Читать книгу Gesammelte Wildwestromane & Geschichten von Karl May - Karl May - Страница 21

Оглавление

»Ganz so, wie ich dachte. Dann habt ihr euch in das Gebüsch versteckt und uns von den Bäumen aus beobachtet. Ihr wolltet den Ort, wo die Apachen das Gold holten, kennen lernen?«

Er hatte die Augen geschlossen und antwortete nicht.

»Oder wolltet ihr sie bloß bei ihrer Rückkehr überfallen, um «

Da unterbrach mich Winnetou:

»Mein Bruder mag nicht weiter fragen, denn dieses Bleichgesicht kann nicht mehr antworten; es ist tot. Diese weißen Hunde wollten unser Geheimnis kennen lernen; aber sie kamen zu spät. Wir befanden uns schon auf dem Rückwege, als sie uns kommen hörten. Da versteckten sie sich hinter die Bäume und schossen auf uns. Intschu tschuna und “Schöner Tag” stürzten getroffen nieder; mir aber streifte die Kugel nur den Aermel hier. Da schoß ich auf einen, der aber, eben als ich losdrückte, hinter einen andern Baum sprang; darum traf ich ihn nicht; aber meine zweite Kugel streckte einen andern nieder. Dann suchte ich hinter diesem Steine Schutz, der mir aber das Leben nicht hätte retten können, wenn mein Bruder Old Shatterhand nicht gekommen wäre. Denn zwei hielten mich von dieser Seite fest, und der dritte wollte hinter mich, wo ich keine Deckung hatte; seine Kugel hätte mich treffen müssen. Da aber hörte ich die starke Stimme von Old Shatterhands Bärentöter und war gerettet. Nun weiß mein Bruder alles und soll erfahren, wie es anzufangen ist, Santer zu ergreifen.«

»Wem wird diese Aufgabe zufallen?«

»Old Shatterhand wird sie lösen; er wird die Spur des Flüchtlings ganz gewiß finden.«

»Allerdings; aber während ich mühsam nach ihr suche, wird viel Zeit vergehen.«

»Nein. Mein Bruder braucht nicht nach ihr zu suchen, denn sie wird ganz gewiß zu seinen Pferden führen, welche er zunächst aufsuchen muß. Dort, wo er mit seinen Leuten während der Nacht gelagert hat, gibt es Gras, und Old Shatterhand wird also sehr leicht sehen, wohin er sich gewendet hat.«

»Und dann?«

»Dann nimmt mein Bruder zehn Krieger mit sich, um ihm zu folgen und ihn festzunehmen. Die andern zwanzig Krieger sendet er mir hierher, damit sie mit mir die Klagen des Todes anstimmen.«

»So soll es geschehen. Und ich hoffe, daß ich das Vertrauen, welches mein roter Bruder in mich setzt, rechtfertigen werde.«

»Ich weiß, daß Old Shatterhand grad so handeln wird, als ob ich selbst an seiner Stelle wäre. Howgh!«

Er reichte mir die Hand hin; ich schüttelte sie ihm, beugte mich noch einmal auf die Gesichter der beiden Toten nieder und ging. Am Rande der Lichtung drehte ich mich um. Winnetou verhüllte soeben ihre Köpfe und stieß dabei jene dumpfen Klagetöne aus, mit denen die Roten ihre Todesgesänge beginnen. Wie weh war mir, o wie so weh! Aber ich hatte zu handeln und eilte den Weg zurück, auf welchem ich gekommen war.

Ich war der Ansicht, daß Winnetous Vorhersagung eintreffen werde; aber während ich über den erwähnten Höhengrat stieg, kam mir ein Bedenken.

Santer mußte vor allen Dingen auf schleunigste Flucht bedacht sein, vor allen Dingen so schnell wie möglich aus unserer Nähe zu kommen suchen; das gerade Gegenteil davon geschah aber, wenn er nach seinem Lager lief. Dies konnte er nur in der Absicht tun, sich ein Pferd zu holen. Wie aber nun, wenn er dasjenige fand, auf welchem ich gekommen war? Er war doch wohl auf demselben Weg geflohen, der ihn auch hergeführt hatte. Da sah er unbedingt das Pferd.

Dieser Gedanke verdoppelte meine Schritte. Ich rannte den Berg hinab, im höchsten Grade darauf gespannt, ob ich es noch antreffen würde. Welcher Aerger für mich, als ich an die betreffende Stelle kam und da sah, daß es fort war! Ich hielt nur einen Augenblick an und flog mehr, als ich lief, durch die Schlucht. Hier konnte ich mich noch beeilen, weil wegen des Steingerölles ein zeitraubendes Suchen nach der Spur doch erfolglos gewesen wäre. Als ich aber unten das Tal erreichte, hielt ich an, um die Fährte sorgfältig zu lesen. Es gelang mir nicht sofort, denn der Boden war hier noch zu hart. Zehn Minuten später gab es weichen Grund, wo es leichter war, die Eindrücke der Füße und Hufe zu erkennen.

Da sah ich mich denn vollständig enttäuscht. Ich konnte suchen und forschen, wie ich wollte, und meine Augen und meinen Scharfsinn noch so sehr anstrengen, es wurde nicht anders Santer war hier nicht geritten. Er mußte weiter oben an einer dazu passenden Stelle, wo auf dem Fels keine Spur zurückblieb, die Schlucht verlassen haben; anders war es gar nicht möglich. Da stand ich nun! Was war zu tun? Sollte ich zurück, um nach der betreffenden Stelle zu suchen? Es konnten Stunden vergehen, ehe ich sie fand, und einen solchen Zeitverlust glaubte ich denn doch nicht verantworten zu können. Besser war es auf alle Fälle, nach unserm Lager zu eilen und dort Hilfe zu holen.

Dies tat ich denn. Es war ein Dauerlauf, wie ich noch keinen gemacht hatte, doch hielt ich ihn aus, weil ich von Winnetou belehrt worden war, wie man sich dabei zu verhalten hat, um bei Atem zu bleiben und nicht zu ermüden. Man läßt nämlich das Körpergewicht nur von einem Beine tragen und wechselt dann, wenn dieses ermüdet ist, auf das andere über. Auf diese Weise kann man stundenlang Trab laufen, ohne daß man sich allzu sehr anzustrengen hat; aber eine gute, gesunde Lunge muß man haben.

