Читать книгу Diener des Feuers - Karin Kehrer - Страница 10
Kapitel 7
Оглавление„Du siehst nicht besonders gut aus.“ Linda musterte sie mit sorgenvoller Miene. Catherine zuckte zusammen. Ihre Freundin nahm sich selten ein Blatt vor den Mund.
„Warum um alles in der Welt hast du dein Haar abschneiden lassen? Es war so schön. Du weißt, dass ich dich immer darum beneidet habe.“
Catherine nickte. Sie warf einen flüchtigen Blick auf die raspelkurze Frisur ihrer Freundin. Sie hatte schon wieder die Haarfarbe gewechselt. Catherine konnte sich nicht mehr daran erinnern, welche Farbe das Haar Lindas wirklich hatte. Diesmal war es ein warmes Kastanienbraun. Es stand ihr gut, machte sie jünger. Und das sagte sie ihr auch.
Linda lachte, ihre braunen Augen strahlten. Doch schlagartig wurde sie wieder ernst.
„Was ist nur los mit dir? Ich weiß, dass alles furchtbar schlimm für dich war und wir haben uns alle wirklich bemüht, dir zu helfen. Aber es ist jetzt beinahe ein Jahr her. Du solltest endlich wieder zum normalen Alltag zurückkehren. Ich wollte dir ein paar Tage Ruhe gönnen, nachdem du mich angerufen hattest, weil ich dachte, wenn du einmal einen Tapetenwechsel hast, würde dich das aufmuntern. Es ist mir schwer genug gefallen, nicht alles liegen und stehen zu lassen, um dich abzuholen. Das war eine ziemlich verrückte Idee – so alleine loszufahren. Wir haben uns alle große Sorgen gemacht.“ Sie zog an ihrer Zigarette und warf ihr einen forschenden Blick zu.
Catherine rührte in ihrer Teetasse, beobachtete die braune Flüssigkeit, wie sie die Wand der Tasse benetzte, wieder zurückschwappte und einen leichten Rand auf dem weißen Porzellan zurückließ. Sie schwieg, wusste nicht, wie sie es Linda erklären sollte. Es hatte keinen Sinn. Es war ein Versuch gewesen, vor allem wegzulaufen. Eine kopflose, sinnlose Flucht. Die schrecklichen Bilder ließen sich nicht verbannen, folgten ihr überall und immer auf Schritt und Tritt, waren eingebrannt in ihr Gehirn. Auf ewig.
Gerade erst, bevor sie sich mit Linda in dem kleinen Restaurant in der Nähe von Merlin’s Cave traf, war ihr die Auslage eines kleinen Spielzeugladens aufgefallen. Darin saß eine Puppe, so eine, wie Sarah sie gehabt hatte. Eine von diesen Babypuppen, die alle möglichen Geräusche von sich geben, wenn man auf ihren Bauch drückt. Sarah hatte sie im Arm gehalten, als sie starb.
Catherine hatte diese heiße Welle gespürt, wie immer, wenn die Erinnerung mit aller Macht an die Oberfläche drängte. Sie hatte sich abgewandt und war rasch weitergegangen. In Zukunft würde sie um dieses Geschäft einen großen Bogen machen.
„Hast du schon eine Ahnung, was du machen wirst?“, fragte Linda leise in ihre Gedanken.
Catherine schüttelte den Kopf.
„Du solltest dir so bald wie möglich einen Job suchen. Das lenkt dich vielleicht ein wenig ab.“ Linda legte die Hand auf ihren Arm und streichelte ihn.
Catherine lächelte müde. „Was soll ich schon tun? Du weißt, ich habe mein Studium nicht beendet. Ich kann nichts. Niemand wird mich nehmen wollen.“
„Du hast doch immer diese reizenden kleinen Artikel geschrieben, bevor …“ Linda brach ab.
Catherine wedelte ungeduldig mit der Hand. „Ich kann nicht schreiben. Nicht eine Zeile. Es ist, als wäre mein Gehirn blockiert. Mir fällt einfach nichts ein.“
Linda seufzte. „Weißt du, ich mache mir wirklich große Sorgen um dich.“ Aber ihr Blick war dabei nicht auf Catherine gerichtet. Etwas hatte sie abgelenkt. Ein Mann war soeben gekommen und steuerte auf den einzigen freien Tisch in ihrer Nähe zu.
