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Kapitel 3
ОглавлениеLieber Tayh, Liebe Seyty,
Unsere Lebenszeit ist nicht unbegrenzt. An meinem 3601. Geburtstag möchte ich keinen Honigkuchen mehr essen, auch wenn ihr euch immer viel Mühe gebt. Ich will heute in die Sterne gehen zu meiner Geliebten. Ihr seid stark- stärker als ihr vermutet. Sucht euch nette Gefährten, auch du, mein hübsches Feuermädchen. Denn mit euren Kochkünsten werdet ihr nicht lange überleben. Seid stark und tapfer, habt immerzu euer Ziel im Blick und befleckt eure Seele nicht mit einem unreinen Gewissen. Die Speisekammer ist gefüllt und meine Geheimrezepte liegen in der Stube.
Tayh, ich wusste, was in dir steckt von dem Moment an, als ich dich das erste Mal in den Armen hielt. Deine Kraft darf nicht offenbart werden, sonst war alles umsonst.
Bis die Sterne uns wieder vereinen. Lebt wohl, Kinder.
Dimitri, Krieger und ehemaliges Mitglied der alten Königsgarde
»Ein Hoch auf Dimitri Decalto. Er war der beste Mann, Krieger und Lehrmeister, den ich je kannte. Auf Dimitri!« Tayh erhob seinen Krug. Met schwappte über den Rand und tropfte auf den klebrigen Tresen.
»Auf Dimitri!« Mit einem lauten Klirren stießen die beiden Krüge aneinander.
»Wir haben dir so viel zu verdanken, alter Mann. Möge dein Stern nie erlöschen.«
Seyty nahm einen kräftigen Schluck Met und hob den Blick zur Decke. Dann sah sie in die goldbraunen Augen ihres Freundes. »Ohne ihn wären wir uns nie begegnet.«
Tayhs Mundwinkel verzogen sich leicht nach oben. Er nickte und blickte in seinen Krug, beobachtete, wie die Flüssigkeit darin hin und her schwappte. Auch er nahm einen langen, tiefen Schluck.
»Ohne ihn wäre ich eine Gefangene ... Er hat mich gerettet«, sagte Seyty und stellte ihren Krug langsam auf dem Tresen ab. Ihr Blick war in weite Ferne gerichtet. Sie war in ihren Erinnerungen gefangen. Eine der letzten ihres Volkes zu sein, erfüllte ihr Herz am Tag des Sternenfests mit tiefer Trauer.
»Er hat auch mich gerettet.« Gab Tayh zögernd zu.
Seyty sah ihn mit aufmerksamen, großen Augen an.
»Er war ein starrköpfiger Krieger mit einem Herz so groß wie das Lichtreich - und zwei seltsamen Findelkindern.«
»Findelkindern?« Sie lächelte ihm zu, doch es erreichte ihre Augen nicht.
»Seit wann bist du denn so rührselig, Tayh? Heute ist zwar das Sternenfest, aber so bist du sonst nie. Willst du mir etwas sagen?«, fragte Seyty stirnrunzelnd.
Tayh seufzte. »Du sagst mir doch immer, ich sollte ehrfürchtiger an diesem Tag sein und meine Gefühle zeigen.« Er lächelte neckisch.
Seyty lachte herzlich. »Erwischt. Aber du hast dich sonst nie daran gehalten. Vielleicht spricht ja auch der Met aus dir. Kannst du dich an das Training erinnern, nachdem wir Dimitris Honigweinvorrat geplündert hatten?«
Tayh nickte und verzog das Gesicht. »Das war schmerzhaft. Du kannst froh sein, dass der alte Mann dich verschont hat.«
»Er hat mich nur verschont, weil du mich gedeckt hattest.« Sie machte eine kurze Pause und sah Tayh an. »Danke.«
Doch der winkte ab. »Nicht dafür, Sey. Weißt du noch, was er danach getan hat?«
Sie musste nicht lange überlegen. »Er hat das Feuerholz so wutentbrannt in kleine Stücke gehackt, so als würde er uns zu Kleinholz verarbeiten.« Sie lachten und tranken eine weitere Runde.
