Читать книгу IGNATIUS VON MANRESA - Kai-Uwe Wegner - Страница 8
ОглавлениеDie drei Urfragen
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Was ist Geist?
Was weiß der Mensch von der Welt des Geistes? Die Welt der Sinne kennt er. Er hat sie abgetastet, ausgemessen und erforscht. In jeden Winkel ist er gekrochen und er spricht heute stolz: „Diese Welt kenne ich“. Doch was weiß er von der Welt des Geistes. Sie ist unendlich größer, unzugänglicher und nicht ausmessbar, doch sie ist ebenso real wie die Welt der Sinne. Ich betrete sie und bewege mich mühelos in ihr. Alles, was ich jemals in der Welt der Sinne gefunden habe, finde ich in ihr wieder. Alles, was mir jemals durch den Kopf gegangen ist, finde ich dort wieder. Alles, wozu die Kraft meines Geistes mich befähigt, kann ich dort neu erschaffen. Es ist eine Welt, die es ohne die andere -die äußere Welt- nicht gäbe. Aber gäbe es auch die äußere ohne die innere Welt? Welche der beiden war zuerst da? Die äußere kann die innere nicht hervorrufen, denn sie ist nur Materie. Und auch die innere kann die äußere nicht hervorbringen, denn sie ist nur Geist. Und dennoch sind beide miteinander verbunden und verändern sich gegenseitig. Es gibt keine Veränderung in der einen, ohne eine Veränderung in der anderen hervorzurufen. Nichts aus der äußeren Welt wird der Mensch begreifen, ohne gleichzeitig die innere Welt neu zu gestalten. Die äußere Welt kennt kein Begreifen, sie funktioniert einfach so, wie es ihr eingegeben worden ist. Die äußere Welt ist für alle Menschen gleich, doch die innere ist jedem anders gegeben. Alles, was lebt, besitzt eine innere Welt, doch wie unendlich verschieden sind diese inneren Welten. Je gewaltiger, tiefgehender und höhenreicher die innere Welt eines Lebewesens ist, desto vielfältiger sind auch ihre Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die äußere Welt. Wir haben die äußere Welt, die uns unendlich und unermesslich erschien, erkundet und mit Grenzsteinen versehen. Doch was wissen wir über die innere Welt, die uns all das, was wir über die äußere Welt gelernt haben, wieder vergessen machen kann? Der Reichtum einer einzigen inneren Welt reicht aus, um Millionen Wahrnehmungen der äußeren Welt grundlegend zu verändern. Und doch wissen wir über diese Welt so gut wie nichts und erkunden weiter die äußere Welt, weil eben diese Welt einfacher zu begehen ist und aus ihrer Erforschung scheinbar größere Vorteile zu ziehen sind.
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Sonderbar und unergründlich ist doch der Geist. Es gibt Tage, an denen erwache ich und ein Gedankenreichtum ohne Grenzen steht mir zur Verfügung. Es ist, als ob ich in einem Garten inmitten der süßesten und vollsten Früchte stünde. Ich brauche nur meinen Arm zu erheben und sie zu pflücken. So setze ich mich an meinen Tisch und die Gedanken sprudeln nur so hervor, so dass meine Hand kaum hinterher kommt. Dann gibt es Tage, an denen mir nichts einfällt und der Garten ohne eine einzige Frucht vor meinen Augen steht. Und ich denke mir dann: „Er wird wohl nie wieder Früchte hervorbringen. Er liegt für immer brach.“ Und doch wird eine reiche Ernte diese Dürrezeit wieder vergessen machen. Was macht den Geist fruchtbar und lebendig und was macht ihn träge und unfruchtbar? Wer gibt ihm die Gedanken ein, dass sie aus ihm hervorsprudeln? Wird der Mensch dies jemals ergründen?
