Читать книгу Halbbitter - Karin Knopf - Страница 5
ОглавлениеKapitel 3
Fremder, vertraut
Alle Männer sind Schweine, hoffentlich bekomme ich auch eins
Ich bin wieder wer: mobil und nicht mehr arbeitslos. Ich sitze an einem Schreibtisch, auf dem sich Rechnungen stapeln und Abrechnungen, auf dem ein Computer steht und ein Telefon, daneben ein bunter Blumenstrauß von meinem Chef. Wenn ich aus dem Fenster schaue, dann sehe ich den blaugrünen Tegernsee und Schnee auf den Bergen. Mein Leben ist aufregend, mein Leben ist neu, mein Leben ist schön. Auch ohne Mann, auch ohne Männer. Jedenfalls heute.
Nie wieder will ich von einem Kerl abhängig sein. Mit dem neuen Job bin ich zwar noch nicht alle Sorgen los, aber immerhin, es ist ein Anfang. Eine Woche lang genüge ich mir selbst. Es gibt so viel zu tun, zu entdecken, zu erledigen. Im Büro, in der Wohnung, im Ort. Abends falle ich todmüde in mein geliehenes Bett. Und morgens fällt mir ein, was ich gestern vergesse habe.
Matthias Kellermann habe ich nicht vergessen. Und der Schweizer geht mir auch nicht aus dem Kopf. Seine Abfuhr hängt mir nach. Ich will geliebt werden, mindestens begehrt. Und er hat mir keine Chance gelassen, ihn zu überzeugen, zu verführen. In meiner Vorstellung wächst er zum Supermann. Auch wenn ich mir hundertmal sage, daß alles ganz anders sein könnte. Ich weiß es eben nicht. Aber ich muß es wissen.
Und deshalb schreibe ich ihm eine eMail. Fünf, sechs Entwürfe habe ich gelöscht, ehe ich mich endlich überwinde und mutig auf den Sende-Button drücke. Um es im selben Moment zu bereuen. Aber, wie heißt es doch, Worte sind wie Pfeile, man kann sie nicht zurückholen.
ICH 12:59
Hallo Urs,
ich denke unser beider Gemüter haben sich inzwischen so weit beruhigt, daß ich allen meinen Stolz beiseite schieben konnte und nochmals versuche, mit dir Kontakt aufzunehmen.
Weißt du, ich gehe vielleicht an manche Sachen etwas unbedarft heran und denke, ich tu doch nichts Böses. Daß es dann bei dir anders rübergekommen ist, tut mir leid. Ich habe mich im Chat wirklich nicht anbaggern lassen, sondern mich mit Bekannten unterhalten. Die wollen nichts von mir und ich nichts von denen. Außerdem habe ich neu.de auch nicht immer zugemacht, wenn ich im Internet nach neuer Arbeit gesucht habe. Soviel als Erklärung dazu.
In deiner letzten Mail schreibst du, ich weiß nicht, was ich will... Doch Urs, ich weiß was ich will... Ich suche einen Mann, den ich über alles lieben kann...nicht mehr und auch nicht weniger...
Mich läßt der Gedanke nicht los, daß du es vielleicht sein könntest. Deshalb starte ich jetzt den Großangriff: Ich will dich treffen... du bist immer noch die unangefochtene Nr. 1... Komm, gib uns beiden diese Chance...
Gruß Karin
PS.: ich fand diese drei Tage, als wir in Kontakt waren, sehr schön und wenn etwas sehr schön ist, kann es nicht peinlich sein...
Herr Luetti läßt sich zwei ganze Tage Zeit für die Antwort. An seiner Stelle hätte ich es nicht anders gemacht.
ER 16:16 Hallo Karin
Habe viel Arbeit und sonst geht es mir bestens.
Leider habe ich keine Fotos mehr von dir und hätte gerne
wieder welche....... meinst du, das ist machbar?? und komme
mir jetzt nicht mit irgendwelchen Vorwürfen und so! ©
Liebs Griessli Urs
ICH 17:01
Ich habe wieder Arbeit und wohne jetzt im schönen Bayern. Das ist nicht um die Ecke aber
um 20h könnte ich am Bodensee sein.........
Karin
ER 17:32
das geht leider nicht, weil ich noch bis nächste woche meinen sohn bei mir habe.... aber irgendwann klapps sicher, dann würde ich dich gerne nach basel einladen.................
ICH 17:45
Schade eigentlich. Ich bin ziemlich spontan. Anbei 2 aktuelle Fotos. Hast du eigentlich wieder ein Profil bei neu.de?
