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Seines Geschickes Lenkerin

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Omar schaufelt mit den Händen Sand aufs Feuer, um es auszulöschen. Er meint auf diese Weise den bösen Wüstengeist irrezuführen.

Als der Forscher zu Basil Nada kriecht, legt sich Omar wieder bescheiden auf seinen Platz ausserhalb des Zeltes und beobachtet Omsky, der lange steht und zu den Bergen hinüberschaut.

Es muss die dritte Stunde der Nacht sein, überlegt Omar. Da gehört die Wüste nicht mehr den Menschen. Möge Allah diesem Fremden guten Schlaf geben, dass er bis zum Morgen sein Vorhaben vergisst.

Die Nacht ist trotz der Winde heiss. Omsky streckt sich im Sande aus und schliesst die Augen. Aber ebensowenig, wie Omar durch das Erlöschen des Lagerfeuers die Geister bannen kann, vermag Omsky durch das Schliessen der Augen die Bilder seines Traums zu vertreiben. Sie kommen zu ihm und umflattern ihn.

... Felder, Dörfer, schneekalte Märzenluft — Herden grauer Buchenstämme, Tannen — Tannen. Auf gepflügten Äckern liegt nasser Schnee und punktiert die Furchen. Endlos dehnt sich das Land in sanften Hügeln. — Anny steuert.

Wenn freier Weg vor dem Wagen liegt, fährt sie toll. Er sitzt an ihrer Seite.

Er meint zuweilen ein Jauchzen zu hören im Lärm des Motors. Ihre Lippen sind leicht geöffnet. Es liegt ein merkwürdiges Lächeln darauf.

Anny hat graublondes Haar, ganz feines, wie Seide. Ein paar lose Löckchen flattern im Nacken.

Warum drückt Omsky denn die Lider zusammen?

Er kann diesen weissen Nacken, der kühl und blass wie Perlmutter schillert, nicht länger sehen, sonst muss er sich darüber beugen, ihn zu küssen.

Und es ist ihm ganz einerlei, dass der schwere Wagen mit Sechzigkilometerfahrt über die schmale und aufgeweichte Strasse rennt.

Überhaupt ist es fraglich, ob das noch eine Fahrt ist. Hängt man denn nicht in einer bebenden Schaukel? Und das Land mit seinen Wäldern und Wiesen und Dörfern fliesst in schnellem Wirbel unten vorbei. Fliesst wie ein gewaltiger Strom, den die märztollen Bäche in rasendem Taumel ins Meer jagen — in die Unendlichkeit.

Was ist das heute mit dem Mädchen? Sie hat noch kein Wort geredet. Hat ihm nicht einen Blick zugeworfen, einen dieser kalten, spöttischen Blicke. Warum, zum Teufel, wendet sie denn so viel Mühe und Grausamkeit daran, ihn zu demütigen? Jeder ihrer Atemzüge sagt es ihm doch, dass er nichts gilt, dass er gar nicht mitgezählt im Leben dieser jungen Dame. Gut, er hat sich damit abgefunden. Er wirft keinen Blick in diese Höhe.

Und doch ist das jetzt so, als ob Milliarden von Elektronen von Körper zu Körper fluteten. Herrgott, das alles ist dreimal verfluchter Wahnsinn.

Die Polster schaukeln. Eine schlammige Dorfstrasse hemmt die Fahrt. Wasser spritzt rauschend unter den Rädern. Eine Kirchenglocke läutet, und man merkt mit Verwunderung, dass es Abend wird. Bleich steht der Himmel über den Dächern.

Hinter dem Dorf eine lange Strasse — und dann wieder Wald. Und jetzt wird es Zeit umzukehren.

„Glauben Sie, dass wir auf diesem Seitenwege vorwärtskommen können?“

„Die Gegend ist mir fremd. Ich will aussteigen und es untersuchen.“

„Schliessen Sie die Tür.“

Der Weg führt drei- bis vierhundert Meter in den Wald hinein, macht ein paar sinnlose Krümmungen und verliert sich. Doch, zum Henker, da kommt ja die Limousine hinterhergefahren.