Der Wirt stand hinter dem Tresen und wartete auf eine neue Bestellung, die Taverne war ansonsten leer. Die ganze Stadt war mit den Vorbereitungen für die Zeremonie und das Fest beschäftigt. Es war eine ehrwürdige Stille. In Gedenken an die Elfen, die zu den Sternen gegangen waren und an all jene, die diese Entscheidung nicht selbst treffen konnten. In Gedenken an alle, die verloren für die Lebenden waren.
»Was würde ich jetzt für seine Parano-Pfanne geben. Diese Spezialität vermisse ich fast am meisten.« Seyty hob sich den Bauch.
Tayh nickte lächelnd. »Kochen konnte der alte Mann verdammt gut.«
Beim Gedanken daran lief ihnen das Wasser im Mund zusammen. Eine Pfanne mit allerlei Gemüsesorten, Fleisch und Honig. »Dimitri konnte uns nie sagen, wenn er stolz auf uns war. Aber durch seine Parano-Pfanne wussten wir es. Du hättest dir seine Verschwiegenheit übrigens nicht aneignen müssen, Tayh«, stichelte sie ihn. Er zuckte nur mit den Schultern.
»Ich bin, wie ich bin, Sey.« Seine Stimme klang bitter, seine Augen verdunkelten sich.
»Tut mir leid, Tayh.«
Er nahm seinen Krug und leerte ihn auf einen Zug.
»Macht nichts, Sey. Keine Sorge.« Auch sie leerte ihren Krug.
Beide schwiegen, während der Wirt die Krüge abräumte und sie mit einem Lappen auswischte. Der Alkohol kroch Seyty ins Blut und sie fühlte, wie ihr Herz ganz schwer wurde.
»Kannst du dich noch an unsere erste gemeinsame Trainingsstunde mit dem alten Mann erinnern?« durchbrach Seyty die Stille.
Tayh sah vom Tresen auf. Seine Mundwinkel zuckten nach oben.
»Du warst so bleich, ich dachte, du fällst jeden Moment um.« Sie stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite.
»Ich hatte wirklich Angst. Er hat nie Nachsicht gezeigt«, sagte Seyty gedankenversunken. Tayh legte den Kopf schräg. »Seine Lehrmethoden waren... eigen. Aber sie haben uns vorbereitet. Auf alles was war und noch kommen wird. Er wollte nur das Beste für uns.«
Seyty nickte bedächtig. »Er hat uns Tapferkeit gelehrt.«
»Ein guter Mann. Streng, aber fair.« Tayh sah Seytys Augen dunkler werden. Seine Ablenkung hatte nur kurz gewirkt. Von draußen erklang leise Musik. Die Straßen füllten sich langsam. Seyty gab sich jedes Jahr große Mühe, den Schmerz ihrer Vergangenheit zu verbergen, doch vor ihm konnte sie nichts verstecken. Ihre Haut war aschgrau. In ihren Augen war die Flamme fast erloschen, ein Spiegel der Trauer in ihrem Inneren. »Du denkst an sie, oder?«
Seyty sah Tayh nicht an. Das musste sie auch nicht. Er wusste es ganz genau.
»Du solltest dir endlich selbst vergeben Sey. Du kannst die Vergangenheit nicht ändern.« Sie rührte sich nicht.
»…Sagt der Richtige...« murmelte sie mit schwankender Stimme.
»Das Sternenfest ist ein Tag der Freude und des Gedenkens an die Verstorbenen. Du wirst bei der Zeremonie alle runter ziehen mit deiner Stimmung, Sey.«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Ich sollte nicht an der Zeremonie teilnehmen. Ich bin nicht würdig. Ich... Was ich getan habe, ist unverzeihlich ...« Eine Träne lief ihre Wange hinunter. Tayh zog sie zu sich und hielt sie fest umschlungen. Er strich mit einer Hand beruhigend über ihren Rücken und legte sein Kinn auf ihren Kopf.
