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Der Pedlar

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Inhaltsverzeichnis

Es war drei Monate nach den zuletzt beschriebenen Begebenheiten, deren Folgen trotz dieser langen Zeit noch nicht an uns vorübergegangen waren. Die Hoffnung, Old Firehand retten zu können, hatte sich zwar erfüllt, aber seine Genesung schritt außerordentlich langsam vorwärts; er konnte vor großer Schwäche noch nicht aufstehen, und wir hatten unsern ursprünglichen Gedanken, ihn nach dem Fort zu transportieren, aufgegeben; er sollte bis zu seiner vollständigen Gesundung in der ›Festung‹ bleiben, wo, wie wir uns überzeugt hatten, die Pflege durch uns für ihn hinreichend war.

Harrys Verwundung hatte sich glücklicherweise als nicht bedeutend herausgestellt. Winnetou war an vielen Stellen seines Körpers, doch auch nicht gefährlich, verletzt gewesen, und seine Wunden gingen nun der vollständigen Vernarbung entgegen. Die Schrammen und Kniffe, welche ich erhalten hatte, waren von keiner Bedeutung; sie taten bei der Berührung zwar noch weh, doch war ich gegen Schmerzen wie ein Indianer abgehärtet. Am besten war Sam Hawkens davongekommen; er hatte einige ganz unbedeutende Quetschungen erlitten, welche eigentlich gar nicht erwähnt zu werden brauchen.

Es war vorauszusehen, daß Old Firehand sich selbst nach seiner vollständigen Genesung noch lange, lange Zeit zu schonen haben werde; das Leben eines Westmannes sofort wieder zu beginnen, war für ihn eine Unmöglichkeit; darum hatte er sich entschlossen, sobald er die Reise unternehmen könne, nach dem Osten zu seinem älteren Sohne zu gehen und Harry mitzunehmen. Da verstand es sich denn ganz von selbst, daß die Vorräte von Fellen, welche er mit seiner Pelzjägergesellschaft gesammelt hatte, nicht liegen bleiben konnten; sie mußten verwertet, das heißt also, verkauft werden. Auf dem Fort gab es gegenwärtig leider keine Gelegenheit dazu, und doch war es für Rekonvaleszenten wenn nicht schwer, so doch höchst unbequem, eine solche Menge von Fellen weit fort zu transportieren. Wie war dem abzuhelfen? Da half uns einer der Soldaten, welche für einige Zeit zu unserm Schutze bei uns zurückgelassen worden waren, mit einem guten Rate aus. Er hatte erfahren, daß sich drüben am Turkey-River ein Pedlar aufhielt, welcher alles Mögliche, was ihm angeboten wurde, aufkaufte und dabei nicht bloß Tauschgeschäfte trieb, sondern die erhandelten Waren auch mit barem Gelde bezahlte. Dieser Mann konnte uns aus der Verlegenheit helfen.

Aber wie ihn herbeibringen? Einen Boten konnten wir ihm nicht schicken, denn wir hatten Niemand als nur die Soldaten bei uns, und von diesen durfte keiner seinen Posten verlassen. Da ging es denn nicht anders, als daß einer von uns fort mußte, um den Pedlar zu benachrichtigen. Ich bot mich an, nach dem Turkey-River zu reiten, wurde aber darauf aufmerksam gemacht, daß die für die Weißen sehr gefährlichen Okananda-Sioux jetzt dort ihr Wesen trieben. Der Pedlar konnte sich getrost zu ihnen wagen, denn die Roten pflegen selten einem Händler etwas zu tun, weil sie sich bei diesen Leuten alles eintauschen können, was sie brauchen; desto mehr aber hatten sich andere Weiße vor ihnen in acht zu nehmen, und wenn ich mich auch nicht gerade fürchtete, so war es mir doch lieb, daß Winnetou sich erbot, mich zu begleiten. Wir konnten wohl abkommen, weil Old Firehand an Sam Hawkens und Harry genug hatte. Sie pflegten ihn, und für Nahrung sorgten die Soldaten, welche abwechselnd auf die Jagd gingen. Wir machten uns also auf den Weg und kamen, da Winnetou die Gegend genau kannte, schon am dritten Tage an den Turkey-River oder Turkey-Creek. Es gibt mehrere kleine Flüsse dieses Namens; der, welchen ich hier meine, ist bekannt wegen der vielen und blutigen Zusammenstöße, welche die Weißen im Laufe der Zeit mit den verschiedenen Stämmen der Sioux dort gehabt haben.

Wie nun den Pedlar finden? Wenn er bei den Indianern war, galt es für uns, außerordentlich vorsichtig zu sein. Es gab aber am Flusse und in der Nähe desselben auch weiße Ansiedler, welche es vor einigen Jahren gewagt hatten, sich da niederzulassen, und so war es also geraten, zunächst einen von ihnen aufzusuchen, um uns bei ihm zu erkundigen. Wir ritten also den Fluß entlang, doch ohne die Spur einer Wohnung zu finden, bis wir gegen Abend endlich ein Roggenfeld erblickten, an welches sich andere Felder schlossen. An einem Bache, welcher sein Wasser in den Fluß ergoß, lag ein aus rohen, starken Baumstämmen zusammengefügtes, ziemlich großes Blockhaus mit einem von einer starken Fenz umgebenen Garten. Seitwärts davon umschloß eine ebensolche Fenz einen freien Raum, auf welchem sich einige Pferde und Kühe befanden. Dorthin ritten wir, stiegen ab, banden unsere Pferde an und wollten nach dem Hause gehen, welches schmale, schießschartenähnliche Fenster besaß. Da sahen wir aus zwei von diesen Fenstern je einen auf uns gerichteten doppelten Gewehrlauf erscheinen, und eine barsche Stimme rief uns zu:

»Halt! Bleibt stehen! Hier ist kein Taubenhaus, wo man ein-und ausfliegen kann wie es einem beliebt. Wer seid Ihr, Weißer, und was wollt Ihr hier?«

»Ich bin ein Deutscher und suche den Pedlar, der sich in dieser Gegend befinden soll,« antwortete ich.

»So seht, wo Ihr ihn findet! Ich habe nichts mit Euch zu tun. Trollt Euch von dannen!«

»Aber, Sir, Ihr werdet doch so vernünftig sein, mir die Auskunft, wenn Ihr sie geben könnt, nicht zu verweigern. Man weist doch nur Gesindel von der Tür.«

»Ist sehr richtig, was Ihr da sagt, und darum weise ich Euch eben fort.«

»Ihr haltet uns also für Gesindel?«

» Yes!«

»Warum?«

»Das ist meine Sache; brauche es Euch eigentlich nicht zu sagen; aber Eure Angabe, daß Ihr ein Deutscher seid, ist jedenfalls eine Lüge.«

»Es ist die Wahrheit.«

» Pshaw! Ein Deutscher getraut sich nicht so weit hierher; es müßte denn Old Firehand sein, der einer ist.«

»Von dem komme ich.«

»Ihr? Hm! Woher denn?«

»Drei Tagesritte weit von hier, wo er sein Lager hat. Vielleicht habt Ihr davon gehört?«

»Ein gewisser Dick Stone war einmal da und hat mir allerdings gesagt, daß er ungefähr so weit zu reiten habe, um zu Old Firehand zu kommen, zu dem er gehörte.«

»Der lebt nicht mehr; er war ein Freund von mir.«

»Mag sein; aber ich darf Euch nicht trauen, denn Ihr habt einen Roten bei Euch, und die gegenwärtigen Zeiten sind nicht danach, daß man Leute dieser Farbe bei sich eintreten läßt.«

»Wenn dieser Indianer zu Euch kommt, so müßt Ihr es als eine Ehre für Euch ansehen, denn er ist Winnetou, der Häuptling der Apachen.«

»Winnetou? Alle Wetter, wenn das wahr wäre! Er mag mir doch einmal sein Gewehr zeigen!«

Winnetou nahm seine Silberbüchse vom Rücken und hielt sie so, daß der Settler sie sehen konnte, da rief dieser:

»Silberne Nägel! Das stimmt. Und Ihr, Weißer, habt zwei Gewehre, ein großes und ein kleines; da komme ich auf eine Idee. Ist das große etwa ein Bärentöter?«

»Ja.«

»Und das kleine ein Henrystutzen?«

»Ja.«

»Und Ihr habt einen Prairienamen, welcher anders lautet als Euer eigentlicher, den Ihr mir gesagt habt?«

»Sehr richtig!«

»Seid Ihr etwa Old Shatterhand, der allerdings ein Deutscher von drüben her sein soll?«

»Der bin ich allerdings.«

»Dann herein, schnell herein, Mesch’schurs! Solche Leute sind mir freilich hochwillkommen. Ihr sollt Alles haben, was Euer Herz begehrt, wenn ich es besitze.«

Die Gewehrläufe verschwanden, und gleich darauf erschien der Settler unter der Tür. Er war ein ziemlich alter, kräftiger und starkknochiger Mann, dem man es beim ersten Blick ansah, daß er mit dem Leben gekämpft hatte, ohne sich werfen zu lassen. Er streckte uns beide Hände entgegen und führte uns in das Innere des Blockhauses, wo sich seine Frau und sein Sohn, ein junger, kräftiger Bursche, befanden. Zwei andere Söhne waren, wie wir erfuhren, im Walde beschäftigt.

