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Die Lehren als Schriften und Erkenntnis

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Die allgemeine Definition eines »Dharma-Rades« ist »die Lehren des Buddha, bestehend sowohl aus Schriften als auch aus Erkenntnis, welche die Faktoren im Geistesstrom der anzuleitenden Wesen, welche die Befreiung aus Saṃsāra und die Allwissenheit eines Buddha verschleiern, beseitigen«. Somit hat ein solches Dharma-Rad oder solch ein Lehrzyklus zwei Aspekte – der Dharma der Schriften und der Dharma der Erkenntnis. Dabei wird der Dharma der Erkenntnis definiert als »die Wirklichkeit der gereinigten Phänomene, die dadurch erzeugt werden, dass man vertraut geworden ist mit dem Geisteszustand, der die Phänomene gründlich unterscheidet«. Dieser Dharma besteht also aus der Beendigung des Leidens und dem Weg, der dorthin führt. Der Dharma der Erkenntnis ist das, worum es wirklich geht – er bezieht sich darauf, dass unser Geist tatsächlich der Geist eines Buddha wird, indem wir durch Schriften, mündliche Unterweisungen, Video-Dharma oder nichtverbale Symbole unterrichtet werden. Daher ist der wichtigere Dharma der Dharma der Erkenntnis, er bedeutet, das Gleiche zu erfahren oder zu sein, was der Buddha erfahren hat.

Interessanterweise wird die Natur des Dharma-Rades der Schriften definiert als »der Geist eines Schülers, einer Schülerin, der entweder in der Form der Rede eines Buddha erscheint (deren Hauptthemen entweder die Ursachen, die Resultate oder die Natur des Nirvāṇa sind) oder eben jener Geist, der als die Ansammlungen von Namen, Worten und Buchstaben erscheint, welche als die Grundlage für eine solche Rede dienen«. Natürlich ist dies in hohem Maße eine Definition aus der Perspektive der Leerheit oder der relativen, subjektiven Natur aller Dinge. Sie besagt nämlich nicht, dass es irgendwelche realen materiellen Texte oder Lehren »da draußen« gibt, irgendwelche äußeren Buddhas, die uns lehren, oder irgendwelche materiellen Laute, die von außen an unser Ohr dringen. Wie alles andere auch findet die Lehrsituation im Grunde nirgendwo anders statt als in unserem eigenen Geist. Es ist unser eigener Geist, der die Form der Texte, Laute, Buddhas und ihrer Unterweisungen annimmt und uns als solche erscheint. Er tut das aber nicht einfach von selbst, sondern unter dem richtungsweisenden Einfluss des Weisheitsgeistes eines Buddha. Mit anderen Worten, in Abhängigkeit von der vorherrschenden Bedingung, nämlich der Weisheit eines Buddha, und der ursächlichen Bedingung, den relativ reinen Geistesströmen bestimmter anzuleitender Wesen, ist das Dharma-Rad der Schriften nichts weiter als genau der Geist dieser Wesen, der für sie in der Form von Worten und Buchstaben erscheint. Buddhas haben keine latenten Tendenzen, ihre Rede an irgendein imaginiertes Gegenüber zu richten. In ihnen gibt es auch keine Unwissenheit mehr darüber, äußere Laute nicht als inneren Geist zu erkennen. Somit ist solch ein Dharma-Rad letztendlich keine Unterweisung, die aus dem Wunsch eines Buddha, lehren zu wollen, resultiert.

Wenn ein Buddha lehrt, ist dies daher auf der grundlegendsten Ebene ein direkter Austausch von Geist zu Geist. Natürlich wirkt dies auf die meisten Menschen nicht so, weil es unseren gewöhnlichen Sinnen und unserem gedanklichen Geist nicht zugänglich ist. Gewöhnliche Wesen wie wir müssen sich immer auf irgendeine Art von Form, von Vorstellung oder von etwas, woran wir uns festhalten können, stützen. Wir können den Geist eines Buddha nicht direkt wahrnehmen, sonst wären wir ebenfalls ein Buddha. Daher brauchen wir eine Art Spiegel oder eine Art Kommunikation »auf Umwegen«. Wir könnten sagen, dass der Geist eines Buddha in unserem eigenen Geist gespiegelt wird, nicht direkt, sondern in Form von Texten, Unterweisungen, Lehrern usw. Das sind dann die Gegenmittel für unsere Probleme und ihre Ursachen, wie etwa unsere falschen Vorstellungen, unsere unklaren Emotionen und die aus ihnen folgenden ungeschickten Handlungen.

Diese Darstellung des Dharma-Rades der Schriften zeigt, warum es oft heißt, dass der Buddha aus seiner eigenen Perspektive niemals ein einziges Wort lehrte. Die Sūtren sprechen davon, dass der Buddha von dem Augenblick an, als er die Erleuchtung erlangte, bis zu dem Moment, als er in das Nirvāṇa einging, nicht ein einziges Wort sprach. Gleichzeitig sagen die Texte, dass dieses Nicht-Sprechen die Bedürfnisse aller Wesen in Form eines fortwährenden Dharma-Regens erfüllt. Denn der Geist des Buddha wird im Geist anderer Wesen reflektiert, und durch diese Interaktion ereignen sich bestimmte Dinge im Geist dieser Wesen, die ihnen als Texte, Unterweisungen oder verschiedene andere Dinge erscheinen können und die ihnen als Instruktionen über ihren eigenen Geist dienen. In Nāgārjunas Ratnāvalī heißt es:

So wie ein Grammatiker

Am Anfang das Alphabet lehrt,

Lehrt der Buddha den Dharma

Genau so, wie ihn die Anzuleitenden aufnehmen können.

Für manche lehrt er den Dharma,

Damit sie sich von Schlechtem fernhalten;

Für manche, damit sie Verdienst erlangen;

Für manche das, was auf Dualität basiert;

Für manche das, was auf Nichtdualität basiert;

Für manche das, was tiefgründig und erschreckend für die Ängstlichen ist;

Und für manche das Mittel für die Erleuchtung,

Das die Leerheit mit einem Herz aus Mitgefühl ist.3

In diesem Zitat können wir die gesamte Bandbreite der buddhistischen Lehren erkennen. Unterschiedlichen Wesen werden äußerst unterschiedliche Dinge gelehrt. Alle diese Unterweisungen sind wie Finger, die auf den Mond zeigen, aber manche Finger zeigen direkter auf ihn und andere weniger direkt, wobei die Art und Weise des Zeigens von den Fähigkeiten der jeweiligen Wesen abhängt.

Das Herzinfarkt-Sutra

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