gute Laune hat, muss man das schließlich ausnutzen, dachte sie sich.

„Ungefähr 20 Meilen. Das ist die Farm der Bakers“, antwortete er knapp.

Mehr schien er darüber nicht sagen zu wollen. Karen hatte irgendwie das Gefühl, dass sie nicht nachhaken sollte. Sie stellte lieber noch ein paar Fragen zur Landschaft und Botanik. Derek beantwortete sie. So verging die Rückfahrt wie im Flug. Als sie die Ranch erreichten, musste Karen feststellen, dass sie einen angenehmen Vormittag mit Derek verbracht hatte. Vielleicht war er gar nicht so fies, wie er immer tat. Denn Rest des Tages verbrachte sie im Büro, wo sie schon einmal die neuen Teile in den Computer einbaute. Um die Papierstapel konnte sie sich morgen weiter kümmern. Am Abend trafen sich alle zum Dinner in der Küche, auch Bill war dabei, was öfter vorkam. Er saß wie immer Inka gegenüber. Karen hatte schon ein paar Mal beobachtet, wie er Inka anhimmelte. Die wurde dann immer etwas verlegen und bekam eine leichte Rötung im Gesicht. Doch außer ihr schien das keiner zu bemerken oder wurde es absichtlich ignoriert? Das war eine Frage, der Karen auf jeden Fall nachgehen wollte.

„Ich habe gehört, ihr wollt den Computer aufrüsten?“, fragte Bill nun Derek.

„Ja, Karen und ich waren heute in Sedona, doch einige Teile müssen noch bestellt werden“, antwortete Derek.

„Das ist eine gute Idee“, fand Betty. „Dein Vater hat immer gesagt, damit geht alles einfacher und schneller. Nur leider hat er mir nie gezeigt, wie man mit diesem Höllenteil umgeht. War das Ihre Idee, Karen?“

Karen nickte. „Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen zeigen, wie man Mails verschickt und im Internet surft. Sie könnten auch im Internet einkaufen, wo Sie doch so weit draußen wohnen.“

„Ja, das finde ich gut. Das machen wir, sobald Sie mit der Buchhaltung etwas weiter sind“,

rief Betty begeistert aus.

„Einkaufen im Internet?“, ließ Martha skeptisch verlauten.

„Ja, Sie könnten von hier aus sogar in New York einkaufen und es sich zuschicken lassen.“

„Das ist eine super Idee, du musst mir unbedingt die angesagten Boutiquen in New York zeigen, dann könnte ich shoppen, ohne die Ranch zu verlassen. Bisher ist der blöde Kasten immer abgestürzt, wenn man etwas länger gesurft hat“, sagte Inka zu Karen.

„Oh je, ich sehe schon, es wird mich mehr kosten, als Sie gesagt haben, Karen!“, mischte sich nun Derek ein und blickte zu Karen herüber.

Die zuckte nur mit den Schultern und meinte:

„Man kann diese Seiten auch sperren, wenn man möchte.“

„Hey, ich dachte, du bist auf meiner Seite!“, rief Inka entsetzt aus und gab Karen einen Stoß in die Rippen.

Derek lachte und auch die anderen fielen ein. Karen schaute verstohlen zu Derek hinüber, er sah so gut aus, wenn er lachte. Plötzlich trafen sich ihre Blicke. Karen meinte, nicht mehr diese Feindseligkeit in seinen Augen zu lesen. Oh, diese dunklen geheimnisvollen Augen. Konnte man überhaupt irgendetwas darin lesen? Nein, man konnte sich nur darin verlieren. Karen, reiß dich zusammen!, sagte sie sich selbst. Er ist ein gemeiner Macho, jedenfalls sonst. Nur weil er einen guten Tag hat, musst du ihn nicht gleich nett finden! Verlegen senkte sie den Blick und konzentrierte sich wieder auf ihren Teller. Die Unterhaltung drehte sich weiter um Computer und seine Möglichkeiten, doch Karens Gedanken schweiften immer wieder ab. Sie war froh, als die Ersten aufstanden und das Essen beendeten. Sofort sprang sie auch auf und half Martha beim Abräumen. Nur Derek blieb noch sitzen. Sie spürte seine Blicke in ihrem Rücken. Nervös klapperte sie mit dem Geschirr. Sie wünschte sich, dass er nun auch endlich die Küche verlassen würde.

„Derek, kommst du? Ich muss noch etwas mit dir besprechen“, hörte sie nun Bettys Stimme von der Tür. Derek folgte ihr.

„Sie müssen mir nicht helfen, gehen Sie und genießen Sie Ihren Feierabend“, sagte nun Martha.

Karen hatte bereits das Spülwasser eingelassen und begann gerade, das Geschirr abzuwaschen.

„Kein Problem, ich habe sowieso nichts vor. Im Kino läuft gerade nichts Besonderes und die Pubs sind auch alle geschlossen“, scherzte sie.

