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Die Beurteilung der Späten Republik in der modernen Geschichtsschreibung

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Beurteilungen und Darstellungen der späten Republik gehen in ihren Perspektiven und Wertungen weit auseinander. Es empfiehlt sich, hier wenigstens an die wichtigsten Positionen zu erinnern, um dem Gegenstand auch von dieser Seite her näherzukommen. Für Barthold Georg Niebuhr, der die Erforschung der Römischen Geschichte in der Neuzeit so entscheidend stimuliert hat, lag der Schwerpunkt seines Interesses auf der Ausbildung der frühen und klassischen Republik. Das 4. Jahrhundert v. Chr. und die Zeit des 1. Punischen Krieges waren für ihn gleichsam die heroischen Zeitalter der Republik, die folgende Entwicklungsphase in seiner Sicht lediglich „das Ende eines durchgeführten Lebens… von dem hannibalischen Kriege an treten nur noch Anstrengungen ein, um Krisen hervorzubringen, ein Jahrhundert nachher hört auch dieses auf“.

Ungeachtet dieses sehr distanzierten Verhältnisses, das auch für andere Gelehrte, welche die klassische Republik idealisierten, charakteristisch ist, war Niebuhr das Grundproblem der Geschichte der späten Republik durchaus bewußt: „Es ist eine der irrigsten Vorstellungen, daß man glaubt, eine Verfassung bleibe dieselbe wenn die äußeren Formen dieselben bleiben: wenn die Vertheilung des Eigenthums, die öffentliche Gesinnung, die Lebensweise sich ändern, so kann ohne Änderung der Formen die Verfassung ganz verschieden werden von dem was sie war, und dieselbe Form zu einer Zeit demokratisch, zu einer anderen aristokratisch sein. Diese innere Veränderung zeigt die neuere Geschichtsschreibung sehr wenig, sie ist aber gerade eines von den Dingen die man vorzugsweise in der Geschichte ergründen muß.“

Niebuhrs entschiedene Wertung hinderte ihn nicht daran, die Bedeutung jener Epochen, die ihm „als National- und politische Geschichte… traurig und unerfreulich“ erschienen, für die „Weltgeschichte“ durchaus anzuerkennen. Jene universalhistorische Konzeption, die später Ranke und Burckhardt vortrugen, war im Grunde schon bei Droysen vorgebildet, der das ganze Zeitalter des Hellenismus auf die Ausbildung des Christentums bezogen hatte und damit gerade die späthellenistische Zeit als die Phase der politischen und kulturellen Vorbereitung der Ausbreitung des Christentums in einen neuen Rang erhob. Denn in einer ähnlichen Weise wie hier wurde die Geschichte der späten Römischen Republik auch bei Ranke und Burckhardt vom vorgegebenen Ziel innerhalb eines universalhistorischen Rahmens bewertet. Zu den vier großen „Produktionen“ des Römischen Reiches zählte für Ranke nun einmal auch „die monarchische Verfassung“ Roms, eine neue Erhärtung des aristokratischen Stadtregiments war nach seinen welthistorischen Kriterien dagegen „unerwünscht“.

In die gleiche Richtung weisen die dezidierten Worte Jacob Burckhardts: „Es war ein Lebensinteresse der alten Welt, daß die infame Provinzialverwaltung des Senates aufhörte; es war ungleich wichtiger, daß der orbis terrarum nicht mehr von factiösen Intriganten ausgesogen wurde, als daß in Rom noch Republik gespielt werden konnte.“ Wer wie Burckhardt davon ausging, daß es Roms welthistorische Mission war, seine graecisierte Bildung den Völkern des Westens zu vermitteln und den großen Rahmen für die Ausbreitung des Christentums zu schaffen, zwang der historischen Entwicklung einen Fluchtpunkt auf, den die Handelnden selbst nicht ahnen konnten. Vor dieser Aporie steht freilich auch jede neuere universalhistorische Konzeption.

