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Der Führer

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Alle vier schlafen noch, als über dem fernen Gebirge die Sonne aufgeht. Es ist keine rote Kugel, sondern ein ungeheurer Knäuel wirbelnden Feuers, das da über die dunklen Felsengipfel emporschiesst und unerschöpfliche Glutmassen auf das längst ausgedörrte Land und das allzu blaue Meer schleudert.

Der Wind weht immer noch aus Norden. Wellen hüpfen, Wellen rauschen. Sie singen das ewige Lied, das voll Schönheit, aber ohne Erbarmen ist.

Zuerst erwacht Omar. Laut gähnend streckt er sich und wischt die letzten Fetzen des Schlafes aus den Augen.

Das Boot hat sich über Nacht von den andern Überresten des Dampfers entfernt und schwimmt jetzt in friedlicher Einsamkeit.

Omar schöpft mit der hohlen Hand Wasser aus dem Meer und verrichtet die morgendlichen Waschungen, wie sie der Koran vorschreibt. Dann legt er die Hände wie Fächer hinter die Ohren und betet. Voller Inbrunst ist sein Gebet, denn seine Sehnsucht nach der Heimat ist grösser denn je zuvor.

Vom Bug und vom Heck des Bootes betrachten drei Augenpaare den andächtigen Beter. In diesen Blicken ist teils Gleichgültigkeit, teils Spott.

Die drei Herren beugen nicht ihre Knie in Demut. Ihre Gesichter sind stolz. Unmöglich kann man sich die einfältige Andacht des Arabers darein denken. In den zerknitterten und noch feuchten Anzügen haben sie aber schon viel von ihrer äusseren Würde verloren. Eine einzige Nacht hat ihnen vieles von ihrer Vornehmheit genommen.

An Omar ist keinerlei Veränderung wahrzunehmen. Seine weiten dunklen Hosen und sein blauer Kittel sehen heute nicht schmutziger und elender aus als gestern. Und seinem gelben Gesicht merkt man nicht das geringste an, dass er in dieser Nacht nur wenige Stunden auf der schmalen Ruderbank geschlafen hat.

„Allah ist gross,“ murmelt Omar. „Alle Dinge sind ihm möglich. Wenn es sein Wille ist, wird er mich wieder zurückführen in meine Hütte ...“

Omar sitzt wieder auf seinem Platz und wartet auf Befehle, gehorsam und zuverlässig. Unbeholfen lächelnd schaut er von einem zum andern.

Wo Omar zu Hause sei, möchte Basil Nada wissen.

Omar, verwundert, in seiner eigenen Zunge angeredet zu werden, starrt den Kaufmann mit offenem Munde an. Dann glänzt sein Gesicht auf in kindischer Freude.

„O Efendim — Allah möge deinen Tag segnen! Das ist ein froher Morgen. O Freude, deine Stimme zu hören! Wo meine Hütte steht, willst du wissen, Vater der Güte? Sie steht drei Meilen hinter Damaskuscham. Bei El Veit teilt sich die Strasse ... eine Karawanserei liegt dort ...“

Omar hätte noch lange geredet und dem grossen Herrn von seiner Heimat erzählt. Denn seit Jahren ist dies nun die erste Gelegenheit, sich einem andern in seiner eigenen Sprache mitzuteilen. Jedoch der Kaufmann fährt wie ein Keil dazwischen.

„Bei El Veit ... Bruder Kohlenschaufler, dann sind wir also Landsleute. Hast du vielleicht den Namen Basil Nada in Damaskuscham nennen hören?“

Ob Omar diesen Namen gehört hat? Wer kennt diesen Namen nicht? Omars Freude ist grenzenlos. Er meint, Allah selber habe ihn geführt. Allah selber habe ihn zu diesem mächtigen Herrn geschickt, der in einer grossen Stadt durch seinen Reichtum und sein Glück bekannt war. Sicherlich wird der grosse Mann sich des armen Bruders erbarmen und ihm aus der Not helfen. Omar beginnt von seinen Fahrten zu erzählen, von seinem langen Leidenswege. Viel Unglück ist über ihn gegangen seit man ihn fortholte in den grossen Krieg. Beim Koran, selbst der fromme Beduine Eyub hat nicht mehr gelitten. Möge Allah die Franken und Ungläubigen ganz und gar verderben, denn sie sind die Ursache von allem Bösen.

Omar meint auch, dass es einem so grossen und reichen Manne wie Basil Nada, dessen Name jedermann in der Stadt mit Ehrfurcht ausspreche, niemals übel ergehen könne und dass alle Dinge sich nach seinen Wünschen biegen müssen.

Nordau fühlt sich dazu berufen, des Arabers Jubel ein wenig zu dämpfen.

„Du irrst, o Omar,“ sagt er nicht ohne Spott. „Dem Kawadscha geht es bei deinem Barte heute nicht viel besser als dir selber. Wir stecken nämlich alle in der gleichen Falle.“

Omsky hat sich zum Führer der Schar aufgeworfen. Aber er versteht von dieser Unterhaltung kein Wort. Das trennt ihn noch mehr von den andern und macht ihn misstrauisch gegen sie.

Nun ist das so, dass die Wünsche eines jeden hier im Boot eine andere Richtung haben. Omar will in seine Heimat zurück, da er die Tücken der Fremde erfahren. Nordau verlangt nach nichts anderem, als nach der Expedition nach Marib. Der Kaufmann möchte so schnell als möglich nach Persien kommen, wo ein gutes Geschäft seiner wartet. Omskys Ziel ist Java.

