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Setzen Sie sich aufs Kanapee

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Die Doktorin, Frau Amalie, saß in ihrer Stube, trank Kaffee und blätterte in einem Modeheft. Ihr Sinn stand nach einem neuen Sommerkleid. Sie konnte sich nicht recht entschließen und sann hin und her, bis Martin durch den langen Gang herantrampelte und an die Tür klopfte. „Herein.“

Einen kleinen Schritt macht Martin in die Stube, blinzelt ins Licht, seine Schildmütze in zitternden Händen drehend.

„Wo fehlt es dir, Martin?“ fragt die Doktorin, ohne den Kopf zu heben.

„Vor allem, gute Frau Doktor — fassen Sie sich!“

Jetzt schaut die Doktorin auf. „Was denn?“ fragt sie verwundert. „Ist der Doktor in der Stadt geblieben?“

„In der Stadt? Das will ich nicht behaupten. Nein, das glaube ich kaum.“

Die Doktorin faltet ihre Hände im Schoß. „Ist ihm etwas zugestoßen?“

Bekümmert läßt Martin den Kopf auf die Brust fallen. „Allerlei hat sich unterwegs ereignet. Vor allem setzen Sie sich dort aufs Kanapee, Frau Doktor. Wenn ich auch nur ein ungebildeter Mann bin, so weiß ich doch, daß man in solchen Fällen schonend vorgehen muß. Setzen Sie sich, sonst fallen Sie mir schon am Anfang um.“

Anstatt sich aufs Kanapee zu setzen, springt die Doktorin vom Stuhl auf, wirft das Modeblatt von sich und ruft: „Was ist geschehen? Was, um Gottes willen? Scheute vielleicht Hugo?“

„Hugo scheut nie. Doch zuerst setzen Sie sich.“

„Guter Martin!“ ruft die Doktorin. „Rede wie ein vernünftiger Mensch und sag mir mit einemmal, was es zu sagen gibt!“

„Mögen sie über mich lachen, die verfluchten Heiden und Sünder“, sagt Martin. „Ich sah es doch mit meinen beiden leiblichen Augen. Und daran glaube ich.“

„Was hast du gesehen?“ fragt die Doktorin ängstlich.

„Ihn selber, in eigener Person. Vor Ihren Ohren darf ich ihn nicht bei seinem rechten Namen nennen.“

„Was darfst du nicht — mein Gott!“

„Hörner hatte er, und seine Ohren waren spitz. Der freche Nachtwächter, der Jochen und des Ochsenwirts gottloser Seppel, das werden bestimmt die nächsten sein, die er holt.“

Nun wird die Doktorin zornig und erklärt: „Ein Dummkopf warst du seit jeher, Martin. Jetzt aber hast du offenbar den letzten Rest deines Verstandes verloren.“

„Wenn es sich nur darum handeln sollte, gute Frau Doktor! Habe ich Sie denn nicht gleich gebeten, sich dort aufs Kanapee zu setzen?“

Verzweifelt schüttelt die Doktorin ihren Kopf und überlegt. „Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du mit deinem Unsinn den Teufel?“

„Stimmt ganz genau. Und da haben also Sie selber den Namen ausgesprochen. Mir persönlich stieß er das Horn in die Seite, so daß ich vom Bock herunterfiel. Ihn aber holte er, nämlich aus dem Wagen heraus.“

„Mensch, Mann, Martin!“ schreit die Doktorin, die allmählich ihre Fassung verliert. „Du bist ja völlig verrückt. Komm endlich zu dir! Teufel gibt es schon lange nicht mehr.“

„Sagen Sie das nicht!“ ruft Martin dumpf. „So wahr ich hier vor Ihnen stehe, Frau Doktor, und ein getaufter Christ bin, ich habe alles gesehn … Nackt und bloß, wie er in diese Welt gesetzt worden, trug er ihn fort. Und seine Hörner blinkten im Laternenschein.“

„Trug ihn fort? Wen denn?“

„Ihn doch, unsern armen Herrn Doktor.“

„Blödsinn. Sag mir, wo du den Doktor verlassen hast! Wo ist er?“

„Er verließ mich! Und wo er ist? Nun, ganz Genaues weiß man in dieser Sache nicht“, meint Martin bedächtig. „Man kann sich jedoch schon vorstellen, wo sie hinkommen, die er eigenhändig abholt.“

