Читать книгу Ich bin Spartacus - Kai Brodersen - Страница 9
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Der saubersten Sklaverei vorzuziehen ist der schmutzigste Tod
Neulich im ludus … ging einer von den Germanen
auf den Abort … Dort stieß er sich das Holz,
das zum Reinigen des Afters mit einem Schwamm
versehen ist, tief in die Kehle und tötete sich,
indem er die Atemwege versperrte … Man urteile
über die Tat des entschlossenen Mannes,
wie es einem jeden richtig scheint, solange feststeht:
Vorzuziehen ist der schmutzigste Tod der
saubersten Sklaverei!
SENECA1
Aus dem ludus auszubrechen war für die dort kasernierten Gladiatoren-Sklaven kaum je möglich. Als Ausweg aus ihrer verzweifelten Lage blieb manchen nur der Selbstmord, wie hier mit schaudernder Bewunderung für diese Art von Tapferkeit der römische Philosoph Lucius Annaeus Seneca im 1. Jahrhundert n. Chr. berichtet. Er erzählt auch von einem anderen solchen Selbstmord: „Als neulich jemand unter Bewachung – zum Schaukampf am Morgen geschickt – herbeigebracht wurde, ließ er, als ob er schläfrig einnicke, den Kopf so weit sinken, bis er in die Radspeichen geriet, und so lange hielt er sich auf seinem Sitz, bis das Genick durch die Umdrehung des Rades brach … Siehst du, wie auch die niedrigsten mancipia, wenn ihnen der Schmerz Stachel eintreibt, sich aufbäumen und die aufmerksamsten Wachen täuschen? Der ist ein großer Mann, der sich den Tod nicht nur befiehlt, sondern erfindet!“2
Und noch am Ende der Antike wird von einem Massenselbstmord von Gladiatoren-Sklaven berichtet: Quintus Aurelius Symmachus beklagt sich in einem Brief an seinen Bruder Flavianus darüber, dass sächsische Sklaven, die er 393 n. Chr. als Gladiatoren hatte auftreten lassen wollen, gemeinsam Selbstmord begangen hätten – und dabei an Spartacus erinnert: „Eine Anzahl von Sachsen aus der Gesamtzahl derer, die ich als Volksbelustigung vorgesehen hatte, ist vom Tod abgezogen worden; damit nicht der Eindruck von Überfluss entstehe, war diese Gesamtzahl recht klein. Wann hätte denn der private Wachdienst die unfrommen Hände der verzweifelten Gruppe hindern können, da bereits der erste Tag des Gladiatoren-ludus 29 Sachsen sah, die sich ohne einen Strick die Kehlen zerbrochen hatten? Nicht mehr abgeben will ich mich also mit dieser familia (von Sklaven), die nichtsnutziger ist als Spartacus, sondern will diesen Schaukampf für den Kaiser durch eine Darbietung von wilden Tieren aus Afrika ersetzen!“3
„fugitivi“ – Freiheit durch Flucht?
Selbstmord war das letzte Mittel, sich dem Sklavenschicksal zu entziehen, Flucht das erste. Welche Überlegungen solche Sklaven wohl anstellten, zeigt die Geschichte von Androclus und dem Löwen, von der mehrere antike Fassungen berichten (außerdem ein Theaterstück von George Bernhard Shaw, das 1952 mit Schauspielern verfilmt wurde, die acht Jahre später bei Stanley Kubricks Spartacus-Film mitwirkten). Der Sklave Androclus habe, so wird berichtet, zur Volksbelustigung den Kampf mit einem wilden Löwen bestehen sollen – der ihn aber nicht zerfleischte, sondern ihm ganz sanft begegnete. Als Ursache habe sich herausgestellt, dass Androclus einst in Afrika als Sklave in die Wüste geflohen war und dort einen verletzten Löwen gepflegt hatte; später seien beide, Mensch und Tier, als Gefangene nach Rom geraten, wo sie im Tierkampf zur Schau gestellt werden sollten.