Er hebt die Hand. Der Weg ist unfahrbar.

Anny lacht. Und da ist es schon so dunkel, dass ihr Gesicht hinter der dicken Schutzscheibe nicht mehr zu erkennen ist. Nur das Lachen ist zu hören. Ein helles, klingendes Lachen, das Omsky, den Chauffeur, verwirrt.

Sie überlässt ihm den Platz am Lenkrad, und er fährt rückwärts. Er fährt kaum zehn Meter, und dann steht der Motor still. Bestürzt springt Omsky auf, den Schaden zu suchen. Den Schaden findet er bald. Der Benzinbehälter ist leer.

„Sie haben wohl vergessen nachzufüllen?“ sagt sie. „Und das ist jetzt eine feine Geschichte.“

„Gnädiges Fräulein, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,“ verplappert er sich im Eifer. Es ist doch schwer, seine Vergangenheit ganz zu überwinden.

„Ja — was macht man nun?“ fragt sie.

Unmöglich, ihr Gesicht zu sehen. Aber in ihrer Stimme schwingt heller Silberklang.

Er schlägt vor: „Ich kann zum nächsten Dorf laufen, Benzin holen, oder auf alle Fälle einen Wagen ...“

„Unsinn! Glauben Sie denn, dass ich eine Stunde oder länger allein hier im dunklen Walde bleibe?“

Das kann ihr wirklich nicht zugemutet werden. Es war ungeschickt, ihr mit diesem Vorschlage zu kommen.

Aber der zweite ist nicht viel besser.

„Gnädiges Fräulein könnten vielleicht mit mir gehen.“

Da hört man wieder das Lachen, das ihn in gleicher Weise demütigt und beglückt. Er wundert sich, dass er dieses Lachen noch nie hörte.

„Mit meinen dünnen Lackschuhen soll ich auf dieser schlechten Strasse den weiten Weg machen? Nach zweihundert Schritten müssten Sie mich tragen.“

Das hätte ihn sicherlich nicht erschreckt. Nein, dieser Gedanke brauchte ihr nicht schon wieder Anlass zur Heiterkeit zu geben.

„Wissen Sie keinen besseren Rat?“

Da sagt er und wird sich mit Verwunderung bewusst, dass er plötzlich seinen Hass vergessen hat: „Wenn ich nicht allein gehen soll und Sie mich nicht begleiten wollen, dann bleibt nur eins übrig ...“

Er wagt es nun doch nicht, den Satz zu vollenden.

Er steht vor der offenen Tür. Er steht, ihren Augen und ihrem Spott freigegeben.

„Nämlich?“ fragt sie hinterhältig zum Wagen hinaus.

„... dann muss ich hier bei Ihnen bleiben ...“

„Das wäre eine Lösung,“ meint sie.

Er fühlt ein warmes Knistern bis in die Fingerspitzen.

Zu allem Überflusse beginnt es nun zu schneien. Der Wald ist nur noch eine schwarze Wand. Die Tannenwipfel scheinen es eilig zu haben, die letzte Tageshelle vom Himmel fortzustossen.

„Worauf warten Sie? Es wird kalt, wenn die Tür noch lange offen steht.“

„Soll ich nicht die Notlaterne anstecken?“

„Damit uns möglicherweise Wegelagerer überfallen.“

Anny sitzt jetzt im hintern Teil des Wagens.

Er schliesst die Tür und steigt zum Führersitz.

Ja, diese Sache ist nun in der Tat ein wenig verwickelt. Da steht ringsum der grosse Wald. Das nächste Dorf mag eine Stunde fern liegen. Und Omsky sitzt da, und es ist Nacht. Und hinter ihm sitzt die junge Dame, aus der man nicht klug werden kann. Wie aber das mit dem Benzin gekommen ist, das kann er durchaus nicht verstehen. Dass er den Behälter vor der Abfahrt füllte, soviel ist sicher und gewiss. Nun hätte er grosse Luft, wieder auszusteigen, um die Sache gründlich zu untersuchen. Aber er wagt nicht, sich zu rühren.