Das Innere des Hauses bestand aus einem einzigen Raume. An den Wänden hingen Gewehre und verschiedene Jagdtrophäen. Über dem aus Steinen errichteten einfachen Herde brodelte kochendes Wasser in einem eisernen Kessel; das notwendigste Geschirr stand dabei auf einem Brette. Einige Kisten dienten als Kleiderschrank und Vorratskammern, und an der Decke hing so viel geräuchertes Fleisch, daß die aus fünf Personen bestehende Familie monatelang davon leben konnte. In der vordern Ecke stand ein selbstgezimmerter Tisch mit einigen ebensolchen Stühlen. Wir wurden aufgefordert, uns da niederzusetzen, und erhielten, während der Sohn draußen unsere Pferde besorgte, von dem Settler und seiner Frau ein Abendessen aufgetragen, welches, die Verhältnisse berücksichtigt, nichts zu wünschen übrig ließ. Während des Essens kamen die beiden Söhne aus dem Walde und setzten sich ohne große Umstände bei uns nieder, um tüchtig zuzulangen, ohne sich an der Unterhaltung zu beteiligen, welche ausschließlich ihr Vater mit uns führte.

»Ja, Mesch’schurs,« sagte er, »ihr dürft es mir nicht übel nehmen, daß ich euch etwas rauh angesprochen habe. Man hat hier mit den Roten zu rechnen, besonders mit den Okananda-Sioux, welche erst kürzlich einen Tagesritt von hier ein Blockhaus überfallen haben. Und fast noch weniger ist den Weißen zu trauen, denn hierher kommen nur solche, die sich im Osten nicht mehr sehen lassen dürfen. Darum freut man sich doppelt, wenn man einmal Gentlemen, wie ihr seid, zu sehen bekommt. Also den Pedlar wollt ihr haben? Beabsichtigt ihr ein Geschäft mit ihm?«

»Ja,« antwortete ich, während Winnetou sich nach seiner Gewohnheit schweigsam verhielt.

»Was für eines ist es? Ich frage nicht aus Neugierde, sondern um euch Auskunft zu erteilen.«

»Wir wollen ihm Felle verkaufen.«

»Viel?«

»Ja.«

»Gegen Waren oder Geld?«

»Wo möglich Geld.«

»Da ist er euer Mann, und zwar der einzige, den ihr hier finden könnt. Andere Pedlars tauschen nur; dieser aber hat stets auch Geld oder doch Gold bei sich, weil er auch die Diggins besucht. Er ist ein Kapitalist, sage ich euch, und nicht etwa ein armer Teufel, der seinen ganzen Kram auf dem Rücken herumträgt.«

»Ob auch ehrlich?«

»Hm, ehrlich! Was nennt ihr ehrlich? Ein Pedlar will Geschäfte machen, will verdienen und wird also nicht so dumm sein, sich einen Vorteil entgehen zu lassen. Wer sich von ihm betrügen läßt, ist selber schuld. Dieser heißt Burton; er versteht sein Fach aus dem Fundamente und treibt es so, daß er stets mit vier oder fünf Gehilfen reist.«

»Wo denkt Ihr, daß er jetzt zu finden ist?«

»Werdet es noch heut abend hier bei mir erfahren. Einer seiner Gehilfen, welcher Rollins heißt, war gestern da, um nach Aufträgen zu fragen; er ist flußaufwärts zu den nächsten Settlers geritten und wird zurückkommen, um bis morgen früh dazubleiben. Übrigens hat Burton in letzter Zeit einigemal Pech gehabt.«

»Wieso?«

»Es ist ihm in kurzem fünf-oder sechsmal passiert, daß er, wenn er kam, um Geschäfte zu machen, die betreffende Niederlassung von den Indsmen ausgeraubt und niedergebrannt gefunden hat. Das bedeutet für ihn nicht nur einen großen Zeitverlust, sondern auch einen direkten Schaden, gar nicht gerechnet, daß es selbst für einen Pedlar gefährlich ist, den Roten so im Wege herumzulaufen.«

»Sind diese Überfälle in eurer Nähe geschehen?«

»Ja, wenn man nämlich in Betracht zieht, daß hier im Westen die Worte nahe oder fern nach einem andern Maßstabe genommen werden als anderswo. Mein nächster Nachbar wohnt neun Meilen von hier.«

»Das ist zu beklagen, denn bei solchen Entfernungen könnt ihr im Falle einer Gefahr einander nicht beistehen.«

»Freilich richtig; habe aber trotzdem keine Angst. Dem alten Corner sollen die Roten ja nicht kommen; ich heiße nämlich Corner, Sir. Würde ihnen schön heimleuchten!«

»Obgleich ihr nur vier Personen seid?«

»Vier? Ihr könnt meine Frau getrost auch als Person rechnen, und als was für eine! Die fürchtet sich vor keinem Indsman und weiß mit dem Gewehre grad so umzugehen, wie ich selbst.«

»Das glaube ich gern; aber wenn die Indianer in Masse kommen, so geht es eben nach dem alten Sprichworte: Viele Hunde sind des Hasen Tod.«

» Well! Aber muß man grad ein Hase sein? Ich bin zwar kein so berühmter Westmann wie Ihr und habe weder eine Silberbüchse noch einen Henrystutzen; aber zu schießen verstehe ich auch; unsere Gewehre sind gut, und wenn ich meine Türe zumache, kommt mir gewiß kein Roter herein. Und wenn hundert draußen ständen, wir würden sie alle wegputzen, einen nach dem andern. Doch horch! Das wird wohl Rollins sein.«

Wir hörten den Huftritt eines Pferdes, welches draußen vor der Tür angehalten wurde. Corner ging hinaus. Wir hörten ihn mit jemand sprechen, und dann brachte er einen Mann herein, den er uns mit den Worten vorstellte:

»Dies ist Mr. Rollins, von dem ich euch gesagt habe, der Gehilfe des Pedlars, den ihr sucht.«

Und sich wieder zu dem Eingetretenen wendend, fuhr er fort:

»Ich habe draußen gesagt, daß Euch eine große Überraschung bevorstehe, eine Überraschung nämlich darüber, was für Männer Ihr heute bei mir zu sehen bekommt. Diese beiden Gentlemen sind nämlich Winnetou, der Häuptling der Apachen, und Old Shatterhand, von denen Ihr gewiß schon oft gehört haben werdet. Sie suchen nach Mr. Burton, dem sie eine ganze Menge von Fellen und Pelzen verkaufen wollen.«

Der Händler war ein Mann in den mittleren Jahren, eine ganz gewöhnliche Erscheinung, ohne irgend etwas Auffälliges im guten oder im bösen Sinne. Seine Physiognomie war gar nicht etwa geeignet, bei der ersten Betrachtung irgend ein negatives Urteil hervorzurufen, und dennoch wollte mir der Gesichtsausdruck, mit dem er uns betrachtete, nicht gefallen. Waren wir wirklich so hervorragende Männer, wie er jetzt zu hören bekommen hatte, so mußte er sich freuen, uns kennen zu lernen; zugleich war ihm ein gutes Geschäft in Aussicht gestellt worden; das mußte ihm lieb sein; aber in seinen Zügen war nichts von Freude oder Befriedigung zu lesen; ich glaubte vielmehr zu bemerken, daß es ihm nicht recht zu sein schien, mit uns zusammenzutreffen. Doch war es leicht möglich, daß ich mich täuschte; das, was mir nicht gefiel, konnte eine ganz unschuldige Zaghaftigkeit sein, welche er, der Gehilfe eines Händlers, zwei bekannten Westmännern gegenüber empfand. Darum überwand ich das mir grundlos erscheinende Vorurteil und forderte ihn auf, sich zu uns zu setzen, da wir geschäftlich mit ihm zu sprechen hätten.

Er bekam auch zu essen, schien aber keinen Appetit zu haben und stand bald vorn Tische auf, um hinauszugehen und nach seinem Pferde zu sehen. Dazu brauchte er nicht lange Zeit, und doch verging weit über eine Viertelstunde, ohne daß er wiederkam. Ich kann es nicht Mißtrauen nennen, aber es war doch etwas Ähnliches, was mich veranlaßte, auch hinauszugehen. Sein Pferd stand angebunden vor dem Hause; er aber war nicht zu sehen. Es war längst Abend, doch schien der Mond so hell, daß ich ihn hätte bemerken müssen, wenn er in der Nähe gewesen wäre. Erst nach längerer Zeit sah ich ihn um die Ecke der Umzäunung kommen. Als er mich erblickte, blieb er für einen Augenblick stehen, kam aber dann schnell vollends heran.

»Seid Ihr vielleicht ein Freund von Mondscheinpromenaden, Mr. Rollins?« fragte ich ihn.

»Nein, so poetisch bin ich nicht,« antwortete er.

»Es scheint mir aber doch!«

»Warum?«

»Ihr geht ja doch spazieren.«

»Aber nicht dem Monde zuliebe. Ich fühle mich nicht wohl; habe mir heut früh den Magen verdorben; dann das lange Sitzen im Sattel; mußte mir ein wenig Bewegung machen. Das ist es, Sir.«

Er band sein Pferd los und führte es in die Umzäunung, wohin die unserigen auch gebracht worden waren; dann kam er mir nach in das Haus. Was hatte ich mich um ihn zu kümmern? Er war ja sein eigener Herr und konnte tun, was ihm beliebte; doch ist der Westmann nun einmal zur größten Vorsicht, zum Mißtrauen verpflichtet und geneigt; aber der Grund, den Rollins mir für seine Entfernung angegeben hatte, war ein völlig stichhaltiger und befriedigender. Er hatte vorhin so wenig gegessen, darum war es leicht zu glauben, daß die Schuld an seinem Magen lag. Und dann, als wir drinnen wieder beisammen saßen, gab er sich so natürlich bescheiden, so unbefangen und harmlos, daß mein Mißtrauen, wenn ich ja noch welches gehabt hätte, ganz gewiß geschwunden wäre.

