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3.

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Jessica Tekener erwachte in Finsternis. Es war keine völlig lichtlose Schwärze, mehr eine Düsternis, die sie spontan mit Kerkern und Verliesen assoziierte. Sie befand sich in einem unbeleuchteten Raum mit zwei winzigen Fenstern, nur handgroß und rund wie Bullaugen. Dort drang gerade genug Helligkeit einher, um ein paar Schemen auszumachen. Draußen musste es Nacht sein oder vielleicht Dämmerung.

Jessica lauschte. Sie hörte nichts. Keine Schritte, kein Rascheln von Kleidung, keinen Atem außer dem eigenen. Sie war allein. Natürlich konnte irgendwo ein schussbereiter Kampfroboter stehen, der nur darauf wartete, dass sie sich bewegte. Ein Gegner aus Fleisch und Blut war aber mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht in ihrem Gefängnis.

Wieso ging sie eigentlich so selbstverständlich davon aus, dass sie eine Gefangene war? Im Grunde gab es überhaupt kein Anzeichen dafür.

Insgeheim kannte sie die Antwort auf diese Frage: Sie hatte es verdient, verhaftet zu werden. Für das, was sie auf Luna getan hatte. NATHAN mochte ihr vergeben haben; sie selbst jedoch nicht.

Ihr rationaler Verstand meldete sich und verwies die Schuldgefühle in ihre Schranken. Erst Fakten sammeln, dann Schlüsse ziehen! Das war die Reihenfolge, mit der sie als private Ermittlerin jahrelang Erfolg gehabt hatte, und an der schlichten Weisheit dieser Methode hatte sich seither nichts geändert.

Sie setzte sich auf. Mittlerweile hatte sie sich auf die Dunkelheit eingestellt und nahm mehr Details wahr. Der Raum war ebenso rund wie die Fenster. Die Wände waren minimal nach innen gewölbt. Es gab zwei Türen. Eine lag zwischen den Fenstern und führte wohl nach draußen. Die andere war leichter gebaut. Hinter ihr gab es möglicherweise einen weiteren Innenraum.

Sie stemmte sich auf die Beine. Dabei stieß ihr Knie gegen etwas – den Strahler, den NATHAN ihr gegeben hatte! Das sprach nun eindeutig dagegen, dass sie gefangen war. Ein Kerkermeister hätte keinen Grund gehabt, ihr die Waffe zu lassen. Sie aktivierte die Waffe, deren Statusleuchten etwas mehr Licht spendeten, als durch die Fenster kam.

Sie konnte ein paar weitere Fakten sammeln. Glitzernder Staub am Boden, dort verwirbelt, wo sie gelegen hatte. Der Raum war offensichtlich schon länger nicht mehr in Benutzung.

Zwei Schleifspuren von der Tür zu ihrem Lagerplatz, dazwischen Fußspuren, entweder von bloßen Füßen oder von weichen Schuhen ohne Profil. Jessica betrachtete ihre Stiefelabsätze. Erde und Kristallstaub an der Hinterkante. Jemand hatte sie von außen in diesen Raum hineingezogen und abgelegt. Wer? Warum?

Sie ging zum Fenster links neben der Tür und spähte vorsichtig hinaus. Ein großer Platz lag vor dem Gebäude, gesäumt von überwucherten, kuppelförmigen Gebäuden. Im Zentrum des Areals schillerte die schwarze Fläche eines Zeitbrunnens. Die Vermutung lag nahe, dass sie aus diesem Brunnen aufgetaucht war, nachdem etwas sie in das Gegenstück auf Luna gerissen hatte, als Hondro sie zum Angriff auf NATHAN gezwungen ...!

Hondro!

Nun erst fiel es ihr auf: Hondro war aus ihrem Kopf verschwunden. Die fremde Stimme, der Zwang – von alledem war nichts mehr zu spüren! Sie nahm einen tiefen Atemzug. Auch die Sporen beeinträchtigten ihre Lunge nicht mehr.

Sie blickte auf den Strahler in ihrer Hand. Ich könnte es beenden, hier und jetzt. Nie wieder meine Freiheit verlieren. Nie wieder Sklavin sein, nie wieder Gefangene in meinem eigenen Körper.

