Читать книгу Hitlers heimliche Helfer - Karina Urbach - Страница 6
Einführung
ОглавлениеEs ist ein schönes Sommermotiv: Zwei kleine Mädchen spielen im Garten, ihre Mutter und ihr Onkel betrachten sie wohlwollend. Der Vater filmt die Idylle. Nach einer Weile reckt die Mutter den Arm zum Hitlergruß und der Onkel animiert die Kinder, das Gleiche zu tun. Kurz darauf reißt auch er den Arm in die Höhe.
Die Filmsequenz, aufgenommen im Jahr 1933 oder ‘34, dauert nur wenige Sekunden, doch sie sorgte weltweit für Aufregung. Der Grund dafür war, dass es sich hier nicht um deutsche Nazis in der Sommerfrische handelte, sondern um die prominenteste Familie Großbritanniens: Der gutaussehende Onkel war der damalige Prince of Wales, später König Eduard VIII. und nach seiner Abdankung Herzog von Windsor. Die patent-fröhliche Mutter wurde 1937 an der Seite des Kameramannes, Georg VI., zur Queen Elizabeth gekrönt. Die spielenden Kinder waren ihre Töchter – Prinzessin Margaret und die spätere Queen Elizabeth II.
Bis heute wissen Historiker wenig Konkretes über die politische Einstellung der Royal Family in den 1930er Jahren. Stattdessen kursieren unzählige Gerüchte und Verschwörungstheorien, die vor allem den Herzog von Windsor betreffen. Wie nah hatte er den Nationalsozialisten gestanden? Hatte er tatsächlich Geheimnisverrat begangen und darauf gehofft, Hitler würde ihn wieder als König einsetzen? Und wie verhielt es sich mit seinem Nachfolger, dem schüchternen Georg VI., und seiner energischen Frau, Queen Elizabeth? Bis heute genießt dieses Paar hohes Ansehen in Großbritannien. Bilder, in denen es 1941 Londoner Trümmerberge besichtigt, werden in Fernsehdokumentationen genauso häufig wiederholt wie die Aufnahmen der jungen Elizabeth als Automechanikerin im Frauenhilfskorps. Diese patriotischen Kriegsdienste sind gut dokumentiert, doch die Frage bleibt – welche politische Rolle spielte die Royal Family vor Ausbruch des Krieges?
Diese Frage zu beantworten ist vor allem deshalb für Historiker so schwierig, da die Royal Archives, das private Hausarchiv der Windsors, die Nachlässe des Herzogs von Windsor, Georgs VI. und seiner Frau Elizabeth bis heute gesperrt haben. Die Papiere sind nur den offiziellen Biographen zugänglich. Bei diesen Biographen handelt es sich jedoch nicht um Wissenschaftler und ihre Bücher sind durchgehend unkritisch. Da niemand anderer das Archivmaterial einsehen darf, sind ihre Belege (und möglichen Auslassungen) nicht nachprüfbar.
Als die britische Boulevardzeitung THE SUN im Juli 2015 zu mir kam, um die Hitlergruß-Filmsequenz in einen historischen Kontext zu setzen, konnte ich anfangs nicht glauben, dass der Film auf legalem Weg den streng bewachten Archivturm von Windsor Castle verlassen hatte. Doch Archivare machen Fehler und von diesen Fehlern leben Historiker. Gelegentlich werden Dokumente aus Versehen freigegeben, ohne vorher noch einmal „gesäubert“ worden zu sein. Genau das war in diesem Fall geschehen. Man hatte Filmmaterial für eine Dokumentation über die Kindheit Elizabeths II. freigegeben und vergessen, es genau durchzusehen. Da es sich dabei um endlos lange Filmrollen handelte, ist das menschlich äußerst verständlich. Nur ein sehr aufmerksamer Cutter muss im Schneideraum genauer hingesehen haben. Er (oder sie) sorgte dafür, dass die Filmsequenz an die Presse gelangte.
Der Hof wurde zwei Tage vor der Veröffentlichung informiert. Doch anstatt die Zeit zu nutzen, um den Inhalt des Films zu kommentieren, ließ man verlauten, wie „enttäuscht“ man von dem Verhalten der Presse sei. In den darauffolgenden Tagen verteidigte eine Phalanx von hofnahen Journalisten die Aufnahmen. Ihre Argumente variierten. Einige vertraten die Ansicht, es handele sich hier nur um ein freundliches Winken, andere meinten, es wäre einfach eine Witzgeste gewesen, genau wie in Charlie Chaplins Der große Diktator (ein Film, der erst 1940 in die Kinos kam).
Tatsächlich kannten jedoch Eduard VIII., Georg VI. und seine Frau den faschistischen Gruß bereits von ihren Reisen in Mussolinis Italien. Es war ihnen daher durchaus bewusst, dass es sich dabei um eine politische Geste handelte.