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Wenn ich meinen Blick von der Erde ab- und der scheinbar unendlichen Lebensfeindlichkeit des Raumes zuwende, drängt sich mir oft der Gedanke auf, dass all das -der gesamte Raumgeschaffen worden ist, damit dieses Leben hervorgebracht werden kann. Und was läge näher? Ein Planet innerhalb eines Sonnensystems, der sich um eine Sonne dreht, die alles Leben auf ihm tötete, wenn er ihr zu nahe käme, und der kein Leben hervorgebracht hätte, wenn er sich zu weit von ihr entfernt hätte. Alle Bedingungen innerhalb dieses Sonnensystems sind genau so, dass Leben auf der Erde entstehen musste. Weder kann dies in einem Raume, in dem Naturgesetze gelten, ein Zufall sein, noch kann dieses Leben innerhalb eines lebensfeindlichen Raumes als ein Zufallsprodukt, das durch das Zusammentreffen günstiger Gegebenheiten entstanden ist, bezeichnet werden. Spricht nicht vieles dafür, dass dieses Leben hervorgebracht werden sollte und dass dieses Sonnensystem innerhalb des Raumes dafür geschaffen worden ist, um auf diesem Planeten das Leben entstehen zu lassen? Gäbe es auf der Erde einfach nur Leben ohne Geist, der dieses Leben und den Raum begreifen kann, könnte man womöglich von einem Zufall sprechen. Es gibt jedoch diesen Geist, der die Naturgesetze begreift, den Raum erkennt und sich außerhalb des Körpers bewegen kann. Das Vorhandensein dieses Geistes ändert alles. Denn der Mensch als der bedeutendste Träger dieses Geistes kann nicht umhin, die ordnende Kraft seines Geistes in der Natur und im Raume wiederzufinden, ja, diese als verwandt zu empfinden. Der Geist des Menschen und der Geist des Schöpfers des Raumes und der Erde haben für ihn den selben Ursprung. Dennoch nannte er diesen Schöpfer Gott oder Götter, empfand sich als niederen Abkömmling dieses Göttlichen und ordnete sich ihm unter. Doch sein Geist, der in ihm wirkt, scheint derselbe zu sein, der im Schöpfer des Raumes wirkt und seine Schaffenskraft als Träger dieses Geistes scheint dieselbe zu sein, die den Raum erschaffen hat. Der einzige Unterschied scheint mir zu sein, dass im Menschen dieser Geist innerhalb seines Leibes wirkt, wohingegen der Geist ohne Leib im gesamten Raume und im Unendlichen wirkt. Solange der Geist an den Körper des Menschen gebunden ist, befindet er sich innerhalb der Materie. Wenn er nach dem Tode des Körpers diesen verlässt, wird er eins mit dem Geiste außerhalb der Materie. Das Leben des Menschen auf der Erde ist ein Durchdringen der Materie durch eine unendliche Kraft. Solange sich also der Geist innerhalb der Materie befindet, ist er von dem Geiste außerhalb der Materie und dessen Bewusstsein getrennt. Deshalb ist er sich weder bewusst, wie er in seinen Körper gelangte noch, wohin er gehen wird, wenn er ihn verlässt. Erst durch die Ordnung innerhalb der Natur und des Raumes erkennt er das Wirken des großen Geistes. Ihm wird bewusst, dass die Kraft, die diesen Raum mit all ihren Wundern geschaffen hat, auch in ihm wirkt. Er wird dies niemals kausal beweisen können -denn kausal beweisen kann der Geist, solange er mit Materie verbunden ist, nur Gesetze, die innerhalb der Materie wirken- aber er spürt in seinem Geiste, dass er sich dieser Wahrheit nicht entziehen kann. Beweise bedarf es nur innerhalb der materiellen Welt, in der der Geist, vom großen Geist getrennt, die Welt des Raumes begreifen lernen muss. Verbunden mit dem großen Geist außer-halb der Materie bedarf es keiner Beweise, denn diesem großen Geist ist alles Wissen und alle Wahrheit offenbar. Er ist wie eine Sonne in einer Ewigkeit, deren Strahlen die vergeistigte und in der Materie wirkende Urkraft ist.
