Читать книгу Der Lifestyle Club - Kari Karaiti - Страница 6

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VORSTELLUNGSGESPRÄCHE


AVA

Ava erwachte am nächsten Morgen von dem unangenehmen Klingeln eines Telefons. Hunter stöhnte neben ihr, dann wandte er sich um und tastete nach dem Störenfried. Sie drehte sich auf die Seite und spürte, dass sie steif und ungelenk war, dass ihre Muskeln schmerzten. Konnte das vom gestrigen Abend kommen?

„Ja?“, nahm er das Telefonat an. „Mhm ... Ja ... Verdammt!“ Damit rollte er aus dem Bett und verließ das Zimmer. Sie vernahm seine Stimme, achtete nicht auf seine Worte. Müde sank sie wieder in einen leichten Schlaf, bis sie sanft an der Schulter gerüttelt wurde.

„Ava?“ Sie öffnete die Augen, fand Hunter über sich gebeugt, geduscht und gestriegelt. „Bist du wach?“

„Mhm!“

„Das war Dr. Miller, der Tierarzt aus dem Nachbarort. Es gibt einen Notfall auf einer Ranch. Er bat mich, für ihn einzuspringen, da er mit Fieber danieder liegt.“

„Nachbarort?“, fragte sie. „Das ist eineinhalb Stunden entfernt.“

Ein Grinsen ging über sein Gesicht. „Exakt! Glaubst du, ich würde dich sonst wecken?“

„Oh!“

„Ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs sein werde. Wahrscheinlich werde ich heute Abend nicht zurückkommen.“

„Okay!“

„Kommst du zurecht?“

„Ja, Doktor“, erwiderte sie nickend und grinste, als er die Augen verdrehte.

„Ich hasse es, dich nach gestern Abend allein zu lassen.“

„Alles gut, Hunter, gehe Fohlen retten“, versicherte sie ihm mit dem zufriedensten Lächeln, das sie kurz nach dem Aufwachen auf ihr Gesicht zaubern konnte. „Ich bin ein großes Mädchen, ehrlich.“

„Gut“, brummte er, ohne überzeugt zu wirken. „Ich habe Kaffee gemacht. Wenn du etwas brauchst, du weißt, wo der Supermarkt ist.“

Sie schnaubte durch die Nase. „Supermarkt!“

Er lachte leise. „Essen kannst du jeder Zeit in Jamie’s Diner, die Straße runter. Wenn du abends ein exklusiveres Dinner vorziehst, gehe ins Sweet Melodies.“

„Oh Gott, Hunter! Ich werde nicht verhungern.“

„Wenn du irgendetwas anderes brauchst, rufe an, oder schreibe mir eine Nachricht. Ich melde mich dann, sobald es mir möglich ist. Ich habe dir Jacks Nummer an den Kühlschrank gepinnt.“

„Jack“, wiederholte sie.

„Er ist ein guter Freund, wohnt nicht weit von hier. Und er wird sofort kommen, wenn du Hilfe brauchst. Das Polizeirevier ist nur zwei Straßen von hier.“

„Weil ich von der Idylle der Großstadt in das gefährliche Kleinstadtmilieu gereist bin.“

Wieder lachte er. „Hey, es kommen viele Touristen her. Du weißt nie, wer sich unter diesen Leuten befindet.“

„Geh schon, Hunter“, lachte sie und schlug ihm auf den Oberarm.

„Ich melde mich zwischendurch und lasse dich wissen, wann ich zurückkomme. Hast du nicht heute den Termin im Therapiezentrum?“

„Am Nachmittag! Ich habe bis dahin massig Zeit.“

Er beugte sich vor, küsste ihre Stirn. „Viel Erfolg!“

„Fahr vorsichtig, okay?“, erwiderte sie und er lächelte, bevor er mit einem letzten forschenden Blick auf sie den Raum verließ.

Gegen späten Vormittag erhob sie sich aus dem Bett und schlenderte in die Küche, um sich Kaffee einzugießen. Sie setzte sich an den Küchentresen und öffnete ihren Laptop, um noch einmal alles durchzugehen, was sie sich für das Bewerbungsgespräch herausgesucht hatte. Dann ging sie unter die Dusche und richtete sich her, um in Jamie‘s Diner eine Kleinigkeit zu essen.

Später spazierte sie durch den Ort, bis sie zehn Minuten zu früh am Therapiezentrum ankam. Dennoch beschloss sie, hineinzugehen und sich vorzustellen. Sie wurde freundlich empfangen und mit einem Kaffee in den Warteraum für Patienten gesetzt, der an diesem Tag leer war. Kurz darauf wurde sie aufgerufen und in das Büro des Zentrumsleiters geführt, der sie professional interviewte. Nach wenigen Minuten fühlte sie sich wohl und das Gespräch lief flüssig.

