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Frau Meiers merkwürdige Märchen

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Gleich hinterm Deich hatte Frau Meier einen kleinen Kaufmannsladen für den täglichen Bedarf der Dorfbewohner. Großes „M“ und kleine Eier – das war Frau Meier.

Alles an ihr war rund, am rundesten war ihr Kopf. Wie eine Kugel saß er auf ihrem kurzen Hals und oben drauf thronte ein ebenso kugelrunder Dutt. Meistens saß sie in einer Ecke und strickte Strümpfe mit vier Nadeln, während sie auf Kundschaft wartete. Manchmal waren ihr die Augen zugefallen und es sah so aus als schlummere sie. Bimmelte aber ihre Ladentür, war sie sofort hellwach.

In Frau Meiers Kaufmannsladen gab es alles, was die Bevölkerung auf dem Lande so brauchte: Hühnerfutter und saure Gurken, Zucker und Mehl, Salz und Lutscher. Oft wurden die Kinder von ihren Müttern zum Einkaufen zu ihr geschickt. Zum einen weil sie zu faul waren, selber zu gehen und stattdessen lieber mit der Nachbarin tratschten. Zum anderen aus pädagogischen Maßnahmen – so sollten die Kinder lernen mit Geld umzugehen. Welche Beweggründe auch immer: Die Kinder rissen sich darum, denn es blieb so mancher Groschen bei ihnen hängen.

Wenn Frau Meier Zeit und genug Sabbelwasser getrunken hatte, erzählte sie ihnen Märchen, die sie noch nie gehört hatten und die in keinem ihrer Märchenbücher zu Hause standen. Sie setzte sich auf einen Stuhl in die äußerste Ecke ihres kleinen Ladens. Die Kinder durften auf einer roh gezimmerten Bank Platz nehmen, auf der die Gurkenfässchen standen. Frau Meier sagte: „Dann wollen wir mal sehen“, legte die Stirn mächtig in Falten und tat so als würde sie nachdenken. In Wirklichkeit brauchte sie das aber gar nicht, denn die Geschichten setzten sich während des Erzählens Stück für Stück in ihrem Kopf zusammen und purzelten so zusammengestückelt aus ihrem Mund heraus.

Es dauerte nicht lange und die Kinder begannen sich zu langweilen. Zu Hause sagten sie: „Frau Meier erzählt merkwürdige Märchen.“ Das machte die Eltern hellhörig. Persönlich begaben sie sich zu Frau Meier in den Laden, um die Situation zu überprüfen. Sie lauschten erstaunt und gingen fortan so oft wie möglich selber zu Frau Meier einkaufen.

Mitunter sagte diese: „Heute habe ich nur Buchstabensalat in meinem Kopf.“ Dann gab es keine Geschichte. Oder sie sagte: „Heute fehlen mir die passenden Worte.“ Dann gab es auch keine Geschichte oder sie ging nicht weiter, wie beim „Privatpirat“, der auf einer kargen abgelegenen Insel inmitten des atlantischen Meeres gestrandet war, ungefähr beim 29. nördlichen Längengrad und 14. westlichen Breitengrad, rechts vom Golfstrom. In einer Höhle am Ufer eines ausgetrockneten Flussbettes findet er Unterschlupf. Eines Tages stehen zwei gut gekleidete Herren davor, einer piekfein, der andere eher leger. Der Piekfeine sagt: „Guten Tag Herr Seeräuber. Dürfen wir uns vorstellen, ich bin der Landräuber, Ihr Nachbar von nebenan, und das ist mein Kumpel, der Bankräuber. Wir wollen eine Räuberbande bilden. Wollen Sie der Dritte sein in unserem Bunde?“ Das war eine rhetorische Frage, denn in Wirklichkeit interessierten sie sich brennend für die Höhle des Seeräubers. Der Seeräuber zeigte kein Interesse. „Ich bin jetzt Privatpirat. Steht ja auch auf meiner Visitenkarte.“

Abrupt brach sie ab und sagte: „Ohne Sabbelwasser geht gar nichts mehr.“ Die Erwachsenen gingen dann enttäuscht nach Hause. Hatte sie aber genug Sabbelwasser getrunken, flutschte es wieder.

Frau Meiers merkwürdige Märchen für Erwachsene

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