Als ich meinem Ziele nahe gekommen war, wendete ich mich zunächst nach Santers Lager. Die drei Pferde standen noch im Gesträuch. Ich band sie los, bestieg eins, nahm die andern beiden an den Zügeln und ritt nach unserm Lager. Es war längst Mittag vorüber, und Sam rief mir zu:

»Wo treibt Ihr Euch denn herum, Sir! Habt das Essen versäumt, und ich « er stockte in der Rede, musterte die Pferde mit einem erstaunten Blicke und fuhr dann fort: »Alle Wetter! Ihr seid zu Fuß fortgegangen und kommt beritten zurück! Seid wohl gar Pferdedieb geworden?«

»Das weniger. Habe diese Tiere erbeutet.«

»Wo?«

»Gar nicht weit von hier.«

»Von wem?«

»Seht sie nur richtig an! Ich erkannte sie sofort, und Ihr habt doch auch gute Augen.«

»Ja, die habe ich. Sah sogleich, wem sie gehören, wollte es aber nicht begreifen. Das sind ja die Pferde von Santer und seinen Begleitern; es fehlt aber eins.«

»Das werden wir uns suchen und auch den, der darauf sitzt.«

»Aber wie kommt «

»Still, lieber Sam!« unterbrach ich ihn. »Es ist sehr Wichtiges, sehr Trauriges geschehen. Wir müssen sofort fort von hier.«

»Von hier? Warum?«

Anstatt ihm zu antworten, rief ich die Apachen, von denen sich einige entfernt hatten, zusammen und teilte ihnen die Kunde von dem Tode Intschu tschunas und seiner Tochter mit. Nach meinem letzten Worte herrschte ein tiefes, allgemeines Schweigen ringsum. Man konnte nicht glauben, was ich sagte; meine Botschaft war zu ungeheuerlich. Da erzählte ich ausführlicher, was geschehen war, und fügte hinzu:

»Nun mögen mir meine roten Brüder sagen, wer die Zukunft besser verkündet hat, Sam Hawkens oder euer Medizinmann! Intschu tschuna und Nscho-tschi haben den Tod gefunden, weil sie sich von mir entfernten, und Winnetou ist durch mich gerettet worden. Bringt meine Nähe also den Tod oder das Leben?«

Jetzt konnten sie nicht mehr zweifeln, und es erhob sich ein Geheul, welches sicher meilenweit zu hören war, selbstverständlich englische Meilen gemeint. Die Roten rannten wie wütend umher, schwangen ihre Waffen und schnitten, um ihrem Grimm Ausdruck zu geben, die fürchterlichsten Gesichter. Erst nach einiger Zeit war es meiner Stimme möglich, ihr Geschrei zu überschallen.

»Die Krieger der Apachen mögen schweigen,« gebot ich ihnen. »Das Geheul führt zu nichts. Wir müssen fort, um den Mörder zu fangen.«

»Fort, ja fort, fort, fort!« schrieen sie, indem sie zu ihren Pferden sprangen.

»Ruhig doch!« befahl ich abermals. »Meine Brüder wissen ja gar nicht, was sie tun sollen. Ich werde es ihnen sagen.«

Nun drängten sie sich so an mich, daß ich mich wehren mußte, nicht umgerissen zu werden. Wäre Santer jetzt hier gewesen, so hätten sie ihn in Stücke gerissen. Hawkens, Stone und Parker standen still beisammen. Die Nachricht hatte einen niederschmetternden Eindruck auf sie gemacht. Jetzt kamen sie herbei, und Sam sagte:

»Ich bin wie vor den Kopf geschlagen und kann es noch immer nicht fassen. Schrecklich, entsetzlich! Die liebe, schöne, gute, junge rote Miß! Ist stets so freundlich mit mir gewesen und soll nun ausgelöscht worden sein! Wißt Ihr, Sir, es ist mir grad so «

»Wie es Euch ist, das behaltet für Euch, lieber Sam!« fiel ich ihm in die Rede. »Wir müssen dem Mörder nach. Sprechen nützt nichts.«

»Well! Stimme Euch bei. Aber wißt Ihr denn, wohin er ist?«

»Jetzt noch nicht.«

»Dachte es mir. Habt ja seine Spur nicht gesehen. Wie sollen wir sie nun auffinden? Scheint unmöglich oder wenigstens außerordentlich schwierig zu sein.«

»Es ist nicht schwierig, sondern sehr leicht.«

»Meint Ihr? Hm! Wollt wohl sagen, daß wir hinauf in die Schlucht müssen, wo er seitwärts ausgekniffen ist? Wird ein langes Suchen geben!«

»Von der Schlucht ist gar keine Rede.«

»Nicht? Dann bin ich neugierig, was Ihr für einen Gedanken bringen werdet. Ja, manchmal kann ein Greenhorn auch einen Gedanken haben, doch «

»Schweigt mit Eurem Greenhorn! Mir ist nicht so zu Mute, solche Redensarten anzuhören. Mir blutet das Herz; darum behaltet Eure Witze für Euch!«

»Witze? Halloh! Wer da etwa denkt, daß ich die Sache scherzhaft nehme, der bekommt von mir einen Box in den Leib, daß er von hier bis hinüber nach Kalifornien fliegt! Kann nur nicht begreifen, wie Ihr Santer finden wollt, ohne daß wir unsere Augen auf die Stelle setzen, wo seine Spur verloren gegangen ist.«

»Da müßten wir, wie schon gesagt, lange Zeit suchen. Und wenn wir die Spur fänden, hätten wir ihr über Berg und Tal und durch den dichten Wald zu folgen, was auch sehr langsam gehen würde. Darum denke ich, wir fangen es anders an. Nämlich wenn ich mir die Berge dort so betrachte, so möchte ich behaupten, daß sie nicht mit andern zusammenhängen, sondern isoliert stehen «

»Ist auch ganz richtig. Kenne diese Gegend recht leidlich. Haben hier Ebene und jenseits wieder Ebene. Diese Berge gehören nicht zu einem Gebirgs-oder Höhenzug, sondern sie haben sich ganz für sich allein in die offene Prärie hineingesetzt.«

»Prärie? Also gibt es Gras?«

»Ja, rundum Gras, grad so wie hier.«

»Darauf habe ich gerechnet. Santer mag auf oder zwischen diesen Bergen reiten, wie er will; das geht uns nichts an; aber sobald er sie verläßt, kommt er auf die offene Prärie und muß im Grase eine Spur hinterlassen.«

»Das versteht sich ja ganz von selbst, verehrter Sir!«

»Hört nur weiter. Wir bilden zwei Trupps und umreiten die Berge, wir vier Weißen von rechts und die zehn Apachen, welche Winnetou mir angewiesen hat, von links. Jenseits treffen wir zusammen und werden dann erfahren, ob einer der Trupps auf die Fährte gestoßen ist. Ich bin überzeugt, daß dies der Fall sein wird, und dann folgen wir ihr.«

