Читать книгу Halbbitter - Karin Knopf - Страница 3
ОглавлениеKapitel 1
Ehrlich bis zum Anschlag
Bekenntnis zur Unanständigkeit
Das war ein Scheißabend. Gleich mal der Blitzer an der Kreuzung in Gmund. Danach mein Blindflug durch den Nebel. Und in Schwabing verfahre ich mich sowieso immer. Alle Einbahnstraßen führen in die falsche Richtung. Erst kein Parkplatz, dann kein Kleingeld. Was schiefgehen konnte, war also schon schiefgegangen.
Da hätte der Typ ohnehin nichts reißen können, null Chance, auch wenn er ausgesehen hätte wie Til Schweiger. Sah er aber nicht. Karsten sah aus wie ein Zöllner auf Heimaturlaub. Mit Schnauzbart, im karierten Hemd und mit angekauten Fingernägeln, festgekrallt an der Apfelschorle. Dafür war er ganz bei sich, leider den ganzen Abend. Er erzählte und erzählte und erzählte, nur von sich. Was er tut und wie toll er das macht. Das geht alles gar nicht.
Am meisten aber habe ich mich über mich selbst geärgert. Ich Dämeltier glaube doch immer noch an das Gute im Menschen. Auch im Mann. Aber die Wirklichkeit ist anders. Es laufen so verdammt viele Krücken frei rum. Und ich kann nicht über meinen Schatten springen. Ich stehe nun mal auf ungewöhnlich gepflegt. Und bekomme gewöhnlich ungepflegt. Dazu dümmlich. Und phantasielos. Wenn so eine Niete dann noch auf dicke Hose macht, verliere ich jede Beißhemmung.
Ich kicke die Pumps in die Ecke und fahre den Rechner hoch. Einen Blick in den Kühlschrank habe ich mir erspart. Ich komme zu nichts mehr. Aber Hauptsache, ich weiß, wie ich meinen Hunger auf Leben stillen kann. Neues Spiel, neues Glück. Einen Klick weiter wartet meine nächste Chance. Die Auswahl ist ja theoretisch unbegrenzt. In der Praxis kann ich gar nicht so viel wie ich könnte. Die Woche hat nur sieben Tage. Ein, zweimal muß ich abends arbeiten. Und zur Tagesfreizeit taugen bloß die Kandidaten mit Bikinistreifen am Ringfinger.
Spätestens jetzt muß doch jeder mich für eine Schlampe halten, stimmt's? Ja, stimmt, irgendwie schon. Manchmal denke ich das selber. Aber dann auch wieder nicht. Ich verstehe mich selbst nicht so genau. Als ich ins Netz gestartet bin, wollte ich nur einen, den einen, ganz für mich allein. Und mit ihm frohen Herzens in den Sonnenuntergang reiten.
Ein Jahr und viele Dutzend Fehlversuche später habe ich mich von der reinen Lehre verabschiedet. Oder verabschieden müssen. Quatsch, keine Ausreden. Ich will ehrlich sein: Der Appetit kam beim Essen, und jetzt kann ich nicht aufhören. Denn mit jedem Mann werde ich begehrenswerter. Mit fast jedem. Karsten hätte nun nicht sein müssen.
Vielleicht sollte ich mich erstmal ordentlich vorstellen. Ich heiße Karin Knopf. Darüber sind schon genug Witze gemacht worden. Aber überflüssig fühle ich mich nicht. Im Gegenteil: Seit ich online bin, kann ich jeden haben. Theoretisch. Doch das sagte ich schon. Jedenfalls hat das Internet aus mir eine andere Frau gemacht. Jetzt weiß ich, was wirklich zählt bei den Männern. Und so lange ich sie noch zählen kann, schäme ich mich nicht. Mein Spiegel hält einiges aus.
Doch der Reihe nach. Ich bin 39 b, will heißen: voriges Jahr habe ich meinen 40. Geburtstag erlitten. Die Vier ist unsexy, egal wie man sie schreibt. Eine Vier ist nicht mehr jung und noch nicht alt, einfach nur behäbig. Einen Sohn habe ich auch, der ist gerade in der Pubertät und ziemlich anstrengend. Das hat er mit seinem Vater gemeinsam, mit dem ich fast zwanzig Jahre verheiratet war. Geboren bin ich in Finsterwalde, am Rande des Spreewalds, als es noch das andere Deutschland gab. Ich habe im VEB Kohle und Energie als FDJ-Sekretärin gearbeitet. Nach der Wende bin ich rübergemacht in den Westen, der so golden gar nicht war, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich habe bei Verwandten im Schwarzwald gelebt, bevor ich nach Bayern ging. Jetzt kellnere ich im Herzoglichen Bräustüberl am Tegernsee. Ich mag meine Arbeit, die Kolleginnen mehr, den Chef weniger, die meisten Gäste mehr oder weniger. Und ich kriege ordentlich Trinkgeld, auch von denen, die mir in ihrem Vorzimmer keinen Blick schenken würden. Hier bin ich fix und frech, da wäre ich fix und fertig.