Wir sprachen natürlich vom Geschäft, von den jetzigen Preisen der Pelze, von der Behandlung, dem Transporte derselben und von allem, was sich auf unseren Handel bezog. Er zeigte sehr gute Fachkenntnisse und brachte dieselben in so anspruchsloser Weise zum Vorscheine, daß selbst Winnetou Wohlgefallen an ihm zu haben schien und sich an dem Gespräche mehr, als sonst in seiner Gewohnheit lag, beteiligte. Wir erzählten unsere letzten Erlebnisse und fanden sehr aufmerksame Zuhörer. Natürlich erkundigten wir uns auch nach dem Pedlar selbst, ohne dessen Anwesenheit und Zustimmung das Geschäft ja nicht abgeschlossen werden konnte. Hierauf antwortete Rollins:

»Ich kann Euch leider nicht sagen, wo mein Prinzipal sich grad heut befindet oder morgen oder übermorgen befinden wird. Ich sammle die Aufträge und überbringe sie ihm zu gewissen Tagen, an denen ich weiß, wo ich ihn treffen werde. Wie lange hat man zu reiten, um zu Mr. Firehand zu kommen?«

»Drei Tage.«

»Hm! Von heut an in sechs Tagen wird Mr. Burton oben am Riffley-Fork sein, und ich hätte also Zeit, mit Euch zu gehen, um mir die Ware anzusehen und den ungefähren Wert derselben zu bestimmen. Dann erstatte ich ihm Bericht und bringe ihn zu Euch, natürlich aber nur dann, wenn ich bei Euch der Ansicht werde, daß wir auf das Geschäft eingehen können und er derselben Meinung ist. Was sagt Ihr dazu, Sir?«

»Daß Ihr allerdings die Ware sehen müßt, ehe Ihr sie kaufen könnt. Nur wäre es mir lieber, wenn wir Mr. Burton selbst da hätten.«

»Das ist nun einmal nicht der Fall, und selbst wenn er hier wäre, fragte es sich sehr, ob er gleich mit Euch reiten könnte. Unser Geschäft hat einen größern Umfang, als Ihr denkt, und der Prinzipal besitzt nicht die nötige Zeit, drei Tage weit zu reiten, ohne vorher zu wissen, ob es ihm möglich sein werde, ein Gebot zu machen. Ich bin überzeugt, daß er Euch nicht selbst begleiten, sondern Euch einen von uns mitgeben würde, und da trifft es sich ja ganz gut, daß ich es grad jetzt ermöglichen kann, den Weg mit Euch zu machen. Sagt also ja oder nein, damit ich weiß, woran ich bin!«

Es gab nicht den mindesten Grund, seinen Vorschlag zurückzuweisen; ich war vielmehr überzeugt, ganz im Sinne Old Firehands zu handeln, indem ich antwortete:

»Habt Ihr die Zeit dazu, so ist es uns recht, daß Ihr mit uns reitet; aber dann gleich morgen früh!«

»Natürlich! Unsereiner hat keine Stunde, noch viel weniger ganze Tage zu verschenken. Wir brechen auf, sobald der Morgen graut, und darum schlage ich vor, daß wir uns zeitig niederlegen.«

Auch hiergegen gab es nichts einzuwenden, obwohl wir dann später freilich erfuhren, daß dieser Mann ganz und gar nicht so harmlos war, wie er sich den Anschein gab. Er stand vorn Tische auf und half der Settlersfrau, die Felle und Decken ausbreiten, auf welchen geschlafen werden sollte. Als sie damit fertig waren, gab er uns beiden unsere Plätze an.

»Danke!« sagte ich. »Wir ziehen vor, im Freien zu liegen. Die Stube ist voller Rauch; draußen haben wir frische Luft.«

»Aber, Mr. Shatterhand, Ihr werdet nicht schlafen können, wenn Euch der helle Mond bescheint, und außerdem ist es jetzt kühl des Nachts.«

»Diese Kühle sind wir gewöhnt, und was den Mond betrifft, so kommt es uns nicht in den Sinn, ihm zu verbieten, dahin zu gucken, wohin es ihm beliebt.«

Er machte noch einige Versuche, uns von diesem Vorhaben abzubringen, doch vergeblich. Wir nahmen keinen Anstoß daran, und erst später, als wir ihn kennen gelernt hatten, erinnerten wir uns, freilich zu spät, daran, daß dieses sein Zureden eigentlich auffällig gewesen war; wir hätten die Absichtlichkeit bemerken sollen.

Ehe wir hinausgingen, machte der Wirt gegen uns die Bemerkung:

»Ich bin gewöhnt, die Tür zu verriegeln. Soll ich sie heut offen lassen, Mesch’schurs?«

»Warum das?«

»Ihr könntet etwas zu wünschen haben.«

»Wir werden nichts wünschen. In diesen Gegenden ist es nicht geraten, die Türen des Nachts unverschlossen zu halten. Hätten wir Euch ja etwas zu sagen, so würden wir es durch das Fenster tun.«

»Ja, die werden nicht zugemacht.«

Als wir aus dem Hause getreten waren, hörten wir deutlich, daß der Wirt hinter uns den Riegel vor die Türe schob. Der Mond stand so niedrig, daß das Gebäude seinen Schatten über die Umfriedigung warf, in welcher sich die Pferde befanden; wir gingen also dahinein, um im Dunkeln zu liegen. Swallow und Winnetous Pferd hatten sich nebeneinander niedergetan; ich breitete neben dem ersteren meine Decke aus, legte mich auf dieselbe und nahm den Hals des Rappen zum Kopfkissen, wie ich schon oft getan hatte. Er war dies nicht nur gewöhnt, sondern er hatte es sehr gern. Bald schlief ich ein.

Ich mochte eine Stunde geschlafen haben, als ich durch eine Bewegung meines Pferdes aufgeweckt wurde. Es rührte sich nie, so lange ich bei ihm lag, außer wenn etwas Ungewöhnliches passierte; jetzt hatte es den Kopf hoch erhoben und sog die Luft mißtrauisch durch die Nüstern. Sofort war ich auf und ging in der Richtung, nach welcher Swallow windete, nach der Fenz; dies tat ich in gebückter Haltung, um nicht von außen gesehen zu werden. Indem ich vorsichtig über die Umzäunung lugte, bemerkte ich in der Entfernung von vielleicht zweihundert Schritten eine Bewegung, welche sich langsam näherte. Das war eine Anzahl von Menschen, welche am Boden lagen und herbeigekrochen kamen. Ich drehte mich um, Winnetou schnell zu benachrichtigen; da stand er schon hinter mir; er hatte im Schlafe die leisen Schritte gehört, mit denen ich fortgeschlichen war.

»Sieht mein Bruder die Gestalten dort?« fragte ich ihn.

»Ja,« antwortete er; »es sind rote Krieger.«

»Wahrscheinlich Okanandas, welche das Blockhaus überfallen wollen.«

»Old Shatterhand hat das Richtige erraten. Wir müssen in das Haus.«

»Ja, wir stehen dem Settler bei. Aber die Pferde können wir nicht hier lassen, denn die Okanandas würden sie mitnehmen.«

»Wir schaffen sie mit in das Haus. Komm schnell! Es ist gut, daß wir uns im Schatten befinden; da sehen uns die Sioux nicht.«

Wir kehrten schnell zu den Pferden zurück, ließen sie aufstehen und führten sie aus dem umfenzten Platze nach dem Hause. Eben wollte Winnetou die Schläfer drin durch das offene Fenster wecken, da sah ich, daß die Türe nicht verschlossen war, sondern eine Lücke offen stand; ich stieß sie vollends auf und zog Swallow in das Innere. Winnetou folgte mir mit seinem Pferde und schob hinter sich den Riegel vor. Das Geräusch, welches wir verursachten, weckte die Schlafenden auf.

»Wer ist da? Was gibt es? Pferde im Hause?« fragte der Settler, indem er aufsprang.

»Wir sind es, Winnetou und Old Shatterhand,« antwortete ich, weil er uns nicht erkennen konnte, denn das Feuer war ausgegangen.

»Ihr? Wie seid ihr hereingekommen?«

»Durch die Tür.«

»Die habe ich doch zugemacht!«

»Sie war aber offen.«

»Alle Wetter! Da muß ich den Riegel nicht ganz zugeschoben haben, als ihr hinausginget. Aber warum bringt ihr die Pferde herein?«

Er hatte freilich den Riegel vorgeschoben, aber der Händler hatte denselben, als die Settlers schliefen, wieder aufgemacht, damit die Indianer hereinkönnten. Ich antwortete:

»Weil wir sie uns nicht stehlen lassen wollen.«

»Stehlen lassen? Von wem?«

»Von den Okananda-Sioux, welche soeben herangeschlichen kommen, euch zu überfallen.«

Es läßt sich denken, welche Aufregung diese Worte hervorriefen. Corner hatte zwar am Abend gesagt, er fürchte sich nicht vor ihnen, aber nun sie wirklich kamen, erschrak er ungeheuer. Rollins gab sich den Anschein, als ob er ebenso entsetzt sei wie die Andern. Da gebot Winnetou Ruhe, indem er sagte:

»Seid still! Mit Schreien kann man keinen Feind besiegen. Wir müssen eiligst darüber einkommen, wie wir die Okananda von uns abwehren wollen.«

»Darüber brauchen wir doch nicht erst zu beraten,« antwortete Corner. »Wir putzen sie mit unserm’ Gewehr weg, einen nach dem andern, grad so, wie sie kommen. Erkennen können wir sie, denn der Mond scheint hell genug dazu.«

»Nein, das werden wir nicht tun,« erklärte der Apache.

