Читать книгу BERLIN ZOMBIE CITY - Kalle Max Hofmann - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеWILLKOMMEN
18:25 Uhr
Bens Blick wanderte über die vielen Diplome an der Wand. Was für eine Zeitverschwendung, für ihn zählte nur eine Art von Scheinen, und die war deutlich bunter als das, was man an einer Uni kriegen konnte. Das Fenster daneben war leicht geöffnet, es war ein herrlicher Sommertag. Diese Frische in der Luft roch für ihn nach Zukunft. Stolz prüfte er den Sitz seiner neuen Manschettenknöpfe. Gold. Schön oldschoolig, edel – das war eine Investition, die sich gelohnt hatte. Warum war er nicht schon viel früher auf die Idee gekommen, einfach schon vorher das ganze Geld auszugeben, das er bald verdienen würde?
Herr Preuß räusperte sich leicht, anscheinend war er fertig mit den Unterlagen und wollte nicht, dass Ben den Moment verpasste, wo er feierlich unterschrieb.
»So, jetzt sind Sie dran«, sagte er und schob die Dokumente über den schweren Mahagoni-Schreibtisch. Ben grinste ihn breit an, er konnte einfach nicht anders, dann schnappte er sich den edlen Federhalter und lieferte lässig sein Autogramm ab: Benjamin Jovan – ohne das -ovic hinten klang sein Nachname doch gleich viel internationaler. Und dass er die ungewohnte Schreibung gestern Abend noch geübt hatte wie eine nervöse Braut vor der Trauung, das musste ja niemand wissen. Schon gar nicht Herr Preuß, dessen Lippen nun ebenfalls ein leichtes Schmunzeln umspielte.
»Wissen Sie, warum ich Ihnen den Job gegeben habe?«, fragte er nun, und es klang ein wenig herausfordernd.
»Klar«, antwortete Ben lässig, »weil Sie genau wissen, dass ich Ihren Job haben will!«
Die beiden Männer lachten nun verschwörerisch, dabei rasselte etwas in ihren Lungen, es klang fast wie eine alte Registerkasse. Nein, es war ein Klang aus der Vergangenheit; der Türsummer aus der ersten Vorrunde der Stelleninterviews. Ben erinnerte sich genau an den Moment: Die Tür ging auf, und Unruhe kam in die wartenden Bewerber. Frau Leier, die Assistentin von Preuß, zeigte sich, um den nächsten Kandidaten aufzurufen. Doch Ben, der kaum zwei Meter entfernt stand, machte einen Satz auf sie zu, streckte seinen Kopf durch die Tür und rief grinsend: »Sekunde mal, Herr Preuß – Sie können eigentlich alle anderen gleich nach Hause schicken!«
Damals hatte Preuß verdattert den Kopf gehoben und nachdem er Ben einen Moment streng gemustert hatte, ebenfalls dieses anerkennende Schmunzeln aufgesetzt.
In seiner Erinnerung drehte sich Ben noch einmal siegessicher zu seinen Konkurrenten um, die ihn mit einer Mischung aus Verachtung, Angst und Neid angeschaut hatten.
Doch diesmal waren sie verändert. Ihre Gesichter waren geschunden und grau, die Augen weit aufgerissen, blutunterlaufen, und aus ihren Mündern lief unkontrolliert der Speichel.
Schockiert wich Ben zurück, doch sein Fuß trat ins Leere, er verlor das Gleichgewicht, versuchte, sich am Türrahmen festzuhalten – doch auch der war nicht mehr da. Hilflos stürzte er in die Tiefe, ins Bodenlose, dann schlug er hart auf.
***
»Hallo? Hörst du mich?« Aus der Dunkelheit drang eine Stimme an sein Ohr. »Scheiße, ich glaube, der ist richtig K.O.!«
Ben spürte etwas Feuchtes an seiner Stirn. Langsam öffnete er die Augen und sah ein Gesicht vor sich. Tanja? Nein, es war eine junge Frau mit dunkelblondem Haar. Mitteleuropäisch-Asch, um genau zu sein. Nicht gerade die spannendste Haarfarbe, die man haben kann, echote ein weiterer Gedanke aus einer fernen Vergangenheit durch Bens Schädel. Die Frau befeuchtete ihre Finger in einem breiten Glas voller Wasser und strich über seine Wangen. Als sie sich zu ihm vorbeugte, sah er ihren schwangeren Bauch, und langsam realisierte er, was passiert war. Schwindel überkam ihn wieder, er war auf den Knien, er musste sich abstützen! Doch seine Hände gehorchten ihm nicht – sie wurden festgehalten!
Ben blinzelte und drehte langsam den Kopf. Das schmerzte, und dazu knirschte es in seinem Schädel, als hätte er Sand in der Halswirbelsäule. Zu seiner Rechten sah er einen starken Arm, der ihn packte, zu seiner Linken eine etwas schmächtigere Version davon. Die Frau sprach ihn jetzt mit sanfter Stimme an: »Bist du okay? Trink' erst mal was!«
Sie hielt ihm das Wasserglas hin, Ben wollte etwas sagen, doch er konnte nur trocken schlucken. Missmutig riss er an seinen Armen, der Mann an seiner Linken gab schließlich die Hand frei und er nahm das Glas. Den Schwung nutzend wollte er aufstehen, doch seine Muskeln versagten – er ließ stattdessen seinen Hintern auf die Fersen herab und stürzte das Wasser hinunter wie ein Verdurstender. Jetzt musste er husten, wobei ihm kurz schwarz vor Augen wurde.