Mein kleiner Sam sah mich von der Seite an, machte ein nicht außerordentlich erbautes Gesicht und rief aus:

»Lack-a-day! Wer hätte das gedacht! Daß ich nicht auch darauf gekommen bin! Ist ja das Einfachste und Sicherste was es gibt; das muß eigentlich jedes Kind einsehen, wenn ich mich nicht irre!«

»Ihr seid also einverstanden, Sam?«

»Vollständig, Sir, vollständig. Sucht Euch nur schnell zehn Rote aus!«

»Ich werde diejenigen wählen, welche am besten beritten sind. Wer weiß, wie lange wir den Kerl zu jagen haben. Darum müssen wir uns auch reichlich mit Proviant versehen. Wenn Ihr diese Gegend leidlich kennt, so wißt Ihr vielleicht, wie lange es dauert, bis man von hier aus die andere Seite der Berge erreicht?«

»Wenn wir uns sehr beeilen, so kann es trotzdem über zwei Stunden währen.«

»So wollen wir nicht länger zögern.«

Ich bestimmte die zehn Apachen, welche sich über meine Wahl freuten, denn dem Mörder nachzusetzen, war ihnen lieber, als bei den Leichen Totenlieder zu singen. Die übrigen zwanzig instruierte ich genau über den Weg, welcher zu Winnetou führte, und dann ritten sie davon.

Kurze Zeit später brachen meine zehn auf, um die Berge nach links, also in einem nach Westen gekrümmten Bogen zu umreiten, während unsere Richtung uns ostwärts um die Höhen führte. Als wir vier dann auch aufsaßen, ritt ich zunächst nach Santers Nachtlager und suchte mir von da aus eine Stelle, wo der Huf des Pferdes, welches ich geritten hatte, tief in den Boden gedrungen war. Von diesem sehr deutlichen Eindrucke nahm ich mir eine genaues Maß auf Papier. Sam Hawkens schüttelte den Kopf darüber und meinte lächelnd:

»Gehört das auch zur Kunst eines Surveyors, Pferdefüße abzumalen?«

»Nein; aber ein Westmann sollte es kennen.«

»Der? Warum?«

»Weil es ihm vorkommenden Falls von großem Nutzen sein kann.«

»In welcher Weise?«

»Werdet es wohl nachher sehen. Wenn ich eine Pferdespur finde, vergleiche ich die Stapfen mit dieser Zeichnung.«

»Ah! Hm! Richtig! Ist gar nicht so übel! Habt Ihr das auch aus Euern Büchern?«

»Nein.«

»Woher denn?«

»Der Gedanke ist mir selbst gekommen.«

»Also gibt es wirklich Gedanken, die sich das Vergnügen machen, zu Euch zu kommen? Hätte das gar nicht gedacht hihihihi!«

»Pshaw! Bei mir befinden sie sich jedenfalls wohler als unter Eurer Perücke, Sam!«

»Recht so, recht so!« rief Dick Stone. »Laßt Euch nur nichts mehr von ihm gefallen! Man sieht ja stündlich, daß Ihr ihn überflügelt habt, Sir.«

»Schweig!« herrschte ihn Sam in komischem Zorne an. »Was willst du vom Fliegen verstehen, und gar vom Ueberfliegen! Es ist eine Beleidigung, mich immer bei der Perücke zu nehmen; ich kann das gar nicht länger dulden.«

»Was willst du dagegen machen?«

»Ich schenke sie dir; dann bin ich sie los, und du erfährst, was für Gedanken darunter wohnen. Uebrigens habe ich ja zugegeben, daß die Ansicht unsers Greenhorns gar keine so üble ist; nur hätte er den zehn Apachen, welche die Berge auf der andern Seite zu umreiten haben, auch ein solches schönes Pferdefußbild mitgeben sollen.«

»Ich habe dies nicht getan, weil ich es für unnötig hielt,« antwortete ich.

»Unnötig? Warum?«

»Weil es ihnen nicht zuzutrauen ist, eine Hufspur mit dieser Zeichnung zu vergleichen. Sie sind doch immerhin Wilde, denen man eine Zeichnung vergeblich in die Hände geben würde. Und sodann bin ich überzeugt, daß sie gar nicht auf Santers Fährte treffen werden.«

»Und ich behaupte das Gegenteil. Nicht wir, sondern sie werden sie finden. Es versteht sich ja ganz von selbst, daß Santer westwärts reiten wird.«

»Das halte ich gar nicht für so selbstverständlich.«

»Nicht? Seine Richtung, als wir ihn trafen, war ja nach Westen; das ist sie jetzt nun wieder.«

»Schwerlich. Er ist ein durchtriebener Kerl, wie ich aus seinem spurlosen Verschwinden ersehe, und wird sich also sagen, daß wir den Gedanken haben werden, den Ihr jetzt ausgesprochen habt. Das heißt, er wird denken, daß wir ihn westwärts suchen, weil er bei unserer Begegnung nach Westen wollte. Aus diesem Grunde wird er sich nach einer andern Richtung, wahrscheinlich ostwärts, retirieren. Das ist doch leicht einzusehen.«

»Wenn Ihr es in dieser Weise sagt, so ist es freilich leicht einzusehen. Wollen nur hoffen, daß es zutrifft.«

Nun gaben wir unsern Pferden die Sporen und jagten über die Prärie dahin, so reitend, daß wir die verhängnisvollen Berge stets zur linken Hand liegen hatten. Natürlich suchten wir es so einzurichten, daß wir immer auf weichem Boden ritten, wo Santer, wenn er dagewesen war, eine deutliche Spur hatte zurücklassen müssen. Dabei waren unsere Augen stets zur Erde gerichtet; denn je schneller wir ritten, desto schärfer mußten wir aufpassen, weil die Fährte uns sonst entgehen konnte.

So verging eine Stunde und noch eine halbe, und wir hatten unsern Halbkreis um die Berge fast zu Ende gebracht, da endlich bemerkten wir einen dunkeln Strich, welcher vor unserer Richtung quer durch das Gras lief. Es war eine Fährte, und zwar die Spur eines einzelnen Reiters, also sehr wahrscheinlich die, welche wir suchten. Wir stiegen ab, und ich schritt eine Strecke ihr entlang, um einen recht deutlichen Eindruck zu finden. Als mir dies glückte, verglich ich ihn genau mit der Zeichnung, und beide waren einander so kongruent, daß es Santer ohne allen Zweifel gewesen sein mußte.

