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Kapitel 2

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…Quatarian, unser geliebtes Land versinkt im Chaos. Die reichen Clans in den Städten führen ein Leben im Überfluss. Doch im weiten Sandmeer kämpfen meine Leute jeden Tag um ihr Überleben. Wir müssen handeln. Wir müssen aktiv werden, Freunde. Ich ertrage das Leiden dieses Landes nicht länger. Der Rat hat uns im Stich gelassen. Ich schlage ein Treffen vor, um die weiteren Schritte zu besprechen und freue mich auf ein Wiedersehen.

Nachricht der Rebellen an ihre Freunde in Seryna,

Stadt in Quatarian

Hiram zog seinen Schal weit über die Nase und sah durch die verdunkelten Gläser der Sandschutzbrille. Der Wind frischte auf, obwohl vor ihm Hitze flirrte. Sand peitschte auf seine Haut. Er trieb Yu immer wieder an, schneller zu werden. Endlich zeichnete sich eine vertraute Silhouette vor ihm ab und er rauschte ihr mit voller Geschwindigkeit entgegen. Sein Orientierungssinn verließ ihn nie. Der Wind gewann an Macht, verwandelte sich in einen Sturm und wirbelte die kleinen Körner um sie herum. Die Sicht verschlechterte sich schlagartig und sie kämpften sich den rettenden Felsen entgegen.

Yu warf Hiram ab, überschlug sich und schrumpfte wie eine eingegangene Pflanze zusammen. »Das war eng.« Er packte Yu und ließ ihn behutsam in eine seiner unsichtbaren Taschen gleiten. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, wie knapp sie dem Sandsturm entkommen waren. Zwischen einem Felsspalt schlüpfte er in den Höhleneingang. Es herrschte tiefe Finsternis. Hiram kannte jeden Stein, an denen er sich seinen Weg den Gang entlang bahnte. Sand rieselte von seinen Kleidern herab, während er weiterlief. Dann erhellte fahles Licht das Höhleninnere und er hörte leises Stimmengemurmel. Hiram grinste. Er trat aus dem Schatten in einen erleuchteten Raum.

»Du lebst ja noch - wer hätte das gedacht.« Gelächter wurde laut. Während Hiram sich in die Mitte seiner Sippe, drängte, kassierte er Schläge in den Oberarm und hartes Klopfen auf seine Schulter.

»Hey, du hast die Wette verloren. Her mit den Münzen!« Eine Elfin lachte und hob fordernd die Hand. Seufzend trat ein dünner Elf zu ihr und löste einen kleinen Beutel von seinem Gürtel. Hiram lachte erheitert und feixte: »Als ob ich in einem Sandsturm draufgehen würde. - Selbst Schuld, Myrin. Wette lieber auf deinen eigenen Tod, der ist wahrscheinlicher.« Er sah in die Runde. Sah die zerrissenen, schmutzigen Kleider der Rebellen und die Wärme, die sie im Herzen trugen und in ihren Augen, in Mimik und Geste sichtbar waren. Diese Sandelfen waren seine Familie. Nerana, eine Elfin mit blassgelben Augen und stürmischer Frisur fing seinen Blick auf.

»Jetzt schau nicht so drein, Hiram. Das ist nicht das Ende Vahiras. Irgendwann siehst du uns alle wieder.« Sie stupste ihn aufmunternd in die Seite.

Virgall, ein älterer rothaariger Elf, lachte bitter: »Vermutlich in den Sternen, wenn es mit Quatarian so weitergeht.« Er barg seinen Kopf in einen pechschwarzen Schal und sah ins Leere.

Leicht gebeugt trat ein hochgewachsener Sandelf aus der dunklen Ecke. »Schweig, Virgall! Die Lage des Landes ist schlecht. Dem stimme ich zu. Aber das heißt nicht, dass wir nicht weiterhin überleben werden.« Opales Auge funkelte matt.

Die Gruppe schwieg kurz bis sich Nerana zu Wort meldete: »Es wird schwer werden. Wenn alle Rebellengruppen dem Rat wirklich den Krieg erklären, werden wir kaum noch Beute finden. Die anderen Länder werden sich auch von uns abschotten. Niemand will sich mit einem Bürgerkriegsland auseinandersetzen. Ich glaube, Hiram macht es richtig.«

Der sah betreten zu Boden. Myrin klopfte ihm fröhlich auf die Schulter. »Und wenn Hiram mit dem Gold zurückkommt, dann ist das doch alles kein Problem.« Myrin legte den Arm um ihn und schwärmte: »Wir werden leben wie die Könige, wir werden immer zu essen und zu trinken haben. Kein Kampf mehr für ein paar Münzen, keine Angst mehr vor dem Überleben.«

In Hiram rührte sich Zuversicht. Seit sie den Plan schmiedeten, war ein Hoffnungsschimmer in die Herzen seiner Freunde zurückgekehrt.