Der Kombistrahler war auf Thermofeuer eingestellt. Sie setzte die Mündung an die Schläfe. Von ihrem Kopf würde nur Asche übrig bleiben. Ein selbst gewähltes Ende, ein Fanal ihrer Freiheit und zugleich eine angemessene Strafe für das, was sie unter Hondros Einfluss getan hatte ...

Sie tragen keine Verantwortung für die zurückliegenden Ereignisse, klang NATHANS Stimme in ihren Gedanken nach. Wenn das stimmte – Es stimmt, insistierte ihr rationaler Verstand –, warf sie dann nicht ein Geschenk achtlos weg, das Geschenk ihrer Selbstbestimmung, nun und in Zukunft?

Oder war dies nur eine neue Gemeinheit von Hondro, um sie zu foltern? Entledigte er sich so eines Werkzeugs, das er nicht mehr brauchte? Sie hatte schon zuvor an Selbstmord gedacht, als ihr klar geworden war, dass sie andere Menschen für Hondro töten würde. Doch er hatte es ihr verboten. Ermunterte er sie nun subtil auf eine Weise, die ihr gar nicht bewusst war?

Nein. Er konnte es ihr einfach befehlen, und sie hätte keine Chance gehabt, sich zu widersetzen. Er hatte das schon einmal getan. Sie lebte nur noch, weil Perry Rhodans Söhne vor ihrem Selbstmordversuch eingegriffen hatten.

Die ungelösten Rätsel verbündeten sich mit ihrem Überlebensinstinkt. Sie hatte noch etwas zu tun: Sie musste herausfinden, wo sie war. Wie sie von diesem Ort wegkam. Und wie sie Iratio Hondro töten konnte, bevor sie wieder unter seine Kontrolle geriet.

Als Jessica Tekener den Strahler sinken ließ, bemerkte sie die Ladepegelanzeige des Energiemagazins: dreiundsiebzig Prozent. NATHAN hatte ihr die Waffe vollständig geladen übergeben. Der Strahler war also in der Zeit zwischen dem Brunnendurchgang und ihrem Aufwachen benutzt worden. Von wem und wofür?

Ein weiterer Eintrag auf der Liste der offenen Fragen, auf der sich Punkte fanden wie: Wohin in der Milchstraße hatte der Zeitbrunnen sie transportiert? Was war seitdem geschehen? Und: Was hatte der hiesige Architekt bloß gegen rechte Winkel?

Die halbkugelförmigen Bauten rund um den Platz draußen erklärten zumindest die seltsame Wölbung der Wände des Raums, in dem sie erwacht war. Sie beschloss, zunächst das Innere des Gebäudes weiter zu untersuchen, bevor sie hinaustrat. Sie konnte es für die Erkundung der Umgebung als Rückzugsort und Basislager benutzen. Außerdem wollte sie sicher sein, dass tatsächlich kein Feind darin verborgen war.

Vorsichtig und mit schussbereiter Waffe öffnete sie die Tür zum Nebenraum. Auch dort war niemand und alles verstaubt, insbesondere der hüfthohe und etwa einen halben Meter tiefe Sims, der auf rund vier Metern Länge an der Wand entlanglief, ähnlich einem Tresen. Darüber gähnten mehrere Fenster, durch die Jessica jedoch nur weitere, von hellen Schlingpflanzen überwucherte Kuppeln sah.

Interessanterweise prangten kopfgroße, schwarz glänzende Paneele zwischen diesen Fenstern. Eines davon zeigte einen Lichtreflex, als sie darauf zuging. Zuerst hielt sie es nur für die Spiegelung des Abstrahlfelds ihrer Waffe. Dann aber wiederholte sich das Aufblitzen, und sie begriff: Es war eine technische Einrichtung, und ihre Energieversorgung funktionierte!

Vorsichtig näherte sie sich, konnte jedoch nichts erkennen, was ihr Aufschluss über Zweck oder Bedienung des Geräts gegeben hätte. Sie zuckte mit den Schultern, dann berührte sie die Fläche. Was auch immer geschehen mochte, es war mit ziemlicher Sicherheit nicht so schlimm wie das, was hinter ihr lag.

Drei Sekunden lang passierte nichts, dann brüllte sie auf. Ihr Mund und ihre Zunge fühlten sich an, als hätte man ihr Schwefelsäure hineingekippt und gleichzeitig einen starken Stromschlag verabreicht. Es war nur ein Moment, aber der widerwärtige Nachgeschmack blieb – ganz zu schweigen von dem Schock über die völlig unerwartete Attacke.

