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Auf dem Rio Moju

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Sie waren morgens mit der ersten Maschine der TAM von Guarulhos abgeflogen. Knapp drei Stunden später landete der Airbus A330 auf dem Aeroporto Internacional de Manaus - Eduardo Gomes.

Vor dem Terminal hatten die Flughafenbetreiber einen Teich angelegt, in der Mitte eine künstliche Insel. Etliche Wasserschildkröten hatten sich darauf zusammengedrängt, um unter einer Gruppe von Palmen der Mittagshitze zu entfliehen. Teixeira hatte sein Hemd schon wieder durchgeschwitzt. »Incrível« brummte er.

Die Dienststelle schickte einen Ford, um sie abzuholen. Sie verstauten ihre Reisetaschen im Kofferraum des Geländewagens. Vorbei an der Universität und dem Sportstation ging es Richtung Altstadt. Der Polizist überfuhr in kurzer Folge eine Katze und zwei Hühner; sie schlugen mit einem dumpfen Geräusch in den Radkasten und landeten als blutiger Brei auf der Straße. Die beiden Kriminalisten aus São Paulo enthielten sich jeglicher Kommentare. Das Fahrzeug hielt vor der lokalen Hauptvertretung der Policia Civil.

Drinnen verschaffte ihnen Teixeiras Ausweis Zutritt zu delegado Bonfim, einem kleinen, sonnengebräunten Mann Mitte Vierzig. Er lehnte in einem abgesessenen Lederstuhl und nahm die Füße von seinem abgenutzten Schreibtisch, als sie eintraten. Natürlich verfügte das Büro nicht über Besucherstühle, also blieben sie stehen. Vanderlei blickte sich scheinbar interessiert in der kargen Amtsstube um, deren einziger Wandschmuck aus einem Foto Lulas und dem Kalender eines Reifenherstellers bestand. Hier im Norden hatte man offenbar noch nicht mitbekommen, dass das Land eine Präsidentin hatte. Teixeira zündete sich eine Mentholzigarette an, woraufhin Bonfim ihm gleich den riesigen Aschenbecher zuschob und sich selbst eine Filterlose ansteckte.

Teixeira kam gleich zur Sache: »Bonfim, was kannst du uns über Millers erzählen? «

»Kollege, ich war selbst dabei, als etliche Holzfirmen vor zwei Jahren während der Operation Arco de Fogo durchsucht wurden. Hier und da wurde was gefunden, aber der erhoffte große Schlag gegen die Holzmafia war es nicht. Millers scheint sauber zu sein. In den allermeisten der überprüften Fälle konnte man die erforderlichen Papiere vorweisen. Ausfuhrgenehmigungen, Nachweise, wo die Bäume geschlagen wurden etc. Was den Zwischenfall mit dem Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung anbelangt, Aranjo …«

Er machte eine Pause, dann fuhr er fort: »Der Mann wollte sich der Durchsuchung der Büroräume widersetzen. Wollte wohl den Helden spielen. Es gab ein Handgemenge und dann hat sich ein Schuss gelöst. Die Waffe konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Das hat aber sicher nichts mit den Ermittlungen in eurem Mordfall zu tun. «

Teixeira beugte sich zum Aschenbecher. »Und warum wurde der Fall geschlossen, obwohl der Täter nicht ermittelt werden konnte? «

Bonfim drückte seine Kippe aus und zupfte einige Tabakkrümel aus dem Mund. »Natürlich hat der Anwalt seiner Witwe ihr geraten, sich an die beiden Kontrahenten zu wenden. Die IBAMA hat die Operation angeordnet und ihr Mann hat sich sozusagen im Auftrag seiner Firma dagegen zur Wehr gesetzt. Also hat Senhora Aranjo beide auf fahrlässige Tötung verklagt. Wie ich schon sagte, die Waffe konnte nicht ermittelt werden. Das Kaliber sprach für eine Automatik, wie sie unter anderem vom Militär eingesetzt wird. Nun, die Militärs waren nicht gerade sehr kooperativ. Aber Millers hat sich schließlich sehr nobel gezeigt und sich zur Zahlung einer Rente an die Witwe entschlossen. «

Der Polizeikommissar stand auf und sah aus dem Fenster. Dann drehte er sich abrupt um und fragte: »Teixeira, du hast die weite Reise doch nicht angetreten, um mich nach einem Todesfall im Rahmen einer Operation gegen die Holzmafia zu befragen. Was willst du von Millers wirklich? Geht es um diesen Tavares? «

Ihr Kollege sah zwar aus wie Sancho Pansa, aber auf den Kopf gefallen war er nicht. Teixeira beschloss, ihn einzuweihen.

»Bonfim, wir haben in São Paulo mittlerweile zwei Todesfälle, die exakt dasselbe Muster aufweisen und müssen davon ausgehen, dass es einen Zusammenhang gibt. Das verbindende Element könnte Millers sein. Wir wissen noch nicht, warum jemand Mitarbeiter dieses Unternehmens um die Ecke bringt und können nur spekulieren, dass es etwas mit der Holzmafia zu tun haben könnte. Mich wundert aber insbesondere, dass beide Morde in meinem Bundesstaat passierten. Ich will verdammt noch mal herausfinden, was da faul ist. «

Bonfim griff nach zwei schmalen Aktenordnern, die auf seinem Schreibtisch lagen und reichte sie Teixeira. Er blickte bedeutungsvoll auf die dürftigen Pappdeckel.

»Das hier dürfte dich interessieren. Nach dem Anruf deines Mitarbeiters hier habe ich unser Archiv durchforstet. Hier gibt es nahezu alle paar Monate einen oder mehrere Todesfälle in Zusammenhang mit Spinnen- oder Schlangenbissen. Üblicherweise wird in jedem Fall eine kurze Untersuchung durchgeführt und eine Akte angelegt. Zum Glück mussten wir letztes Jahr auf Geheiß des Polizeipräfekten alle alten Akten einscannen und elektronisch archivieren, sonst wäre ich bei der Recherche niemals hierauf gestoßen. Schau dir die Einträge unter "letzter Arbeitgeber" an, bitte. «

Teixeira griff nach den Aktendeckeln und blätterte etwas irritiert in den wenigen Seiten. Dann hatte er es gefunden. Wortlos reichte er die Akten an Vanderlei weiter. Der machte große Augen. »Alves, Leonardo Mateus. Silva, Lucimar. Millers. Die haben beide bei Millers gearbeitet. Und beide sind laut Autopsie Bericht 1998 durch Spinnengift gestorben. «

Teixeira sagte: »Bonfim. Es wäre sehr freundlich, wenn du uns zu Indústria Millers begleitest. Du kennst noch den Weg? «

Sie fuhren in Bonfims nagelneuem Dienstwagen die knapp zwei Kilometer zum Hafen. Teixeira schaute interessiert in die Gassen. Manaus war so völlig anders als São Paulo. Sicher, es war auch eine Millionenstadt, aber es gab deutlich weniger Hochhäuser und alles war grüner. Linker Hand wunderte er sich über die zusammengestückelte Architektur des Teatro Amazonas mit seiner Kuppel in den portugiesischen Landesfarben. Vanderlei war vor Jahren mit seinen Eltern schon einmal hier gewesen, er konnte sich aber nur noch an das Opernhaus erinnern, über dessen ästhetischen Wert man geteilter Meinung sein konnte. Ihr Ziel war ein Industriekomplex unten am Hafen.

Am Flussufer standen einige Fabrikgebäude, die aussahen wie eine Mischung aus Sägewerk und Containerhallen, etwas versetzt dahinter ein langweiliges Verwaltungsgebäude aus den Siebzigern, das keine Rückschlüsse darauf zuließ, dass sich hinter seinen Fenstern einer der größten Holzkonzerne Südamerikas verbarg.

Am Haupttor hielt der Wachmann telefonisch Rücksprache und lies sie dann passieren. Dutzende Holztransporter standen in Reihen vor Laderampen und wurden von Männern in Gabelstaplern und kleinen Kränen mit Greifern sowohl be- als auch entladen. Offenbar kamen einige der mächtigen Stämme über den Fluss und wurden per LKW weiter transportiert aber es wurden auch welche abgeladen. Der Standort hier schien auch eine Art Umschlagplatz zu sein.

Ihre Gesprächspartner warteten im dritten Stock in einem geschmackvoll eingerichteten, nicht sehr großen Büro, durch dessen Fenster man einen fantastischen Blick auf den Fluss hinaus hatte. An einem Besprechungstisch saß Senhor Carl Porter, der leitende Direktor. Er erhob sich und begrüßte die drei Polizisten kühl. Yankee, dachte Teixeira. Ein kleiner Mann mit feingliedrigen, manikürten Fingern. Intelligenter Blick. Er wirkte hier im Amazonas-Gebiet merkwürdig deplatziert. Eher hätte man ihn sich in einem holzgetäfelten Büro mit Blick auf Manhattan vorstellen können.

Mit ihm im Büro befand sich ein kräftiger Mann mit einem militärischen Haarschnitt und einer hängenden Unterlippe, die Teixeira spontan an einen Fila denken ließ. Dante Lopez, der sich als Sicherheitschef vorstellte. Irgendetwas an dem Mann kam ihm merkwürdig bekannt vor. Er versuchte sich zu erinnern, wo er ihm schon einmal begegnet sein mochte, aber er kam nicht darauf.

Ohne die üblichen Höflichkeitsformeln auszutauschen, preschte Porter vor: »Delegado, spielen wir offen. Direktor Tavares war ein bedeutender Mann in unserem Unternehmen und selbstverständlich haben wir eigene Erkundigungen angestellt. Was, glauben Sie, ist ihm zugestoßen? Laut Autopsie Bericht starb er zwar an dem Gift, aber wenn es sich um einen Unfall handelte, hätten Sie sicher nicht den weiten Weg zu uns auf sich genommen, richtig? «

Teixeira nahm sich vor, vorsichtig zu sein. Woher hatte der Typ den Autopsie Bericht? In diesem Land war es zwar nicht ungewöhnlich, dass der Schwager deiner Putzfrau zufällig eine Autowerkstatt betrieb, in der der Fahrer des Staatsanwalts immer die Reifen nachschauen ließ und wenn man hier und da mal eine kleine Gefälligkeit...

»Man hat mir gesagt, dass es im Staat São Paulo wahrscheinlicher ist, von einem abstürzenden Hubschrauber getroffen zu werden als durch den Biss einer Giftspinne ums Leben zu kommen. Da ist die Wahrscheinlichkeit doch hier an Ihrem Firmensitz sicher viel größer, nicht? «

»Nun, wir leben sozusagen am Rande des Dschungels. Sie können sich vorstellen, dass es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ab und an auch zu schmerzhaften Begegnungen zwischen unseren Arbeitern und der einheimischen Fauna kommt. Sie haben natürlich völlig Recht. Es wäre schon eine Laune des Schicksals, dass Direktor Tavares ausgerechnet an seinem Urlaubsdomizil Opfer eines solch tragischen Unfalls würde. Deshalb haben wir die Presseversion auch keinen Augenblick lang geglaubt. Haben Sie schon einen Verdacht, irgendwelche Spuren? « Er blickte Teixeira herausfordernd an.

Der Kommissar war froh, mit Porter Klartext reden zu können. »Senhor Porter. Es ist offenbar ein Perverser unterwegs, der Menschen mit Spinnengift umbringt. Ich will die Zusammenhänge verstehen und hoffe, Sie können mir etwas über Tavares erzählen. Und wenn wir schon dabei sind, können wir uns auch gleich über Matheus de Oliveira, Leonardo Mateus Alves und Lucimar Silva unterhalten. «

»Wer ist das? Diese Namen sagen mir nichts. «

Bildete Teixeira es sich nur ein oder hatte sich der Sicherheitschef bei Aufzählung der Namen etwas zu angestrengt auf einen Fleck an seinem Hemdsärmel konzentriert? An wen nur erinnerte ihn der Typ? Gleich musste es ihm doch einfallen, er spürte, dass er kurz davor war. Er fuhr fort: »Das sind alles ehemalige Mitarbeiter Ihres Unternehmens, die durch Spinnengift ums Leben gekommen sind. Es scheint zudem nicht gerade ungefährlich, in Ihrer Sicherheitsabteilung zu arbeiten. Wovor genau müssen Sie sich eigentlich schützen? Sie erinnern sich an diesen Leandro Aranjo? «

Lopez verschränkte die Arme vor der Brust und sah den Kommunikationschef auffordernd an.