»Mit unserem Meisterdieb und einem so reichen Land wie Lysann müssen wir nichts mehr befürchten«, beendete Myrin sein Loblied.

Die Rebellen lachten fröhlich. »Bis du zurückkehrst, werden wir die Stellung halten. Mach dir also um uns keine Sorgen.« Opales zog den Verband zurecht, der sein linkes Auge verbarg. Nerana setzte sich neben Hiram auf eine steinerne Bank. »Dann weiht mich ein. Wie willst du es an einem Stück zu den Lichtelfen schaffen?«

Grinsend kramte Hiram in seiner Tasche, zog ein gefaltetes Papier heraus und faltete es vorsichtig auseinander. Er verdiente sich ein paar anerkennende Blicke.

»Ich war in den letzten Tagen unterwegs, um alles für die Reise zu sammeln. Also…« Hiram deutete auf die zerknitterte Karte.

»Ich hatte vor, von Quatarian über Rosalis nach Lysann zu reisen. Rosalis soll das genaue Gegenteil von unserem Land sein. Alles blüht und überall ist es rosa und grün. Außerdem eilt unser Ruf uns voraus, kein Sandelf komm auf legalem Weg über die Grenze von Hillesan. Ich war vor einigen Monden dort und habe ein Schlupfloch finden wollen, aber es gibt keines. Die Tumulte, die sich hier ausbreiten, sind dort bekannt. Von Rosalis aus sollte es besser laufen mit der Grenzüberquerung …«

Alle hörten ihm staunend zu. »Du willst über den Wasserweg von Rosalis nach Lysann? Das wären Tage auf dem offenen Meer. Ist die Route über Pardis nicht sicherer?« Virgall deutete auf das lang gestreckte weiße Reich auf der Karte. Hiram schüttelte entschieden den Kopf. »Lieber schneide ich mir einen Arm ab, als mich durch das Schneemeer zu kämpfen!« Er lachte. »Aber macht euch keine Sorgen. Yu und ich packen das. Irgendwo wird vielleicht auch eine Insel zum Ausruhen sein. Ah, bevor ich es vergesse, ich habe etwas für euch. Nennen wir es Reisevorbereitung.« Grinsend zog er aus verschiedenen versteckten Taschen Beutel mit Silbermünzen heraus. Die Elfen brachen in Gelächter und fröhliche Stimmung aus.

»Reisevorbereitung, hm? Du solltest uns öfter verlassen.«

Nerana wandelte sich für einen Moment in einen Sandstrudel und verschwand durch die Ritzen in der Höhle. Sekunden danach tauchte sie wieder auf. »Der Sturm ist vorbeigezogen, Hiram. Es wird langsam dunkel. Da reist es sich bekanntlich besser.« Sie zwinkerte ihm zu. Im Schutz der Dunkelheit konnte er sich an den Krisengebieten vorbeischleichen.

Die ganze Sippe folgte ihm zum Eingang der Höhle.

»Pass auf dich auf, Kleiner, okay?« Myrin klopfte ihm lächelnd auf den Rücken.

»Und lass dich nicht schnappen. Wir wollen das Gold schließlich hier und nicht im Kerker.«, fügte Nerana lachend hinzu.

Virgall nickte Hiram zu. »Auf ein besseres Leben, wenn du wieder zu uns zurückkehrst.«

Opales legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Bring uns Glück, Junge. Auf ein neues Leben.« Er grinste in die Runde.

»Was mach ich nur so lange ohne euch Chaoten« Er bekam einen kurzen Stoß und fiel auf Yus schuppigen Rücken. »Jetzt ab mit dir, Hiram. Und viel Erfolg. Der Sand trage dich heil zu deinem Ziel!«

Hiram atmete die frische, blumige Luft von Rosalis ein, besuchte eine kleine Teestube am Hafen und sah zum ersten Mal die Schönheit des Meeres. Für einen Augenblick schloss er die Augen und genoss den lauen Wind in seinem Gesicht. Lächelnd dachte Hiram an das Mädchen, das er in der Teestube getroffen hatte. Die Elfen waren hier so anders als in seiner Heimat. Sie waren frei, fröhlich und ohne Angst.