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Allem, was sich im Raume befindet, liegt eine höhere Ordnung zugrunde: der Aufbau der Atome, die Bewegung des Blutes im Herz -Kreislaufsystem, das ökologische Gleichgewicht auf der Erde oder die Bewegung der Planeten um die Sonne. Nichts im Raume geschieht zufällig, sondern es gehorcht einer ordnenden Kraft. Bei der Entstehung dieses Raumes muss also diese ordnende Kraft der Materie immanent gewesen sein. Da es keine Bewegung im Raume gibt ohne eine solche ordnende Kraft, muss sie also bereits vor der Entstehung des Raumes vorhanden gewesen sein. Wir nennen diese ordnende Kraft: Naturgesetze. Naturgesetze sind Vernunftgesetze. Dies bedeutet, sie sind der Wille einer höheren übergeordneten Vernunft. Dieser Wille möchte den Raum genau so, wie er sich darstellt. Warum will er ihn genau so? Es ist sicherlich nicht völlig abwegig, dass dabei unserer Erde -einer Enklave des Lebens mitten im unendlichen Tod- eine besondere Rolle zukommen sollte. Auch wenn unser Sonnensystem innerhalb des Raumes verschwindend klein ist und wir nicht wissen, wie viele andere Orte es in diesem Raum gibt, auf denen es Leben gibt, so stellt sie dennoch etwas Außergewöhnliches dar. Was macht unsere Erde zu solch einem besonderen Ort? Es ist nicht allein ihre Schönheit mitten im Dunkel des Raumes oder ihre Vielfalt der Arten mitten in der Eintönigkeit des Raumes oder ihre Lebendigkeit der Formenwelt mitten in der Todesstille des Raumes. Nein, es ist vor allem das Vorhandensein von Geschöpfen, die ein Bewusstsein und ein Begreifen-Wollen der ordnenden Kraft im Raume in sich tragen. Es ist die
Existenz von Geschöpfen mit Geist, den kein anderes uns bekanntes Geschöpf besitzt. Und dieser Geist ist an das Leben gebunden, er ist ohne dieses Leben nicht vorstellbar. Dieser Geist macht die Erde zu einem außergewöhnlichen Ort. Erst dieser Geist begreift ihre besondere Stellung innerhalb des Raumes. Erst dieser Geist erkennt Naturgesetze und die Ordnung innerhalb des Raumes. Ohne diesen Geist wäre das Leben auf der Erde sicherlich ebenso schön und einmalig, doch wer verstünde es? Was ist überhaupt diese Schönheit ohne einen Geist, der sie begreift? Denn erst durch den Geist gibt es sie überhaupt, d.h. ist sie bewusst. Leben als Träger des Geistes stellt innerhalb des uns bekannten Raumes den unbestrittenen Höhepunkt dar.
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Eine rein materialistische Genesis der Erde wird man wohl niemals wissenschaftlich widerlegen können, doch wie sehr widerspricht sie der Wahrscheinlichkeit. Mitten im scheinbar unendlichen Raum des Todes eine von Leben bedeckte Erdkugel, die sich, in einer festen Ordnung befindlich, um eine Sonne dreht, die all das Leben auf ihr hervorbringt. Die Erde selbst ist ein Planet, der seiner ihm eingegebenen Ordnung und Gesetzen gehorcht, die nicht aufgehoben werden könnten, ohne ihn zu zerstören. Und auf ihr leben Geschöpfe, die nicht nur die Ordnung dieser Erde begreifen, sondern auch ihre Entstehung erklären und diese beweisen können. Doch das Instrument, das dies vermag, ist keine Materie, sondern Geist. Mittels ihres Geistes erkennen sie die Welt und ihre Rolle in ihr. Mittels ihres Geistes entschlüsseln sie die Struktur der Materie und ihre Entstehungsgeschichte. Es ist dieser Geist, der sie dazu befähigt, und er kennt weder Grenzen noch Tod. Er wirkt im Menschen, ob er wach ist oder schläft. Seine Existenz macht den Menschen zum Herrscher der Erde. Durch ihn löst er sich von der Materie und betrachtet seinen Leib und alles Sein von einem höheren Standpunkt aus. Wenn ein solcher Geist -der nichts anderes als ein ordnendes Vermögen istauch in allem, was ihn umgibt, eine ihm verwandte Ordnung erkennt, und alles, was im unendlichen Raum vorhanden ist, diese Ordnung in sich trägt: Wie sollte das, was diese höhere Ordnung hervorgebracht hat, sterblich sein? Muss diese Ordnung nicht schon dagewesen sein, bevor die Materie entstanden ist? Und wird sie nicht auf das in mir ordnende Vermögen nach dem Tode meines Körpers weiter wirken?
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Was ist Leben?
