Читать книгу Der Krummbacher und der Katzengusti - Karl Friedrich Kurz - Страница 7

III

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In der Umgebung von Rosenach, Erlenheim und Krummbach und viel weiter noch war der Katzengusti eine gewissermassen berühmte Persönlichkeit. Jung und alt kannte ihn, sogar die Behörden, die im gewöhnlichen Leben sonst sehr zurückgezogen sind und sich um andere Leute nicht viel bekümmern, schenkten ihm bisweilen ihre Aufmerksamkeit. Woher sein sonderbar klingender Name kam, denn von seinen Eltern und vom Pfarrer hatte er gewiss einen andern erhalten, das wusste eigentlich niemand. Schon die ältesten Grossväter hatten ihn unter diesem Namen gekannt, die Jungen hatten ihn von ihnen übernommen, ohne dass sich je einer gefragt hätte, welche Bewandtnis es damit habe.

Vor vielen Jahren — so erzählten die Bauern — war er als blutjunger Bursch in die Gegend gekommen; und war schon damals der richtige Teufelskerl gewesen. Er konnte alles und wusste überal Bescheid. Er flocht neue Körbe und flickte die alten, schabte am Sonnabend den Bauern die Bärte, wenn eine Kuh in Geburtsnöten lag, holten sie ihn, und wenn eine der wenigen Uhren, die in Krummbach hingen, nicht mehr mit der Zeit gehen wollten, musste er auch da helfen. Er wurde der Gemeinde schliesslich für ihr irdisches Dasein ebenso unentbehrlich wie der Herr Pfarrer für das Heil ihrer Seelen.

Er verliebte sich nach einem Jahr oder so in des Hansjakobs „Kleine“, die mit ihrer Mutter in einem ärmlichen Häuschen gegenüber vom „Gesprungenen Krug“ wohnte. Weder die Mutter noch ihre sonstigen Verwandten sahen dies gerne. Der Katzengusti schien allen ein gar zu flücker Geselle. Doch wie sich dies gewöhnlich so begibt, entflammte der Widerstand nur noch mehr sein zartes Sehnen. Und als die Mutter eines Tages starb, führte er die zierliche Anne als seine Frau vor den Altar und bezog mit ihr das kleine Häuschen, das ihm als Mitgift zugefallen war.

In dem einzigen Zimmer, das schon vorher Wohnund Schlafzimmer an einem Stücke gewesen, richtete er sich obendrein noch eine Werkstatt her. Dort arbeitete er, fast ohne sich Ruhe zu gönnen, Tag und Nacht. Er hätte es sicherlich zu etwas gebracht, denn auch die kleine Anne war häuslich und brav und half ihm, wo immer sie konnte. Doch die rotwangige Frau hatte von ihrem frühverstorbenen Vater ein tückisches Lungenleiden ererbt, das im geheimen ihre Lebenskräfte aufzehrte, als sie in vollster Blüte schien.

Der Katzengusti arbeitete einmal auswärts, auf der „Stör“, wie die Bauern sagen, und als er nach Hause kam, fand er die Anne am Fussboden liegen, in einer roten Lache. Er trug sie sorgsam ins Bett. Sie atmete noch leise. Doch nach wenigen Stunden schon rieselte abermals Blut aus ihrem Mund. Der Katzengusti umfasste da sein Weib. Mit seinen Händen wollte er das Leben in ihrem jungen Körper zurückhalten. Aber als der Morgen graute, röchelte sie schwer und kannte ihn nicht mehr. Und als es vollends Tag wurde, lag sie wachsbleich auf ihrem Lager, ganz ruhig und still. Die kirschroten Wangen waren ihr noch geblieben. Mit weit offenen, entsetzten Augen starrte sie zur Decke empor. Der Katzengusti kniete vor ihrem Bett, den Kopf tief in die Kissen gedrückt, regungslos.

So fanden sie ihn am Abend.

Als sie ihn aufrüttelten, starrte er sie mit seltsamen Augen an. Sein Geist schien weitab zu sein. Er sprach kein Wort. Aber aus dem Zimmer war er nicht zu bringen.

Als sie die Anne auf dem Kirchhof versenkten, blieb er an ihrem Grabe sitzen; zwei volle Tage. Und da meinten sie, er sei „darüber hinausgekommen“ — um den Verstand nämlich. —

Doch dem war nicht so. Er war nur betäubt gewesen. Und als er wieder zu sich kam, war er ein anderer geworden. Was er an Hab und Gut in dem kleinen Häuschen hatte, das machte er zu Geld. Und trug alles, bis auf den letzten Batzen, in den „Gesprungenen Krug“ oder ins „Kreuz“ — in die „Krone“ ging er nicht, weil er den Wirt dort nicht leiden mochte. Er trieb’s bunt ein paar Wochen lang. Wenn er selbst nicht mehr trinken konnte, half ihm mancheiner gerne die Flasche leeren. So sah er denn gar bald seinem Beutel auf den Grund.

Doch nun fing er erst recht ein liederlich Leben an. Er rührte kaum mehr einen Finger zur rechtschaffenen Arbeit, sondern trieb sich als Nichtsnutz und Tunichtgut in der Gegend herum.

Die Jahre kamen und gingen. Den Gram um sein totes Weib schien der Katzengusti allmählich überwunden zu haben. Er wurde wieder der ausgelassene Bursche von ehemals. Nur wenn er lachte, zog sich sein Mund in weinerliche Falten, so dass es manchem ins Herz schnitt, wenn er ihn ansah.

Auch er war mit der Zeit alt geworden, doch steckte er immer noch voller Teufeleien, voller lustiger Streiche, von den fast stets zerrissenen Schuhsohlen bis zum ergrauten Haarschopf.

Ausgemergelt und klein ward er von Gestalt, gebückt, oder vielleicht auch nur geduckt wurde die Haltung seines eingetrockneten Körpers. Sein Gesicht hatte viel Ähnlichkeit mit altem, verwittertem Holz angenommen. Es lief darin von Runzeln und Gräblein um Augen und Mund, über die braune Stirn bis zu den struppigen Haaren hinauf. Wie eine schnurrige Geschichte sah sein Gesicht aus. Und daraus blickten zwei listig-verschlagene Äuglein, ein jedes für sich — eins schiele nach verborgenen Schätzen und das andere nach dem Landjäger, sagten die, die ihn kannten.

Doch eigentlich Böses hat der Katzengusti sein Lebtag nie getan, wenn auch für etliche seiner Leistungen ein Paragraph in der Gesetzgebung, die bekanntlich keinen Humor kennt, aufgezeichnet ist.

Hätten seine Richter ihm mehr in die Seele, als nur auf seine wenig vorteilhafte Oberfläche blicken können, so würden sie ihn für viel unschuldiger gehalten haben, als die verhaftungsgierigen Polizisten wollten glauben machen. Und sie hätten ihm die goldene Freiheit dann sicherlich weniger oft entzogen.

Das kleine Häuschen gegenüber vom „Gesprungenen Krug“ hatte er all die Jahre hindurch behalten, wie oft auch die bittere Not an ihn gekommen. Es war längst keine Scheibe mehr in dem eingefallenen Kreuzstock, und die Tür hing kläglich schief in ihren Angeln. Ein Strohsack, der an der Stelle lag, wo früher das Bett gestanden, war das einzige Mobiliar. Rings um ihn herum standen nackte Mauern, welche ein grünlich-weisser Schimmel überzogen hatte.

Uber stets, wenn ihn sein Weg durchs Dorf brachte, blieb der Katzengusti dort über Nacht. Und die Nachbarn wollten gehört haben, dass er dann stundenlang laut mit sich selber sprach. Dummes, verworrenes Zeug freilich, das kein vernünftiger Mensch verstehen konnte.

In der Zeit, als die von Krummbach den Brunnen zu graben beschlossen, war er krank gewesen. Fast ein Jahr lang lag er in Lauental im Kantonspital.