Karin
ER 18:06
ich bin auf eine andere partnerboerse gewechselt. die heißt friendscout da hats mehr kommunikationsoptionen. da heiß ich Eidgenosse41 - inzwischen hatte ich ja geburtstag
©
Und du???
ICH 18:17
Ich bin nicht mehr aktiv. Mein Profil bei neu.de habe ich gelöscht als ich aus VS wegging. Das war superfrustig.
Am nächsten Tag versandet unser Kontakt wieder, bevor wir auch nur telefoniert hätten. Auf meine sporadischen Nachfragen reagiert er nur noch einsilbig oder gar nicht. Die Nuß ist schwer zu knacken.
Aber das hat auch seine Vorteile. Auf Urs Luettis Befindlichkeiten brauche ich keine Rücksicht mehr zu nehmen. Vor mir steht ein Rechner, ich bin allein im Büro und immer noch unbefriedigt. Was also sollte mich hindern, mir diese andere Singlebörse mal anzuschauen: www.friendscout24.de.
Dort ist schon die Gleichberechtigung ausgebrochen. Männer und Frauen müssen zahlen, wenn sie aktiv werden wollen. Ein paar Tage widerstehe ich der Versuchung, gehe rein und wieder raus, dann hat die Sehn-Sucht gesiegt. Natürlich wähle ich die Sparvariante. Erstmal nur gucken.
Ich brauche einen neuen Nickname. Ein Pflegefall bin ich ja nun nicht mehr. Aber so richtig gesund auch noch nicht. Außen nicht und innen schon gar nicht. Mein Blick fällt auf die Tafel Schokolade, die mein Boss mir gestern mitgebracht hat. Halbbitter. Hey, besser geht's doch gar nicht. Das trifft es doch wie die Faust aufs Auge.
Gut, daß die Lohnzettel schon durch sind. Heute ist es ruhig, heute kann ich mich aufs Private konzentrieren. Den Nachmittag verbringe ich damit, mir ein originelles Profil zu gestalten. Ein Motto ist gefragt, ich schreibe: Es hat keinen Sinn, ewig über die Männer zu jammern - ich muß lernen, mit dem vorhandenen Material zu arbeiten. Das ist doch pragmatisch, oder? Ich bin ganz stolz auf mich.
Dann gibt es da noch 25 Fragen, mehr oder weniger intelligent, zum Beispiel diese: Was macht Ihren Traummann aus? Ich komme ins Grübeln.
Hoffentlich nicht:
- das Licht
- meinen Vibrator
- den Computer
Okay, das hakt ein bißchen. Aber eine ernste Antwort wäre ja noch viel peinlicher. Und was ist Ihnen wichtig in einer Beziehung? Tja, da muß ich wohl Farbe bekennen: Wir sitzen gemeinsam in Jogging-Hosen auf der Couch und schauen Fußball. Ich darf ihm das Bier holen, und er schiebt mir Häppchen in den Mund, krault mir die Füße und wird nicht sauer, weil ich die Abseitsregel kenne, auf Viererketten stehe und weiß, und warum Dänemark damals Europameister geworden ist. Er ärgert sich nur, weil meine Mannschaft gegen seine gewonnen hat, und kitzelt mich zur Strafe durch. Wir kochen gemeinsam, genießen das Essen und danach uns. Wir lümmeln am Kamin, jeder liest sein Buch und dem anderen die spannendsten Stellen vor.
....und JA...ich bin eine Frau, für die SEX in einer Beziehung sehr wichtig ist...
Worüber können Sie lachen? über Männer
- die sich beim Date mehr für die junge Kellnerin interessieren als für mich;
- die gleich die erste Nacht mit mir im Bett verbringen wollen;
- die mir weismachen wollen, nur so könne man die Ehetauglichkeit testen;
- die mir erzählen, wie lange sie schon keinen Sex mehr hatten.
Worauf sind Sie stolz?
Daß ich im Beruf meinen Mann stehe, ohne daß meine Weiblichkeit leidet.
Was bedeutet Erfolg für Sie?
Ein erfolgreicher Mann verdient mehr Geld, als seine Frau ausgeben kann. Und eine erfolgreiche Frau findet so einen Mann.
Wofür würden Sie Ihr Leben riskieren?
Bestimmt nicht für die Dagoberts, Bärchen und die 90-D-Grabscher.
Würden Sie sich als tierlieb bezeichnen?
Ich liebe Hunde! Ich hasse Katzen! Und ich habe Angst vor allen Arten, in deren Nahrungskette ich passe.
