Читать книгу Diener des Feuers - Karin Kehrer - Страница 4

Kapitel 1

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Der Myrduk entdeckte das Lumpenbündel am Rand der hufeisenförmigen Bucht, als er auf der Suche nach Futter entlang des Strandes flog. Die Strahlen der Nachmittagssonne wärmten sein Gefieder, auch wenn sie jetzt zu Frühlingsbeginn noch nicht sehr kräftig waren. Die scharfen Augen des Jägers und Aasfressers taxierten den dunklen Haufen, der etwa so lang wie ein ziemlich groß gewachsener Mensch war und nahe am Wasser lag, sich selbst aber nicht bewegte. Die ersten Wellen der kommenden Flut leckten an dem Bündel und ein schmaler Streifen Stoff löste sich, wand sich in den Wellen wie eine Schlange, die sich nicht befreien konnte.

Der Myrduk drehte erschrocken ab, flog auf das offene Meer und kehrte kurz darauf in die Bucht zurück. Die Neugier des Vogels über diesen seltsamen Fund hatte die Oberhand gewonnen.

Steil abfallende Klippen umrahmten ein Fleckchen feinkörnigen Sand. Das Wasser hatte ihn zu einem leichten Hügel aufgeschüttet, der die Höhle oberhalb davor bewahrte, vom Meer überflutet zu werden. Der Eingang zeigte sich als dunkles Loch in der Felswand.

Die Bucht war nur eine von zahlreichen an der Küste von Findward. Das Reich im Norden des Neuen Landes wurde von den Nachkommen der Hynnen regiert, dem sagenhaften Volk, das einst von den Elementwesen selbst geschaffen worden war und dessen Ursprung bis in die legendären Zeiten der Elementkriege zurückverfolgt werden konnte. Aber es war nicht mehr viel geblieben von den vollkommenen Wesen. Sterbliche Menschen in all ihrer Fehlerhaftigkeit bewohnten das Abbild von Myn Fantrix, die Erde. Die gesamte nördliche Grenze Findwards bildete das Kalte Meer, ein irreführender Name, denn das Klima in Findward war mild, die Winter meist kurz und schneearm, die Sommer lang und trocken.

Der große Vogel kreiste unschlüssig über seinem Fund, entschied sich schließlich zur Landung. Noch hatte keiner seiner Artgenossen die mögliche Beute entdeckt und die Gier ließ ihn näher staksen. Myrduks fraßen alles, was ihnen vor den Schnabel kam, ihre dolchartigen Klauen zerfetzten mühelos die dickste Haut und sie scheuten auch nicht davor zurück, ihre Opfer mit gezielten Angriffen über Felsklippen zu stoßen. Zu ihrer bevorzugten Beute zählten die Schafe und Lämmer der Bauern von Findward.

Der Vogel ruckte mit dem Kopf, die Hautlappen auf seinem federlosen Hals schwangen vor und zurück. Mit einem kräftigen Schnabelhieb hackte er auf den groben, schwarzen Wollstoff.

Ein blauer Strahl schoss aus dem Bündel hoch, wand sich gleich einer Schlange blitzschnell um den Hals des Tieres. Es stieß ein ersticktes Krächzen aus und flatterte mit den Flügeln. Magisches Licht geisterte über seine Federn, hüllte ihn ein.

Das Bündel begann zu zittern und keuchte leise. Der Strahl fiel in sich zusammen, verschwand mit einem Glucksen. Das Licht erlosch mit müdem Flackern.

Der Vogel schüttelte sich, ein Regen von feinen Wassertropfen rieselte auf die Steine. Er kreischte protestierend, breitete seine Schwingen aus, erhob sich in die Luft und verschwand im Blau des Himmels.

Lalana Yallasir öffnete die Augen und bereute es sofort. Ein Brennen jagte durch ihren Kopf, es war, als wären ihre Lider und Augäpfel mit feinen Sandkörnern bedeckt. Der Angriff des Vogels hatte sie überrascht und ihre Reaktion war rein instinktiv gewesen. Jetzt bedauerte sie, ihre Magie an ihn verschwendet zu haben.