Da hatte er so von ungefähr erfahren, welch grosse Dinge sich dort oben, in dem entlegenen Bergdörflein, vorbereiteten. Auch dass sie schon begonnen hatten sein Häuslein abzubrechen, war ihm zu Ohren gekommen. Und kaum dass er wieder gehörig auf den Beinen war, verliess er das Spital und machte sich auf den Weg, um nach seinem einzigen Eigentum zu sehen.

Es war an einem blauen, warmen Maitage, als er gemächlich fürbass auf der staubigen Landstrasse Pappeln zuschritt.

Er kam sich an diesem Tage recht wohlhabend vor, denn in seiner Tasche klimperte es bei jedem Schritt von allerlei grösseren und kleineren Silbermünzen, welche er sich die letzten Wochen über durch leichtere Arbeiten verdiente. Ein junger Assistenzarzt hatte ganz besonders Gefallen an ihm gefunden und beschenkte ihn, als er entlassen wurde, mit einer abgetragenen Kleidung und ein Paar neuen Schuhen — wohl die einzig neuen waren es, die seit langen Jahren mit seinen vielgewanderten Füssen in nähere Beziehung traten. So hatte er mit dem, wenn auch etwas abgetragenen Schimmer eines vornehmen Herrn dem Städtchen den Rücken gekehrt, und trollte sich wohlgemut den wieder grün gewordenen Bergen zu.

Doch schon in Pappeln erregte der verfrühte Sommervogel die Neugierde des Landjägers. Der sass nämlich gerade bei einem Schoppen in der Wirtschaft, als der Katzengusti am Fenster vorbeistolzierte. Beide kannten sich von früher, darum fiel dem Landjäger das noble Aussehen des Gusti auf. So ging es denn auch nicht lange, bis er den Kriegspfad gegen den ahnungslosen Wanderer betrat und ihn beim Kragen erwischte, noch bevor die nächste Strassenecke zwischen ihnen lag.

„Hedo, Gusti!“ säuselte er ihn an, „woher kommst denn du so nobel als wie ein Beslarherr? Wo hast du den schönen Kittel abgehängt, hä?“

Der Katzengusti verlor seine würdige Haltung keine Sekunde. Er sagte mit gerechter Entrüstung:

,,Was?! Der Kittel, wo ich den abgehängt? Sicher nit von deinem Haken. Lass mich nur gehn. Du wirst mir ihn doch nit nehmen wollen — oder? Wenn er dir so gut gefällt — so kannst mir ihn ja abkaufen.“

Diese nicht gerade bescheidene Sprache ärgerte den Landjäger mehr, als sich sagen lässt. Erstens, weil ihn der Katzengusti wie seinesgleichen duzte, zweitens aber, weil er sehr wohl fühlte, dass er der schlagfertigen Zunge des geriebenen Burschen bei weitem nicht gewachsen war. Es erfüllte ihn deshalb mit einiger Befriedigung, dass er als Arm des Gesetzes die Macht über den Katzengusti hatte. Und da es ihm durch sein Auftreten nicht möglich war, wollte er diesem wenigstens so seine Überlegenheit zeigen.

,,Horch, Gusti!“ sagte er darum. „Das mit dem Kittel gefällt mir gar nit. Den musst du gewiss gestohlen haben. Darum wird’s wohl ’s beste sein, du kommst einmal mit mir.“

,,Gottverdoria!“ fluchte da der Katzengusti, der sich nach dem langen Winter schon auf die frische Waldluft gefreut hatte. „Dich soll doch der Teufel holen, Hertmann. Kannst du mich denn nit laufen lassen? Das Gewändlein, das ich auf dem Leib hab’, das haben sie mir zu Lauental geschenkt — wenn du es nit glauben willst, so kannst ja hingehn und fragen.“

Nach einer Weile setzte er eindringlich hinzu:

„Ich muss nach Krummbach hinauf, weisst du, sie wollen mir mein Häuslein abreissen.“

Nun strich sich der tapfere Landjäger Hertmann mit der flachen Hand den Waffenrock über dem schon ziemlich umfangreichen Bäuchlein glatt, knöpfte ihn über der Brust ein wenig auf, griff hinein, ohne etwas anderes zu tun, als wieder zuzuknöpfen. Sein Gesicht, das bis dahin in einem fetten Glanze eine falsche Freundlichkeit ausstrahlte, veränderte sich allmählich zu einer harten, strengen Miene.

Mit rauher Stimme sagte er:

„Jetzt mach’ ich keine langen Faxen mehr mit dir. Rechtsum, allehopp, mit kommst!“

Und wieder zurück musste der Katzengusti, denselben Weg, den er gekommen. Als sie beim Wirtshaus vorbeikamen, ging der Landjäger hinein, um seinen Schoppen, den er vorhin eben erst angefangen hatte, noch schnell auszutrinken, dieweil sein Arrestant draussen warten musste.

Dann wanderten die beiden auf der staubigen Landstrasse miteinander Lauental zu.

Die blankgeputzte Frühjahrssonne war unterdessen am blauen Himmel höher und höher gestiegen und erwärmte mit ihrem Freudenscheine die Berge und Täler. Auch die Tierlein und Menschlein lachte die runde Alte aufs freundlichste an.

Der Katzengusti freute sich nicht wenig darüber. Ihm fuhr’s in die Beine, wie einem Hasen, wenn er die freie Waldluft wittert, es zuckte ihm in jedem Nerv. Wahrhaftig, er musste an sich halten, um nicht mit einem Jauchzer auf und davon zu rennen. Mit doppelter Bekümmerung dachte er an die bevorstehende Untersuchungshaft. Ob sie ihn freisprechen würden, so fragte er sich im stillen. Nicht, dass er sich in diesem Augenblicke gerade einer Schuld bewusst war; aber darauf, so meinte er, komme es bei ihm nicht an. Er wusste schon, wie das ging. Sie klagten ihn einfach an, dann hatte er seine Unschuld zu beweisen, und das war nicht leicht, wenn’s die Richter nicht glauben wollten.

Er liess daher traurig und missmutig den Kopf hängen und dachte nebenbei auch darüber nach, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, diesen verhassten Aufenthalt in vier engen Mauern zu umgehen.

Gerade wie der Katzengusti, so fühlte auch der Landjäger die Wärme des Lenzes auf seinem Fell; doch mit dem Unterschiede, dass er darob nicht sehr erbaut war. Wenn in des Gusti Beine unwillkürlich die Lust fuhr, zu laufen, weit, weit über alle Höhen, so hängte sich der Frühling an die Sohlen des Landjägers gleich schweren Bleigewichtern. Auf seiner niedern Stirn erschienen klare, grosse Tropfen, die in glatten Bächlein langsam die vollen Wangen hinunterliefen. Er bereute es schon im stillen, den Gusti aufgegriffen zu haben; aber dann dachte er wieder an die nahe Beförderung, und das erfüllte sein Herz aufs neue mit Diensteifer und Freude.

Doch wenn er auch der Wärme widerstehen konnte, so machte sich, zu seinem Leidwesen, in seiner Kehle bald ein stechender, kratzender Durst bemerkbar. Sein Hals schien ihm zum Schlusse so ausgetrocknet und staubig wie die Landstrasse, auf welcher er schritt. Und zuweilen entfuhr ihm ein gequälter Seufzer.

Obschon der Katzengusti keine schadenfrohe Natur war, erfüllten ihn die Seufzer und der Schweiss des Landjägers doch mit Wonne.

Im Weiterschreiten bemerkte er ganz zufällig, dass am Wegrain, zwischen den Büschen, schon die ersten Erdbeeren reiften. Mit einer Gelenkigkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte, bückte er sich, ohne hinter dem Landjäger zurückzubleiben, und pflückte die köstlichen Früchte.

Der Landjäger sah ihm ein paarmal mit blöden Augen zu — die Hisse machte ihn sichtlich dümmer —, dann aber tat er es seinem Arrestanten gleich und bückte sich ebenfalls. Und als er erst merkte, dass die kleinen Beeren so herrlich schmeckten, da schenkte er ihnen mit einem Male mehr Aufmerksamkeit als seinem Gefangenen, und wichtiger schienen sie ihm in diesem Augenblicke noch als die künftigen Wachtmeisterschnüre am Ärmel.