Aber das alles ist gar nicht mein Thema. Ich will berichten, was ich mit den Männern erlebt habe, die mir ins Netz gegangen sind. Die ich am Monitor einfangen habe, dann mit meiner sexy Telefonstimme und später real. Eine Freundin hatte mir von neu.de erzählt und daß sie da ihren Neuen gefunden hat. Bingo, große Liebe. Das wollte ich auch, natürlich, wie alle Frauen. Ich träumte von Mr. Right, der mir unterm Weihnachtsbaum den Karpfen tranchiert. In ein paar Wochen ist es wieder soweit.
Doch so einfach geht das nicht. Auf dem elektronischen Kontakthof läuft das nicht wie draußen, schön einer nach dem anderen und dazwischen ein paar Monate Pause. Das Karussell dreht sich schnell und immer schneller. Die Burschen stehen Schlange. Ich brauche nur noch Ja oder Nein zu sagen, für ein Vielleicht ist keine Zeit. Daumen hoch und Hose runter. Oder umgekehrt. Am Anfang war ich überwältigt von dem Angebot, wie die Ossi-Maus an der Frischetheke, mit strahlenden Augen, so viele Bananen. In diesem Supermarkt der Eitelkeiten bin ich in einen Kaufrausch verfallen. Ich habe nach links und rechts ins Regal gegriffen, erst wahllos, dann süchtig nach dem neuen Kick, nach Köpfen und Körpern, nach der Ware Mann, vor allem aber nach Anerkennung und dem Gefühl, daß er nur mich will, jetzt und hier und unbedingt. So reihte ich einen an den anderen, probierte ihn aus, legte ihn ab. Ich tat das, was niemand mir antun soll. Und im nachhinein tat mir das dann manchmal leid.
Schon als kleines Mädchen wollte ich es allen recht machen, jedem gefallen, immer gelobt werden. Anfangs hat das auch funktioniert. Ich war ein hübsches Kind, artig und ein bißchen schüchtern, der Liebling meiner Eltern, aller Onkel und Tanten. Ich sang ihnen mit Schleife im Haar hübsche Lieder vor und feierte damit meine ersten Erfolge. Dann erblühte ich zur Schulschönheit, und auch die Lehrer mochten mich, bis ich in der Pubertät zum häßlichen Entlein mutierte. Auf einmal war ich pummelig, ich hatte Pickel und zu wenig Busen. Das alles hat sich ausgewachsen, aber es war ein Schock, von dem ich mich bis heute nicht erholt habe.
Und trotzdem habe ich einen abgekriegt, Rüdiger, den begehrtesten Junggesellen aus der Niederlausitz. Ohne Mätzchen, einfach so, durch sozialistische Fügung. Vielleicht imponierte ihm, wie ich meine Brigade auf Trab brachte. Oder mein loses Mundwerk. Keine Ahnung, jedenfalls liefen wir schnurstracks aufs Standesamt. Damals in der DDR haben ja alle früh geheiratet, damit wir eine eigene Wohnung bekamen. Unsere Ehe hielt genau neunzehn Jahre, acht Monate und sieben Tage. Die Luft war schon länger raus, die Scheidung nur noch ein Verwaltungsakt. Als unser Tobi 15 wurde, ist er zum Vater gezogen. Ich war einverstanden, denn der Junge sollte ja nicht ohne männlichen Einfluß
aufwachsen. Heute kann er kochen, bügeln, nähen und den Müll runtertragen. Seine Frau wird später mal ihre helle Freude an ihm haben.
Oder auch nicht. Vielleicht schlägt das Pendel zurück. Vielleicht sind wieder richtige Männer gefragt. Ich merke es ja an mir. Mit einem biegsamen Waschlappen kann ich nichts mehr anfangen. Wer mir nicht Paroli bietet, hat nichts zu lachen. Und das ganze Emanzipationsgeplapper ist sowieso nur was für die unausgelastete Wessi-Tussi. Für so was hatten wir drüben gar keine Zeit, da waren wir Frauen gleichberechtigt, ohne darum kämpfen zu müssen, im Beruf genauso wie zu Hause.