Wie würden Sie einem Blinden Ihr Äußeres beschreiben?
Ich würde meinen straffen Busen lobpreisen und meinen knackigen Hintern, ihm erzählen, daß meine Beine im Himmel enden. Und darauf vertrauen, daß er nicht simuliert.
Und was ist Ihnen peinlich?
Daß ich hier so schamlos lüge und die meisten meine Botschaft doch nicht verstehen.
Alle Fragen beantwortete ich nicht, manche sind wirklich zu blöd. Aber ich lade zwei Bilder hoch, ein geheimnisvolles mit dem Auge hinter den Fingern als Hauptfoto. Und bei dem anderen vertraue ich auf die bewährte Wirkung meiner Beine. Es dauert ewig, bis die Zensurbehörde meine Ansichten freigeschaltet hat. Und vorher tut sich auch nicht so viel in meinem Posteingang. Nur die üblichen Massenmails, die ich schon von neu.de kenne. Du bist so toll. Ich muß dich unbedingt kennenlernen. Wann kann ich dich treffen? So in dieser Art, copy and paste.
Aber mit den Bildern geht es dann gleich wieder rund. Hinter jedem Nickname steckt ein Schicksal, irgendeine Hoffnung, meist Verzweifelung. Es ist das erste Signal und oft bleibt es das einzige. Ich bummele durchs Männer-Kaufhaus, eine Etage nach der anderen. Erst unten die zum Ablachen. Drüber die zum Lästern. Dann die ernsthaften Aspiranten, die alle eine Familie gründen wollen, mit Dackelblick und Postsparbuch. Unterm Dach schließlich die Typen, die mir gefährlich werden könnten: Sie wirken so cool, gelassen, souverän, so viel stärker als ich. An denen kann ich mich abarbeiten.
Ich studiere die Profile, ich lese in den Gesichtern und die vielen Sätze, kurz oder lang, unbeholfen bis verlockend. Zwischendurch läutet mal das Telefon, und ich bin dankbar für die Ablenkung. Dieses geballte Aufgebot ist kaum zu ertragen, nur in vorsichtiger Dosierung. So langsam, ganz allmählich gewinne ich einen Marktüberblick. Die kochen hier auch nur mit Wasser. Und bei manchen, bei vielen, bei viel zu vielen kommt mir ein schrecklicher Verdacht: Das sind gar keine Männer, die tun nur so. Vor denen muß ich keine Angst haben, die haben Angst vor mir, vor jeder Frau, vor einer Entscheidung, vor Verantwortung.
Da bettelt ein 120-Kilo-Koloß um seine Traumfrau: Du bist für mich mein zweites Ich.......................
ich lebe, wenn du atmest, ich bin dein Wasser, wenn du dürstet, dein Kissen, wenn du schläfst. Jeder zweite will seine Träume leben, jeder dritte fordert Carpe diem. Und Mausilein71 weiß es genau: Das wichtigste im Leben ist Liebe und Vertrauen. Während einer von den zehntausend Kuschelbären dichtet: Die Nacht bricht herein, ich möchte bei dir sein. In deinen Armen liegen, in den siebten Himmel fliegen.
Würg! Bei soviel Emanzipations-Lyrik wird mir übel. Diese Kandidaten schreiben doch nur, wovon sie glauben, daß wir Frauen es lesen wollen. Heute so und morgen anders. Das klingt alles so austauschbar, so larifari. Nix mit klarer Kante. Die Bürschchen suchen auch bloß Schutz vor der Kälte, am liebsten hinterm Ofen, noch lieber unter Mamas Schürze.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Einer hat es mir angetan: .1_MACHO. Ob der das ernst meint, den Nickname und seine Ansage? Ich suche das Weib in der Frau. Der traut sich was. Aber soll ich mich trauen? Zum vierten, fünften Mal schleiche ich schon um seine Fotos. Entschlossener Blick, in die Ferne gerichtet, auf irgendein Ziel. Der spielt das nicht. Das ist ein Macho wie aus dem Bilderbuch. Dem fehlt nur noch das Streichholz von Clint Eastwood. Statt dessen weht ihm ein spöttisches Lächeln um die Mundwinkel. Oder bilde ich mir das nur ein? Mir ist, als ob er sich über meine Unsicherheit amüsiert. Ich fühle mich klein vor seinem Horizont.
