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Echo
ОглавлениеEcho ist in der griechischen Mythologie der Name einer Bergnymphe, wohnhaft in Grotten, Wäldern und Bergen.
Nymphen sind mystische Wesen und können Hexe und Fee zugleich sein.
Nach dieser Bergnymphe ist das bekannte Phänomen des Echos benannt.
Es entsteht, wenn Reflexionen einer Schallwelle so stark verzögert sind, dass man diesen Schall separat wahrnehmen kann – zum Beispiel an Felswänden.
Echos werden vom Gehör genutzt, um Raumgrößen und Entfernungen zu schätzen. Sophie hatte davon gehört, doch sie konnte es nie so richtig verstehen. Sie war ja keine Fledermaus. Nach dem Tod von Max im Meer verbrachte sie ihre Urlaube nur noch in den Bergen.
Manchmal musste sie dann ganz laut schreien und freute sich, wenn sie ein Echo bekam. Raum, Zeit und Entfernung spielten dabei für sie keine Rolle mehr. Nur die verlässliche Antwort auf ihren Hilfeschrei zählte. Dann wusste sie, dass sie sich wieder etwas weiter von ihrem Schmerz entfernt hatte.
Damit Göttervater Zeus Zeit für seine Schäferstündchen hatte, unterhielt die Nymphe Echo dessen Gattin mit dem Erzählen von Geschichten. Als die betrogene Gattin das Spiel durchschaute, verhexte sie Echo zur Strafe. Die arme Nymphe konnte von nun an nicht mehr sprechen, sondern nur noch die letzten an sie gerichteten Worte wiederholen.
Als ob das nicht schon schlimm genug wäre. Nein, Echo verliebte sich auch noch in den schönen Jüngling Narziss, der ihre Liebe jedoch nicht erwiderte.
Echo war darüber so traurig und gedemütigt, dass sie sich in einer Höhle versteckte, keine Nahrung mehr zu sich nahm und schließlich verkümmerte, bis sie nur noch Stimme war. Ihre Knochen wurden zu den Felsen, die das Echo zurückwerfen, und zugleich das Aussehen einer wunderschönen jungen Frau haben.
Narziss, dieser Dummkopf, wurde später von einer Rachegöttin damit bestraft, dass er sich hoffnungslos in sein schönes Spiegelbild verliebte.
Es war noch früh am Abend und Sophie wollte noch nicht nach Hause gehen. Sie wollte nach dem Ärger über das Büro und dem Gespräch mit Vera noch einen kleinen Spaziergang am Fluss machen.
Es dämmerte bereits leicht.
Noch immer waren zahlreiche Sportler unterwegs in den Ruhrauen.
Auf der Ruhr dümpelte ein Schlauchboot. Zwei Angler hatten es sich darin gemütlich gemacht, tranken Bier und unterhielten sich. Sie schienen es nicht eilig zu haben. Vielleicht wollten sie ja auch in der Dunkelheit weiter angeln oder einfach nur weg von zu Hause sein.
Der Wind stand so, dass Sophie ihr lautstarkes Gespräch mithören konnte. Sie stritten und unterhielten sich in bekannter Ruhrgebietsmanier. Plötzlich hörte Sophie ein lautes:
„Hey – wat is dat denn?“
Die Frage schallte durch das Ruhrtal und warf ein schallendes Echo zurück.
„Dat denn, dat denn …?“
Zwei Jogger hatten ihre Geschwindigkeit gedrosselt und neugierig ihre Köpfe gedreht. Auch sie schienen etwas hinter dem Busch entdeckt zu haben.
„Was’n los, Kalle?“
„Jetzt schau doch nur – da vorne!“ Kalle, der mit den offensichtlich schärferen Augen, war ruckartig aufgestanden und deutete ans Ufer.
Das Schlauchboot wackelte bedenklich
„Idiot – du bringst ja unser Boot zum kentern. Bleib‘ doch sitzen, du Hornochse!“
„Siehste dat denn nich‘? Da liegt wat, wat da nich‘ hingehört. Dat is‘ kein Müll!“
Nun sprang auch der andere auf und die beiden landeten beinahe im Wasser. Die beiden Jogger waren stehen geblieben und näherten sich neugierig dem Busch.
„Seht euch das mal an!“
Kalle streckte die Hand aus.
Sophie konnte nun von ihrer Bank aus nichts mehr sehen. Die Männer verstellten ihr die Sicht.
Es war beängstigend leise geworden. Sophie hielt den Atem an. Um sie herum war es totenstill, nur ihr eigener Puls drohte ihre Ohren zum Bersten zu bringen.
Während die beiden Jogger und Kalle in die Knie gegangen waren und an irgendetwas zogen, blieb der zweite Angler wie angewurzelt stehen und betrachtete sich das Ganze von oben.
Kein Wort drang herüber. Es herrschte entsetztes Schweigen. Dann entstand lebhafter Aktionismus. Ein Marathonläufer informierte lautstark die Polizei, die kurze Zeit später auch schon zu hören war.
Sophie erhob sich und machte sich schleunigst auf den Heimweg. Sie hatte genug gesehen und gehört und verspürte absolut keine Lust darauf, in der Dunkelheit alleine nach Hause zu gehen. Nicht nach dieser Welle des Entsetzens, die zu ihr herüber geschwappt war.
Oh nein! Das war ganz bestimmt nichts für ihre schwachen Nerven.
Morgen würde sie alles über diesen grausigen Fund aus der Zeitung erfahren. Heute wollte sie sich nicht noch mehr aufregen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihre Hilfe offensichtlich nicht erforderlich war, ging sie zügig nach Hause, vorbei an ahnungslosen Menschen, die friedlich auf den Bänken saßen und sich die Abendsonne ins Gesicht scheinen ließen.
Sie bekam nicht mehr mit, wie die Männer das blonde Haarbüschel vorsichtig und prüfend zwischen die Finger nahmen, das aus einer achtlos weg geworfenen Plastiktüte herausquoll.
Kalle zog leicht an den Haaren und ein übel zugerichteter Kopf ohne Ohren kam zum Vorschein. Der Mund war weit geöffnet – wie zu einem Schrei.
Ein totes Auge starrte die vier Männer an.