»Du weißt, dass das nicht wahr ist. Es war ein Versehen. Und du hast keine Wahl. Du musst teilzunehmen. Der alte Mann würde es sich wünschen. Er würde dich außerdem mit dem Schwert verprügeln, wenn du wegbleiben würdest.« Er lächelte unmerklich, obwohl sie ihn nicht sehen konnte. »Außerdem sind wir nicht in Laynox. Hier kennt dich niemand. Keiner wird etwas über dich sagen. Und wenn doch, weißt du ja, was passiert.« Seytys Mundwinkel zuckten nach oben.
»Du hast letztes Jahr so viele Leute verprügelt, dass wir vor den Wachen fliehen mussten.« Tayh lächelte ebenfalls. »Ironisch, nicht?«
»Geht es wieder?«, fragte Tayh nach kurzem Schweigen und ließ von ihr ab. Sie nickte knapp. Musik drang von außen in die Taverne. Die Straßen waren gut gefüllt und überall tummelten sich Elfen. Die Stimmung war fröhlich, feierlich. Tayh kramte in seiner Tasche und warf dem Wirt ein paar Münzen hin, ehe er aufstand.
»Die Zeremonie beginnt bald, kommst du?«
Seyty zögerte. »Schau mich nicht an, als wäre ich ein Irrlicht«, sagte sie, als sie vom Hocker hinunterglitt und ihr rotes Kleid glattstrich.
»Es erstaunt mich nur jedes Jahr aufs Neue, dass es dir noch passt«, lachte Tayh. Doch dann flogen schon Funken auf ihn und er spürte ein Brennen und Stechen auf der Haut. »Sey, du hast mich in Brand gesteckt!« Tayh nahm sie an der Hand und zog sie mit sich hinaus. Draußen klopfte er sich die Glut von seinen Kleidern. »Hattest du deinen Spaß?«
»Oh ja, den hatte ich«, grinste Seyty und legte einen Arm um ihren Freund, während sie durch das Städtchen liefen. Elfen tanzten auf den Straßen, spielten Musik oder hatten sich in Gruppen versammelt, umringt von ihren Auris. Die Sonne stand tief am Himmel. Es würde nicht mehr lange dauern. Auf ihrem Weg zum Marktplatz begegneten sie einigen Cheetalut, majestätische Tiere; goldene, geflügelte Geparden mit schwarzen Sprenkeln im Fell. Im Lichtreich Lysann waren sie heilig und ein fester Bestandteil des Festes. Der Himmel begann, sich zu verfärben. Seyty und Tayh beobachteten die Cheetalut, die langsam ihre riesigen goldenen Schwingen ausbreiteten und sich elegant in die Lüfte erhoben. Mit einem Schlag sahen alle Elfen gleichzeitig gebannt in den Himmel und verfolgten mit ihren Blicken die majestätischen Tiere bei ihrem Flug. Jede Wolke, an der sie vorbeiflogen, färbte sich golden. Ihre Wege hinterließen goldene Strahlen und Staub. Tayh sah zu Seyty, die ihn verhalten anlächelte.
»Was hast du für den alten Mann?«
Er holte ein kleines Messer mit einem kunstvoll verzierten Griff aus Holz aus der Tasche. Man konnte die geschwungenen Linien gut erkennen, obwohl der Griff bereits stark abgenutzt war.
»Dein erstes Messer von Dimitri?«, sagte sie erstaunt.
Tayh nickte. »Ich habe mit diesem Messer kämpfen gelernt. Es bedeutet ... Naja, egal. Der alte Mann bekommt es heute zurück.«
Sie sah in den Himmel. »Ich habe das Armband für den alten Mann. Er hat es mir gegeben, damit ich meine Kräfte besser zu kontrollieren lerne. Das kann ich jetzt und er weiß es.«
»Und für deine Eltern?«
Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie sie zusammenzuckte. Ihre Hand wanderte zu ihrer Tasche. »Einen Stein aus Vatraga. Meine Mutter hatte ihn mir geschenkt, bevor wir ... herkommen mussten.« Tränen brannten in ihren Augen.