»So eine Zeichnung ist wirklich außerordentlich praktisch,« meinte Sam. »Werde mir das merken.«

»Ja, merke es dir!« stimmte Parker bei. »Und merke dir noch Eins recht gut dazu!«

»Was?«

»Daß es schon so weit gekommen ist, daß der Lehrer, der du ja gewesen sein willst, nun von seinem Schüler lernt!«

»Willst mich wohl ärgern, alter Will? Das wird dir nicht gelingen, hihihihi!« lachte Sam. »Es ist doch wohl eine Ehre für den Lehrer, wenn er den Schüler so weit bringt, daß dieser schließlich klüger und geschickter als der Lehrer ist. Mit dir freilich muß man auf solche Erfolge gleich von vornherein verzichten. Wie viele, viele, lange Jahre habe ich mich bemüht, einen Westmann aus dir zu machen, und es ist alles vergeblich gewesen. Du wirst in deinen alten Tagen nichts verlernen können, weil du in den jungen Tagen nichts gelernt hast.«

»Weiß schon! Möchtest mich gern ein Greenhorn nennen, weil du ohne dieses Wort nicht leben kannst und unserm Old Shatterhand nicht mehr damit kommen darfst.«

»Bist auch eins, und was für eins! Nämlich ein altes, welches sich vor diesem jungen hier zu schämen hat, weil dieses dem alten schon weit überlegen ist, wenn ich mich nicht irre.«

Trotz dieses Wortgefechtes stimmten wir darin überein, daß die Fährte Santers nicht viel über zwei Stunden alt war. Wir wären ihr gern sogleich gefolgt, mußten aber auf die zehn Apachen warten. Das dauerte leider drei Viertelstunden. Ich schickte einen von ihnen zu Winnetou, um diesen wissen zu lassen, daß wir die Spur gefunden hätten; er konnte bei ihm bleiben; dann ritten wir, nun in östlicher Richtung, weiter.

Wir hatten in dieser vorgerückten Jahreszeit nicht mehr ganz zwei Stunden bis zum Abende und mußten uns sehr beeilen. Es galt, bis zur Dunkelheit eine möglichst große Strecke zurückzulegen, weil wir dann bis zum Morgen warten mußten. Wir konnten doch nicht reiten, ohne die Spur zu sehen.

Dagegen war als ganz gewiß anzunehmen, daß Santer den Abend und wohl auch die Nacht dazu benützen werde, uns recht weit vorauszukommen, denn daß man ihn verfolgen werde, das mußte er sich doch unbedingt sagen. Wir hatten dann morgen einen heißen Ritt vor uns, welcher dadurch erschwert und verlangsamt wurde, daß wir auf die Fährte achten mußten, während er eine solche Verzögerung nicht nötig hatte. Glücklicherweise mußte er, wenn er während der Nacht ritt, dann früh ermüdet sein und nicht nur sich, sondern noch viel mehr seinem Pferde eine längere und ausgiebige Ruhe gönnen, ein Umstand, welcher den Unterschied so ziemlich ausglich.

Die von Winnetou und seinem Vater Nuggetberge genannten Höhen verschwanden schnell hinter uns, und wir hatten nun immerfort die ebene Prärie vor uns, welche erst strauchig war und dann nur Rasen, erst noch grünen und später verdorrten, zeigte. Die Spur war sehr deutlich zu sehen, denn Santer war meist scharf geritten, und so hatten die Hufe seines Pferdes deutliche Eindrücke hinterlassen.

Als es zu dunkeln begann, stiegen wir ab und folgten der Spur, die wir im Gehen deutlicher als reitend sahen, noch so lange, bis sie gar nicht mehr zu erkennen war. Da blieben wir halten, glücklicherweise an einer Stelle, wo das Gras wieder einmal einiges Grün zeigte. Da konnten die Pferde fressen. Wir hüllten uns in Decken und legten uns gleich so nieder, wie wir standen.

Die Nacht war sehr kühl, und ich bemerkte, daß meine Begleiter deshalb oft aufwachten. Ich hätte ohnedem nicht schlafen können. Der gewaltsame Tod Intschu tschunas und seiner Tochter hielt mir die Augen offen, und wenn ich sie ja einmal schloß, so sah ich ihre Gestalten in der Blutlache vor mir liegen und hörte Nscho-tschis letzte Worte. Nun machte ich mir Vorwürfe darüber, daß ich nicht freundlicher mit ihr gewesen war und mich in jenem Gespräch mit ihrem Vater nicht anders ausgedrückt hatte. Es war mir, als ob ich sie dadurch in den Tod getrieben hätte.

Gegen Morgen wurde es noch kälter, und ich stand auf, um mich durch Hin-und Hergehen zu erwärmen. Sam Hawkens merkte das und fragte:

»Friert Euch wohl, verehrter Sir? Hättet eine Wärmflasche mit nach dem Westen bringen sollen. Greenhorns pflegen sich doch gern mit solchen Sächelchen zu versehen. Da lobe ich mir meinen alten Rock; kann kein Indianerpfeil und auch keine Kälte hindurch. Soll ich ihn Euch borgen, hihihihi?«

Wegen dieser unangenehmen Kühle waren alle schon vor der Morgendämmerung munter, und kaum konnten wir die Fährte nur einigermaßen wieder erkennen, so saßen wir auf und setzten den Ritt fort. Unsere Pferde hatten ausgeruht und des Nachts wohl auch gefroren; sie griffen daher, weil sie das erwärmte, wacker aus, ohne daß wir sie anzutreiben brauchten.

Noch immer hatten wir Prärie; sie wurde wellig. Auf den Wellenhöhen war das Gras trocken und hart, in den Wellentälern mehr grün und auch weicher. Ja, es gab da zuweilen eine Wasserlache, wo wir anhielten und unsere Tiere trinken ließen.

Während die Spur bisher eine fast genau östliche Richtung gehabt hatte, wendete sie sich zur Mittagszeit mehr südlich. Als Hawkens dies bemerkte, machte er ein bedenkliches Gesicht. Ich fragte ihn nach der Ursache und erhielt die Antwort:

»Wenn es so ist, wie ich vermute, werden unsere Bemühungen wahrscheinlich vergeblich sein.«

»Aus welchem Grunde?«

»Der Kerl ist pfiffig. Er scheint sich zu den Kiowas wenden zu wollen.«

»Das wird er doch nicht tun!«

»Warum nicht? Soll er etwa Euch zuliebe mitten in der alten Prärie stehen bleiben und sich beim Schopfe nehmen lassen? Was Ihr denkt! Er tut sein Möglichstes, sich zu retten. Er hat jedenfalls die Augen offen gehabt und gesehen, daß unsere Pferde besser waren als die seinigen. Darum vermutet er, daß wir ihn wohl bald einholen werden, und ist auf den ganz guten Gedanken gekommen, bei den Kiowas Schutz zu suchen.«

