Читать книгу Geographie in der antiken Welt - Kai Brodersen - Страница 9

4. Griechische und römische Geographie

Оглавление

Geographie beschäftigte griechische und römische Autoren von unterschiedlichem sozialen, intellektuellen und politischen Status. Im Allgemeinen waren diese Männer sowohl hoch gebildet als auch neugierig, doch gab es einen klaren Unterschied zwischen Aristoteles als griechischem Wissenschaftler, Skylax von Karyanda als hellenisiertem Reisenden aus Karien, Gaius Iulius Caesar als römischem Eroberer und Pomponius Mela als römischem Gelehrten. Diese Unterscheidung hängt zwar nicht bloß davon ab, ob diese Autoren auf Griechisch oder Lateinisch schrieben, doch stellt sich die Frage nach dem eventuellen Ausmaß des Unterschieds zwischen der griechischen und der römischen Geographie. Eine Antwort auf diese Frage oder zumindest eine Erläuterung kann man in den sozialen und politischen Zusammenhängen von geographischen Interessen an der griechischen und römischen Gesellschaft suchen – mit dem Vorbehalt, dass beide Gesellschaften unterschiedliche Perioden und Phasen durchliefen. Auch wenn man eine allzu grobe Vereinfachung vermeiden sollte, sind einige allgemeine Tendenzen offenbar.

Rom übernahm bewusst und absichtlich einige grundlegende Bestandteile der griechischen Kultur, etwa Literatur und Kunst, und hielt sich an griechische Vorbilder, wenn es griechische Leistungen nachahmte. Darin war die Geographie keine Ausnahme: Die Römer nahmen griechische Traditionen sowohl stilistisch als auch begrifflich an. Strabon kommentiert, dass römische Autoren allgemein ‹Nachahmer der Griechen› seien und das, ‹was sie berichten, bloß von den Griechen übertragen› (3.4.19). Die Geschichte der antiken Geographie beginnt zweifellos mit der griechischen Geographie und wird mehrere Jahrhunderte lang von griechischen Autoren beherrscht. Aber waren die Römer bloße Bewahrer literarischer und begrifflicher Traditionen? Den Schlüssel zur Antwort auf diese Frage bieten die verschiedenen politischen und sozialen Verhältnisse in den beiden Kulturen, die ihre jeweiligen Weltanschauungen beeinflussten. Allgemein gesagt bestimmte das sich ändernde Paradigma einer kleineren Welt, die auf lokale, am Meer gelegene Gemeinschaften im Gegensatz zu einem größeren Landreich beruhte, wie Geographie begriffen wurde und funktionierte. Es scheint auch selbstverständlich zu sein, dass die Geographie in einem imperialen Kontext andere Dinge sucht und beschreibt als in der Zeit der Archaischen Kolonisation oder während der Feldzüge Alexanders des Großen.

Griechen strebten danach, Seewege zu dokumentieren und Küstenhorizonte in erster Linie für Handelszwecke zu erweitern. Die wichtigsten Wege zum Erwerb neuer geographischer Informationen waren Erkundungen durch Händler, die häufig von nichtgriechischen Königen und Herrschern angeregt und unterstützt wurden: Ägypter (Necho II. förderte die Phönizier), Karthager (Hanno und Himilko) oder Perser (Dareios I. förderte Skylax von Karyanda). Wissensdrang allein bildete auch die Basis für einige wissenschaftliche – typischerweise griechische – Vorhaben, angefangen mit den vorsokratischen Philosophen. Astronomische Berechnungen und mathematische Schlussfolgerungen, die sich auf Geographie bezogen, waren dementsprechend fast ausschließlich Produkte des griechischen Geistes und wurden dann von späteren römischen Autoren imitiert und überliefert.

Rom förderte seinerseits die Verbindung von Geographie und Krieg. Man nahm an, dass die Topographie einen Einfluss auf die Strategie haben müsse und dass geographische Kenntnisse eine erfolgreiche Kriegführung unterstützten, und förderte deshalb die geographische Dokumentation, um die Orientierung im Raum zu verbessern.34 Griechische Historiker (Herodot, Thukydides, Polybios) hatten bereits einschlägige geographische Angaben in ihre Darstellungen einbezogen, um Taktiken auf dem Schlachtfeld zu erklären und künftige militärische Führer zu bilden. Dasselbe Muster herrschte in der römischen Historiographie etwa des Sallust vor. Aber die Römer mit ihrer Betonung der Praxis verbesserten diese Tendenz, indem sie nachträglich erstellte akademische Analysen durch die aktuelle Bewertung ersetzten, etwa in Caesars Bellum Gallicum. Es gibt sowohl bei Cornelius Nepos als auch bei Marcus Tullius Cicero Hinweise auf ein früheres Interesse an eher theoretischen geographischen Abhandlungen, die Maße und Beschreibungen verschiedener Weltregionen betrafen.35 Das Werk des Cornelius Nepos fand anscheinend jedoch keine weite Verbreitung, und Cicero gab sein Projekt aus Angst vor der griechischen Kritik gleich ganz auf. Was wirklich vom römischen Interesse an geographischen Problemen erhalten blieb, zeigt, dass sich die Römer weniger für die reine Wissenschaft interessierten, als vielmehr neue geographische Informationen hauptsächlich durch militärische Eroberungen erwarben. Sie begnügten sich meist mit bloßen itineraria, um Orte und Entfernungen aufzuzeichnen.

Der Gebrauch der Geographie für politische Zwecke bedarf einiger Überlegungen. Wie schon bemerkt wurde, spielte die Geographie in römischen Kreisen eine bedeutende Rolle, in der sich römische Sehnsüchte und Leistungen widerspiegelten. Tatsächlich waren einige wichtige geographische Werke in griechischer Sprache (etwa die von Strabon oder Dionysios von Alexandreia) so voll von römischer politischer Orientierung, dass die Einordnung dieser Werke als ‹griechische Geographien› fast sinnlos ist.

Halten wir fest: Die Beziehung zwischen praktischen Bedürfnissen und literarischer Geographie bestimmte den Grad des Interesses in beiden Gesellschaften, doch gibt es keine klare Art und Weise, antike Werke, die mit der Geographie verbunden sind, als ‹griechisch› oder ‹römisch› zu bewerten; viele ‹neutrale› Texte haben keine besondere zeitliche oder politische Relevanz. Vielleicht kann man aber vorsichtig sagen, dass sich die Griechen zumindest in den früheren Perioden häufig für Küsten (einschließlich derjenigen außerhalb des Mittelmeeres), für das westliche Mittelmeer und für Seewege im Allgemeinen interessierten, wohingegen den Römern besonders am Binnenland, an Grenzterritorien und an den Ländern am Rand der bekannten Welt insbesondere in Nordeuropa und Ostasien gelegen war. Auch die Fragen, die von den Kulturen gestellt wurden, waren verschieden. Die Griechen wollten Größe und Form von Ländern sowie Details von Reisewegen, von lokalen Waren und von Charakterzügen der Bewohner verschiedener Orte wissen. Die Römer neigten dazu, nach Entfernungen, nach Topographie und nach ausländischen Völkerschaften zu fragen, also nach Angaben, die zu einer besseren Orientierung im Raum beitrugen. Schließlich scheint Geographie für jede der beiden Gruppen etwas unterschiedlichen, freilich nicht völlig abweichenden Absichten gedient zu haben: Für die Griechen zielte die Navigation in erster Linie auf den Handel und die wissenschaftliche Erkundung, wohingegen für die Römer Landwege hauptsächlich administrative und militärische Zwecke erfüllten.36

Geographie in der antiken Welt

Подняться наверх