Читать книгу So war das nicht geplant - Karen Sommer - Страница 5

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„Das kannst du nicht ernst meinen!“ Entrüstet schritt Anna im Zimmer herum, wedelte mit den Händen und erklärte ihre Freundin für verrückt.

„Warum nicht? Du hast zwei gesunde Hände, gerade Zeit übrig, kannst dich nicht immer nur im Haus verstecken und uns ist geholfen. Deshalb: Pack dich zusammen, wir fahren in zwei Minuten!“, konterte ihre Freundin Marie.

Anna stapfte resigniert aus dem Zimmer, riss mit der Bürste förmlich noch einmal durch ihr schulterlanges, blondes Haar und verstand die Welt nicht mehr. Sie hatte eigentlich nur ihre Freundin übers Wochenende besuchen, ihre Probleme kurz vergessen wollen und nun war sie auch schon zum Helfen abkommandiert.

Beim Dorffest gab es zu wenige Kellnerinnen! Wer’s glaubte! Anna schnaubte im Gedanken. Was sollte sie in einem für sie völlig fremden Dorf, unter völlig fremden Menschen?

Aber da Marie ihre beste Freundin war und sie dadurch schlecht Nein sagen konnte, war sie in die Sache hineingeschlittert, ohne es wirklich zu wollen. Servieren! Sie kannte doch hier niemanden außer ihrer Freundin Marie und deren Mann Thomas. Wenn sie ihrer Freundin Glauben schenken durfte, war das so ein richtiges, traditionelles Dorffest mit Musik, Unmengen fremder Menschen und einer ungewohnten Tätigkeit.

Unbehaglich, in Gedanken versunken, stapfte Anna hinter ihrer Freundin her. Vielleicht half ihr diese Arbeitstherapie, die letzten Wochen zu verdrängen.

Marie, ihre beste Freundin aus Kindertagen, hatte in diesem Ort die Liebe ihres Lebens gefunden und die beiden strahlten so viel Glück und Verliebtheit aus, dass es fast schon wehtat.

Thomas und sie bewohnten den urigen Bauernhof mit seinen Eltern, wo sich Fuchs und Hase Gute-Nacht sagten. In den letzten beiden Jahren hatte die ganze Familie viel Zeit und Energie in die Renovierung und die Umbauten gesteckt. Nun gab es am Bauernhof zwei getrennte Wohneinheiten.

Ihre Freundin hatte in Walding ihr Glück gefunden. Man kannte jeden und grüßte einander. Der sonntägliche Gottesdienst und der anschließende Wirtshausbesuch waren für alle selbstverständlich. Feste wurden hochgehalten und ausgiebigst gemeinsam gefeiert. Und heute war Sommerfest der Feuerwehr, bei der Thomas natürlich aktives Mitglied war.

Die Fahrt zum Dorfplatz war viel zu kurz, als dass Anna sich den „kleinen Knoten wegatmen“ konnte, wie ihre Yogakurslehrerin ihr vor langer Zeit vorgeschlagen hatte, um ungemütliche Situationen zu kontrollieren.

„Marie, überleg‘ dir das noch einmal. Ich habe doch überhaupt keine Erfahrung beim Servieren.“

„Ach papperlapp. Das ist kinderleicht. Fragen. Aufschreiben. Bestellen. Hinbringen. Kassieren. Und immer lächeln. Das kann doch nicht so schwer sein.“

„Aber ich kenne hier doch keinen. Vielleicht wollen die mich gar nicht oder wollen nur bei jemandem bestellen, den sie kennen?“

„Dann lernst du eben jemanden kennen. Hier sind alle so nett. Und einige davon noch Singles. Und gutaussehend noch dazu.“ Marie drehte sich zwinkernd zu ihrer Freundin um. Thomas räusperte sich vernehmlich.

„Aber natürlich habe ich nur Augen für dich, mein Schatz.“ Marie lachte und drückte ihrem Mann einen schnellen Kuss auf die Wange. Mittlerweile stellte sich das als akrobatische Herausforderung dar, denn mit Babybauch bedurfte es einer ausgiebigen Verrenkung, um über die Mittelkonsole zu gelangen. Die beiden freuten sich auf das Baby. Marie hatte sich bewusst dagegen entschieden, das Geschlecht des Kindes vorher zu erfahren. Es sollte eine Überraschung bleiben. Deshalb half Marie heute auch nicht beim Servieren sondern im Cafébereich.