»Warum nicht?«

»Weil man nur dann Menschenblut vergießen soll, wenn es durchaus notwendig ist.«

»Hier ist es notwendig, denn diese roten Hunde müssen eine Lehre bekommen, welche die Überlebenden nicht so leicht vergessen werden.«

»Mein weißer Bruder nennt die Indianer also rote Hunde? Er mag doch beherzigen, daß ich auch ein Indianer bin. Ich kenne meine roten Brüder besser, als er sie kennt. Wenn sie sich an einem Bleichgesichte vergreifen, so haben sie stets Ursache dazu. Entweder sind sie von ihm angefeindet worden, oder ein anderer Weißer hat sie durch irgend ein Vorgeben, dem sie Glauben schenken müssen, dazu beredet. Die Ponkas überfielen uns bei Old Firehand, weil ihr Anführer ein Weißer war, und wenn diese Okananda-Sioux jetzt kommen, um dich zu berauben, so ist ganz gewiß auch ein Bleichgesicht schuld daran.«

»Das glaube ich nicht.«

»Was du glaubst, das ist dem Häuptling der Apachen sehr gleichgültig, denn er weiß, daß es ganz gewiß so ist, wie er sagt!«

»Und wenn es so wäre, so müßten die Okanandas auf das strengste dafür bestraft werden, daß sie sich haben verführen lassen. Wer bei mir einbrechen will, den schieße ich nieder; das ist mein Recht und ich bin entschlossen, es auszuüben.«

»Dein Recht geht uns nichts an; wahre du es, wenn du allein bist; jetzt aber sind Old Shatterhand und Winnetou hier, und überall, wo sie sich befinden, sind sie gewohnt, daß man sich nach ihnen richtet. Von wem hast du dieses Settlement gekauft?«

»Gekauft? Daß ich so dumm wäre, es zu kaufen! Ich habe mich hierher gesetzt, weil es mir hier gefiel, und wenn ich die von dem Gesetze vorgeschriebene Zeit hier bleibe, gehört es mir.«

»Die Sioux, denen dieses Land gehört, hast du also wohl nicht gefragt?«

»Ist mir nicht eingefallen!«

»Und da wunderst du dich, daß sie dich als ihren Feind, als den Dieb und Räuber ihres Landes behandeln? Da nennst du sie rote Hunde? Da willst du sie erschießen? Tu nur einen einzigen Schuß, so jage ich dir eine Kugel durch den Kopf!«

»Aber was soll ich denn tun?« fragte der Settler, jetzt kleinlaut geworden, da er von dem berühmten Apachen in dieser Weise angesprochen wurde.

»Nichts sollst du tun, gar nichts,« antwortete dieser. »Ich und mein Bruder Old Shatterhand werden für dich handeln. Wenn du dich nach uns richtest, wird dir nichts, gar nichts geschehen.«

Diese Reden waren so schnell gewechselt worden, daß sie kaum mehr als eine Minute in Anspruch genommen hatten. Ich stand indessen an einem der Fenster und sah hinaus, um die Annäherung der Okanandas zu beobachten. Es war noch keiner zu sehen. Sie umschlichen das Haus jedenfalls erst von weitem, um sich zu überzeugen, daß sie nichts zu befürchten hätten und ihr Kommen nicht bemerkt worden sei. Jetzt kam Winnetou zu mir hin und fragte:

»Sieht mein Bruder sie kommen?«

»Noch nicht,« antwortete ich.

»Bist du mit mir einverstanden, daß wir keinen von ihnen töten?«

»Ganz und gar. Der Settler hat ihnen ihr Land gestohlen, und vielleicht hat ihr Kommen auch noch einen andern Grund.«

»Sehr wahrscheinlich. Wie aber machen wir es, sie von hier zu vertreiben, ohne Blut zu vergießen?«

»Mein Bruder Winnetou weiß das ebensogut wie ich.«

»Old Shatterhand errät meine Gedanken wie stets und immer. Wir fangen einen von ihnen.«

»Ja, und zwar den, der an die Tür kommt, um zu lauschen. Oder nicht?«

»Ja. Es wird jedenfalls ein Späher kommen, um zu horchen; den nehmen wir fest.«

Wir gingen an die Tür, schoben den Riegel zurück und öffneten sie so weit, daß nur eine kleine Spalte entstand, grad weit genug, um hinausblicken zu können. An diese stellte ich mich und wartete. Es verging eine geraume Zeit. Im Innern des Hauses war es absolut dunkel und still. Niemand regte sich. Da hörte ich den Späher kommen, oder vielmehr, ich hörte ihn nicht, denn es war wohl nicht das Ohr, mit welchem ich seine Annäherung vernahm, sondern jener eigenartige Instinkt, welcher sich bei jedem guten Westmann ausbildet, sagte es mir. Und wenige Augenblicke später sah ich ihn. Er lag an der Erde und kam an die Tür gekrochen. Die Hand erhebend, befühlte er dieselbe. Im Nu hatte ich sie ganz geöffnet, lag auf ihm und faßte mit beiden Händen seinen Hals; er versuchte, sich zu wehren, strampelte mit den Beinen und schlug mit den Armen um sich, konnte aber keinen Ton hervorbringen. Ich zog ihn auf und schaffte ihn in das Haus, worauf Winnetou die Tür wieder verriegelte.

»Macht Licht, Mr. Corner!« forderte ich den Settler auf. »Wollen uns den Mann einmal ansehen.«

Der Ansiedler kam dieser Aufforderung nach, indem er eine Hirschtalgkerze anzündete und mit derselben dem Indianer, den ich beim Halse losgelassen, aber bei den beiden Oberarmen wieder gepackt hatte, in das Gesicht leuchtete.

»Das ›Braune Pferd‹, der Häuptling der Okananda-Sioux!« rief Winnetou aus. »Da hat mein Bruder Old Shatterhand einen sehr guten Fang gemacht!«

Der Indsman war unter meinem Griffe beinahe erstickt. Er holte jetzt einigemal tief Atem und stieß dann bestürzt hervor:

»Winnetou, der Häuptling der Apachen!«

»Ja, der bin ich,« antwortete der Genannte. »Du kennst mich, denn du hast mich schon gesehen. Dieser da aber hat noch nicht vor deinen Augen gestanden. Hast du seinen Namen gehört, den ich soeben genannt habe?«

»Old Shatterhand?«

»Ja. Daß er es ist, hast du empfunden, denn er hat dich ergriffen und hereingebracht, ohne daß du ihm zu widerstehen vermochtest. Du befindest dich in unserer Gewalt. Was meinst du wohl, daß wir mit dir anfangen werden?«

»Meine berühmten Brüder werden mich wieder freigeben und fortgehen lassen.«

»Denkst du das wirklich?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil die Krieger der Okanandas nicht Feinde der Apachen sind.«

»Sie sind Sioux, und die Ponkas, welche uns kürzlich überfallen haben, gehören zu demselben Volke.«

»Wir haben nichts mit ihnen zu tun.«

»Das darfst du Winnetou nicht sagen. Ich bin der Freund aller roten Männer, aber wer unrecht tut, der ist mein Feind, von welcher Farbe er auch sei. Und wenn du behauptest, mit den Ponkas nichts zu tun zu haben, so ist das eine Unwahrheit, denn ich weiß ganz genau, daß die Okanandas und die Ponkas sich niemals gegenseitig bekriegt haben und grad jetzt sehr eng miteinander verbunden sind; deine Ausrede gilt also nichts in meinen Ohren. Ihr seid gekommen, diese Bleichgesichter hier zu überfallen; meinst du, daß ich und Old Shatterhand dies dulden werden?«

Der Okananda blickte eine Weile finster vor sich nieder und fragte dann:

»Seit wann ist Winnetou, der große Häuptling der Apachen, ungerecht geworden? Der Ruhm, welcher von ihm ausgeht, hat darin seinen Grund, daß er stets bestrebt gewesen ist, keinem Menschen unrecht zu tun. Und heut tritt er gegen mich auf, der ich in meinem Rechte bin!«

»Du täuschest dich, denn das, was ihr hier tun wollt, ist nicht recht.«

»Warum nicht? Gehört dieses Land nicht uns? Hat nicht jeder, der hier wohnen und bleiben will, die Erlaubnis dazu von uns zu holen?«

»Ja.«

»Diese Bleichgesichter haben es aber nicht getan; ist es da nicht unser gutes Recht, daß wir sie vertreiben?«

»Ja; dieses Recht euch abzusprechen, liegt mir fern; aber es kommt auf die Art und Weise an, in welcher ihr es ausübt. Müßt ihr denn sengen, brennen und morden, um die Eindringlinge los zu werden? Müßt ihr wie Diebe und Räuber, die doch sie sind, ihr aber nicht seid, des Nachts und heimlich kommen? jeder tapfere Krieger scheut sich nicht, dem Feinde sein Angesicht offen und ehrlich zu zeigen; du aber kommst mit so viel Kriegern des Nachts, um einige wenige Menschen zu überfallen. Winnetou würde sich schämen, dies zu tun; er wird überall, wohin er kommt, erzählen, welch furchtsame Leute die Söhne der Okanandas sind; Krieger darf man sie gar nicht nennen.«

