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Prolog

SYKE

Die Beleuchtung in der Zentrale der SYKE glomm nur noch. Das schummrige Licht – höchstens 40 Prozent der normalen Stärke – machte Cheyen Ho latent aggressiv. Immerhin war das trübe Licht eine ständige, unausweichliche Erinnerung daran, wie es um das Schiff stand, jede Minute, jeden Tag.

Das Schlimmste war allerdings wohl vorbei – was aber nicht bedeutete, dass es besser wurde. Nur komplizierter. Das Auftauchen des Sternenrads hatte die raum-zeitliche Struktur rund um das ehemalige Arkonsystem gehörig erschüttert. Vor zweieinhalb Tagen war das weiße Monstrum erschienen: eine leuchtende Scheibe, 100 Millionen Kilometer dick, eine Milliarde Kilometer im Durchmesser. Im Inneren war Platz genug für ein ganzes Sonnensystem. Die Flucht- und Trutzburg der Cairaner, sagten die, die es immer besser wussten.

Ein Gebilde dieses Ausmaßes ließ sich nicht ohne Nebenwirkungen quer durch das Universum versetzen. Kurz nach dem Erscheinen des Rads hatte eine gewaltige Schockwelle die SYKE getroffen, genau wie alle anderen Einheiten, die im näheren Umkreis Stellung bezogen hatten – mehr als 50.000 Schiffe aus mindestens vier unterschiedlichen Fraktionen. Arkoniden, Naats, Ladhonen und Posbis hatten einander dort kampfbereit belauert.

Sie lauerten immer noch, aber mit ihrer Kampfbereitschaft sah es wohl nicht besser aus als bei der SYKE-Besatzung. Sämtliche Hypertechnik war in Mitleidenschaft gezogen. Am ersten Tag war sie sogar nahezu komplett ausgefallen gewesen: Funk, Ortung, aktive und passive Waffensysteme und Energieerzeugung. Das war schlimm gewesen, aber mittlerweile schwankte die Verfügbarkeit der Technik enorm – niemand wusste, wie lange etwas funktionierte und mit welchem Wirkungsgrad. Und inwieweit dieser Umstand die Auslaugung von Hyperkristallen betraf ... Cheyen Ho wollte gar nicht so genau darüber nachdenken, was für ein Rattenschwanz an Folgen denkbar war. Falls die SYKE dieses ganze Szenario überstand.

Im Grunde war Hos Schiff ein Teilzeitwrack, das sich auf seine Notfallenergiespeicher verlassen musste. In einer Gefechtssituation würden diese binnen kürzester Zeit aufgebraucht sein, falls die Schutzschirme denn die Gnade hatten, nicht im entscheidenden Moment auszufallen.

Wir bekommen das hin, behaupteten die Techniker, aber einen genauen Zeithorizont konnten sie nicht angeben. Es existierte eben kein Präzedenzfall für ihre gegenwärtige Situation.

Das Schummerlicht half beim Energiesparen, wenn auch eher im symbolischen Bereich. Aber im Ernstfall mochte genau jenes Quäntchen die Rettung bedeuten.

Ho selbst blieb nichts übrig, als die Daumen zu drücken, dass die Energiegewinnung bald wieder ansprang und die Maschinen an Bord reibungslos funktionierten. Die Ingenieure, Techniker und Spezialisten arbeiteten rund um die Uhr daran, alle Funktionen wieder in Gang zu bringen.

»Jawoll!«, rief Tomasz Miri wie aufs Stichwort. Der Leutnant war der stellvertretende Leiter von Funk und Ortung. Er kümmerte sich darum, wieder verlässliche Informationen aus den Sensoren der SYKE zu generieren.

»Lass uns an deiner Freude teilhaben!«, ordnete Ho an.

Miri grinste sie selbstzufrieden an. »Die aktuelle Konfiguration bringt endlich Ergebnisse, die mit der normaloptischen Beobachtung übereinstimmen.«

Das war eine gute Nachricht. Die Hyperortung arbeitete im erträglichen Bereich – qualitativ wie quantitativ. Korrekte Daten lieferte sie leider nicht unbedingt: Was die Ortung ergab und was die normaloptische Beobachtung korrelierte nicht immer. Die Besatzung der SYKE konnte einige Schiffe im System direkt optisch beobachten, nämlich jene, die sich zwischen ihrer eigenen Position und dem monströsen Sternenrad befanden. Im Idealfall vollführten die winzigen schwarzen Punkte vor dieser weiß strahlenden Leinwand exakt die Manöver, die Miri in der Hyperortung gesehen hatte – nur eben mit der Verzögerung, die das Licht von ihrer Position bis zur SYKE benötigte.

In der Praxis funktionierte das leider bislang überhaupt nicht. Wann änderte sich das?

»Ich präsentiere: die Hyperortungsergebnisse!« Leutnant Miri zeigte beim Lächeln so blendende Zähne, dass sie dem Sternenrad Konkurrenz machten. »Und nun die normaloptischen Beobachtungen.«

Zwei Holos erschienen, eines mit roten, eines mit gelben Punkten, und schoben sich in der Luft übereinander. Sie waren völlig deckungsgleich.