Porter antwortete: »Aranjo. Natürlich erinnere ich mich an die tragische Sache. Das war, warten Sie, im Februar 2007, als die Regierung diese Militäraktion abgezogen hat, um der Öffentlichkeit vorzugaukeln, sie unternähme endlich etwas gegen die illegale Abholzung des Regenwaldes. Der Mann war ein Opfer der Regierungswillkür und es ist ein Skandal, dass man damals den Täter nicht ermittelt und vor ein Militärgericht gestellt hat. Unsere Firma zahlt seiner Witwe eine Pension und zwar aus freien Stücken. « Er beugte sich vor und sah seine Besucher der Reihe nach an.

»Wissen Sie, was unser Problem ist? Der Regenwald am Amazonas ist der größte noch intakte Regenwald dieser Erde und eines der artenreichsten Gebiete. Aber die weltweite Nachfrage der Industriestaaten und Chinas nach Soja als Futtermittel bedroht immer größere Waldflächen. Gleichzeitig steigt durch die Nachfrage nach billigem Fleisch, vor allem in Europa, der Bedarf an Weideflächen. Brasilien als Futterkrippe der Welt. Und nun kommt der dritte Faktor: Der weltweit wachsende Bedarf nach Agrokraftstoffen. Brasilien ist weltweit in einer Vorreiterrolle für Biosprit und jetzt machen es alle nach. Okay, die Chinesen und Inder haben offenbar die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt, aber der Bedarf in den anderen Industrienationen steigt. Und wer soll ihn decken? Natürlich Brasilien. Zuckerrohr und wieder Soja. Glauben Sie, es verbessert wirklich die Ökobilanz, wenn der Holzindustrie durch immer schärfere Auflagen die Existenzgrundlage entzogen wird? Die Regierung selbst ist der größte Umweltsünder, weil sie vor den Sojabauern und den Großgrundbesitzern den Schwanz einzieht. Unser Unternehmen war eines der ersten, das ein konsequentes Vorgehen gegen das unkontrollierte Abholzen gefordert hat und das nicht erst nach Kyoto 1997. Die so genannten tropischen Hölzer spielen für Millers inzwischen kaum mehr eine Rolle. Wir unterhalten ein umfangreiches Wiederaufforstungsprogramm und setzen in erster Linie auf schnell nachwachsende Sorten wie Eukalyptus. Die Möbel oder Parkettböden aus tropischem Holz in den europäischen Villen stammen aus Indonesien, kaum noch aus Brasilien. «

Teixeira hatte keine klare Meinung zu der Frage, ob es schlimmer war, dass mit dem Soja Millionen Rinder ernährt wurden, die mit ihren Ausdünstungen das Klima vergifteten oder dass aus dem Zeug Biosprit hergestellt wurde, dessen Rückstände von Millionen Autos in die Luft geblasen wurden. Eines war so schlecht wir das andere. Allerdings konnte man Autos nicht essen.

»Senhor Porter. Ich bin nicht hierhergekommen, um mit Ihnen über Ursachen und mögliche Lösungen der Regenwaldproblematik zu streiten. Ich bin dafür auch gar nicht qualifiziert. Ich ermittle in einem oder zwei Mordfällen. Was wissen Sie über Matheus de Oliveira? «

»Sie erwähnten den Namen eingangs bereits. Nicht gerade selten. Haben Sie nähere Informationen für mich? Was ist mit dem Mann? «

Vanderlei holte sein Smartphone hervor und schob einige Widgets hin und her, bis er seine Notizen gefunden hatte.

»Geboren am 27. Dezember 1959 in São Luiz, Pará. Ledig. Zuletzt wohnhaft in São Paulo. Er hat zuletzt bei einer privaten Sicherheitsfirma gearbeitet. Es ist leider nicht viel mehr über ihn bekannt, außer dass er bis vor drei Jahren bei Ihnen angestellt war. «

Porter sah Lopez auffordernd an. Der zuckte mit den Schultern und brummte: »Wir haben eine recht hohe Fluktuation. Das ist hier kein leichter Job. Es gibt ständig Auseinandersetzungen mit irgendwelchen Umweltaktivisten und sensationsgierigen Journalisten, die versuchen, sich in den Betrieb einzuschleichen. Kann sein, dass ein de Oliveira mal hier beschäftigt war. Und jetzt ist er tot? Das tut mir leid. São Paulo scheint wirklich ein gewalttätiger Ort zu sein. Ich war bislang noch niemals so weit im Süden. «

»Sie hören ja. Da werden wir Ihnen wohl nicht weiterhelfen können. Wenn Sie mir die Daten hier lassen, kann ich gerne überprüfen lassen, ob wir seine Personalakte noch haben. Aber wollten Sie nicht eigentlich etwas über Direktor Tavares erfahren? « Porter lehnte sich in seinem Stuhl nach vorne und überflog seine Notizen.

»Okay, das ist im Grunde genommen schnell erzählt. José Gabriel Tavares kam nach seinem Studium 1991 als Mitarbeiter in der Produktionsplanung zu Indústria Millers do Brasil. Dem damaligen Produktionschef fiel er bald durch sein Organisationstalent und seine kommunikativen Fähigkeiten auf und nach kurzer Zeit bekam er die Leitung der Abteilung. Nach wenigen Jahren wechselte er ins Vertriebsressort und stieg dort rasch auf. 2002 wurde Tavares ins Direktorium berufen. Wie Sie sicher wissen, war er zu der Zeit noch verheiratet. Seine Ex-Frau lebt inzwischen in irgendeinem anderen südamerikanischen Land und es gab wohl keinen Kontakt mehr. José Tavares war ein angesehener Bürger der Stadt Manaus und nicht nur in unserem Unternehmen hoch geachtet.

Wir haben aus der Presse von seinem Ableben erfahren. Mir fehlt die Fantasie, um mir vorstellen zu können, warum ihm jemand so etwas antun sollte. War er nur zur falschen Zeit am falschen Ort? Seine Sekretärin hat ihm den Flug nach São Paulo gebucht, auf seine Kosten, versteht sich. Er hat ihr gegenüber nichts Näheres über seine Pläne erwähnt. Warum auch? Er hatte sich die paar freien Tage zu Weihnachten gegönnt, weil im Büro um diese Zeit nicht viel ansteht. Delegado, Sie haben angedeutet, dieser de Oliveira ist auf ähnliche Weise ums Leben gekommen und Sie vermuten auch hier eine Gewalttat? «

Teixeira nickte. »Senhor Porter, wir haben zwei Todesfälle innerhalb kurzer Zeit. Beide Male Spinnengift, beide Male aktive oder ehemalige Mitarbeiter von Millers. Und die Recherchen unseres Kollegen Bonfim hier haben zwei weitere Todesfälle von Mitarbeitern Ihres Unternehmens ans Licht befördert, bei denen Spinnengift im Spiel war. Sollten das wirklich Zufälle sein? Então. Alves und Silva sind bereits 1998 ums Leben gekommen. Wie Sie richtig sagten, Sie leben hier am Rande des Dschungels. Ich glaube aber nicht an Zufälle. Es muss ein verbindendes Element geben. Hatte Tavares Feinde? «

Der Manager lachte und lies dabei seine makellos weißen Zähne aufblitzen.

»Feinde? Sie meinen, bedingt durch seine Tätigkeit in unserem Unternehmen? Holzindustrie vertreibt Ureinwohner und vernichtet den Regenwald? Glauben Sie mir: Es gibt weltweit kaum einen Wirtschaftszweig, der so viel für den Erhalt der Ressourcen tut wie die Holzindustrie. Ich denke nicht, dass Millers oder Direktor Tavares selbst irgendeiner dieser Gruppierungen Anlass für Anfeindungen gegeben hat, ob das nun die Indios oder die so genannten Umweltschützer sind. Wenn Sie mich fragen – in Ihrem Staat ist ein Wahnsinniger unterwegs und ich erwarte, dass Sie ihn bald dingfest machen. Die anderen beiden sind wahrscheinlich tatsächlich unvorsichtig gewesen und wurden von einer Giftspinne gebissen. Ich habe gehört, in Australien sollten Sie sogar in guten Hotels erst einmal unter Ihr Bett schauen, ob da nicht irgendetwas Giftiges krabbelt oder schlängelt. Und in meiner Heimat tut man gut daran, nach Klapperschlangen Ausschau zu halten, wenn man durch hohes Gras geht. Deshalb trage ich die hier. «

Er zog lachend ein Hosenbein hoch und zeigte seine sündhaft teuren Cowboystiefel.

Teixeira wollte sich mit dem Mann nicht streiten und sprach jetzt den Sicherheitschef an: »Senhor Lopez, wie lange sind Sie schon im Unternehmen beschäftigt? «

Der Mann straffte die Schultern und sah Teixeira feindselig aus seinen fast schwarz wirkenden Augen an. »Warum interessiert Sie das? Ist die Polizei von São Paulo hier überhaupt zuständig? Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich arbeite hier schon seit Anfang der Neunziger. Indústria Millers ist ein guter Arbeitgeber und ich hatte nie Veranlassung, woanders hinzugehen. « Er blickte auf seine Uhr und erhob sich. »Senhores, ich muss Sie jetzt leider verlassen. Wir haben hier zu tun. Ich schlage vor, Sie halten mich über Ihre Ermittlungen auf dem Laufenden. Wenn ich Ihnen noch mit weiteren Informationen dienen kann, zögern Sie nicht, mich anzurufen. Meine Kontaktdaten haben Sie ja. «

»Senhor Lopez. Wie Sie richtig bemerkt haben, sind wir in diesem Bundesstaat nicht zuständig. Ich denke aber, dass Delegado Bonfim uns gerne unterstützen wird, falls wir noch Fragen an Sie haben sollten. «

Er wendete sich an Porter, hielt dabei aber Lopez im Auge: »Ach ja, eine Frage hätte ich noch. Sagt ihnen der Name Francisco do Nascimento etwas? «

»Sie fragen nicht ohne Grund. Hat der Mann etwas mit Direktor Tavares zu tun? «

Diesmal hatte sich der Sicherheitschef an die Nase gefasst und kurz zu Boden geschaut. Lopez wusste etwas, dessen war Teixeira sich sicher.

»Do Nascimento hat in den Neunziger Jahren als Berater für Ihr Unternehmen gearbeitet. Zudem war er gut mit dem Ehepaar Tavares befreundet. «

Porter schien nichts davon zu wissen oder aber er war ein grandioser Schauspieler. »Delegado, ich fürchte, da kann ich Ihnen ebenfalls nicht helfen. Über das Privatleben von José Tavares ist mir nicht viel bekannt. Ich gehöre dem Vorstand von Indústria Millers seit nunmehr fast fünf Jahren an, aber mein Kontakt zu den Mitgliedern der zweiten Führungsebene war und ist rein dienstlicher Natur. Ein Konzern wie Millers beschäftigt natürlich eine Reihe von Beratern. Wenn es Ihnen weiter hilft, kann ich gerne veranlassen, dass in den Archiven nach Unterlagen gesucht wird. Was ist mit dem Mann? Doch nicht etwa auch tot? «

Teixeira erwiderte: »Nein, nein. Do Nascimento geht es gut. Das war nur so eine Frage. Ich danke Ihnen. Falls es noch Aufzeichnungen gibt, können Sie diese bitte Delegado Bonfim zur Verfügung stellen. Senhor Porter, wir wollen Sie nicht länger von der Arbeit abhalten. Sobald wir eine eindeutige Spur haben, werden wir Sie informieren. «

Ganz bestimmt werde ich das nicht tun.

Porter geleitete sie zur Tür. Lopez hatte vor ihnen bereits wortlos den Raum verlassen.