Bei dieser Mitteilung verliert die Doktorin alle Geduld, packt den Kutscher am Rock und schüttelt ihn kräftig. „Da hört doch alles auf, Martin! Erzähl mir, was du weißt, und mach keine unnötigen Worte.“

Mit weinerlicher Stimme wehrt Martin sich: „Was kann denn ich dafür? Es kam zu plötzlich. Wie hätte ich ihm helfen können gegen solche Mächte? Jetzt liegt nur noch die äußere Hülle von ihm im Wagen.“

„Was? Die äußere Hülle?“ fragt die Doktorin entsetzt.

„Seine Kleider nämlich.“

Entschlossen läuft die Doktorin zur Tür. Martin folgt ihr. Sie gehen in den Schuppen. Die Doktorin reißt den Wagenschlag auf. Und da liegen also unverkennbar des Doktors Kleider. Amalie zieht sie heraus und entdeckt die Blutspuren. Da wird sie weich in den Knien. „Herr im Himmel!“ kreischt sie mit schriller Stimme. „Man hat ihn ermordet.“

Dem widerspricht Martin. „Ermordet, das will ich nicht gerade annehmen. Des Ochsenwirts Sepp behauptet sogar, es läge eine Pappschachtel mit Fleischeslust dabei.“

„Eine Pappschachtel?“

„Die stark nach Sünde duftet …“

In ihrer Angst schenkt die Doktorin Martins Andeutung keine Beachtung. Sie murmelt: „Das sind seine Kleider, das ist sein Blut.“

„Offen gestanden, von einem Mord habe ich nichts gemerkt“, erklärt Martin. „Es ging alles still zu. Ich merkte nämlich überhaupt nichts, bis er mir seine Hörner in die Seite stieß. Aber der Herr Doktor gab keinen Laut von sich.“

Nicht länger hört die Doktorin auf Martins Bericht. Sie läuft ins Haus zum Fernsprecher und ruft Doktor Stende an. Martin steht hinter ihr, kopfschüttelnd und verzweifelte Blicke in die Höhe richtend. „Niemand will mir glauben“, klagt er. „Aber wartet nur, ihr werdet noch an mich denken.“

„Ist mein Mann bei Ihnen?“ fragt die Doktorin mit schwingender Stimme. „Nein? Gott steh mir bei! Nein? Sie haben ihn überhaupt nicht gesehn? Es ist ihm etwas zugestoßen. Unser Kutscher kam eben mit dem leeren Wagen und seinen blutigen Kleidern zurück.“

„Nicht möglich“, antwortet eine tiefe, ruhige Stimme. „In unserer Gegend gibt es keine Verbrechen. Wer könnte Ihrem Mann etwas angetan haben?“

„Nein, ich weiß nicht. Der Kutscher hat dabei völlig den Verstand verloren. Er redet vom Teufel und von einer Pappschachtel. Er ist verrückt.“

„Der Martin? Oh, dieses Mondkalb! Viel Verstand war da weiß Gott nicht zu verlieren. Aber beruhigen Sie sich. Von Verbrechen kann ja gar keine Rede sein. Ihr Martin ist wohl betrunken. Was erzählt er?“

„Martin ist nüchtern. Aber er behauptet — hm — ja — der Teufel habe meinen Mann geholt.“

„Haha — großartig …“

„Lachen Sie nicht! Etwas ist an der Sache.“

„Gleich werde ich überall nachfragen. Und sowie ich etwas erfahre, rufe ich Sie an. Inzwischen machen Sie sich keine Sorgen. Lassen Sie sich nicht vom einfältigen Martin ins Bockshorn jagen. Wahrscheinlich ist es nur ein Maskenscherz.“

Noch einmal wendet sich die Doktorin an den Kutscher und bittet. „Bester Martin, versuch, ein wenig Ordnung zu schaffen in deinem Kopf.“

„Was dieses anbetrifft, so ist mein Kopf in bester …“

„Ja, ja — aber besinn dich genau auf alles, was du gesehn und gehört hast. Stieg unterwegs jemand in den Wagen ein?“