›Braunes Pferd‹ wollte zornig auffahren, aber das Auge des Apachen ruhte mit einem so mächtigen Blicke auf ihm, daß er nicht wagte, es zu tun, sondern nur in mürrischem Tone sagte:

»Ich habe nach den Gewohnheiten aller roten Männer gehandelt; man überfällt den Feind des Nachts.«

»Wenn ein Überfall nötig ist!«

»Soll ich diesen Bleichgesichtern etwa gute Worte geben? Soll ich sie bitten, wo ich befehlen kann?«

»Du sollst nicht bitten, sondern befehlen; aber du sollst nicht wie ein Dieb des Nachts geschlichen kommen, sondern offen, ehrlich und stolz als Herr dieses Landes am hellen Tage hier erscheinen. Sage ihnen, daß du sie nicht auf deinem Gebiete dulden willst; stelle ihnen einen Tag, bis zu welchem sie fort sein müssen, und dann, wenn sie deinen Willen nicht achten, kannst du deinen Zorn über sie ergehen lassen. Würdest du so gehandelt haben, so sähe ich in dir den Häuptling der Okananda, der mir gleichsteht; so aber erblicke ich in dir einen Menschen, der sich heimtückisch an Andere schleicht, weil er sich nicht offen an sie wagt.«

Der Okananda starrte in eine Ecke des Raumes und sagte nichts; was hätte er dem Apachen auch entgegnen können! Ich hatte seine Arme losgelassen; er stand also frei vor uns, aber freilich in der Haltung eines Mannes, welcher sich bewußt ist, sich in keiner beneidenswerten Situation zu befinden. Über Winnetous ernstes Gesicht ging ein leises Lächeln, als er sich jetzt mit der Frage an mich wendete:

»›Braunes Pferd‹ hat geglaubt, daß wir ihn freigeben. Was sagt mein Bruder Old Shatterhand dazu?«

»Daß er sich da verrechnet hat,« antwortete ich. »Wer wie ein Mordbrenner kommt, wird als Mordbrenner behandelt. Er hat das Leben verwirkt.«

»Will Old Shatterhand mich etwa ermorden?« fuhr der Okananda auf.

»Nein; ich bin kein Mörder. Ob ich einen Menschen ermorde oder ob ich ihn mit dem wohlverdienten Tode bestrafe, das ist ein großer Unterschied.«

»Habe ich den Tod verdient?«

»Ja.«

»Das ist nicht wahr. Ich befinde mich auf dem Gebiete, welches uns gehört.«

»Du befindest dich im Wigwam eines Bleichgesichtes; ob dieses auf deinem Gebiete liegt, das ist gleichgültig. Wer ohne meine Erlaubnis in mein Wigwam eindringt, der hat nach den Gesetzen des Westens den Tod zu erwarten. Mein Bruder Winnetou hat dir gesagt, wie du hättest handeln sollen, und ich stimme vollständig mit ihm überein. Es kann uns kein Mensch tadeln, wenn wir dir jetzt das Leben nehmen. Aber du kennst uns und weißt, daß wir niemals Blut vergießen, wenn es nicht unumgänglich nötig ist. Vielleicht ist es möglich, mit dir ein Übereinkommen zu treffen, durch welches du dich retten kannst. Wende dich an den Häuptling der Apachen; dieser wird dir sagen, was du zu erwarten hast.«

Er war gekommen, um zu richten, und nun standen wir als Richter vor ihm; er befand sich in großer Verlegenheit; dies war ihm anzusehen, obgleich er sich große Mühe gab, es zu verbergen. Er hätte wohl gern noch etwas zu seiner Verteidigung gesagt, konnte aber nichts vorbringen. Darum zog er es vor, zu schweigen, und sah dem Apachen mit einem Ausdrucke, welcher halb derjenige der Erwartung und halb der des unterdrückten Zornes war, in das Gesicht. Hierauf schweifte sein Auge zu Rollins, dem Gehilfen des Pedlars, hinüber. Ob dies Zufall war, oder ob es absichtlich geschah, das wußte ich in diesem Augenblicke nicht, doch kam es mir vor, als ob in diesem Blicke eine Aufforderung, ihn zu unterstützen, liege. Der Genannte nahm sich auch wirklich seiner an, indem er sich an Winnetou wendete:

»Der Häuptling der Apachen wird nicht blutgierig sein. Man pflegt selbst hier im wilden Westen nur Taten zu bestrafen, welche wirklich ausgeführt worden sind; es ist aber hier noch nichts geschehen, auf was eine Strafe folgen muß.«

Winnetou warf ihm, wie ich sah, einen mißtrauisch forschenden Blick zu und antwortete:

»Was ich und mein Bruder Old Shatterhand zu denken und zu beschließen haben, das wissen wir, ohne daß jemand es uns zu sagen braucht. Deine Worte sind also unnütz, und du magst dir merken, daß ein Mann kein Schwätzer sein soll, sondern nur dann redet, wenn es notwendig ist.«

Warum diese Zurechtweisung? Winnetou wußte es wohl selbst kaum, aber wie es sich später herausstellte, hatte sein stets bewährter Instinkt auch hier wieder einmal das Richtige gefunden. Er fuhr, sich wieder an den Okananda wendend, fort:

»Du hast die Worte Old Shatterhands gehört; seine Meinung ist auch die meinige. Wir wollen dein Blut nicht vergießen, aber nur dann, wenn du mir jetzt die Wahrheit sagest. Versuche nicht, mich zu täuschen; es würde dir nicht gelingen. Sag mir also ehrlich, weshalb ihr hierher gekommen seid. Oder solltest du so feig sein, es leugnen zu wollen?«

»Uff!« stieß der Gefragte zornig hervor. »Die Krieger der Okananda sind keine so furchtsamen Menschen, wie du vorhin sagen wolltest. Ich leugne nicht. Wir wollten dieses Haus überfallen.«

»Und verbrennen?«

»Ja.«

»Was sollte mit den Bewohnern geschehen?«

»Wir wollten sie töten.«

»Habt ihr dies aus eigenem Antriebe beschlossen?«

Der Okananda zögerte mit der Antwort; darum sprach Winnetou sich deutlicher aus:

»Seid ihr vielleicht von irgend jemand auf diesen Gedanken gebracht worden?«

Auch jetzt schwieg der Gefragte, was in meinen Augen ebensoviel wie ein laut ausgesprochenes ja bedeutete.

»Das ›Braune Pferd‹ scheint keine Worte zu finden,« fuhr der Apache fort. »Er mag bedenken, daß es sich um sein Leben handelt. Wenn er es erhalten will, muß er reden. Ich will wissen, ob es einen Urheber dieses Überfalles gibt, welcher nicht zu den Kriegern der Okanandas gehört.«

»Ja, es gibt einen solchen,« ließ der Gefangene sich endlich hören.

»Wer ist es?«

»Würde der Häuptling der Apachen einen Verbündeten verraten?«

»Nein,« gab Winnetou zu.

»So darfst du mir nicht zürnen, wenn auch ich den meinigen nicht nenne.«

»Ich zürne dir nicht. Wer einen Freund verrät, verdient, wie ein räudiger Hund erschlagen zu werden. Du magst also den Namen verschweigen; aber ich muß wissen, ob der Mann ein Okananda ist.«

»Er ist keiner.«

»Gehört er zu einem andern Stamme?«

»Nein.«

»So ist er ein Weißer?«

»Ja.«

»Befindet er sich mit draußen bei deinen Kriegern?«

»Nein; er ist nicht hier.«

»So ist es also doch so, wie ich dachte, und auch mein Bruder Old Shatterhand hat es geahnt: es hat ein Bleichgesicht die Hand im Spiele. Das soll uns zur Milde stimmen. Wenn die Okananda-Sioux keine widerrechtliche Niederlassung der Bleichgesichter auf dem ihnen gehörigen Gebiete dulden wollen, so ist ihnen dies nicht zu verdenken; aber zu morden brauchen sie deshalb doch nicht. Die Absicht dazu war da; sie ist jedoch nicht zur Ausführung gekommen, und so soll ihrem Häuptlinge das Leben und die Freiheit geschenkt sein, wenn er auf die Bedingung eingeht, die ich ihm stelle.«

»Was forderst du von mir?« fragte ›Braunes Pferd‹.

