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Geschichte 1: VON HONIGBORN NACH STOPPELFELDE
ОглавлениеDie Zeit drängt. An einem warmen Spätsommertag im September ist es endlich soweit. Die Habseligkeiten der Familie Holzbuckel sind verstaut und der Abschied von ihren Freunden fällt schwerer als gedacht – besonders von der Familie Krötenpfennig, mit der sie schöne Stunden verlebt haben. Robbie und Mischka haben noch ganz rote Augen vom vielen Weinen, weil sie glauben, dass ihnen solche Freunde wie Ali und Bodo so schnell nicht wieder über den Weg laufen. Beim Abschied sagt Ali: „Robbie und Mischka, seid nicht traurig, auch ihr werdet für immer in unseren Herzen bleiben. Wir versprechen euch, dass wir euch irgendwann in Stoppelfelde besuchen werden.“ Da beginnen die Augen der Holzbuckel Kinder zu leuchten. Eine schönere Freude hätte man ihnen nicht machen können. Robbie und Mischka umarmen ein letztes Mal ihre Freunde Ali und Bodo und flüstern ihnen dabei ins Ohr: „Lasst uns bitte nicht so lange auf euren Besuch warten …!“ Dann müssen alle los – es ist noch früh am Morgen, als die Reise beginnt!
Der Weg nach Stoppelfelde ist weit und gefährlich. Vater Alwin gehen während der Reise allerhand Gedanken durch den Kopf. Er weiß, dass vorerst jede Menge Arbeit auf ihn und seine Familie zukommt. Ihr neugebautes Haus sollte am besten noch vor dem Honigfest Ende Dezember fertig gestellt sein. Die Festtage könnten sie dann in ihrem neuen Haus verbringen. Und bis dahin bleibt nicht mehr viel Zeit, das heißt, sie müssen sich sputen. Für ihren Umzug haben sie nur die wichtigsten Sachen mitgenommen, aber der Wagen ist vollgepackt bis obenhin. Bevor sie Honigborn verlassen, wendet Vater Alwin sich noch einmal an seine Kinder und sagt: „Bleibt bitte immer in der Nähe des Leiterwagens. Mama und ich werden ab jetzt den Wagen ziehen – ganz so, wie es sonst die Pferde tun. Schaut nicht in der Gegend umher sondern achtet darauf, wo ihr hintretet. Wir möchten nicht, dass ihr vielleicht noch umknickt und euch eure Knöchel verstaucht! Das können wir auf unserer Reise auf gar keinen Fall gebrauchen.“ Die Kinder versprechen daraufhin, vorsichtig zu sein.
Der Weg, den sie zurück zu legen haben, ist holprig und schlängelt sich oft durch finstere Wälder. Nach drei Stunden sind die Kinder vollkommen erschöpft. Dem kleinen Robbie schmerzen schon die Füße. Er bleibt immer öfter zurück und fragt deshalb: „Können wir nicht einmal eine Pause einlegen? Mischka und ich sind am Ende unserer Kräfte. Wir können keinen Meter mehr laufen, unsere Beine sind schwer wie Blei!“ Die Eltern erklären sich einverstanden, aber nur unter der Bedingung, dass Robbie und Mischka endlich aufhören, aus lauter Langeweile Blätter und Zweige von den einzelnen Bäumen und Sträuchern zu reißen. „Merkt euch, auch Pflanzen sind Lebewesen, die ein Recht auf ungestörtes Wachstum haben“, belehrt sie Vater Alwin. Robbie und Mischka sehen das ein und versprechen ihren Eltern, dies zu unterlassen. Sie begreifen schnell, dass es den Pflanzen wehtut, wenn sich laufend jemand an ihnen zu schaffen macht.
Es dauert gar nicht lange, da ist auch schon ein Rastplatz in Sicht. Obwohl es hier fast nur sehr alte, große und knorrige Bäume gibt, fallen doch ein paar Sonnenstrahlen durch das dichte Laub. Bärenmutter Melli liebt es, ihre Familie mit ihrer Kochkunst zu verwöhnen. Mischka ist überaus hungrig und fragt: „Gibt es heute wieder deinen leckeren hausgemachten Kartoffelsalat?“ „Ja mein Kind und nicht nur das. Ich habe extra noch frische Hasenfleischbuletten für alle zubereitet, die euch doch so munden." „Hurra, hurra“, rufen die Kinder und langen kräftig zu. Und im Nu sind alle Schüsseln geleert.