Omsky war Offizier und hat seine Heimat aus ganz bestimmten Gründen verlassen.

Nur in einem stimmen alle vier überein. Sie alle sehnen sich aus dem Boote fort.

Omsky öffnet mit dem Taschenmesser die Blechbüchse. Sie ist mit Schiffszwieback gefüllt. In den aufgefischten Flaschen sind Wein und Branntwein. Da kein anderer Proviant vorhanden ist, macht es Omsky nicht grosse Schwierigkeiten, die Rationen auszuteilen. Die Rationen sind nicht gross.

Man widerspricht Omsky nicht. Doch man dankt ihm auch nicht. Es wäre unrichtig, zu behaupten, dass in diesem Boote Freundschaft und Liebe herrsche.

Das Boot schaukelt auf dem indigoblauen Wasser. Es wiegt in sanftem Schaukeln vier unzufriedene Menschen, die in ganz natürlicher Weise nur an sich selber denken.

„Wir sind in der Nacht ein gutes Stück dem Lande zugetrieben,“ stellt Nordau fest. „Die Fahrstrasse der Dampfer liegt aber weiter draussen.“

Omsky gibt auf diese Bemerkung keine Antwort. Omsky weiss, dass schweigende Entschlossenheit wertvoller ist als eine lange Auseinandersetzung. Es scheint ihm nicht von Wichtigkeit, ob das Boot einige Meilen abgetrieben ist oder nicht. Er hat scharfe Augen. Er entdeckt über den dunklen Wogen ein dünnes Rauchfähnlein. Ach, es ist noch, wie der Schatten eines Hauches, mehr zu ahnen als zu sehen. Es birgt vielleicht die einzige Möglichkeit zur Rettung.

Bald bemerken auch die andern den Rauch, und es packt sie eine zitternde Erregung.

Je näher der Rauch kommt, desto aufgeregter werden ihre Stimmen, desto gespannter der Ausdruck ihrer Gesichter.

Zwei Stunden nähert sich die Hoffnung. Aus dem dünnen Rauchfaden wird ein schwarzer Riesenbaum, unter dem ein Schiff heranfährt. Masten, Schornstein, ein grauer Rumpf steigen allmählich aus der Flut.

Im Boot rudern sie. Sie geben ihre ganze Kraft her. Sie keuchen und der Schweiss tropft von ihnen. Ein jeder weiss, um was es hier geht.

Aber ihre Anstrengung gleicht dem Lauf eines Träumenden, der sich in Ängsten müht und doch nicht vom Fleck kommt. Nein, ihre Kräfte sind zu gering zu einem Wettlauf mit dem fremden Schiff.

Das Schiff fährt vorbei. Es ist nicht mehr fern, aber es fährt vorbei und beachtet nicht die winkenden Tücher und hört nicht die heulenden Notrufe.

Ein zweiter Dampfer kommt übers Meer herauf und ein dritter. Alle fahren vorüber und kümmern sich nicht um das Boot, das als kleines Pünktlein im flimmernden Wasser liegt.

Alle drei Dampfer kamen von Norden her. Die Hitze erfüllte sie und machte sie zur Hölle. Es fuhren darauf Menschen, die in schwerem Fieber gingen, die stumpf und gleichgültig waren und die das einsame Boot im Sonnenglaste nicht bemerkten und auch nicht bemerken wollten.

Die Sonne ging in steilem Bogen in die Höhe. Jetzt ist es Mittag, und der Schatten verkriecht sich ängstlich unter allen Dingen.

„Heiss ist es — beim Koran!“ stöhnt Omar und lässt das Ruder sinken. In seinen braunen Augen flackert Angst auf. Aber bald besinnt er sich auf die fremden Herren, die das Schicksal mit ihm zusammengebunden hat. Er ist es gewöhnt, geführt zu werden und andern zu vertrauen. Er weiss auch, dass die Franken und die Ungläubigen vielerlei vermögen. Ja, sie sind die reinen Teufelskerle.

Sowie Omsky bemerkt, dass auch der dritte Dampfer nicht den Kurs ändert und seiner Wege fährt, verliert er keine Minute zu unnützen Betrachtungen. Er bindet zwei Ruder zusammen, breitet das Tuch aus, dem der Forscher und der Kaufmann ihre Rettung verdanken. Er trennt die dünnen Taue los, schneidet und knüpft —

Omar hat bald begriffen, was hier geschehen soll. Omar fasst überall geschickt mit an und versteht auch ohne Worte die Wünsche dieses hellen Herrn, den er allein als Führer anerkennt.

Nordau und Basil Nada sitzen niedergedrückt von Enttäuschung und schauen ohne Anteilnahme auf die fleissigen Hände ihrer Kameraden.

Bald wird der Mast gesetzt, und das Segel blafft im Winde. Das ist freilich ein elendes Segel von abenteuerlicher Form. Doch der Wind verachtet es nicht und füllt es. Da bekommt das Boot auch schon Fahrt.

Omsky steuert mit einem Ruder. Er steuert der Küste zu.

„Wenn man jetzt ordentlich essen und trinken könnte,“ meint der Forscher, „dann wäre diese Fahrt zu ertragen.“

Auch der Händler wird dadurch ermutigt, dass hier etwas getan wird. Er betrachtet Omsky jetzt mit versöhnlicheren Blicken.

Omsky erklärt: „Vor allem handelt es sich darum, dass wir Trinkwasser bekommen. Mit dem Proviant werden wir lange aushalten.“

Zijas Perlen

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