Auf dem Weg zum Auto fiel es Teixeira endlich ein. Blade Runner. Der Typ sah aus wie dieser eine Replikant. Nicht Roy Batty, den Rutger Hauer gespielt hatte, der andere, der gleich am Anfang durch den Test gerasselt war. Er wollte gerade Vanderlei darauf ansprechen, da erinnerte er sich daran, dass der Junge filmtechnisch ja einzig im Star Wars-Universum lebte. Gut, die alten Teile waren Kult und er hatte sich tatsächlich auch Episode III im Kino angesehen. Zumindest technisch gut gemacht aber nun mal kein Vergleich mit einem seiner absoluten Lieblingsfilme.

Sie schlenderten am Hafen entlang. Am späten Nachmittag wollten sie mit einer lokalen Fluggesellschaft weiterfliegen nach Belém und sich bei der dortigen Vertretung des Conselho Brasileiro Florestal nach dem Verbleib von Francisco do Nascimento erkundigen. Am Telefon hatten sie Teixeira gesagt, Francisco sei auf einer Tour und werde für morgen oder übermorgen zurück erwartet.

Vanderlei setzte sich auf einen Stapel Bananenkisten. »Chefe, was halten Sie von Lopez? Der machte auf mich den Eindruck, als wisse er irgendetwas. «

Teixeira stand am Ufer und schaute über den braunen Fluss. Weiß und blau gestrichene Ausflugsschiffe drängten sich am Steg und spuckten mit Waren beladene Einheimische und Touristen aus.

»Der verbirgt was. Hast du gesehen, wie der bei do Nascimentos Namen gezuckt hat? Ich mag mich täuschen, aber ich denke, dass er auch de Oliveira sehr gut kennt. Wie viele Mitarbeiter mag seine Abteilung haben? Da erinnert man sich doch an jemanden, der bis vor drei Jahren da gearbeitet hat. Wenn wir aus Belém zurück sind, soll Bonfim ihm noch mal auf den Zahn fühlen. Sicherheitschef und schon so lange in dem Unternehmen. Da ist er sicher schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass ich diese arrogante Fresse schon mal irgendwo gesehen habe. Und dieser Porter. Ein aalglatter Typ. Den kriegst du nicht zu fassen. Komm, jetzt suchen wir uns erst mal ein vernünftiges Restaurant. Ich habe gehört, hier kann man ganz ausgezeichnet Flusskrebse essen. «

Sie hatten den Hauptgang gerade beendet, als Vanderleis Smartphone klingelte. Er nahm ab und Teixeira merkte schnell, dass etwas passiert war.

»Wo, sagst du? Vixe Maria! Hört das denn nie auf! Buchstabiere bitte. Wann? Und der Junge? Ja, ich sag´s ihm, danke. Natürlich, wir fliegen in ein, zwei Tagen direkt von Belém zurück, wenn wir mit do Nascimento gesprochen haben. Ja, halte uns auf dem Laufenden, danke. « Vanderlei beendete das Gespräch.

»Chefe, das war Fernanda. Es gab einen versuchten Mord. Diesmal konnte die Zielperson gerettet werden, weil sein Sohn ihn rechtzeitig fand und den Notarzt rief. Das Ganze ist in Santos passiert. Das Opfer liegt auf der Intensivstation. Er hat eine ganze Menge Spinnengift abbekommen, aber sein fünfzehnjähriger Sohn kam gerade nach Hause. Der Täter wurde gestört und ist über die Hintertür abgehauen. Der Sohn konnte ihn nicht erkennen und sein Vater schwebt noch in Lebensgefahr. Wenn er es schafft, ist er frühestens in zwei Tagen vernehmungsfähig. «

Teixeira zog sein Nokia aus der Tasche. Er hatte den Flugzeugmodus noch eingeschaltet. Seine Anrufliste zeigte acht entgangene Anrufe.

»Manda bala! Vanderlei, es wird höchste Zeit, dass wir uns mit dem lieben Chico unterhalten. Ich wette, diesen Neuen in Santos werden wir auf einem der Fotos finden. Irgendwas verbindet diese Menschen und unser Irrer ist dabei, sie systematisch auszuknipsen. Es ist natürlich ein absoluter Glücksfall, dass das jüngste Opfer überlebt hat. Der Mann wird uns hoffentlich sagen, was wir noch nicht wissen. «

Zwei Stunden später saßen sie in einer Embraer Turbo-Prop Maschine auf dem Weg nach Belém. Mit dem Auto oder Bus über die Transamazônica wären sie zwei Tage unterwegs gewesen. Die dreißigsitzige Maschine machte bei Rückenwind gut über 500 km/h. Nach knapp zweieinhalb Stunden verließen sie ihre Reiseflughöhe und zerrissen die vereinzelten Wolken, die wie Baumwollfasern am Himmel schwebten. Vor dem Fenster erstreckte sich der dunkelgrüne, schier unendliche Teppich des Regenwaldes. Als der Pilot eine waghalsige Schleife flog, um sich in Richtung Landeanflug herunterzuschrauben, konnten sie die Mündung des Rio Guamá in den Rio Pará und die Bucht von Marajó unter sich erkennen.

Der Taxifahrer setzte sie an der Praça da República ab. Das Teatro da Paz war wesentlich gefälliger als das Opernhaus in Manaus und Vanderlei wusste zu berichten, dass es sogar noch älter war und damit das älteste Theater im Amazonasgebiet. Die Avenida Presidente Vargas beherbergte Hotels, Cafés, Banken, das Gebäude der Post und etliche größere Geschäfte. Auf den Gehwegen reihten sich zahllose Verkaufsstände aneinander, die allerlei Essbares, Indio-Schnitzereien, Kleidung, Zeitungen und Getränke feilboten.

Die beiden Polizisten schlenderten bei Atemraubender Hitze zwischen Touristen und Einheimischen in Richtung Hafen. An einem der Stände hatten sie sich eine côco gelado geholt und schlürften nun gierig das eiskalte Kokoswasser. Manaus war brütend heiß gewesen, aber Belém schien Teixeira noch stickiger, obwohl aufgrund seiner Lage an der Baía de Guajará eigentlich immer eine Brise wehen sollte.

Das Büro des Conselho Brasileiro Florestal befand sich in der Altstadt, unweit der atemberaubend schönen Kathedrale. Teixeira fühlte eine tiefe Freude in sich aufsteigen. Das war das alte Brasilien! Solche Bauwerke hatte er bestenfalls einmal in Salvador oder eben in Manaus gesehen. Die ganze Stadt verströmte trotz des tropischen Klimas einen schweren, staubigen Duft von Geschichte. In seinem Kopf entstanden Bilder der portugiesischen Erstsiedler, der Cabanagem und des Kautschukhandels. Irgendwo hatte er gelesen, dass Belém auch Cidade das Mangueiras genannt wurde. Wenn er sich umschaute, leuchtete ihm das ein.

Der Hauptsitz des FSC war in Brasilia, aber man hatte lokale Vertretungen, die vor Ort bei den Forstbetrieben und der Holz verarbeitenden Industrie die Einhaltung der definierten Kriterien überprüften, damit diese das mittlerweile weltweit anerkannte Prüfsiegel führen durften. Die hiesige Niederlassung fanden sie nach einigen vergeblichen Anläufen in einem niedrigen blauen Gebäude, eingefasst von einer Snack-Bar und einem Laden, der Indio-Kunst verkaufte. Sie betraten den einzigen Raum, der einen einfachen Schreibtisch und drei Plastikstühle beherbergte. Auf einem saß eine ziemlich korpulente junge Frau, die angeregt mit irgendeiner Person namens Jamiri telefonierte. Nach einer Weile schien sie zu begreifen, dass die beiden Männer zu ihr wollten und sie beendete das Gespräch.

»Bom dia. Womit kann ich Ihnen helfen? « Wenn Sie eine Spende leisten wollen, hier unsere Bankverbindung oder Sie können auch gleich bar zahlen. Ich stelle Ihnen dann eine Quittung aus. «

Teixeira blickte sich um. An den Wänden hingen Poster, die verschiedene Projekte des FSC zeigten. Nicht nur in Brasilien, sondern auch in Indonesien und in Afrika waren sie aktiv. Er blickte auf das Namensschild, das vor ihr auf dem Schreibtisch stand.

»Senhora Veira, ich hatte angerufen. Teixeira. Polizei. Wir wollten uns gerne mit Senhor do Nascimento unterhalten. Ist er inzwischen zurück? «

Die junge Frau blickte ihn über ihre altmodische Brille hinweg gelangweilt an. »Francisco? Der ist noch im Gebiet des Rio Moju unterwegs. Soll ich ihm was ausrichten, wenn er wieder hier ist? «

»Senhora Veira, wir müssten schon selbst mit ihm sprechen. Können Sie ihn denn nicht irgendwie erreichen. Per Funk vielleicht? Hat er kein Mobiltelefon? «

Die Frage schien sie zu amüsieren. »Per Funk? Wie stellen Sie sich das vor? Welche Reichweite sollte so ein Funkgerät denn haben? Ein Mobiltelefon mitzunehmen, ist hier ebenfalls sinnlos. Man hat da draußen keinen Empfang. « Sie schob die Brille höher. »Wenn Sie mit Francisco sprechen wollen, müssen Sie entweder warten oder ihm entgegen fahren. Unten am Fluss gibt es einen alten Caboclo, der Sie sicher gerne mit seinem Boot hinfährt. Sagen Sie ihm schöne Grüße von mir. Er heißt Osvaldo. Aber passen Sie auf, dass Sie nicht in den Fluss fallen. «

»Wieso? Hier gibt es doch keine piranhas, oder? «

»Die tun Ihnen nichts, aber die candirú. Einem Freund von mir ist mal einer in den... na ja... gekrochen. Jetzt muss er jedenfalls durch einen Schlauch pinkeln. «

Sie dankten für den offenbar ernst gemeinten Hinweis, verließen das kleine Büro und sahen sich draußen um. Teixeira wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war verdammt schwül. »Wir suchen uns erst mal was zum Essen und überlegen dabei, wie wir am besten vorgehen. «

In einem kleinen Restaurant zwei Straßen weiter bestellte Teixeira eine maniçoba. Vanderlei mochte keine Maniok-Blätter und fand das Gericht widerlich. Sein Gegenüber hatte nichts dagegen, eine weitere Portion vertilgen zu müssen. Genüsslich kauend setzte Teixeira Vanderlei die Optionen auseinander:

»Wir könnten natürlich hier warten bis do Nascimento zurückkehrt aber wer kann schon sagen, wann das sein wird? Unverrichteter Dinge heim fliegen, vergiss es! Ich denke, wir sollten ihm mit dem Caboclo entgegen fahren. Ich bin sicher, dass wir do Nascimento nach einiger Zeit finden werden. Er fährt den Fluss hoch, wir runter. Wir sind hier hergekommen, weil wir mit ihm reden wollen. Das sollten wir weiter versuchen. «

Vanderlei hatte nicht wirklich vorgehabt, seinen Chef von seinem Vorhaben abzubringen. Er fügte sich in sein Schicksal und wollte gerade noch eine Guaraná bestellen, als wieder sein Mobiltelefon klingelte.

»Oi. Wer? Ach ja. Danke, dass Sie zurückrufen. Wie? Wer? Ja, das hat mir sehr geholfen. Wenn Sie mir die Akte bitte per Mail ins Büro schicken würden. Danke vielmals. « Er legte das Handy auf den Tisch und sah Teixeira triumphierend an.

»Das war das Militär aus Marabá. Unser Mann auf dem Foto ist Dante Lopez. Er war in den Achtzigern beim 47° BIS und hat an einigen Operationen gegen die Indios teilgenommen. 1993 ist er als Segundo Tenente aus der Armee ausgeschieden. «

Teixeira pulte sich ein Stückchen Maniok aus den Zähnen. Jetzt wusste er, warum ihm dieser Kerl so bekannt vorgekommen war! Langsam formte sich aus den einzelnen Teilchen ein Puzzle. Wenn sie jetzt noch do Nascimento fanden, würde aus dem Puzzle ein Bild entstehen, davon war er überzeugt. Er zog eine zerknickte Visitenkarte aus der Tasche und rief in Manaus an.