Er griff in eine seiner Taschen und spürte, wie Yu sich an seiner Hand festsaugte. »Wasser ist wie Sand, mein Freund, du packst das schon.« Der Hafen war wie leer gefegt. Hiram sprang vom Steg hinunter auf grobe Kieselsteine. »Jetzt nicht den Mut verlieren, Kleiner«, sagte er zu Yu und sich selbst, als er ihn aus der Tasche nahm. Er warf ihn ein Stück in die Höhe und der Sandhai entfaltete seine volle Größe, ehe er den Boden berührte. Geschmeidig schwebte Yu zurück zu ihm. Sein breites Maul zeigte eine Reihe eindrucksvoller, messerscharfer Zähne. Hiram sah seinem Gefährten in die großen schwarzen Augen. »Du musst einen Rekord Start hinlegen, damit die Hafenarbeiter uns mit diesen Ontlingen nicht einholen können.« Yu drehte sich einmal um die Achse und Hiram sprang auf seinen Rücken. »Bist du bereit, mein Freund?«

Die Reise über das Wasser zerrte an Hirams Nerven. Er fühlte sich ohne Boden unter seinen Füßen unwohl. Keine seiner Fähigkeiten war hier von Nutzen. Ohne Yu wäre er inmitten des Meeres verloren gewesen. Eine kleine unberührte Felseninsel wurde ihr erstes und einziges Lager. Seinen Proviant teilte er mit Yu. Hiram war es gewohnt, sehr wenig Nahrung zu sich zu nehmen.

Sein Herz jubelte vor Freude, als sie endlich Festland erblickten. Er konnte nicht aufhören zu lächeln. Am Horizont zeichnete sich sein lang ersehntes Ziel ab. Ein lauter Jubelton drang aus seiner Kehle. Goldschimmernde Bäume ragten hinter dem Ufer hervor.

»Bei der Sonne, Yu! Wir sind wirklich in Lysann«, flüsterte Hiram triumphierend, als er festen Boden unter den Füßen hatte. Yu stieß heiße Luft aus seinem Maul aus. Seine grauschuppige Haut glänzte in der Sonne. Hiram steckte Yu zur Belohnung in die Tasche mit Nahrung, dann ließ er sie wieder an seinem Körper verschwinden. Das Ufer im Auge, wagte er sich in den Wald hinein. Wenn er die Karte noch richtig in Erinnerung hatte, waren sie ziemlich nahe am pardischen Grenzgebirge. Plötzlich knackte ein Ast unter seinem Fuß, als er sich langsam durch das Gestrüpp hindurcharbeitete. Hiram zuckte unwillkürlich bei jedem Geräusch zusammen. Vogelgesang und andere ihm unbekannte Laute erfüllten den Wald. Dann nahm er Gemurmel und Schritte war. Hiram kroch in das dichteste Gebüsch, das er auf die Schnelle erreichte. Er zwang sich zu einer flachen Atmung. Die Schritte kamen näher.

»Glaub mir, ich habe hier etwas gehört. Der König sagte, wir sollen alles genauestens überprüfen.« Hiram gefror das Blut in den Adern. Sie waren nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Lautlos und vorsichtig kroch er weiter. Er musste sich weit genug in die Böschung verkriechen, dann hatte er immerhin den Hauch einer Chance, nicht entdeckt zu werden. Er hörte, wie ein zweiter Elf seufzte.

»Bist du ganz sicher? Welcher Elf, der noch einen Funken Verstand in sich trägt, sollte schon freiwillig hierherkommen?« Ein raschelndes Geräusch erklang hinter ihm und sein Herz setzte einen Schlag aus.

»Du hast recht. Überprüfen müssen wir es dennoch.« Eine kurze Pause entstand. Hiram wagte kaum zu atmen. Wenn sie ihn hier erwischten, wären all seine Träume, jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft für seinen Clan gestorben. Seine Familie würde er in den Sternen wiedersehen.

»Sieh mal, was hab’ ich dir gesagt! Das Ding muss ja riesig sein.« Er hörte erneut ein ungeduldiges Seufzen. Hiram verfluchte sich innerlich. Er hatte Yus Spuren am Ufer nicht verwischt.