Dieses Profil provoziert mich. Daß ich mir plötzlich schutzlos vorkomme, irgendwie anlehnungsbedürftig, hat mit diesem Typ zu tun. 1_MACHO faselt nicht von gleicher Augenhöhe, der spricht meine weiblichen Instinkte an. Ich will zu einem Mann aufschauen, geborgen sein bei ihm und in seiner Höhle. Auch ich sehne mich nach der starken Schulter zum Anlehnen. Aber das darf ich ja nicht mehr laut sagen. Es gilt als Eingeständnis von Schwäche. Die Feministinnen und ihre Lenormännchen würden mich in der Luft zerreißen: Wir wollen doch nicht zurück in die Steinzeit! Aber damals sind wir programmiert worden. Brauchen wir den Mann wirklich? Oder nur zum Zeitvertreib und wenn der Wasserhahn tropft? Ich schaue auf den See, Wind ist aufgekommen und kräuselt die kleinen Wellen. Ich versinke in Gedanken und im Grundsätzlichen.
Mit Feminismus hatten wir Ost-Frauen ja ohnehin nichts am Hut. Wir brauchten uns nicht zu emanzipieren, von was denn auch? Auf dem Feld durften wir Trecker fahren, im Kombinat haben wir am Band gestanden. Und abends abwechselnd mit dem Mann am Herd. Kirchen gab es nicht, die Kinder kamen in die Krippe. Gleichberechtigung war bei uns gar kein Thema.
Das wird nur in der Demokratie diskutiert. Weil alles andere so selbstverständlich ist. Weil hierzulande niemand um ein Paar Strumpfhosen kämpfen mußte. Weil alle sagen dürfen, was sie denken. Aber eins ist auch mir längst klar: Hier sind die Frauen gewachsen und die Männer geschrumpft. Im Beruf, in der Familie, in der Gesellschaft. Weibliche Stärke hat die Kerle geschwächt. Doch keine Frau will einen schwachen Mann. Ich auch nicht. Das ist irgendwie gegen die Natur. Die Löwinnen geben sich nur dem Rudelführer hin.
Wieder klingelt das Telefon. Für Philosophie werde ich nicht bezahlt. Ein Mensch von der Gewerbeaufsicht kündigt sich an. Es geht um die Kontrolle der Vorratsräume hinter der Küche. Ich habe keine Ahnung, ich muß zurückrufen. Aber nicht mehr heute, der Wirt ist in Salzburg, und ich bin neu. So komme ich mir auch vor. Es hat was Symbolisches. Klein- Karin erobert das Universum.
Zum Feierabend drucke ich mir das Macho-Profil aus. Man gönnt sich ja sonst nichts. Eine Frau, die mich anzieht, ist nicht nur hübsch, sondern schön. Nicht nur intelligent, sondern geistreich. Nicht nur selbstbewußt, sondern ebenbürtig. Sie ist authentisch, feminin, vital. Es ist eine starke Frau voller Sehnsucht nach dem starken Mann. Und sie ist immer gut für eine Überraschung. Er auch. Auf die Frage, was er auf eine einsame Insel mitnehmen würde, hat er ganz unromantisch geantwortet: Einsame Inseln reizen mich nicht. Wenn ich die Einsamkeit suche, steige ich auf einen Berg. Und dazu brauche ich eine gute Ausrüstung, aber keinen Ballast.
Der Kerl weiß, was er will. Und ich muß wissen, wer er ist. Dortmund liegt natürlich nicht vor der Tür. Aber war es nicht schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben? Und vielleicht macht er sich auf den Weg. Frau wird doch noch mal träumen dürfen. Seine Texte kann ich schon beinahe auswendig. Was ihm peinlich ist, hat er so beantwortet: Es ist mir peinlich zu erleben, wie vielen Menschen nichts mehr peinlich ist. Die Kombination von Arroganz, Ignoranz und Penetranz ist besonders unerträglich. Mein Großvater verachtete aufdringliche, laute Personen. Er beschimpfte sie als dumm, dreist und gefräßig. Heute weiß ich, was er meinte. Und ich kann es mir vorstellen. Einfach klasse.
Beim Einschlafen verhilft mir der Ruhrgebiets-Macho schon mal zu feuchten Phantasien. Die kann mir keiner mehr nehmen. Ich spüre seine warme Hand im Nacken, die andere in meiner Kniekehle. Sie wandert höher, ich bin wie gelähmt. Er berührt mich, ich berühre
mich. Alles kribbelt, pulsiert, mein Atem geht schneller. Ich bäume mich auf. Und ich schlafe wie ein Baby.