»Sie werden sich bestimmt freuen.« Der letzte Rest des Sonnenlichts wurde vom Horizont verschlungen. Doch dank den Cheetalut war der Himmel erleuchtet. Geschwungene goldene Linien, die vom Boden bis zu den Sternen reichten, verzierten den Himmel. Vereinzelte übereifrige Elfen schossen Lichtkristalle und Strahlen in die Luft, unter ihnen waren einige wenige Feuerbälle zu erkennen. Fasziniert und entzückt über dieses Meisterwerk, das die Cheetalut in den Himmel zeichneten, sahen alle Elfen nach oben. Das berühmte Lichterspiel von Lysann. Es war alles bereit für die Zeremonie.
Tayh nahm das kleine Messer in beide Hände und betrachtete es ausgiebig, prägte sich seine Einzelheiten genau ein. Seyty zog das Armband aus der Tasche.
»Für dich, alter Mann. Auf dass dein Stern ewig strahlt und du uns zusehen kannst. Ich hoffe, du bist stolz – stolz darauf, wer wir geworden sind.« In ihrer Handfläche bildete sich eine Flammenkugel um das Armband. Langsam wurde die Kugel größer. In Tayhs Handflächen formte sich Licht und verfestigte sich ebenfalls zu einer Kugel, die sein Messer schnell verschlang und an Größe gewann. Die Straßen wurden erleuchtet durch die Licht- und Feuermagie der Elfen, die ihre ausgesuchten Kostbarkeiten den Verstorbenen darboten. Die größte Ehrerbietung, die einem Elfen, der zu den Sternen gewandert war, erwiesen werden konnte. Tayh hob seine Arme in die Höhe. Die Lichtkugel war so groß wie der Kopf eines Auri. Dann ließ er sie los und mit einem strahlenden Schweif flog die Kugel hinauf in den Sternenhimmel, zu den Ahnen. Seyty Feuerball schwebte ebenfalls in den Himmel. Sie sahen den Kugeln nach, sahen, wie die Sterne sich kurzzeitig zu vermehren schienen. Die Cheetaluts flogen um die Lichtbälle herum, als wollten sie ihnen die Kraft geben, ihren Weg zu den Verstorbenen zu finden. Alle Augen waren auf den Himmel gerichtet. Um sie herum breitete sich ein ehrfürchtiges Schweigen aus. In Gedanken waren die Elfen bei all jenen, die ihren Weg zu den Sternen schon angetreten hatten, die niemals in Vergessenheit geraten würden. Einige Augenblicke blieb es still, als würde ganz Vahira es nicht wagen, zu atmen. Der Himmel war in gleißendes Licht getaucht, das das ganze Land wie die Sonne erhellte. Die Ahnen hatten die Gaben erhalten.
Die ersten Strahlen der Sonne brachen am Horizont hervor. Tayh bestellte eine neue Runde Met. Die Taverne war gut gefüllt und die Musiker spielten fröhliche, schnelle Melodien, die zum Tanzen einluden. Tayh nahm am Tresen Platz. Durch das Fenster konnte er draußen Seyty sehen, die einen Moment Abstand zu allem brauchte. Er würde ihr diese Ruhe lassen. Seine Gedanken trieben ab, zu Dimitri. Sein ganzes Leben war er bei ihm gewesen, bis der alte Mann sich entschied, zu den Sternen zu gehen. Dank ihm hatten Seyty und er eine Arbeit, Essen und ein Haus.
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als Seyty sich wieder neben ihn gesellte. Dunkle Ringe unter den Augen verrieten ihre Verfassung. Sie nahm ihren Krug voll Met, den Tayh für sie mitbestellt hatte und leerte ihn in einem kräftigen Zug. Dann taumelte sie etwas zurück.
»Du hast es fast geschafft, Sey. Bald ist das Fest vorbei.«
Sie nickte. »Dann gehen wir nach Hause. Die Arbeit und Hilde werden mich ablenken.« Ein Lächeln zog über ihr Gesicht, als sie an ihre Königsbienen dachte.
»Ablenkung hattest du erst vor ein paar Stunden. Wir sind ja nicht aus Spaß während des Sternenfestes in einer anderen Stadt.«
»Es tut gut, nicht in Laynox zu sein.«, gestand Seyty.
»Es ist eine angenehme Abwechslung. Und wir müssen dieses Mal wirklich nicht vor den Wachen fliehen«, beschwichtigte Tayh.