Ihre Zungenspitze fuhr über die aufgesprungenen Lippen, vermochte ihnen keine Feuchtigkeit zu geben. Sie versuchte zu schlucken, es gelang ihr nicht. In Panik riss sie den Kopf hoch, sank sofort wieder nieder, als Schwindel sie überwältigte.

Es dauerte einen Moment, bis sie wieder bewusst ihre Umgebung wahrnahm. Das Rauschen der Wellen, den Geruch nach Salz. Feuchtigkeit drang durch ihren Mantel und benetzte die ausgedörrte Haut. Eine Labung, die sie sich nicht gestatten wollte.

Ihre Finger tasteten nach Halt, umklammerten den nassen Stein. Mühsam zog sie den ausgemergelten Körper hoch, schaffte es nach einer unendlichen Weile, auf die Beine zu kommen. Sie raffte die Reste ihres Mantels vor der Brust zusammen und lehnte sich schwer atmend an die Felswand hinter ihr. Sie drehte den Kopf, um ihr Gesicht nicht den Strahlen der Sonne auszusetzen. Eine unwillkürliche Reaktion, denn es hätte ihr Ende beschleunigt, wenn sie einfach stehen geblieben und sich von der Sonne verbrennen lassen hätte. Aber noch war ein Funke Wille in ihr, etwas in ihrem Geist widersetzte sich gegen einen derart schmählichen Tod.

Lalana tastete sich die Felswand entlang, in Richtung des schützenden Höhleneingangs. Immer wieder musste sie Pausen einlegen und nach Atem schöpfen. Nur etwa sechs Mannslängen trennten sie von ihrem Unterschlupf und doch erschien es ihr wie eine Ewigkeit, bis sie die vertraute Räumlichkeit erreichte.

Obwohl Madryl seit sieben Monden tot war, spürte sie noch immer einen Hauch seiner Anwesenheit. Ihre feinen Nüstern nahmen seinen Geruch auf, der in den kostbaren Teppichen lagerte, das Aroma von Rauch und exotischen Gewürzen, das ihn stets begleitet hatte.

Sie schloss die Augen, überwältigt von Kummer.

Mein Geliebter, warum nur musstest du sterben?

Ihre Schultern begannen zu zucken, der schwache Leib zitterte unter der Last unterdrückter Gefühle. Eine einzelne Träne befreite sich, rann über die faltige Wange.

Doch nichts konnte die Pein stillen, die Bilder zum Verschwinden bringen, die ihr Geist immer wieder aufs Neue schuf. Visionen von Madryls zerfetzten Überresten, verteilt auf den Felsen, den Geruch nach Verzweiflung, der alles einhüllte.

Ein gequälter Schrei schlüpfte über ihre Lippen. „Tod dem Mörder, diesem heimtückischen Scheusal!“

Lalana wusste noch immer nicht, wer Madryl bei diesem hinterhältigen Anschlag das Leben genommen hatte. Sobald sie ihre Gedanken auf den Abschaum lenkte, prallte sie an ein undurchdringliches Hindernis. Er musste einen starken Beschützer haben, dessen Bannzauber es ihr unmöglich machten, ihn auszuforschen und endlich – endlich! – ihren Rachedurst stillen zu können. Auch jetzt erhob sich vor ihr wieder eine Nebelwand und ein glühender Pfeil schoss durch ihren Kopf.

Sie sank auf einen der Teppiche, starrte mit leerem Blick auf die Kostbarkeiten, die Madryl gemeinsam mit ihr ausgesucht und gehortet hatte. Zierliche Möbel mit kunstvollen Intarsien, gefertigt von den geschicktesten Tischlern in Findward, Figuren aus Halbedelsteinen und feinstes Geschmeide aus den Werkstätten der Zwerge von Kend. Alles das verlieh der kargen Wohnhöhle eine Behaglichkeit, der sie sich gerne hingegeben hatten – damals in Zeiten der Zweisamkeit. An jedem Stück hing eine Erinnerung. Längst hätte Lalana diese Stätte verlassen müssen, um sich auf die Suche nach dem Verbrecher zu machen, aber sie brachte nicht die Kraft dazu auf, hatte sich ganz ihrem Kummer ergeben.