Der nächste Tag wird einigermaßen hektisch. Mein Chef telefoniert, diktiert, rotiert. Damit hält er mich den ganzen Vormittag auf Trab. Das ist auch so ein Alphatier. Aber angeblich glücklich verheiratet. Und ich werde mir garantiert nicht die Finger verbrennen. Dafür gefällt es mir viel zu gut am Tegernsee. Ich will einen Mann für mich allein. Und ich will meine Arbeit behalten.
Freitagnachmittag sitze ich wieder allein im Büro. Die Spesenabrechnungen habe ich fertig, alle Briefe sind raus. Und Müßiggang ist aller Laster Anfang. Er ist auch online. Wenn ich auf sein Profil klicke, wird ihm das angezeigt. Heute beißt er an.
ER 15:17
Ich liebe Frauen, die schamlos lügen.
Mein Herz hüpft mir fast aus der Bluse. Krampfhaft überlege ich, was ich darauf antworten kann. Mir fällt nichts ein. Nichts, rein gar nichts. Mein Kopf ist leer. Nein, voll. Mir schießt das Blut in die Birne. Aber noch länger kann ich nicht verzögern.
ICH 15:21 warum denn???
ER 15:22
Diese Frauen muß Mann nur übers Knie legen, damit sie nach etwa einer halben Stunde gänzlich ungefragt die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit von sich geben.
Und nun? Jetzt hilft nur die Flucht nach vorn.
ICH 15:23
und ich liebe Männer die gleich mit der Tür ins Haus fallen... wann darf ich denn auf dein Knie, um alle wichtigen Wahrheiten preiszugeben....
ER 15:24
Holla, Kleines, Du gehst ja ganz schön ran.
Kleines geht mir durch und durch. So hat mich seit meinem Vater niemand mehr genannt. Schade eigentlich.
ICH 15:24
das hast du provoziert...
ER 15:26
Davon will ich mehr. Laß uns telefonieren.
ICH 15:26
ok
ER 15:26
Kein Anschluß ohne Nummer. Also, wenn ich bitten darf!
ICH 15:27
Ich starre auf mein Handy. Eine Minute, zwei Minuten, drei. Ich sitze wie auf heißen Kohlen. Der Arsch läßt mich hängen. Was soll das?
ER 15:31
Heute nicht, aber am Sonntag. Ich melde mich zwischen 9 und 11h. Halt Dich parat.
Der spinnt doch wohl. Für wen hält der sich? Ich bin außer mir.
ICH 15:32
du spinnst doch wohl!!! Für wen hältst du dich? ich bin doch nicht dein pipimädchen.
ER 15:34
Pardon, ich heiße Frank.
ICH 15:34 ja und weiter???
Nichts weiter. Er läßt mich einfach sitzen und geht off. Um sechs muß ich einsehen, daß ich warten kann, bis ich schwarz werde. Wutentbrannt fahre ich den Rechner runter und stürme raus, damit ich mir im Supermarkt noch schnell eine Flasche Rotkäppchen greifen kann. Gut, daß die es auch in den Westen geschafft haben. Ich fühle mich einsam, ungeliebt und fern der Heimat.
Der Samstag ist Horror pur. Immer noch 24 Stunden. Ich bin nervös. Ich weiß nichts mit mir anzufangen. Schließlich fahre ich mit der Bahn nach München, laufe unentschlossen durch die Stadt und kaufe mir einen Laptop. Für 600 Euro, die eigentlich meine neuen Gardinen hätten werden sollen. Die kann ich mir nun online hängen. Aber das mußte jetzt sein. Ich fürchte, ich habe es für Frank getan. Er ist schuld, daß ich mich nicht mehr unter Kontrolle habe. Und überhaupt.
Am Sonntag bin ich schon um sieben wach. Ich kann es kaum erwarten. Mein Handy liegt auf dem Küchentisch. Ich starre es an wie das Kaninchen die Schlange. Völlig bescheuert. Das ist auch nur ein Mann. Aber vielleicht ist es der Mann? Bestimmt! Je mehr ich erwarte, desto mehr werde ich enttäuscht. Aber Vernunft hilft da nicht weiter. Ich bin auch nur eine Frau.
Bayern 3 hat gerade die 10-Uhr-Nachrichten begonnen, als er mich endlich erlöst. Karin! Mehr nicht, nur mein Name. Aber wie. Mir läuft eine Gänsehaut den Rücken runter. Ein mickriges Ja ist alles, was ich rauskriege. Er läßt mich warten, er läßt mich reifen. Ich bin's, Frank Bechthold. Und wieder eine Kunstpause. Er hält alle Strippen in der Hand. Er zieht, und ich tanze. Bist du aufgeregt? Das zu leugnen, wäre sinnlos. Ganz offensichtlich genießt er meine Verwirrung, und ich genieße, daß er sie genießt. Ich fühle mich ausgeliefert, hilflos, aber nicht angegriffen. Im Gegenteil. Ich habe noch keinen Satz gesagt und fühle mich schon verstanden. Ich verstehe das, sagt er mit unaufgeregter Stimme, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Na, bitte, wußte ich es doch. Der Dichter meiner Heimat: Fontane? Ich höre sein Schmunzeln durchs Telefon. Nein, das war Hermann Hesse.