»Zweierlei. Erstens mußt du dich von dem Weißen, der euch verführt hat, lossagen.«

Diese Bedingung gefiel dem Okananda nicht; aber er ging nach einigem Zögern doch auf sie ein; als er dann nach der zweiten fragte, erhielt er zur Antwort:

»Du forderst von diesem Bleichgesichte hier, welches sich Corner nennt, die Ansiedlung von euch zu kaufen oder sie zu verlassen. Erst wenn er keine von diesen beiden Forderungen erfüllt, kehrst du mit deinen Kriegern zurück, ihn von hier zu vertreiben.«

Hierauf ging ›Braunes Pferd‹ schneller ein; aber der Settler war dagegen. Er berief sich auf das Heimstättengesetz und brachte eine lange Rede hervor, auf welche ihm Winnetou die kurze Antwort gab:

»Wir kennen die Bleichgesichter nur als Räuber unserer Ländereien; was bei solchen Leuten Gesetz, Recht oder Sitte ist, geht uns nichts an. Wenn du glaubst, hier Land stehlen zu dürfen und dann von eurem Gesetze gegen die Bestrafung geschützt zu werden, so ist das deine Sache. Wir haben für dich getan, was wir tun konnten; mehr darfst du nicht verlangen. Jetzt werden Old Shatterhand und ich mit dem Häuptlinge der Okananda das Calumet rauchen, um dem, was wir ausgemacht haben, Geltung zu verleihen.«

Das war in einem solchen Tone gesprochen, daß Corner darauf verzichtete, etwas dagegen vorzubringen. Winnetou stopfte seine Friedenspfeife, und dann wurde das Übereinkommen, welches wir mit dem ›Braunen Pferde‹ getroffen hatten, unter den gewöhnlichen, wohlbekannten Zeremonien besiegelt. Ob dem Okanandahäuptlinge darauf zu trauen sei, das bezweifelte ich kaum, und Winnetou war derselben Ansicht, denn er ging zu der Tür, schob den Riegel zurück und sagte zu ihm:

»Mein roter Bruder mag zu seinen Kriegern hinausgehen und sie fortführen; wir sind überzeugt, daß -er das, was er versprochen hat, ausführen wird.«

Der Okananda verließ das Haus. Wir schlossen hinter ihm wieder zu und stellten uns an die Fenster, um als vorsichtige Leute ihn so weit wie möglich mit unseren Blicken zu verfolgen. Er entfernte sich nur einige Schritte und blieb dann im Mondscheine stehen; er wollte also von uns gesehen werden. Zwei Finger in den Mund steckend, ließ er einen gellenden Pfiff hören, auf welchen seine Krieger herbeigeeilt kamen. Sie waren natürlich höchst erstaunt darüber, von ihm so laut und auffällig zusammengerufen zu werden, während sie doch von ihm jedenfalls angewiesen worden waren, äußerst vorsichtig zu sein und ja kein Geräusch zu verursachen. Da erklärte er ihnen mit lauter Stimme, so daß wir jedes Wort hörten:

»Die Krieger der Okananda mögen hören, was ihr Häuptling ihnen zu sagen hat! Wir sind gekommen, um das Bleichgesicht Corner dafür zu züchtigen, daß es sich ohne unsere Erlaubnis hier bei uns eingenistet hat. Ich schlich mich voran, um das Haus zu umspähen, und dies wäre mir gelungen, wenn sich nicht die zwei berühmtesten Männer der Prairie und der Berge hier befänden. Old Shatterhand und Winnetou, der Häuptling der Apachen, sind gekommen, um diese Nacht bei diesem Hause zu lagern. Sie hörten und sie sahen uns kommen und öffneten ihre starken Arme, um mich zu empfangen, ohne daß ich dies ahnen konnte; ich wurde ihr Gefangener und von der Faust Old Shatterhands in das Haus gezogen. Von ihm besiegt worden zu sein, ist keine Schande, sondern es ist eine Ehre, mit ihm und Winnetou ein Bündnis zu schließen und das Calumet zu rauchen. Wir haben das getan und dabei beschlossen, daß den Bleichgesichtern, welche dieses Haus bewohnen, das Leben geschenkt sein soll, wenn sie es entweder kaufen oder zu einer Zeit verlassen, welche ich ihnen bestimmen werde. Dies ist zwischen uns fest bestimmt worden, und ich werde das Wort halten, welches ich gegeben habe. Winnetou und Old Shatterhand stehen an den Fenstern und hören, was ich meinen Kriegern jetzt sage. Es ist Friede und Freundschaft zwischen uns und ihnen. Meine Brüder mögen mir folgen, nach unsern Wigwams heimzukehren.«

Er ging und verschwand mit seinen Leuten um die Ecke der Fenz. Wir verließen natürlich alle das Haus, um ihnen nachzusehen und uns zu überzeugen, daß sie sich wirklich entfernten. Sie taten dies, und wir waren sicher, daß es ihnen nicht einfallen würde, zurückzukehren. Darum holten wir unsere Pferde wieder aus dem Hause und legten uns da zu ihnen nieder, wo wir vorher gelegen hatten. Rollins aber, der Händler, war mißtrauisch und ging ihnen nach, sie noch länger zu beobachten. Später freilich stellte es sich heraus, daß er sich aus einem ganz andern Grunde entfernt hatte. Wann er zurückgekehrt war, wußten wir nicht, doch als wir am Morgen aufstanden, war er da. Er saß mit dem Wirte auf einem Baumklotze, welcher als Bank diente, vor der Tür.

Corner bot uns einen guten Morgen, welcher keineswegs freundlich klang. Er war wütend über uns, denn er hegte die Überzeugung, daß es unbedingt vorteilhafter für ihn gewesen wäre, wenn wir die Roten alle weggeputzt hätten, wie er sich ausdrückte. Nun mußte er entweder fort oder bezahlen. Er tat mir übrigens nicht allzu sehr leid; warum hatte er sich in dieses Territorium gewagt. Was würde man in Illinois oder Vermont sagen, wenn ein Sioux-Indianer käme, sich mit seiner Familie in eine Gegend, die ihm gefiele, setzte und nun behauptete, ›das ist mein!‹

Wir machten uns aus seinem Gezanke nichts, bedankten uns für das bei ihm Genossene und ritten fort.

Der Händler begleitete uns natürlich, doch war es fast ebenso, als ob er sich nicht bei uns befunden hätte, denn er hielt sich nicht zu uns, sondern ritt in gewisser Entfernung hinter uns her, ungefähr so wie ein Untergebener, welcher in dieser Weise den Vorgesetzten seinen Respekt zu erzeigen hat. Das hatte an sich gar nichts Auffälliges und war uns sogar lieb, da wir ungestört miteinander sprechen konnten und uns nicht mit ihm zu beschäftigen brauchten.

Erst nach einigen Stunden kam er an unsere Seite, um mit uns über das abzuschließende Geschäft zu sprechen. Er erkundigte sich nach der Art und der Zahl der Fellvorräte, welche Old Firehand zu verkaufen beabsichtigte, und wir gaben ihm diejenige Auskunft, die wir zu geben vermochten. Hierauf fragte er nach der Gegend, wo Old Firehand auf uns wartete, und nach der Art und Weise, wie er seine Felle dort versteckt halte. Wir hätten ihm auch hierauf antworten können, taten dies aber nicht, weil wir ihn noch gar nicht kannten und es überhaupt nicht Gepflogenheit eines Westmannes und Jägers ist, von den Verstecken zu sprechen, an denen er seine Vorräte heimlich aufbewahrt. Ob er uns dies übel nahm oder nicht, das war uns gleich; er hielt sich von nun an wieder zurück, und zwar in noch größerer Entfernung als vorher.

Wir hatten auf dem Rückwege dieselbe Richtung eingeschlagen, aus welcher wir hergekommen waren, und fanden infolgedessen keine Veranlassung, die Gegend, durch welche wir ritten, so zu untersuchen, wie es nötig gewesen wäre, wenn wir sie nicht gekannt hätten. Ausgeschlossen war dabei natürlich aber nicht diejenige Vorsicht, welche der Westmann selbst an Orten anwendet, die er so genau wie seine Tasche kennt. Wir blickten also immer nach Spuren von Menschen oder Tieren aus, und diese immerwährende Aufmerksamkeit war die Ursache, daß uns gegen Mittag eine Fährte auffiel, welche uns andernfalls vielleicht entgangen wäre, weil sichtlich sehr viel Sorgfalt darauf verwendet worden war, sie zu verwischen. Vielleicht hätten wir sie dennoch übersehen, wenn wir nicht an einer Stelle auf sie getroffen wären, wo die Betreffenden eine kurze Rast gemacht hatten und das Gras, welches von ihnen niedergedrückt worden war, sich noch nicht wieder ganz aufgerichtet hatte. Wir hielten natürlich an und stiegen ab, um die Spur zu untersuchen. Während wir dies taten, kam Rollins heran und sprang auch aus dem Sattel, die Eindrücke zu betrachten.

»Ob dies wohl von einem Tiere oder von einem Menschen ist?« fragte er dabei.