Leben regt sich auf der Erde in einer unendlichen Vielfalt. So wie der Geist in mir unerschöpflich Neues hervorbringt, so schafft das Leben unerschöpflich neue Lebensformen. Ich erkenne kein Ziel, keinen Endpunkt, zu dem das Leben hinstrebt, sondern nur ein ewiges Schaffen-Wollen. Nichts auf der Erde wird geschaffen, damit es Bestand hat, sondern alles wird geboren, um auch wieder zu sterben. Obgleich jedes Geschöpf in sich die unendliche Kraft des Lebens spürt, ist es zum Sterben verdammt. Doch was stirbt da eigentlich? Wir sehen, wie ein Sterbender aufhört zu atmen und sein Blick blass und starr wird. Sein Körper verfault und löst sich auf. Das Leben hat seinen Leib verlassen. Es ist der Körper, die Materie, die wir sterben, bzw. sich auflösen sehen. Doch stirbt dort Leben? Leben ist Kraft, besser gesagt Energie, die sich im Raume befindet und auf unserem Planeten wirkt. Unser Sonnensystem ist genau so ausgestaltet, damit dies möglich ist. Sollte das wirklich Zufall sein? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass bei der Schaffung des Raumes das Hervorbringen von Lebensformen gewollt war? Alles, was wir sagen können, ist doch: Wenn ein Geschöpf stirbt, verliert eine Lebensform ihre Ausprägung und löst sich in ihre kleinsten Teilchen auf, die wieder zur Schaffung neuer Lebensformen dienen. Die Energie jedoch, die das Geschöpf lebendig machte, hat bisher noch niemand entstehen oder vergehen gesehen. Und wie sollte dies auch möglich sein? Denn sie wirkt auch nach dem Tode unzähliger Geschöpfe weiter, um neue Lebensformen hervorzubringen. Lebensformen sterben, Materie verändert sich, doch Lebensenergie wirkt unerschöpflich fort. Selbst wenn unsere Erde einmal zerstört sein, selbst wenn unsere Sonne verglüht sein und unser Sonnensystem nicht mehr existieren sollte, wird Lebensenergie an einem anderen Ort im Raume neue Lebensformen hervorbringen. Leben ist unerschöpflich und ewig schaffend.
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Die Substanz der Lebensenergie können wir weder sehen noch wissenschaftlich nachweisen, doch der Geist des Menschen nimmt sie wahr und gab ihr schon in frühester Zeit den Namen “Seele“. Die Urbegriffe “Seele“ und “Geist“, die sich in jedem Volk und jeder Religion wiederfinden, sind keine Hypothese, sondern Tatsachen, die ebenso real sind wie Objekte aus der Sinnenwelt. Ihr Wirken kann allein aus der Materie heraus niemals erklärt werden, weshalb die Wissenschaft sich diesbezüglich in einem großen Dilemma befindet. Wenn Geist einzig eine Substanz des Gehirns und Seele einzig Energie des Körpers ist, die beide gemeinsam mit ihm sterben und deren Ursprung unbekannt ist, werden die meisten Phänomene des Lebens niemals begriffen werden können. Es ist, als ob jemand das Prinzip einer Dampfmaschine begreifen wollte, ohne von der im Dampf enthaltenen Wärmeenergie irgendeine Kenntnis zu besitzen. Er kann die Maschine genauestens studieren und bei Schäden alle notwendigen Reparaturen durchführen. Doch wenn jemand ihn fragt, wie es möglich sei, dass diese Maschine zum Laufen komme und welche Rolle dabei der Dampf spiele, wird er keine ausreichende Erklärung finden können. Und sollte jemand den Dampferzeuger manipulieren, sodass es zu Schäden durch die verminderten Druckenergie käme, würde er die Ursachen hierfür nicht finden können und ratlos vor der defekten Maschine stehen. Ebenso ergeht es dem Wissenschaftler, für den das Lebewesen sich bewegende Materie ist. Er wird die Organe und den Aufbau des Körpers genauestens untersuchen und sowohl Strukturen als auch Zusammenhänge begreifen. Was jedoch das Leben, was Lebensenergie ist, und wie und warum sie in diesen Körper gelangte, davon fehlt ihm jegliches Wissen. Wie sollte ein Arzt einen Menschen, der körperlich erkrankt ist, weil seine Seele oder sein Geist Schaden genommen haben, helfen können? Er wird die Organe, die sich als Folge des seelischen Schadens im krankhaften Zustand befinden, therapieren und nichts erreichen, solange der seelische Schaden bleibt und am Ende ebenso ratlos vor dem verstorbenen Patienten stehen wie der oben beschriebene Dilettant vor seiner defekten Maschine. Es ist eben eine unleugbare Tatsache, dass das Leben und die von ihm geschaffenen Ausdrucksformen im Raume sich allein aus der Struktur und Funktion der Materie niemals ergründen lassen werden. Ebenso wenig wie Liebe, Hass, Neid, Sehnsucht, Wut oder Wollen lässt sich auch das Phänomen des Lebens nicht aus der Materie heraus erklären. Der Mensch wird dabei ohne die Begriffe “Seele“ und “Geist“, auch wenn er ihre Existenz wissenschaftlich nicht beweisen kann, nicht auskommen können. Inwiefern sie jedoch auf die Materie wirken und welche Vorstellung man von ihnen haben sollte, darüber wird es innerhalb der Menschheit niemals einen endgültigen Konsens geben können. Der Mensch sollte sich darüber im Klaren sein, dass es sehr wohl Wahrheiten gibt, zu denen er keinen abschließenden Standpunkt einnehmen kann, die ihm jedoch, wenn er sie ignoriert oder leugnet, für das Verständnis der grundlegendsten Phänomene fehlen werden.