»Bonfim, hier Teixeira. Unser Lopez, ja der Typ von Millers. Wir hatten Recht. Da gibt es eine Verbindung zu den Toten. Wir haben ihn auf einem Foto identifiziert, das irgendwo hier im Regenwald aufgenommen wurde. Wenn wir zuhause sind, lasse ich dir die Bilder zuschicken. Halte mal die Ohren auf und versuche herauszubekommen, was Lopez treibt, wenn er nicht bei Millers die Tür bewacht. Wir versuchen weiter mit do Nascimento zu sprechen. Tá bom. Ich melde mich wieder bei dir. «

Sie beendeten ihre Mahlzeit und gingen am Ufer entlang. Nach einiger Zeit hatten sie sich zu Osvaldo durchgefragt. Er war ein Mischling unbestimmten Alters, dessen Furchen im Gesicht an die Rinde eines Baumes erinnerten. Seine Shorts mochten ehemals weiß gewesen sein und das löchrige Ronaldo-Trikot der Seleção von 1998 hatte er sicher auch lange nicht mehr gewaschen.

Der Mann erklärte sich bereit, sie mit seinem Außenborder den Rio Guamá bis zur Einmündung des Moju hinunter zu fahren und auf dem Nebenfluss zu kreuzen, bis man auf do Nascimento treffen oder zumindest jemanden nach ihm befragen könne. Er konnte nicht genau sagen, wie lange die Fahrt dauern würde. Das schien ihm aber angesichts der hundert Reals, die Teixeira ihm hinhielt, auch reichlich egal. Sobald er einige Vorbereitungen getroffen habe, könne es losgehen. Woraufhin er verschwand und nach endloser Zeit mit einer Kühlbox auf der Schulter zurückkam.

Sein Boot war vielleicht fünf Meter lang. Neben der abblätternden blauen Farbe gab es weitere Hinweise darauf, dass es nicht wesentlich jünger war als sein Besitzer. Es schaukelte bedrohlich, als Teixeira hinein kletterte. Osvaldo saß am Heck und bediente das Steuer. In einem kleinen Supermarkt am Hafen hatten die beiden Polizisten einige Flaschen Wasser, etwas Obst, ein paar Packungen Kekse und ein Pfund Früchtebrot erstanden. Vanderlei verstaute ihr Gepäck unter einem brüchigen Netz, das einen durchdringenden Geruch nach altem Fisch ausströmte. Zumindest sprang der Motor sofort an und knatterte Vertrauen erweckend, als Osvaldo sie vom Steg abstieß und das Boot in die Flussmitte steuerte.

Sie überholten etliche, zum Teil mehrere Decks hohe Ausflugsschiffe, die sich mit schwitzenden Touristen beladen gemächlich den Fluss hinab bewegten. Nach einiger Zeit wichen die häufig grün oder blau angestrichenen Pfahlbauten und Hausboote zurück, die Vegetation wurde dichter. Ab und an sah man zwischen den Bäumen Rinder in Ufernähe weiden. Hier mussten fazendas liegen.

Teixeira genoss den frischen Fahrtwind, während dem jungen Ermittler nach einiger Zeit das Schaukeln auf den braunen Wellen auf den Magen schlug.

Ab und an ertönte eine Sirene, wenn eine mit Baumstämmen schwer beladene Barkasse ihren Weg kreuzte. Nach vielleicht anderthalb Stunden Dahintuckern wandte Teixeira sich um und fragte erneut ihren Begleiter: »Oi, capitão, was meinst du? Sollten wir nicht den Rio Moju längst erreicht haben? Bist du sicher, dass du die Abzweigung nicht übersehen hast«

Der Caboclo legte den Kopf in den Nacken und schaute angestrengt nach oben, was Vanderlei zu der Bemerkung verleitete: »Nach den Sternen kannst du dich nicht richten. Es ist Nachmittag, mein Freund. «

Osvaldo schaute weiter hoch zu den Baumkronen. Schließlich hellten sich seine Gesichtszüge auf und er winkte heftig mit dem dürren Arm. Nach wenigen Minuten erreichten sie tatsächlich eine Flussgabelung, an der in westlicher Richtung ein wesentlich schmalerer Nebenfluss abging. Osvaldo öffnete seinen zahnlosen Mund und rief nur ein Wort: »Moju. «

Vanderlei schwieg, Teixeira lachte dröhnend.

Sie hatten eine ziemliche Strecke auf dem kleineren Fluss zurückgelegt, als Vanderlei sich auf einmal umdrehte und dem Kommissar zurief: »Wann haben Sie das letzte Mal ohne Zelt im Regenwald übernachtet? «

»Warum fragst du? «

»Wir sind jetzt schon über drei Stunden unterwegs und es wird sicher bald dunkel. Ich habe keine Ahnung, wie lang dieses Flüsschen ist, aber selbst wenn uns do Nascimento in der nächsten halben Stunde begegnen sollte, kommen wir mit ihm nicht vor Mitternacht in die Stadt zurück. Vielleicht ist er ja auch irgendwo tief im Regenwald unterwegs und hat gar nicht die Absicht, so bald nach Belém zurück zu kehren. «

Teixeira dreht sich zu ihrem Begleiter um.

»Capitão, dieser Sohn der Großstadt hier macht sich Sorgen, dass uns in der Nacht eine Mãe-d’água in ihr nasses Heim locken könnte oder die Alligatoren uns anknabbern. «

Der Caboclo schwieg.

Gegen achtzehn Uhr dämmerte es, zwanzig Minuten später war es stockdunkel. Nachdem ihnen seit geraumer Zeit kein einziges Fahrzeug mehr begegnet war und an beiden Ufern keine Anzeichen für menschliche Behausungen zu erkennen waren, bat Teixeira den Indio, eine sichere Stelle am Ufer zu suchen, wo sie ein Nachtlager aufschlagen konnten.

Hinter der übernächsten Flussbiegung steuerte Osvaldo das Boot ans gegenüberliegende Ufer. Hier gab es eine kleine Lichtung und eine flache Stelle, die den beiden Polizisten das Aussteigen ermöglichte, ohne dass sie sich die Kleider komplett nass machten. Gemeinsam zogen sie das Boot an Land. Osvaldo band es zusätzlich an einen Baum und erklärte ihnen, dass es sich bei starkem Regen sonst leicht losreißen könne. Manchmal steige der Wasserpegel innerhalb weniger Minuten so stark an, dass man den Fluss kaum noch befahren könne.

Die beiden Polizisten trampelten mit steifen Knochen das Gras nieder und halfen dann ihrem einheimischen Begleiter, ein Lagerfeuer zu entfachen. Dann zogen sie gemeinsam einen Baumstamm etwas näher heran, setzten sich in einer Reihe darauf und hörten wortlos auf das Prasseln und Zischen des Holzes. Teixeira war flau im Magen, was vom Schaukeln des Bootes oder von der für ihn ungewohnten Luftfeuchtigkeit kommen mochte. Zudem hatte er Hunger.

Osvaldo förderte aus dem Boot besagte Kühlbox zu Tage und entnahm ihr eine Packung Würstchen. Dann griff er nochmals über den Bootsrand und holte eine Machete hervor, die an einigen Stellen bereits verdächtig rostfleckig schien. Mit diesem Mordinstrument hackte er einige Äste zu Recht, spießte die Würste auf und steckte die behelfsmäßigen Spieße über das Feuer. Die Kühlbox enthielt auch noch einige Dosen Skol. Die Männer genossen ihre Abendmahlzeit und rülpsten wie die Schuljungen um die Wette.

Osvaldo verblüffte die beiden Polizisten mit seiner Tierstimmenimitation. Fast konnte man meinen, hinter dem Baum da kauerte ein leibhaftiger Jaguar, dann flogen imaginäre Papageien um das Feuer. Vanderlei gab einige seiner schmutzigsten Witze zum Besten und Osvaldo kippte vor Lachen fast vom Baumstamm. Fast schien es, als hätte er von einer Dose Bier schon genug, denn nach einer Weile entrollte er eine fadenscheinige Hängematte und befestigte die Enden zwischen zwei Bäumen. Nach wenigen Minuten schnarchte er wie ein Tapir.

Teixeira hatte sich zuhause ebenfalls mit einer Hängematte ausgestattet. Während er sich zwei geeignete Bäume suchte, beobachtetet er belustigt den jungen Ermittler, der wahrhaftig einen Schlafsack aus seiner Reisetasche hervor gezaubert hatte und nun stirnrunzelnd überlegte, wo er das Ding hinlegen sollte.

»Sag mal, du hast bisher noch nie im Wald übernachtet, oder? «

»Ich war mal mit der Schulklasse im Pantanal zelten, aber seitdem habe ich den hier nicht mehr gebraucht. «

»Gut, im Zelt mag das noch angehen, aber wie willst du verhindern, dass das ganze Viehzeug zu dir reinkrabbelt? «

Vanderlei sah nun äußerst verzweifelt drein. Dann hatte er die rettende Idee. »Ich lege mich ins Boot. «

Teixeira hörte Vanderlei noch eine ganze Weile im Boot rumoren und vor sich hin seufzen. Offenbar war das doch keine besonders bequeme Schlafstatt. Nach einer Weile schloss er die Augen und fiel in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen weckte sie das vielstimmige Kreischen und Zetern einer Vogelschar, die über ihnen in den Baumwipfeln den neuen Tag begrüßte. Vanderlei dehnte und streckte seine steifen Glieder. »Den Schlafsack kann ich wegwerfen, der riecht jetzt wie eine Fischfabrik. «

Ihr Frühstück bestand aus ein paar Scheiben Früchtebrot und einigen Kaki. Teixeira sehnt sich vergeblich nach einem Kaffee.

Sie verschwanden nacheinander in den Büschen um noch dringende Geschäfte zu erledigen, dann brachen sie ihr Lager ab und setzten ihre Fahrt flussaufwärts fort.

Der Urwald schien immer dichter zu werden. Die Vegetation reichte streckenweise fast bis in die Flussmitte, sodass die Polizisten instinktiv die Köpfe einzogen. Dann wurde der Moju unvermittelt wieder breiter. Aufmerksam spähten die Männer an beiden Ufern, ob do Nascimento sein Boot vielleicht irgendwo vertäut hatte, aber außer Alligatoren und dem einen oder anderen capybara war nichts Lebendiges zu sehen, abgesehen natürlich von den zahllosen Vögeln, deren Farbenpracht und Stimmenvielfalt die beiden Städter ein ums andere Mal zum Staunen brachte. Vanderlei schoss mit seiner Handykamera dutzende Fotos und Teixeira bedauerte, dass er nicht sein Fernglas mitgebracht hatte.

Gegen Mittag fragte Teixeira: »O Capitão. Hast du in deiner Plastikbox da vorne noch was von den köstlichen salsicha? Wir könnten ja bald mal anhalten und ein kleines churrasco machen. «

Osvaldo deutete Schulter zuckend auf die Box. Vanderlei öffnete den Deckel. Zwischen den Resten des lange geschmolzenen Eises schwammen nur die leeren Bierdosen. Teixeiras Blick wanderte zwischen der Kühlbox und ihren Gepäckstücken hin und her.

»Capitão. Wo hast du denn das andere Essen verstaut? «

Der Caboclo drosselte die Geschwindigkeit und steuerte das Boot in die Flussmitte. Dann griff er unter seine Sitzbank und förderte ein löchriges Wurfnetz zu Tage. Das Boot begann bedenklich zu schwanken, als er, einen Fuß gegen die Bordwand gestemmt, das Netz über den Kopf schwang und es in hohem Bogen ins Wasser plantschen ließ. Noch bevor die Bleigewichte es vollständig unter die Wasseroberfläche ziehen konnten, zog er es wieder ein und entblößte seine Zahnstummel. Zwei winzige Fische zappelten im Netz. Osvaldo fingerte sie aus den Maschen und lies ihre silbrigen Leiber ins Boot fallen. Dann warf er das Netz erneut aus.