Winnetou antwortete nicht; ich aber hielt es für unhöflich, auch zu schweigen, und machte darum die Bemerkung:

»Ihr scheint im Fährtenlesen nicht sehr geübt zu sein. Hier muß einem doch gleich der erste Blick sagen, wer dagewesen ist.«

»Also wohl Menschen?«

»Ja.«

»Das glaube ich nicht, denn da wäre das Gras weit mehr zerstampft.«

»Meint Ihr, daß es hier Leute gibt, welche es sich zum Vergnügen machen, den Boden zu zerstampfen, um dann entdeckt und ausgelöscht zu werden?«

»Nein; aber mit Pferden ist es gar nicht zu umgehen, deutlichere Spuren zu verursachen.«

»Die Personen, welche hier gewesen sind, haben eben keine Pferde gehabt.«

»Keine Pferde? Das wäre auffällig, vielleicht sogar verdächtig. Ich denke, in dieser Gegend kann kein Mensch, der nicht beritten ist, existieren.«

»Ist auch meine Meinung; aber habt Ihr noch nicht erlebt oder gehört, daß jemand auf irgend eine Weise um sein Pferd gekommen ist?«

»Das wohl. Aber Ihr redet nicht von einem, sondern von mehreren Menschen. Einer kann sein Pferd verlieren, ob aber mehrere – – – ?!«

Er tat so altklug, obgleich er nicht viel zu verstehen schien; ich hätte ihm nicht wieder geantwortet, selbst wenn ich nicht jetzt von Winnetou gefragt worden wäre:

»Weiß mein Bruder Old Shatterhand, woran er mit dieser Fährte ist?«

»Ja.«

»Drei Bleichgesichter ohne Pferde; sie haben nicht Gewehre, sondern Stöcke in den Händen getragen. Sie sind von hier aus fortgegangen, indem einer in die Stapfen des andern trat und der hinterste die Eindrücke zu verwischen suchte; sie scheinen also anzunehmen, daß sie verfolgt werden.«

»Das kommt auch mir so vor. Ob sie vielleicht gar keine Waffen haben?«

»Wenigstens Flinten haben diese drei Weißen nicht. Da sie ausgeruht haben, müßten wir die Spuren ihrer Gewehre sehen.«

»Hm! Sonderbar! Drei unbewaffnete Bleichgesichter in dieser gefährlichen Gegend! Man kann sich das nur damit erklären, daß sie Unglück gehabt haben, vielleicht gar überfallen und beraubt worden sind.«

»Mein weißer Bruder hat ganz meine Meinung. Diese Männer haben sich auf Stöcke gestützt, welche sie abgebrochen haben; man sieht die Löcher deutlich im Boden. Sie bedürfen wohl der Hilfe.«

»Wünscht Winnetou, daß wir sie ihnen gewähren?«

»Der Häuptling der Apachen hilft gern jedem, der seiner bedarf, und fragt nicht, ob es ein Weißer oder ein Roter ist. Doch mag Old Shatterhand bestimmen, was wir tun. Ich möchte helfen, aber ich habe kein Vertrauen.«

»Warum nicht?«

»Weil das Verhalten dieser Bleichgesichter ein zweideutiges ist. Sie haben sich große Mühe gegeben, ihre weiterführenden Spuren auszulöschen; warum haben sie die hier an der Lagerstelle nicht ebenso vertilgt?«

»Vielleicht glaubten sie, keine Zeit dazu zu haben. Oder: daß sie hier ausgeruht haben, das konnte man wissen; aber wohin sie dann gegangen sind, das wollten sie verbergen.«

»Vielleicht ist es so, wie mein Bruder sagt; aber dann sind diese Weißen nicht gute Westmänner, sondern unerfahrene Leute. Wir wollen ihnen nach, um ihnen zu helfen.«

»Ich bin gern einverstanden, zumal es nicht den Anschein hat, daß wir da von unserer Richtung sehr abzuweichen brauchen.«

Wir stiegen wieder auf; Rollins aber zögerte damit und sagte in bedenklichem Tone:

»Ist es nicht besser, diese Leute sich selbst zu überlassen? Es kann uns doch nichts nützen, ihnen nachzureiten.«

»Uns freilich nicht, sondern ihnen,« antwortete ich.

»Aber wir versäumen unsere Zeit dabei!«

»Wir sind nicht so pressiert, daß wir versäumen müßten, Leuten zu helfen, -welche der Unterstützung sehr wahrscheinlich bedürfen.«

Ich sagte das in einem etwas scharfen Tone; er brummte einige mißmutige Worte in den Bart und stieg aufs Pferd, um uns zu folgen, die wir nun der Spur nachritten. Ich hatte noch immer kein rechtes Vertrauen zu ihm, doch kam es mir nicht bei, ihn für so außerordentlich verschlagen zu halten, wie er wirklich war.

Die Fährte verließ den Wald und das Gebüsch und führte auf die offene Savanne hinaus; sie war frisch, höchstens eine Stunde alt, und da wir schnell ritten, dauerte es nicht lange, so sahen wir die Gesuchten vor uns. Als wir sie bemerkten, mochten sie ungefähr eine englische Meile von uns entfernt sein, und wir hatten diese Strecke erst halb zurückgelegt, als sie auf uns aufmerksam wurden. Einer von ihnen sah sich um, erblickte uns und teilte es den Andern mit. Sie blieben eine kurze Zeit stehen, vor Schreck, wie es schien; dann aber begannen sie, zu laufen, als ob es sich um ihr Leben handele. Wir trieben unsere Pferde an; es war uns natürlich eine Leichtigkeit, sie einzuholen, doch rief ich ihnen, ehe wir sie erreichten, einige beruhigende Worte zu, und dies hatte zur Folge, daß sie stehen blieben.

Sie waren wirklich unbewaffnet, vollständig unbewaffnet; sie hatten nicht einmal ein Messer besessen, um sich die Stöcke abzuschneiden, sondern diese abgebrochen; ihre Anzüge aber befanden sich in gutem Zustande. Der Eine von ihnen hatte ein Tuch um die Stirne gewickelt, und der Andere trug den linken Arm in der Binde; der Dritte war unverletzt. Sie sahen uns mit mißtrauischen, ja ängstlichen Blicken entgegen.

»Was rennt ihr denn in dieser Weise, Mesch’schurs?« fragte ich, als wir bei ihnen anhielten.

»Wissen wir, wer und was ihr seid?« antwortete der älteste von ihnen.

»Das war gleich. Wir mochten sein, wer wir wollten, wir hätten euch auf alle Fälle eingeholt; darum war euer Rennen unnütz. Doch braucht ihr euch nicht zu sorgen; wir sind ehrliche Leute und euch, als wir eure Spur sahen, nachgeritten, um euch zu fragen, ob wir euch vielleicht mit etwas dienen können. Wir vermuteten nämlich, daß euer gegenwärtiges Befinden nicht ganz nach euren Wünschen sei.«

»Da habt Ihr Euch freilich nicht getäuscht, Sir. Es ist uns übel ergangen, und wir sind froh, daß wir wenigstens das nackte Leben erhalten haben.«

»Bedaure es. Wer hat euch denn in dieser Weise mitgespielt? Etwa Weiße?«

»O nein, sondern die Okananda-Sioux.«

»Ach diese! Wann?«

»Gestern früh.«

»Wo?«

»Da droben am obern Turkey-River.«

»Wie ist das denn gekommen? Oder meint ihr vielleicht, daß ich lieber nicht darnach fragen soll?«

»Warum nicht, wenn ihr nämlich wirklich das seid, wofür ihr euch ausgebt, nämlich ehrliche Leute. Wenn dies der Fall ist, so werdet ihr uns wohl erlauben, nach euren Namen zu fragen.«

»Die sollt ihr erfahren. Dieser rote Gentleman hier ist Winnetou, der Häuptling der Apachen; mich pflegt man Old Shatterhand zu nennen, und dieser dritte Mann ist Mr. Rollins, ein Pedlar, der sich uns aus Geschäftsgründen angeschlossen hat.«

» Heigh-day, da ist ja jedes Mißtrauen vollständig ausgeschlossen! Von Winnetou und Old Shatterhand haben wir genug gehört, wenn wir uns auch nicht zu den Westmännern rechnen dürfen. Das sind zwei Männer, auf welche man sich in jeder Lage verlassen kann, und wir danken dem Himmel, daß er euch in unsern Weg geführt hat. Ja, wir sind hilfsbedürftig, sehr hilfsbedürftig, Mesch’schurs, und ihr verdient ein Gotteslohn, wenn ihr euch unser ein wenig annehmen wollt.«

»Das werden wir gern; sagt uns nur, in welcher Weise dies geschehen kann!«

»Da müßt ihr erst erfahren, wer wir sind. Ich heiße Warton; dieser hier ist mein Sohn und der andere mein Neffe. Wir kommen aus der Gegend von Neu-Ulm herüber, um uns am Turkey-River anzusiedeln.«

»Eine große Unvorsichtigkeit!«

»Leider! Aber wir wußten dies nicht. Es wurde uns alles so schön und leicht hergemacht; es klang so, als ob man sich nur herzusetzen und die Ernten einzuheimsen brauche.«

»Und die Indianer? Habt ihr denn an diese gar nicht gedacht?«

»O doch; aber sie wurden uns ganz anders geschildert, als wir sie gefunden haben. Wir kamen wohlausgerüstet, um uns zunächst die Gelegenheit anzusehen und ein Stück gutes Land auszuwählen. Dabei fielen wir den Roten in die Hände.«

»Dankt Gott, daß ihr noch am Leben seid!«

»Freilich, freilich! Es sah erst weit schlimmer aus, als es hernach geschah. Die Kerls sprachen vom Marterpfahle und andern schönen Dingen; dann begnügten sie sich aber damit, uns außer den Kleidern alles, was wir besaßen, abzunehmen und dann fortzujagen. Sie schienen doch notwendigere Dinge vorzuhaben, als sich mit uns zu schleppen.«

»Notwendigere Dinge? Habt Ihr vielleicht erfahren, was das gewesen ist?«

»Wir verstehen ihre Sprache nicht; aber der Häuptling hat, als er englisch mit uns radebrechte, einen Settler Namens Corner erwähnt, auf den sie es, wie es schien, abgesehen hatten.«

»Das stimmt. Den wollten sie am Abend überfallen, und darum hatten sie nicht Zeit und Lust, sich mit euch zu befassen. Diesem Umstande habt ihr euer Leben zu verdanken!«