Ich lerne täglich und gern. Am liebsten von einem, der lehrt, ohne mich zu belehren. Bei Frank spüre ich vom ersten Moment an, daß er mir überlegen ist. Komisch, das gibt mir
Sicherheit, und ihn macht es nicht unsicher. Diese Kombination ist genial, das kann nicht gutgehen.
Er fragt mich nicht aus, er erzählt einfach so, ganz locker. Ich erfahre, daß er Architekt ist, eigentlich aber Priester werden wollte und ein paar Semester Theologie studiert hat, bevor er umsattelte. Das Zölibat hättest du doch bestimmt nicht durchgehalten. So langsam kehrt meine freche Schnauze zurück. Stimmt, antwortet er, der Grund war eine Frau. Heute jedenfalls ist er happy über seine Entscheidung von damals. Zusammen mit einem Partner betreibt er ein Projektbüro, das für deutsche Konzerne in aller Welt Industrieanlagen entwirft.
Bist du ein guter Chef? hake ich nach. Ich bin ein Mann, Karin, sagt er mit sanfter Überzeugung. Über diese Logik muß ich lachen. Als ob jeder Mann bossy wäre. Den meisten ist das viel zu anstrengend, die wollen vielleicht gern delegieren, aber nicht führen und bloß nicht auffallen. Hannemann, geh'du voran. Da liegt des Pudels Kern. Frank steigt ein. Jetzt wird es spannend. Vom Chef zum Mann und zurück. Jetzt ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Rollenverständnis. Ich will doch flirten, aber ehe wir uns versehen, sind wir mitten in einem Streitgespräch Mann gegen Frau, er gegen sie, ich gegen ihn. Wir reden schneller, wir werden lauter, vertrauter. Mit einem Fremden diskutiere ich so wild und leidenschaftlich wie noch mit keinem, der mit mir Tisch und Bett geteilt hat. Alle Achtung, wenn wir das durchhalten, werden wir das perfekte Paar. Dann nach uns die Sintflut.
Ihr Mädels habt euch doch selbst ins Knie geschossen. Er meint wohl, daß ich die Errungenschaften der Emanzipation verteidigen sollte. Pustekuchen. Wollen wir doch mal hören, was der junge Mann so auf der Pfanne hat. Wieso? frage ich hinterhältig naiv. Nun, wen der Herr strafen will, dem erfüllt er seine Wünsche. Kunstpause. Und du bist der Herr? Das sollte ironisch werden, geht aber wieder knapp daneben. Das ist aus der Bibel. Damit kenne ich mich nicht aus. Ich stamme aus dem real existierenden Sozialismus, er stammt aus Hamburg. Deshalb spricht er ohne Ruhrpott-Dialekt; ist mir auch lieber. Denk' mal drüber nach, Kleine, was das feministische Gejaule angerichtet hat.
Später. Jetzt fährt mir ganz was anderes durch Mark und Bein. Er hat Kleine gesagt. Zu mir, ganz beiläufig, ganz selbstverständlich. Er muß doch spüren, was er damit anrichtet. Da kann mir der Feminismus gestohlen bleiben. Weibliche Solidarität gibt es sowieso nicht. Mein Schoß ist mir doch näher als die Front.
Um eins bin ich zum Tennis verabredet, Kleine. Schon wieder. Das kann kein Zufall sein. Er meint mich, seine Kleine bin ich. Ein Blick auf die Uhr holt mich auf die Erde zurück. Es ist schon kurz nach halb. Wir haben zweieinhalb Stunden geredet. Die Fetzen sind geflogen, die Zeit auch. Kannst du mich nicht schnell noch heiraten? Jetzt muß er lachen: Und tschüß.
Kaum habe ich mich von dem Schock erholt, erreicht mich eine Kurznachricht mit seiner eMail-Adresse. Schick mir deine Kontaktdaten. Keine Widerworte! Daran hätte ich zuallerletzt gedacht. Nur: Mein neuer Computer ist noch gar nicht angeschlossen. Da weiß ich doch jetzt, was ich mit dem angebrochenen Sonntag anfange.