Die beiden botanisierten eine gute Weile in den Hecken am Wegrande herum. Doch da erwachte im Katzengusti ein Gedanke. Gleich einer Erleuchtung stieg es in ihm auf.

Er fing an, anstatt der Beeren kleine Kieselsteine zu sammeln und dieselben auf heimliche Weise in die etwas abstehenden Rohre der Kanonenstiefel des Landjägers niederrutschen zu lassen.

Die Folgen dieser Handlung fühlte der Hertmann bald an seinen Füssen, jedoch ohne dass er genau ihre Ursache erkannte. Er ging zu einem Kirschbaum hin und bearbeitete dessen Stamm mit wohlgezielten Fusstritten, in dem instinktiven Triebe wohl, die kleinen Quälgeister von seinen Sohlen zu entfernen. Doch zu seinem Erstaunen und Verdruss entsprach die Wirkung keineswegs seinen Wünschen. Die kleinen Ärgernisse, welche er vorher an den Fersen fühlte, waren nun nach vorn zu den Zehen geflogen; und dazu folgten von oben mehr neue nach, so dass ihm nach der Prozedur gar nicht wohler wurde.

Mit Recht sagte er darum zu sich selber:

„So geht’s nit,“ damit hockte er sich unter Stöhnen und grimmigem Fluchen an den Strassenrand. Die Kanonenstiefel wollte er sich ausziehen; aber das war so einfach nicht. Er konnte sich gar nicht so ohne weiteres über sein ehrenwertes Bäuchlein bücken. Bei aller Mühe, die er sich gab, gelang es ihm nur bis zu den Schuhspitqen zu greifen, weiter wollte es einfach nicht langen; an das Ziehen am Absatz war gar nicht zu denken. Und er sah recht hilflos drein.

Der Katzengusti schaute mit stillem Entzücken den Mühen und Nöten des Landjägers zu; aber er sprach kein Wort. Er stand nur da und schaute.

Doch da hielt’s der Hertmann nicht mehr aus. Mit zorngeschwollener Stimme schrie er:

„Da stehst jetzt und gaffst, als ob du nit Gescheiteres zu tun wüsstest, du Lappi! Komm einmal hieher und zieh mir die Stiefel aus.“

Und als der Gusti sich’s noch eine Weile überlegte, fügte er noch grimmiger hinzu:

„Uber gleich kommst her, verstehst mich! Du nichtsnutziger Strolch, dass du bist.“

Diese liebenswürdige Aufforderung machte endlich dem Katzengusti Gelenke. Er trat zum Hertmann hin und packte den Stiefel am Bein, das ihm dieser schon von weitem entgegenstreckte, mit der Rechten am Absatz, mit der Linken an der Spisse, und entfernte ihn mit Ziehen und Zerren von dem geplagten Fusse. So heftig zog er, dass es ihn, als der Stiefel endlich frei war, bis auf die andere Seite der Strasse schlug, wo er hinfiel und den Kanonenstiefel ein Stück weit von sich warf.

Der Landjäger lachte:

,,Du Löli, du einfältiger! Gelt, jetzt hast gemerkt, was für eine Kraft in meinen Beinen ist. Komm nur gleich wieder her und zieh mir den andern auch noch ab.“

Und der Gusti kam und zog ihm auch den zweiten Stiefel ab.

Doch merkwürdig war’s, diesmal fiel er nicht hin wie das erstemal, sondern drehte sich geschmeidig wie eine Kasse um, sprang mit ein paar langen Sätzen zum ersten Stiefel hin, der auf der Strasse lag, und als das Paar wieder vereint in seinen Händen war, schwang er sie mit einem Triumphgeheul über seinem Haupt und lief, was die Beine konnten, durch die Matten den Bergen zu.

Der Landjäger Michael Alois Hertmann aber hockte am Strassenbord und starrte dem Davoneilenden fassungslos nach. Weit offen stand sein Mund, und gross und rund wie Pflugsrädlein waren seine Augen. Er hockte da wie die verkörperte Verblüffung und schnaufte wie ein wütiger Stier.

Als der Katzengusti den Waldrand erreicht hatte, hielt er in seinem Lauf inne. Er stand hinter dem Stamm einer weissschimmernden Buche und pfiff durch die Finger, dass es gell und langgezogen durch den schweigenden Forst hallte.

Dann schrie er, was ihm zur Kehle hinaus mochte:

„He dort, Hertmann! Lebst denn noch? Geh du jetzt nur allein nach Lauental und untersuch’, wem der Kittel gehört hat. Ich möcht’ lieber da oben ein wenig spazieren gehn.“

Da steigerte sich des Landjägers Wut zur Raserei. Er riss seinen schweren Ordonnanzrevolver aus dem Futteral und brüllte:

„Du Hallunk, du verfluchter! Willst sofort hieher kommen, oder ich jag’ dir bei Gott eine Kugel durch den Leib!“

Der Katzengusti hinter der Buche hervor aber höhnte:

„Nein — nein, Hertmann, aus selbem wird heut nit! Wenn du mich wieder siehst, dann magst mich packen; aber heut wird nit aus selbem. Lauf’ nit so schnell nach Haus; die Steinchen drücken dich ja jetzt nicht mehr in den Stiefeln. Komm’ gut heim und grüss’ mir deine Alte!“

Damit verschwand er im Dunkel der Bäume.

Der Landjäger aber schnellte nun mit einem jachen Ruck auf die Füsse und kugelte wie ein Ei über die Gräser und Blumen, der Stelle zu, wo der Katzengusti verschwunden war. Mit unglaublicher Schnelligkeit sauste er über die Wiesen. Doch als er in den Wald kam, änderte sich die Sache mit einem Schlage. Er machte noch ein paar hastige Sprünge, fiel dann kläglich stöhnend um und besah sich — nicht ohne Anstrengung — seine Fusssohlen, denen das stachlige Gestrüpp etliche Risse und Schrammen beigebracht hatte. Soweit ging sein Diensteifer, — aber nicht weiter.

Den Revolver hatte er immer in der Hand behalten. Sinnlos vor Schmerz und gerechter Entrüstung feuerte er mehrmals nach der Richtung hin, in welcher er den Katzengusti zu hören glaubte. Mit dieser Schiesserei verwundete er ein paar junge Ahörnlein lebensgefährlich, schoss sogar einer kleinen Tanne den Kopf ab — sonst aber kam dabei niemand zu Schaden.

Der Knall zog sich anhaltend und dumpf unter den Bäumen hin und ward von den fernen Bergwänden wieder zurückgeworfen, gleich einer unsichtbaren klingenden Welle, die sich an verborgenen Felsen bricht. Als der Wald sich wieder allmählich beruhigte, da war dem Landjäger Hertmann, als höre er, wie ein Echo, von weither ein lustiges, frohes Lachen. Er wusste nicht, was weiter zu tun war.

Deshalb legte er sich platt auf seinen fetten Rücken und blickte mit seinen erzürnten Augen zu den junggrünen Blättern empor. Über deren zarte Ränder schaute der milde heitere Himmel voller Güte, voller Versöhnung hernieder. Doch bis zu des Polizeimanns Herzen konnten diese lichten Sendboten nicht vordringen. Er biss voll stummer, ohnmächtiger Wut die Zähne aufeinander und schmiedete mit dem Hammer der Anklage auf dem Amboss des Gesetzes eine finstere Rache.

Nach einer Weile nahm er sein Dienstbuch aus der Tasche und schrieb, ohne aufzustehen, ein umfangreiches Protokoll hinein. Alles über den Katzengusti; dessen verbrecherische Handlungen er wohlgeordnet ins rechte Licht setzte. Mit stiller Genugtuung rechnete er sich dann sogleich aus, wieviel das für den Gusti absetzen könnte — wenn sie ihn dann wieder hätten.