„Ava“, seufzte er. „Ich spreche offen. Wir sind interessiert an Ihnen. Ihre Qualifikationen sind hervorragend und ich glaube, dass Sie die Richtige für den Job sind.“

Sie lächelte. „Das ist sehr freundlich, danke.“

„Ich würde da jedoch gerne etwas mit Ihnen besprechen. Wie Sie wissen, bieten wir in Kooperation mit einer Ranch der Umgebung, die unsere Tiere betreut und das nötige Umfeld bietet, tiergestützte Therapien an. Wir hatten bis vor kurzem einen qualifizierten Kindertherapeuten, der diesen Bereich abdeckte, der uns unglücklicherweise aufgrund persönlicher Gründe verließ.“

„Worauf wollen Sie hinaus?“

„Ich weiß, dass wir Ihnen eine andere Stelle anboten. Aber könnten Sie sich vorstellen, in diesem Bereich zu arbeiten?“

Sie sah den Zentrumsleiter überrascht an. „Ähm, ja, ich habe bereits mit Kindern tiergestützt gearbeitet.“

„Ja, das sah ich in Ihren Unterlagen. Ich werde Sie nicht anlügen, Ava. Wir sind verzweifelt. Und wir brauchen Sie.“

„Okay, das ist gut für mich, denke ich.“

Er lächelte. „Natürlich können Sie sich den Arbeitsplatz zunächst ansehen. Und wir gewähren Ihnen selbstverständlich eine Bedenkzeit.“

„Darum möchte ich bitten, um beides.“ Ihr Herz schlug bei dem Gedanken daran, wieder mit Tieren und Kindern zu arbeiten, schneller. Doch sie wusste, dass sie nicht blind zusagen durfte, dass sie sich zunächst die Bedingungen ansehen musste, bevor sie eine verbindliche Aussage traf.

„Wunderbar!“ Der Leiter nahm eine Karte aus einem Umschlag und reichte sie ihr. „Morgen um zehn Uhr dreißig wäre der Termin vor Ort. Die Ranch wird von einem Geschwisterpaar geleitet, die sie empfangen werden. Es steht alles in ihren Unterlagen. Wenn Sie mich hinterher anrufen und mir Ihren ersten Eindruck schildern könnten, wäre ich Ihnen sehr verbunden.“

COLTON

Colton sammelte Pferdeäpfel im Paddock auf, als Joanne zu ihm gelaufen kam und ihn mit in die Hüfte gestemmten Armen ansah. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte sie genervt.

„Was?“

„Du weißt, dass wir heute einen Termin haben.“

„Yepp!“

„Und warum stehst du dann hier in deiner staubigen Arbeitskleidung und sammelst Pferdescheiße ein?“

„Die Jungs sind alle beschäftigt. Sollen die Äpfel liegenbleiben, bis nächste Woche die neuen Farmarbeiter anfangen?“

Joanne gab einen abschätzigen Laut von sich. „Wenn das einer deiner bescheuerten Tests ist, trete ich dir in den Arsch. Wir brauchen einen neuen Therapeuten, und zwar schnell. Das heute ist der erste vielversprechende Termin, den wir bekamen, seit Thomas wegging.“

„Wenn es ein vielversprechender Kandidat ist, wird es ihm nichts ausmachen zu sehen, dass der Chef persönlich den Arbeitsplatz sauber hält.“

„Du willst immer das letzte Wort haben, oder?“ Er grinste seine Schwester ob des entrüsteten Tons an. „Im Übrigen ist es eine Kandidatin. Hoch qualifiziert! Im Gegensatz zu dir habe ich mir ihre Unterlagen angesehen.“ Er brummte amüsiert, als ein kleines Auto den staubigen Weg zur Ranch einschlug und langsam darauf zufuhr. „Das wird sie sein. Könntest du bitte die Pferdescheiße wegbringen? Es reicht, wenn du sie in diesem Aufzug begrüßt. Du musst ihr nicht die Schaufel unter die Nase halten.“

„Ja, ja“, gab er zurück und trug die Ladung quer über den Paddock zu der dort am Gatter wartenden Schubkarre, wo er sie entsorgte. Als er zu seiner Schwester zurückkehrte, hielt der Wagen auf dem für Autos ausgewiesenen Parkplatz und die Fahrertür öffnete sich. Sie versuchte nicht, ihren Weg zu verkürzen und an das Farmhaus heranzufahren, wie es einige der anderen Kandidaten getan hatten, was ihm sofort auffiel. Angenehm überrascht stellte er fest, dass die vielversprechende Kandidatin einer Ranch angemessen gekleidet erschien. Sie trug Jeans und ein Hemd über einem hellen Shirt und, sein Blick sauste sofort herunter, als sie um das Auto herumkam, Stiefel. Ihr dunkelbraunes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten. Sie öffnete den Kofferraum und nahm eine lederne Aktentasche heraus, in der sie wahrscheinlich alle nötigen Papiere trug, die ihr das Zentrum mitgegeben hatte. Er stellte die Schaufel auf den Boden und stützte sich darauf, während er sie auf ihrem Weg zum Paddock beobachtete.

„Komm her und begrüße sie wenigstens anständig mit mir“, sagte Joanne nervös. „Sei kein Arsch!“ Nur eine kleine Schwester glaubte, dass dem großen Bruder jedes Benehmen fehlte. Doch er beschloss, sie an diesem Morgen nicht zu ärgern, denn in der Tat brauchten sie dringend einen neuen Therapeuten.

Langsam ging er auf den Rand des Paddocks zu, seinen Blick nicht von der Frau abwendend. Je näher sie kam, umso seltsamer erschien ihm der Anblick. Und dann traf es ihn wie der Blitz. Die vielversprechende Kandidatin war sie. Er hatte sie auf die Entfernung nicht erkannt, doch je näher sie kam, umso deutlicher wurde es, obwohl sie die ganze Zeit im Club eine Augenbinde getragen hatte. Es waren ihre Bewegungen, das hübsche, runde Gesicht, die dunklen Haare, die sie verrieten. Sie war es!

