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Оглавление„Du bist und bleibst ein sturer Hund!“ Im Tonfall
des Dezernatsleiters der Kieler Mordkommission lag gleichwohl eine gewisse Milde.
Kommissar Brandt blieb ungerührt. „Ohne Leiche nur Indizien, also kein Beweis für ein Tötungsdelikt.“ Zum wiederholten Male entgegnete er seinem Vorgesetzten, der zu ihm ins Büro gekommen war. „Weder Mord noch Selbstmord.“
„Warum zeigst du kein Interesse an dem Fall?
Erzähl mir nicht, du hättest nichts über diesen Vermissten gelesen. Wenn nicht die Akte, dann …“
„Was geht mich eine Vermisstenakte an, bin ich vom Suchdienst?“, unterbrach der Kommissar seinen Chef.
„… dann vielleicht in den Nachrichten gehört oder gesehen“, fuhr dieser unbeirrt fort. „Das ging doch rauf und runter.“
Kommissar Brandt zuckte nur einmal mit den Schultern, nahm einige Blätter. Mehr sie nur betrachtend als sie zu lesen, legte er die Papiere an anderer Stelle auf seinem Schreibtisch wieder ab.
„Es handelt sich bei der vermissten Person schließlich um einen Prominenten. Du musst davon gehört haben!“ Sein Chef blieb beharrlich.
„Es geht mich nichts an.“
„Ich möchte auch nur, dass du dich der Akte einmal kurz annimmst. Die Kollegen treten auf der Stelle, die Presse macht Druck. Immerhin ist der vermisste Prominente bereits seit zwei Monaten wie vom Erdboden verschwunden. Vielleicht ist es am Ende doch Mord.“
„Bisher deutet nichts darauf hin“, kam die brummige Antwort des Kommissars.
„Aha, also hast du dich doch für den Fall interessiert!“
„Steht doch alle paar Tage in den Zeitungen.“
„Und langsam wird’s lästig.“ Der Dezernatsleiter schlug mit der Faust auf den Schreibtisch des Kommissars, zog aber, als sei er selber über seinen Ausfall erschrocken, die Hand schnell zurück und sah hinter seinem dienstältesten Beamten her, der aufgestanden war und zum Fenster hinüber ging. „Versuch es doch wenigstens!“, rief er ihm seine Aufforderung nach. „Man braucht deine Erfahrung, deinen Rat.“
„Die Medien können spekulieren soviel sie wollen.“ Kommissar Brandt wandte sich wieder seinem Chef zu. „Ohne Leiche braucht die Mordkommission erst gar nicht anzutreten.“
„Immerhin ist sein plötzliches Verschwinden ominös.“
„Mag sein.“ Der Kommissar führte sich vor Augen, was er tatsächlich darüber wusste, es seinem Chef gegenüber aber partout nicht zugeben wollte. Natürlich hatte er die Meldung vernommen, vor über zwei Monaten, und auch immer wieder danach in den Nachrichten erfahren, dass dieser Schlagerfuzzi – nein, kein Schlagerheini, korrigierte er seine Abfälligkeit, es war ein Rockmusiker, der in der Tat auf mysteriöse Weise von der Bildfläche verschwunden war. Ein berühmter
Sänger, schon in die Jahre gekommen. Faro hieß der, einfach nur Faro, wie der Leuchtturm, spöttelte der Kommissar, und dessen Musik mochte er auch überhaupt nicht hören, doch wusste er, dass dieser Typ sich als Kultfigur in diesem Land präsentierte. Trotz seines exotischen Namens – wohl ein Künstlername – war er Deutscher. Seinen Durchbruch erzielte dieser Faro schon vor Jahrzehnten mit der Darbietung deutsch-sprachiger Rockmusik, ein Novum damals. Immerhin, dachte Kommissar Brandt.
„Ist denn dieser Taxifahrer endlich aufgespürt worden?“, wollte er wissen.
„Bisher immer noch nicht.“ Der Dezernatsleiter zeigte sich trotz seiner bescheidenen Auskunft erleichtert über den Anflug eines Interesses seines besten Mitarbeiters.
„Und der Manager von diesem … Rockstar?“ Es lag dem Kommissar auf der Zunge, schon wieder Schlagerfuzzi zu sagen. „Der soll ihn doch in das Taxi gesetzt haben. Habt ihr euch den mal vorgenommen? Ich meine, so richtig?“
Der Dezernatsleiter wies auf den Bildschirm auf dem Schreibtisch des Kommissars. „Du findest selbstverständlich alles im System.“
„Natürlich“, brummelte der vor sich her.