»Willst du wirklich etwas so Großes verfolgen? Außerdem endet die Spur hier schon.« Sie standen nun so nahe bei ihm, dass er die Stiefel der Wachen betrachten konnte. Wenn sie ihre Köpfe weit genug senkten, wäre es vorbei. Gerüchten zufolge ging Lysann mit Eindringlingen nicht zimperlich um. Aber diese Gerüchte besagten auch, dass Lichtelfen vom Gold geblendete Hohlköpfe in schönen Gewändern seien. Also würde er im Ernstfall einfach seinen quatarianischen Charme spielen lassen. Beinahe hätte Hiram losgelacht.

»Ich setze keinen weiteren Fuß in den Goldwald. Ich habe ein Neugeborenes zu Hause. Was auch immer hier hereingekommen ist, lange wird es nicht überleben.«

Sein Gefährte stimmte brummend zu. Hiram sah, wie sich die Stiefel entfernten. Er schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender. Die Lichtelfen waren wirklich gegangen. Wenn er ihrem Gerede Glauben schenken konnte, musste auch er ganz schnell aus diesem Wald heraus. Er wusste nicht, was ihm hier auflauern konnte und die Ungewissheit ließ ihn erschaudern. Um sich blickend schlich Hiram in die Richtung, in die die Elfen verschwunden waren und hoffte, der Weg würde nicht tiefer in den Wald führen. Nachdem er eine Weile gegangen war und sich an den Wald und seine Geräusche gewöhnt hatte, wurde er ruhiger. Nur das leise Summen, das hin und wieder hinter ihm auftauchte, beunruhige ihn. Er bemerkte, wie hell Lysann war. Die Blätter der Bäume waren in zarte gelb-goldene Töne getaucht. Moos und Butterblumen wuchsen aus dem weichen Erdboden. Keine Erzählung reichte an die prächtige Schönheit dieses Landes heran. Das Land des Lichts. In Quatarian wurde es nur das Land des Goldes genannt. Ein passender Name, denn selbst die verdorrten Blätter schimmerten wie eine Kostbarkeit.

Langsam begann sich der Wald zu lichten und die Anspannung fiel von seinen Schultern. Er hatte es geschafft. Seine Träume waren in greifbare Nähe gerückt. Ein Pfad durchbrach den immer gleichen Waldboden und er folgte ihm.

Sein Magen knurrte bereits, als er das erste Dorf erspähte. Nach seinem Zeitgefühl sollte bald die Nacht einsetzen, doch davon war hier noch nichts zu sehen. Der Himmel war taghell erleuchtet. Ob es so etwas wie eine Nacht in Lysann gar nicht gab? Schliefen die Elfen hier vielleicht nie? Hiram spürte die Müdigkeit in seinen Knochen. Es war eine lange Reise gewesen. Mit seiner schmutzigen und zerrissenen Kleidung war es keine leichte Aufgabe, sich bedeckt zu halten. Sandelfen aus Quatarian genossen ohnehin kein gutes Ansehen im Elfenreich. Er musste sich zuerst neue Kleidung besorgen, um sich anzupassen. Sonst würde er es wahrscheinlich gleich mit den Wachen zu tun bekommen. Er wusste nicht, wie die Lichtelfen auf ihn reagierten. Niemand, den er kannte, war je wirklich hier gewesen. Unschlüssig blieb er etwas außerhalb des Dorfes stehen. Wenn er so hineingehen würde, könnte man die Wachen auf ihn hetzten. Draußen unter freiem Himmel schlafen, wollte er nach dem Gespräch der beiden Elfen an der Grenze allerdings lieber vermeiden. Nach kurzem Zögern marschierte Hiram auf das Dorf zu. Elfen mit goldenen Augen und goldbraunen Haaren eilten geschäftig über die Straßen. Keiner beachtete ihn. Die Lichtelfen waren zu sehr mit ihren Vorbereitungen beschäftigt. Nach kurzer Zeit kam er an einer kleinen Taverne vorbei. Mit etwas Glück würde der obere Teil des Hauses den Gästen zur Verfügung stehen. Hiram wog seine Möglichkeiten ab. Er brauchte einen Schlafplatz. Bei dem Gedanken an ein Bett musste er lächeln. Seine Kupferplättchen und die paar silbernen Arenmünzen die er besaß hatte er in Rosalis in Lay, die Währung der Lichtelfen, getauscht. Dieses Geld konnte ihm ein warmes Essen ermöglichen, trotzdem hatte er nicht vor, alles in der ersten Nacht in Lysann zu verprassen. Die Elfen hier würden ein bisschen Gold sicher nicht vermissen. Er befand sich schließlich im reichsten Land Vahiras. Als er die Taverne betrat, machte er sich ein schnelles Bild von seiner Umgebung. Die Stube war fast leer. Ein Junge mit dem goldbraunen Haar eines Lichtelfen und ein Mädchen mit ungewöhnlich rötlichem Haar saßen am Tresen. Der Junge machte keinen sonderlich starken Eindruck. Das Mädchen starrte mit leerem Blick in ihren Krug. Sie würden eine leichte Beute sein und er hätte einen Schlafplatz. Hiram lief auf den Tresen zu. »Habt ihr Schlafräume für einen müden Reisenden?« Er schenkte dem Wirt ein treues Lächeln. Ihm war bewusst, dass er keinen guten ersten Eindruck abgab. Der Wirt warf ihm einen abschätzigen Blick zu.