„Ähm, Joanne“, sagte er leise zu seiner Schwester, die ihn daraufhin mit Vorahnung, dass er etwas sagen würde, das ihr den Morgen versauen würde, ansah. „Würde es dir etwas ausmachen, das Gespräch allein zu führen? Ich werde sie begrüßen und mich dann zurückziehen.“

„Oh, nein! Du wirst nicht wieder ...“

Er deutete ihr mit der Hand, den Mund zu halten. „Ich habe meine Gründe. Wenn sie eine vielversprechende Kandidatin ist, willst du mich bei diesem Gespräch nicht dabeihaben.“

„Kennst du sie?“, fragte seine Schwester misstrauisch.

„Kennen ist vielleicht etwas hochgegriffen. Sagen wir, ich weiß, wie sie unter ihren Klamotten aussieht.“ Joannes Augen weiteten sich. „Ich weiß, wie sie sich anfühlt, wie sie klingt, wenn ...“

„Danke, das will ich nicht wissen“, unterbrach sie ihn. „Sie wird dich erkennen.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie hatte die Augen verbunden. Aber ich denke, dass sie sich daher an meine Stimme erinnern wird.“

„Dieser verdammte Club!“, zischte Joanne, doch dann nickte sie.

Die hübsche Maus, Hunters Collegefreundin, erreichte den Paddock und ein schüchternes, wenngleich freundliches Lächeln ging über ihr Gesicht. Sein Herz schlug bis in seinen Hals, während er sie anstarrte und die Erinnerungen seinen Kopf fluteten. Er spürte den wachsenden Druck unter dem Reißverschluss seiner Hose und fluchte innerlich.

„Ava?“, fragte Joanne freundlich und ging auf sie zu, um die wenigen Meter zwischen ihnen schneller zu überbrücken und damit den Abstand zu ihm aufrechtzuerhalten.

„Ja“, antwortete sie und erwiderte Joannes Händedruck.

„Ich bin Joanne. Schön, dass Sie den Termin heute Morgen wahrnehmen konnten. Ich werde Sie ein wenig über unsere Ranch führen und Ihnen alles zeigen, was für Sie relevant ist, wenn Sie die Stelle antreten.“

„Das ist sehr freundlich, danke.“ Ihr Blick legte sich auf ihn und er verstand sofort, was Hayden ihm über die großen Augen, die alles mit gemischten Gefühlen betrachtet hatten, hatte sagen wollen. Wow, diese Augen! Was für eine Schande, dass sie sie an dem Abend unter der Augenbinde versteckt hatte, dachte er. Das helle Blau stand in so großem Kontrast zu ihren dunklen Haaren, dass dieser Umstand ihre Augen leuchten ließ. Hatte er sie vor zwei Tagen im Club als reizvoll empfunden, war sie für ihn jetzt unwiderstehlich.

„Und dieser mürrische Cowboy dort ist mein Bruder, Colton“, stellte Joanne ihn vor. Er grinste, tippte an seinen Hut. Sie hob ihre Hand und erwiderte mit dem süßesten Lächeln, das er je gesehen hatte, seine Begrüßung, bevor seine Schwester ihm ihre Aufmerksamkeit stahl. „Beachten Sie ihn nicht! Er sammelt Pferdeäpfel ein und ist deswegen schlecht gelaunt.“

Sie nahm die süße Maus am Arm und geleitete sie von ihm fort. Wie, um alles in der Welt, war es Hunter gelungen, so lange mit ihr befreundet zu sein, ohne sich ihr zu nähern? Er sah den beiden Frauen hinterher, bis sie in den Ställen verschwanden. Dann wandte er sich leise fluchend seiner Arbeit zu.

Erst zwei Stunden später sah Colton sie wieder. Joanne geleitete sie direkt aus dem Bürogebäude zu ihrem parkenden Auto, während er Tornado, einen Hengst, den sie vor ein paar Wochen auf einer Auktion erstanden hatten, im Paddock an der Lounge führte. Er wollte mit ihm ein wenig trainieren. Die junge Frau bemerkte ihn und blieb stehen. Joanne warf ihm einen schnellen Blick zu, erklärte ihr wahrscheinlich, dass sie den Hengst günstig ersteigert hatten und dass er einmal ein großartiges Reitpferd werden würde. Er konzentrierte sich auf das Tier, um nicht erneut von den Erinnerungen überschwemmt zu werden. Dann bemerkte er, dass seine Schwester sie zu ihrem Auto geleitete, wo die beiden Hände schüttelten. Als sie einstieg und davonfuhr, wandte sich Joanne zu ihm um und kam auf ihn zu. Sie stellte einen Fuß auf das Gatter und verschränkte die Arme darauf. Erst, als Colton die Lounge langsam einrollte und vor dem Hengst stand, der zufrieden schnaubte, als er ihm über die Schnauze strich, hob sie den Kopf.

„Sie ist toll“, sagte sie, während sie vor sich ins Nichts starrte.

„Okay“, antwortete er und wartete auf das, was seine Schwester zu sagen hatte.