Lange Zeit saß sie bewegungslos da, tief versunken in Gedanken.

Die Sonne war inzwischen ein gutes Stück weitergewandert. Ihre Strahlen fielen durch den Eingang der Höhle auf ein in Leder gebundenes Buch mit goldfarbenen Lettern. Lalana schloss für einen Moment geblendet die Augen. Dann stemmte sie sich mühsam hoch und schleppte sich auf das Buch zu.

Das Buch der Mythen.

Verfasst von den bedeutendsten Magiern, treuer Begleiter jedes Elementmagiers und Ratgeber. Madryls wichtigster Wegweiser und Quelle all seiner Forschungen. Er war Mitglied des Weisen Rates gewesen, des Gremiums, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Abbilder der Elementsteine zu suchen. Madryl war es gewesen, der sie gefunden und den Verbindungsstein gewirkt hatte, jenes kostbare Kleinod, das die Abbilder vereinen und die Sicht öffnen sollte auf die wahren Schlüssel zu den Elementwelten und zu dem einen Paradies, das ihnen vor Ewigkeiten verwehrt worden war.

Zärtlich strichen ihre Finger über den Einband und die Initialen darauf.

M.A.

Madryl Ardolan, Herr des Feuers. Geliebter Gefährte, dessen Magie ihr Qual und Lust zugleich bereitet hatte. Beinahe konnte sie seine tiefe Stimme hören, sein Lachen, das so selten und daher umso kostbarer war.

Hautschuppen blieben an dem dunklen Leder haften. Lalana blies sie mit sanftem Atem weg, betrachtete ihre Hände. Weiße Haut spannte sich über den schlanken Knochen. Die Fingernägel stachen hervor wie die Krallen eines fremdartigen Raubtiers.

Ich möchte sterben! In die Dunkelheit gehen, um mit dir vereint zu sein, mein Liebster!

Schwerfällig erhob sie sich, schlurfte auf den Höhleneingang zu. Es brauchte nicht mehr viel. Twyl’Grat, die Welt der Dunkelheit wartete, rief sie.

Ist tatsächlich der Tod die einfachere Lösung? Sollte es nicht meine Bestimmung sein, Madryl zu rächen?

Ein verführerischer Gedanke, sich einfach aufzugeben. Und doch – nein, das konnte nicht das Ende sein! Madryl hatte beinahe sein ganzes Leben mit der Suche nach den Abbildern der Elementsteine verbracht – alles vergeblich?

Lalana hielt ihr Gesicht in das Licht der untergehenden Sonne. Die Strahlen hatten nicht mehr genug Kraft, um ihr weh zu tun. Sie atmete tief die salzige Luft ein und lauschte auf das stetige Flüstern der Brandung. Der Wind zauste ihr langes Haar. Die blaue Strähne, Zeichen der Zugehörigkeit zum Element Wasser, hob sich aus dem grauen Gespinst ab.

Ein Geräusch holte sie aus ihren Gedanken. Das Flattern von Flügeln. Auf einem der Felsen, welche die kleine Bucht umschlossen, war ein Feuervogel gelandet. Sein Gefieder, rot und orange, leuchtete in der Sonne wie eine Handvoll Glut.

Der Vogel hüpfte von Felskante zu Felskante, bemüht, sicheren Abstand zu ihr zu halten. Feuervögel misstrauten naturgemäß allem, was mit Wasser zu tun hatte.

Lalana Yallasir? sagte eine Stimme in ihrem Kopf.

Die Wassermagierin schluckte.

Was – wer bist du? Was willst du von mir?

Sie hatte Mühe, die Worte zu formen. Lange hatte sie nicht mehr gesprochen, auch nicht auf magische Weise.

Varruk Erasant. Ich habe eine Nachricht für dich, Herrin des Wassers.

Jetzt erkannte Lalana die heisere Stimme des Ältesten der Weisen Acht. Sein Feuervogel hatte ihr auch damals die Kunde von Madryls Tod überbracht. Der Herr über die Feuerberge liebte diese Art von Nachrichtenübermittlung, obwohl es ihm ein leichtes gewesen wäre, seine Botschaft auch nur in Gedanken zu schicken.

