Читать книгу Juwelennächte - Karin Joachim - Страница 6
Prolog
ОглавлениеBad Neuenahr, Herbst 1954
Wenn es eines gab, das die Menschen in jenen Jahren kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den Bann zog, dann waren es die Auftritte von Prominenten anlässlich des Bundespresseballes. Glanz und Glamour zogen seit einigen Jahren im November in die Kurstadt an der Ahr ein, wenn sich Politiker, Wirtschaftsbosse und Prominente ein Stelldichein gaben. Bonn hatte keine geeigneten und dem Anlass angemessenen Räumlichkeiten zu bieten, weshalb man in das mondäne Kurhaus in Bad Neuenahr auswich. Hinter vorgehaltener Hand wurden im Vorfeld Namen genannt, die nicht nur unter der normalen Bevölkerung für Aufregung sorgten, sondern auch in ganz speziellen Kreisen. Wer der ursprüngliche Informant war, der mit seinem Wissen hausieren ging, das sich rasch in Bad Neuenahr verbreitete und von dort aus seinen Weg bis an den Rhein nahm, konnte nicht mehr nachvollzogen werden. Als endlich die Zeitungen darüber berichteten, hatten Gestalten, die nichts Gutes im Schilde führten, schon längst ihre Planungen abgeschlossen. Das Gerücht stimmte: Josephine Baker, die berühmte Tänzerin und Sängerin, würde den diesjährigen Bundespresseball mit ihrer Anwesenheit beehren. Im Kurviertel von Bad Neuenahr herrschte reges Treiben. Das markante Gebäude mit der Zweiturmfassade war kurz nach der Jahrhundertwende errichtet worden und wurde für die Veranstaltung, die das Motto »Bonnfusionen« trug, besonders herausgeputzt. Lastwagen beladen mit den Preisen für die Tombola fuhren vor, Blumendekorationen und alkoholische Getränke wurden hereingetragen, Tische und Stühle gerückt, festliche Tafeln bestückt. Nach und nach trafen die Tanz- und Unterhaltungsorchester der Rundfunkanstalten, die Ballettensemble sowie Solisten und weitere Künstler ein, die ihre Zimmer in den Hotels der Hauptstadt sowie im Bonner Umland, so eben auch in Bad Neuenahr, bezogen hatten. Mit großem Geleit chauffierte man Künstler und Ehrengäste zum Veranstaltungsort. Doch auf dem Weg dorthin lag die Schwachstelle dieser Veranstaltung. Auf den Straßen des Rheinlandes lauerten wie in alten Zeiten Wegelagerer, die die Autofahrer überfielen – nicht nur die Gäste des Bundespresseballes. Und in diesen Tagen waren die Verbrecher besonders aktiv. Da sich jedoch herumgesprochen hatte, dass die am Straßenrand winkenden oder aus dem Nichts im Licht der Autoscheinwerfer auftauchenden Personen nichts Gutes im Schilde führten, ließen sich die Autofahrer nicht mehr beirren und fuhren meist mit hohem Tempo weiter. Nun war es an den Banditen, ihre Strategie zu ändern, was sie auch taten, und sich als Polizisten zu verkleiden. Amtspersonen gehorchte man schließlich. Das brachte die Ordnungsbehörden in ein Dilemma, denn sie führten ihrerseits Straßenkontrollen durch, um der Ganoven habhaft zu werden. Fuhren die Fahrer aus Angst, es könne sich um Banditen handeln, nun ohne anzuhalten weiter, blieb den echten Polizisten oft nichts anderes übrig, als auf die Wagen zu schießen. Unbescholtene Bürger jedoch befanden sich in einem ebenso großen Dilemma: Hielten sie an, wurden sie möglicherweise von falschen Polizisten ausgeraubt, fuhren sie weiter, durchsiebten Patronenkugeln ihren Wagen. Neuerdings veröffentlichten die Zeitungen Anweisungen, die die Reisenden darüber aufklärten, wie sie sich im Ernstfall zu verhalten hatten. Darin beschrieb die Polizei ihre Strategie, und gab bekannt, dass sie mit mehreren gestaffelten Kontrollgruppen arbeitete. Erst der dritte Polizeitrupp durfte auf den Wagen schießen, falls der Fahrer auch an diesem Posten weiterfuhr, ohne anzuhalten.