Als das Auto anhielt, hatte sich Annas Magen bereits zu einem harten Felsbrocken entwickelt. Was sie wohl alles erwartete?

Überwältigt stapfte Anna hinter ihrer Freundin her. Unglaublich, was die Bewohner des kleinen Ortes hier errichtet hatten. Ein riesiges Zelt war mit bunten Lichterketten und Lampions geschmückt. Die Gartentische zierten kleine Blumengestecke mit Wiesenblumen. Es duftete herrlich. Viele der Tische waren bereits besetzt. Die Band positionierte gerade ihre Instrumente und der Sänger testete das Mikro. Es gab verschiedene Bereiche, die durch Aufsteller voneinander getrennt waren und den Gästen einen Wohlfühlfaktor lieferten: Weinbar, Café, Cocktailbar. Annas Augen schweiften über die gemütliche Atmosphäre und saugten verschiedenste Eindrücke auf. Gerüche jeder Art drangen zu ihr durch. Blind stolperte sie hinter Thomas und Marie her.

„Was soll das? Jemanden zum Servieren einzuteilen, der keinen Menschen kennt und nicht mal ein volles Tablett tragen kann!“

Das wütende Geschrei gelangte endlich auch zu Anna durch und riss sie aus ihren Gedanken. Sie musterte den Ausgangspunkt dieser Rede. Eine Zornesfalte zierte den breitschultrigen Mann bei der Essensausgabe.

„So schlimm wird es schon nicht werden. Sie wird das sicher schnell lernen“, versuchte Thomas den Riesen zu beschwichtigen. Schwungvoll stellte sein Gegenüber gerade mehrere Teller mit Grillkotletts auf die Anrichte und brummte vor sich hin. Seine Augen funkelten, dass Anna unwillkürlich zurückzuckte.

„Vielleicht solltet ihr doch jemand anderen für diesen Job suchen.“ Verunsichert von diesem finster dreinschauenden Riesen versuchte Anna noch einmal gegen diese Aufgabe zu protestieren. Verlegen trat sie von einem Fuß auf den andern. Was machte sie eigentlich hier?

„Aber wo! Du machst das sicher gut!“, schob Thomas alle Einwände von sich.

Ein dunkelhaariger, gutaussehender Mann brachte ihr eine Brieftasche, Block und Kugelschreiber und eine Umhängetasche.

„Hallo, ich bin der Markus. Wenn du irgendwas brauchst, ich bin in der Cocktailbar und jederzeit für dich da.“ Er wackelte verschmitzt mit den Augenbrauen.

Anna schmunzelte. „Hallo, Anna. Danke. Schön habt ihr das hergerichtet.“

„Ja, es ist schließlich das größte Fest in unserem Ort und wir wollen ja unseren Gästen auch was bieten.“ Markus lachte und legte eine Hand lose auf ihren Unterarm. „Später lade ich dich auf einen Drink ein. Aber jetzt muss ich auch erst noch helfen. Es gibt noch so einige Handgriffe, die zu tun sind.“

Markus winkte zum Abschied und verschwand hinter einer Zeltplane nach draußen.

Thomas erklärte: „Da eine Gruppe von Pensionisten bereits am Nachmittag gekommen war, konnten wir nicht alles rechtzeitig fertigstellen. Aber das schaffen wir schon noch. Aber vielleicht kannst du Sabine, unsere Kellnerin, unterstützen. Die ist schon einige Stunden hier unterwegs und ich denke, sie braucht mal eine Pause.“

„Wo soll ich die Sachen hingeben?“ Anna starrte ratlos die Gegenstände in ihrer Hand an.

„Die Tasche befestigst du einfach an deinem Gürtel.“

Seufzend bekannte Anna: „Ich habe leider gar keinen Gürtel dabei.“ Ratlos und etwas verzagt blickte sie in die Runde der fremden Gesichter. Hinter der Grillinsel standen mehrere Männer und Frauen, die sicher und rasch ihre Handgriffe ausführten. Es duftete herrlich nach gegrilltem Fleisch und Pommes.