Martha lachte. „Ja, es ist bestimmt ungewohnt für Sie, auf dem Lande zu wohnen, nicht wahr? Vermissen Sie New York?“

Karen dachte an ihren Vater und an die Firma. Vermisste sie sie? Eigentlich hatte sie noch gar keine Zeit dafür gehabt. Solange man beschäftigt war, musste man nicht nachdenken. Das war eigentlich ganz gut.

„Nein“, antwortete sie ehrlich, „es ist alles so neu und interessant hier, für Heimweh hatte ich gar keine Zeit.“

Karen verließ die Küche erst, als alles wieder blitzblank war, doch sie wollte nicht durch die Eingangshalle gehen, falls Derek und Betty noch dort waren, also ging sie durch die Hintertür hinaus und machte einen kleinen Spaziergang. Jetzt in den frühen Abendstunden war es richtig angenehm und zum Schlafengehen noch viel zu früh. Nachdem sie die Ranch einmal umrundet hatte, schlug sie den Weg zu den Pferdeställen ein. Sie mochte den Duft, er erinnerte sie an ihre Kindheit, denn sie hatte viel Zeit in Reitställen verbracht. Ihre Mutter war selbst eine begeisterte Reiterin gewesen. So kam sie schon früh zu diesem Sport. Es war eine schöne Zeit, dachte Karen. In diesem Moment vermisste sie ihre Mutter sehr. Sie schlenderte durch die Ställe und hing ihren Erinnerungen nach, als sie plötzlich ein Geräusch hinter sich hörte. Was war das? Gab es hier Mäuse? Wahrscheinlich, in welchem Pferdestall gab es keine Mäuse. Doch es war keine Maus, es war Inka! Etwas verlegen lugte sie um die Ecke. Karen entging nicht, dass sie Stroh in den Haaren hatte. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie sie bei irgendetwas Verbotenem ertappt hatte, doch bei was?

„Hey Karen, was treibst du denn hier?“

Inka schaute sie nicht direkt an, sondern fummelte nervös an dem Schloss einer Box herum.

„Nichts, ich vertreibe mir nur die Zeit. Brauchst du vielleicht Hilfe?“, antwortete Karen.

„Nein, ich wollte auch nur nach dem Rechten sehen. Hey Stella, altes Mädchen, was macht denn dein Bein?“

Inka hatte die Pferdebox betreten und untersuchte nun das Bein des Pferdes. Wieder vernahm Karen ein Geräusch hinter sich und als sie sich umdrehte, stand plötzlich Bill vor ihr.

„Hallo, haben Sie noch einen kleinen Spaziergang gemacht?“, fragte er Karen.

Auch er erschien ihr irgendwie merkwürdig. Als sie genauer hinsah, entdeckte sie das Stroh an seiner Kleidung. Aha! So ist das also. Ich habe die beiden bei ihrem Techtelmechtel gestört. Nun war Karen alles klar. Die beiden waren ein Paar! Doch warum mussten sie das geheim halten? Nun, das ging sie überhaupt nichts an. Es war ihr ein wenig unangenehm, dass sie ihr Rendezvous gestört hatte. Deshalb verabschiedete sie sich schnell wieder. Auf dem Weg zum Haus musste Karen schmunzeln. So verbrachte man hier also die Abende. Sie merkte, dass sie sogar ein wenig neidisch auf Inka war, denn sie schien ihr Glück bereits gefunden zu haben, wonach Karen, wenn sie ehrlich war, schon so lange suchte. Um sich abzulenken, holte sie sich noch ein Buch aus dem Büro und ging damit auf ihr Zimmer. Im Dachgeschoss gab es leider keine Klimaanlage. Als sie ihre Zimmertür öffnete, kam ihr die aufgestaute Wärme des ganzen Tages entgegen. Schnell öffnete sie das Dachfenster, doch es würde einige Zeit dauern, bis die Wärme verflogen war. Vielleicht sollte sie hinuntergehen und dort lesen? Doch da hörte sie Stimmen aus dem Garten. Sie erkannte Derek und …? Die andere Stimme war ihr fremd, doch es musste sich eindeutig um eine junge Frau handeln. Sie lachten laut. Karen hörte, wie jemand in den Pool sprang. Mist, warum kann ich den Garten von hier aus nicht sehen?, ärgerte sie sich. Zu gerne hätte sie einen Blick auf die Frau geworfen, die dort unten mit Derek herumtollte. Das war sicher seine Freundin, er war schließlich ein attraktiver Mann, wie konnte sie nur denken, dass er keine Freundin hatte? Doch aus irgendeinem Grund war sie davon ausgegangen, vielleicht weil er so ein Macho war. Welche Frau stand schon auf einen Macho? Sie jedenfalls nicht. Karen machte es sich mit ihrem Buch auf dem Bett bequem, doch einen Moment später sprang sie schon wieder auf. Wie sollte sie denn bei diesem Krach lesen? Wütend knallte sie das Dachfenster wieder zu. Doch auf das Buch konzentrieren konnte sie sich trotzdem nicht.

Stürme der Prärie

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