An jenem Novembertag belagerte eine kleine Diebesbande aus Oberwinter einen Abschnitt der Bundesstraße 9. Sie hofften darauf, Gäste, die den Kurort als ihr Ziel auserkoren hatten und die in vorfreudiger Erwartung auf das anstehende gesellschaftliche Ereignis unterwegs waren, ohne größere Schwierigkeiten überfallen zu können. Denn trotz aller Warnungen schob man die Bedenken beiseite und vertraute darauf, dass das Verbrechen einen selbst nicht treffen würde. Polizeikorsos begleiteten hingegen die hochrangigen Gäste, sodass ihnen keine Gefahr drohte. Nachdem die Banditen also bei den anreisenden Gästen per Zufall vorgingen und auf hohe Beute hofften, so hatten sie sich eine Strategie überlegt, die ihnen dazu verhelfen sollte, nur die abreisenden Gäste zu überfallen, die über entsprechenden Reichtum verfügten. Zugute kam ihnen, dass man sich auf der Heimfahrt noch argloser gab und aufgrund der genossenen alkoholischen Getränke weniger vorsichtig war.
An dieser Stelle kam nun eine junge Frau ins Spiel, die mit ihrer Vespa im Kurviertel von Bad Neuenahr umherfuhr, um die eintreffenden Gäste auszuspähen, einen Blick auf ihre Preziosen zu erhaschen, die Kennzeichen ihrer Autos zu notieren und die Informationen an ihren Bruder weiterzugeben, der später in der Nacht mit seinen Kumpanen auf der B 9 zur Tat schreiten würde. Die hübsche, junge Frau befand sich gerade in der Nähe, als Josephine Baker vor dem Kurhaus auftauchte. Sie umgab ein illustrer Pulk regionaler und überregionaler Amtsträger sowie eine Schar von Journalisten und Fotografen, die sie umrundeten, riefen und unentwegt mit ihren Blitzlichtern die Nacht erhellten. Die junge Frau blieb in Bewunderung für diese Frau, die trotz ihres nicht mehr jugendlichen Aussehens mit einer enormen Ausstrahlung gesegnet war, wie angewurzelt neben ihrer Vespa stehen. Die Wartende beschloss, ihr unredliches Vorhaben für eine Weile zu unterbrechen, schlug sich an den aufgeregten Fotografen vorbei bis zu Josephine Baker durch und bat stattdessen schüchtern um ein Autogramm, das ihr gewährt wurde. Als sich für einen winzigen Moment ihre Blicke begegneten, glaubte die junge Frau in den Augen der Berühmtheit zu erkennen, dass diese es in ihrem Leben nicht immer leicht gehabt hatte. Diese Begegnung bewirkte in ihr ein Umdenken, sodass sie sich entschied, sich nicht länger in den Dienst der Diebesbande zu stellen. Wie sie ihre Entscheidung den Rädelsführern erklären sollte, wusste sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Doch der Zufall scherte sich nicht um ihren Entschluss, denn die Menge spülte die junge Frau über den Hauptaufgang ins Foyer. Sie war nicht im Besitz einer Eintrittskarte, doch sie erinnerte sich daran, dass jemand ihr einen gefälschten Presseausweis mitgegeben hatte. So gelang es ihr, sich in Ruhe umzuschauen. In einer Halle lagen die Gewinne für die große Tombola aus: Was sie zu sehen bekam, ließ ihren Atem stocken. Eine derartige Fülle von Waren und Kostbarkeiten hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Manche Gäste lebten wenige Jahre nach dem Ende des Kriegs offensichtlich ein Luxusleben, das ihr ungerecht erschien. Die Auslagen waren zu gut bewacht, als dass sie sich auch nur ein einziges Schmuckstück unter ihren Ärmel hätte schieben können. Als sie die Aufmerksamkeit eines der Sicherheitsbeamten erregte, verließ sie mit unschuldiger Miene die Halle. Keinesfalls wollte sie riskieren, dass man ihren Ausweis genauer untersuchte und die Fälschung entdeckte. Immerhin wartete zu Hause ein kleiner Junge auf sie.