So ist das hier. So steht es mit Omsky, der den grossen Krieg mitgemacht und sich stets zu helfen wusste.

Er hört hinter sich ihre Atemzüge.

Sie schläft, denkt er. Warum kann ihm das in irgendeiner Weise eine Enttäuschung sein?

Er beginnt, sich allerlei Fragen vorzulegen. Zum Beispiel möchte er gerne wissen, warum das Leben gerade ihn zu einem besonderen Ballspiel ausersehen hat.

Es war ein Augenblick in seinem Leben, der alles umstürzte und in Unordnung brachte. Das war in einer Strasse, als man ihm das goldene Portepee abriss und in den Schmutz stampfte. Er hatte es mit seinem Blute geheiligt. Das war der Anfang des Elends. Das hat sein Leben zerbrochen.

Aber dieses blonde Mädchen, das da in der Dunkelheit hinter ihm sitzt, das nimmt ihm nun auch noch das letzte, den kleinen Hochmut, hinter dem er sich verbergen möchte.

In müder Ironie denkt er an die frohen Abenteuer seiner Jugend. Und er denkt mit Hohn und doch zugleich mit einer Art Verzweiflung, dass die Zeit ihn stets im Stiche lasse.

Aus der Dunkelheit fragt es: „Schlafen Sie?“

„Nein.“

Und dann: „So sagen Sie endlich etwas. Man kann doch nicht so sitzen und schweigen.“

Ihm wird nun befohlen zu reden. Aber er schweigt.

„Man sagt, Sie seien Offizier gewesen — stimmt das?“

„Bitte, das gehört nicht mehr zu mir.“

Ihr Lachen erfüllt den kleinen Raum wie weiches Flötenspiel. Wenn er in diesem Augenblicke sein Gesicht hätte sehen können, wäre er sicherlich verwundert gewesen. Aber es ist kein Spiegel da und überdies rabenschwarze Finsternis.

„Was gehört eigentlich von Ihnen noch hieher?“

Versteht sie denn wirklich nicht, dass sie ihn mit dieser unangenehmen Frage kränken muss? Wie kann man so taktlos sein?

Nein, sie merkt nichts von allem. Und taktlos ist sie, ganz ohne Grenzen.

„Warum antworten Sie denn nicht?“

„Ich überlege mir Ihre Frage.“

„Ah!“

Das war ohne Zweifel ein Aufruf der Befriedigung. Und das verblüfft ihn, denn er hat erwartet, dass sie ihn nun wieder ihre Überlegenheit fühlen lässt.

Früher glaubte er die Frauen zu kennen — die Weiber — haha. Aber nun kommt er sich doch ordentlich verblödet vor. So steht es also um unsere Wissenschaft, mein Freund. Mit dreiundzwanzig bildet man sich ein, diese Wesen bis auf den hintersten Grund zu durchschauen, so wie man einen Schrank überblickt. Mit zweiunddreissig entdeckt man plötzlich rätselhafte Anzeichen und merkt alsgemach, dass das hübsche Schränklein mehrere Geheimfächer hat, die nicht ohne besonderen Schlüssel zu öffnen sind.

Er hört das scharfe Klappen ihres Täschchens. Papier raschelt.

„Mögen Sie Schokolade?“ fragt sie in ungewohnter Freundlichkeit. „Etwas anderes ist nicht da.“

„Für mich hat das nichts zu bedeuten. Ich bin auch gar nicht hungrig ...“

„Da! — Wo stecken Sie denn?“

Er streckt seine Hand vorsichtig in die Dunkelheit. Ist denn das ein Möbelwagen? Überall ist nur leerer Raum.

Plötzlich fühlt er etwas an seiner Wange. Er riecht mit dem Kakaoduft das Leder ihres Handschuhs.

„Verzeihung.“

„Wieso denn? Machen Sie einmal den Mund auf.“

Jetzt hat er das Stücklein Schokolade im Munde und auf der Zunge einen verdammt bitteren Geschmack.

