Читать книгу Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens - Karl Binding - Страница 2
I
Rechtliche Ausführung
Оглавлениеvon
Professor Dr. jur. et phil. Karl Binding
Für die zweite Auflage durchgesehen
von Paul Binding
Ich wage am Ende meines Lebens mich noch zu einer Frage zu äußern, die lange Jahre mein Denken beschäftigt hat, an der aber die meisten scheu vorübergehen, weil sie als heikel und ihre Lösung als schwierig empfunden wird, so daß nicht mit Unrecht gesagt werden konnte, es handle sich hier »um einen starren Punkt in unseren moralischen und sozialen Anschauungen«.1
Sie geht dahin: soll die unverbotene Lebensvernichtung, wie nach heutigem Rechte – vom Notstand abgesehen – , auf die Selbsttötung des Menschen beschränkt bleiben, oder soll sie eine gesetzliche Erweiterung auf Tötungen von Nebenmenschen erfahren und in welchem Umfange?
Ihre Behandlung führt uns von Fallgruppe zu Fallgruppe, deren Lage jeden von uns aufs tiefste erschüttert. Um so notwendiger ist es, nicht dem Affekt, andererseits nicht der übertriebenen Bedenklichkeit das entscheidende Wort zu überlassen, sondern es auf Grund bedächtiger rechtlicher Erwägung der Gründe für und der Bedenken gegen die Bejahung der Frage zu finden. Nur auf solch fester Grundlage kann weiter gebaut werden.
Ich lege demnach auf strenge juristische Behandlung das größte Gewicht. Gerade deshalb kann den festen Ausgangspunkt für uns nur das geltende Recht bilden: wieweit ist denn heute – wieder vom Notstande abgesehen – die Tötung der Menschen freigegeben, und was muß denn darunter verstanden werden? Den Gegensatz der »Freigabe« bildet die Anerkennung von Tötungsrechten.
Diese bleiben hier vollständig außer Betracht.
Die wissenschaftliche Klarstellung des positivrechtlichen Ausgangspunktes aber ist um so unumgänglicher, als er sehr häufig ganz falsch oder doch sehr ungenau gefaßt wird.
1
Jost, Das Recht auf den Tod. Göttingen 1895, S. 1.