„Niemand stieg ein. Es war wohl einigermaßen Bewegung drinnen, nachdem ich ihm das Paket aus dem alten Waldhaus brachte.“

„Du brachtest ein Paket?“

„Leicht war es wie mit Federn gefüllt. Der Sepp aber meint, es sei Fleischeslust.“

Da horcht die Doktorin auf und fragt schnell:

„Hieß er dich das Paket holen?“

„Der Herr Doktor, ja. Und mehr weiß ich nicht.“

„Stand sein Name darauf?“

„Wie hätte ich das sehen können? Ich durfte die Laterne nicht mitnehmen. Am Boden lag es, im Winkel neben der Tür, genau wie der Herr Doktor es mir vorschrieb.“

Ja, da horcht die Doktorin auf. „Besinn dich, Martin! Besinn dich … Hast du vielleicht eine Frau gesehn?“

„Höchstens eine fremdländische Person, eine gelbe Dame.“

Oh, aber jetzt kommt ein neuer Ton in Amaliens Stimme. Jetzt werden ihre Augen scharf, und ihre Nase wird spitz. „Eine Dame? Ah — war sie jung? Wie sah sie aus? War sie hübsch?“

„Jung und hübsch, soweit ich es verstehen kann. Und gelb und schwarz war sie. Große Augen hatte sie. Mehr konnte ich nicht sehen, weil es schon zu dunkel war. Sie kam aus dem Schwanen und gab dem Herrn Doktor die Hand.“

„Und dann?“

„Dann fuhr ich weg. Aber sie gingen miteinander die Straße hinunter.“

„Und das war also das letzte, was du von meinem Mann gesehen hast?“

„Bewahre! Das mit der gelben Dame war doch schon gestern abend.“

Immerhin, es blieb eine große Neuigkeit. „Hörtest du, was sie miteinander sprachen?“

„Ich hörte nichts. Aber es war ein unheimliches ausländisches Frauenzimmer. So viel ist sicher.“

Ja, das war eine Neuigkeit, die verschlug. Die Doktorin meint jetzt, sie habe die Spur gefunden. Darum will sie nicht warten, bis Doktor Stende sich wieder meldet und viel kostbare Zeit verlorengeht. Als entschlossene Frau nimmt sie die Fäden in ihre Hand und ruft die Polizei des Städtchens an. Die Doktorin erzählt nun ihrerseits eine Geschichte, in der zwar weniger vom Teufel und mehr von der fremden Dame die Rede ist.

„Das will mir nicht recht in den Kopf“, erwidert der Wachtmeister.

Es sei allerdings richtig, daß ein paar Ausländer im Schwanen abstiegen, doch das schienen sehr reiche Leute zu sein von dort unten, Indien oder so. Was sie hier in diesem kleinen Städtchen wollen? Nein, darüber kann der Wachtmeister keine Auskunft geben. Jedoch aus welchen Gründen hätten sie den Doktor ermorden sollen? Nein, nein. Dem Wachtmeister will es durchaus nicht in den Kopf.

„Aber es ist Blut an seinen Kleidern!“ ruft die Doktorin.

„Trug er größere Geldbeträge mit sich?“ fragt der Wachtmeister.

„Kaum. Seine Taschen sind allerdings jetzt leer. Auch seine Golduhr fehlt.“

„So? Na, da müssen wir natürlich gleich alles untersuchen.“

„Ich fahre selber sofort in die Stadt“, erklärt Frau Amalie, die weder zum Wachtmeister noch zu Kollege Stende unbegrenztes Vertrauen hat.

Der Wachtmeister aber ruft: „Nein, nein, Frau Doktor! Machen Sie nur keine Dummheiten. Überlassen Sie das uns. Wir werden wieder alles in Ordnung bringen. Keine Angst. Ich werde mit dem Bürgermeister darüber sprechen; der ist jetzt im Schwanen. Verdächtige Ausländer? Sehr gut. Diese Vögel werden wir uns aus der Nähe betrachten. Wozu wären wir denn sonst da? Behalten Sie den Kutscher bei sich, damit er weitere Auskunft geben kann.“

Gelbe Dame oder roter Teufel — das ist nun die Frage.

Die Geisterkutsche. Heiterer Roman

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