Teixeira stieß Vanderlei mit dem Fuß an und flüsterte: »Sag, hast du noch was von den Keksen, die wir im Supermarkt gekauft haben? Ich kann mir eigentlich nicht so richtig vorstellen, wie unser tapferer Fischer hier uns mit den paar Guppys satt bekommen will. «

Vanderlei reichte ihm wortlos eine halbleere Packung Schokokekse hin, die durch die Hitze schmierig aufgeweicht waren und schlug sich zum wiederholten Male auf den Nacken. »Die Moskitos hier sind ebenso hungrig wie wir. Außerdem... «

Ohne Vorwarnung fiel ein Schuss. Das Boot schwankte so heftig, dass beide sich gerade noch am Dollbord festkrallen konnten. Osvaldo verschwand mit einem lauten Klatschen im Fluss. Er strampelte und schlug wild mit den Armen um sich, dann war mit einem Mal außer dem Zirpen der Zikaden und dem empörten Schnattern der Vögel hoch oben in den Baumwipfeln nichts mehr zu hören. Die beiden Polizisten duckten sich so tief es ging und sahen sich entsetzt an. Teixeira zog seine Dienstwaffe aus dem Holster.

»Puta merda! Hast du eine Waffe? «

»Chefe. Ich habe keine Dienstwaffe, schon vergessen? «

»Okay, bleib hinter mir. «

Das Boot war inzwischen in Ufernähe getrieben. Sie ließen sich über die Bordwand fallen und krochen an Land, wo sie sich in die Deckung eines großen Baumes kauerten. Halblaut zischte Teixeira: »Osvaldo. Capitão. Bist du da draußen irgendwo? «

Sie versuchten weiter, die Geräusche einzuordnen. Nichts, das auf einen Schwimmer oder einen Menschen in Not hinwies. Neben ihrer Sorge um den Caboclo bewegte die beiden Polizisten natürlich auch ihre eigene Situation. Wo war der Schütze? Hatte er es auf sie abgesehen?

»Und nun? «

»Und nun? Nun hocken wir hier erst mal fest. Der Schuss kam, glaube ich, vom anderen Ufer. Um näher an uns heran zu kommen, müsste der Schütze also erst mal den Fluss überqueren. Aber wir können nicht zurück ins Boot. Da hocken wir wie auf dem Präsentierteller. Uns ohne Nahrung zu Fuß durch den Dschungel schlagen, können wir auch nicht. Bis zur nächsten Siedlung sind es bestimmt zwei Tagesmärsche. Vanderlei, es bleibt uns nicht übrig, als auf die Dunkelheit zu warten und zu hoffen, dass der Killer kein Boot hat. Und mein Magen knurrt jetzt schon wie ein tollwütiger Köter. «

Vanderlei versuchte mit einem langen Ast nach der Bootsleine zu fingern, aber er konnte sie nicht erreichen. Bei einem erneuten Versuch stieß er gegen den Rumpf und das Boot trieb ab. Schnell hatte die Strömung es erfasst und in die Flussmitte gezogen.

»Puta que o pariu! «

Die Männer krochen noch tiefer an Land zwischen die dichte Vegetation und äugten immer wieder nach allen Seiten. Jetzt war ihnen zunächst jegliche Fluchtmöglichkeit genommen und es blieb ihnen nichts weiter übrig, als sich am Ufer entlang zu bewegen und zu hoffen, dass ihr Boot irgendwo flussabwärts angetrieben würde. Hoffentlich auf ihrer Seite.

Die Hitze und die Insekten setzten ihnen nach einiger Zeit schwer zu.

Teixeira nickte in Richtung des Flusses und brummte: »Irgendwann werden wir dieses Wasser trinken müssen, mein Junge oder hast du hier irgendwo eine taberna gesehen? «

Dann stolperten sie weiter am Ufer entlang flussabwärts und lugten immer wieder zwischen den bodentiefen Hängepflanzen hindurch, in der Hoffnung, den blauen Bootsrumpf zu entdecken.

Nach weiteren ihnen endlos erscheinenden Stunden legte sich die Dämmerung auf den Urwald. Bereits nach wenigen Minuten konnten sie die Hand vor den Augen nicht mehr erkennen.

Die Männer suchten sich einen Platz, an dem sie die Nacht verbringen wollten. Unterwegs hatten sie von verschiedenen Früchten gekostet und wenn sie nicht bitter oder allzu fremd schmeckten, konnten sie mit ihnen wenigstens den dringlichsten Hunger stillen. Teixeira hatte kurz überlegt, wie groß seine Chancen standen, mit seiner Dienstpistole einer der Affen oder Vögel von Baum zu holen und den Gedanken verworfen. Die Schüsse würden ihren Gegnern nur ihren Standort verraten. Sie vereinbarten, abwechselnd wache zu halten aber nach einiger Zeit wurden die Stimmen der Wildtiere ergänzt durch ein zweistimmiges Schnarchen.


Vanderlei kitzelte etwas an der Nase. Er wischte sich unwirsch mit der Hand über das Gesicht. Da war es wieder. Langsam öffnete er die Augen und erstarrte. Über seine Brust kletterte eine fette schwarze Spinne. Angewidert schlug er das Tier mit dem Handrücken weg, dann sprang er auf und kickte Erde und Blätter in Richtung des ekelhaften Wesens. Es war ihm gar nicht bewusst, dass er dabei quiekte wie ein Meerschweinchen.

Ernesto Teixeira lag gegen einen Baumstamm gelehnt ein paar Schritte weiter. Sein Mund stand offen wie ein Basketballtor. Durch Vanderleis Gekeife wachte er auf und besah sich in der Morgendämmerung schlaftrunken die Szene, ohne sie zu verstehen.

Endlich hatte Vanderlei es geschafft, die Spinne zu töten. Er hatte so viel Erde darauf gehäuft, dass sie sich nicht mehr bewegte. Er hasste die Viecher. Genau genommen hatte er sogar eine irrationale Angst davor, ihm könne eine ins Hemd krabbeln. Seine Nackenhaare hatten sich aufgestellt, er atmete schwer. Dann drehte er sich um und blickte seinem Chef ins Gesicht.

»Spinnen! Hier gibt es Spinnen! Wahrscheinlich wäre ich schon so tot wie Tavares und die anderen, wenn ich nicht so einen empfindlichen Schlaf hätte! Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan und habe das Vieh gerade noch entdeckt, wie es sich herangeschlichen hat. « Er setzte sich auf den Baumstamm und barg das Gesicht in den Händen.

Teixeira erhob sich ächzend und überprüfte nun auch erst einmal, ob sich irgend so ein Viehzeug an oder in seiner Kleidung versteckt hatte.

Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang erwachte der Dschungel, mit Zirpen, Summen, Zwitschern. Aus dem Blätterwald über ihren Köpfen erschallte das Meckern eines schapu, aus größerer Entfernung hörten sie die aufgeregten Schreie und Rufe von Brüllaffen.

Sie zählten ihre Mückenstiche. Teixeira hatte an der Wade einen fetten Blutegel, der sich nur mit dem Taschenmesser ablösen ließ. Der Saugwurm hinterließ ein blutendes Loch von Fingernagelgröße. Der Polizist hatte mal gelesen, dass Urin desinfizieren sollte, also trat er neben einen Baum und pinkelte sich auf das Bein.

»Ich bin schon froh, dass das Vieh nicht in meinem Nacken gesessen hat« rief er aufmunternd zu Vanderlei hinüber, der angewidert wegsah.

Teixeira nestelte aus der Hemdtasche eine fast leere Packung Mentholzigaretten und steckte sich eine an. Sofort wurde ihm schwindelig. Die mangelhafte Nahrungsversorgung und die feuchte Schwüle taten seinem Kreislauf nicht gut. Zudem war er schon seit Jahren nicht mehr so viel gelaufen. Die Füße taten ihm weh und die Hände zitterten.

Sie mussten weiter.

Nach wenigen Metern sah Vanderlei etwas durch die Blätter. Er stieß seinen Vorgesetzten an. »Da! Da vorne! Das muss unser Boot sein! «

Sie schoben die herabhängenden Lianen zur Seite und erblickten unweit entfernt tatsächlich das blaue Boot. Allerdings lag es kieloben auf einem Felsen. Teixeira konnte sich nicht erinnern, dass sie an diesem vorbei gekommen waren. War ja auch egal. Auf jeden Fall musste das Boot führerlos gegen die Steine geprallt und umgekippt sein. Sie mussten irgendwie dort hinüber gelangen und versuchen, es wieder aufzurichten. Er erklärte es dem jungen Ermittler.

Vanderlei sah ihn entsetzt an. »Sie meinen, ich soll in diesem Wasser schwimmen? Und wenn da Krokodile, Piranhas oder diese – wie heißen die – ach, ist ja auch egal – in diese Brühe soll ich also steigen? «

»Candirú. Das sind die lieben Tierchen, die sich in deine Körperöffnungen bohren. Aber wenn wir uns beeilen, werden sie uns schon nicht anknabbern. Los, bei drei laufen wir hinunter und springen gemeinsam rein! «

»...drei. «

Sie brachen schreiend durch das Unterholz und Vanderlei glitt elegant wie ein Alligator ins Wasser. Teixeira blieb an einer Wurzel hängen und schlug längs in den Uferschlamm. Als er sich stöhnend wieder erhoben hatte, bemerkte er, dass ihm der Ausrutscher neben einem Brummschädel und einem tiefen Kratzer auf der Wange auch eine zerbrochene Brille beschert hatte. Vorsichtig klaubte er die beiden Teile aus dem Schlick und besah sich die Bescherung. Da war nichts zu kitten. Das Ding war genau in der Mitte durchgebrochen. Im Film würde er sie mittels Schnürsenkel zusammenflicken. Das Dumme war, dass seine Trekkingsandalen keine Schnürsenkel besaßen, außerdem fehlte ihm die Fantasie, wie das Konstrukt halten sollte. Er steckte die Bruchstücke in die Tasche.

Er blinzelte über die Wasserfläche und erkannte schemenhaft seinen Assistenten, der sich an dem Boot abmühte. Schließlich ließ der junge Mann ab und kam mit einigen eleganten Armzügen wieder ans Ufer. Nass wie eine Ratte hockte er sich neben seinen Chef und schüttelte den Kopf.

»Nichts zu machen. Das Ding sitzt fest und außerdem hat der Propeller einen Schlag abbekommen. Das ist nicht zu gebrauchen. Unsere Sachen sind weg. «

Teixeira fügte seiner Bestandsaufnahme in Gedanken einige neue Punkte hinzu. Nichts zu Essen. Keine Brille. Kein Boot. Irgendwo lief hier ein Durchgeknallter mit einer Knarre herum. Vorgestern Abend hatten sie bereits festgestellt, dass es stimmte, was Senhora Veira zum Handyempfang gesagt hatte. Kein Empfang.

Nun, sein cellular und Vanderleis sündhaft teures, schwarzes Gerät lagen jetzt sowieso auf dem Flussgrund.

»Tudo bem? « fragte er seinen Ermittler. Vanderlei lehnte an einem riesigen Gummibaum und schnappte nach Luft.

»Bist du okay? Ich wusste gar nicht, dass du so ein toller Schwimmer bist. «

Vanderlei schniefte. »Schon okay. Alles noch dran. Aber wir sind am Arsch, Chefe. Wie sollen wir denn nun aus dieser Wildnis herauskommen? «

»Jetzt lass´ den Kopf mal nicht hängen. Wie lange sind wir vorgestern unterwegs gewesen von der letzten Stelle mit Behausungen bis zu unserem Rastplatz? Das können zu Fuß maximal fünf, sechs Stunden sein. Bis Mittag spätestens haben wir jemanden gefunden, der uns nach Belém bringen kann. Los, komm hoch und lass uns weitergehen. Du musst nur für mich sehen, meine Brille ist hinüber. «

Vanderlei suchte einige Zeit das Ufer ab, aber es gab keine Spur von ihrem Gepäck. Das Boot lag auf dem Felsen, vielleicht zwanzig Meter vom Ufer entfernt, aber es war nutzlos. Sie ließen also das Wrack liegen und machten sich zu Fuß auf den Weg.

Teixeira merkte bald, dass er seit geraumer Zeit nichts Vernünftiges mehr gegessen hatte. Kleine schwarze Punkte flimmerten vor seinen Augen und die Beine zitterten. Seine Armbanduhr sollte zwar bis fünfzig Meter wasserdicht sein, aber das Glas war durch die enorme Luftfeuchtigkeit von innen beschlagen und er konnte die Zeiger nicht erkennen.

