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Kapitäne ohne Kurs

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Als ich dein Gedicht fand, wusste ich sofort: Es ist aus!

Du hast mich nur verarscht und willst mich verlassen.

Ja, schau mich nur mit deinen weit aufgerissenen blauen Augen voller Panik an. Du hast allen Grund, Angst zu haben.

Natürlich habe ich es sofort begriffen.

Du schreibst ja nicht Chinesisch. Wie konntest du auch nur so blöd sein, den Text auf deinem Schreibtisch offen liegen zu lassen? Hältst du mich für einen Analphabeten oder was?

Du und deine Freundinnen! Ihr habt immer geglaubt, ich sei ein Depp. Verstünde nichts von Literatur. Hallo? Ich beherrsche sogar den Konjunktiv, wenn ich will. Meinst du, das ginge nur mit einem Studium der Germanistik und bescheuerter Gedichte?

Männer und Lyrik – das ist ja eines euer Lieblingsthemen, wenn ihr nicht gerade von Jane Austen und ihrer „ach, so wunderbaren Zeit“ schwärmt.

Mein Gott, habt ihr oft gelästert: Männer und Romantik! Männer und Intelligenz!

Und eure ständigen Anspielungen auf die Kavaliere und Helden des 19. Jahrhunderts.

Ich mag ja nicht der Inbegriff des gebildeten, feingeistigen Traummannes sein, aber so blöd bin ich nicht, dass ich nicht sehe, wenn mich jemand verlassen will.

Dein Text ist doch ganz klar. Wahrscheinlich extra für mich geschrieben. Eine Art Test, so nach dem Motto: Was kapiert dieser hirnlose Goldesel eigentlich? Eine Wette mit deinem Club der Möchtegern-Dichterinnen?

Die Wette hast du nun verloren!

Du wirst alles verlieren, mein Liebchen fein.

Schwimmst bald dort im Wasser deiner geliebten Ostsee. Deine blonden Haare werden an der Oberfläche schweben, wie eine exotische Pflanze. Wie eine blasse Meerjungfrau wird es dich in die Tiefe ziehen. Du wirst dein Leben beschließen, wo unsere Urlaube immer begannen und deine Lügen im Gedicht enden.

Allerdings haben wir heute Wind. Schätze, hm, so an die drei bis vier Windstärken. Es ist also überhaupt nicht wie in deinem überflüssigen Gedicht. Es ist eigentlich, wie an dem Tag, als du das erste Mal mit mir auf der Kieler Förde warst. Ein Traumwetter - weißt du noch? Wir haben uns damals mehrere Male auf diesem Törn geliebt.

Ja, da muss ich doch etwas bitter auflachen.

Das waren noch leidenschaftliche und zärtliche Zeiten. Unglaublich heute, oder? Wir waren so wild nacheinander, wir kamen kaum raus aus der Kieler Bucht, weil wir nicht die Finger voneinander lassen konnten. Du wolltest mich immer nur küssen, anfassen und anknabbern. Und ich hatte Angst, dass wir von einem Containerschiff platt gemacht werden, das aus dem Nord-Ostsee-Kanal kommt oder auf dem Weg zur Holtenauer Schleuse in Zeitdruck ist. Deswegen ankerten wir damals vor den flachen Sandbänken von Laboe.

Und dann auf dem Rückweg am Friedrichsorter Leuchtturm noch einmal eine Pause für Sex unter freien Himmel. Dir war es sogar egal, wenn uns die Passagiere der Fördedampfer ficken sehen konnten.

Oh, sorry! Verletzt das Wort deine zarte Dichterseele?

Aber du warst der beste Fick meines Lebens.

Mein Gott, warst du schön und hast mich heiß gemacht. Mit deinen langen wehenden Haaren und deinen nackten, schönen Brüsten kamst du mir vor wie eine dieser geschnitzten Galionsfiguren der alten Segelschiffe. Der Fleisch gewordene Traum eines jeden Matrosen. Das war der geilste Tag meines Lebens.

Und habe ich dir seitdem nicht alles gegeben, was du wolltest? Aber nichts davon hast du verdient.

Ja, dass du mir jetzt nickend zustimmst, kann ich verstehen. Dir geht wahrscheinlich dein kleiner, knackiger Arsch auf Grundeis. Apropos Grund – da wirst du sicher nicht landen. Obwohl, hm …, vielleicht finde ich ja noch etwas, um es dir um deine schmale Taille oder deine kleinen Fußgelenke zu binden. Du mochtest ja Mafiafilme noch nie, aber die finde ich nun wiederum inspirierend.