»Ihr Lichtelfen seid einfach ein verklemmtes Volk«, witzelte Seyty. Der Met hatte ihre Stimmung deutlich erheitert. Tayh legte seine Hand auf ihre Schulter. »Wirfst du mir nicht immer vor, dass bei mir das Gegenteil der Fall ist?«
Seytys Miene versteinerte.
»Hab ein wenig Spaß, Feuermädchen« sagte Tayh und verschwand im Gemenge der Taverne.
Sie starrte auf den schmutzigen Tresen, Flüssigkeit tropfte daran herab. Feuermädchen. So hatte nur Dimitri sie genannt.
»Meine Schöne, du solltest nicht Trübsal blasen an diesem wundervollen Tag. Wir sollten feiern und dankbar sein, findest du nicht auch? Wir leben!« Der Wirt hinter dem Tresen schenkte ihr ein hinreißendes Lächeln, das seine roten Wangen glühen ließ. »Ich habe das Richtige für dich. Probiere das hier.« Er stellte ihr ein kleines Gläschen mit einer rot funkelnden Flüssigkeit vor sie hin. »Du zuerst.« forderte Seyty ihn auf.
»Großvater nennt es den Feuerdrachen. In meinen Adern fließt vielleicht ein wenig von diesem Feuer, aber daran würde ich mir den Rachen verbrennen. Bitte trink. Er würde sich sicher freuen, wenn er wüsste, dass ein Mädchen aus Vatraga hier ist.«
Ihr Herz verkrampfte sich. Sie tat ihm den Gefallen.
»Auf Vatraga.« Und all die Tausende Feuerseelen, die am Himmel wie Sterne funkeln. Das Getränk schmeckte nach einer lang vergessenen Erinnerung. »Danke, bestellt eurem Großvater einen Gruß von mir.«
Der Wirt strahlte glücklich. Seyty drehte sich um und suchte die Taverne nach Tayh ab. Hinter ein paar groß gewachsenen Lichtelfen erkannte sie sein goldbraunes Haar. Sie hüpfte von ihrem Hocker und erinnerte sich wieder daran, dass sie zu Ehren des Tages ein Kleid trug. Einige Blicke streiften ihren Körper, während sie sich durch die Menge ihren Weg bahnte. Tayh saß nicht alleine an dem kleinen fleckigen Tisch. Seine Lippen hingen an den Ohren einer kichernden Elfin. »Wirklich?« seufzte diese.
Er sah auf. »Da bist du ja, Sey, willst du uns Gesellschaft leisten?« fragte er angeheitert. Die Fremde lächelte freundlich und bot den Stuhl ihr gegenüber an.
»Mit großem Vergnügen.« Sie blickte zurück zum Tresen. Sie hätte sich einen Krug Met bestellen sollen.
Tayh blickte der Elfin neben ihm in die Augen. Sie glitzerten, als wäre ein Sternenmeer in ihnen. Ihre schwarzen Haare wurden an den Spitzen von weißen Punkten durchzogen, als würden sie funkeln.
»Metorien, oder?«, fragte Tayh und versuchte, möglichst charmant zu lächeln. Seyty rollte mit den Augen und drehte sich demonstrativ weg. Das hatte ihr heute gerade noch gefehlt. Doch nach wenigen Sekunden sah sie wieder zu den beiden. »Stimmt. Metorien ist mein Heimatland.« Sie betrachtete Tayh ausgiebig. »Du bist von hier, oder? Der Goldschimmer in deinen Augen verrät dich.«
Ein Schatten huschte im Bruchteil einer Sekunde über sein Gesicht. Ungesehen für andere, die ihn nicht kannten. Doch nicht für Seyty. Sie wusste, wie sehr ihn diese scheinbar belanglose Aussage traf.
»Erwischt. Ich komme aus Lysann – Laynox, besser gesagt.« Die junge Elfin sah ihn interessiert an.
»Wieso bist du dann hier und nicht in Laynox? In der Hauptstadt ist sicher mehr los als in dieser kleinen Stadt.« Sie zögerte einen Moment. »Ich bin übrigens Marah.« Ihr Lächeln strahlte ihn an. Tayhs Mundwinkel zuckten leicht nach oben.