Inzwischen stand die Sonne bereits so hoch, dass sie empfindlich auf ihre Köpfe brannte. Sie beschlossen, die Zähne zusammen zu beißen und noch eine ganze Weile weiter zu marschieren, wobei es eher ein Stolpern war. Wurzeln und tief hängende Äste erschwerten ihnen das Fortkommen. Es gab auch nicht wirklich einen Pfad. Die Bäume reichten meist bis hinunter zum Flussrand. Manchmal mussten sie sich durch brusthohes Gestrüpp kämpfen. Sie wollten aber in der Nähe des Ufers bleiben, da sie dem Fluss folgend auf jeden Fall früher oder später auf Menschen treffen würden. Nach einer Weile begann es unvermittelt wie aus Eimern zu schütten. Bereits nach wenigen Minuten waren beide bis auf die Unterhosen durchnässt. Das Marschieren wurde nun endgültig zur Qual. Bei jedem Schritt versanken sie mit den Schuhen im Matsch oder sie glitten auf den nassen Wurzeln aus.

Teixeira kam es vor wie eine Ewigkeit, als sie endlich eine längere Pause einlegten. Das Gesicht des Kommissars hatte eine tiefrote Färbung angenommen und Vanderlei klagte darüber, dass seine Füße brannten. Seine Sneakers sahen mittlerweile aus, als habe er sie auf einer Müllhalde ausgegraben. Sie saßen auf einem kleinen Hügel und überschlugen gerade, wie weit sie wohl schon gekommen waren, als beide gleichzeitig den Bootsmotor hörten. Das Geräusch wehte aus der Richtung herüber, aus der sie gekommen waren.

Vanderlei blickte angestrengt flussaufwärts, für Teixeira war es hoffnungslos. Ungefähr zwanzig, dreißig Meter vor seinen Augen verschwamm die Welt zu einem uneinheitlichen Flimmern. Er hätte beim besten Willen nicht sagen können, was da auf dem Wasser schwamm. Er hielt sich eines seiner Brillengläser vor das Auge, aber die Maßnahme verbesserte die Situation nur unmerklich. Es musste ein Boot sein.

»Nun, was siehst du? Wer kommt da? «

»Schwer zu sagen. Es ist ein großes Boot, auf jeden Fall größer als unseres. Ich meine, als das von Osvaldo. Es scheinen mehrere Leute drin zu sitzen. Ich würde sagen, zwei, nein drei. Jetzt kann ich es besser erkennen, der Busch hier war im Weg. Ja, drei Leute. Ich gehe runter und winke. Vielleicht können Sie ja von hier aus ebenfalls versuchen, auf sich aufmerksam zu machen. «

Und ob ich das werde. Ich werde brüllen wie ein Tiger. Dachte sich Teixeira, zog sich das verschwitze und durchweichte Poloshirt über den Kopf, verstaute die klumpige Zigarettenschachtel in der Hosentasche und winkte wie ein Schiffbrüchiger. Er brüllte aber nicht, sondern krächzte nur: »Olá! Oi. Hier her, Polizei! Wir benötigen Ihre Hilfe! «

Er konnte nicht erkennen, ob sein heißeres Rufen erhört wurde, aber Vanderlei pfiff und schrie unten aus Leibeskräften und das Motorengeräusch kam eindeutig näher. Offenbar hatte man sie gesehen oder doch gehört.

Er stieg vorsichtig die paar Meter zum Ufer hinunter und hörte noch, wie Vanderlei aufgeregt auf jemanden einredete: »…und dann ist das Boot an einem Felsen zerschellt und wir mussten zu Fuß weiter. Unser Gepäck ist weg und der Caboclo ist wahrscheinlich ersoffen. Das ist ein dringender Polizeieinsatz, ich denke, wir müssen Ihr Boot beschlagnahmen. «

Jemand lachte. Es klang nach dem großen Burschen, der gerade über den Bootsrand kletterte. »Ihr macht mir Spaß. Seid hier gestrandet wie ein paar koreanische Touristen, die ihren Reiseleiter verloren haben und erzählt uns, was wir zu tun und zu lassen haben. Was seid ihr denn überhaupt für komische Vögel? « Er kam näher.

Teixeira konnte dem Mann nun ins Gesicht blicken. Er war unrasiert und trug passende Kleidung. Shorts, feste Schuhe und ein Kakihemd. Er schaute noch einmal genauer hin, zog sich das Poloshirt wieder über und sagte dann:

»Bom dia, Senhor do Nascimento. Ich hoffte, dass wir uns hier treffen würden. «

Sie scharten sich am Hügel um einen umgefallenen Baum. Der Regen hatte schon vor einer Weile ebenso abrupt aufgehört, wie er begonnen hatte. Über den Fluss zogen feine Nebelschwaden, es war heiß und feucht. Do Nascimento hatte ihnen aus den Resten seines Reiseproviants etwas getrockneten Fisch und ein paar Schlucke Wasser zur Verfügung gestellt.

Teixeira wischte sich den Mund mit seinem fleckigen Taschentuch ab, erhob sich ächzend und bat do Nascimento, mit ihm ein paar Schritte zur Seite zu gehen. Er winkte Vanderlei, sich ihnen anzuschließen.

»Senhor do Nascimento. Wir sind nicht ohne Grund nach Belém geflogen und mit Hilfe unseres braven Caboclo auch beinahe bis zu Ihnen gelangt. Was ich Ihnen zu sagen habe, muss nicht jeder hören. Bevor ich aber anfange. Sie haben nicht zufällig eine Zigarette für mich? Meine letzten beiden haben die ständige Nässe nicht überlebt. «

Do Nascimento verneinte. »Ich rauche seit bestimmt zehn Jahren nicht mehr. Meine beiden Jungs hier können Ihnen höchstens ein paar Cocablätter anbieten. Übrigens können Sie ganz frei sprechen. Die beiden verstehen kaum ein Wort Portugiesisch. «

»Senhor do Nascimento, wir ermitteln in einer Reihe von Morden und haben Grund zur Annahme, dass Sie indirekt in die Fälle verwickelt sind. «

Der große Mann blickte interessiert auf und fragte: »Mord? Nun müssen Sie mir schon einiges erklären, delegado. Ich bin äußerst gespannt, was ich mit Morden in São Paulo zu tun haben soll. Sie sagten doch, dass Sie aus São Paulo kommen? «

»Allerdings. Beginnen wir am besten am Anfang. Sie kennen einen José Gabriel Tavares. «

»José? Der alte Streber? Das kann man sagen. Wir waren einige Jahre eng befreundet. Was ist mit ihm? «

»Er ist tot. Wahrscheinlich ermordet. Genauso wie ein gewisser Matheus de Oliveira. «

Do Nascimento starrte abwechselnd Teixeira und Vanderlei an, als wäre ihm der Leibhaftige begegnet. Er verbarg seine Augen mit der Hand und schüttelte den Kopf. Er schien um Fassung zu ringen. Schließlich presste er hervor: »José ermordet? Was soll das? Was geht da vor? Was ist passiert, erzählen Sie doch! «

Teixeira gab ihm einen Abriss über die Vorkommnisse und schloss den Bericht mit den Worten: »Und daher werden Sie verstehen, dass wir dringend mit Ihnen reden wollten. Natürlich hätten wir auch unsere Kollegen in Belém bitten können, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen, aber das ist mein, unser Fall und ich will hier sehr schnell konkrete Ergebnisse vorlegen. «

»Bitte warten Sie. «

Der Forstwirt ging hinüber zu seinen Begleitern, die Indios aus der Gegend waren und rief ihnen in einem merkwürdigen Singsang etwas zu. Die Männer standen wortlos auf und machten sich auf den Weg flussaufwärts.

»Ich habe sie beauftragt, nach Ihren Sachen und vor allem nach dem Caboclo Ausschau zu halten. Außerdem sollen sie versuchen, Osvaldos Boot wieder flott zu machen und uns dann nachkommen. «

Vanderlei schaute fragend den Indianern nach, die schon im Unterholz verschwunden waren »Und was ist, wenn die das Boot vom Felsen herunter bekommen und irgendwie abdichten können, wie sollen sie es steuern? Ich denke, der Motor ist hinüber. «

Do Nascimento schnaubte verächtlich. »Senhor, das sind Katuena. Die sind hier aufgewachsen. Machen Sie sich um die bitte keine Gedanken, die kommen schon klar. Man kann sich ganz schnell aus ein paar Ästen ein passables Ruder bauen, außerdem liegt da hinter den Bäumen in wenigen Kilometern schon die nächste Siedlung. «

Teixeira und Vanderlei schauten sich betreten an. Offenbar hatten sie sich angestellt wie echte Großstädter, die sie ja waren. Sie setzen sich wieder auf den Baumstamm. Do Nascimento fuhr sich mit der Hand durch das dichte Haar.

»Bom, lassen Sie mich von José erzählen. Nach dem Umweltgipfel in Rio von Zweiundneunzig gab es in Sachen Abholzung einen ziemlich drastischen Richtungswechsel. Auch wenn die Öffentlichkeit das damals noch nicht in dem Maße wahrgenommen hat wie heute, zogen die Vereinbarungen von Rio doch zum Beispiel für die Holzindustrie eine Reihe von Auflagen nach sich, die es in der Form vorher gar nicht gab.

Ich arbeitete damals als Berater und bekam den Auftrag, bei Indústria Millers in einem Projekt das Absatzpotenzial alternativer Holzsorten zu ermitteln. Das Ziel war, in den bereits vorhandenen Brachflächen kontrolliert Eukalyptus zu pflanzen und nach neuesten Methoden zu bewirtschaften. Mein Hauptansprechpartner war José Tavares. Wir haben damals sehr intensiv zusammen gearbeitet, manchmal bis in die Nacht hinein, bis wir den Vorstand von unserem Konzept überzeugt hatten und er endlich die erforderlichen Mittel bewilligt hat.

Mit der Zeit entstand zwischen uns eine richtige Freundschaft und wir haben in den folgenden Jahren viel zusammen unternommen, wenn ich in der Gegend war. Irgendwann hat sich das aber leider in die völlig falsche Richtung entwickelt. Ich habe herausbekommen, dass meine Frau, meine Exfrau, ich nehme an, Sie haben schon mit ihr gesprochen? «

Teixeira nickte und do Nascimento fuhr fort: «Nun, wenn Sie schon mit Anna gesprochen haben, hat sie ihnen vielleicht auch erzählt, dass es zu einer dummen Sache gekommen war, die letztendlich zum Ende unserer Ehe und auch zum Ende unserer Freundschaft mit den Tavares geführt hat. «

Vanderlei fragte sehr direkt: »Sie meinen Ihr Verhältnis mit Fany Tavares? «

Do Nascimento schaute zunächst überrascht, dann lachte er schallend.

»Das hat sie Ihnen erzählt? Mein so genanntes Verhältnis mit Fany war eine einmalige Sache, Neugier auf beiden Seiten, nichts Ernstes. Aber meine liebe Ehefrau Anna hat sich monatelang heimlich mit José getroffen und, glauben Sie mir, das war ein echtes Verhältnis. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich die Sache überhaupt realisiert hatte. Zuerst die üblichen Verdachtsmomente und irgendwann dann die Bestätigung. Ich weiß nicht, ob Sie schon mal in einer so blöden Situation waren. Eigentlich mögen sich alle Beteiligten und versuchen lange noch, die Fakten einfach zu ignorieren. Irgendwann hat es dann endlich geknallt und wir haben uns alles an den Kopf geworfen. Danach waren beide Ehen und leider auch die Freundschaft am Arsch. «

Er wurde wieder traurig. »Und jetzt ist José tot. Der dämliche Hund. Wissen Sie, ich habe ihn echt gemocht. «

Der große Mann wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Delegado, was glauben Sie, ist der Hintergrund für die schrecklichen Morde? Haben Sie schon eine Spur? «

Teixeira hatte nur zugehört. Er versuchte, sich mit seinem tropfnassen Taschentuch den Schweiß von der Stirn zu tupfen.