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Eine solche Wahrheit ist der Ursprung des Lebens. Obgleich es immer ein Mysterium bleiben wird, kann der Mensch nicht umhin, eine Antwort auf die Frage „Was ist Leben?" einzunehmen. Sie ist eine der großen Sinnfragen und solange der Mensch diese Frage nicht beantworten kann, wird er seinem Leben keinen Sinn geben können. Denn, wie sollte er den Sinn seines Daseins ausmachen können, wenn er keine Überzeugung in sich trägt, wessen Ursprungs das Leben in ihm ist? Sinnfragen muss der Mensch stets selbst für sich beantworten. Wenn er es sich jedoch leicht machen möchte und die von anderen bereits errungenen Antworten übernimmt, wird er nur vorübergehend Ruhe finden. Der Zweifel wird ihn stets quälen. Überzeugung und Gewissheit wird nur erlangen, wer sich die Mühe macht, die große Reise der Sinnfindung selbst anzutreten. Und selbst dann ist nicht gewiss, ob er diese Reise beenden oder nach ihrer Beendigung Antworten besitzen wird. So wie jede Reise ist auch diese Reise ein Wagnis mit unsicherem Ausgang. Doch eines ist gewiss, wer sie beendet und in sich Antworten auf die großen Sinnfragen gefunden hat, wird damit ebenso in sich Frieden und seinen ihm zugedachten Platz in der Schöpfung gefunden haben.
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Die Unerschöpflichkeit des Lebens haben die Menschen erkannt und gaben ihr daher den Namen “Seele“. Sie erspürten gleichzeitig im Geiste die Unsterblichkeit dieser Seele und bemühten sich, diese gemäß ihren intellektuellen Möglichkeiten zu beweisen. Sicherlich waren diese mitunter sehr limitiert, dennoch sollten diese unzulänglichen Erklärungen keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass viele Völker, die nicht im Wissensaustausch miteinander standen, dennoch die gleiche Wahrnehmung des Lebens hatten -nämlich als eine Kraft, die auch nach dem Tode eines Geschöpfes weiterwirkt. All unser Wissen, durch welches wir heute einzigartig in der Geschichte des Menschen dastehen, hat uns geholfen, die Strukturen und den Aufbau der Erde und des Raumes zu verstehen. Doch was den Ursprung und die Qualität des Lebens betrifft, sind wir keineswegs weitergekommen. Denn was Leben ist, was es bedeutet und weshalb es im Raume existiert, wird man niemals wissenschaftlich ergründen können. Dazu müsste man außerhalb des Raumes stehend diesen betrachten können. Innerhalb des Raumes existierend werde ich es stets nur als eine Kraft wahrnehmen können, über deren Ursprung ich nur mutmaßen kann. Entscheidend jedoch für die Qualität der Mutmaßung ist nicht der kausale, sondern der organische Verstand.