Wer braucht schon Dandys, die wie schwule Balletttänzer in hautengen Hosen und mit Rüschen verziert durch die Gegend stolzieren. So ein fieser, kaltblütiger Mafiamord im Hafenbecken oder in Beton, da lacht doch das Männerherz. Das sind noch echte Kerle. Prost, mein Liebchen und tut mir leid, dass ich dir mit dem Knebel im Mund natürlich keinen Whisky anbieten kann. Und deinen geliebten Prosecco habe ich schon den Fischen gespendet. Bei einem ordentlichen Seebegräbnis ist mir mein guter alter Schotte doch lieber, findest du nicht auch?

Deine Krokodilstränen kannst du dir schenken. Ich habe dich durchschaut: Du wolltest nie mich. Du wolltest meinen Namen. Mein Geld, mein Segelboot und meine Villa am Kieler Yachthafen.

Aber du bist das alles nicht wert und ich lasse mich nicht von einer Blondine aus der thüringischen Provinz verarschen. Das ist nun Vergangenheit. Du bist Vergangenheit! Fischfutter!

Ja, da wirst du zu Recht ganz blass, mein Schatz.

Ich finde, wir sind nun weit genug draußen. Findest du nicht?

Sieh noch ein letztes Mal rüber zum Laboer Ehrenmal!

Sprich ein Gebet!

Oder denk an all die Geschenke, die ich dir zu Füßen gelegt habe: Schmuck, edle Dessous, das Cabrio. Von meinem Vertrauen und meinen Gefühlen ganz zu schweigen.

Du möchtest gerne noch etwas sagen, nicht wahr? Versuchen, mich ein letztes Mal um den Finger zu wickeln. Aber die Zeiten sind vorbei.

Deine Zeit ist vorbei!

Was hältst du davon, wenn ich dir vor deinem Abgang noch einmal dein Gedicht vorlese. An Musik habe ich leider nicht gedacht, aber etwas Poesie zum Abschied, das sollte doch ganz nach deinem Geschmack sein.

Komm, lass dich noch einmal von deinem eigenen Werk berühren.

Der Titel deines maritimen Gedichtes ist ja schon eine Frechheit für sich:

Kapitäne ohne Kurs

Auf dem stillen Ozean der Sprachlosigkeit dümpelte

unser Boot

Die frische Brise der Neugierde

hatte sich gelegt

Während wir das utopische Festland der Geborgenheit verließen

Schliefen die letzten Böen der Leidenschaften ein

Einmal führten uns Wellen der Resignation

in trübe Untiefen

Später strandeten wir auf dem seichten Sand

sturer Vorwürfe

Die Navigation auf der hohen See der Erwartungen

Scheiterte im Sturm der Orientierungslosigkeit

Erst die Flut der Sehnsüchte

driftete uns auseinander

Jeder segelte nun

mit der Windstärke seiner eigenen Bedürfnisse

Ein gemeinsames Rudern war niemals möglich

Wir drehten uns nur im Kreis

Mit den falschen Koordinaten

Zum Hafen des Glücks

Oh! Du sagst ja überhaupt nichts!

Bist du nicht gefesselt von deiner eigenen lyrischen Kreation? Okay, gefesselt bist du ja schon. Aber heute scheine ich dir nichts recht machen zu können. Früher hast du doch Fesselspiele geliebt.

Ja, ja, die Zeiten ändern sich, nicht wahr, meine schöne Nixe?

Aber jetzt mal Spaß beiseite. Kommen wir zum Sinn und Zweck unseres Ausfluges. Die Nixe möchte doch sicher abtauchen … in ihr nasses, kühles Grab.

Oh, Moment ´mal, mein Handy!

Hallo Claudia, wie geht es dir? Ja, ein Prachtwetter. Wollt ihr heute auch noch raus? Ja? Bis nach Dänemark? WOW! Ja, die dänische Südsee ist zu jeder Zeit die Tour wert. Nein, Verena und ich sind auch draußen. Sie will gleich noch schwimmen gehen, stell dir vor: jetzt im Oktober! Was?

Kurt hat dir alles von meinem Plan erzählt? Dieser Idiot! Ja, natürlich habe ich alles so gemacht. Nein, natürlich nicht. Ich wollte sie doch nur erschrecken. Was?

Willst du mich verarschen? Das Gedicht ist von dir?

Dann willst du deinen Mann also verlassen?

Nein?

Das soll nur ein Gedicht sein? Kein Abschiedsbrief? Verena sollte es nur korrigieren?

Oh, Scheiße. Ich glaube, ich muss ganz schnell Schluss machen. Verena ist ohnmächtig geworden.

Verena!

Schatzi?

Mein Hase - verzeihst du mir noch einmal?

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