„Wir lagen sofort auf einer Wellenlänge. Und sie schien begeistert von den Arbeitsbedingungen. Ich denke, sie wird die Stelle annehmen. Sie sagte, sie hätte bereits im Bereich der tiergestützten Kindertherapie gearbeitet und es gerne getan. Ich zeigte ihr Barnie und Topper. Sie kann mit Pferden umgehen, das wurde direkt deutlich.“

„Mhm!“

Er führte Tornado auf den Rand des Paddocks zu, deutete seiner Schwester, das Gatter zu öffnen, was sie sofort tat. Sie ließ ihn das Pferd hindurchführen, schloss es hinter ihm wieder und folgte ihm zu den Ställen, wo er den Hengst festband und die Utensilienbox aus der Kammer holte. Joanna stand vor dem Tier und streichelte es, während Colton anfing, die Hufe auszukratzen.

„Sie zeigte keinerlei Anzeichen dafür, dass sie dich erkannte“, begann sie erneut.

„Davon ging ich nicht aus.“

Seine Schwester sog tief Luft durch die Nase. „Pass auf, ich weiß nicht, was ihr in dem Club treibt, und ich will es auch nicht wissen. Die Vorstellung, was mein großer Bruder ... urgh!“

„Ich will auch nicht wissen, was du treibst, Schwesterherz“, sagte er schmunzelnd.

„Nur fair“, entgegnete sie ebenfalls grinsend. „Du wirst ihr hier nicht aus dem Weg gehen können, wenn sie als Therapeutin anfängt. Und ich will, dass sie hier als Therapeutin anfängt. Und ich will, dass sie bleibt. Du solltest mit ihr klären, was zwischen euch gelaufen ist, um böse Überraschungen zu vermeiden.“

Colton wusste, dass Joanne Recht hatte. Er würde ihr kaum aus dem Weg gehen können, wenn sie anfing, hier zu arbeiten. Überall würden sie aufeinandertreffen, würden miteinander sprechen müssen. Und sie würde seine Stimme erkennen. Das Problem war nur, dass er sie wollte. Der Abend hatte in ihm ein Verlangen geweckt, wie er es lange nicht mehr empfunden hatte. Verdammt! Weshalb musste die vielversprechende Kandidatin ausgerechnet sie sein? Weshalb hatte Hunter ihn nicht gewarnt? Weshalb hatte er im Vorfeld nicht von ihr erzählt?

Nach dem Mittagessen zog Colton sich in das Büro zurück, ließ sich hinter dem Schreibtisch auf dem Chefsessel nieder und starrte auf die Unterlagen, die Joanne dort hingelegt haben musste. Es war ihre Bewerbung, die das Zentrum ihnen zugeschickt hatte. Ava Patterson, neunundzwanzig Jahre alt, las er. Ava! Ein Lächeln ging über sein Gesicht. Er hatte sie nicht nach ihrem Namen gefragt. Ava! Sofort sprangen ihre großen Augen in seinen Kopf. Seufzend lehnte er sich im Stuhl zurück und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Was, dachte er, sollte er tun, wenn sie den Job antrat? Wie sollte er ein Gespräch mit ihr anfangen? Sollte er sie hier ins Büro rufen, um ihr dann in diesem Umfeld zu erklären, dass sie sich bereits im Club begegnet waren? Vielleicht konnte er vorgeben, sie nicht zu erkennen, da sie die große Augenbinde getragen hatte, die ihre komplette Augenpartie inklusive Brauen verdeckt hatte.

Er starrte an die Decke und erinnerte sich an den Abend. Nur schwer hatte er ihr Informationen entlocken können. Keine seiner Fragen hatte sie befriedigend beantwortet und er hatte in Anbetracht der Kürze der Zeit nicht auf ausführliche Erklärungen bestanden. Er war sich sicher, dass die Gründe für die Augenbinde weit darüber hinausgingen, dass sie nichts sehen wollte. Und was hatte es mit der Wette auf sich gehabt? Warum hatte sie diese Wette unbedingt gewinnen wollen, dass sie Dinge hatte über sich ergehen lassen, die für sie keinerlei sexuellen Reiz gehalten hatten. Hunter gewinnt immer, hörte er sie fast stimmlos sagen. Aber dieses Mal nicht. Was steckte dahinter? Er schüttelte den Kopf. Es war nicht seine Aufgabe, diese Fragen zu klären. Das lag in Hunters Verantwortung. Sie würde nach dem Abend wahrscheinlich nicht in den Club zurückkehren, obwohl seine Berührungen sie nicht kalt gelassen hatten. Was mochte der Grund dafür gewesen sein? War es der Reiz des Neuen, des Verbotenen gewesen, der sie auf ihn, einen Fremden, von dem sie nichts gewusst, den sie nicht einmal gesehen hatte, hatte reagieren lassen?

Er würde mit Hunter reden müssen, aus vielen verschiedenen Gründen. Und sein Freund war ihm einige Antworten schuldig. Er zog sein Smartphone aus der Hosentasche und tippte ihm eine kurze Nachricht.

COLTON: Müssen reden – asap!