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Alles, was der Mensch auf der kausalen Ebene erforscht und beweist, gehört der Sinnenwelt an und ist daher endlich. Die Energie, die der Materie gegeben ist, ist nicht messbar und daher nicht mit dem kausalen Verstand erfassbar. Dennoch ist sie real, und wir spüren ihre Wirklichkeit -sowohl als Ausdrucksform in der Sinnenwelt mittels der Sinneswahrnehmung als auch mit dem Geist mittels des organischen Verstandes. Letzterer ist das Werkzeug des Geistes, um vor allem Gefühlszustände verstehen und einordnen zu können. Besäßen wir nur den kausalen Verstand, wüssten wir nicht, was Liebe, Neid, Hass oder Eifersucht ist, denn er kann nur die Auswirkungen dieser Gefühlszustände untersuchen. Um sie wirklich verstehen zu können, bedarf es eines Verstandes, der sich denkend in sie hineinfühlt. Dies tut der organische Verstand. Ich möchte ihn mit einer Maschine vergleichen, die einen Zustand kopiert und diese Kopie im Geiste hinterlegt. Jeder Mensch besitzt seine eigenen Kopien, die zwar im Wesentlichen den Kopien der Mitmenschen ähneln, jedoch niemals völlig identisch sind, denn das Original besitzt eben kein Mensch. Der kausale Verstand hingegen arbeitet nur mit Originalen, ob es mathematische Formeln sind, chemische Elemente oder physikalische Einheiten: Das Original liegt in den Händen des Betrachters und da ist es auch für alle Menschen identisch und kann wissenschaftlich eingeordnet werden. Der organische Verstand kann nur mit seiner Kopie arbeiten, die stets subjektiv geprägt ist. Er kann zwar seine Kopie mit den Kopien der Mitmenschen vergleichen und Gemeinsamkeiten herausfinden, doch da niemand das Original besitzt, wird er mit ihr keineswegs wissenschaftlich arbeiten können. Jeder Mensch besitzt sein eigenes Verständnis vom Original gemäß der Qualität seiner Kopie und ihrer subjektiven Ausprägung. Wenn jedoch nur real wäre, was die Wissenschaft objektiv erkennen kann, gäbe es weder Leben noch ein Geschöpf, das wissenschaftlich denken kann. Gefühlszustände sind ebenso real wie Materie, Naturgesetze oder kausale Zusammenhänge und ebenso ist es auch das Leben, das wir mit dem Geiste genauso erfassen wie Gefühlszustände.
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Gefühlszustände, die keine Körpergefühle wie z.B. Schmerz, Kälte, Hunger oder Durst ausdrücken, sind Seelenzustände und Seele ist das Leben selbst. Dies ist meine Wahrnehmung und mein Verständnis von Leben, für das es erwiesen ist, dass ein rein materielles Verständnis davon und ein Zuordnen der Kopien des organischen Verstandes unter die Originale des kausalen Verstandes weder Gefühlszustände noch das Leben selbst begreifen oder erklären kann. Die vielen widersprüchlichen Interpretationen der Kopien und die Unsinnigkeit, die zur Untermauerung dieser Interpretationen angehäuft wurden, ließen letztendlich den Menschen an den Kopien selbst und den organischen Verstand zweifeln. Doch dies führt den Menschen in eine Sackgasse, denn er wird das, was der Ursprung allen Seins ist, weder ignorieren noch mit dem falschen Werkzeug ergründen können. Das Leben wird immer ein Mysterium bleiben und dennoch wird der Mensch nicht umhin können, Deutung und Verständnis dieses Mysteriums zu erarbeiten. Denn, wenn er dies nicht tut, wird er weder wissen, weshalb er auf dieser Erde lebt, noch wonach er sein Leben ausrichten soll. Er wird unweigerlich zu einem willenlosen Werkzeug seiner niederen Triebe, materialistischer Weltdeuter oder Verstandesdiktatoren, um ihnen zur Steigerung ihrer Macht dienstbar zu sein. Wer die Seele in sich und damit auch das Leben erkannt hat, gleicht einem Blinden, dem das Augenlicht geschenkt worden ist und der nun ohne eine führende Hand seinen eigenen Weg gehen kann.