„Ja, wird scheinbar nichts mit meiner Hilfe. Aber es gibt sicher noch andere Arbeit, die ich machen kann“, schöpfte Anna Hoffnung.

„Hat jemand einen Gürtel übrig, den er Anna borgen kann?“, fragte Thomas laut in die Runde.

Anna stand verloren am Rand der Anrichte und ließ ihren Blick über die Gäste, die Musik und die aufgebauten Stände schweifen. Diese heimelige Atmosphäre erzeugte eine Sehnsucht in ihr, die sie bisher immer tapfer zu verdrängen versuchte. Eine Sehnsucht nach einer eigenen kleinen Familie. Nach einem Haus. Irgendwo am Land.

Plötzlich spürte sie einen starken Arm um ihrer Hüfte und wurde auch schon herumgerissen.

„He!“, protestierte sie noch lautstark. Dunkelbraune Augen funkelten sie an und zwei starke Hände versuchten, ihr einen schweren Gürtel umzulegen. Der brummende Typ von der Essensausgabe!

„Den gibst du mir einfach nachher wieder!“ Überraschend vorsichtig zog er den Gürtel um ihre Hüfte fest.

„Den behalte ich mir! Ich bin ja nur hier, damit ich endlich einen abgetragenen Gürtel erhalte!“, konterte Anna. Ein leichtes Schmunzeln ließ seine Mundwinkel kurz nach oben zucken, ihre Blicke trafen sich und es folgte ein tiefes, unverständliches Brummen.

In jeder anderen Situation wäre er genau ihr Typ gewesen. Fast einen Kopf größer, breitschultrig, Muskeln an den richtigen Stellen und tiefbraune Augen, die zwar böse funkelten, hinter denen sich jedoch noch etwas anderes versteckte.

Gott, was war sie nur für ein zerbrechliches Geschöpf! Und diese blauen Augen. Tief wie das Meer! Wenn sie nicht so verängstigt schauen würde. Und traurig. Irgendwas belastete das Mädchen. Matthias wollte nicht so grob zu ihr sein, aber er wusste nicht, wie er sonst seine Gefühle verschleiern konnte.

Schon als sein Freund Thomas am Telefon angekündigt hatte, dass eine Freundin von Marie aushelfen würde, hatte er gewusst, dass es die blonde Schönheit war, die er noch von der Hochzeit seines Freundes in Erinnerung hatte. Anna. Scheinbar hatte er bei ihr keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Er jedoch hatte das zierliche Geschöpf mit den blauen Samtaugen nicht vergessen können.

„Anna, das ist Matthias, mein bester und ältester Freund. Vor allem älter. Vielleicht erinnerst du dich noch an ihn. Er war auch bei uns auf der Hochzeit. Vor dem brauchst du keine Angst zu haben. Der brummt nur, beißt aber nicht.“

„Danke!“, knirschte Anna zwischen den Zähnen hervor und war sich nicht einmal sicher, ob er es noch gehört hatte, so schnell wie er verschwunden war.

„Na, dann steht dir ja nichts mehr im Weg!“, verabschiedete sich Thomas fröhlich. „Los, stürz‘ dich ins Getümmel! Wir brauchen deine Hilfe wirklich!“

Mit einem leichten Stups verabschiedete sich Thomas und Anna stellte sich tapfer den ersten Gästen.

Unwohl ging sie auf den ersten Tisch zu. Die erste Bestellung forderte bereits ihre volle Aufmerksamkeit. Die Vielzahl an Getränken, Speisen und Sonderwünschen verwirrten sie anfänglich. Die Gäste zeigten sich jedoch geduldig und so löste sich bald alles in Wohlgefallen auf.

Je länger der Abend anhielt, desto lockerer wurde Anna. Sie begann, Spaß an der Sache zu finden. Die Gäste waren ihr gegenüber freundlich und nachsichtig. Viele fragten erstaunt, wer sie denn sei und wo sie sich bisher versteckt gehalten hätte.

