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3.Was die Meditation trägt

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Alles beginnt mit der Sehnsucht.

(Nelly Sachs)

Aufgrund eines gestressten Alltags sehnen sich heute viele Menschen nach Entspannung. Viele beginnen zu meditieren in der Erwartung, dass es ihnen guttut und sie durch eine bestimmte Technik in einen entspannten Zustand kommen. Das Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung reicht jedoch nicht aus, um auch in schwierigen Phasen der Meditation dabeizubleiben. Sucht der Mensch in erster Linie Ruhe und Entspannung, ist es nachvollziehbar, wenn er zu meditieren aufhört, falls die erhoffte Ruhe ausbleibt oder sich Schwierigkeiten zeigen.

Der tragende Grund für den meditativen Weg, der Höhen und Tiefen mit sich bringt, ist eine Sehnsucht, dem Göttlichen in seinem Leben Raum zu geben. Mit ihr beginnt der Weg, sogar dann, wenn sie nicht unmittelbar spürbar ist. Davon erzählt die Geschichte eines jungen Mannes. Als ihn ein Rabbi nach seiner Sehnsucht nach Gott fragt, wird er traurig und muss zugeben, dass er meistens so viel zu tun hat, dass die Sehnsucht im Alltag untergeht. Als er jedoch die Frage hört, ob er Sehnsucht danach hat, Sehnsucht zu haben, Gott zu lieben, hellt sich sein Gesicht wieder auf, da er dies bejahen kann. Die Geschichte endet mit der Aussage des Rabbis: „Das genügt. Du bist auf dem Weg.“ Diese Sehnsucht, und sei es die Sehnsucht nach der Sehnsucht, ist die Kraft, die bewirkt, in der Meditation dabeizubleiben, auch wenn sich Schwierigkeiten zeigen.

Die Sehnsucht nach Gott kann nur gestillt werden, wenn der Mensch bereit ist, sich selbst zu begegnen. Die großen Meister aller spirituellen Traditionen wissen um den Zusammenhang von Selbst- und Gotteserfahrung. Es sind zwei Seiten einer Medaille, die untrennbar zueinandergehören und einander vertiefen. Im Mönchtum wird der Weg zu Gott seit jeher über die Selbstbegegnung gewiesen. Stille Zeiten sind hierbei eine große Hilfe. Bereits im 4. Jahrhundert bringt der Wüstenvater Evagrius Ponticus dies kurz und bündig auf den Punkt: „Willst du Gott erkennen, lerne vorher dich selber kennen.“ Jede wahre Selbstbegegnung ist somit auch ein weiterer Schritt auf dem Weg zu Gott. Ist die Bereitschaft, sich selbst zu begegnen, jedoch nicht gegeben, besteht die Gefahr des „spiritual bypassing“. Es ist der Versuch, der eigenen Wirklichkeit auszuweichen, Illusionen aufrechtzuerhalten und persönliche Herausforderungen mit Hilfe der Meditation zu umgehen. Dies verhindert die eigene Entwicklung und blockiert den Weg zu Gott.

Therapien unterstützen den Menschen darin, sich aufrichtig selbst zu begegnen. Im direkten Kontakt kann der Therapeut z. B. behutsam auf innere Blockaden der Persönlichkeitsentwicklung eingehen, abgespaltene Gefühle wieder ins Bewusstsein bringen und damit die Ich-Identität stärken. In der Meditation hingegen geht es nicht darum, das eigene Ich zu stärken, sondern es loszulassen, um der göttlichen Dimension in sich Raum zu geben. Bevor man jedoch sein eigenes Ich in der Meditation loslassen kann, muss man es erst einmal entwickelt haben. Ebenso kann man Gefühle erst dann loslassen, wenn man sie zugelassen hat. Die Meditation, obwohl sie auch therapeutisch wirkt, ist also kein Therapieersatz. Man würde zudem die Meditation verzwecken, für die jedoch ein absichtsloses Dasein in der Gegenwart Gottes kennzeichnend ist. Therapien können den Zugang zum meditativen Weg ebnen, falls er sonst verschlossen bliebe. Bei mangelndem Realitätssinn, fehlender Selbstdistanz oder bei schweren, nicht therapeutisch aufgearbeiteten Traumatisierungen ist von dieser Form der Meditation abzuraten, ebenso wenn eine akute Krise vorliegt. Hier ist menschliche Zuwendung vonnöten und professionelle psychologische Unterstützung zu empfehlen. Die langen Zeiten der Stille und das „Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-Sein“ könnten dazu führen, dass sich schwierige innere Zustände sogar noch verstärken.

Die Kraft der Kontemplation

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