In unserem Zusammenhang ist die bei dem römischen Autor Aulus Gellius nebenbei gegebene Information über Androclus’ Motiv zur Flucht aus der Sklaverei aufschlussreich; sie zeigt, dass eine antike Leserschaft in der Flucht von Sklaven vor ihrem dominus nichts Überraschendes sah – und auch nicht darin, dass die Alternative zur Flucht nur Selbstmord war: „Als mein dominus Statthalter in Afrika war, sah ich mich durch seine ungerechten, aber tagtäglichen Prügel zur Flucht gezwungen – und um vor meinem dominus, dem Gebieter des ganzen Landes, einen sicheren Unterschlupf zu haben, zog ich mich in die Einsamkeit der weiten Wüstentäler zurück. Sollte mir die Nahrung ausgehen, war ich fest entschlossen, auf irgendeine Art den Tod zu suchen.“4
In der Tat war die Flucht von Sklaven offenbar häufig genug,5 dass es umfangreicher Regelungen bedurfte. So war im römischen Recht, dessen über die Jahrhunderte entstandene Regelungen und Expertenmeinungen im 6. Jahrhundert n. Chr. im Auftrag von Kaiser Iustinianus in den sogenannten Digesta zusammengestellt worden waren, der Status eines fugitivus, eines „zur Flucht neigenden oder bereits geflohenen Sklaven“, Gegenstand ausführlich wiedergegebener Expertenmeinungen. Ein Rechtsexperte meint: „Ein fugitivus ist, wer sich in der Absicht zu fliehen außerhalb des Hauses seines dominus aufgehalten hat, um sich vor seinem dominus zu verbergen.“ Ein anderer hingegen hält fest: „Ein fugitivus ist derjenige, der sich in der Absicht entfernt, nicht zu seinem dominus zurückzukehren, auch wenn er seinen Entschluss ändert und wieder zu ihm zurückkehrt.“ Ein dritter legt dar: „Der Begriff fugitivus ist im Allgemeinen nach der inneren Einstellung zu bestimmen und nicht schlechterdings durch die Flucht. Denn wer vor dem Feind oder einem Räuber, vor einer Feuersbrunst oder einem Gebäudeeinsturz flieht, ist – obwohl es zutrifft, dass er geflohen ist – dennoch kein fugitivus.“
Und was ist mit einem Sklavenjungen, der seinem Ausbilder davongelaufen und wieder bei seiner Mutter erschienen ist? „Wenn er zur Mutter gelaufen ist, um sich bei ihr zu verstecken und nicht zu seinem dominus zurückzukehren, ist er ein fugitivus; wenn aber deswegen, um von ihr wegen irgendeines Vergehens Fürsprache, die einer Mutter leicht fällt, zu erlangen, ist er kein fugitivus.“
Ein vierter Rechtsexperte wird angeführt: „Ein Sklave, den du gekauft hattest und der sich in den Tiber gestürzt hat, ist kein fugitivus, wenn er allein mit dem Entschluss zu sterben von seinem dominus weggelaufen ist; hatte er sich dagegen zunächst zur Flucht entschlossen, dann aber seinen Willen geändert und sich in den Tiber gestürzt, so bleibt er ein fugitivus. Dieselbe Unterscheidung trifft er auch im Fall desjenigen, der sich von einer Brücke gestürzt hat … Ein Sklave, der sich auf einem fundus (Landgut) befindet und die villa in der Absicht, das Weite zu suchen, verlassen hat und den jemand, bevor er deinen fundus verlassen konnte, festgehalten hat, sei als fugitivus anzusehen, denn die innere Einstellung macht ihn zum fugitivus.“
Noch andere Experten diskutieren die Frage, „ob ein fugitivus sei, wer sich in ein Asyl geflüchtet hat“, und kommen zu dem Schluss: „Wenn er geflohen ist und sich erst später ins Asyl begeben hat, bleibt er dessen ungeachtet ein fugitivus.“6
Gelegentlich glückte fugitivi die Flucht in ein Asyl wie in das der Palikoi, am Ätna verehrter Zwillingsgottheiten, doch waren sie, sobald sie den Ort wieder verließen, erneut den Häschern ihrer domini ausgesetzt. Nicht anders sollte es Sklaven in Kleinasien ergehen, die Aufnahme in einer sich von Rom unabhängig gebenden Stadt gefunden hatten. Marcus Tullius Cicero war 51/50 v. Chr. Statthalter in der römischen Provinz Kilikien nahe den Angstgegnern der Römer im Osten, den Parthern. In einem Brief vom Januar 50 v. Chr. an einen Freund berichtet Cicero davon, wie er ein solches fugitivi- Versteck beseitigt habe: „Meine Armee führte ich nach Pindenissus, einer Stadt der Eleutherokilikier (,freien Kilikier‘). Sie liegt sehr hoch, eine starke natürliche Festung. Ihre Einwohner haben sich auch den Königen niemals gebeugt; da sie fugitivi Asyl boten und sehnsüchtig auf das Erscheinen der Parther warteten, hielt ich es im Interesse des Ansehens unserer Herrschaft für geboten, ihre Widerspenstigkeit zu brechen; umso leichter würden sich dann auch alle Übrigen beugen, die von unserer Herrschaft nichts wissen wollten.“7
Ein Sklavenkönig
Mehr Erfolg als den fugitivi, die sich zu den „freien Kilikiern“ geflüchtet hatten, war einer Gruppe von Sklaven beschieden gewesen, von der man sich erzählte, dass sie sich eine Zeit lang als unabhängiges Königtum etablieren konnte. Der griechische Autor Athenaios von Naukratis, der im 2. Jahrhundert n. Chr. einschlägige Auszüge aus älteren Werken – hier einer Schrift aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. – zusammengestellt hat, berichtet: „Die Sklaven der Leute auf der Insel Chios flüchteten sich vor ihren Herren, begaben sich in die Berge und verwüsteten die Ländereien, nachdem sie eine beträchtliche Anzahl zusammengebracht hatten; denn die Insel ist rau und dicht bewaldet. Die Chier selbst erzählen, dass kurz vor unserer Zeit ein Sklave weggelaufen war und seinen Aufenthalt in den Bergen genommen hatte. Er war tapfer und in Kriegen erprobt und führte die entlaufenen Sklaven an wie ein König sein Heer.