»Ob ihn diese aber freundlich aufnehmen werden?«

»Daran ist keinen Augenblick zu zweifeln. Er braucht bloß zu erzählen, daß er Intschu tschuna und Nscho-tschi erschossen hat, da jubeln sie ihm zu. Wollen uns recht dazuhalten, daß wir vielleicht noch vor Abend an ihn kommen.«

»Wie alt schätzt Ihr die heutige Fährte?«

»Darauf kommt es nicht an. Diese hier hat er in der Nacht geritten. Müssen warten, bis wir dahin kommen, wo er gelagert hat. Dann wollen wir sehen, wie alt seine neue, seine heutige Spur ist. Je länger er ausgeruht hat, desto eher werden wir ihn einholen.«

Gegen Mittag zeigte es sich, wo Santer Halt gemacht hatte. Man sah, daß sich sein Pferd niedergelegt hatte; es war sehr müde gewesen; das hatten wir schon bisher den Spuren angesehen. Wahrscheinlich war er nicht weniger angegriffen gewesen, denn wir schätzten seine neue Spur unter zwei Stunden alt; er mochte länger geschlafen haben, als er gewollt hatte. Der Vorsprung, den er durch den Nachtritt gewonnen hatte, war also eingeholt; ja, wir waren ihm jetzt wohl eine halbe Stunde näher als gestern beim Beginn der Verfolgung.

Seine Spur strebte nun noch mehr nach Süden. Er schien das Gebiet des Canadian verlassen und sich dem Red River nähern zu wollen. Wir ließen unsere Pferde nur von Zeit zu Zeit verschnaufen, denn wir nahmen uns vor, ihn, wenn nur irgend möglich, noch vor Abend einzuholen.

Am Nachmittage hatten wir wieder grüne Prärie, und später trafen wir sogar Buschwerk an. Nach der sorgfältigsten Beurteilung der Fährte konnte der Vorsprung nun nur noch eine halbe Stunde betragen. Vor uns färbte sich der Horizont dunkel.

»Das ist Wald,« erklärte Sam. »Ich vermute, daß wir auf ein Nebenflüßchen des Nordarmes stoßen. Wollte, wir hätten noch länger Prärie; das wäre besser für uns.«

Freilich wäre dies besser gewesen, denn auf der Savanne sah man alles vor sich, während man im Walde leicht auf einen Hinterhalt stoßen konnte. Und bei der Eile, mit welcher wir ritten, war es unmöglich, das Terrain zu untersuchen, bevor wir es betraten.

Sam hatte Recht. Es gab einen kleinen Fluß, der aber kein fließendes Wasser führte, sondern nur hier und da welches in einer Vertiefung zeigte. An den Ufern standen Büsche und Bäume, doch gab dies keinen eigentlichen Wald, sondern nur, um mich so auszudrücken, größere oder kleinere Baumgruppen, welche in verschiedenen Intervallen an den Ufern lagen.

Kurz vor Abend waren wir dem Verfolgten so nahe, daß er jeden Augenblick vor uns auftauchen konnte. Das machte uns eifriger, als wir bisher gewesen waren. Ich ritt allein voran, weil mein Rotschimmel sich am besten gehalten und seine Kräfte noch beisammen hatte. Auch folgte ich, wenn ich mich so an der Spitze hielt, einem innern Triebe. Ich hatte die Ermordeten vor mir liegen sehen und wollte den Mörder haben. Es war nicht das, was man mit Grimm, mit Durst nach Rache bezeichnet, aber doch ein dringendes Verlangen, den Mörder bestraft zu sehen.

Wir ritten wieder durch eine jener Baumgruppen, welche am linken Ufer des Flüßchens lag. Als ich, den andern voran, die letzten Bäume erreichte, sah ich, daß die Fährte rechts ab, hinunter in das wasserleere Bette führte. Ich hielt einen Augenblick an, um dies den hinter mir Herankommenden mitzuteilen, und dies war ein Glück für uns, denn als ich, einige Augenblicke auf sie wartend, dem Flußbette mit meinen Augen folgte, machte ich eine Entdeckung, welche mich veranlaßte, schleunigst vom Rande des Wäldchens zurückzuweichen und mich zu verstecken.

Wenn man von diesem Wäldchen aus nur fünfhundert Schritte zu Fuße ging, kam man wieder an ein Wäldchen, welches aber drüben auf dem rechten Ufer lag. Vor demselben tummelten Indianer ihre Pferde. Ich sah Pfähle in der Erde stecken, welche mit Riemen verbunden waren, an denen Fleisch hing. Wäre ich nur noch eine Pferdelänge weitergeritten, so hätten mich die Roten gesehen. Ich stieg vom Pferde und zeigte unsern Leuten die vor uns liegende Szene.

»Kiowas!« sagte einer der Apachen.

»Ja, Kiowas,« stimmte Sam ihm bei. »Der Teufel muß diesen Santer sehr lieb haben, daß er ihn noch im letzten Augenblicke diese Hilfe finden läßt. Ich streckte schon alle zehn Finger nach ihm aus; aber er soll uns trotzdem nicht entgehen.«

»Es ist keine starke Abteilung der Kiowas,« bemerkte ich.

»Hm! Wir sehen nur die, welche sich diesseits der Bäume befinden; jenseits derselben gibt es jedenfalls auch welche. Sind auf der Jagd gewesen und machen nun hier ihr Fleisch.«

»Was tun wir, Sam? Kehren wir um, um uns möglichst weit zurückzuziehen?«

»Fällt mir nicht ein! Wir bleiben hier.«

»Aber das ist gefährlich!«

»Gar nicht!«

»Wie leicht kann ein Roter hierher kommen!«

»Fällt keinem ein. Erstens befinden sie sich drüben am andern Ufer, und zweitens wird es gleich dunkel werden; da entfernen sie sich nicht mehr aus ihrem Lager.«

»Aber je größer die Vorsicht, desto besser!«

»Und je größer die Angst, desto greenhornlicher! Ich sage Euch, daß wir vor diesen Kiowas so sicher sind als ob wir uns in New York befänden. Die denken nicht daran, hierher zu kommen; aber wir werden zu ihnen gehen. Ich muß diesen Santer haben und wenn ich ihn aus tausend Kiowas herausholen müßte!«

»Ihr seid heut das, was Ihr immer an mir tadelt, nämlich unvorsichtig!«

»Wie? Was? Unvorsichtig? Sam Hawkens und unvorsichtig! Da muß ich lachen, hihihihi! Das hat mir noch kein Mensch vorgeworfen! Sir, Ihr habt doch sonst keine Angst und geht sogar dem Grizzly mit dem Messer zu Leibe; warum da heut diese Bangigkeit!«

»Es ist nicht Bangigkeit, sondern Vorsicht. Wir befinden uns zu nahe bei den Feinden.«

»Zu nahe? Lächerlich! Ich denke sogar, daß wir ihnen noch näher rücken werden. Wartet nur bis es dunkel ist.«

Er war heut anders als gewöhnlich. Der Tod der “schönen, lieben, guten, roten Miß” hatte ihn so empört, daß er nach Rache lechzte. Die Apachen gaben ihm recht; Parker und Stone stimmten ihm auch bei, und so konnte ich nichts dagegen tun. Wir banden unsere Pferde an und setzten uns nieder, um den Anbruch der Dunkelheit zu erwarten.

