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WARUM «DER SPATZ VOM WALLRAFPLATZ» HIER WICHTIG IST
ОглавлениеFür mich als Kleinstadtjunge aus der Voreifel war dieser betonierte, viereckige Wallrafplatz mit der Platane in der Mitte das Bild der grauen Großstadt gewesen. Man sah mehr Häuser als Himmel.
Einerseits war ich froh, dort nicht wohnen zu müssen, andererseits gab es da mehr zu gucken, als bei uns auf dem Marktplatz. Mehr Menschen, Autoverkehr, Baustellen. Dort schienen mehr Geschichten möglich zu sein. Auch so eine:
Es war einmal ein kleiner Spatz, der wohnte auf einem belebten Platz mitten in einer deutschen Großstadt …
Allerdings war dieses Märchen von dem halbgebildeten Spatzen, der mit Menschen sprechen konnte, nicht romantisch. Seine Umgebung war rau. Sie zeigte mehr Wirklichkeit, als ausgedachtes. Ein dokumentarisches Märchen.
Der Spatz flatterte los und geriet zufällig irgendwo hinter die Kulissen: Bei der Sportschau oder in einer Raffinerie. In einem Film landete er in einer Autowerkstatt. Dort zeigte ihm ein Mechaniker, wie er die tiefe Delle im Blech einer Autotür ausbeulte. Eine Szene mit wenigen Einstellungen, wie eine kurze Sachgeschichte.
Zum Wetteramt in Essen geriet der Spatz, weil er Hunger hatte. Er trieb sich auf dem Parkplatz für die Autos der Kamerateams vom WDR herum. Ein Team wollte gerade vom Hof fahren, als es an der Schranke aufgehalten wurde. Der Pförtner winkte mit einem Umschlag und rief: «Fahrt ihr nach Bonn?» – «Nää, Essen», rief der Fahrer des Teamwagens dem Pförtner zu. «Essen?», rief der hungrige Spatz und bettelte: «Darf ich mitkomm’?» – «Na, ausnahmsweise.»
So geriet der Spatz nach Essen, zum Wetteramt. Das Filmteam sollte dort die Wettervorhersage fürs Wochenende in Nordrhein-Westfalen aufnehmen.
Der Spatz wollte hinter den Kameraleuten ins Gebäude flattern. Doch die Kollegen schlugen ihm die Tür vorm Schnabel zu. Der Spatz flatterte ums Gebäude, schaute durch die Fenster hinein. So sahen wir die Meteorologen bei der Arbeit. Wir sahen, wie das Kamerateam drinnen die Aufnahmen für die Wettervorhersage vorbereitete: Kamera vor der Wetterkarte aufbauen, mit Filmscheinwerfern das Licht einrichten. Der Tonmann verkabelte Mikrofone mit seinem Tonbandgerät.
Beim SPATZ VOM WALLRAFPLATZ deckten die Macher ihre eigene Arbeit auf. Sie spielten uns etwas vor und ließen sich gleichzeitig dabei in die Karten gucken.
Filmleute nahmen die Wettervorhersage auf. Andere Filmleute drehten die Geschichten mit dem Spatz. Ein interessanter Beruf: zugucken.
Interessanter als Schulaufgaben.
Ich bastelte mir eine Kamera. Aus einem Schuhkarton. An einer Schmalseite schnitt ich ein rundes Loch in den Karton. In das Loch steckte ich den Pappkern einer Klopapierrolle – als Objektiv.
Ich spielte nur selten mit meiner Pappkamera. Meistens lag sie irgendwo im Kinderzimmer herum. Sie hatte für mich keine tiefere Bedeutung – weniger als mein Cowboyhut und der Colt, der mit Knallplättchen geladen werden konnte.