»Und jetzt ...« Miri aktivierte eine Funktion, und die Punkte setzten sich in Bewegung. Rot und Gelb zogen Spuren durch die Luft, die bis auf winzige Abweichungen exakt aufeinanderlagen.

Am Anfang zumindest. Dann trennten sich die ersten Punkte voneinander.

»Was ...?« Miri laborierte hektisch an seinem Pult. Das Grinsen war verflogen.

Er bekam die Abweichung nicht in den Griff. Die per Hyperortung gemessenen und die optisch beobachteten Schiffspositionen entfernten sich immer weiter voneinander. Mit einem unwirschen Handwinken desaktivierte er das Holo.

Ho seufzte und wandte sich an Miris direkten Vorgesetzten, Leutnant Anders Krupcke. »Und wie sieht es bei dir aus?«

Krupcke als Chef der Abteilung Funk und Ortung kümmerte sich darum, die überlichtschnelle Kommunikation wieder in Gang zu bringen. Er hatte den Auftritt seines jüngeren Kollegen mit steinerner Miene und einer hochgezogenen Augenbraue verfolgt.

»Können wieder funken«, sagte er ungerührt. »Wollte nur mit der Meldung warten, bis das da vorbei ist.« Er gestikulierte dorthin, wo eben noch Miris Lichtshow falsche Hoffnungen geweckt hatte.

Ho weitete überrascht die Augen. »Wie das?«

»Unzuverlässige Verbindung, beschränkte Reichweite.« Redseligkeit konnte man Krupcke nicht vorwerfen. »Keine hundert Lichtjahre. Aber wir haben ein anderes terranisches Schiff außerhalb von M Dreizehn aufgetan. Sie leiten unsere Sendung als Relais weiter. Ist nicht doll, funktioniert aber halbwegs.«

»Ich will eine Verbindung nach Rudyn!«, forderte Ho.

Krupcke zuckte mit den Achseln. »Sollte klappen.«

*

Ho saß aufrecht am Schreibtisch ihres Arbeitsraums neben der Zentrale. Das Holo-Emblem der Solaren Residenz baute sich vor ihr auf, flackerte, verschwand und erschien wieder. Dann tauchte das Gesicht von Reginald Bull auf, Resident der Liga Freier Galaktiker – der Mann, dessen Befehle schuld daran waren, dass ihr Schiff von einem Unglück ins nächste flog.

»Oberstleutnant Ho!« Er wirkte gleichermaßen erleichtert wie übernächtigt. »Endlich! Was ist los bei euch?«

»Du weißt vermutlich, dass das Sternenrad der Cairaner bei der Bleisphäre eingetroffen ist?«

»Ja, und das ist auch alles, was ich weiß. Zweieinhalb Tage, und niemand vor Ort hat es für nötig gehalten, mich mit Details zu versorgen.«

Ho fragte sich, ob es das war, was dem Residenten schlaflose Nächte bereitete – oder das Schicksal des Ilts Gucky, mit dem Bull über Jahrtausende befreundet gewesen war. Mit Guckys sinnlosem Tod hatte ihre Pechsträhne begonnen.

»Es liegt weniger am mangelnden Willen«, sagte sie nicht minder müde, »als vielmehr am Vermögen. Das Sternenrad ist mit einer gewaltigen Hyperschockwelle bei uns aufgetaucht. So gut wie sämtliche wichtigen Systeme waren ausgefallen und sind teilweise schwer beschädigt. Wir haben keine zuverlässige Energiegewinnung und verbrauchen gerade unsere Energiereserven, die Ortung ist hinüber, und der Funk ...«

Sie musste den Satz nicht zu Ende bringen. Bull nickte. »Das erklärt die miese Verbindung. Die Gesamtlage?«

»Alle Schiffe vor Ort sind betroffen. Arkoniden, Naats, Ladhonen, Posbis, auch die THORA und ihre Begleitschiffe. Alle arbeiten fieberhaft daran, wieder verteidigungsfähig zu werden, bevor die anderen Konfliktparteien wieder angriffsfähig sind.«

»Wobei Angriff und Verteidigung hier große Schnittmengen aufweisen dürften«, sagte Bull und zog eine Grimasse. »Fünfzigtausend wehrlos driftende Raumschiffe, mitten im Krieg um Thantur-Lok? Wann geht denn endlich wieder die Saat der Vernunft in der Galaxis auf?«

»Vierundfünzigtausend«, korrigierte Ho, die Bulls philosophische Anwandlungen ignorierte. »Die Situation ist explosiv. Kommt eine Partei deutlich schneller als die anderen wieder auf die Beine, gibt es ein Massaker.«

»Was ist mit Atlan auf der THORA?«, fragte Bull.