Doch vorläufig hatten sie ihn nicht, den Katzengusti.

Der erfreute sich nun doppelt der goldenen, sonnigen Frühlingsluft. Sie schien ihm nur um so köstlicher, weil er sie sozusagen auf einem kleinen Umwege erlangen musste.

Mit Wegen und Stegen wohlvertraut, schritt er nun gemächlich den Höhen zu.

Die neuerworbenen Kanonenstiefel hatte er mit einer Schnur zusammengebunden und über die Schulter gehängt, so dass einer vorn auf der Brust, der andere hinten auf dem Rücken zu ruhen kam. Im Gehen murmelte er manchmal etwas vor sich hin, manchmal lachte er leise auf, und zuweilen pfiff er auch ein kleines, wildes Liedchen.

Nicht ein einzig Mal blieb er stehen, um zu horchen. Er wusste wohl, dass ihm in diesem Augenblicke von keiner Seite Gefahr drohte. Heute nicht — und was scherte er sich um alles morgen!

Er war ein Philosoph und Naturschwärmer, der Katzengusti — auf seine Art natürlich. Mit stoischer Seelengrösse ertrug er die häufigen Ärgernisse, welche ihm die Mitmenschen durch ihre kleinlichen Gesetze verursachten. Auch wenn sie ihm ab und zu einen längeren oder kürzeren Aufenthalt in der engen Zelle verordneten, grollte er ihnen darob nicht allzusehr. Sie verstanden es eben nicht besser, so dachte er, und suchte aus der neugeschaffenen Lage so viel Gutes als möglich herauszuschlagen. Und mit Witz und Humor tat er das. Mancher seiner Wächter und Verurteiler, ob sie sich auch sonnenhoch über ihm wähnten, beneideten ihn im stillen um diese köstlichen Gaben. Und mancheiner hätte dies wohl auch offen eingestanden, wenn seine Stellung ihm nicht verboten hätte, es laut werden zu lassen. Gleichmütig und heiter betrat er stets den Gerichtssaal, und verliess ihn ebenso nach dem Urteilsspruch, der in den meisten Fällen nicht gerade günstig für ihn war.

Mit einer Art Hochmut sah er, der Lump, auf alle die wichtigen Herren, denn sie konnten ihm ja trotz allem nichts anhaben. Ob sie ihn einmal mehr oder weniger einsperrten, was tat das schliesslich ihm? Sie nahmen ihm ja so nur die Sorge ab, für sich selbst einige Zeit Rost und Logis zu beschaffen. Und das war bei den schlechten Zeiten immer noch eine gewisse Erleichterung.

Aber an diesem Tage freute es ihn dennoch, frei und ledig durch die Wälder zu streichen. Der lange Aufenthalt in den Krankenzimmern hatte ihn für des Frühlings Erwachen recht empfänglich gemacht.

Wenn er nicht gerade vor sich hin pfiff, lachte oder murmelte, dann lauschte er gespannt auf das Jubilieren der kleinen Vögelchen, die sich gebärdeten, als wären sie rein verrückt geworden vor lauter Glückseligkeit. Und da er, wie gesagt, für der Natur Schönheiten nicht unempfindlich war, so kam auch in seine Landstreicherseele ein eigen Wohlbefinden, wie schon lange nicht mehr.

Als er auf eine Lichtung kam, musste er doch stillestehen.

Die Sonne war auf ihrer Reise etwas tiefer am Abendhimmel angelangt und legte hinter die Bäume lange, violette Schatten. Kleine Mücken summten durch diese weichen Schatten, und ein paar Spinnen woben schimmernde, zarte Fäden darein, die so köstlich aussahen, als sollten es Gewänder für Königinnen werden. Über das letztjährige, dürre Riedgras waren schon die jungen grünen Halme hoch emporgeschossen und guckten mit ihren schwarzen Köpfchen neugierig um sich. Sie schienen es gar nicht begreifen zu können, dass nun der lange, bange Winter vorbei und der letzte Schnee auf den Nordhängen des Riesensteins und der Wasserfalle geschmolzen sei. Und über den leise flüsternden Wipfeln der Bäume spielten zwei gelbe Schmetterlinge miteinander, sorglos, frei und heiter.

Da setzte sich der Katzengusti an den Fuss einer Eiche und lehnte sich mit dem Rücken an deren Stamm. Weiches, dunkelgrünes Moos war ihm ein schwellend Lager und zwei emporstehende Wurzeln bequeme Armlehnen. So sass er behaglich wie ein König auf seinem Thron; behaglicher noch, denn ihm bangte weder vor dem Dolche eines blutdürstigen Anarchisten noch vor andern Regierungsnöten. Er sass und freute sich und machte sich keinerlei Grillen.

Und als nach einiger Zeit die letzten Schatten über die höchsten Wipfel geflattert waren und vom Tal herauf ein feiner grauer Nebel durch die Stämme schlich, da stand er auf, ging in den Wald hinein und sammelte einen Armvoll dürres Reisig. Damit machte er sich kundig und schnell ein kleines Feuer an. An der schmalen roten Zunge briet er sich eine Wurst, die er in einer seiner Taschen fand, und gedachte, währenddem die Haut an dem leckeren Bissen sich straffte, mit einer gewissen Dankbarkeit der Oberschwester im Spital, welche in mütterlicher Sorge ihm diese Wegzehrung auf die Wanderschaft mitgab. Als die Wursthaut platzte, liess er das hervorquellende Fett auf ein Stück Brot träufeln. Dann verzehrte er beides mit sichtlichem Behagen. Es hat wohl kaum einem Vornehmen dieser Welt vor fürstlicher Tafel besser gemundet, als an jenem Abend dem Katzengusti sein einfaches Mahl.

Nachdem er den letzten Bissen in den Mund geschoben hatte, wischte er sein Messer auf den Hosen — die ähnliches sicher noch nie in ihrem Leben erfahren hatten — ab und klappte es zusammen. Darauf warf er noch ein paar knorrige Äste ins Feuer und zog sich die Schuhe von den Füssen.

Dann streckte er sich auf seinem weichen, grünen Bette behaglich aus. Auf dem Rücken lag er, ganz ähnlich wie der Landjäger Hertmann vor einigen Stunden unten im Tal; aber in ihm war ein tiefer Friede. Einmal zwar richtete er sich hastig auf und blickte nach den erbeuteten Kanonenstiefeln hin, fast als wollte er sich vergewissern, dass sie ihm nicht davonliefen. Als er sich abermals hinlegte, flackerte ein zufriedenes Lächeln über sein verwittertes Gesicht. Er dachte wohl an den barfussen Landjäger.

Mit einem wohligen Seufzer schloss er die Augen und schlummerte sanft und leise ein.

Um ihn her war es dunkel geworden. Wie schwarze regungslose Gestalten standen die Bäume im Kreise. Über ihnen spannte sich der tiefe Nachthimmel aus. Ein paar wenige feuchte Sterne schauten freundlich herab.

Und heimlich und still war’s um ihn her. Kein Blatt regte sich. Lautlos, standen die Gräser. Nur dass zuweilen der Uhu klagend und heiser schrie.

Das kleine Feuer verglimmte langsam, mit leisem Knistern. Schon war in dessen Mitte nichts mehr als weisse Asche zurückgeblieben. Nur an wenigen langen Ästen noch hüpften blaue und rote Flämmchen mit unsicherm Flackern. Manchmal vereinten sich einige und schossen als lange, gierige Zunge empor. Dann flatterte ein blutiger Schein unstät über den Schläfer hin; es sah aus, als zucke er heftig zusammen, als bewege er sich im Traume.

Doch immer kraftloser wurden die Flammen und immer weniger wurden es. Schon stahlen sich zwischen ihr Flackern die schwarzen Schatten.

Und dann war auch die letzte von ihnen erstorben. Nur noch seltsame, weissglühende Reiser lagen am Boden, Reiser, die langsam fahler wurden und dunkler.