»Vorsicht, vielleicht ist er gebissen worden«, hörte er eine dünne Frauenstimme sagen. Er riss die Augen wieder auf, und nun war sein Blick umso klarer. Sein Bewusstsein war wieder voll da, und er warf der komischen Lehrerfrau im roten Strickpulli, die zuletzt gesprochen hatte, einen hasserfüllten Blick zu. Die machte ängstlich einen halben Schritt zurück, und Bens Aufmerksamkeit fiel auf die drei Männer, die sich in bedrohlicher Pose vor ihm aufgebaut hatten und nun noch einen Schritt auf ihn zu machten. Der fette Alte im langen Unterhemd war doch der Schlüsselmeister, der Vater der Schwangeren – Wolfgang. Er hatte jetzt eine Art Feuerhaken in der Hand, flankiert wurde er von einem Unbekannten und dem komischen Akademikertypen, beide hielten lange Küchenmesser in den Händen, was auf Ben etwas albern wirkte. Als an seinem rechten Arm gerüttelt wurde, warf Ben einen mürrischen Blick auf den muskulösen jungen Mann an seiner Seite, Matthias hatten sie ihn gerufen.
»Steh auf, Mann! Was ist los mit dir?«, herrschte der ihn an, und bei Ben knallte irgendwo eine Sicherung durch. Er sprang auf, wobei die Lehrerin und die Schwangere instinktiv zurückwichen. Er schrie aus vollem Hals: »Was los ist? Was mit mir los ist?!?«
Ben holte unnatürlich tief Luft, wobei ein komisches, pfeifendes Geräusch entstand, wie bei einem kaputten Ventil.
»Was ist mit EUCH los? WAS IST HIER LOS?!?«
Das eben noch kühlende Nass auf seinem Gesicht schien Ben nun kochend heiß zu sein, sein Kopf war knallrot. Ben merkte, dass sein Kreislauf immer noch nicht optimal funktionierte; schwarze Flecken tanzten durch sein Sichtfeld und er rang nach Luft. Als das Hämmern in seinem Schädel zurückwich, bemerkte er die Totenstille, die auf einmal herrschte. Er schaute in die Runde; alle starrten ihn mit offenen Mündern an. Der Alte fand als erster die Sprache wieder, seine Worte klangen, als wäre ihm eine unglaubliche Erkenntnis gekommen: »Du hast überhaupt keine Ahnung, oder?«
Die Lehrertante protestierte entrüstet: »Das kann doch aber nicht sein!«
Ben kannte noch nicht mal ihren Namen und hasste sie schon von ganzem Herzen. Ihr Boyfriend mit dem peinlichen Küchenmesser sprang ihr zur Seite.
»Vielleicht ist das doch ein Trick?«, mutmaßte er, wobei er versuchte, besonders schlau und kein bisschen ängstlich zu klingen. Zu seinem Erstaunen merkte Ben, dass die anderen seine Worte aufzunehmen schienen. Dabei hatte er selbst überhaupt keine Ahnung, wovon sie redeten, und was für einen Trick er angeblich in Planung haben könnte. Stattdessen wurde ihm mit dem Abfallen seines Adrenalinpegels nur wieder bewusst, was geschehen war. Sein Herz rutschte in die Hose und eine völlig ungekannte Form der Verzweiflung überkam ihn.
»Hey, ich bin gerade eben erst angekommen, okay?«
Nachdem diese Worte seinen Mund verlassen hatten, merkte er sofort, dass die Anderen plötzlich an seinen Lippen hingen.
»Im Hafen«, fuhr er fort. Seine Zuhörer machten große Augen.
»Hier in Tempelhof?«, fragte jemand aus der Ecke hinter ihm.
»Genau, ich hatte mich mit meiner Freundin gestritten und bin abgehauen … drei Wochen auf meinem Boot … ohne Handy, ohne Radio …«
Ben rang nach Worten, denn während er sprach, überkamen ihn merkwürdige Erinnerungen seiner Reise. Die anderen waren anscheinend sprachlos. Matthias erwachte als erster aus seiner Starre.
»Ich muss dich kurz kontrollieren«, sagte er, zog an Bens Kragen, schob seinen Pullover hoch und betrachtete flüchtig Bauch und Hüfte, dann tastete er noch schnell die Beine ab und richtete sich dann wieder vor Ben auf.
»Na dann; Willkommen zurück«, sagte er und wandte sich dann dem Alten zu: »Er scheint okay zu sein.«
»Wärste mal lieber weggeblieben«, knurrte der Angesprochene mürrisch.
»Warte mal«, sagte eine Stimme hinter Ben. Er drehte sich um und sah das punkige Mädchen, das allerdings gar nicht ihn angesprochen hatte, sondern den Alten.
»Wenn er mit 'nem Boot bis hierher gekommen ist, dann müsste man doch …«
Der Mann schnitt ihr direkt das Wort ab. »Das haben wir oft genug durchgekaut. Wir bleiben hier und warten! Alles andere ist Selbstmord!« Grollend schaute er in die Runde, die anderen Anwesenden schwiegen pikiert, einige nickten pflichtbewusst. Dann richtete der Alte wieder das Wort an die burschikose junge Frau: »Paula, der ist jetzt dein Problem. Und wenn's draußen wieder ruhig ist, muss er abzischen!«
Sie nickte frustriert und drehte sich weg, während Ben schwer schluckte. Obwohl er immer noch gar nichts verstand, wusste er, dass dies der schlimmste Tag seines Lebens war. Und dass es wahrscheinlich noch viel schlimmer werden würde.