Catherine folgte ihrem Blick und erstarrte. Er sah aus wie Paul. Diese lässige Bewegung, mit der er sich setzte, breite Schultern, kurz geschnittenes, dunkles Haar, goldumrandete Brille. Sie zwinkerte mit den Augen. Der Mann lächelte, sie hatte ihn wohl ziemlich auffällig angestarrt. Es war natürlich nicht Paul – Paul war tot.
Er lächelte wieder, diesmal fragend, und sie senkte verlegen den Kopf.
Linda grinste. „Gefällt er dir? Er sieht toll aus, nicht?“
Catherine schüttelte den Kopf. „Ich dachte, es wäre Paul“, sagte sie tonlos.
Linda starrte sie entgeistert an. „Du spinnst. Du musst wohl echt aufpassen, dass du nicht wieder in der Psychiatrie landest, wenn du so weitermachst.“ Es war nicht besonders nett, was sie da sagte. Catherine spürte die Ungeduld in der Stimme ihrer Freundin. Das Verständnis für ihre Lage würde wohl bald erschöpft sein.
Catherine schluckte hart. Aber sie weinte nicht, hatte keine Tränen mehr. Ihre Hand krampfte sich um die Tasche. „Ich möchte gehen“, sagte sie kurz. Linda nickte und winkte dem Kellner, um die Rechnung zu bezahlen.
Catherine fühlte die Blicke des Mannes vom Nebentisch auf ihr ruhen, als sie aufstanden und auf die Straße traten. Doch sie sah sich nicht um.
Linda hakte sich bei ihr unter. „Möchtest du noch etwas unternehmen?“ Ihre Freundin bemühte sich sichtlich um einen versöhnlicheren Ton.
Catherine schüttelte den Kopf. „Ich bin müde.“
Linda war bestimmt enttäuscht. Ihre Freundin hatte sich extra das Wochenende frei genommen, um sie zu besuchen.
Linda lächelte ein wenig verkrampft. „Weißt du was? Wir werden einfach gemütlich durch die Straßen spazieren und dann eine Kleinigkeit essen. Danach kannst du dich immer noch ausruhen. Und ich werde mich ins Nachtleben stürzen!“
Catherine lächelte zurück. „Gut, wenn du meinst. Es gibt hier allerdings nicht viel Zerstreuung. Im King Arthur’s Castle Hotel tritt eine Folkband auf.“
Linda verdrehte die Augen. „Gott bewahre mich davor! Hier wird man auf Schritt und Tritt von diesem King Arthur-Getue verfolgt. Außerdem hasse ich Folkmusik!“
*****
Yal fluchte, als ihn eisige Kälte in seinem Haus empfing. Dieser dumme Gnom hatte wieder einmal vergessen, auf das Feuer zu achten!
„Irko!“, brüllte er. „Wo steckst du?“
Nichtsnutz.
Sein Diener war zu allem Überfluss auch noch mit zunehmender Taubheit gesegnet.
Im Lehnstuhl vor dem Kamin gluckste es erschrocken. Irko rappelte sich mit einem mühsamen Ächzen hoch.
„Ach Herr, verzeiht mir. Ich – ich muss wohl eingeschlafen sein.“
Yal lächelte müde. Irko war hässlich, beschränkt, langsam und faul. Außerdem vergaß er mindestens die Hälfte aller Aufträge, die sein Herr ihm befahl. Trotzdem brachte er es nicht über das Herz, den Gnom wegzuschicken. Sel Dragmon hatte ihn gelehrt, barmherzig zu den Geschöpfen der Erde zu sein. Aber der Erdmagier hatte verabsäumt, seinem Schüler zu sagen, dass diese Barmherzigkeit auch ausgenutzt werden konnte.
Yal trat zum Kamin, schnippte mit den Fingern und das Feuer ging wieder an. Er warf den taufeuchten Umhang mit einer achtlosen Bewegung auf den Stuhl und hielt die klammen Hände über die Flammen. Er fror fast immer und Irko hätte das bedenken müssen. Es würde eine Weile dauern, bis der Raum wieder so weit erwärmt war, wie er es liebte.