AVA

Ava stöhnte, als sie sich ins Auto setzte, das verdammte Fahrzeug aber nur gurgelte, keinerlei Anstalten machte, anzuspringen. Sie würde sich ein neues kaufen müssen, direkt, wenn sie eine eigene Wohnung gefunden hatte. Bis dahin war sie von dieser alten Rostlaube abhängig. Das musste sich ändern, sobald sie den Job auf der Ranch annahm. Nicht auszudenken, wenn sie mit dem Wagen auf dem Weg durchs Nirgendwo liegenblieb, während ein Kind darauf wartete, dass sie zur Therapie erschien. Die Ranch hatte ihr gefallen. Ein riesiges Anwesen mit vielen Pferden, unendlichen Weiden und gepflegten Ställen. Die beiden Therapiepferde hatten einen guten Eindruck auf sie gemacht. Und Joanne? Joanne war großartig gewesen. Sie hatte sie direkt gemocht, die offene Art, mit der sie sie empfangen hatte, der trockene Humor, mit dem sie sie über die Ranch geführt hatte. Mit ihr würde sie definitiv zusammenarbeiten können. Was ihren Bruder anging, konnte Ava nichts sagen. Er hatte sich verschlossen gezeigt, nicht unhöflich, aber verschlossen. Sein Gesicht hatte im Schatten seines Stetsons gelegen, dass sie nicht mit Sicherheit behaupten konnte, ihn wiederzuerkennen, sollte sie ihm in der Stadt begegnen. Er war groß, sein Körper von der Arbeit auf der Ranch nicht unansehnlich. Ja, sexy hatte er gewirkt, obwohl sie sein Gesicht nicht hatte sehen können. Ava gab sich innerlich eine Ohrfeige. So sollte sie nicht über den Inhaber der Ranch denken, auf der sie arbeiten würde. Sicher würde sie ihn kennenlernen, sobald sie den Job erst einmal antrat. Um ein paar Tage hatte sie gebeten, bevor sie zusagen wollte. Oh, sie würde zusagen! Die Bedenkzeit hatte sie sich erbeten, um nicht das Gefühl zu haben, zu spontan auf den Zug aufzuspringen.

Sie versuchte noch einmal, den Wagen zu starten. Doch das bockige Gefährt weigerte sich, anzuspringen. Stöhnend stieg sie aus und kehrte zurück ins Haus. Sie suchte nach einem Telefonbuch oder einer Nummernsammlung, um eine Werkstatt ausfindig zu machen. Doch Hunter besaß wenig überraschend beides nicht. Ihr Blick fiel auf den Kühlschrank und den Zettel, der dort klebte: Jack! Okay, sie konnte ihn anrufen und fragen, wo sie eine Werkstatt finden würde. Ja, das war ein Plan. Sie nahm ihr Telefon aus der Tasche und tippte die Nummer ab. Nach dem dritten Tuten wurde der Anruf angenommen.

„Ja, bitte?“

Ihr Herz setzte aus, als sie die Stimme vernahm, die auf sie eingeredet hatte, die Wette zu vergessen und das Spiel mit ihrem Safe-Word zu beenden. Die Stimme, die verkündet hatte, dass die Show vorbei wäre. Sofort kehrte sie in den Club zurück und ihr Blut rauschte in ihren Ohren.

„Hallo?“, riss die Stimme sie aus ihrer Starre.

„Ähm, hallo, hier ist Ava“, stotterte sie. „Hunters Collegefreundin!“ Sie hörte einen dumpfen Schlag und einen Schmerzenslaut durch den Hörer gefolgt von einem leisen Fluchen. „Alles in Ordnung?“

„Ja, ja“, kam die schnelle Antwort.

„Hunter hinterließ mir diese Nummer“, erklärte sie direkt mit belegter Stimme. Ihr Gesicht glühte und sie hätte am liebsten aufgelegt, doch nun war es zu spät. „Er musste ein paar Tage weg. Er sagte, ich sollte diese Nummer wählen, wenn ich Hilfe bräuchte.“

„Hunter ist weg?“, fragte er überrascht.

„Ja, der Tierarzt des Nachbarortes, Dr. Miller, ist krank und es gab einen Notfall auf einer Ranch. Als wir das letzte Mal telefonierten, sagte er, dass er nicht sagen könnte, wann er zurück sein würde. Er kann nicht immer ans Telefon gehen. Aber ich brauche eine Autowerkstatt und wollte fragen ...“

„Eine Werkstatt?“, unterbrach er sie. „Was ist mit deinem Auto?“

„Es springt nicht an. Ich brauche die Telefonnummer einer Werkstatt. Ich wollte fragen ...“

„Ich sehe mir das an“, unterbrach er sie erneut. „Bist du zu Hause?“

„Ja!“

„Ich bin in zehn Minuten da.“ Damit beendete er das Telefonat, bevor sie darauf reagieren konnte. Er wollte herkommen? Oh nein! Nein! Nein! Er war dort gewesen. Er wusste, wer sie war. Und sie sollte ihm allein gegenübertreten? Nervös rannte sie im Wohnzimmer auf und ab. Dann beschloss sie, lieber am Auto zu warten, um nicht mit ihm in der Wohnung zu stehen. Sie öffnete die Motorhaube, um etwas zu tun zu haben, und warf einen Blick hinein. Sie erinnerte sich an ihren Exfreund, Tom, der immer erst einmal alle Kabelverbindungen getestet hatte. Das tat sie ebenfalls. Sie beugte sich über die Batterie und kontrollierte, ob die Kabel saßen. Die Verbindungen schienen in Ordnung.

Sie hörte ein Auto, das am Straßenrand hielt, und stellte sich auf die bevorstehende, peinliche Begegnung ein. Eine Autotür öffnete sich, dann wurde sie zugeknallt und Schritte näherten sich ihr. Mit einem tiefen Atemzug zog sie den Kopf aus der Motorhaube. Als sie sich herumdrehte, stand er direkt vor ihr und sah ihr in die Augen.