Das moderne Verständnis unserer Epoche wurde von Theodor Mommsen begründet, der den zweiten, 1855 erschienenen Band seiner ›Römischen Geschichte‹ unter das Signum der „Revolution“ gestellt hatte. Behandelte dieser Band die Ereignisse von der Schlacht bei Pydna (168 v. Chr.) bis zu Sullas Tod, so der folgende, in einer Apotheose Caesars gipfelnde, „die Begründung der Militärmonarchie“. In einem ganz neuen Stil war hier der historische Stoff mit geistigen wie mit politischen Energien aufgeladen und gleichsam dynamisiert, vor allem aber die große innere Krise, die nach Mommsen die römische Revolution eröffnete, konsequent „aus den ökonomischen und sozialen Verhältnissen“ abgeleitet. Mommsen brandmarkte dabei die Cliquenwirtschaft adliger „Nullitäten“ wie die Mißstände „einer noch unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen Demokratie“, er führte den „Konflikt von Arbeit und Kapital“ ebenso ins Bewußtsein wie „das Meer von Jammer und Elend“ bei den römischen Sklaven. Haßte er in Gaius Gracchus einen „politischen Brandstifter“ und den „größten der politischen Verbrecher“, so geriet sein Caesarbild zur idealistischen Konstruktion. Auch bei ihm verzerrte die überspannte Dimension einer ganz persönlichen Caesarvorstellung die Konturen und Proportionen der späten Republik.

Gegenüber den mit Leidenschaft und in glänzendem Stil geschriebenen Bänden setzten sich weder Kritik noch Ehrenrettungen durch. Mochte Carl Peter die machiavellistische Politik der Römer in der Zeit vom Ende des 2. Punischen Krieges bis zu den Gracchen aus humanistischer Sicht wesentlich schärfer geißeln als Mommsen, Wilhelm Ihne sich für Pompeius und Cicero engagieren, Mommsens faszinierende Gestaltung beherrschte das Geschichtsbild der folgenden Generationen.

Vielleicht war Mommsens Wirkung auch mit deshalb so groß, weil seine Auffassung innerhalb der von ihm konzipierten Gesamtdarstellung der „Römischen Geschichte“ vorgetragen worden war, einer Darstellung, welche dann freilich an einem neuralgischen Punkt — 46 v. Chr. — abbrach. Die folgenden monographisch gestalteten Werke konnten damit schon a limine nicht rivalisieren. C. J. Neumanns ›Geschichte Roms während des Verfalles der Republik‹ (Breslau 1881) ist ein aus Pietätsgründen herausgegebenes Vorlesungsmanuskript, das ungeachtet der gründlichen Anlage und einzelner treffender Beobachtungen ohne größere Resonanz bleiben mußte.

Das zu Beginn unseres Jahrhunderts weit verbreitete und in mehrere Sprachen übersetzte mehrbändige Werk von Guglielmo Ferrero ›Grandezza e decadenza di Roma› (5 Bde. 1902—1907; deutsche Übersetzung: ›Größe und Niedergang Roms‹. 6 Bde. 1908—1910) empfahl sich zwar durch eine flüssige und anregende Darstellung von großem Elan, aber die oft sehr subjektiven Wertungen trugen ihm das Verdikt des wissenschaftlich Unseriösen ein, so daß es seit langem aus dem Blickfeld verschwunden ist.

Ein wissenschaftlich wie literarisch gleich imponierendes Werk legte 1939 Ronald Syme unter dem Titel ›The Roman Revolution‹ vor. Gegenstand des Buches ist jedoch lediglich die Umwandlung der römischen Gesellschaft und des römischen Staates in der Zeit zwischen dem 1. Triumvirat Caesars, Crassus’ und Pompeius’ im Jahre 60 v. Chr. und dem Tode des Augustus (14 n. Chr.). Der Principat des Augustus, der hier sehr kritisch analysiert wurde, vor allem mit Hilfe der personengeschichtlichen Forschung, jener angewandten Prosopographie im Stile der „Namier-School“, wurde als Konsolidierung eines revolutionären Prozesses verstanden, in dessen Verlauf die Parteigänger Caesars ebenso eine Verschiebung der politischen Macht erzielt hatten wie eine Verlagerung von Besitz und Eigentum.

Auch für Alfred Heuß, dem unsere Generation eine moderne, große Gesamtdarstellung der Geschichte Roms verdankt, ist das römische Revolutionszeitalter der „fesselndste Abschnitt der gesamten römischen Geschichte“ gewesen, den er wiederholt und ausführlich beschrieb. Heuß hat diese Epoche in besonderer Schärfe als dialektischen Prozeß im Sinne Hegels verstanden zwischen den Vorstößen von Revolutionären, die ihre Funktion kaum kennen, und den Gegenschlägen der Konservativen. Er hat die einzelnen Phasen dieses Prozesses herauszuarbeiten gesucht und insbesondere den konsequenten Zug zur Militarisierung der Revolution, der dann zur Militärdiktatur führte, erfaßt. Obwohl Heuß den Vorrang der innenpolitischen Problematik unterstrich, hat er doch auch die weltgeschichtliche Dimension der Epoche gesehen.

Krise und Untergang der römischen Republik

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