Ein rechteckiger Abschnitt in dem Tresen vor ihr leuchtete auf. Jessica hörte ein Surren, dann zog sich das leuchtende Areal zurück wie eine horizontale Schiebetür.

Durch die Öffnung fuhren ein Teller und ein Glas mit einer klaren, farblosen Flüssigkeit nach oben. Auf dem Teller dufteten krosse Bratkartoffeln und zwei kleine, zart gegrillte Steaks neben etwas Krautsalat.

Sie war fassungslos. Ihr Leibgericht, oder zumindest eine ihrer Lieblingsspeisen. Sie überlegte, wann sie zuletzt überhaupt etwas gegessen hatte – vor der Attacke auf Luna jedenfalls, und sie wusste nicht, wie lange sie danach bewusstlos gewesen war. Sie war geradezu wahnwitzig hungrig, und dies ... Sie hatte nicht die Widerstandskraft für eine sorgfältige Untersuchung der Mahlzeit. Mit bloßen Fingern nahm sie eine Kartoffelscheibe und biss hinein. Sie knusperte zwischen den Zähnen, und der Geschmack war ein Gedicht. Sie fühlte sich mehr als entschädigt für die Säureattacke wenige Augenblicke zuvor.

Es war ein Scan, begriff sie nun. Die Maschine hat meine Physiologie und den Geschmackssinn analysiert sowie verträgliche und sogar schmackhafte Nahrung für mich synthetisiert. Und zwar auf einem Niveau, das jede terranische Robotkantine bei Weitem übertraf. Sie kostete von der Flüssigkeit. Es war herrliches, kaltes, klares Wasser. Etwas Schöneres hätte sie sich im Augenblick nicht wünschen können.

Mit bloßen Händen schaufelte Jessica das Essen in sich hinein und bestellte sich noch eine zweite Portion, die ihr dankenswerterweise ohne erneute Abtastung serviert wurde. Danach war sie satt und hatte ein gutes Stück innerer Ruhe und gedanklicher Klarheit zurückgewonnen.

Sie hatte ein Dach über dem Kopf. Sie war mit Nahrung versorgt. Alles, was sie zum Überleben brauchte, war erst mal gewährleistet. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie dieses Gebäude vielleicht nie mehr verlassen müssen. Die Welt draußen einfach ignorieren, nie wieder irgendwohin gehen, wo Iratio Hondro von ihr Besitz ergreifen konnte ...

Sie lächelte, als dieser Gedanke sich ungebeten aufdrängte. Es lag nicht in der menschlichen Natur, sich dauerhaft zu verschanzen. Oder zumindest nicht in ihrer. Sie hatte Fragen, also würde sie sich die Antworten besorgen. Und die lagen draußen.

Sie kehrte zurück in den Raum, in dem sie aufgewacht war, und öffnete die andere Tür. Einige Äste oder dünne Stämme waren dagegengelehnt, aber es war kein Problem, sich zwischen ihnen hindurchzuwinden. Wenn man sie damit gefangen halten wollte, wäre mehr Mühe nötig gewesen.

Dann sah sie einige spitze Äste vor der Schwelle, in flachem Winkel eilig in den Boden gerammt. Die Zacken wiesen nach außen. Wer auch immer diese Barrikade gebaut hatte, wollte nicht Jessica drin-, sondern etwas von ihr fernhalten. Wahrscheinlich wilde Tiere von mäßiger Intelligenz.

Sie suchte nach Hinweisen darauf, dass solche potenziellen Angreifer in der Nähe lauerten, da zog der Zeitbrunnen ihre Aufmerksamkeit auf sich: Seine Farbe veränderte sich. Er wurde heller und wieder dunkler ... Nein, das stimmte nicht. Er flackerte, verschwand kurzzeitig und gab den Blick auf den gelblichen Steinboden darunter frei. Dann war er wieder da, in seiner ganzen geheimnisvollen Schwärze, dann wieder fort ...

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Der Zeitbrunnen war vielleicht ihre einzige Möglichkeit, diese Welt je wieder zu verlassen – und er löste sich vor ihren Augen auf! Im Reflex rannte sie darauf zu, hielt jedoch vor der Kante an. Was tat sie da? Sie hatte zwei Zeitbrunnentransfers überlebt. Bei beiden wusste sie nicht, warum. Die Passage durch einen Zeitbrunnen ist nur mit einem speziellen Schutz möglich, den ich Ihnen leider nicht bieten kann, hatte NATHAN gesagt.

