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EINLEITUNG

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LUCIUS ANNAEUS SENECA (RÖM. PHILOSOPH, 1–65 N. CHR.)

„NIEMAND LIEBT DAS LEBEN SO WIE EINER, DER ALT WIRD.“

Seit nunmehr 18 Jahren ist mein Pferd Shadow an meiner Seite. Als ich den damals gerade fünfjährigen Problemfall von der Red Rock Ranch übernahm, konnte niemand wissen, wohin uns unsere gemeinsame Reise führen würde.

„Bösartig, problematisch, nicht zu reiten. Gib ihn zurück. Kauf dir ein vernünftiges Pferd.“ Das waren die Sprüche, die ich mir damals von einigen „Experten“ anhören musste. Wer hätte gedacht, dass unser gemeinsamer Weg uns zu Pferdemessen, zahlreichen Fachbüchern, TV-Auftritten und Shows in ganz Europa führen würde!

Doch auch wir waren gegen den Zahn der Zeit, der langsam und im Verborgenen nagte, nicht gewappnet. Aus mehr oder minder heiterem Himmel fing Shadow mit 16 Jahren an, eine Taktunreinheit zu entwickeln. Ohne lange zu fackeln und herumzuexperimentieren, fuhr ich ihn in eine Spezialklinik und bekam postwendend die unschöne Diagnose: Arthrose am Fesselgelenk durch ein altes „Trauma“, also einen stumpfen Schlag oder etwas Ähnliches auf das Bein. Das hieß, entweder operieren oder als „Teilzeitrentner“ noch einige wenige Jahre auf die Weide.

Natürlich entschied ich mich für die zu 50 Prozent Erfolg versprechende, aber finanziell „anspruchsvolle“ Operation samt ausgiebigem Rehaprogramm. Die OP verlief gut, die Reha verlief gut. Doch bald darauf kam ein Rückschlag. Kaum hatten wir zu hoffen begonnen, war da erneut eine Taktunreinheit. Und wieder ging es in die Klinik. Das Fesselgelenk war tadellos, die anderen Gelenke auch. Doch hatte sich jetzt eine Arthrose am Sehnenansatz gebildet, an einer so ungünstigen Stelle, dass die Chancen auf Heilung durch eine OP bei weniger als zehn Prozent lagen.

Shadow war lebensfroh und „speziell“ wie eh und je. Nur ab und zu war er sichtlich frustriert, wenn er nicht mehr so konnte, wie er wollte. Ich beschloss, ihn in Teilzeitrente zu schicken. Er hatte es mehr als redlich verdient und ich wollte ihn noch viele Jahre um mich haben und ihm einen schönen Lebensabend ermöglichen.

Shadow kam auf Anraten des Experten auf die Weide. Nach genau drei Tagen wurde ihm so langweilig, dass er einfach durch den Zaun rannte, sich mitten auf den Hof stellte und vehement sein Animationsprogramm einforderte. Doch wie beschäftigt man nun ein Pferd, das noch will, aber nicht mehr alles soll? Das sein Leben lang das Zentrum seines eigenen kleinen Universums war, die Menschen begeisterte und dem das Leben auf der Bühne auch noch gefallen hatte? Wenigstens machte mich das kommende Jahr mit Shadow ausgesprochen kreativ, und viele der Spiele für Körper und Geist, die ich in dieser Zeit für ihn entwickelte, werdet Ihr in diesem Buch finden. Shadow hatte es geschafft, nach nur einem Jahr nach der Operation trotz des kleinen Rückschlags wieder an seinen alten Leistungsstand anzuknüpfen. Aber dennoch merkte man, dass er älter wurde und der Zahn der Zeit ohne Gnade zu nagen begann.

Einige Zeit später zogen meine Pferde wieder auf die Red Rock Ranch zurück, wo ich beide in jungen Jahren gekauft hatte. In seinen vorherigen Ställen hatte Shadow seine Zeit mehr oder minder allein im Paddock oder auf der Weide mit maximal einem Kumpelpferd verbracht. Auf der Red Rock Ranch hingegen gab es eine spezielle Seniorengruppe, in der sich auch einige von Shadows alten Stallkollegen wiederfanden, die er noch von früher kannte. Allen voran sein alter best buddy Soreno, der mittlerweile 38 Jahre alt war und der ungekrönte Chef der Rentnertruppe. Er war bis zu seinem Tod im stolzen Alter von 40 Jahren stets an Shadows Seite.

Ich hatte anfangs ernsthafte Bedenken, ob Shadow sich in die Herde einfinden würde. Ob ihm das nicht zu viel werden würde? Doch was geschah? Exakt das Gegenteil war der Fall. Shadow blühte in der Seniorengruppe wieder richtig auf und durch die Möglichkeit sich wesentlich mehr in ruhigem Tempo zu bewegen legte er ordentlich an Kondition und Lebensfreude zu. Er kam fast jeden Tag im Sommer mit den anderen Senioren in seiner Ü16-Truppe auf die Weide. Er spielte, er schmuste und er chillte mit den anderen Senioren und war glücklich. Und wenn ich kam, um mit ihm zu arbeiten, dann war er mit Feuereifer dabei. Das Leuchten war nach der einjährigen Odyssee in seine Augen zurückgekehrt.

Auch ein heftiger Rückschlag durch einen im Alter von 19 Jahren auf der Weide in den Huf eingetretenen Nagel steckte Stehaufmännchen Shadow wider Erwarten weg und erholte sich komplett. So konnte ich im kommenden Frühling sein Comeback feiern, da er wieder sehr fit und arbeitswütig war – von wegen Rente!

Da ich die letzten Jahre selbst gesehen habe, durch welche doch kleinen und einfachen Veränderungen man seinem Seniorenpferd die „Altersteilzeit“ so gestalten kann, dass der Senior fit und mit Würde ins hohe Alter schreiten kann, habe ich für Euch dieses Buch geschrieben.

Shadow hat mittlerweile einen Senkrücken und an Muskelmasse verloren. Er will nur noch warmes Wasser zum Duschen – auch bei 30 Grad Außentemperatur. Ja, er wird alt. Er wird auch langsam immer sturer und will gewisse Sachen auf eine ganz bestimmte Art und Weise von seinem zweibeinigen Bodenpersonal erledigt haben.

Ist nun 23 Jahre alt? Ich würde sagen – für Shadow ist es alt, da er bis zum Alter von drei Jahren viele Entbehrungen erlebt und überlebt hat. Das lässt ihn leider schneller altern als ein Pferd, das einen guten Start ins Leben hatte und dem es nie an Fürsorge gemangelt hat. Doch Shadows Story würde ein eigenes Buch füllen.

Ich wünsche meinen Lesern viel Spaß an diesem Buch und hoffe, dass es Euch hilft, mit Euren „ehrwürdigen Altvorderen“ noch viele schöne Jahre zu verbringen.


Karin Tillisch mit ihren Pferden Starlight (15) und Shadow (23). (Foto: Karin Tillisch)

Fitness für Seniorenpferde

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