Ich muß freilich gestehen, daß die Kiowas sich so bewegten, als ob sie sich völlig sicher fühlten. Sie ritten oder liefen auf dem offenen Plane umher, riefen einander zu, kurz und gut, taten so unbefangen, als ob sie sich daheim in ihrem sichern, gut bewachten Indianerdorfe befänden.

»Seht Ihr, wie ahnungslos sie sind!« sagte Sam. »Bei denen gibt es heut keinen einzigen argen Gedanken.«

»Wenn Ihr Euch nicht irrt!«

»Sam Hawkens irrt sich nie!«

»Pshaw! Ich könnte Euch das Gegenteil beweisen. Ich habe etwas in mir wie eine Ahnung, daß sie sich verstellen.«

»Ahnung! Alte Squaws haben Ahnungen, sonst niemand. Merkt Euch das, verehrter Sir! Welchen Zweck könnte es denn haben, sich zu verstellen?«

»Um uns anzulocken.«

»Das ist ganz unnötig, denn wir werden auch ohne Lockung kommen.«

»Ihr nehmt doch an, daß Santer bei ihnen ist?«

»Natürlich. Als er hier an diese Stelle kam, hat er sie gesehen und ist über das leere Flußbette hinüber zu ihnen.«

»Und denkt Ihr, daß er ihnen erzählt hat, was geschehen ist und warum er Schutz bei ihnen sucht?«

»Welche Frage! Es versteht sich ganz von selbst, daß er ihnen das gesagt hat.«

»So hat er ihnen auch mitgeteilt, daß seine Verfolger ihm wahrscheinlich sehr nahe seien.«

»Meinetwegen auch das.«

»Dann wundert es mich, daß sie so gar keine Vorsichtsmaßregeln getroffen haben.«

»Ist gar nicht zu verwundern. Sie halten es einfach für unmöglich, daß die Nähe, von welcher Ihr redet, eine so bedeutende ist, und erwarten uns wohl erst morgen. Sobald es dunkel genug ist, schleiche ich mich hinüber und sehe mir die Gelegenheit an. Dann wird sich finden, was wir tun. Ich muß diesen Santer haben!«

»Nun gut, so gehe ich mit!«

»Ist nicht nötig.«

»Ich halte es für sehr nötig.«

»Wenn Sam Hawkens auf Kundschaft geht, so braucht er keinen Gehilfen. Ich nehme Euch nicht mit. Ich kenne Euch und Eure zwecklose Humanität. Wahrscheinlich wollt Ihr diesem Mörder das Leben erhalten.«

»Fällt mir nicht im Traume ein!«

»Verstellt Euch nicht!«

»Ich spreche so, wie ich denke. Auch ich will diesen Santer haben; ich will ihn lebendig fangen, um ihn Winnetou zu bringen. Und sobald ich sehe, daß dies unmöglich ist, daß ich ihn lebend nicht bekommen kann, so gebe ich ihm eine Kugel in den Kopf. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Daß ist es eben: eine Kugel in den Kopf! Ihr wollt nicht, daß er gemartert werden soll. Auch ich bin ein Feind von solchen Hinrichtungen; diesem Schurken aber gönne ich einen solchen qualvollen Tod von ganzem Herzen. Wir fangen ihn und bringen ihn Winnetou. Muß nur erst wissen, wie viel Kiowas es sind; denn daß es mehr sind, als sich uns hier zeigen, das ist ausgemacht.«

Ich zog es vor, zu schweigen, denn seine Worte hatten die Apachen mißtrauisch gemacht. Sie wußten, daß ich mir für Rattler Mühe gegeben hatte, und so lag für sie der Gedanke nahe, daß ich jetzt eine ähnliche Absicht hege. Ich tat also, als ob ich mich in Sams Willen füge, und streckte mich neben mein Pferd auf die Erde nieder.

Die Sonne war schon längere Zeit verschwunden, und nun senkte sich die Dämmerung nieder. Drüben bei den Kiowas wurden mehrere Feuer angezündet. Die Flammen derselben loderten hoch empor. Dies ist gar nicht Gebrauch bei den vorsichtigen Roten, und so setzte sich in mir der vorhin ausgesprochene Gedanke fester, daß sie es darauf abgesehen hätten, uns anzulocken. Wir sollten glauben, daß sie von unserm Hiersein nichts ahnten, und auf die Idee kommen, sie zu überfallen; taten wir dies, so liefen wir ihnen in die geöffneten Hände.

Während ich so nachdachte, war es mir, als hätte ich ein Geräusch vernommen, welches von keinem von uns verursacht worden war; es war hinter mir, wo niemand von uns lag, weil ich den äußersten Platz eingenommen hatte. Ich lauschte und das Geräusch wiederholte sich; ich hörte es deutlich und unterschied es genau. Es war ein leises Bewegen zäher Ranken, an denen dürre Blätter hingen, ungefähr so, wie wenn man einige Halme aus einem Strohbündel zieht. Es war nicht die Bewegung eines glatten Zweiges, sondern, wie gesagt, einer Ranke, und diese mußte Stacheln oder Dornen haben, denn das Geräusch war in einzelnen Rucken geschehen, von Stachel zu Stachel verursacht worden.

Dieser Umstand sagte mir sofort, wo ich die Ursache zu suchen hatte. Nämlich hinter mir gab es zwischen drei einander nahestehenden Bäumen ein Brombeergesträuch, von welchem eine Ranke bewegt worden sein mußte. Es konnte ein kleines Tier da stecken, aber unsere Lage riet zur Vorsicht. Es konnte auch ein Mensch sein, und das mußte ich untersuchen, mußte es sehen. Sehen? In dieser Dunkelheit? Ja, doch!