Markus flirtete ungeniert bei jeder Gelegenheit mit ihr. Sie ließ sich sogar hinreißen, einen Hot-Fire-Housedrink zu versuchen. Was genau sich dahinter verbarg, wollte Markus nicht preisgeben. Der Drink bescherte Anna rote Wangen und ließ sie noch lockerer werden. Sie genoss die Aufgabe zusehends.

Trotzdem hatte Anna des Öfteren das Gefühl, dass ein Paar dunkelbrauner Augen öfter auf ihr ruhten, als ihr lieb war. Aber sobald sie sich umdrehte, hatte Matthias sich auch schon weggedreht. Was war nur los mit diesem Typen?

Anna schaffte es sogar, einige Stunden nicht an IHN zu denken. Den Grund für diesen spontanen Wochenendtrip zu ihrer Freundin. Frank. Wie hatte sie sich nur so in ihm täuschen können? Und jetzt stand sie vor einem Scherbenhaufen, und ihr graute bereits davor, nach diesem Wochenende wieder zurückzufahren. Sie dachte dabei nicht an „nach Hause fahren“. Ein richtiges Zuhause hatte sie eigentlich dort auch nicht. Es war ein Schlafplatz in seiner Wohnung, den sie mit kochen, putzen, waschen „abbezahlte“.

„Du brauchst eine Pause, Anna“, ermahnte sie ihre Freundin. „Nimm dir zu essen und zu trinken und genieße das Fest.“

Erst da registrierte Anna, dass es fast schon Mitternacht war, und sie wirklich viel geschuftet hatte. Sie freute sich und war stolz auf sich selbst, dass sie es bravourös gemeistert hatte. Sie händigte ihre volle Geldtasche dem Finanzchef aus, der sich überschwänglich für ihre Hilfe bedankte.

Mit einem übervollen Teller und einem großen, kalten, alkoholfreien Getränk verließ Anna den Festplatz und suchte sich eine ruhige Bank etwas weiter weg vom Geschehen. Diese Ruhe. So angenehm diese Veranstaltung auch war, sie war vor allem laut. Genüsslich aß Anna ihre erste richtige Mahlzeit seit Tagen.

Wo Frank wohl jetzt war? Und vor allem mit wem? Frank. Anna hatte bis vor wenigen Tagen noch gedacht, die Liebe ihres Lebens getroffen zu haben. Über drei Jahre hatte sie mit ihm gemeinsam gewohnt. Über die Zukunft gesprochen. Alles miteinander geteilt. Über Kinder nachgedacht – sie zumindest. Und dann kam sie letzte Woche wegen Kopfschmerzen früher von der Schule nach Hause, nur um ihn im Bett mit seiner Kollegin zu finden. In IHREM gemeinsamen Bett.

Diese Szene würde sie wohl nicht so schnell vergessen. Sie solle das nicht so eng sehen. Und es war ja nur Sex. Aber sie – Anna – liebe er wirklich. Kann Mann zwischen Liebe und Sex unterscheiden? Anna konnte es definitiv nicht. Und nun stand sie vor einem Scherbenhaufen, den andere Leute „Leben“ nannten und wusste weder ein noch aus. Überstürzt hatte sie einige Sachen gepackt und das lange Wochenende genützt, um zu ihrer Freundin zu flüchten. Marie wusste immer Rat und Hilfe. Sie war das feste Urgestein ihres Lebens.

„Na, schon genug von ein wenig Arbeit?“

Anna zuckte zusammen. Eine dunkle, breitschultrige Gestalt löste sich aus dem Schatten des alten Baumes. Matthias. Diese Stimme hätte sie überall wiedererkannt. Anna blieb der Bissen im Hals stecken. Ihr wurde heiß und kalt gleichzeitig. Ihr Puls beschleunigte sich von selbst. Was sollte das? Sie kannte den Typen gar nicht. Und er benahm sich ihr gegenüber ständig unhöflich.