Der Gnom hatte inzwischen die Kerzen entzündet, die nun den Raum in weiches Licht tauchten. Er schlurfte unterwürfig auf Yal zu.
„Wünscht Ihr etwas zu speisen, Herr?“
Yal drehte sich um und musterte Irko. Der Gnom wurde blass, senkte seinen Kopf tiefer, sein Buckel schien noch höher zu werden. Die großen, gelben Augen nahmen einen flehenden Ausdruck an. Irko war sein Leben lang herumgeschubst worden, hatte bestimmt nie ein gutes Wort gehört. Die Angst, wegen Nichtigkeiten geschlagen zu werden, verfolgte ihn noch immer. Jetzt hob er bittend die spindeldürren Finger. „Verzeiht mir! Aber es gab nichts zu tun. Also habe ich nachgedacht. Und da muss ich wohl müde geworden sein. Ich wollte mich nur ein bisschen ausruhen, das schwöre ich!“
Yal zog die Brauen hoch und meinte streng: „Nichts zu tun? Und was ist das?“ Seine Hand wies auf den Berg von schmutzigem Geschirr, der sich auf dem Tisch türmte.
„Oh! Das. Das habe ich ganz vergessen. Es – es tut mir leid.“
„Ach Irko! Eigentlich hatte ich dich eingestellt, um jemanden zu haben, der genau diese Arbeiten erledigt.“ Yal seufzte. „Bring mir ein wenig Brot, Fleisch und eine Möhre. Ich bin nicht hungrig. Hol frisches Wasser. Und dann wirst du das Geschirr waschen.“ Er hoffte, dass Irko nicht überfordert war, sich das alles zu merken.
„Nicht hungrig? Ihr wart wohl wieder bei Xarga? Habt Ihr mir auch etwas mitgebracht?“ Seine Augen leuchteten auf. „Schokolade vielleicht?“
Yal lachte. „Das würde dir wohl gefallen. Hast du dich heute noch nicht von meinen Vorräten bedient? Nein – sie hat mir nichts für dich mitgegeben. Aber du kannst gerne mit mir zu Abend essen. Falls du endlich deine Beine in die Hand nimmst und das tust, worum ich dich gebeten habe.“
„Hay, Herr. Fleisch, Brot, Möhre. Wasser.“
Irko entfernte sich, leise vor sich hin brabbelnd, um Letzteres aus dem Brunnen vor dem Haus zu holen.
Yal ließ sich in seinen Stuhl fallen und schloss die Augen. Ein leises Maunzen machte ihn auf Amathi aufmerksam. Die Feuerkatze stolzierte auf ihn zu und rieb sich an seinen Beinen. Dann sprang sie auf seinen Schoß, fuhr mit ihrer feuchten Nase über die Innenfläche seiner Hand - ihre Art, ihm ihre Zuneigung zu zeigen. Yal stieß einen tiefen Seufzer aus und streichelte ihr weiches Fell, spürte ihr wohltuendes, tröstliches Feuer. Das Tier rollte sich auf seinen Oberschenkeln zusammen und begann, behaglich zu schnurren. Das vertraute Vibrieren übte eine beruhigende Wirkung auf ihn aus. Amathi war ihm treu, auch wenn sie ihre Eigenheiten hatte. Sie begleitete ihn schon seit dem Beginn seiner Lehrzeit bei Varruk und oft genug war sie ihm Trost gewesen, wenn der alte Feuermagier ihn über die Grenzen seiner Fähigkeiten trieb. Träumerisch sah Yal ins Feuer.
Er hätte zufrieden sein können, wenn da nicht diese Aufgabe gewesen wäre, die Varruk ihm gegeben hatte. Die Suche nach dem Abbild von Myn Fantrix.