„Hallo“, sagte sie und erschrak davor, wie rau ihre Stimme klang. „Ich bin Ava.“ Sie streckte ihre Hand aus, bemerkte, dass sie nach dem kurzen Kontakt mit dem Innenleben ihres Autos Ölspuren aufwies. „Oh, Verzeihung!“ Sie zog sie zurück und wischte alibimäßig mit der anderen darüber.

Er legte den Kopf schräg und sie konnte seine Gedanken in seinem Gesicht erkennen. Er fragte sich, ob sie ihn an der Stimme erkannt hatte. Aber sie würde so tun, als glaubte sie, ihm zum ersten Mal zu begegnen. „Hallo Ava“, antwortete er. „Ich bin Jack, Hunters Kumpel.“

„Tut mir leid, dass ich angerufen habe“, sagte sie und versuchte, unbeeindruckt zu lächeln. „Ich wollte nur nach der Telefonnummer einer Werkstatt fragen.“

„Ich bin die Werkstatt.“

Sie sah ihn überrascht an. „Oh!“

Sein Blick fuhr kurz an ihr herunter, bevor seine Augen sich wieder direkt auf ihre legten. „Was ist das Problem?“, fragte er und trat neben sie an die Motorhaube.

„Er springt nicht an“, antwortete sie. „Das passiert schon mal. Ich dachte, es hätte sich ein Kabel gelöst, aber ich konnte nichts finden. Ich mein, ich habe auch eigentlich keine Ahnung von Autos. Aber ein loses Kabel würde ich wohl erkennen.“ Oh Gott, sie quasselte!

Er hatte seinen Blick kurz in die Motorhaube geworfen, sah sie mit einem verschmitzten Grinsen an, wandte sich ab, ging um den Wagen herum, stieg ein, wobei er die Fahrertür offenließ und startete. Sie konnte sehen, dass er dem Gurgeln und Ächzen ihres Autos lauschte, dann stieg er wieder aus und kam zur Motorhaube. Er beugte sich darüber und rüttelte kurz an verschiedenen Kabeln, als wollte er testen, wie fest sie saßen. Ava trat zurück, denn sie wusste, dass sie keine Hilfe darstellte. Mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete sie ihn. Er war groß, trug eine Jeans und ein T-Shirt, was ihm nicht das Aussehen eines Automechanikers gab. Seine hellbraunen Haare waren an den Seiten kurzgeschoren und auf dem Kopf in einem Wikingerzopf zurückgeflochten, was mit dem Vollbart und der Tätowierung, die sich aus dem Ärmel seines Shirts heraus schlängelte, einschüchternd wirkte. Ja, er sah weniger aus wie ein Mechaniker als ein Türsteher, dachte sie. Und er hatte sie nackt gesehen, hatte neben ihr gestanden, während sie an einem Haken gehangen hatte, hatte auf sie eingeredet, sie möge die Wette vergessen. Ihre Wangen röteten sich und sie wandte sich ab.

„Die Kabel sitzen alle“, kommentierte er, ohne sich aus dem Motorraum abzuwenden. „Kommt das öfter vor, dass er nicht anspringt?“

„Ja, ab und zu. Der Automechaniker, bei dem ich war, meinte, es sei halt ein altes Auto.“

Er schnaubte. „Kann man wohl sagen.“

„Ja, ich weiß. Ich brauche auf lange Sicht ein neues.“

Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Ich würde ihn gerne mitnehmen und durchchecken. Brauchst du ihn dringend?“

Sie presste die Lippen aufeinander. „Ab nächste Woche wahrscheinlich.“

Er richtete sich auf und musterte sie. „Neuer Job?“

„Ja, deshalb bin ich hier. Das Therapiezentrum bot einen interessanten Job an. Hunter meinte, ich sollte mich bewerben.“

Der Mann betrachtete sie weiterhin, schwieg allerdings, bis er sich abwandte und zu seinem Wagen ging. „Wir versuchen, ihn zu überbrücken, wenn er nicht anspringt, schleppe ich ihn ab.“

„Okay!“

JACK

Jack holte die Überbrückungskabel aus seinem Wagen, dann verkabelte er alles und ließ sich hinter dem Steuer des alten Autos nieder. Der Motor sprang sofort an und er stieg aus und verpackte die Kabel. Er erklärte Hunters Freundin, dass sie ihm mit dem Wagen zur Werkstatt folgen sollte, kehrte zu seinem Auto zurück. Durch die Windschutzscheibe beobachtete er sie, wie sie einstieg und sich anschnallte, dann wendete er und sie folgte ihm die Straße hinunter. Immer wieder warf er einen Blick in den Rückspiegel. Verdammt! Er konnte sich nicht gegen die Bilder wehren, wenn er sie ansah. Die Erinnerung an ihren nackten Körper – an den Flaschenzug gekettet, auf dem Sofa unter Colton ausgestreckt – haftete in seinem Kopf und jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Sie gab vor, als wüsste sie nicht, dass er im Club gewesen war. Doch in Wirklichkeit hatte sie ihn am Telefon an seiner Stimme erkannt. Ihr Stutzen, als er ihren Anruf angenommen hatte, das Stottern, ihre rosigen Wangen und der schnelle Puls in ihrem Hals hatten sie verraten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie anrufen würde, hatte weder gewusst, dass Hunter ein paar Tage weg sein würde, noch dass er ihr seine Nummer hinterlassen hatte. Vor Schreck hatte er sich den Kopf gestoßen, als sie ihren Namen am Telefon genannt hatte. Absolut unvorbereitet war er in diese Situation gestolpert und hatte sie mit ihrer Maskerade durchkommen lassen. Zumindest erst einmal!