Ach so — denkt er — zur Abwechslung spielt sie jetzt mit mir eine andere Rolle. Ich soll wohl nun zu einer Dummheit verlockt werden. Zuerst Zucker und dann die Ohrfeige. —

Er meint, dass ihm zu diesem Spiel jegliche Begabung fehle. Und überdies will er nicht.

„Ich bin ganz sicher,“ erklärt sie, und man hört es zwischen ihren Zähnen knacken, „ich bin ganz sicher, dass jetzt meine Mutter im Haus herumstürmt und in Angst um mich transpiriert.“

Er bestätigt: „Ihre Frau Mutter wird gewiss sehr unruhig werden.“

„Wie stellen Sie sich das nun vor — was kann man wohl unternehmen, uns zu suchen? Man hat natürlich zu Hause keine Ahnung, wohin ich gefahren bin.“

„In diesem Falle dürfte die Nachforschung recht schwierig werden, und es ist wenig Aussicht, dass man uns in der Nacht noch auffinden wird.“

„Das ist auch meine Meinung.“

Es scheint ihr sogar Spass zu machen, eine Nacht zu verschwinden.

„Wir sind bis morgen früh sozusagen allein auf der Welt. Später wird man darüber lachen — und es war ein hübsches Abenteuer.“

Omsky meint, dass einige Menschen ganz unverdientes Glück haben und viele ohne Grund vom Leben schlecht behandelt werden. Aber das ist nun auch wahr, dass für die nächsten Stunden dieses eigenwillige und trotz allem feine Mädchen dem unglücklichen Omsky näher sein wird als irgendeinem andern. Doch diese Betrachtungen führen auf Abwege.

„Wenn man nun zu Hause nicht wüsste, wie hochmütig ich bin“, sagt sie, „und was für ein gediegener junger Mann Sie sind, könnte man sogar auf den Gedanken kommen, Sie hätten mich entführt. Nicht wahr?“

Er meint, dass sei ein ziemlich billiger Witz. Diese junge Dame scheint ja allerhand Hintergründe zu haben.

Und die junge Dame? Ach, sie plappert nur drauflos und achtet nicht mehr sonderlich auf die Worte. Jawohl, ihre Gesprächigkeit und ihre gute Laune, das wird alsgemach verdächtig. Kommt das wohl daher, weil in ihrem Blut tausend Frühlingslieder singen?

Gewiss ist, dass eine Kraft sie treibt, eine Kraft, so urgewaltig und unbändig, wie die braunen Märzenwasser, die draussen über alle Hügel strömen.

Pause. Aber das ist keine Stille, die die Welt in Frieden hüllt. Nein, in diesem Wagen, der da einsam und lichtlos im finsteren Walde steht, brüten zwei Gewitter.

„Und morgen wollen Sie uns also verlassen?“

„Ja.“

„Haben Sie schon eine andere Stelle? Es soll doch schwer sein in diesen Zeiten.“

„Fürs erste werde ich zu einem Onkel aufs Land gehen.“

„Haben Sie denn noch Verwandte?“

„Ganz weitläufige.“

Nun ärgert er sich schon wieder. Was kümmert es sie, ob er Verwandte hat? Wozu nun diese Anteilnahme? Soll er vielleicht auch dafür sich erkenntlich zeigen?

Er kann dieser Unterhaltung nicht länger Geschmack abgewinnen.

„Sind Sie immer so schweigsam gewesen?“ fragt sie in unermüdlicher Bosheit weiter.

„Früher war alles anders,“ gesteht er mit einem Male treuherzig.

Und er sagt noch, obschon er sich im gleichen Augenblick über seine plumpe Offenheit greulich ärgert: „Das Unglück verblödet den Menschen.“

Nun gibt es eine lange Pause.

Man hört den Schnee an den Wagenfenstern knistern. Der Schnee streicht ganz sachte und weich über das Glas. Es ist der einzige Laut, der die Nacht erfüllt, der die Welt erfüllt.