Anna hatte trotz der Vielzahl der Bestellungen genug Gelegenheit, Matthias und die anderen Mädchen zu beobachten. Zu allen war Matthias nett und zuvorkommend, nur ihr gegenüber kehrte er eine gemeine Seite hervor. Während des ganzen Abends hatte er kein einziges nettes Wort für sie übrig gehabt. Nur ständiges Genörgel, was sie alles besser machen könnte. Dass sie schneller laufen könnte. Und dass es effizienter wäre, wenn sie gleich mehrere Tische auf einmal aufnehmen würde.

„Warum bist du zu mir so unfreundlich? Den ganzen Abend meckerst du schon an mir herum! Ich bin freiwillig hier und bemühe mich genauso gewissenhaft wie die anderen auch!“ Wütend machte Anna ihrem Frust Luft. Sie sprang auf und baute sich – obwohl einen Kopf kleiner – vor Matthias auf.

Matthias stöhnte laut auf. Die Frau brachte ihn um den Verstand. Bevor er noch einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte er sie schon in seine Arme gezogen.

Matthias konnte sich nicht erklären, was ihn zu dieser Aktion veranlasst hatte. Eigentlich wollte er das alles nicht. Sie hatte ihn den ganzen Abend gereizt. Sie war ihm aus dem Weg gegangen und hatte für jeden anderen ein Lächeln auf den Lippen. Nur nicht für ihn. Und von Minute zu Minute wuchs seine Eifersucht.

Voll und perfekt geschwungen zogen ihn die Lippen von Anna magisch an. Er legte ihr eine Hand an den Hinterkopf und zog ihn vorsichtig zu sich heran. Aber der Kuss machte alles wieder gut. Ihre Lippen berührten sich und Matthias spürte, dass Anna sich in seinen Armen versteifte. Verwirrt schaute sie ihn an und versuchte ihn wegzudrücken.

Matthias nahm es als Aufforderung, seine Bemühungen zu verstärken. Er löste sich, um seine Lippen noch einmal sanft auf die ihren zu legen. Es folgte eine Reihe zarter Küsse und Matthias spürte, dass sich Anna langsam entspannte. Zögernd öffnete sie ihre Lippen einen Spalt breit. Als sich ihre Zungen berührten, hatte er das Gefühl seine Erfüllung gefunden zu haben.

Langsam und verzaubert löste er sich von ihr. Sie fühlte sich so richtig in seinen Armen an. Er musste sich selbst ermahnen, um die Kontrolle nicht zu verlieren.

Anna hatte das Gefühl, einen Starkstromschlag erhalten zu haben. Ihre Knie verwandelten sich in Pudding. Sie roch noch den männlichen, herben Duft nach Seife und Rasierwasser. Sie fühlte sich wie in Trance.

Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sich auch schon wieder zurückgezogen und war in der Dunkelheit verschwunden. Anna spürte noch immer seinen festen Händedruck an ihrem Rücken. Sie zitterte leicht.

Anna taumelte benommen einige Schritte zurück. Was war nur mit ihr geschehen? Wieso ließ sie sich von diesem Wildfremden küssen? Sie berührte ihre Lippen und konnte immer noch nicht glauben, was gerade passiert war. Sie tappte vorsichtig weg und zurück zum Festplatz.

Matthias trat mit voller Wucht gegen die Bank. Noch falscher hätte er das Ganze ja gar nicht angehen können. Aber das Gefühl, sie in den Händen zu halten, war unbeschreiblich gewesen. Und dann hatte seine Lust über seinen Verstand gesiegt. Sie hat so verängstigt und verunsichert ausgesehen. Er konnte ihr schlecht hinterher gehen. Missmutig ging er an seinen Arbeitsplatz in der Grillhütte zurück.

Anna suchte Zuflucht im Café bei ihrer Freundin. Marie setzte ihr eine Tasse Früchtetee vor und versuchte sie zu beruhigen.

„Du wirst sehen, wenn du mehrere Tage darüber schläfst, wirst du ihn vergessen.“

„Den Kuss vergesse ich bestimmt nicht so bald!“, antwortete Anna gedankenverloren. Sie spürte noch immer seine warmen Lippen auf den ihren. Der Kuss hatte sich so richtig angefühlt. Und voller Leidenschaft.

„Was? Du erinnerst dich an jeden einzelnen Kuss mit Frank?“, fragte Marie entgeistert.