Abends habe ich es geschafft, bin ich geschafft. Ausgerechnet ich und Technik. Aber, wo ein Wille, da ist auch ein Weg, das habe ich meinem Sohn schon vor der Schule eingebläut. Nach der Lindenstraße bin ich endlich drin im Netz. Und tue, wie mir geheißen: Karin Knopf, geboren am 18.1.69 in Finsterwalde/Brandenburg, wohnhaft XXXXXXXI in
83684 Tegernsee, Telefon 08022-||||| Kleidergröße 38, Schuhgröße 39, BH 75B. Sonst noch Wünsche, der Herr?
Beim Tatort läuft noch der Abspann, da ist Frank wieder dran. Ja, er habe doch noch einen Wunsch. Welche Erfahrungen ich bei Friendscout gemacht habe, will er wissen. Noch gar keine. Schweigen am anderen Ende. Ich bin dein erster Mann? fragt er ungläubig. Der Typ hat Humor. Ich berichte ihm von meinen beiden Fehlversuchen auf der anderen Plattform und daß mir der Schweizer noch immer nachgeht. Und ganz nebenbei erwecke ich den Eindruck, als könne ich mich vor Anfragen nicht retten. Ich will ja nicht dastehen wie eine Anfängerin, eine verschmähte noch dazu.
Ohne Scheu erzählt mir Frank von seiner letzten Erfahrung. Eine Frau hat ihn mit fünf verschiedenen Identitäten auf Trab gehalten. Nur, um ihn auf Herz und Nieren zu prüfen. The one and only gibt's bei mir sowieso nicht, behauptet Frank selbstbewußt. Aha, murmele ich eingeschüchtert und denke: Das ist also der Haken an dem Supertyp! Der vögelt sich quer durch die Republik. Ohne mich!
Aber mit den falschen Identitäten bringt er mich auf eine Idee. So könnte ich auch Urs locken. Im Netz ist doch jedes zweite Profil gefaked, Frauen machen das besonders gern, verrät mir Frank, aber da höre ich schon gar nicht mehr richtig zu. Ich bin gerade dabei, noch ein paar Skrupel zu verlieren.
Am nächsten Morgen versuche ich mein Glück. Mit klopfendem Herzen lege ich mir ein falsches Profil zu: Fiona40, eine schlanke Blondine ohne Foto, zu Hause im Allgäu. Aber bei Herrn Luetti habe ich ja nichts zu verlieren. Ich sende ihm einen kostenlosen Flirtmatch.
ICH 10:51
...verrate mir mehr von Dir.
ER 11:11
hallo fiona. was kann ich für dich tun?
ICH 11:13
du siehst richtig gut aus. Bist ein attraktiver Mann, in den ich mich sofort verlieben könnte....
ER 11:16
dann mach s doch!
ICH 11:17
bist du spontan???
ER 11:17
das kommt ganz drauf an....
ICH 11:18
ich will dich treffen. so ein richtiges blinddate ohne foto und telefon... morgen abend um 19.30h vor der Spielbank in Lindau.
ER 11:26
hmmm... absolut blind? du bist aber schon echt oder?
ICH 11:27
ja ich bin echt... und auch nicht häßlich. ich will nur mal den besonderen kick. ok?
ER 11:31
ok ich komme aber du mußt pünktlich sein... ich werde nicht warten ICH 11:33
das verspreche ich dir... und einiges mehr, wenn du mir gefällst....
Ich bin baff. Jetzt erscheinen mir unsere ersten Dialoge in einem ganz anderen Licht. Worte, von denen ich dachte, sie meinen mich, sind offenbar erprobtes Geplänkel. Und ausgerechnet dieser Knabe regt sich auf, weil ich mich nicht sofort von der Plattform abgemeldet habe?
Abends erzähle ich Frank von meiner Finte und daß mein Alpenfisch angebissen hat. Er reagiert komplett anders als Urs Luetti. Ganz locker, ohne jede Spur von Eifersucht. Das macht mich auch wieder stutzig. Bin ich ihm etwa egal? Aber da muß ich jetzt durch, jetzt sind wir Komplizen, so oder so. Und falls ich doch noch in die Schweiz ziehen sollte, werde ich ihn zur Hochzeit einladen. Das ist Ehrensache.
Am nächsten Tag fahre ich nach Lindau. Urs kommt im Mercedes und auf die Minute pünktlich. Er ist ein großer, schlanker Mann, der noch besser aussieht als auf den Bildern, die ich von ihm gesehen habe. Wir gehen in ein nahes Restaurant, und bei der Vorspeise gestehe ich ihm die Wahrheit. Ich bin Karin. Er will es nicht glauben. Ich mußte dich sehen. Wenn du jetzt gehen willst, dann bitte. Ich übernehme die Zeche.