„Ich will Ihnen jetzt etwas sagen.“

Er beugt sich gegen sie hin und lauscht, nicht nur mit seinen Ohren, denn in ihrer Stimme ist ein eigenes Schwingen. Seine ganze Seele steht in Erwartung.

„Ich bin zwar nur ein junges Mädchen und verstehe nicht viel vom Leben. Aber mir scheint, das grösste Unheil, das einen Menschen treffen kann, ist, wenn er sich selber wegwirft.“

Da er stumm bleibt, fügt sie noch hinzu: „Wenn man ein Stallknecht ist und sich damit zufrieden gibt, ein Stallknecht zu sein, wird man es immer bleiben.“

Wie lässt sich nun das wieder mit ihrem kecken Gerede von vorhin zusammenreimen? Will sie ihm wohl gute Lehren mitgeben auf die Reise? Dann verschwendet sie allerdings ihre Teilnahme an einen Unwürdigen.

Sie lässt ihm aber gar nicht Zeit, sich gründlich zu verdriessen. Nein, dieses temperamentvolle Fräulein hat schon wieder einen neuen Gesprächsstoff gefunden und lässt sich durch sein Schweigen durchaus nicht einschüchtern.

„Es wird hier allmählich kalt,“ sagt sie.

Sogleich steigert sie noch ihre Behauptung: „Ich beginne zu frieren.“

Er tastet nach der weichen Kamelhaardecke und streckt sie über die hohe Rücklehne. Sie wird von unsichtbaren Händen in Empfang genommen. Das Leder der Polster knirscht leise.

Nun meint er wirklich mit seinen Augen die Finsternis durchdringen zu können. Er meint zu sehen, wie sie ihre Glieder in die Decke schmiegt. Vielleicht ist es der kleine Seufzer, der ihm diese Vorstellung vermittelt.

Das Schneetreiben hat etwas nachgelassen. Man sieht durch die Fenster den Boden, der einen bläulichen Schimmer hat.

Wie ein Christabend ist das — fährt es ihm durch den Sinn. In seine zerrissene Seele, die in Finsternis und Kälte steht, fällt zitternder Lichtschimmer und fernes Glockengeläute.

Die Stimme aus dem dunklen Hintergrunde reisst ihn aus seiner kindischen Rührung.

„Sind noch mehr Decken da?“

Er wird dieses Gespräch nie vergessen können, denn es ist mit goldenen Worten in sein Gedächtnis gegraben. Es leuchtet in Flammenschrift auf einem nachtschwarzen Grunde.

Es sind keine Decken mehr da. Dieser Aufenthalt war bei der Abfahrt nicht vorgesehen.

Er könnte aber seinen Mantel anbieten.

Damit streckt er ihn auch schon hinüber.

Sie protestiert in grossem Eifer.

„Das nicht. Nein, auf keinen Fall werde ich das annehmen. Ich will nicht, dass Sie meinetwegen dort sitzen und frieren.“

Warum soll er denn nicht dasitzen und ihretwegen frieren dürfen? Das wäre noch lange nicht das Schlimmste. Zuweilen könnte er auch ein wenig draussen im Schnee marschieren. Das wärmt.

„Nehmen Sie ihn ruhig an. Ich bin gegen Kälte ziemlich unempfindlich.“

Sie bestätigt es.

„Das habe ich schon bemerkt. Aber trotzdem dürfen Sie nicht die ganze Nacht so dortsitzen, sonst werden Sie morgen krank sein. Und dann können Sie uns ja auch nicht verlassen.“

„Ich habe“, sagt er mit einer gewissen Feierlichkeit, „eine lange Winternacht bis zum Gürtel in einem überschwemmten Graben gestanden.“ Aber er schämt sich auch gleich seiner Wichtigkeit. Er fügt hinzu: „Das hat mir nicht einmal einen Schnupfen eingetragen.“

Der Mantel wurde aus seiner Hand genommen. Die Stimme sagt, und kein Zweifel, jetzt bebt sie merkbar: „Damals waren Sie im Krieg, und jetzt sind Sie im Frieden. Damals wurde Ihnen befohlen, im kalten Wasser zu stehen. Das ist heute nicht so. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass Sie zu mir herüberkommen sollten. Ich nehme Ihren Mantel nur unter der Bedingung an, dass Sie sich ebenfalls darunter wärmen.“

Ihm wird bei diesem Vorschlage etwas schwindlig. Ja, es ist ungefähr so, als höre er einen grossen Schwarm boshafter Fliegen um seinen Kopf summen. Ganz sicher, er hat ihre Worte nicht recht verstanden. Das — nein, das ist nun ganz und gar undenkbar und unsinnig und einfach unmöglich.