»Fünf Lay Münzen und dir gehört der Dachboden.«

Hiram nickte eifrig. Er begann, in Richtung der Treppen zu gehen, direkt an den beiden Elfen vorbei. Es brauchte nur eine geschickte Handbewegung und er konnte in Ruhe sein Zimmer beziehen. Doch mitten in der Bewegung spürte er, wie sich eine starke Hand um sein Gelenk schloss. Hiram wurde kalt, wie konnten sie das bemerkt haben? Seine geschickten Finger registrierte sonst niemand!

»Lass das lieber. Es ist keine gute Idee, sich mit uns anzulegen.«

Der kalte Blick des Jungen durchbohrte ihn förmlich. Ein Schauer lief Hiram über den Rücken. Der Wirt trat näher. Doch der Junge winkte ab. Das rothaarige Mädchen sah von ihrem Krug auf. Ihre Augen erstrahlten in den Farben des Feuers. Hiram vergaß für einen Moment, dass seine Hand in der des Jungen gefangen war. Das Mädchen war unbeschreiblich schön und so ungewöhnlich, das er sie immer noch anstarrte.

»Ich glaube, du kannst ihn loslassen, Tayh. Das war ja ein armseliger Versuch.« Sie lachte. Hiram verspürte den Drang, im Boden versinken zu wollen. Auch der Junge grinste und ließ ihn los. Er rieb sich das Handgelenk, das morgen sicher schmerzen würde. Einen so starken Griff hätte er dem Jungen von seiner Statur her nicht zugetraut. Die beiden warfen sich einen fragenden Blick zu. Dann sahen sie wieder zu Hiram.

»Da heute das Sternenfest ist, darf Seyty entscheiden, was wir mit dir machen«, sagte der Junge mit einem durchtriebenen Funkeln in den Augen. Er sah Hiram abschätzig an. Es war ganz klar, was er von ihm hielt.

»Wie heißt du?«, fragte die Elfin.

»Wieso wollt…«

Der Lichtelf unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung.

»Beantworte einfach die Frage, das macht es uns allen leichter.« Seine Stimme klang kalt wie Eis, doch er selbst wirkte eher gelangweilt.

Hiram seufzte. In diesem Moment kam es ihm vor, als wäre sein Leben eine Aneinanderreihung von unvorhersehbaren Schwierigkeiten. »Ich bin Hiram«, sagte er nach einer kurzen Pause.

In den Augen der Elfin schienen sich Flammen zu bewegen. Er starrte sie an, er konnte nicht anders.

»Du bist ein Sandelf«, bemerkte sie. »Hast du Familie in Lysann?«

Hiram nickte knapp. Das war eine glatte Lüge. »Ich komme aus Quatarian. Dort droht ein Bürgerkrieg. Ich bin vor der Gefahr geflohen.« Er lächelte den beiden entschuldigend zu in der Hoffnung, sie würden ihn doch noch laufen lassen.

»Tayh, willst du ihn wirklich an die Wachen übergeben? Ich meine, ja es ist unsere Pflicht, aber…« Sie ließ den Satz ins Leere laufen.

»Aber was?«, zischte Tayh.

»Er ist fremd in diesem Land. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich komme schließlich auch nicht von hier. Bedenke wie die Lage in Quatarian ist.«

Der Lichtelf nahm seinen Krug und trank einen Schluck.