Ein anderes Argument der Verteidigung lautete, dass die königliche Familie damals noch nicht über deutsche Politik informiert gewesen sei. Die Times berichtete jedoch schon im Juli 1933 von Ausschreitungen gegen Juden, und das britische Auswärtige Amt (das Foreign Office) informierte die Mitglieder der königlichen Familie regelmäßig über die Vorgänge in Deutschland. Eine noch wichtigere Informationsquelle waren jedoch die persönlichen Kontakte der Royals zu ihren deutschen Verwandten. Viele von ihnen hatten sich schon früh den Nationalsozialisten angeschlossen. Wie stark dieser Einfluss war und zu welchen Auswüchsen er besonders im Fall des Herzogs von Windsor führte, wird in Kapitel 4 behandelt werden.
Im Mittelpunkt dieses Buches stehen jedoch nicht die britischen Royals, sondern vor allem Hochadelige aus der zweiten Reihe. Es wird gezeigt werden, wie sie mit Hilfe ihrer internationalen Freundschafts- und Verwandtschaftsnetzwerke dem NS-Regime dienten.
Wie brisant diese Dienste eingeschätzt wurden, kann an einem bizarren Zwischenfall illustriert werden, der sich am deutsch-italienischen Grenzübergang Brenner abspielte: Im Juli 1940 wurde der 83-jährigen Herzogin in Bayern eine Wiedereinreise in das Deutsche Reich verweigert. Die alte Dame musste in Italien ausharren und versuchte über Monate hinweg vergebens, in ihre Heimat Bayern zu gelangen. Neben adeligen Freunden und Verwandten war ihre wichtigste Anlaufstelle die Deutsche Botschaft in Rom. Botschafter Hans Georg von Mackensen erklärte am 27. Juli 1940 dem Auswärtigen Amt in Berlin die Hintergründe des Falles. Die Herzogin sei nur aus dem Grund nach Italien gereist, um ihrer Enkelin, der italienischen Kronprinzessin, bei der Entbindung beizustehen.1 Die Mutter der Kronprinzessin habe nicht anwesend sein können, da sie als belgische Königinwitwe „aus begreiflichen Gründen auf die Reise […] verzichtet (habe).“2 Diese familienfreundliche Erklärung schien in Berlin wenig zu bewirken. Der Besuch der alten Dame drohte zu einem italienisch-deutschen Politikum zu werden. Erst als der ‚verdiente‘ Nationalsozialist Prinz Philipp von Hessen in die Verhandlungen eingriff, gerieten die Dinge langsam in Bewegung. Hessen, der mit der Tochter des italienischen Königs verheiratet war, argumentierte pragmatisch. Solange die Herzogin in Italien „festsitze“, müsse das italienische Königshaus für ihren kostspieligen Aufenthalt aufkommen. Eine solche finanzielle Belastung würde jedoch mittlerweile als Zumutung empfunden, man solle die Herzogin also schnellstens „heimholen“. Diese pekuniäre Argumentation wurde verstanden – im Oktober 1940 durfte die Herzogin nach Bayern zurückkehren.
Doch die Grenzschikanen gingen weiter und die deutsche Botschaft in Rom musste nun immer häufiger Leumunde ausstellen: Die Frau des Fürsten von der Leyen – so der deutsche Botschafter in Rom – sei zum Beispiel absolut zuverlässig. Sie käme aus der besonders deutschfreundlichen und angesehenen italienischen Familie Ruffo und würde mit dem Fürsten von der Leyen in Rom leben. Ihr gemeinsamer Sohn besuche eine Schule in Bayern. Leider sei ihm nach den Osterferien 1942 plötzlich die Einreise in das Reichsgebiet verweigert worden. Eine Wiedereinreise wäre jedoch dringend wünschenswert.3
Warum also durften eine alte Dame und ein harmloser Schuljunge nicht mehr in das Deutsche Reich einreisen? Wovor hatten die Nationalsozialisten Angst?
Dieses Buch wird zeigen, dass die NS-Führung Hochadelige und ihre Auslandskontakte fürchtete, weil sie diese Kontakte selbst jahrelang erfolgreich benutzt hatte. Hochadelige hatten als heimliche Helfer für die Nationalsozialisten gearbeitet und ihnen nützliche Beziehungen zu Führungseliten anderer Länder verschafft. Seit 1940 fürchtete die NS-Führung, diese Kontakte könnten nun gegen sie verwendet werden.