Nach einer kurzen Fahrt erreichten sie seine Werkstatt, vor der seine Jungs standen und eine Raucherpause einlegten. Ihre Blicke wanderten von ihm zu der jungen Frau und mit einem wissenden Grinsen wieder zu ihm. Er hielt den Wagen, deutete ihr, das Auto einfach auf die Einfahrt zu stellen, und öffnete ihr die Tür. Sie schwang sich galant heraus und sah das alte Gefährt mit besorgtem Gesicht an.

„Keine Sorge, wir kriegen ihn wieder fit“, sagte er und ihre großen Augen legte sich kurz auf ihn, bevor sie sie schnell abwandte. „Hunter ist also ein paar Tage weg“, begann er, deutete ihr, ihm ins Büro zu folgen.

„Ja, der Anruf kam morgens und er musste spontan los.“

Er hielt ihr die Tür auf, ließ sie an ihm vorbei eintreten, dann führte er sie in sein Büro und schloss die Tür hinter ihr. „Ich brauche die Papiere und den Schlüssel.“ Mit einer Handbewegung lud er sie ein, sich zu setzen. „Kaffee?“

„Ähm!“ Ihr Blick fuhr kurz über ihn. War das Misstrauen in ihrem Gesicht? „Gerne, danke! Schwarz, bitte!“

Sie setzte sich langsam, öffnete ihre lederne Dokumententasche, zog nach kurzem Wühlen die Papiere heraus und legte sie auf den Tisch. Dann löste sie den Autoschlüssel von ihrem Schlüsselbund und warf ihn dazu.

Jack wandte sich zu ihr um, stellte den Kaffee vor ihr ab, ging um den Tisch herum und ließ sich auf seinem Sessel nieder. „Morgens spontan, also!“ Er beobachtete sie dabei, wie sie in die Tasse pustete.

„Ja, er brach direkt auf.“

„An dem Morgen nach eurer Wette?“, fragte er in einem möglichst beiläufigen Ton und sie verschluckte sich an dem Kaffee, von dem sie getrunken hatte. Sie stellte die Tasse ab, ihre Augen legten sich weit aufgerissen auf ihn, Blut schoss in ihre Wangen. Plötzlich sprang sie auf und wandte sich zur Tür um. Er erwischte sie, als sie die Klinke herunterdrückte, und presste seine Hand über ihre Schulter hinweg gegen die Tür, bevor sie diese öffnen konnte. „Nicht weglaufen, Ava!“

„Ich möchte bitte gehen“, sagte sie atemlos und er konnte erkennen, dass sie nur flach atmete, fast hyperventilierte.

„Ich werde nicht riskieren, dass du auf deiner Flucht zusammenbrichst, da du hyperventilierst – unabhängig davon, dass Hunter mir dafür den Hintern aufreißen würde.“ Verdammt! Eine Panikattacke hatte er nicht erwartet. Er musste sie beruhigen, musste ihr zu verstehen geben, dass sie vor ihm nichts zu befürchten hatte. „Hunter und ich sind gut befreundet, aber ich bin mir sicher, dass er mich umbringen würde, wenn ich zuließe, dass dir etwas passiert.“ Sie versuchte, tief einzuatmen. „Ruhig atmen“, sagte er sanft. Erneut schnappte sie nach Luft. „Es gibt keinen Grund wegzulaufen, Ava.“

Sie winselte, lehnte den Kopf an die Tür. „Ich sollte wieder abreisen. Ich bin für das Leben in einer Kleinstadt nicht gemacht.“

Oh verdammt! Hunter würde ihn in der Tat umbringen, wenn er erfuhr, dass er den Anlass dafür gegeben hatte, dass sie aus der Stadt fliehen würde. „Hunter wird dir hoffentlich erklärt haben, dass alles, was im Club passiert, im Club bleibt.“

„Das ändert nichts“, erwiderte sie. „Ich wurde dort gesehen.“ Ein Zittern ging durch ihren Körper. „Ich kann nicht durch eine Kleinstadt gehen und mich immer wieder fragen, wer mich alles sah.“

Er atmete tief ein. „Ava“, sagte er leise, wagte, seine Hände auf ihre Schultern zu legen und sie umzudrehen. „Sieh mich an!“ Sie schüttelte den Kopf. „Hat er dir irgendetwas erklärt?“, fragte er und wurde langsam wütend auf seinen Freund, dass er sie unvorbereitet und unwissend an diesem Abend in den Club gebracht hatte und sie mit all ihren Ängsten und Sorgen für mehrere Tage in einer Stadt, in der sie niemanden kannte, zurückließ. „Es spielt keine Rolle, wer dich dort sah. In dem Club treffen sich gleichgesinnte Menschen, die alle gewisse Vorlieben teilen, die sie nicht in die Welt hinausschreien. Glaube mir, Ava, niemand, der dich an diesem Abend sah, wird dich verurteilen.“

Sie sog erneut tief Luft durch die Nase. „Ich kann das nicht“, sagte sie stimmlos und ein weiteres Zittern ging durch ihren Körper.