Und zuletzt wurde es finster. Schwarz stand der Wald, wie in banger Erwartung. Ein leises heimliches Rauschen ging ab und zu über die Wipfel . . .

Noch bevor der Wald wieder erwachte, regte sich der Katzengusti. Er hustete ein paarmal, dann zog er seine Schuhe an und sprang auf die Füsse. Der Nachtfrost lag in seinem Körper. Darum schlug er mit den Armen um sich und rieb sich die Hände abwechselnd. Wie am Abend zuvor machte er sich ein Feuer, daran wärmte er sich. Er suchte in seinen Taschen herum und verzehrte die wenigen Brocken, welche er noch darin fand.

Kaum begann der Morgen im Osten heraufzudämmern, als er sich auf den Weg machte.

Er schritt auf einem schmalen Fusspfade, über Gräben und Felsen, fast stets auf dem Bergkamm, Krummbach zu.

Die Bauern waren noch kaum vor ihre Türen getreten und zum Melken in die Ställe gegangen, als er schon die Dorfstrasse herunterkam. Beim „Kreuz“ nahm er einen Batzen aus dem Geldbeutel, streckte ihn dem Mädchen, welches eben das Fenster öffnete, hin und verlangte einen Schnaps dafür. Hastig schüttete er die scharfe Flüssigkeit die Kehle hinunter. Dann ging er weiter.

Der Kirche zu lenkte er nun seine Schritte. Er wollte zum Pfarrer, der ihm bei jedem Besuch ein Stück Brot und ein Glas Wein gab, und ihm zudem stets beim Abschied einen Zweibätzler in die Hand drückte. Zum Pfarrer zog es ihn nun hin.

Doch passierte da dem Katzengusti, was schon manchem vor ihm zugestossen: währenddem er fern war, hatten sich die Verhältnisse geändert.

Er wusste nicht, dass der alte gute Mann im vergangenen Winter gestorben und jetzt schon sein dritter Nachfolger in der Pfarrei sass. Nicht, dass der erste Nachfolger auch gestorben wäre, gottbewahre. Dem wollte es eben nur nicht so recht gefallen unter den biedern Bürgern von Krummbach, sei es nun, weil er sie für eine Herde hielt, die man nicht so leicht hüten könne, oder aber, dass er mit ihren Charaktereigenschaften nicht harmonieren wollte. Kurz und gut, er packte nach wenigen Tagen schon seine sieben Sachen wieder zusammen und zog den Berg hinunter. Ihm folgte ein Kapuzinermönch nach, mit brauner Kutte und weissem Seil. Der fand sich in die Gemeinde. Auch mit dem Pfarrhaus, das nicht im besten Zustande war, gab er sich zufrieden. Doch leider fanden ein paar Bürger bald heraus, dass er sich zu „intim“ mache mit einigen seiner Schäflein. Daher jagten sie ihn eines schönen Tages fort. Lange Zeit stand darauf das Pfarrhaus leer. Im ganzen Lande wollte sich kein Seelsorger finden, der willens war, die Gläubigen von Krummbach fürs himmlische Leben vorzubereiten. Die Kirche war somit viele Wochen ohne Prediger, nur der Siegrist verrichtete seine wichtige Funktion mit Würde und Verstand. Und die von Krummbach befanden sich recht wohl dabei.

Da sie den Pfarrer, wenn der nicht für sie tätig war, auch nicht bezahlen mussten, war es noch billiger obendrein.

Jedoch ein paar besorgte Eltern kamen zuletzt dahinter, dass es nicht gut für die Jugend sei, so ganz ohne Religion aufzuwachsen. Sie würden sich so das Fluchen und Schwören wie das tägliche Brot angewöhnen — was ganz merkwürdig ist, da die Erwachsenen sonst samt und sonders sehr gottesfürchtige Menschen waren.

Bei dieser Gelegenheit machte sich der Grausengusti anheischig, das Predigen am Sonntag zu besorgen. Und zwar um geringen Lohn wollte er dies tun, weil er gerade um die Zeit am Brunnen nicht tätig sein konnte. Und ebensogut Angst könne er den Bürgern, den alten und den jungen, machen, wie jeder studierte Pfarrer, und einen Respekt vor dem Fegefeuer, dass sie vor Schreck alle der Teufel holen möchte. Dies waren seine eigenen Worte. Erstaunlicherweise wollten sie ihn dennoch nicht haben. Sie liessen sich aus dem Ausland einen Pfarrer kommen, da alles Suchen und Bitten im Heimatlande erfolglos blieb.

Der neue Pfarrer war erst vor kurzem angekommen — und fühlte sich auch schon nicht mehr am wohlsten.

Von dem allem wusste der Katzengusti nichts, als er recht hoffnungsfreudig bei der Pfarrei anklopfte. Bei dem Gedanken an den Wein lief ihm schon das Wasser im Munde zusammen. Auch empfand er eine Freude bei dem Gedanken, mit dem alten Herrn wieder ein Viertelstündchen plaudern zu können. Sie beide hatten schon manches und manchen kommen und gehen sehen, und wenn sie sich dann angetroffen, hatten sie gerne ihre Meinungen darüber ausgetauscht.

Daher war der Katzengusti unangenehm überrascht, dass eine andere Gestalt im schwarzen Rocke stak, als er den Herrn Pfarrer zu sprechen wünschte.

Einen Augenblick war er so betroffen, dass er gar nicht wusste, was anfangen. Dann aber streckte er fast instinktiv die Hand aus und sagte mit kläglicher, singender Stimme:

„Ein armer Reisender, Herr Pfarrer, bittet um eine kleine Unterstützung.“

Der Herr Pfarrer aber war gerade sehr ärgerlich. Denn gestern hatte ihm der Gemeinderat von Krummbach ein kleines Häuschen, nach dem er sich sehnte, abgeschlagen. Mit grösster Beredsamkeit war er für dieses Häuschen eingetreten, indem er ihnen klar zu machen suchte, dass es sozusagen ein leibliches Bedürfnis für ihn sei, dass er sich von Zeit zu Zeit dorthin zurückziehen müsse, und dass es eigentlich ein kleines Örtchen sei, welches in keinem Hause fehlen dürfe. Doch die Bauern blieben hartherzig. Sie gaben ihm nur zu Bescheid:

,,Die andern Pfarrherren haben’s auch ohne das machen können, so könnet denkwohl auch Ihr’s.“

Dabei blieben sie. Darum war der Herr Pfarrer sehr ärgerlich.

Und darum legte er in die ausgestreckte. Hand des Katzengusti nur ein kleines Geldstück. Indes, der Gusti schloss die Hand darüber und verschwand im Hausflur.

Kaum war er jedoch auf der Strasse draussen, so öffnete er die Hand wieder, tat einen Blick hinein und blieb betreten stehen. Dann zischte er giftig durch die Zähne:

„Dich soll doch der Teufel nehmen, Pfäfflein! Ein einziger, blutiger, roter Rappen!“

In seinem faltigen Gesicht zuckte es vor Zorn und Empörung. Nicht dass er im allgemeinen ein unbescheidener Mensch war, gewiss nicht. Aber der Unterschied zwischen einem Zweibätzler samt einem Glase Wein, was er erwartete und einem einzigen Rappen ohne Wein, was er erhielt, war ein allzugrosser. Dementsprechend war also auch seine Enttäuschung keine geringe. So gross war sie, dass sie ihn aus seiner sonst so würdigen

Ruhe herausbrachte. Es wetterleuchtete und zornfunkelte in seinen grauen Augen, dass es eine Art hatte.

Plötzlich kehrte er sich mit einem kurzen Rucke um und ging die paar Schritte bis zur Tür wieder zurück. Schnell fuhr er mit der Hand zum Schloss herauf und steckte das Rappenstück ins Schlüsselloch.

Dann ging er ruhig und gleichmütig davon — für ihn war die Sache abgetan.