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Die Wissenschaft hat die Menschen gelehrt, ihre Untersuchungen frei von Spekulationen und subjektiven Einschätzungen durchzuführen. Der Wissenschaftler nimmt sich selbst zurück und bearbeitet den Gegenstand seiner Forschung allein mit seinem Verstande. Darin liegt seine Macht, die der Mensch nun in einer nie dagewesenen Intensität nutzt. Doch bei der Erforschung des Lebens und des Geistes muss der Forscher sich selbst zum obersten Richter erheben. Gerade seine Subjektivität ist dabei von entscheidender Bedeutung. Er ist ganz und gar Meinung und Subjektivität. Eben diese Subjektivität, dieser Kampf um eine eigene Meinung und die Erkenntnis des eigenen Lebenssinnes ist etwas, wozu uns die Allmacht der modernen Wissenschaft unfähig gemacht hat. Wir glauben nur noch an wissenschaftliche Wahrheiten und sind nicht mehr in der Lage, einen eigenen Standpunkt zu Phänomenen wie “Seele“, “Geist“ oder “Leben“ einzunehmen. Subjektivität ist keinesfalls das Gegenteil von Objektivität, sondern die Betrachtung der Wahrheit aus einer anderen Position. Wenn man sich den Geist des Menschen wie einen Berg vorstellt, dann wird die höchste subjektive Betrachtung eines Menschen stets von der Spitze dieses Berges aus stattfinden. Ist der Geist von geringer Erhebung, wird er dabei nicht viel überschauen können und seine eigenen Meinungen und Überzeugungen werden kümmerlich sein. Wenn dieser Geist jedoch von gewaltiger Erhebung ist und er nicht nur die objektiven Erkenntnisse der Wissenschaft, sondern auch die subjektiven Meinungen seiner Zeitgenossen aus einer höheren Position überschauen kann, werden auch seine Einsichten gewaltig sein. Objektive Erkenntnisse gehören nicht den höheren Regionen dieser Berge an, denn sie können in der Regel von allen geistigen Erhebungen aus erkannt werden. Die subjektive Position eines Menschen befindet sich stets auf dem Punkt der höchsten Erhebung eines Geistes. Je höher diese Position ist, desto größer ist der Ausblick auf alles Seiende, desto einsamer ist jedoch auch diese Position und desto größer ist der Abstand zu der Objektivität der Allgemeinheit. Wenn ein großer Wissenschaftler zu neuen bahnbrechenden Erkenntnissen gelangt, geschieht dies niemals aus der niederen Position der Objektivität, sondern stets aus seiner höchsten Subjektivität heraus. Erst seine Subjektivität lässt ihn aus den objektiven Erkenntnissen die richtigen Schlüsse ziehen. Erst seine Subjektivität drängt ihn geradezu zu diesen objektiven Erkenntnissen. Erst seine Subjektivität zweifelt den vorherrschenden Erkenntnisstand an und befähigt ihn zur Schaffung eines höheren. Ohne diese Subjektivität gäbe es keine herausragenden Wissenschaftler. Wer die Objektivität zum Maß aller Dinge macht, macht damit auch diese herausragenden Wissenschaftler unmöglich.
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Wer oder was hat die Ordnung im Raume geschaffen?
Wie gelangten die Naturgesetze in den Raum? Wie erhalten sie die Ordnung innerhalb der Materie aufrecht? Waren sie da, bevor der Raum entstand oder sind sie der Materie immanent? In jedem Falle sind die Naturgesetze eine höhere Ordnung, die auch nach der Veränderung von Materie oder dem Tode eines Lebewesens bestehen bleibt. Diese Ordnung ist der Materie und damit auch dem gesamten Raume übergeordnet und zwingt diese in die von ihr gewollten Bahnen. Da nichts aus dem Nichts entstehen kann, muss vor der Entstehung des Raumes etwas dagewesen sein, was nicht Materie ist. Dieses Etwas möchte ich “Substanz“ nennen und innerhalb dieser muss der Raum entstanden sein und diese muss dem Raume die Ordnung eingegeben haben. Diese Substanz ist unendlich und in sich einig. Sie ist außerhalb und auch innerhalb des Raumes. Sie durchwirkt jegliche Materie und kennt keine Grenzen. Diese Substanz, die keine Materie und für uns also nicht messbar ist, nenne ich: Energie mit Geist. Sie bringt Materie in Bewegung und gibt ihr die von ihr bestimmte Richtung vor. So wie der Mensch durch seinen Geist seinem Körper die Richtung vorgibt, so gibt sie der Materie im Raume die Richtung vor. Es ist denkende Energie, die in Materie einfließt und diese gestaltet. Ihre Kraft und ihr Geist sind unermesslich groß, denn sie gestalten die Materie im gesamten Raume, wie der Mensch die Bewegung seines Körpers.