Eine Ratsversammlung. In zwei Sonnenuntergängen, auf Ranasor.

Lalana stieß einen tiefen Seufzer aus. Lass mich. Ich bin müde. Ich kann nichts mehr zu unserem Vorhaben beitragen.

Die Stimme fauchte leise. Du wirst kommen, so wie die anderen auch. Es ist deine Pflicht. Wir haben uns einer gemeinsamen, großen Aufgabe verschrieben, die noch lange nicht beendet ist. Und vielleicht kann ich dir helfen, eine wichtige Frage zu beantworten.

Lalana zuckte zusammen, klammerte sich an einem der Felsen fest. Eine wichtige Frage. Es gab nur eine, die sie stellen wollte.

Du – du kannst mir den Namen sagen? Den Namen des Mörders?

Varruk lachte in ihrem Kopf. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Warte es ab. Komm.

Der Vogel flatterte mit seinen Schwingen, breitete sie aus. Er flog auf, es sah aus, als ob eine kleine, rote Flamme zum Himmel steigen würde.

Lalana stand wie angewurzelt da, starrte in das Blau über ihr, auch als längst nichts mehr von Varruks Boten zu sehen war.

Er weiß es. Varruk weiß alles. Er wird es mir sagen. Und ich werde mich rächen. Endlich!

Wärme durchflutete ihr Inneres, nach der Zeit der Trauer und Einsamkeit ein unvertrautes Gefühl.

Ein Funke Hoffnung, der ihr den Pfad wies.

Ihre Füße fanden wie von selbst den Weg zum Wasser. Leises Rauschen lockte sie, hieß sie willkommen. Ein wohliger Seufzer entrang sich ihr, als das kühle Nass ihre nackten Zehen berührte und ihre Waden liebkoste. Langsam folgte sie den Wellen, die sich vom Strand zurückzogen und wieder zu ihr zurückkehrten.

Dort, wo das Wasser sie benetzte, bildeten sich Muskeln neu, straffte sich die Haut. Leichter Schmerz floss durch ihre steifen Gelenke. Mit einem Aufschrei warf Lalana sich in die Wogen, tauchte unter und nahm die Kraft ihres Elementes in sich auf.

Lange ließ sie sich von den Wellen umarmen und schaukeln, glitt durch die kühlen Fluten.

Erst als die Sonne untergegangen war und die ersten Sterne am Himmel blinkten, verließ sie das Meer.

Schwarzes Haar fiel schwer über ihren Rücken bis auf die Hüften. Ihre Augen funkelten klar und blau wie Eis und ihre Haut leuchtete makellos wie frisch gefallener Schnee.

Leichtfüßig lief sie über den Sand, auf den Eingang ihrer Höhle zu.

Ruckartig blieb sie stehen, als sie im Schatten der Felswand einen Myrduk entdeckte. Der eineinhalb Ellen große Jungvogel hatte sich zum Schlafen in eine Felsnische zurückgezogen. Sie hob die Hände. Blaue Funken tanzten über die Haut, ein Wasserstrahl entwich ihren Fingern. Er schoss hoch, traf den Vogel, der entsetzt aufkreischte. Mit einer leichten Drehbewegung wickelte Lalana den Strahl um den Hals des Tieres und holte es zu sich heran, sah zu, wie es vergeblich versuchte, sich mit hektischem Flügelschlag aus der tödlichen Umklammerung zu befreien. Federn stoben auf, der Myrduk krächzte erstickt.

Die Bewegungen des Vogels erlahmten nach und nach. Schließlich hing er leblos in der magischen Schlinge. Mit einer eleganten Bewegung der Hände zog Lalana den Wasserstrahl zurück. Das tote Tier fiel zu Boden, ein armseliger Haufen Federn. Lalana gluckste, stieß es mit der Fußspitze zur Seite und betrat die Wohnhöhle.

Mein ist die Rache. Mein!, sang es in ihr.


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