»Du bist also der Meinung, wir sollen ihn laufen lassen, weil Stehlen in seinem Land normal ist? Glaubst du, er würde aufhören? Er lügt. Wie er aussieht, kommt er nicht von der reichen Seite seines Landes. Ich glaube, er gehört zu den Rebellen. Auch wenn seine Darbietung bescheiden war, er hat die geübten Hände eines Diebes.« Tayhs kühle Miene war starr auf Seyty gerichtet.

»Ich verspreche euch, ich werde nicht mehr stehlen. Das war ein dummer Fehler, eine Angewohnheit, die ich noch ablegen muss. Ich meine…«

Er erntete einen finsteren Blick von Tayh.

»Wieso traust du ihm, Sey?«

»Spürst du es nicht?«

Tayh wartete einen Moment, als würde er in sich hineinhorchen. Dann seufzte er tief. »Du willst ihn also laufen lassen?«

Seyty lächelte ihm zu und nickte. »Wenn er nochmal stehlen sollte, wird er sicher von jemand anderem erwischt.«

Tayh schüttelte den Kopf. Er kramte kurz in seiner Tasche und warf Hiram einen kleinen Beutel zu. Überrascht fing er ihn auf. Es befanden sich einige Münzen darin.

»Für den Schlafplatz. Sey scheint dich zu mögen. Ich bin mir bei dir nicht so sicher, aber ich vertraue ihr. Eine letzte Chance, normalerweise bin ich nicht so gutherzig.« Mit diesen Worten drehte er sich um und wendete seine Aufmerksamkeit wieder der goldenen Flüssigkeit in seinem Krug zu. Seyty schenkte Hiram ein kurzes grinsen. »Wenn du länger in Lysann bist, musst du unbedingt Laynox besuchen. Eine wunderschöne Stadt. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.« Dann drehte sie sich zu Tayh um.

Erstaunt und unfähig, etwas zu sagen stand Hiram da. Ein ungewohntes Gefühl stieg in ihm auf - Dankbarkeit. Er fand seine Stimme wieder und murmelte: »Danke euch.« Dann schlich er zum Wirt, gab ihm zwei Goldstücke und begab sich zum Schlafraum.

Die feurigen, faszinierend schönen Augen gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Was sie wohl gemeint hatte? Was sah sie in ihm? Was hatte sie gespürt, um ihm so zu vertrauen? Seine Gedanken begleiteten ihn bis in den Schlaf.

Laute Rufe und Gelächter weckten ihn nur kurze Zeit später. Er sah aus dem kleinen Fenster. Die Straßen waren übervoll mit Elfen und die Sonne war untergangen. Neugierig lief Hiram hinunter durch die leere Taverne hinaus auf die Straße. So viele Elfen hatte er selten zusammen gesehen. Neben den Lichtelfen standen große goldene Füchse mit riesigen Ohren. Nerana hatte sie erwähnt, sie wurden Auris genannt. Sie waren die Reittiere dieses Landes. Als er an einem dieser majestätischen Tiere vorbei ging, musste er sofort niesen.

Das Sternenfest, diesen Feiertag hatte er schon fast vergessen. In Quatarian wurde es nicht so pompös gefeiert. Ihre Rituale und Bräuche waren ganz anders. Alles in Lysann war ihm fremd. Wie von selbst wanderte seine Hand immer wieder in die Taschen der Elfen und angelten kleine Beutel heraus, während er sich einen Weg durch die Straßen bahnte. Seine Gedanken schweiften jedoch ab. Er sah die feurigen Augen vor sich, die ihn bis in den Schlaf verfolgt hatten. Er achtete weniger auf seine Umgebung. Ihre Stimme hallte in seinem Kopf wider. Was ihre Worte nur zu bedeuten hatten?

Als er einen festen Griff um sein schmerzendes Handgelenk spürte, schreckte er auf. Erschrocken drehte er sich um und blickte in das Gesicht eines Lichtelfen, der ein festliches Gewand trug, aber unverkennbar ein Soldat war. Hirams Herz begann gegen seine Brust zu trommeln. Ihm wurde kalt. Innerlich verfluchte er sich für seine Unachtsamkeit.

»So ein ehrloses Vergehen an einem heiligen Tag wie diesem. Ich warne dich, wenn du jetzt Theater machst, bist du der nächste da oben in den Sternen.« Der Soldat hatte eine beunruhigend tiefe Stimme. Sein Griff war eisern. Hiram wusste, Widerstand war zwecklos. Der Soldat schleifte ihn mit sich durch die Menge.

Lysann

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