Kaum hat Robbie den letzten Bissen verschlungen, fängt er auch schon an, unruhig zu werden und fragt seinen Vater Alwin: „Darf ich mal ganz schnell aufstehen und verschwinden? Ich glaube, ich muss ganz, ganz dringend – oh Hilfe – es kommt schon …“ „Geh ja nicht zu tief in den Wald hinein, wir müssen in Sichtkontakt zueinander bleiben“, ermahnt ihn sein Papa. Doch Robbie hört wieder – wie immer – nur mit halbem Ohr zu, denn es drückt mächtig und er sieht im wahrsten Sinne des Wortes zu, dass er Land gewinnt. Weil er sich vor den anderen immer so schämt, ist er doch tiefer in den Wald vorgedrungen, als er es ursprünglich vor hatte. Gerade als er sich wieder seine Hosen hochzieht, vernimmt er ein lautes und bedrohliches Grunzen hinter sich. „Nnnoch, nnnoch, nnnoch!“ Vor Schreck kann er sich kaum bewegen, aber aus den Augenwinkeln heraus sieht er, dass es sich um ein riesiges Wildschwein mit großen Hauern handelt. Oh Gott – Robbie bleibt fast die Luft weg, er schwitzt, sein Verstand kann nicht mehr klar denken, Angst ist alles, was seinen Körper beherrscht. Er muss jetzt schnell handeln, eine gute Idee haben, aber er ist unfähig sich zu bewegen. Seine Beine gehorchen ihm nicht mehr. Hätte er sich doch nur nicht so tief in den Wald gewagt und auf seine Eltern gehört. Doch dann weiß er, was zu tun ist – jetzt muss alles ganz schnell gehen!
Robbie erinnert sich an die Worte seines Vaters Alwin: „Handle schnell in der Not – sonst erwartet dich der Tod.“ Und schon weiß er, was zu tun ist. Das Wildschwein ist nun in unmittelbarer Nähe und freut sich auf die leckere Mahlzeit, denn Bärenfleisch ist bei allen Tieren sehr beliebt, weil es so zart und schmackhaft ist. Robbie denkt: „Ich will aber noch nicht sterben!“ Er nimmt deshalb seinen ganzen Mut zusammen und hangelt sich blitzschnell mit seinen Armen an der uralten Eiche hinauf, an der er sein Geschäft verrichtet hat. Er ist froh, dass ihm seine Arme gehorchen. In seine Beine kehrt mittlerweile auch nach und nach das Leben zurück. Robbies Bewegungen sind flink, weil er mit seinem Bruder Mischka schon oft auf Bäume geklettert ist und am Ende immer er der Sieger war.
Das Wildschwein ist jetzt kaum zu bändigen. Es grunzt so laut vor Wut, dass Robbies Körper von etlichen Angstschauern erfasst wird. Aber das Schwein kann grunzen und toben wie es will. Es kann Gott sei Dank nicht klettern und das ist Robbies Glück. Vor lauter Zorn hat das Wildschwein schon Schaum vorm Maul, stellt sich auf die Hinterbeine und versucht den Baum zu erklimmen, aber ohne Erfolg. Robbie hat immer noch Todesangst, weil er ja nicht ewig auf dem Baum bleiben kann und das Wildschwein sich nicht wegbewegen wird. Aber Robbie ist nicht dumm. Er weiß, dass er ganz nach oben in die Baumkrone klettern muss, um dem Wildschwein zu entkommen, damit es endlich Ruhe gibt. Er klettert immer weiter nach oben, bis er endlich die Baumkrone erreicht. Hier gibt es so viele Äste und Zweige, dass er kurz die Orientierung verliert. Im Blätterwald raschelt es unaufhörlich. Er weiß vom ersten Moment, dass es hier oben sehr, sehr gefährlich ist, denn er muss immer aufpassen, dass er einen Ast erwischt, der sein Gewicht trägt – einen Ast, der nicht abbricht und ihn in die Tiefe stürzen lässt.
Plötzlich hört er ein lautes „RÄTSCH, RÄTSCH, RÄTSCH“. Ein kleiner Vogel mit einem farbenprächtigen Federkleid sitzt ganz oben in der Baumkrone und fragt: „Hallo kleiner Bär, bist du lebensmüde oder warum wagst du dich soweit nach oben?“ „Nein, nein, ich wünschte ich wäre auf der Erde, aber dorthin kann ich nicht zurück. Ein hungriges Wildschwein würde mich sofort zerfleischen!“ „Armer, armer Bär, die Wildschweine treiben hier schon lange ihr Unwesen. Mit fast allen Tieren haben sie nur Streit, weil sie glauben, dass sie mit Gewalt, Boshaftigkeit und übler Nachrede weiterkommen. Das Ende vom Lied ist, dass sie so gut wie keine Freunde mehr haben und niemand mit ihnen etwas zu tun haben will.“ „Sag mal, wie heißt du eigentlich?“ „Ich heiße Robbie Holzbuckel und du?“ „Ich bin KIKI, der Eichelhäher und wache über diese uralte, knorrige Eiche schon seit vielen Jahren. Also, ich bin der gute Geist dieses Baumes und ich bin in der Lage, jede Vogelmelodie nachzuahmen.“ „Das glaube ich dir nicht!“ „Doch, doch, sag, welchen Vogel ich nachahmen soll!“ „Am liebsten wäre mir eine Amsel“, antwortet Robbie. Kiki weiß, dass sie Robbie unbedingt auf andere Gedanken bringen muss, denn er zittert immer noch am ganzen Leib. Kiki gibt alles und beginnt wie eine Amsel zu trällern.
UND MORGEN GEHTS WEITER …