»Ich bin Tayh, freut mich. Wir sind durch die Arbeit hier gelandet. Weißt du was? Ich gebe dir einen Met aus, wenn du erraten kannst, was meine Arbeit ist.«
Marah kicherte. Kurz entschlossen nahm Seyty Tayhs Krug und stürzte den restlichen Inhalt auf einmal hinunter.
»Was ist, wenn ich es nicht erraten kann?« Marah sah ihn mit großen, glänzenden Augen an. Tayh beugte sich vor und wollte ihr die Antwort gerade ins Ohr flüstern, als Seyty mit der Faust auf den Tisch schlug. In ihren Augen tobte ein Feuersturm, ihre Geduld war am Ende.
»Du kannst es nicht lassen! Nicht einmal heute! Und wir sind nicht daheim. Willst du sie mit in unsere Unterkunft nehmen? Soll ich zusammen mit ihr das Bett für dich wärmen?« Ihr Blick lag wutentbrannt auf ihm.
Marah war der Schreck ins Gesicht geschrieben. Tayh dagegen blieb ruhig und lächelte Seyty kühl an.
»Wir haben unseren Auftrag erledigt und das Sternenfest ist schließlich immer noch ein Fest. Wenn du nicht feiern willst, dann geh dich draußen abkühlen. Ich habe jedenfalls Vergnügen heute Abend.« Er warf dem Elfenmädchen einen vielsagenden Blick zu, welchen sie zu Seytys Überraschung kichernd erwiderte. Tayh wand seine Aufmerksamkeit wieder Marah zu.
»Ein Auftrag also? Vielleicht ein Botschafter? Oder ein Krieger?«
»Das lasse ich gelten. Ich gehöre zur königlichen Leibgarde.«
Seyty spürte, wie ihr die Galle hochkam. Bei der weisen Flamme, er ließ nichts anbrennen.
»Das ist also wahrlich dein Ernst, Tayh?« Er drehte sich zu ihr und sah sie mit ruhigem, aber durchdringenden Blick an.
»Ich unterhalte mich gerade, Sey.« Sein Blick wurde beschwörend, bevor er sich wieder Marah zudrehte. Seyty stand abrupt auf und suchte sich einen Platz an einem anderen Tisch. Es war nicht das erste Mal, dass Tayh in einer Taverne eine Frau aufgerissen hatte und es würde nicht das letzte Mal sein. In Laynox war er schon lange kein unbeschriebenes Blatt mehr. Sie bestellte sich einen neuen Krug und beobachtete Tayh. Bald würde es soweit sein. Er würde sich zu dem Elfenmädchen vorbeugen und ihr etwas ins Ohr flüstern. Danach würde sie mit ihm gehen. Die Strategie war stets die Gleiche. Niemand außer den Elfinnen wusste, was er ihnen zuflüsterte, nicht einmal Seyty. Es war ihr ein Rätsel, der Gedanke machte sie völlig verrückt. Ihr Blick war auf Tayh und Marah gerichtet und so bemerkte sie nicht, dass einige Tavernenbesucher Abstand zu ihr suchten.
Seine mysteriöse, kühle Art, war vielleicht der Grund, warum Frauen ihn so faszinierend fanden. Er hasste es, seine Gefühle zu zeigen. Warum musste er jedem Mädchen schöne Augen machen? Wieso versuchte er es nie bei… ihr. Sie schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu vertreiben. Sie sah, wie Tayhs kühles Lächeln die Metorianerin verzauberte. Es verzauberte sie alle. Tayh begann sich langsam nach vorne zu beugen. Da war es. Seine Lippen hingen am Ohr der Elfin. Sie würde am nächsten Morgen in seinen Armen aufwachen, seinen Duft nach Nachtluft und Zedernholz riechen, seine Lippen auf ihren spüren. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, als sie unerwartet angestoßen wurde.
»Hey Mädchen! Du fackelst noch das ganze Haus ab!« rief ein Kerl hinter ihr.