»Senhor do Nascimento. Es gibt bislang nur Indizien, aber keine Spur von dem Täter. Theoretisch müssen wir natürlich auch in Betracht ziehen, dass es sich um mehrere Täter handeln könnte, aber Instinkt und Erfahrung sagen mir, dass es sich in allen Fällen um ein und denselben Mann handelt. Und die Opfer hatten alle etwas mit Indústria Millers zu tun. Sagen Ihnen folgende Namen etwas? Leonardo Alves, Lucimar Silva.« Er machte eine kurze Pause, dann nannte er noch, einer Eingebung folgend: »Dante Lopez. «

Do Nascimento zögerte kurz, dann antwortete er: »Lopez? Ist das nicht dieser Sicherheitsmensch? Ich habe nur einmal mit ihm zu tun gehabt, als ich meine Zutrittsgenehmigung für das Betriebsgelände verlängern musste. Die anderen kenne ich nicht. Millers hatte damals bereits ungefähr fünfhundert Mitarbeiter in Manaus. «

»Vergessen Sie es. Es ist nicht wichtig. Lassen Sie uns jetzt bitte zurück nach Belém fahren. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns und ich würde unterwegs gerne noch etwas mehr über Ihre Zeit bei Millers und über José Tavares erfahren. «

Sie kletterten die Böschung hinunter zum Boot. Die Indios waren nirgendwo zu sehen. Der Außenborder sprang sofort an und do Nascimento steuerte das Boot geübt durch die sanften Wellen.

Über ihnen zogen schwarze Vögel ihre Runden, wahrscheinlich urubu, die Totengräber Brasiliens. Am Ufer konnte Teixeira hier und da die Bewegungen von Tieren wahrnehmen. Do Nascimento meinte, es handele sich um Otter und Wasserschweine.

Über das Knattern des Motors hinweg versuchte Teixeira, sich mit do Nascimento zu unterhalten. Nach anfänglichem Zögern begann der Mann immer lebhafter von seiner gemeinsamen Zeit mit José zu erzählen. Fast schien es, als helfe das Reden ihm, die Nachricht von dem gewaltsamen Tod seines ehemals besten Freundes zu verarbeiten. Vor Teixeiras geistigen Auge begann sich ein lebendiger, junger Tavares zu formen, der nicht zu dem toten Stück Fleisch passte, das in São Paulo auf dem Seziertisch gelegen hatte.

Die Männer hatten einige Gemeinsamkeiten entdeckt. Beide stammten aus einfachen Verhältnissen und hatten ihre Chance ergriffen, durch Fleiß und Zähigkeit eine akademische Ausbildung zu erlangen und auszubrechen aus einer wenig erfreulichen Jugend am Stadtrand, die bei Francisco immerhin durch heimliches Bücherstudium nach dem Fußballspielen geprägt war, bei José eher durch Ohrfeigen von einem ständig betrunkenen Vater, wenn der gerade mal nicht auf Wanderschaft war, um sich irgendwo als Hilfsarbeiter zu verdingen. Tavares bei Millers und do Nascimento als Berater der Holzwirtschaft hatten ihre Herkunft irgendwann hinter sich lassen können und waren in den Neunziger Jahren dabei, sich in der so genannten bürgerlichen Mitte zu etablieren. Man konnte sich nette Appartements leisten, fuhr mehr oder weniger teure Autos - do Nascimento war stolz darauf, dass er nach wie vor seinen Fusca Baujahr 1985 hatte - und die beiden verbrachten ihre Freizeit mit allerlei kulturellen und sportlichen Aktivitäten.

»José hatte sogar angefangen, Golf zu spielen. Sie können sich vorstellen, dass das für ihn als jüngstes von sechs oder sieben Geschwistern eine besondere Genugtuung gewesen sein muss. Mein Ding ist das nicht. Mir hat es immer mehr Spaß gemacht, mit José und ein paar anderen Freunden mit dem Kanu über den Fluss zu ziehen und abends am Lagerfeuer ein paar Bierchen zu zischen. Einmal waren wir...«

Der Forstwirt kippte plötzlich mitten im Satz nach vorne weg. Die Ruderpinne riss er dabei herum und das Boot verlor sofort an Fahrt, wechselte die Richtung und trieb mit der Strömung in die Flussmitte. Vorne fluchte Vanderlei, weil er einen Schwall Wasser abbekommen hatte.

Teixeira beugte sich nach hinten und rüttelte do Nascimento heftig. Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten auf den Knien als würde er beten. Er rührte sich nicht. Offenbar blutete er stark aus einer Kopfwunde. Der massige Kommissar rutschte ächzend über seine Sitzbank, die aus einem schmalen Holzsteg bestand und versuchte dabei, das heftig schwankende Boot nicht umzukippen. Schließlich saß er auf dem Hosenboden halb neben, halb über dem reglosen Körper und griff sich das Steuer. Er wusste dass man den Griff drehen musste, um Gas zu geben, ganz so wie bei einem Moped. Der Motor heulte auf und das Boot beschrieb einen Bogen in Richtung Ufer. Teixeira kniff die Augen zusammen und suchte nach einer Stelle, an der man aussteigen konnte. Gerade hier war die Vegetation aber sehr dicht und die Äste hingen teilweise bis ins Wasser herab. Zudem war das ohne seine Brille ein reiner Blindflug.

Er rief: »Vanderlei, hast du irgendwas mitbekommen? Unser Mann hier blutet. Ich glaube, jemand hat auf ihn geschossen. Wir sollten dringend an Land gehen und ihn untersuchen. Komm her, wir müssen die Plätze tauschen. «

Sein Assistent rollte die Augen und machte sich auf den Weg. Dieses Boot war ein gutes Stück länger als das des guten Osvaldo, aber extrem schmal. Er musste über irgendwelche Gerätschaften klettern, die auf dem Boden verstaut waren, während Teixeira so gut es ging versuchte, die Fahrtrichtung zu halten. Der Fluss mochte hier vielleicht zwanzig Meter bereit sein und sie waren nahe am linken Ufer. Endlich war Vanderlei direkt vor ihm und sah zunächst nach do Nascimento. Er tastete nach der Halsschlagader und nickte irgendwann.

»Chefe, er lebt noch. Ich kann seinen Puls ganz schwach spüren. Wie wollen wir es machen? Am besten rutschen Sie ganz an die Seite und ich versuche, über ihn hinweg zu steigen, dann greife ich mir das Steuer und versuche, eine Stelle zum Anlegen zu finden. «

Teixeira quetschte seine zwei Zentner ganz an die niedrige Bordwand und Vanderlei stand wackelig auf den paar Zentimetern, die ihm noch zwischen Teixeiras Füßen und do Nascimentos reglosem Körper blieben. Das schmale Boot schwankte hin und her wie eine Flaschenpost im Ozean und Vanderlei musste sich an seinem Vorgesetzten festklammern. Als er sich umdrehte, um sich hinzusetzen, verlor er endgültig den Halt und fiel wie ein Sack Maniokknollen ins Wasser.

Teixeira nahm sofort das Gas weg und das Boot stoppte. Er beugte sich zur Seite und nach hinten und versuchte, seinem prustenden Assistenten eine Hand zu reichen, aber er sah gleich ein, dass das nur dazu führen würde, dass er ebenfalls in den Fluss fallen würde. Bei dem Gedanken an die Candirú und an die Kaimane, die sie bereits auf der Herfahrt gesehen hatten, wurde ihm ganz übel. Aber gerade aus diesem Grund musste Vanderlei aus dem Wasser!

»Kannst du stehen? Wie tief ist das hier? «

Vanderlei trat Wasser und versuchte, mit einem Fuß den Grund zu erreichen. Sofort verschwand sein Kopf in der trüben Brühe. Als er wieder hochkam, keuchte er: »Zu tief, hier kann ich nur schwimmen. Ich versuche, ans Ufer zu kommen. Ins Boot schaffe ich es nicht, das kippt sofort um. «

Er warf sich herum und schwamm auf das Ufer zu.

Teixeira fluchte wie ein vaqueiro. Der Motor tuckerte im Leerlauf. Er drehte sachte am Gashebel und folgte dem Schwimmer.

Vanderlei wollte so schnell wie möglich aus dem Wasser. Mit einigen kräftigen Armzügen erreichte er das Ufer. Der Fluss wurde hier nicht flacher, also musste er nach einem herabhängenden Ast greifen und sich mühsam ins dichte Unterholz ziehen, das ihm Arme und Gesicht zerkratzte. Hier schaute er sich um und fand eine große Baumwurzel, die als Anlegestelle für das Boot herhalten mochte.

Teixeira nahm das Gas wieder ganz weg und lies sich treiben. Vanderlei packte das Boot und zog es längsseits. Teixeira griff do Nascimento unter den Achseln und wuchtete ihn ächzend hoch und dann über die Bordkante, während sein triefender Assistent mit einem Bein in der Wurzel hing, mit einer Hand das Boot hielt und mit der anderen versuchte, den leblosen Körper entgegen zu nehmen. Es ging natürlich schief und mit einem Mal lagen alle drei im Wasser. Das Boot erhielt einen Stoß und trieb sofort ab. Zum Teufel damit! Sie waren damit beschäftigt, sich selbst irgendwo festzuklammern und zudem noch do Nascimento vor dem Absaufen zu bewahren. Spuckend und fluchend zerrten, strampelten und schoben sie, bis sie schließlich halb im Gestrüpp, halb im Wasser hingen.

Die beiden Polizisten keuchten vor Anstrengung und unterzogen ihren leblosen Begleiter einer näheren Untersuchung. Teixeira untersuchte so vorsichtig er konnte die Wunde an do Nascimentos Hinterkopf.

»Merda!« Er legte dem Mann das Ohr auf die Brust. Das Herz schlug schwach, aber regelmäßig. Do Nascimento war tatsächlich anschossen worden. Wegen des Motorengeräuschs hatten sie den Schuss nicht gehört. Zum Glück schien er nur ein Haarbüschel und etwas Fleisch verloren zu haben. Die Wunde blutete stark. Teixeira zog dem Mann das Hemd aus und riss es in Streifen. Die Fetzen wickelte er ihm als behelfsmäßigen Verband um den Kopf.

»Was machen wir jetzt? Das Boot ist schon ein gutes Stück weggetrieben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das noch erreiche, wenn ich jetzt hinterher schwimme. Ehrlich gesagt, habe ich auch keine Lust, schon wieder in die Brühe zu springen! «

»Vanderlei, das kann ich dir nicht verübeln. Mir reicht es jetzt auch. Wir sollten versuchen, uns schleunigst aus dem Staub zu machen. Irgendjemand hat es auf unseren Chico hier abgesehen und wir geben hier schon wieder eine verdammte Zielscheibe ab. «

Sie zerrten do Nascimento irgendwie die Böschung hoch und lehnten ihn an einen Baum. Der Mann war weiterhin bewusstlos, was Teixeira angesichts des Fehlens jeglicher Schmerzmittel begrüßte.

Teixeira überschlug, wie weit sie seit ihrer Abfahrt vom Lagerplatz gekommen sein mochten. Gestern hatten sie bereits nach wenigen Stunden Bootsfahrt keine menschlichen Behausungen mehr gesehen. Do Nascimento hatte aber davon gesprochen, dass die nächste Siedlung nur ein paar Kilometer von ihrem Treffpunkt lag. Das war vor einer Stunde oder so gewesen. Aber sie waren auf der falschen Seite des Flusses. Sie hatten keine Ahnung, ob und wann sie auf Menschen treffen würden, aber wenn sie weiter hier herum saßen, bestand die Gefahr, dass der Killer nach ihnen suchen würde. Vielleicht steckte er gerade jetzt hinter irgendeinem Baum und hatte sie im Visier.

Aus einigen Ästen und do Nascimentos Gürtel bastelten sie eine höchst erbärmliche Trage, von der ihr Patient ständig herunterzurutschen drohte, aber das musste irgendwie gehen. Jeder schnappte sich zwei Astenden und sie brachen auf, weiter flussabwärts.

Zwischen den Baumriesen wuchsen kleinere Büsche und Schlingpflanzen und immer wieder versperrte ihnen ein umgestürzter Baum den Weg, über den sie mühsam hinweg klettern mussten wie Käfer. Nass waren sie sowieso schon und so machte ihnen die Feuchtigkeit hier im dichten Wald schon nichts mehr aus. Es war fast, als fiele ständig ein feiner Sprühregen aus den Wipfeln der uralten Bäume. Meist konnte man nur erahnen, wie weit nach oben die mächtigen Stämme reichten, die abwechselnd grünlich und rostrot schimmerten.