Bisher hat die Forschung sich nur auf adelige Unterstützung der Nationalsozialisten innerhalb Deutschlands beschränkt. Was jedoch vernachlässigt wurde, ist, dass es auch eine internationale Dimension gab. Für diese internationale Aufgabe war der Hochadel ideal. Seine Eheverbindungen und Freundschaften reichten über Ländergrenzen hinweg. Diese internationalen Verbindungen wurden im Ersten Weltkrieg auf eine harte Probe gestellt, als man Königshäuser und Hochadelige als „Hybride“ kritisierte und sie gezwungen waren, ihre nationale Zugehörigkeit zu demonstrieren. Doch hinter den Kulissen unterhielten viele Hochadelige auch weiterhin ihre internationalen Netzwerke aufrecht. Als heimliche Helfer unternahmen sie, wie in Kapitel 2 gezeigt werden wird, für Herrscherhäuser und Regierungen mehrere „Friedensfühler“. Im Jahr 1918 fand diese Betätigung ein abruptes Ende – jedoch nicht für lange, denn in der Zwischenkriegszeit war ein neuer Feind auf den Plan getreten: der Bolschewismus. Die Furcht vor den Bolschewisten verstärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl noch einmal: Die Briten hatten Angst vor einer Unterwanderung ihres Empire, die Ungarn wollten verhindern, dass sich eine kommunistische Schreckensherrschaft wie die von Béla Kun (1918) wiederholte, und die Deutschen fürchteten das Anwachsen der kommunistischen Partei.
Ermutigt vom Vorbild Italien, wo Mussolini die Monarchie 1922 erfolgreich in sein Regime integrierte, wandte der Hochadel sich einer deutschen Version des Duce zu: Hitler. Der ‚Führer‘ wusste diese Chance zu nutzen. Im Jahr 1933 verfügte Hitler nur über wenige internationale Kontakte und hatte kein Vertrauen in das Auswärtige Amt. Daher schickte er Mitglieder der deutschen Adelshäuser auf geheime Missionen nach Großbritannien, Italien, Ungarn und Schweden. Einer seiner berüchtigtsten Gesandten war Carl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, ein Enkel von Queen Victoria. Der in England geborene und in Deutschland aufgewachsene Carl Eduard ist ein Musterbeispiel für eine verheerende Umerziehung – weg von der konstitutionellen Monarchie, in der er aufgewachsen war, und hin zur Diktatur. Dieser Vorgang wäre kaum mehr als eine Fußnote der Geschichte geblieben, hätte Carl Eduard sich nicht mit großer Entschlossenheit – zunächst heimlich, später öffentlich – für die nationalsozialistische Bewegung eingesetzt. Die Auswirkungen seiner Bemühungen hat man (wie auch die Arbeit anderer heimlicher Helfer) bislang nicht erkannt. Wie wir in Kapitel 4 sehen werden, wurde Coburg der wichtigste Verbindungsmann Hitlers zu Eduard VIII. und Georg VI.
Der britische Geheimdienst ahnte schon zu Kriegsende, wie wichtig Coburg für Hitler war. Im April 1945 entschlüsselte man in Bletchley Park, der britischen Code- und Chiffrenschule, einen streng geheimen Funkspruch: „Der Führer legt großen Wert darauf, dass der Präsident des Roten Kreuzes [Coburg] auf keinen Fall in die Hände des Feinds fallen darf.“4
Hitler saß damals bereits im Bunker fest. Da er nicht gerade für seine Fürsorglichkeit bekannt war, verwundert es, dass er sich die Mühe machte, Anweisungen bezüglich eines obskuren Herzogs zu geben. Seine Botschaft konnte daher zweierlei bedeuten: Entweder wollte Hitler, dass man den Herzog von Coburg in Sicherheit brachte, oder die Anordnung gehörte zu Hitlers „Nerobefehlen“, d.h., sie bedeutete die Anweisung, den Herzog zu ermorden. Die Geheimnisse, die Hitler und der Herzog miteinander teilten, waren offensichtlich so brisant, dass sie auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen durften.
Ziel dieses Buch ist es jedoch nicht nur, Coburgs geheime Verhandlungen im Auftrag Hitlers zu beleuchten, sondern mehrere Missionen von heimlichen Helfer zu untersuchen, sowie den Hintergrund, die Bedeutung und die Folgen dieser Missionen zu erklären. Der Untersuchungsrahmen reicht dabei vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg. Im Mittelpunkt stehen neben dem Herzog von Coburg u.a. die heimlichen Helfer Fürst Max Egon II. zu Fürstenberg, Lady Barton, General Paget, Lady Paget, Prinz Max von Baden, Fürst Wilhelm von Hohenzollern-Sigmaringen, Prinzessin Stephanie zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst und Prinz Max zu Hohenlohe-Langenburg.
Ihre Geschichten, die hier zum ersten Mal erzählt werden, erweitern unseren Blick auf die Methoden, mit denen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Geheimdiplomatie betrieben wurde. Und sie zeigen eine Dimension der Außenpolitik Hitlers auf, die bisher nicht erkannt worden ist.