Nicht aber für den Herrn Pfarrer. Eine halbe Stunde später wollte der hinaus zur Frühmesse in die Kirche. Als er aber mit dem Schlüssel die Haustür aufmachen wollte, da ging’s nicht. Und ‘s ging auch nicht, als seine Schwester kam und drehte. Bei den Anstrengungen, welche die stämmige Köchin machte, brach am Schlüssel der Bart ab — nun ging’s erst recht nicht. Die drei machten ein grosses Geschrei, zu den Fenstern hinaus, denn die Tür blieb verschlossen.

Der Katzengusti war mittlerweilen gemächlich die Dorfstrasse hinuntergepilgert, an der Kirche vorbei, am Schulhaus und an der Schmiede. So war er zum „Gesprungenen Krug“ gekommen. Dort sah er mit eigenen Augen, dass sein Häuschen mitsamt den andern Gebäuden abgebrochen wurde, und in der Mitte der Strasse sah er den Grausengusti mit einem halben Dutzend Männer und Burschen ein grosses rundes Loch graben.

„Ich glaub’, der Affe laust mir,“ sprach da der Katzengusti stehenbleibend zu sich selber. Laut aber fragte er den Grausengusti:

,,Gottverdoria, Gusti, was machst denn da?“

Der Brunnen war schon so tief, dass der Grausengusti nur noch den Kopf auf die Strasse streckte. So gab er von unten herauf zur Antwort:

„He, einen Brunnen; siehst du das nit?“

„Nein,“ meinte da der andere Gusti, „das seh’ ich nit. Ich seh’ nur, dass du ein Loch machst.“

Der Grausengusti war zwar nicht gewillt, dieses unerquickliche Gespräch weiterzuführen, dennoch sah er auf und bemerkte bei dieser Gelegenheit die Kanonenstiefel, die wie reife Früchte lose an der Schulter des Katzengusti hingen.

„Was sind denn das für Stiefel, die dir da am Hals herabhängen — he?“ forschte er.

Der Katzengusti hatte die Stiefel schon beinah vergessen; darum meinte er so leichthin:

„Wenn du sie willst, so kannst sie haben. Ich gib dir sie wohlfeil.“

„Was willst denn dafür?“

„He — ich hab’ sie billig — gib mir zwanzig Batzen, dann sind sie dein.“

Beim Nennen dieses Spottpreises liessen auch die andern Pickel und Schaufel sinken. Sechs Paar gierige Augen lugten nach den Kanonenstiefeln auf. Da diese noch fast neu waren, dachte ein jeder bei sich im geheimen, dass sie gerade ihm am besten ständen, und dass sie von Rechts wegen auch ihm zufallen müssten. Es dauerte darum auch gar nicht lange, bis einer mit lauter Stimme rief:

„Gusti, ich geb dir fünfunzwanzig Batzen dafür.“

Und nach diesem Anfang fielen die andern nach und nach ein:

„Ich achtunzwanzig.“ „Ich dreissig.“ „Ich fünfunddreissig,“ und kamen so nach wenigen Sprüngen schon auf einen Feufliber.

Mehr wollte der Katzengusti nicht dafür. Mit einer lässigen Gleichgültigkeit liess er daher die vielbegehrten Stiefel von der Schulter gleiten und gab sie dem, der den Feufliber dafür geboten, ins Loch hinab.

Als er dann das grosse, runde, harte Silberstück in seine Tasche hinunterrutschen liess, da dachte er wiederum mit stillem Behagen an den Landjäger Hertmann, dem er diesen Reichtum eigentlich verdankte.

Er wollte eben von dannen ziehen, da kamen die Strasse hinunter, von der Kirche her, ein paar Weiber und Kinder angetrabt. Von weitem schon schrien sie:

„Du, Gusti! Im Herr Pfarrer sein Schloss ist kaput, du sollst gleich einmal kommen und nachsehn.“

Der Gusti, den dies anging, erhob sich aus der Versenkung, während der andere reine davoneilenden Schritte um etwas beschleunigte.

„O verreckt,“ machte der Grausengusti, als man ihm den bartlosen Schlüssel durchs Fenster reichte. „Das ist nit so leicht zu machen. Da muss ich zuerst heim und ein Stemmeisen holen.“

Mit dem Stemmeisen kam er. Stieg auf einer Leiter durchs Fenster und bearbeitete die Tür von innen, dass die Splitter davonflogen. Als das Schloss endlich ausgesprengt war, da fand man darin ein rotes Rappenstück friedlich neben dem abgebrochenen Schlüsselbarte liegen.

Der Grausengusti sagte:

„Der Rappen, Herr Pfarrer, das ist die Schuld, warum ’s Schloss kaput gegangen ist. Das und sonst nichts anders.“

Der Herr Pfarrer aber schob sein Käpplein ein klein wenig beiseite und kratzte sich anhaltend darunter, als ob er recht ernsthaft über etwas nachsänne.

Als der Katzengusti sich wie ein Schatten beim ,,Gesprungenen Krug“ vorbeidrücken wollte, kam zu dessen Tür heraus, ein langer, magerer Arm mit einer knöchernen Hand daran, und fünf sehnige Finger krallten sich in seine Schulter. Erschrocken schnellte der Katzengusti eines seiner Augen — wohl das, welches nach der Meinung der Bauern nach dem Landjäger schielte — nach der Richtung hin. Zu seiner Erleichterung aber sah er kein Käppi und keine glänzenden Knöpfe, sondern nur das magere Gesicht des Krugwirts und Ammanns.

„Hör’, Gusti,“ zischelte der leise, „ich hab’ etwas mit dir z’reden.“

Voller Verwunderung folgte der Gusti dem Oberen von Krummbach über die schwere Eichentreppe hinauf zum Amtszimmer. Zwar standen in diesem Raum zwei Betten — aber es stand auch ein Tisch mit Papier und Schreibzeug da, so dass er vom findigen Krugwirt bald als Amtsstube und bald als Gastzimmer benutzt werden konnte, je nachdem er für das eine oder andere die beste Verwendung hatte.

Der Ammann schritt zum Tisch mit dem Schreibzeug und liess sich dahinter auf einem Stuhl nieder, dieweil der Katzengusti in der Mitte der Stube stehen blieb. Er schien nichts Gutes zu ahnen und sah sich ein paarmal nach der Tür um, welche der Ammann vorsorglich verriegelt hatte.

Aber — fast verwirrte es ihn — der Ammann sagte da ohne Zorn in der Stimme:

,,Nimm dir einen Stuhl, Gusti, und hocke dich ab.“

Der Gusti traute seinen Ohren nicht. Solche Ehre war ihm noch nie widerfahren. Deshalb musste der Ammann die Einladung wiederholen. Endlich nahm sich der Gusti seinen Stuhl und setzte sich, jedoch so, dass er die Tür im Auge hatte und freie Bahn dorthin behielt.

Der Ammann musste das bemerkt haben, denn er sagte beschwichtigend:

„Brauchst dich nit zu fürchten, ich mein’s nit bös mit dir.“

Dem Gusti wurde immer unheimlicher, er wusste nicht, wo das hinaus wollte. Doch der Ammann klärte ihn endlich auf.

„Ich hab’ nur mit dir reden wollen wegen deinem Häuslein dort drüben von der Strass’. Ich möcht dir’s abkaufen. Was meinst?“

Das gab dem Katzengusti einen Stich ins Herz. Er liess den Kopf hängen. Das Häuschen! Ja beim Donner, sie hatten ja schon angefangen daran abzubrechen, ohne ihn vorher zu fragen, ihn, dem es doch, obgleich er nur der Katzengusti war, als rechtmässiges Eigen zugehörte! Wie eine Art Mitleid stieg es da in ihm auf, Mitleid mit sich selbst. Er fragte sich im stillen, ob sie dies wohl auch so ohne weiteres niedergerissen, wenn’s dem Krugwirt gehört hätte oder sonst einem von den Behäbigeren in der Gemeinde.

Währenddem hatte ihn der Ammann mit seinen hungerigen Augen scharf angesehen. Er hätte gern gewusst, wie es dem Gusti ums Häuschen zu tun war und wieviel er ihm dafür bieten durfte.