Vanderlei ging vor und Teixeira folgte ihm wie ein Blinder seinem Hund. Von ihrem kurzen Marsch heute Morgen, mittlerweile war es schon wieder Nachmittag und ihre Mägen knurrten wie die Jaguare, hatten beide bereits einige tiefe Risse in Haut und Kleidern davongetragen und hier war das Dickicht noch erbarmungsloser. Wie schon am Morgen hielten sie sich soweit es ging in der Nähe des Flusses, da an dessen Ufern unweigerlich früher oder später eine Siedlung auftauchen musste.

Bald klagte auch Vanderlei über Kopfschmerzen und Schwindel. Sie hatten keinerlei Nahrungsmittel. Trotz der hohen Luftfeuchtigkeit fehlte ihnen in erster Linie Flüssigkeit. Es war heiß und Teixeira rann der Schweiß in kleinen Bächen den Nacken und die Brust hinab. Er keuchte schwer und in den Schläfen spürte er heftig seinen Herzschlag. Ihre Schritte wurden immer kürzer.

Nach einer gefühlten Ewigkeit mussten sie eine Pause einlegen. Sie setzten die Trage vorsichtig ab und ließen sich auf einen umgestürzten Baumriesen fallen. Vanderlei hatte tiefschwarze Ringe unter den Augen und Teixeira hatte ihn noch nie so blass gesehen. Plötzlich fing der junge Mann an zu würgen und erbrach sich zwischen seine Füße.

Teixeira langte mit der Hand hinüber und fühlte ihm die Stirn. Der Junge hatte Fieber! Wahrscheinlich hatte ihm das wiederholte Baden in dem trüben Wasser nicht wirklich gut getan. Wer wusste schon, was da alles herum schwamm? Zu der physischen Erschöpfung gesellte sich langsam Resignation. Wie sollte das weitergehen? Er selbst war körperlich nahe am Zusammenbruch und jetzt wurde der Junge auch noch krank. Er konnte do Nascimento und ihn doch nicht hier lassen und halbblind alleine weiterlaufen. Zumal er am liebsten auch einfach hier sitzen geblieben wäre. Das war aber auch einfach zu blöd! Zwei erwachsene Männer, Polizisten zumal, die schon manch brenzlige Situation überstanden hatten.

Aber das war der Großstadtdschungel gewesen, in der er aufgewachsen war und den er kannte. Das hier war der echte Dschungel. In den Bäumen schnatterten Sittiche und andere Vögel, deren Laute er nicht zuordnen konnte und Affen brüllten oder kreischten. Myriaden von stechenden und beißenden Insekten erfüllten die Luft und bei dem Gedanken an das andere Viehzeug, das hier wahrscheinlich hinter irgendwelchen Büschen oder auf den Ästen lauerte, zogen sich ihm die Gedärme zusammen. Sie mussten hier weg!

»Vanderlei, meinst du, du schaffst noch ein paar Schritte? «

Der junge Mann hing kraftlos auf dem Stamm und hatte den Kopf an einen Baum gelehnt. Langsam schüttelte er den Kopf und presste zwischen den Zähnen hervor: »Chefe, mir geht es gar nicht gut. So schlecht war mir nicht mehr seit meiner Schulabschlussfeier und ich glaube nicht, dass ich es aus dieser Hölle raus schaffe. Lassen Sie mich einfach hier hocken und versuchen Sie, do Nascimento und sich zu retten. «

Teixeira erhob sich ächzend und atmete tief durch wie ein Leistungssportler, der sich auf seine nächste Übung vorbereitet. Dann brüllte er mit letzter Kraft: »Vanderlei Freitas de Conceição. Ich befehle Ihnen als Ihr Vorgesetzter, sich zusammen zu reißen. Wir marschieren jetzt die paar hundert Meter weiter bis zur nächsten Hütte und nehmen diesen bedauernswerten Mann hier mit. Wir sind Polizisten und keine Touristen! «

Die barsche Ansprache bewirkte tatsächlich, dass Vanderlei noch einmal seine letzten Kräfte mobilisierte. Die behelfsmäßige Trage schwankte zwischen ihnen, wie zwei Betrunkene stolperten sie weiter. Alle zwanzig Schritte lies Teixeira den jungen Mann etwas verschnaufen, dann ging es weiter.

Nach einer weiteren halben Stunde brach Vanderlei endgültig zusammen. Seine Beine knickten einfach unter ihm weg und er sackte zusammen. Die Trage knallte unsanft auf den Boden und do Nascimento stieß einen Schmerzensschrei aus. Teixeira hockte sich auf den Boden und sah nach seinen beiden Patienten.

Der Junge fieberte und atmete flach. Do Nascimento war durch den heftigen Aufprall aufgewacht. Stöhnend blickte er Teixeira verständnislos an und krächzte: »Was ...? Wo sind wir? « Er tastete nach seinem Kopf und schien nicht zu begreifen, warum er da in ein blutgetränktes Stück Stoff fasste. Er versuchte, sich aufzustemmen. Dann verdrehte er wieder die Augen und versank erneut in einer gnädigen Bewusstlosigkeit.

Teixeira blickte sich um. Irgendwo musste er sauberes Wasser und etwas Essbares herbekommen. Es war zum verrückt werden! Einige Meter weiter rauschte der Fluss vorbei, aber er war sicher, dass es genau diese braune Brühe war, die Vanderlei krank gemacht hatte. Auf der Herfahrt hatte er gesehen, dass die Anwohner im Fluss ihre Kinder badeten und ihre Wäsche wuschen und ziemlich sicher bezogen sie ihr Trinkwasser auch aus dem Fluss, aber wahrscheinlich hatten sich diese Menschen über Generationen an die Bakterien oder Kleinstlebewesen gewöhnt, die sie mit jedem Schluck aufnahmen. Sie aber kamen aus der so genannten Zivilisation und ihr Organismus war den Attacken wehrlos ausgeliefert. Um do Nascimentos Wunde auszuwaschen, war das Flusswasser sicher gänzlich ungeeignet.

Er dachte nach. Mit Vanderlei und dem Angeschossenen kam er nicht weiter und entweder kam bald ein Boot vorbei oder sie würden alle drei hier noch verrecken. Dabei waren sie doch nicht wirklich tief im Regenwald! Aber wo waren nur die Bewohner? Do Nascimento und seine Begleiter waren die einzigen Menschen gewesen, denen sie seit gestern Nachmittag begegnet waren.

Die Indios. Die mussten ja irgendwann Osvaldos Boot flott gemacht haben und sollten sich dann auf den Rückweg machen. Wenn er sich unten ans Ufer hockte, mussten sie irgendwann an ihm vorbei kommen. Das wäre die einzige Chance, heute noch hier weg zu kommen. Er wusste nicht, wie lange man bei den Temperaturen ohne Wasser und Nahrung aushalten konnte, aber Vanderlei war krank und musste zu einem Arzt und do Nascimento hatte überhaupt nur eine Chance, wenn er sehr bald hier raus kam.

Er brach einige Äste ab, um damit einen lächerlich fadenscheinigen Schutzwall um seine Kameraden zu errichten. Mit dieser hilflosen Geste wollte er es zumindest den vierbeinigen Viechern erschweren, an ihre wehrlosen Opfer heranzukommen. Dann bahnte er sich einen Weg durch das Gestrüpp zum Fluss. Das Ufer war hier steil und der Pflanzenteppich wirkte wie eine Rutschbahn. Er geriet mit einem Bein ins Wasser, bevor er sich an einer Wurzel festhalten konnte. Zwei Meter weiter war ein morscher Baumstamm in den Fluss gekippt. Diesen erkor er zu seiner Aussichtsplattform, hockte sich so gut es ging darauf, stützte das Kinn auf die Hand und wartete. Er war furchtbar erschöpft und mit der Zeit fiel es ihm immer schwerer, die Augen aufzuhalten. Der Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel machte ihm schwer zu schaffen. Er hatte Kopfschmerzen und sein Magen war ein Schwarzes Loch.

Unsinnigerweise kam ihm ein Film in den Sinn, den er und Silvana vor nicht so langer Zeit im Kino gesehen hatten. Mit diesem Schwarzen. Da ging es um den letzten Menschen in New York, der als einziger den bösen Virus überlebt hatte. Nachts musste er sich immer in seinem Haus verbarrikadieren, weil irgendwelche Mutanten (waren es nicht Vampire gewesen?) die verwilderte Stadt unsicher machten. Langsam kroch Teixeira eine Gänsehaut über den Rücken. Irgendwie kam er sich jetzt vor wie dieser Typ in dem Film. Ganz alleine und überall lauerten diese Kreaturen. Jedes Mal, wenn im Fluss ein Fisch oder ein anderes Tier plätscherte, schreckte er hoch und versuchte angestrengt, etwas zu erkennen. Einmal knackte ein Ast im Unterholz hinter ihm und er stellte sich vor, wie sich irgendetwas Großes an ihn heranschlich. Vorsichtshalber nahm er seine Pistole heraus und hielt sie in der Hand.

Er musste weggenickt sein, denn als er die Augen aufschlug, hatte sich die Dämmerung herabgesenkt und die letzten Sonnenstrahlen zauberten lange Schatten auf den Fluss.

Teixeira versuchte die bleierne Müdigkeit abzuschütteln. Er durchwühlte zum wiederholten Male seine Taschen. In der Hose hatte er neben den Einzelteilen seiner Brille immer noch sein Feuerzeug. Es war ein Einweg-Feuerzeug aus Plastik. Ein Werbegeschenk von seiner Tankstelle oben an der Avenida Interlagos. Er drehte das Rad und war überrascht, als ein kleines Flämmchen neben seinem Daumen erschien. Er blickte sich um und entdeckte einige lose Äste, die zwar nicht ganz trocken waren, aber nachdem er von der zerknüllten Zigarettenpackung aus seiner Hosentasche etwas Papier abgerissen und entzündet hatte, konnte er nach einigen Fehlversuchen ein rauchendes Feuer entfachen, das vielleicht wenigstens die Mücken abhalten würde.

Dann erhob er sich mit wackligen Beinen und kletterte die flache Böschung hoch, um nach Vanderlei und do Nascimento zu sehen.

Die Dunkelheit kam in diesen Breiten unmittelbar. Der Schein seines provisorischen Lagerfeuers reichte gerade zwei, drei Meter weit, danach waren nur noch Rauch und Schwärze. Zwischen den Bäumen war es bereits stockdunkel. Die Männer mussten gleich vor dem umgestürzten Baumriesen dort liegen, aber als Teixeira diesen erreichte, war do Nascimento nicht zu sehen. Er bückte sich und ertastete das schweißgebadete Gesicht Vanderleis mehr als er es sehen konnte - aber wo war do Nascimento?

Er stakste unbeholfen einige Schritte in jede Richtung und rief den Namen des Ingenieurs, aber der blieb verschwunden.

Teixeira hockte sich auf den Baumstamm und dachte nach. Er hatte geschlafen. Bestimmt eine Stunde oder länger. Do Nascimento musste aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht und aufgestanden sein. Wie weit konnte jemand mit einer Kopfwunde in dieser Umgebung kommen, wenn er so viel Blut verloren hatte? Nicht weit. Aber im Dunkeln und ohne Brille würde er ihn nur finden, wenn er direkt über ihn stolperte. Was tun? Wenn ein Tier den Mann geholt hatte, war es jetzt ohnehin zu spät. Meu deus! Was sollte er Anna erzählen? Wissen Sie, wir haben unser Boot verloren und dann ist Ihr Ex-Mann angeschossen worden und während ich geschlafen habe, hat ein Jaguar ihn gefressen. Das tut uns außerordentlich leid, der Polizeichef schickt seinen Vertreter zur Beerdigung. Wenn er noch lebte, was Teixeira inständig hoffte, würde er ihn morgen früh eher finden als jetzt.

Teixeira verwarf alle anderen Optionen und beschloss, Vanderlei zu seinem Feuerchen hinunter zu zerren und kräftig Holz nachzulegen. Wenn die Indios noch nicht vorbeigekommen waren, während er den Schlaf des Gerechten schlief, mussten sie das Lagerfeuer sehen. Außerdem würde es das Viehzeug fernhalten. Und die Vampire.


Armadeira

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