Jessica Tekeners analytisches Misstrauen sezierte die Worte des Mondgehirns. Es gab also einen Schutz, auch wenn NATHAN ihn nicht selbst anbieten konnte. Seine weiteren Bemerkungen deuteten klar darauf hin, dass er sie bis zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt hingehalten hatte, um sie dann doch in den Brunnen zu stoßen. Da sie lebte, hatte jemand oder etwas sie in diesem Moment geschützt. Und NATHAN hatte davon gewusst.

Aber ob das nun immer noch der Fall war oder ob ein neuerliches Eintauchen in den Zeitbrunnen nur ein originellerer Suizid als der Kombistrahler wäre, wusste sie nicht. Das Risiko war ihr zu hoch. Frustriert sah sie zu, wie der Brunnen erlosch.

Immerhin erhielt sie dadurch ein paar Antworten auf andere Fragen. Die gelben Bodenplatten waren teils rußgeschwärzt, teils gesplittert, teils geschmolzen und wieder erstarrt. All das sah nach der Wirkung von Thermostrahlen aus. Vermutlich hatte also genau an dieser Stelle das Gefecht stattgefunden, das den Energiespeicher ihres Kombistrahlers teils entleert hatte. Jemand, der kein guter Schütze war, hatte auf bodennahe Ziele gefeuert.

Ein schrilles Geräusch hinter ihr ließ sie herumwirbeln.

»Kriiieh! Kriiieh!«

Tiere drängten von allen Seiten zwischen den Gebäuden hindurch auf den Platz: Riesenwürmer oder Raupen mit krabbenartigen Scheren und Schwänzen, die in hammergleiche Hornklumpen ausliefen. Sie waren schnell, vor allem aber waren es viele. Jessica riss ihren Strahler hoch und gab einen Warnschuss ab – doch davon ließen sich die Angreifer nicht abschrecken. Sie grillte die erste Scherenraupe erbarmungslos, doch auch das brachte den Vormarsch nicht zum Stehen.

Voller Entsetzen sah sie, dass die Viecher sich zwischen sie und ihre Zuflucht geschoben hatten. Sie feuerte, um sich einen Weg in die Sicherheit ihres Verstecks zu bahnen, und rannte los.

Ihre rasche Bewegung wirbelte Staub auf, glitzernde Kristalle, die beim Rennen tief in ihre Lunge gelangten. Das Zeug löste bei ihr irgendetwas aus. Ihr wurde schwindlig, ihre Schritte wurden unsicher. Die Welt verschwamm vor ihren Augen.

Nein!, schrie sie sich in Gedanken selbst an. Du musst klar bleiben! Nur ein paar Sekunden noch, dann bist du in Sicherheit!

Doch ihre Sinne ließen sich nichts befehlen. Sie sah ihr Ziel nicht mehr, nicht die Tiere mit ihren Scheren und Hämmern, die ihr den Weg dorthin verstellten. Stattdessen sah sie nur ein glitzerndes Wabern, und davor schälte sich eine Gestalt aus dem Nichts ...

Hondro! Also war er doch noch in ihrem Geist! Er hatte sie die ganze Zeit ...

Nein. Hondro löste sich auf, er zerlief zu einer schwarzen Pfütze, rund wie ein Zeitbrunnen. Daraus stieg ein blau leuchtendes Tetraederholo empor. Dessen Ecken und Kanten verzogen sich, beulten sich aus, bis sich ein blau leuchtender Würfel um seine Z-Achse drehte. Dieser verwandelte sich zum Oktaeder ...

NATHAN, begriff sie. Dass sie so lange gebraucht hatte, um sich zu erinnern, war ein schlechtes Zeichen. Das Zeug, das sie einatmete, tat ihr nicht gut.

Ein gewaltiger Schlag traf Jessica Tekener in den Rücken, so kräftig, das sie abhob und durch die Luft geschleudert wurde. Das war es, dachte sie benommen. Die Tiere. Sie haben mich.

Ihr Kopf prallte auf einen Boden, den ihre Augen nicht sahen, und NATHANS kühl-helles Blau wich letztlich doch einer schwarzen Lichtlosigkeit.

Perry Rhodan Neo 247: Die Welt jenseits der Zeit

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