Nach Rüdiger kam Ansgar, aber den habe ich irgendwie verdrängt. Es gab keinen Streit, es gab keine Liebe. Wir haben miteinander gelebt und nebeneinander her, völlig unauffällig, sieben verlorene Jahre. Nur wie es endete, daran erinnere ich mich genau. Ich arbeitete damals als Hausdame und habe mich Hals über Kopf in einen Bundeswehr-Soldaten verliebt, der mit seinem Sohn zur Vater-Kind-Kur bei uns in der Klinik war. Am dritten Tag bin ich nach dem Dienst heimgefahren und habe meine Sachen gepackt. Schon verrückt.
Vier Tage später fiel ich von Wolke sieben. Die Fahrkarte nach Köln hatte ich bereits gekauft, als der Herr Feldwebel mich wieder auslud. Seinen Abschiedsbrief kann ich heute noch auswendig. Ich sei ihm zu perfekt, sein Leben dagegen völlig ungeordnet, schrieb er mir auf liniertem Papier, das könne nichts werden, und außerdem habe er sich zum Auslandseinsatz gemeldet. Der Kanonenschlag saß, ich wußte gar nicht, wie mir geschah, ob ich das vielleicht nur geträumt hatte. Anfang oder Ende. Erst heute ist mir klar, wie orientierungslos ich damals war. Was der eine mir nicht bieten konnte, suchte ich beim anderen: Freiheit statt Routine, Abenteuer statt Ordnung.
Aus dem Loch hat mich Rüdiger Zwo befreit, ein verwöhntes Millionärs-Söhnchen, zu dem ich gleich mit Sack und Pack in seine Villa am Titisee zog. Was folgte, hätte für drei Bücher gereicht und für einen Horrorfilm. Wir schlugen und wir vertrugen uns. Er konnte nicht mit mir, ich konnte nicht ohne ihn. Er küßte mir die Füße, wörtlich, stundenlang. Dann fiel er über mich her, nächtelang. Wir trieben es wie im Rausch. Aber der Alltag war die Hölle. Mit seiner krankhaften Eifersucht verfolgte er mich, wenn ich nur mal fünf Minuten zu spät kam oder er eine fremde Nummer auf meinem Handy entdeckte.
In seinen Augen wollten alle Männer nur das Eine von mir, mein Chef, die Patienten, die Kollegen, alle gierten bloß nach meinem Körper. Natürlich sah er Gespenster, aber das konnte ich ihm tausendmal sagen, geholfen hat es nichts. Mein neuer Rüdiger drehte ab, wenn er mich nicht unter Kontrolle hatte. Mit einem Jagdmesser zerschnitt er Dutzende Paar Schuhe, die er mir selbst in den edelsten Boutiquen gekauft hatte. Mit dem Hammer zertrümmerte er den Schmuck, den er mir aus London und aus Rom mitgebracht hatte. Mehr als einmal hat er mit Gläsern und Geschirr nach mir geworfen. Bei uns war immer was los.
Ich weiß nicht, wie oft ich geflohen bin und reumütig wieder zurückgekehrt. Jedesmal haben wir uns im Bett versöhnt, heftiger als je zuvor. Immer versprach er mir, sich zu beherrschen. Und immer wieder war es eine Illusion. In Wahrheit wollte er nur mich beherrschen. Ein Jahr lang habe ich das mitgemacht, durchlebt, ertragen. Aber irgendwann war Schluß. Irgendwann habe ich mich aus der Abhängigkeit gelöst. An dem Tag, als ich meine Kündigung im Briefkasten fand. Sie haben mich rausgeschmissen, weil ich ein paar Mal gefehlt hatte. Die Kündigung war wie ein Weckruf. Jedenfalls spürte ich an diesem trüben Novemberabend, daß es meine letzte Chance war, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Gabriele, meine beste Freundin, hat mich bei sich aufgenommen. Mit zwei Koffern und einem Kleidersack stand ich im Regen vor ihrer Tür. Ich war ganz unten angekommen: ohne Mann, ohne Kind, ohne Auto, ohne Wohnung. Geld hatte ich auch nicht mehr viel, nur reichlich Selbstmitleid. Ich war eine ungeliebte, obdachlose Arbeitslose. Mit verheulter Wimperntusche.
Meine Zukunft war ungewiß, aber eins war mir klar: Jetzt konnte es nur noch aufwärts gehen.