Die Chier zogen mehrmals gegen ihn zu Feld, konnten aber nichts ausrichten, und da Drimakos – das war der Name des fugitivus (griechisch drapetes) – sah, dass sie vergebens ihr Blut vergossen, richtete er folgende Botschaft an sie: ,Für euch, Bewohner von Chios und unsere domini (griechisch kyrioi), soll die Sache, die ihren Ausgang von den Sklaven genommen hat, niemals aufhören! Wieso auch, wenn sie gemäß einem Spruch abläuft, den die Gottheit gegeben hat? Wenn ihr aber mit mir einen Vertrag schließt und uns in Ruhe leben lasst, dann will ich euch viel Gutes bringen.‘ So schlossen die Chier mit ihm einen Vertrag und handelten einen Waffenstillstand für eine gewisse Zeit aus. Er führte (als Symbole eines unabhängigen Staates) Maße, Gewichte und ein eigenes Siegel ein.
Dies zeigte er den Chiern und sagte: ,Alles, was ich von einem von euch empfange, das werde ich unter Anwendung dieser Maße und Gewichte entgegennehmen, und wenn ich genügend Geld in die Staatskasse bekommen habe, werde ich eure Schatzkammern mit diesem Siegel kennzeichnen und unangetastet lassen. Über eure fugitivi werde ich je nach ihrer Schuld Urteile sprechen, und wenn ich den Eindruck bekomme, dass sie geflohen sind, weil sie etwas erlitten haben, was nicht wiedergutzumachen ist, und sich daraufhin entfernt haben, dann werde ich sie bei mir behalten. Wenn sie aber nichts zu ihrer Rechtfertigung sagen, werde ich sie zu ihren domini zurückschicken.‘ Als nun die übrigen Sklaven sahen, dass die Chier die Bedingung gern annahmen, dachten sie viel seltener an Flucht, da sie den Prozess durch jenen Mann fürchteten. Die fugitivi aber, die sich bei ihm befanden, hatten vor ihm noch viel mehr Angst als vor ihren eigenen domini und erfüllten ihm gegenüber alle ihre Pflichten gleichsam in militärischem Gehorsam: Er bestrafte nämlich die Pflichtvergessenen und gestattete keinem, ohne seine Billigung ein Feld zu verwüsten oder anderweitig Gewalt zu üben. An Festtagen machte er sich auf und holte Wein und Opfertiere, die in tadellosem Zustand waren, aus den Landgütern, sofern dies nicht die Gutsherren von sich aus gaben. Wenn er bemerkte, dass ihm einer nachstellte oder auflauerte, bestrafte er ihn.“8
Der fugitivus Drimakos hatte also, wenn man dieser Geschichte glaubt, einen regelrechten Staat mit eigenen Maßen, Gewichten und Siegeln eingeführt und herrschte als König dieses Sklavenstaates! Gelang es einem Sklaven, seinem dominus zu entfliehen, konnte es ihm glücken, sich in ein Asyl zu begeben, wo die Häscher seines Besitzers ihn, solange er dort war, nicht ergreifen konnten.
Ein freies Leben war damit freilich noch nicht gesichert, und der wohl schönste Traum, für den die Geschichte von Drimakos steht, war zweifellos der, nicht allein, sondern mit anderen fugitivi zusammen zu fliehen und mit ihnen gemeinsam zu agieren. Aus Sicht der domini war ein solches Verhalten freilich nicht weniger als eine Verschwörung der Sklaven, auf die der Staat mit seiner ganzen Macht reagieren musste.