Er zögert, will erst aufstehen, bleibt dann sitzen. Wir stoßen an, wir flirten, als ob es nie einen Bruch gegeben hätte. Ich frage ihn, warum er mich seinerzeit so konsequent abserviert habe. Weil ich nicht wollte, daß du chat-süchtig wirst. Häh? Im Himmel ist wohl Jahrmarkt. Aber schön, um die gute Stimmung nicht kaputtzumachen, verkneife ich mir den Hinweis auf seine Besitzansprüche. Wir schauen uns tief in die Augen. Ich rauche seine Zigarette weiter, während er mit seinem Kaiserschmarrn beschäftigt ist. Wir kommen auf seinen Personalleiter-Job zu sprechen. Er erzählt mir, daß er besonders auf den Gang eines Bewerbers achtet, weil er daraus auf den Charakter schließen könne.
Als ich mich zur Toilette entschuldige, spüre ich seinen prüfenden Blick in meinem Rücken und abwärts. Ich gönne ihm einen extra-sexy Hüftschwung. Das hätte ich besser bleiben lassen. Als ich an unseren Tisch zurückkomme, hat er eine Mauer um sich aufgebaut. Was ist los, Urs? Er weicht mir aus, aber irgendwas muß passiert sein. Er schaut auf seine Uhr. Ich muß jetzt fahren, ich habe ja noch einen weiten Weg. Unser Abschied ist förmlich. Ich melde mich, sagt er. Das hat er nicht mehr getan. Und auch sein Profil bei Friendscout wieder gelöscht. Die Niederlage schmerzt; bei diesem Mann habe ich mich mal so richtig verkalkuliert.
Heulend fahre ich heim. Ich verstehe es nicht. Ihn nicht, mich nicht, die ganze Sache nicht. Die restlichen Rotkäppchen helfen mir in den Schlaf. Morgens bin ich verkatert, in doppelter Hinsicht. Das kann ich doch nicht geträumt haben. Verdammt, ich hänge richtig durch. Was hat das zu bedeuten?
Der eifersuchtsfreie Frank soll es mir erklären. Er ist ein Mann. Er muß wissen, was da gestern abgelaufen ist. Ich finde ihn online. Natürlich, das war ja nicht anders zu erwarten. Aber so kann ich mich gleich live bei ihm auskotzen. Er bleibt so ruhig wie ein Beichtvater,
fragt nur knapp nach den Fakten, läßt mich erstmal meinen ganzen Frust abladen. Mein Gang zur Toilette ist auch für ihn die Schlüsselszene. Was ist da bloß passiert?
Er bittet mich um Geduld, er will ein paar Minuten darüber nachdenken. Dann beschert er mir seine Analyse.
ER 09:46
Es gibt nur eine plausible Erklärung, Karin.
ICH 09:48
dann sag sie mir. bitte, ich flehe dich an.
ER 09:50
Das will ich ja tun.
ER 09:50
Du mußt wissen, daß fast alle Männer sich eine Hure im Bett wünschen. Aber nicht wirklich, nur in ihren Träumen. Wenn sie dann mal einer richtig geilen Frau begegnen, ziehen sie den Schwanz ein.
ICH 09:51 aber warum????
ER 09:52
Dafür kann es mehrere Gründe geben. 1. du hast ihn eingeschüchtert, er fühlt sich dir unterlegen. 2. er fürchtet, daß du viel mehr sexuelle Erfahrungen hast als er selbst. 3. weil er Angst hat, daß er so eine scharfe Schnecke immer gegen potente Rivalen verteidigen muß. Im Netz gibt's 'ne Menge Irre. Jedenfalls solltest du es nicht so persönlich nehmen.
ICH 09:54
und du glaubst, deshalb hat Urs den Schwanz eingezogen?
ER 09:55
Sonst fällt mir keine plausible Erklärung ein. Es sei denn, er hat noch 'ne andere am Start, die er weniger kompliziert einschätzt.
Das ist nur ein schwacher Trost. Aber es ist einer, immerhin. Und nach Frank Bechtholds Theorie steckt ja noch ein Kompliment drin. Mir gefällt nicht nur die Erklärung, mir gefällt vor allem, wie er sie mir gegeben hat. Ehrlich, nüchtern, hilfsbereit. Das macht es nur noch halb so bitter.