»Kein Kontakt bislang«, bedauerte Ho. »Je größer das Schiff, desto mehr Technik kann ausfallen.«

Bull zog einen Mundwinkel schief. »Wie wäre es, wenn du mir zur Abwechslung mal gute Nachrichten brächtest?«

Ho versteifte sich. Machte der Resident etwa sie für die Situation verantwortlich?

Doch Bull winkte nur ab und schüttelte den Kopf. »Entschuldige. Ein verunglückter Scherz. Ich hatte schon bessere Tage.« Er sah sie müde an. »Seit wann hast du nicht mehr geschlafen?«

Ho musste nachdenken. »Etwa sechsunddreißig Stunden. Die Reparaturen nehmen uns voll in Anspruch, neben ein paar anderen logistischen Problemen.«

Eines davon hörte auf den Namen Klowka, stand im Rang eines Korporals und hatte kein Gefühl für Prioritäten.


Illustration: Swen Papenbrock

»Wenn die Kommandantin umkippt, hilft das eurer Einsatzfähigkeit wenig. Im Anschluss an unser Gespräch isst du was und legst dich hin, okay?«

Missmutig blickte Ho zu dem Tisch, an dem ihr nicht angerührtes Mittagessen stand: ein gewaltiger Trog Salat. Aus Energiegründen war die Fleischsynthetisierung auf Eis gelegt, stattdessen gab es Grünzeug aus Vorräten und hydroponischen Anlagen. Seit zweieinhalb Tagen war eine vegetarische Zwangsdiät verordnet, was ihr als Halbertruserin gehörig gegen den Strich ging.

Wenigstens war die Lebensmittelkühlung kein Problem. In einem der irrsinnigeren Momente seit der Havarie hatte jener unselige Korporal Klowka ihr aufgelöst vorgerechnet, dass sie in wenigen Tagen verhungern würden, falls sie die Energie zur Temperaturregulierung der Vorratsräume einsparten.

Der Chefkoch hatte ihn ausgelacht und vorgeschlagen, die verderbliche Ware in einen zum All hin offenen Hangar zu bringen. Der Eisbergsalat, nahe beim absoluten Nullpunkt gelagert, trug seinen Namen seitdem völlig zu Recht.

»Zu Befehl«, sagte sie missmutig.

»Was ist mit dem Sternenrad selbst?«, fragte Bull. »Neue Erkenntnisse?«

Damit hatte er zielsicher einen weiteren wunden Punkt getroffen. »Ortung ins Sternenrad hinein ist nicht möglich«, erklärte sie. »Wir wissen nicht, ob der Weiße Schirm das verhindert oder ob es an unseren gestörten Geräten liegt. Aber vor zweieinhalb Tagen ist ein Einsatzteam eingedrungen. Zwei Leibwächter des Thantur-Barons mit einem Spezialroboter und zweien meiner Besatzungsmitglieder.«

Bull nickte. »Und du machst dir Sorgen.«

»Zweieinhalb Tage ohne jedes Lebenszeichen? In der Tat halte ich da Sorgen für durchaus angemessen.«

»Es ist nicht besonders lange für einen Undercover-Risikoeinsatz«, gab der Resident zu bedenken. »Aber ich verstehe dich natürlich. Was hast du vor?«

»Ich überlege, eine zweite Gruppe hinterherzuschicken«, antwortete Ho. »Allerdings wissen wir nicht, wie wir den Schirm durchdringen sollen. Das erste Team hat sich mit einem havarierten Schiff eingeschleust, das die Cairaner ins Innere geschleppt haben. Diese Möglichkeit haben wir nicht noch einmal.«

»Hm«, machte Bull. Und noch einmal: »Hm. Ich weiß, wer vielleicht helfen kann. Es dauert ein paar Tage, aber du bekommst Verstärkung von mir. Sonst noch etwas?«

Ho schüttelte den Kopf. »Wir versuchen zu überleben und schneller einsatzbereit zu sein als die anderen.«

»Klingt nach einem guten Plan«, sagte Bull. »Würde ich weiterverfolgen.«

»Wann hast du eigentlich das letzte Mal geschlafen?«, fragte Ho in einem plötzlichen Anfall von Wagemut.

»Weiß ich nicht.« Bulls Züge verhärteten sich. »Auf jeden Fall war da Gucky noch am Leben.« Er schüttelte den Kopf, und der Ausdruck von Hass und Trauer verflog so schnell, wie er gekommen war. »War es das für den Augenblick, Oberstleutnant?«

»Für den Augenblick ja, Resident«, sagte sie förmlich. Sie spürte: Sie hatte eine Grenze überschritten, von der sie sich besser ferngehalten hätte. »Ich melde mich, sobald es neue Entwicklungen gibt.«

»Mach das.« Bull war mit seinen Gedanken schon ganz woanders. »Mach das.«

Ohne Abschiedsworte beendete er die Verbindung.

Ihr Magen knurrte erschreckend laut. Lustlos wandte sie sich ihrem Salat zu und befolgte des Residenten Befehl.

Perry Rhodan 3082: Ein kalkuliertes Risiko

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