Ich habe gesagt, daß drüben bei den Kiowas hohe Feuer loderten. Sie konnten ihren Schein zwar nicht herüberwerfen, aber ich mußte jeden Gegenstand sehen, den ich zwischen sie und mein Auge brachte. Dies konnte ich mit der Brombeerhecke dadurch erreichen, daß ich die andere Seite derselben aufsuchte, was aber unbemerkt zu geschehen hatte. Ich stand also von meinem Platze auf und schlenderte langsam fort, nicht nach der Richtung, in welche ich eigentlich wollte. Als ich weit genug weg war, wendete ich mich um und näherte mich dann dem Wäldchen von der richtigen Seite. Nahe herangekommen, legte ich mich nieder und kroch leise, leise nach der Beerenhecke, welche ich, sogar unbemerkt von meinen Leuten, erreichte. Sie lag grad vor mir; ich konnte sie mit der Hand erreichen, und in derselben Richtung brannten drüben die Feuer. Ich konnte durch einige wenige Stellen blicken, sonst aber war die Hecke zu dicht. Da ja, wirklich, da gab es wieder das erwähnte Geräusch, und zwar nicht in der Mitte, sondern an der Seite der Hecke. Ich rutschte dorthin und sah nun freilich das, was ich geahnt hatte.

Es hatte ein Mensch, ein Indianer, in der Hecke gesteckt und wollte sich nun entfernen. Dies mußte natürlich ein Geräusch verursachen, welches er auf verschiedene Zeitabstände zu verteilen trachtete, und er brachte dies in wahrhaft meisterhafter Weise fertig, denn anstatt eines einzigen lauten Raschelns gab es nun von Minute zu Minute nur ein leises, strohartiges Knistern, welches nur von mir gehört worden war, weil ich so nahe gelegen hatte. Das schwere Kunststück war ihm beinahe gelungen. Sein ganzer Körper befand sich schon im Freien, und nur die eine Schulter mit dem Arme, der Hals und der Kopf steckten noch in der Hecke.

Ich kroch zu ihm hinan, so daß ich hinter seinem Rücken lag. Er befreite sich mehr und mehr. Er bekam die Schulter frei, den Hals, den Kopf und hatte nun nur noch den Arm herauszuziehen. Da richtete ich mich auf die Kniee empor, faßte mit der Linken seinen Hals und hieb ihm die rechte Faust zwei-, dreimal an den Kopf; da lag er still.

»Was war das?« fragte Sam. »Habt ihr nichts gehört?«

»Old Shatterhands Pferd stampfte,« antwortete Dick.

»Er ist fort. Wo er sein mag? Er wird doch keine Dummheiten machen!«

»Dummheiten? Der? Der hat noch keine gemacht und wird auch niemals welche machen.«

»Oho! Er ist imstande und sucht die Kiowas heimlich auf, um sie zu alarmieren und diesem Santer das Leben zu erhalten!«

»Nein, das tut er nicht. Lieber erwürgt er den Mörder, als daß er ihn entkommen läßt. Der Tod der beiden Ermordeten ist ihm riesig nahe gegangen; das mußt du ihm doch angesehen haben.«

»Mag sein. Aber ich nehme ihn nicht mit, wenn ich nachher die Kiowas beschleiche; er kann mir auch gar nichts dabei nützen. Ich will die Kerls zählen und die Oertlichkeit sehen; dann läßt es sich bestimmen, wie wir angreifen müssen. Er macht seine Sache als Greenhorn oft ganz gut, aber sich bei solchen Feuerflammen dem Lager der Kiowas zu nähern, das bringt er doch nicht fertig. Diese Kerls wissen, daß wir kommen; sie sind also vorsichtig und werden die Ohren so spitzen, daß nur ein alter Westmann an sie kommen kann; ihn aber würden sie gewiß sehen und auch hören.«

Da stand ich auf, trat schnell zu ihm und sagte: »Da irrt Ihr, lieber Sam. Ihr glaubt mich fort, und ich bin doch da. Verstehe ich es also oder nicht, mich anzuschleichen?«

»Alle Wetter!« antwortete er. »Ihr seid wirklich da? Man hat Euch doch gar nicht bemerkt!«

»Das ist ein Beweis, daß Euch das mangelt, was mir nach Euern Worten mangeln soll. Es sind überhaupt, ohne daß Ihr es wißt, noch ganz andere Leute da als ich.«

»Wer denn, wer? Wen meint Ihr?«

»Geht hin zu den Brombeeren dort; da werdet Ihr ihn sehen, Sam!«

Er stand auf und folgte meiner Weisung; die andern taten nach seinem Beispiele.

»Hallo!« rief er aus. »Da liegt ein Kerl, ein Indianer! Wie kommt der hierher?«

»Das laßt Euch von ihm selbst sagen!«

»Er ist ja tot!«

»Nein. Ich habe ihn nur betäubt.«

»Wo denn? Doch nicht etwa hier? Ihr waret fort. Ihr habt ihn irgendwo überrascht, ihm einen Eurer Jagdhiebe gegeben und ihn dann hierher gebracht.«

»Das denkt nicht! Er lag hier in den Brombeeren versteckt, und ich habe ihn bemerkt. Als er heraus wollte, um sich davonzuschleichen, gab ich ihm den Hieb. Ihr habt diesen Hieb auch gehört, denn Ihr fragtet danach, und er wurde für ein Stampfen meines Pferdes gehalten.«

»Alle Teufel, das stimmt! Er ist also wirklich dagewesen, hat im Busche gesteckt und alles gehört, was wir gesprochen haben. Welch ein Unheil für uns, wenn es ihm gelungen wäre, unbemerkt fortzukommen! Wie gut, daß Ihr ihn unschädlich gemacht habt! Bindet und knebelt ihn, wenn ich mich nicht irre! Aber warum ist er nicht drüben bei seinen Leuten? Was hat er hier zu tun gehabt? Er muß doch eher dagewesen sein als wir?«

»Ihr sprecht solche Fragen aus und nennt andere Leute Greenhorns? Das sind doch so recht eigentliche Greenhornsfragen! Natürlich ist er eher dagewesen als wir. Die Kiowas wußten, daß wir kommen; sie nahmen an, daß wir der Spur Santers folgen und also hier erscheinen würden. Sie wollten uns empfangen, und um den richtigen Zeitpunkt nicht zu versäumen, stellten sie hier einen Posten aus, der sie benachrichtigen sollte. Aber weil wir zu schnell ritten oder weil er grad nicht gut aufpaßte oder aber weil er grad hier ankam, als wir auch kamen, haben wir ihn überrascht, so daß er sich in die Brombeeren verstecken mußte.«