„Heißt das, du willst dich darum kümmern?“, kam die vorsichtige Frage. „Du sollst den Kollegen, die ihre Ermittlungen in diesem Fall in den nächsten Tagen wohl einstellen werden, nur noch einmal über die Schulter schauen. Vier Augen sehen mehr als zwei … sozusagen“, fügte der Dezernatsleiter an.
„Ich hab ja auch sonst nichts zu tun.“ Kommissar Brandt blies seine Backen auf. Allerdings hatte er zur Zeit tatsächlich nur Prozessakten der Staatsanwaltschaft in Arbeit, nichts Akutes. Wieder mit den Achseln zuckend, sah er hinter seinem Chef her, der bereits die Klinke der Bürotür in der Hand hatte. Ohne sich noch einmal umgedreht zu haben, schloss er die Tür hinter sich.
Die Akte in seinem Computer rief Kommissar Brandt erst gar nicht auf, ihm war das ermittlungstechnische Beamtendeutsch zuwider, wenn es nicht von ihm selbst formuliert war. Stattdessen kramte er in einer Ablage hinter sich nach der Ausgabe einer Zeitung, schon ein paar Tage alt, aber er wusste darin einen abermaligen Bericht über den Stand der Ermittlungen in der Sache des verschwundenen Rockstars.
Demnach hatte sein Manager Stein und Bein geschworen, Faro persönlich dem Taxi übergeben zu haben, auf Nachfragen des Reporters zugegeben, dass der Musiker nach einem Privatkonzert in einem Club in der Kieler Altstadt nicht mehr ganz nüchtern gewesen sei. Trotzdem wollte er zu einem Kreuzfahrtschiff chauffiert werden, er wollte auf jeden Fall seiner Verpflichtung nachkommen, dort auf einer Reise mehrere Konzerte zu geben.
So, so, dachte der Kommissar, hoffentlich haben die Kollegen auch ordentlich nachgehakt, bei so viel Auskunftsfreudigkeit des Managers der Presse gegenüber.
Der Rockstar war also angetrunken, sinnierte er weiter, aber nach Aussage des Managers allein unterwegs. Wieso war der ohne Begleitung gewesen? Solche Promis hatten doch immer ihren Anhang, besonders ihre Bodyguards um sich herum.
Der Musiker habe sich per Handy vor dem Kreuzfahrtterminal bei seinem Manager gemeldet, las Kommissar Brandt weiter, und laut Standortverfolgung wurde das Mobiltelefon später noch einmal benutzt – wieder mit der Anwahl der Rufnummer des Managers. Allerdings brach der Anrufversuch ab, noch bevor eine Verbindung zustande kam; er fand fünf Kilometer vom Kreuzfahrtterminal entfernt statt – das seien bisher die Ermittlungen der Polizei gewesen. Es kann doch nicht sein, dass ein Prominenter, ja ein Weltstar, einfach so verschwindet. Zumindest der Taxifahrer, der ihn gefahren hatte, musste doch aufzuspüren sein, kritisierte der Schreiber abschließend in seinem Artikel.
Schmierfink, brummelte der Kommissar und legte das Blatt beiseite. Aber zu denken gab es ihm nicht das erste Mal. Es beschäftigte seitdem auch die Öffentlichkeit außerordentlich, als dies durchgesickert war, nämlich dass es offenbar diesen Taxifahrer gar nicht gab, selbst nach einem Aufruf hatte er sich nicht gemeldet. So obskur, wie es Kommissar Brandt empfand, wähnten viele darin eine Verschwörungstheorie. Warum verschwindet ein Mann, dazu ein Prominenter, einfach mir nichts dir nichts von der Erdoberfläche? Wie auch immer, in ein paar Tagen war der Fall erledigt, warum sollte er sich jetzt noch den Kopf darüber zerbrechen.
Er grübelte trotzdem weiter: Fünf Kilometer vom Kreuzfahrtterminal entfernt, in nördlicher Richtung in der Nähe der Schleuse Holtenau, wie die Standortaufzeichnungen ergeben hatten – der Kommissar startete ein Landkartenprogramm auf seinem Computer und zoomte die Gegend um die Schleuse am Übergang des Nord-Ostsee-Kanals in die Förde heran. Aus der Vogelperspektive verschaffte er sich einen Überblick, obwohl er diese Gegend zur Genüge kannte, und er wusste, dass es möglich war, vor Ort ohne Weiteres bis an die Wasserkante zu gelangen.