Er sitzt still und wartet.

„Sie sind ein eigensinniger Mensch und vollständig unbeweglich,“ sagt sie in schmollendem Schelten. „Als man Sie hiess, eine Nacht lang im eiskalten Wasser zu stehen, gehorchten Sie. Jetzt aber haben Sie nicht den Mut, zu mir zu kommen und sich zu wärmen.“

Er sagt: „Gnädiges Fräulein, mich friert durchaus nicht.“

Er denkt, dass sie mit ihm spiele, wie die Katze mit der Maus und dass sie grausam und ohne Gnade sei.

„Nun denn, in des Herrn Namen, so befehle ich Ihnen also, herüberzukommen und mich zu wärmen.“

Sie sagt auch noch, um die Sache richtig zu erklären: „Wenn wir beide uns mit Ihrem Mantel zudecken, werden wir uns gegenseitig wärmen — nicht wahr? Wenn ich aber die lange Nacht hier friere, werde ich ganz gewiss morgen todkrank sein. Denn ich bin nicht so unempfindlich gegen Kälte wie Sie.“

Keine Flucht ist möglich — noch viel weniger ein geordneter Rückzug.

Herrgott, das wird die Katastrophe.

Was vom Schicksal bestimmt ist zu geschehen, das geschieht, allem Menschenwillen zum Hohn.

Er sitzt ihr gegenüber. Er kann im schwachen Schneeschimmer ganz zerflossen das Helle ihres Gesichts erkennen. Das Summen in seinen Ohren wird stärker und stärker. Er wendet den Kopf zum Fenster. Ist denn der Himmel voll von riesengrossen roten Sternen?

„Wie können Sie mich denn wärmen, wenn Sie drei Schritte von mir entfernt sitzen? Kann man nicht die Sitzpolster ausziehen?“

Doch, man kann die Sitzpolster ausziehn. Aber die roten Riesensterne wirbeln jetzt durcheinander wie Raketen. Unter diesem himmlischen Feuerwerk muss man schwindlig werden.

„Meine Füsse sind schon zu Eis gefroren.“

In hilflosem, leisem Wimmern streckt sie ihm ihre Füsse hin.

Er streift die Lackschuhe davon und wärmt diese bebenden Füsse mit seinen Händen, wärmt sie mit seinem Atem, wärmt sie mit dem Hauch seines Mundes. Er streichelt sie mit zuckenden Fingern. Und auch sein Herz zuckt.

Und dann bricht sein Widerstand zusammen. Dann vergisst er seinen grossen Hass, dann senkt er ganz langsam seine Stirn gegen ihr Knie und murmelt in ohnmächtiger Verzweiflung: „Herr — Gott — das geht über meine Kraft ...“

Ein Sklave hat einmal eine Königin geliebt. Dafür musste er einen Giftbecher austrinken. In der Liebe ist jedes Weib eine Königin. Gut. Omsky ist bereit zu sterben.

Nun liegt er still und wartet auf die Ohrfeige.

Aber durch die Dunkelheit kommen zwei zaghafte Hände. Weiche, warme Hände. Sie tasten in mädchenhaft ungeschickter Weise über seinen Scheitel, über seinen Nacken, streicheln sein Gesicht, pressen seine Wangen. Alles geschieht rührend und hilflos und ohne Überlegung. Und alles ist einfältig und stark. Es ist Glaube und Ehrlichkeit.

„Endlich — endlich ...“

Ein schluchzendes Lachen ist das oder ein lachendes Schluchzen.