„Äh …“ Anna stammelte errötend. Der andere Name holte sie jäh in die Realität zurück.

„War nur so ein Gedanke. Wie lange wird das Fest noch dauern?“, versuchte Anna abzulenken.

Die wenigen verbliebenen Gäste drängten sich nun um die Bar und die Schank. Die Band war zu ruhigeren Musikstücken übergegangen und einige Paare tanzten engumschlungen auf der kleinen Tanzfläche.

„Nicht mehr lange. Wenn die Band aufhört, gehen die meisten nach Hause. Aber jetzt tanzen wir noch einmal.“

Und schon zog Marie ihre Freundin am Arm hoch und schleifte sie zur Tanzfläche. Die Musik schwenkte um und aus allen Ständen strömten die Helfer herbei und es wurde offen gehüpft und getanzt.

Die Freude über das Gelingen des Festes war spürbar in dieser ausgelassenen Stimmung und schlug auch auf Anna über. Sie war Teil dieses Festes, hatte ihren Teil zum Erfolg beigetragen und es hatte sie ihre Sorgen für kurze Zeit vergessen lassen und gab ihr ein tiefes Zugehörigkeitsgefühl. Ein nie gekanntes Glücksgefühl durchströmte sie.

„Und nun das letzte Lied für alle Verliebten und solche, die es noch werden wollen.“

Der Sänger leitete das letzte Lied des Abends ein. Marie schwang sich in die Arme ihres Mannes und küsste ihn liebevoll. Anna wandte sich zum Gehen um und wollte die Tanzfläche verlassen. Sie rannte direkt in eine männliche Brust. Sie brauchte nicht aufzublicken, der Geruch von Seife und Rasierwasser war unverkennbar. Zwei kräftige Arme umfassten sie.

„Wie wär’s mit einem letzten Tanz?“, fragte Matthias leise.

Starr und geschockt nickte sie leicht. Anna hatte nun endlich Gelegenheit, das kantige Gesicht näher zu betrachten. Zwischen seinen Augenbrauen ragte steil eine kleine Falte auf. Die dunklen Augen ließen tiefe Abgründe vermuten. Eine gerade Nase, volle Lippen und ein Dreitagesbart vervollständigten das markante Gesicht.

Obwohl sie schon den ganzen Abend durchgearbeitet hatten, zeigte Matthias keine Anzeichen von Müdigkeit. Wieso vernebelte dieser Mensch nur so ihre Sinne? Sie konnte nicht mehr klar denken. Sie fühlte sich in seinen Armen sicher und wohl. Anna nahm nichts um sich mehr wahr. Das Lied schien kein Ende zu nehmen.

Das Lied war viel zu schnell zu Ende. Matthias konnte sich nicht erklären, was ihn dazu veranlasst hatte, Anna zum Tanzen aufzufordern, aber er genoss jede Sekunde umso mehr.

„Du hast deine Sache wirklich gut gemacht, für eine kleine Lehrerin“, erklärte Matthias in seiner gelassenen Art. Sein Blick fixierte sie und Anna konnte nicht anders, als darin zu versinken.

„Woher weißt du?“ Verwirrt stolperte Anna fast über ihre eigenen Füße.

„Der Ort ist klein, die Neuigkeiten spärlich, deshalb war das nicht weiter schwer. Außerdem warst du heute Abend das Gesprächsthema Nummer eins.“ Matthias konnte scheinbar auch lächeln.

Die Band bedankte sich für die Aufmerksamkeit und ließ die letzten Takte verklingen. Zögernd löste sich Anna von ihrem Tanzpartner und musste sich eingestehen, dass sie die letzten Minuten sehr genossen hatte.

Sie applaudierte der Band zu und wollte sich umdrehen, um sich von Matthias zu verabschieden. Aber da war er auch schon irgendwie verschwunden. Ihre Augen suchten angespannt das Zelt und die Helfer ab, aber sie konnte ihn nicht mehr ausmachen.

„Anna? Bist du fertig? Wir wollen fahren, es ist schon spät.“ Ihre Freundin holte sie wieder in die Realität zurück und Anna folgte ihr in Gedanken versunken.

So war das nicht geplant

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