„An diesem Abend waren hauptsächlich Stammgäste dort, Freunde. Die jungen Doms, die an eurer Wette teilnahmen, stammten aus dem Umland. Von denen wird dir hier in den Straßen keiner begegnen. Ich wage zu bezweifeln, dass dich einer von ihnen erkennen würde. Sie hatten zuvor an einem Kurs teilgenommen und waren zum Ausklang dortgeblieben. Der Rest waren Stammgäste. Wir leben hier. Wir gehen regelmäßig in den Club. Wir teilen uns Schichten, in denen wir das Geschehen überwachen, sind halb Gäste, halb Angestellte. Und alle bewegen sich seit Jahren in dieser Szene. Glaube mir, eure Wette gehört zu den eher harmlosen Vorfällen, die ich in dieser Zeit erlebte.“ Sie stöhnte gequält auf, hielt ihren Blick immer noch von ihm abgewandt. „Du warst das erste Mal in einem solchen Club, nicht wahr?“

„Ja“, bestätigte sie nickend.

Er ließ seine Hände über ihre Arme hinunterfahren und schloss sie um ihre, zog sie langsam zu seinem Schreibtisch zurück, wo er ihr deutete, sich zu setzen, bevor er vor ihr in die Hocke ging, um ihr in die Augen sehen zu können. Ihr Blick legte sich flüchtig auf ihn, dann wandte sie ihn mit einer erneuten Welle Blut, die in ihre Wangen schoss, wieder von ihm ab. „Komm noch einmal mit in den Club“, sagte er, obwohl er wusste, dass Hunter ihn später dafür umbringen würde. „Komm mit und beobachte Sieh dir an, was dort passiert! Sprich mit einigen Mitgliedern! Lass dir erklären, wie unsere Welt funktioniert, und du wirst verstehen, weshalb es nichts gibt, wofür du dich schämen musst.“

Ihr Blick schoss bei seinen Worten hoch und sie musterte ihn ungläubig. „Ich soll noch einmal dorthin gehen?“, fragte sie und er sah die Angst in ihren Augen gefolgt von einer verwirrten Neugier. Ihre Zunge fuhr schnell über ihre Unterlippe und sie räusperte sich, als er nickte.

„Du musst an nichts aktiv teilnehmen. Wenn du willst, kannst du einfach an der Bar sitzen oder dir ansehen, was in dem Club passiert. Ich verspreche dir, ich werde an deiner Seite bleiben und dafür sorgen, dass du dich dort unbehelligt bewegen kannst, wenn es das ist, was du willst. Aber bitte, bitte, laufe nicht weg!“

Verdammt, was tat er hier? Ihre großen Augen rasten über sein Gesicht und er fragte sich, was da in ihrem Kopf passierte. Und es schien eine Menge zu passieren. Wie sollte er einen ganzen Abend überstehen, sie durch den Club zu begleiten, immer mit dem Bild ihres wunderschönen, perfekten Körpers vor seinen Augen, ohne dass er sie anfassen durfte, ohne dass er sie über die Rückenlehne eines Sofas beugen, an ein Andreaskreuz fesseln oder in eine Liebesschaukel wickeln durfte?

„Du kannst Hunter schreiben, dass du mit mir unterwegs bist. Ich schwöre dir, er wird mich für alles verantwortlich machen, was an diesem Abend passiert. Du bist in meiner Begleitung sicher.“

Plötzlich legte sich ein Ausdruck auf ihr Gesicht, den er zunächst nicht einzuordnen wusste. Es war eine wissende Kälte, mit der sie ihn musterte, während sie ihr Smartphone aus der Tasche zog. „Wann?“

Er stutzte, dann schüttelte er langsam den Kopf. „Wann immer du willst. Wir können heute Abend essen gehen und ich werde dich darauf vorbereiten, was du dort sehen wirst. Etwas, das Hunter mit dir hätte machen müssen, bevor er dich in den Club mitnahm.“ Sie senkte den Blick und tippte auf ihrem Smartphone. „Was schreibst du?“

„Eine Nachricht an Hunter. Mein Auto ist wieder einmal verreckt. Habe Jack angerufen. Gehen heute Abend essen“, las sie vor.

Er musterte sie, als sie ihn plötzlich mit einer gewissen Neugierde ansah. „Du willst ihm nicht sagen, dass ich dich in den Club mitnehmen werde?“ Sie schüttelte den Kopf. „Okay!“

Daraufhin drückte sie auf den Send-Button und schickte die Nachricht ab. „Heute Abend also!“

„Sieben Uhr, ich hole dich ab.“

Sie erhob sich von dem Stuhl und nahm ihre Dokumententasche an sich. „Wohin gehen wir?“

„Sweet Melodies“, antwortete er und sie nickte. Langsam ging sie auf seine Bürotür zu. „Soll ich dich zurückfahren?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das kurze Stück kann ich gehen.“

Er stand auf der Einfahrt, den Schlüssel zu ihrem Wagen in der Hand und sah ihr hinterher, als sie, ohne sich noch einmal zu ihm herumzudrehen, die Straße hinauf schlenderte. Er atmete tief ein und ließ die Luft in einem pfeifenden Ton entweichen. Verdammt! Was hatte er sich dabei gedacht? Hunter würde ihn umbringen.

„Was ist mit der alten Dreckschleuder, Boss?“, riss ihn einer der Jungs mit einem breiten Grinsen aus den Gedanken.

Ohne sich von ihrer in der Ferne langsam kleiner werdenden Gestalt abzuwenden, warf er ihm den Schlüssel zu. „Komplett auf den Kopf stellen!“

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