„Herr im Himmel — welche Mühe hat das gekostet!“

Während einer Stunde reden sie viele unsinnige Dinge und stammeln kluge Worte. Und beides ist lautere Glückseligkeit.

Anny sagt: „Das war eine Verzweiflungstat — doch ich fand keinen andern Weg. Ich konnte dich doch so nicht ziehen lassen. Du hast dich mit deinem Unglück umpanzert und es mir schwergemacht. Wie ein Igel zeigtest du von allen Seiten nur Stacheln. Aber ich wollte nicht aus Feigheit dich gehen lassen ... Natürlich ist das ein Skandal. Aber er war notwendig. Still — sage nichts ... Und morgen musst du fort. Du darfst keinen Tag länger in unserem Hause sein ...“

Allmählich taucht er wieder an der Oberfläche des Geschehens auf.

„Was heisst denn das alles?“ fragt er.

„Muss ich denn noch einen Schritt machen? Ich liebe dich und will dich heiraten ...“

So ist das. Unsere Grossmütter haben sich ihre Männer vielleicht noch in etwas anderer Weise geholt.

„Ich bin zum Soldaten erzogen,“ sagte er trübe. „Und diese Herrlichkeit ist vorbei ...“

Sie hört nicht auf ihn.

„Warum habe ich dich denn geplagt? Ich wollte doch nur, dass du dich dagegen auflehnen solltest. Du musst wieder an dich selber glauben. Dann wird alles gut.“

Sie beugt sich über seinen Kopf und flüstert: „Du bist noch immer krank am Kriege. Aber jetzt bin ich zu dir gekommen, dir zu helfen.“

Im Laufe der Nacht sagt Anny: „Du musst nach Java.“

„So?“

Jawohl, kluge Frauenliebe hat alles geordnet. Den Zufall und ferne Dinge hat sie sich dienstbar gemacht. Ist nicht der vertrauten Freundin eine grosse Erbschaft zugefallen, eine Pflanzung auf Java? Man braucht einen zuverlässigen Vertreter. Dazu hat man Omsky ausersehen.

Alles ist schon vorbereitet. Das Schiff geht in wenigen Tagen. Bald wird er in eine andere Welt kommen und vergessen lernen. Bis zum Herbst wird er wieder zurück sein.

Tief unten ist Omsky gewesen. Aber nun steigt er in steile Höhe. Er versteht, dass das nicht alles Spiel und Zufall gewesen.

Am Morgen untersucht er den Benzinbehälter, dessen Hahn offen steht.

„Alles musste mit Gewaltmitteln zum Abschluss gebracht werden,“ sagt Anny, „sonst wärst du mir im letzten Augenblicke doch noch entflohen, aus Hochmut und Eigensinn. Aber jetzt kannst du mich nicht sitzenlassen.“

Auf dem Rückweg fahren sie über eine Brücke. Weit unten braust der Fluss. Anny lenkt wieder den Wagen. Ihr Gesicht blüht, feucht schimmern ihre Augen.

Eine grosse Furcht flackert in Omsky auf. Irgendeine finstere Macht hebt seine Hand. Ein Griff ins Lenkrad würde ihn befreien von Leid und Freude und allem zusammen.

Sein Glück wird ihm plötzlich zur Bürde. Wenn man nun das Brückengeländer überrennen würde ...

In diesem Augenblicke berührt Annys Knie sein Knie. Es ist nur ein leiser Druck. Dadurch wird die natürliche Abwicklung der Geschehnisse gestört. Fremder Einfluss hemmt seine Hand ...

In jener Märzennacht begann sein Traum. Der Abschied, das Meer, die Reise, das liegt alles ausserhalb. Mit dem Schiffbruch ist er wieder erwacht. Jetzt durchbraust ihn der mächtige Strom des Lebens.

Im Felsental orgelt der Wüstenwind. Der Himmel ist hoch. Der Himmel ist voll von funkelndem Zauber.

So begann Omskys Reise. Sie wurde in fröhlicher Operettenmusik geboren. Das Leben kennt auch diese Töne.

Zijas Perlen

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