Aber der sah stumm vor sich nieder, einen höhnischen, feindseligen Zug um die Lippen.

„Was willst dafür haben?“ fragte da der Ammann lauernd.

Der Katzengusti fuhr sich mit der Hand übers Kinn, wo der struppige Bart, den sie ihm im Spital abgeschnitten, von neuem emporsprosste; aber er gab auch da keine Antwort.

Der Ammann liess ihn nicht aus den Augen — denn wie schnell waren da für ihn ein paar Feufliber oder gar Napoleon verloren oder gewonnen.

Aber der Katzengusti sah immer nur vor sich hin, die Lippen fest aufeinandergepresst, dass es eine scharfe Falte gab um die Mundwinkel.

„Nun, so red’ doch!“ drängte der Ammann. „Was möchtest dafür?“

Nach einer Weile sagte der Katzengusti endlich mit rauher Stimme:

„Ich will mein Häuslein nit verkaufen.“

„He-he!“ lachte da der Ammann spitzig. „Du willst dein Häuslein nit verkaufen, du willst nit! Ich frage dich ja das gar nit. Verkaufen musst ’s Häuslein, ob du willst oder nit. Wir brauchen den Platz für die Strass’, weil der Brunnen die alte Strass’ einnimmt. Wenn du’s nit freiwillig geben willst, dann kommt ’s Gericht und zwingt dich dazu. Hernach musst dafür nehmen, was man dir gibt; nur mein guter Wille ist es, dass ich dich heut frage, was du dafür willst.“

Nach dieser langen Auseinandersetzung lehnte sich der Ammann in den Stuhl zurück und trommelte mit den Fingern auf dem Tischblatt.

Der Katzengusti überlegte sich das, was er gehört. Er hatte so ein unbestimmtes Gefühl, dass der andere recht haben könnte. Denn das grössere Recht ist ja stets da, wo die grössere Faust ist, so dachte er bei sich. Bei diesem Gedanken nickte er ein paarmal, gleichsam sich selber zustimmend, mit dem Kopfe.

Dieses Nicken legte der Ammann auf seine Weise aus und förschelte weiter:

„Was willst denn dafür? Gib doch einmal Antwort.“

„Ich hab schon gesagt, dass ich ’s Häuslein nit verkaufen möcht’.“

Der Ammann schien diese Antwort gar nicht zu hören.

„Ich geb’ dir dreissig Feufliber dafür,“ sagte er langsam.

Das war ein Spottpreis — aber dennoch viel Geld für den Katzengusti. Dreissig grosse Silberstücke! Soviel hatte er schon lange, lange nicht mehr gehabt; nie mehr seit damals, — als das Häuschen leer ward. Und nun war es eigentümlich mit dem Gusti. Bald dachte er an sein totes Weib, das wie eine ferne, verblasste Erinnerung vor ihm auftauchte, — und bald dachte er an die dreissig Silberstücke. Er sass nun wieder da und schwieg und wurde nicht Meister seiner Gedanken.

Aber unbeirrt ging der Ammann auf sein Ziel los. Er hatte sich erhoben und war an den Schrank getreten. Mit einem kleinen Sack voll Taler kehrte er zum Tische zurück. Umständlich zählte er, dass es laut klingelte und klirrte. Vorn am Tischrand, gegen den Gusti hin, machte er drei Häuflein, auf jedem zehn Stück.

„Da schau Gusti, das ist dein, wenn du mir ’s Häuslein gibst!“

Einen Augenblick sah der Gusti gierig nach dem Gelde hin, dann aber gruben sich ein paar tiefe Furchen in seine Stirn. Er ärgerte sich, dass der Ammann ihn übertölpeln wollte wie einen gewöhnlichen Bauern. Darum sagte er scharf:

„Ich hab’ auch schon Geld in der Tasche gehabt.“

„Aber wenn du mir fünfzig Feufliber gibst, dann kannst es haben,“ fügte er nach einer kleinen Weile hinzu.

„Bist verrückt, Gusti? Fünfzig Feufliber, für die Hütte!“

„Wenn sie dir nit gefällt, so brauchst sie ja nit zu kaufen,“ meinte der Katzengusti trocken.

„Lass mit dir reden, Gusti!“ lenkte der Ammann ein. „Fünfzig Feufliber ist zu viel, das weisst du selber. Ich will dir fünfunddreissig geben!“

„Fünfzig will ich haben und keinen Rappen weniger.“

Der Ammann merkte da, dass nichts zu machen war. Er nahm die Feder und schrieb auf einen Bogen Papier:

„Wir, Otto Pfluger, Ammann von Krummbach, bezahlen heute dem Katzengusti für sein Haus an der Dorfstrasse hundert Fünfliber in bar. Der bisherige Eigentümer bestätigt den Empfang der Kaufsumme und erklärt sich anfort aller Rechte verlustig.“

Dann Zählte er zu den dreissig Silberstücken noch zwanzig hinzu.

,,Da, kannst unterschreiben, dass dein Geld bekommen hast,“ sagte er zum Katzengusti und schob ihm das Blatt hin.

Der nahm das Papier und sah eine Zeitlang darauf. Dann unterzeichnete er und streckte es dem Ammann wieder hin. Ohne es loszulassen, strich er das Geld ein.

„So gib doch die Quittung her!“ sagte der Ammann.

„Jo,“ meinte der Gusti, ,zuerst musst mir noch fünfzig Feufliber geben. Auf dem Zettel steht hundert.“

„Gibst das Papier her!“ sagte der Ammann und zerrte daran. Aber der Katzengusti hatte den untern Teil, wo sein Name stand, nicht losgelassen, der riss nun ab und blieb ihm in der Hand. Schnell steckte er das Fetzlein in den Mund und schluckte es hinunter.

Der Ammann wollte sich auf ihn stürzen.

„Du Halunk, du gemeiner, gibst sofort die Unterschrift heraus oder ’s Geld!“

Der Katzengusti war einen Schritt zurückgetreten. Gelassen sagte er:

„Schrei nit so, Ammann! Sonst, wenn sie kommen, sag’ ich, dass du mich hast betrügen wollen mitsamt der Gemeinde; und dass du ein so gemeiner Halunk bist, wie ich selber.“

Da wurde der Ammann um einen Schatten bleicher. Voller Bestürzung, zugleich aber auch voller Wut, sah er den Katzengusti an, wie ein hungriger Wolf, und wusste im Augenblicke nicht, was beginnen.

Der wusste es besser. Mit einem höhnischen Lachen griff er in die Tasche und warf das Geld dem Ammann vor die Füsse. Nur einen Feufliber behielt er in der Hand. Den streckte er dem Obern von Krummbach unter die Nase.

„Schau, Ammann, den behalte jetzt ich. Die andern neunundvierzig magst wieder haben. ’s ist nur, dass du dir das nächste Mal merkst, dass der Katzengusti gleichwohl nit so dumm ist.“

Damit ging er ruhig zur Tür, während der Ammann die Silberlinge vom Boden auflas. Doch als er auf die Treppe hinauskam, hörte er unten im Gang lautes Reden. Und wie er näher hinhorchte, vernahm er die wohlbekannte Stimme des Landjägers Hertmann, der, nun wieder frisch gestiefelt, seiner Fährte bis hierher gefolgt war.

,,Er ist mit dem Ammann hinaufgegangen in die Amtsstube,“ hörte er soeben die Magd sagen.

Der Hertmann schnaubte schon die Treppe herauf. „So, endlich haben wir ihn!“ sagte er so für sich hin, und rannte ohne anzuklopfen in die Stube, wo er den Ammann hantieren hörte.

Der Katzengusti, der sich beim Herannahen der offentlichen Ordnung in eine dunkle Ecke gedrückt hatte, hörte gerade noch, während er die Treppe hinunterrannte, wie der Ammann zum Landjäger sagte:

„Grad’ ist er fort! Er hat mir noch einen Feufliber gestohlen — vielleicht sind’s auch zwei gewesen!“

Doch unbemerkt kam der Gusti nicht zum „Gesprungenen Krug“ heraus. Die Magd, die unten stehen geblieben war, um zu horchen, sah ihn und schrie alsbald aus Leibeskräften:

„Da ist er! — Da ist er!“

Unter Dröhnen und Brausen rollte der Landjäger wieder der Treppe zu. „Wo?“ rief er, als er noch oben war.