Erschrocken sah Seyty, dass der Tisch rund um ihre Hand schwarz verkohlt war. Kleine Flammen züngelten um die verbrannte Stelle und Rauch stieg auf. Mit einer kurzen Handbewegung wanderten die Flammen zurück zu ihrer Herrin. Sie sah zu Tayh, der gerade aufgestanden war und zu ihr ging. Seine Augen funkelten dunkel und ließen das Gold darin verblassen. Ihre Finger zitterten leicht. Das hätte nicht passieren dürfen.
»Mist! Seyty! Alles okay mit dir?« Er betrachtete den verbrannten Fleck auf dem Tisch, dann sie.
»Beruhige dich, ich kläre mit dem Wirt den Schaden ab.«
Vor Seytys innerem Auge spielten sich Erinnerungen an eine schreckliche Zeit ab. Feuer umgab sie. Schreie erfüllten ihre Gedanken. Sie biss die Zähne zusammen. Das sollte ihr nie wieder passieren. Langsam erhob sie sich und lief hinter Tayh her. Sie entschuldigte sich bei dem Wirt, der sie, nachdem der Schaden bezahlt war, hinauswarf.
»Du machst uns arm.« Tayh warf noch einen Blick zu Marah.
Sie lächelte ihm bedauernd zu. »Falls es die Sterne wollen, sehen wir uns erneut, Tayh. Es war schön, euch kennenzulernen«, verabschiedete sich Marah von ihnen.
Ohne ein weiteres Wort verließen sie die Taverne. Die Sonne war schon hoch über den Horizont geklettert und strahlte in die müden Gesichter der beiden. Ohne eine Unterkunft zum Schlafen ging Tayh auf den Wald zu.
»Es tut mir leid, Tayh.« Seyty fühlte sich wie eine Idiotin und ihr Gewissen plagte sie, während sie hinter ihm herlief. Die Wälder von Lysann waren ihnen vertraut. Sie kannten die Gefahren darin gut. Anderen Falls riskierte man sein Leben.
»Die Nacht in einem Bett, das wäre ein verdammter Genuss gewesen. Der Lohn für die Woche ist weg und die schöne Marah auch.« Er sah sie grimmig an, als er unter einem geeigneten Baum anhielt. Seine Stimmung glich der Seytys, wenn ihre Vorratskammer leer war. »Eine Metorianerin treffe ich so schnell wohl nicht mehr«, seufzte Tayh. »Wieso passiert so etwas immer, wenn ich mit einer anderen Elfin rede?« Er sah sie an. Sein Blick strahlte Wärme aus, was den vielen Krügen Met geschuldet sein konnte. Seyty sah weg. Ihre Wangen färbten sich rot.
»Was denkst du denn, wieso? Was haben diese Mädchen? Wieso flüsterst du ihnen etwas zu und mir nie?«, murmelte sie leise. Ihre Augen brannten. »200 Jahre leben wir zusammen. Hast du dich diesem Gedanken nie hingegeben?«
Zu ihrer Überraschung fing Tayh an zu lachen. Nach kurzer Zeit hörte er auf und grinste sie an. Sie ballte die Hände. Er kam näher zu ihr, strich ihr das rotschimmernde Haar hinter die Ohren und beugte sich zu ihr. »Du denkst, sie sind etwas Besonderes? Sey! Du bist besonders. Ich habe so vielen Frauen Kummer im Herzen bereitet. Dein Herz werde ich auf keinen Fall in Gefahr bringen«, erklärte er und ließ wieder von ihr ab.
Sie erstarrte. Er ließ sich auf den Boden sinken und bettete seinen Kopf auf den weichen Waldboden.
»Mein Herz nicht in Gefahr bringen …«, flüsterte Seyty so leise, dass nur sie es hören konnte. Ihr Kopf war leer. Sie wusste nicht, wie sie die Kraft aufbringen sollte, sich neben ihn zu legen, als wäre gerade nichts in ihr zerbrochen.
»Schlaf jetzt. In ein paar Stunden müssen wir Poppy und Gox abholen«, brummte Tayh. Er hatte sich zur Seite gedreht. Seiner Atmung nach zu urteilen, war er schon so gut wie eingeschlafen. Sie seufzte und legte sich neben ihn. »Gute Nacht Tayh ...«