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Der Mensch sieht das Wirken innerhalb der Formenwelt und erkennt eine Ordnung darin. Der ewige Wechsel der Jahreszeiten, das biologischökologische Gleichgewicht, die Schwerkraft, die Bewegung der Planeten um die Sonne: Überall herrschen Gesetze, die lebendige und tote Materie in eine Ordnung zwingen. Nicht Willkür, sondern Ordnung herrscht auf der Erde. Nicht Zufall, sondern Bestimmung liegt der Gestalt der physischen Welt zugrunde. Die Allmacht der Naturgesetze lässt den Menschen spüren, dass er sich innerhalb von Grenzen bewegen muss, die er nicht verändern kann und die er annehmen muss, wenn er nicht zugrunde gehen will. Diese unbezwingbare Macht der Naturgesetze löst in ihm Furcht und Respekt, aber auch Neugierde aus. Wer hat diese Gesetze gemacht? Wem habe ich mich zu beugen? Prometheus ist das Sinnbild des Menschen, der Furcht und Respekt vor dieser Macht verloren hat. Sein Ende ist tragisch und ebenso wird auch das Ende seiner Jünger sein, die wähnen, sie könnten sich über die Gesetze der Natur stellen. Der Mensch glaubt, weil er mit seinem gewaltigen Geist die Herrschaft auf der Erde errungen hat und weil er mit diesem Geist die Gesetze des Raumes erkennen und begreifen kann, könnte er diese beherrschen. Doch eben diese Unvernunft führt zu seinem Fall. Vernunft wäre es, diese Gesetze zu erkennen und ihre Grenzen zu respektieren.
Vernunft wäre es, diese Gesetze zu erforschen und ihren Ursprung zu ergründen. Vernunft wäre es, ihre Allmacht zu erkennen und keinesfalls Furcht und Respekt vor ihnen abzulegen. Des Menschen Neugierde trieb ihn zur Wissenschaft, doch seine niederen Instinkte trieben ihn zur Hybris. Durch seinen Geist erhebt sich der Mensch und wird eins mit dem Schöpfer des Raumes, doch sein Leib ist Teil des Raumes und mithin sterblich und den Gesetzen des Raumes unterworfen. Nicht der Leib, sondern der Geist erkennt die Ordnung des Raumes, denn auch er strebt zu dem ihm Verwandten hin. Des Menschen Geist kann nicht umhin zu erkennen, dass das, was auch immer die Gesetze des Raumes geschaffen hat, ebenso auch sein Schöpfer ist. Indem des Menschen Geist schafft, wird er zum Schöpfer im Raume, wohingegen der Schöpfer des Raumes von außerhalb des Raumes aus schafft. Außerhalb des Raumes wirkend, steht der Geist wahrhaft über den Gesetzen des Raumes. Doch innerhalb des Raumes wirkend ist er ihnen unterworfen und kann sie zwar erkennen, doch niemals verändern oder beherrschen.
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Der Schöpfer des Raumes hat die Menschen dazu auserkoren, seine Gesetze zu erkennen. Obgleich es unwahrscheinlich ist, dass er das einzige Geschöpf im Raume ist, das dazu befähigt worden ist, so ist es doch eine Gabe, die ihn über alle ihm bekannten Geschöpfe erhebt. Wer kann glauben, dass dies zufällig geschah? Wie sollte dem Menschen nicht darin eine Bestimmung zukommen? Doch welche Bestimmung könnte das sein? Das Vorhandensein der Ordnung im Raume zeigt ihm, dass es eine Macht gibt, die über ihm steht und der er sich unweigerlich beugen muss. Es ist also nicht seine Bestimmung, diese Macht zu beherrschen oder zu ignorieren. Des Geistes Gabe ist ein Geschenk, doch auch eine Bürde. Sie befähigt zur Erkenntnis, doch sie nötigt dem Erkennenden auch die Einhaltung von Tugenden ab. Wer diese nicht aufbringen kann, ist dieser Gabe unwürdig und wird wie jeder zügellose Herrscher von einer stärkeren Macht gestürzt. Ohne Tugenden kann der Mensch die Herrschaft auf der Erde nicht aufrechterhalten und die Tugend, der dabei die entscheidende Bedeutung zukommt ist: Weisheit. Sobald ein Herrscher dieser Tugend verlustig geht, ist er dem Untergange geweiht. Einzig in ihr kann der Mensch seine Bestimmung finden und nur sie wird ihm offenbaren können, welcher Platz ihm zukommt. Deshalb hat der Mensch aus gutem Grunde von jeher Weisheit über den Verstand gestellt. Der Verstand erkennt die Ordnung und begreift die Gesetze, doch Weisheit lehrt die Menschen, wie sie sich diesen Gesetzen gegenüber verhalten sollten, um im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten bestmöglich zu reüssieren. Es ist, als ob die Weisheit die Stimme des Schöpfers wäre, die dem Menschen zuflüsterte, welche Grenzen er beachten sollte, um im Raume bestehen zu können. Sobald er dieser Stimme nicht mehr lauscht, verwandelt er sich unweigerlich in ein Geschöpf, das einem Schiffbrüchigen auf offenem Meere gleicht.