Dennoch führte er sich die Lage bequem von seiner Position auf seinem Schreibtischstuhl vor Augen, nur dieses eine Mal wollte er es tun. Danach sollte es ihn sowieso nichts mehr angehen.
Noch einmal sinnierte er darüber, dass es nicht abwegig erschien, wenn dieser Faro betrunken ins Wasser gestürzt war, wie bereits spekuliert wurde. Es hatte an dem besagten Abend seines Verschwindens Frost gegeben, der gerade in Nähe von Wasser zu Glatteisbildung führte. Faro konnte ausgerutscht sein.
War das der Fall gewesen, dann war es bei dem Verkehr auf dem engen Kanal praktisch unmöglich, seine Leiche aufzufinden. Daher hatten die ermittelnden Kollegen nach vergeblicher Suche mithilfe der Wasserschutzpolizei demnächst auch vor, ihre Arbeit einzustellen, brachte der Kommissar bei der grausamen Vorstellung rotierender Schiffsschrauben seine Überlegungen zu Ende.
Jedenfalls war nach ihren bisherigen Erkenntnissen der letzte Aufenthaltsort vor dem Verschwinden des Rockmusikers ausgemacht – oder zumindest der seines Handys. Diese Exoten trieben sich wer weiß wo und mit wem herum, es schien dem Kommissar unbe-rechenbar. Was da passiert war, und warum der angetrunkene Faro – bereits seiner Absicht entsprechend vor dem Kreuzfahrtterminal erschienen – es sich dann anders überlegt hatte?
Er zuckte mit den Schultern und beendete das Computerprogramm und widmete sich wieder seiner Arbeit mit den Prozessakten.
Nach einer Weile blickte er auf, drehte seinen Kopf etwas zur Seite, irgendwie bedrängte ihn da noch ein Gedanke. Doch er sperrte sich dagegen. Sollten sich doch die Kollegen darum kümmern.
Wieder befasste er sich mit seinen Akten, bis er sie beiseite schob. Irgendetwas störte ihn bei der ganzen Angelegenheit. Warum musste sein Chef ihn auch mit dem Fall des Vermissten behelligen, ausgerechnet wenige Tage, bevor man die Akte schließen würde. Er schüttelte seinen Kopf. Er schüttelte ihn aber auch, weil ihn die Sache mit dem Taxi nicht in Ruhe ließ.
Schließlich rief er nun doch die Akte im Computer auf und las, dass alle Taxiunternehmen in Kiel befragt worden waren, ob deren Fahrer oder Fahrerinnen diesen Faro zum Kreuzfahrtterminal chauffiert hatten. Selbstverständlich hätten die Taxifahrer sich an diesen berühmten Prominenten erinnert, und sie hätten geplaudert, umso mehr, dachte der Kommissar, weil der Rockstar betrunken gewesen war.
Nein, und das war es, was ihn unbefriedigt ließ: Es muss ein Taxifahrer gewesen sein, der auf eigene Rechnung fuhr, „schwarz“ sozusagen, und natürlich würde der unbekannt bleiben wollen und nichts preisgeben. Was für eine Arbeit, so eine Person aufzuspüren, das war einfach nicht zu bewerkstelligen. Er zog alle Einwände zurück, die er jemals in diesem Fall seinen ermittelnden Kollegen in Gedanken vorgeworfen hatte. Nein, das war schier unmöglich. So etwas klärte nur Kommissar Zufall auf, dachte er, nach Jahren – da würde der Fall längst vergessen sein.
Mit einem abschätzenden Blick auf die Akten auf seinem Schreibtisch entschloss er sich, außer Haus zu gehen. Den Grund dafür sah er in der nicht unbedingt dringlichen Maßnahme, Faros Manager selbst ein paar Fragen zu stellen, seine Aussagen standen zur Genüge im Computer – und in den Zeitungen. Er wollte einfach nur raus aus seinem Büro. Der Kommissar notierte sich dessen Telefonnummer und Adresse, nahm seinen Mantel vom Haken und machte sich auf den Weg nach draußen.