»Aber was für ein Leben!«

»Wieso?«

»Ein Leben, welches kein Leben ist. Wir haben keine Waffe, nicht einmal ein Messer, und können kein Wild schießen oder fangen. Seit gestern früh haben wir Wurzeln und Beeren gegessen, und auch dies hat hier in der Prairie aufgehört. Ich glaube, wenn wir euch nicht getroffen hätten, müßten wir verhungern. Denn ich darf doch hoffen, daß ihr uns mit einem Stückchen Fleisch oder so etwas aushelfen

könnt?«

»Das werden wir; aber sagt, wohin ihr eigentlich wollt!«

»Nach Wilkes Fort.«

»Kennt ihr den Weg dorthin?«

»Nein, doch glaubten wir, die Richtung so ungefähr getroffen zu haben.«

»Dies ist allerdings der Fall. Habt ihr denn einen Grund, grad dorthin zu wollen?«

»Den besten, den es giebt. Ich sagte bereits, daß wir drei vorausgegangen seien, um uns das Land anzusehen; unsere Angehörigen sind hinterhergekommen und warten in Wilkes Fort auf uns. Erreichen wir glücklich diesen Ort, so ist uns dann geholfen.«

»Da habt ihr es jetzt möglichst gut getroffen. Wir haben ganz dieselbe Richtung mit euch und stehen in guter Verbindung mit Wilkes Fort. Ihr könnt euch uns anschließen.«

»Wirklich? Wollt Ihr uns das erlauben, Sir?«

»Natürlich. Wir können euch doch nicht hier im Stiche lassen.«

»Aber die Roten haben uns die Pferde genommen; wir müssen also laufen, und das wird Euch Zeit kosten!«

»Das ist nicht zu ändern. Setzt euch jetzt nieder, und ruht euch aus; ihr sollt vor allen Dingen etwas zu essen haben.«

Der Pedlar schien mit diesem Gange der Sache nicht einverstanden zu sein; er fluchte leise vor sich hin und murmelte etwas von Zeitversäumnis und unnützer Mildherzigkeit; wir achteten aber nicht darauf, stiegen ab, lagerten uns mit in das Gras und gaben den drei Hilfsbedürftigen zu essen. Sie ließen es sich wohl schmecken, und dann, als sie sich ausgeruht hatten, setzten wir den unterbrochenen Ritt fort, indem wir von ihrer bisherigen Richtung ab-und in unsere frühere einbogen. Sie waren ganz glücklich darüber, von uns gefunden worden zu sein, und hätten sich wohl gern mehr mit uns unterhalten, wenn wir, nämlich Winnetou und ich, gesprächigere Leute gewesen wären.

Was den Pedlar betrifft, so machten sie zwar einige Male den Versuch, ihn zum Reden und Erzählen zu bringen, doch vergeblich; er war zornig über unser Zusammentreffen mit ihnen und wies sie scharf von sich. Das machte ihn mir noch unsympathischer, als er mir vorher gewesen war, und infolgedessen schenkte ich ihm jetzt mehr, allerdings heimliche, Aufmerksamkeit, als ich bis jetzt für ihn gehabt hatte. Das Resultat dieser Aufmerksamkeit war aber ein ganz anderes, als man denken sollte.

Ich bemerkte nämlich, daß, wenn er sich unbeobachtet wähnte, ein höhnisches Lächeln oder ein Ausdruck schadenfroher Genugtuung über sein Gesicht glitt. Und wenn dies der Fall war, so warf er dann allemal einen scharf forschenden Blick auf Winnetou und mich. Das hatte ganz gewiß etwas zu bedeuten, und zwar etwas für uns nicht Vorteilhaftes. Ich beobachtete ihn schärfer, wobei ich mich jedoch so in acht nahm, daß er es nicht bemerken konnte, und sah hierauf noch ein zweites.

Er nahm nämlich zuweilen einen von den drei Fußgängern ins Auge, und wenn sich da die Blicke beider trafen, so glitten sie zwar schnell voneinander ab, aber es war mir dabei ganz so, als ob ein gewisses, heimliches Einvernehmen zu bemerken sei. Sollten die vier einander kennen, sollten sie wohl gar zusammengehören? Sollte das abstoßende Wesen des Pedlar bloß Maske sein?

Aber welchen Grund konnte er haben, uns zu täuschen? Die andern Drei waren uns zu Dank verpflichtet. Konnte ich mich nicht irren?

Sonderbar! Die – – ich möchte fast sagen, Kongruenz der Gefühle, Ansichten und Gedanken zwischen dem Apachen und mir machte sich auch jetzt wieder geltend. Eben als ich über die erwähnte Beobachtung nachdachte, hielt er sein Pferd an, stieg ab und sagte zu dem alten Warton:

»Mein weißer Bruder ist lang genug gegangen; er mag sich auf mein Pferd setzen. Old Shatterhand wird das seinige auch gern herleihen. Wir sind sehr schnelle Läufer und werden gleichen Schritt mit den Rossen halten.«

Warton tat so, als ob er diesen Dienst nicht annehmen wollte, fügte sich aber gern; sein Sohn bekam mein Pferd. Der Pedlar hätte das seinige nun eigentlich dem Neffen borgen sollen, tat dies aber nicht; darum wechselte dieser später mit dem Sohne ab.

Da wir nun zu Fuße waren, konnte es nicht auffallen, daß wir hinterdrein schritten. Wir hielten uns so weit zurück, daß die Andern unsere Worte nicht verstehen konnten, und waren außerdem so vorsichtig, uns der Apachensprache zu bedienen.

»Mein Bruder Winnetou hat sein Pferd nicht aus Mitleid, sondern aus einem andern Grunde hergegeben?« fragte ich ihn.

»Old Shatterhand errät es,« antwortete er.

»Hat Winnetou die vier Männer auch beobachtet?«

»Ich sah, daß Old Shatterhand Mißtrauen gefaßt hatte, und hielt darum meine Augen auch offen. Es war mir aber schon vorher Verschiedenes aufgefallen.«

»Was?«

»Mein Bruder wird es erraten.«

»Wohl die Bandagen?«

»Ja. Der Eine hat den Kopf verbunden, und der Andere trägt den Arm in der Binde. Diese Blessuren sollen von dem gestrigen Zusammentreffen mit den Okananda-Sioux herstammen. Glaubst du das?«

»Nein; ich denke vielmehr, daß diese Leute gar nicht verwundet worden sind.«

»Sie sind es nicht. Seit wir sie getroffen haben, sind wir an zwei Wassern vorübergekommen, ohne daß sie halten geblieben sind, um ihre Wunden zu kühlen. Wenn aber die Blessuren erlogen sind, so ist es auch eine Lüge, daß sie von den Okanandas überfallen und ausgeraubt wurden. Und hat mein weißer Bruder sie beim Essen beobachtet?«

»Ja. Sie aßen viel.«

»Aber doch nicht so viel und so hastig wie einer, der seit gestern nur Beeren und Wurzeln genossen hat. Und am oberen Turkey-Creek wollen sie überfallen worden sein. Können sie sich da jetzt schon hier befinden?«

»Das weiß ich nicht, weil ich am oberen Creek noch nicht gewesen bin.«

»Sie könnten nur dann hier sein, wenn sie geritten wären. Also haben sie entweder Pferde, oder sie sind nicht am oberen Turkey gewesen.«

»Hm! Gesetzt, sie haben Pferde, warum leugnen sie es, und wem haben sie die Tiere anvertraut?«

»Das werden wir erforschen. Hält mein Bruder Old Shatterhand den Pedlar für einen Feind von ihnen?«

»Nein; er verstellt sich.«

»Das tut er; ich sah es auch. Er kennt sie. Vielleicht gehört er gar zu ihnen.«

»Warum aber diese Heimlichkeit? Welchen Grund und welchen Zweck kann sie haben?«

»Das können wir nicht erraten, aber wir werden es erfahren.«

»Wollen wir es ihnen nicht gleich in das Gesicht sagen, was wir von ihnen denken?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ihre Heimlichkeit auch eine Ursache haben kann, welche uns nichts angeht. Diese vier Männer können trotz des Mißtrauens, welches sie in uns erwecken, ehrliche Leute sein. Wir dürfen sie nicht kränken; wir dürfen nicht eher etwas sagen, als bis wir überzeugt sind, daß sie böse Menschen sind.«

»Hm! Mein Bruder Winnetou beschämt mich zuweilen. Er besitzt manchmal weit mehr Zartgefühl als ich.«

»Will Old Shatterhand mir damit vielleicht einen Vorwurf machen?«

»Nein. Winnetou weiß, daß mir dies fern liegt.«

»Howgh! Man soll keinem Menschen ein Leid antun, bis man weiß, daß er es verdient. Es ist besser, ein Unrecht erleiden, als eins begehen. Mein Bruder Shatterhand mag nachdenken. Hat der Pedlar einen Grund, Böses gegen uns im Schilde zu führen?«

»Ganz und gar nicht. Er hat vielmehr alle Ursache, sich freundschaftlich gegen uns zu stellen.«

»So ist es. Er will unsere Vorräte sehen; sein Herr soll ein gutes Geschäft mit Old Firehand machen. Dies kann aber nicht geschehen, wenn unterwegs etwas Feindseliges gegen uns ausgeführt wird. Man würde von uns nie erfahren, wo Old Firehand mit seinen Schätzen sich befindet. Also selbst wenn dieser Händler für später eine böse Tat planen sollte, bis er die Vorräte gesehen hat, haben wir nichts von ihm zu fürchten. Stimmt mir mein Bruder bei?«

»Ja.«

Gesammelte Wildwestromane & Geschichten von Karl May

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