Doch der Gusti war schon um die nächste Ecke herum. Weil die Leute ihn kannten und überdies dem

Landjäger keiner grün war, stellte sich ihm niemand entgegen.

Jedoch der Hertmann hielt mit der linken Hand seinen Säbel, der ihm beim Laufen hinderlich war, in die Höhe, mit der rechten griff er nach dem Käppi, und nahm, wie es sich gehört, die Verfolgung auf. Es fiel ihm nicht schwer, die Richtung, welche der Flüchtling genommen, zu erraten, denn die Bauern standen gleich Wegweisern da und folgten dem Wettrennen mit Aufmerksamkeit und Vergnügen.

Als der Landjäger zum Dorfe hinausgekommen war, sah er den Katzengusti leichtfüssig die Rimmsteler Strasse hinunterrennen.

,,Halt!“ schrie er ihm mit aufgeblähten Lungen nach.

Der Gusti drehte leicht den Kopf. Da er den Landjäger in so grosser Entfernung sah, blieb er stehen und setzte sich auf einen der grossen Steine, die in regelmässigen Abständen gegen den Schlund zu standen.

Der Hertmann, dem wirklich die Luft ausgegangen war, mässigte, als er dies bemerkte, ebenfalls sein Marschtempo. Doch sowie er dem Gusti nahegekommen war, erhob sich dieser und nahm das Rennen abermals auf. Der Landjäger wieder hinterher, — aber mühsam und keuchend. Er war am Rande der Möglichkeit. Und als sich der Gusti ein andermal auf einen Prellstein setzte, vergass sich der Landjäger Hertmann sogar so weit, es ihm gleich zu tun, wie tags zuvor beim Beerenpflücken. Er nahm sich das Käppi vom Haupte und trocknete mit seinem roten, weissgetupften Nastuch den Schweiss, der ihm in förmlichen Lachen auf der Stirn stand, ab. Der Katzengusti auf dem nächsten Prellstein, sah ihm dabei wohlwollend zu.

„’s macht warm, Hertmann?“ fragte er hinüber.

„Wart’ nur, du Strolch, bis ich dich hab’! Ich will dir’s hernach schon einstreichen!“ gab der Landjäger zornig zurück.

„Pressiert es dir denn eigentlich, dass du so rennst?“ fragte der Gusti wieder von seinem Stein her.

,,Wenn du nit bald ’s Maul hältst, so schiess’ ich dir die Knochen ab,“ sagte der Landjäger Hertmann.

„Nei-nein! Das tust nit!“ höhnte der Gusti. „Sonst kommst du ins Loch.“

Da schwieg der Landjäger grimmig.

Nach einer Weile, als er sich etwas verschnauft hatte, erhob er sich, um sich von neuem an die Festnahme des Diebes zu machen, wie es das Gesetz vorschreibt.

Und nun erhob sich auch der Gusti, welcher diesem Gesetze feindlich gegenüberstand.

Eine Zeitlang rannten sie so dem Tale zu. Weil es bergab ging, hielt der Landjäger noch ziemlich lange aus. Schliesslich war er aber wieder zu Ende mit seinen Kräften. Erschöpft setzte er sich abermals auf einen Prellstein.

Kaum hatte der Katzengusti dies bemerkt, so tat er desgleichen.

Und wieder begann die Unterhaltung:

„Wo willst nur eigentlich hin, Hertmann?“

„Wart’ nur! Du kommst mir schon wieder in die Finger!“ sagte der Landjäger.

„Ich hab’ gemeint, du wohnst auf der andern Seite vom Berg — warum willst jetzt da hinunter?“

Da gab der Landjäger keine Antwort mehr. Das Herz klopfte ihm zum Halse heraus, und es war ihm immer, als würde ihm schwarz vor den Augen.

Der Katzengusti sah unverwandt zu ihm hinüber.

„Was ist, Hertmann!“ fragte er nach einer Weile. „Geht’s wieder ein Stücklein? Wir könnten’s am End’ wieder nehmen!“

Sie nahmen’s also wieder, sobald der Hertmann rennen konnte; war er müde, dann setzten sie sich und verkürzten einander die Zeit durch allerlei Reden.

Der Katzengusti wurde immer vergnügter, im Verhältnis, wie des Hertmanns Ärger zunahm. Als zufällig der Garzam-Juli mit einer alten Kuh von Rosenach heraufkam, meinte er:

„Juli, könntest den Hertmann ein Stück weit auf der Ruh reiten lassen. Er ist müd’ und kann nimmer laufen.“

Der Hertmann aber schrie:

„Halt ihn! Halt ihn! Er hat gestohlen oben in Krummbach!“

Was kaum einer von den Bauern in der Umgebung getan, das tat der Garzam-Juli. Er liess die Kuh stehen und sprang auf den Katzengusti los. Der war nun jämmerlich dran: auf einer Seite den Schlund, auf der andern jache Feldwände; die Strasse hinauf rückte der Schlächter an, und die Strasse hinunter stürmte der Hertmann, den plötzlich wieder neuer Mut beseelte. In wenigen Augenblicken waren beide bei ihm angelangt und gingen mit grosser Eile an seine Festnahme. Der Landjäger Hertmann holte mit seiner dicken Faust zu einem wuchtigen Schlage aus — er war erbittert, und der Garzam-Juli schwang seinen Treiberstecken — dem machte es eben Freude, drauf zu hauen.

Der Katzengusti, der zwischen diesen dräuenden Gefahren stand, tat das, was wahrscheinlich jeder an seiner Stelle getan hätte. Er duckte sich, so schnell er nur konnte, nieder und machte sich um vieles kleiner als er war. Die Folge hiervon war, dass die ihm zugedachten Hiebe ihr Ziel vollständig verfehlten, dergestalt, dass des Landjägers Faust mit grossem Nachdruck auf des Garzam-Juli Nase fiel und der Treiberstock des letzteren des Hertmanns schönes Käppi einschlug. Alle beide empfanden diese gegenseitige Leistung nicht als Wohltat, vielmehr ergrimmten sie darob.

„Du Esel!“ brüllte der Juli. „Du Ochs!“ der Landjäger. Gleichzeitig wiederholten sie das Verfahren — welches das erstemal nur ganz zufällig war — diesmal mit Absicht. Sie schlugen mit grossem Eifer eine Zeitlang aufeinander los, als hätten sie kein grösseres Verlangen gehabt, und vergassen darüber ganz, dass sie den Katzengusti verhaften wollten.

Und der Katzengusti blieb natürlich nicht stehen, bis sie wieder auf diese anfängliche Absicht zurückgekommen, um später beiden Gewittern gleichzeitig als Blitzableiter zu dienen, sondern er lief, was er konnte, den Weg hinunter. Dabei murmelte er einmal über das andere:

„Wart’ nur, Garzam, wir sehen uns wieder, dann rechnen wir ab.“

Als der Schlächter und der Landjäger ihr Mütchen aneinander gekühlt, hielten sie inne und sahen sich mit einiger Verwunderung an. Wie dies ja bei den meisten Händeln so ist, wusste im Grunde keiner von ihnen, warum er den andern verdroschen hatte. Die bejahrte Kuh, die als einzige Zeugin dabeigestanden, schien dies auch nicht zu wissen, obschon sie ihre grossen Ohren stellte und die Augen weit aufriss.

Als der Garzam-Juli sie wieder beim Strick nahm, folgte sie ihm geduldig. Und beide verliessen den Landjäger, der unter mancherlei Tönen des Unwillens sein Käppi wieder zurechtbog und die verrutschte Uniform in Ordnung brachte.

Der Krummbacher und der Katzengusti

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