Seine Finger glitten durch das weiche Fell der Katze. Er hätte viel dafür gegeben, eine Gefährtin zu haben, jemanden, der auf ihn wartete, der sein einsames Leben teilte. Eine Frau, die ihn wärmte, sich an ihn schmiegte. Die ihn liebte, trotz seines seltsamen Wesens. Er wollte nicht Lust - ja, doch auch, aber nicht ausschließlich. Er wusste, wie es war, Lust auszukosten bis zum Äußersten. Die lodernde Ekstase zu fühlen, sich diesem Gefühl grenzenlos hinzugeben. Und er war niemals selbstsüchtig gewesen, hatte versucht, den Frauen, die das Bett mit ihm teilten, höchste Wonnen zu schenken. Aber danach hatten sie immer noch Angst vor ihm, vielleicht sogar noch mehr als vorher. Er war intensiv in allem, in Gefühlen und Taten. Doch er hatte noch niemals wirklich geliebt. Es wurde ihm schmerzlich bewusst, wie leer sein Leben war.
Für jedes Wesen gab es ein Gegenstück, weiblich und männlich. Eine verwandte Seele. Das hatte ihm Sel Dragmon gesagt, sein alter und weiser Lehrmeister. Doch es mochte sein, dass das für ihn nicht galt. Seine Besonderheit war wohl ein Fluch, den er ertragen musste.
Er schrak auf, als er die schlurfenden Schritte Irkos wahrnahm. „Hier ist Euer Abendessen, Herr!“, murmelte der Gnom und stellte die Teller auf den Tisch.
Sein Diener setzte sich und begann hörbar laut zu schmatzen und zu schlürfen.
Yal beeilte sich, ihm Gesellschaft zu leisten. Mehr als einmal hatte Irko alles aufgegessen, während sein Herr noch an seinen Gedanken gesponnen hatte. Er hob Amathi vorsichtig auf und trug sie zum Tisch.
Irko hatte natürlich wieder die Schale für die Katze vergessen. Der Gnom blickte nicht einmal auf, widmete sich voller Hingabe seiner Mahlzeit.
Yal holte selbst die Schüssel für Amathi vom Regal neben der Feuerstelle. „Abendessen, meine Schöne“, sagte er mit weicher Stimme. Er zerschnitt das ungewürzte Fleisch – es war Kaninchen - sorgfältig und gab die Hälfte davon in Amathis Schale.
Sie sprang auf den Tisch und stürzte sich gierig darauf. Er sah ihr lächelnd zu und begann zu essen.
Während Irko das Geschirr wusch, holte Yal eine Flasche Rotwein aus dem Schrank in seinem Arbeitszimmer. Der Gnom hatte dieses Versteck noch nicht entdeckt und zwar nur aus dem einzigen Grund, weil er keinen Zutritt in diesen Bereich des Hauses hatte.
Unter den wachsamen Blicken Irkos goss Yal den Wein in zwei Becher und brachte die Flasche wieder zurück.
Amathi lief zur Tür und maunzte fordernd. Sie wollte ihren nächtlichen Erkundungsgang beginnen, der sie erst am Morgen zu ihm zurückführen würde. Yal ließ sie hinaus.
Mit dem Becher in der Hand kehrte er zum Lehnstuhl am Feuer zurück, setzte sich und trank den Wein in langsamen, kleinen Schlucken.
Die Vision überfiel ihn so unvermittelt, dass er seinen Becher fallen ließ.
Eine Woge eiskalten Wassers wallt auf ihn zu, hüllt ihn ein, erstickt seinen Atem. Ein eisiger Dorn jagt durch seine Schulter, durchbohrt das Mal des Ältesten.
In panischer Angst holt er Luft, hört sein eigenes Röcheln, bevor er in der Wasserwoge erstickt.
Sein Körper krümmte sich, er kippte aus dem Stuhl und sank auf den Boden.
Im gleichen Augenblick war es vorbei. Yal blinzelte benommen auf den blutroten Fleck, den der verschüttete Wein auf dem Teppich hinterlassen hatte. Er fuhr mit dem Handrücken über die Stirn und merkte, dass sie schweißbedeckt war.
Was hatte das nur zu bedeuten?
Diese Vision war so völlig anders gewesen als jene, die ihn normalerweise heimzusuchen pflegten.
Wasser.
Lalana Yallasirs Element.
Hatte auch sie die Absicht, von ihm Besitz zu ergreifen?
Yal stöhnte. Der Gedanke, Spielball gleich zweier Magier zu sein, machte ihm Angst.