»Er hätte doch fliehen können, hinüberfliehen zu den Seinen!«

»Dazu fand er keine Zeit, denn wir hätten ihn noch laufen sehen und also erraten müssen, daß die Kiowas von uns wüßten und von ihm gewarnt worden seien. Es ist auch möglich, daß er von vornherein entschlossen war, sich hier zu verstecken, um uns zu belauschen.«

»Dies ist alles ganz gut und möglich. Mag es nun sein, wie es will, es ist ein Glück, daß wir ihn erwischt haben. Nun wird er beichten und alles gestehen müssen.«

»Er wird sich hüten, etwas zu sagen. Ihr bringt nichts aus ihm heraus.«

»Kann sein. Es ist auch gar nicht nötig, daß wir uns Mühe mit ihm geben. Wir wissen doch ohnedem, woran wir sind, und was ich noch nicht weiß, das werde ich bald erfahren, denn ich gehe jetzt hinüber.«

»Um vielleicht nicht wieder herüberzukommen!«

»Warum?«

»Weil Euch die Kiowas behalten werden. Ihr habt ja selbst gesagt, daß es bei diesen vielen großen und hellen Feuern sehr schwer sei, sich anzuschleichen.«

»Ja, für Euch, für mich aber nicht. Darum wird es so, wie ich Euch gesagt habe: ich gehe hinüber, und Ihr bleibt da.«

Er sagte das in einem so bestimmten, gebieterischen Tone, daß ich ihm nun denn doch entgegnete:

»Ihr seid heute ganz ausgewechselt, Sam. Ihr glaubt doch nicht etwa, mir Befehle erteilen zu können? Oder solltet Ihr doch?«

»Natürlich glaube ich das.«

»Nun, da muß ich Euch in aller Freundschaft sagen, daß Ihr Euch irrt. Als Surveyor stehe ich über Euch, denn Ihr seid uns nur als Sicherheitswache zukommandiert gewesen. Sodann wißt Ihr, daß ich unter Zustimmung des ganzen Stammes von Intschu tschuna zum Häuptling erklärt worden bin. Ihr mögt also Eure Stellung zu mir von welcher Seite betrachten, wie Ihr wollt, so stehe ich über Euch und bin es, der zu befehlen hat.«

»Mir hat kein Häuptling etwas zu sagen,« behauptete er. »Und außerdem bin ich ein alter Westmann, während Ihr ein Greenhorn und mein Schüler seid. Das solltet Ihr nicht vergessen, wenn Ihr nicht für undankbar gehalten werden wollt. Es bleibt dabei: Ich gehe jetzt, und Ihr bleibt hier!«

Er ging wirklich. Die Apachen murrten über ihn, und auch Stone meinte verdrossen:

»Er ist heut wirklich ganz anders als sonst. Euch Undankbarkeit vorzuwerfen! Wir sind es doch, die sich bei Euch zu bedanken haben, denn ohne Euch lebten wir nicht mehr. Hat er Euch denn auch einmal das Leben gerettet!«

»Laßt ihn!« antwortete ich. »Er ist ein kleiner, prächtiger Kerl, und grad sein heutiges Auftreten spricht für ihn. Es ist die Wut über Intschu tschunas und Nscho-tschis Tod. Gehorchen werde ich ihm allerdings nicht. Ich gehe jetzt auch. In der Aufregung, in welcher er sich befindet, kann er sich leicht zu etwas hinreißen lassen, was er bei gewöhnlicher Stimmung vermeiden würde. Bleibt hier, bis ich wiederkomme, und selbst wenn Ihr Schüsse hören solltet, geht Ihr nicht vom Platze. Nur dann, wenn Ihr meine Stimme hört, welche bis hierher zu vernehmen ist, kommt Ihr mir zu Hilfe.«

Ich ließ meinen Bärentöter liegen, ebenso wie Sam seine alte Liddy dagelassen hatte, und entfernte mich. Ich hatte bemerkt, wie Hawkens gleich von uns weg durch das Flußbett gegangen war; er wollte sich also von drüben anschleichen. Ich hielt dies für falsch und beabsichtigte, es anders und besser zu machen. Die Kiowas wußten, daß wir flußaufwärts von ihnen zu suchen waren, und richteten also ihre Aufmerksamkeit ganz besonders dorthin; darum handelte Hawkens sehr falsch, indem er sich von dorther annähern wollte. Ich dagegen nahm mir vor, von der entgegengesetzten Seite zu kommen.

Darum ging ich am diesseitigen Ufer abwärts, doch so weit von demselben, daß mich der Schein der jenseits brennenden Feuer nicht treffen konnte, bis das Wäldchen drüben zu Ende war. Da unten war kein Feuer angezündet worden, und die Bäume hielten den Lichtschein ab. Es war hier also so dunkel, daß ich unbemerkt hinunter in das Flußbett und jenseits wieder hinaufgelangen konnte. Nun befand ich mich unter den Bäumen, legte mich nieder und kroch vorwärts. Es brannten acht Feuer. So viele wurden nicht gebraucht, denn ich zählte nur gegen vierzig Indianer; sie waren also nur angebrannt, um uns zu zeigen, wo die Kiowas lagerten.

Diese saßen unter den Bäumen in verschiedenen Gruppen beisammen und hatten ihre Gewehre schußfertig in den Händen. Wehe uns, wenn wir so unvorsichtig gewesen wären, in die uns gestellte Falle zu laufen! Diese war übrigens eine so bemerkbar und dumm gelegte, daß nur ganz unerfahrene Menschen in dieselbe hätten gehen können. Die Pferde der Roten sah ich draußen auf der freien Prärie weiden.

Ich hätte gar zu gern eine der Gruppen belauscht, womöglich die, bei welcher sich der Anführer befand, weil dort sicherer zu hören war, was ich wissen wollte. Aber wo war der Anführer zu suchen? Jedenfalls bei der Gruppe, bei welcher auch Santer saß; so sagte ich mir. Also schob ich mich von Baum zu Baum, um den letzteren zu entdecken.

Nach einigem Suchen sah ich ihn; er saß mit vier Indianern zusammen, von denen allerdings keiner das Abzeichen der Häuptlingswürde trug; das war auch gar nicht nötig, denn nach den Gebräuchen der Roten mußte der Aelteste dieser vier der Anführer sein. Leider konnte ich mich nicht so nahe hinwagen, wie ich gern wollte, denn es gab kein Unterholz, in dem ich Schutz und Deckung gefunden hätte. Aber einige Bäume standen so, daß ihr Gesamtschatten mir eine, wenn auch nur zweifelhafte Sicherheit bot. Da acht Feuer brannten, warf jeder Baum mehrere Schatten, Halbschatten, welche hin und her zitterten und dem Innern des Wäldchens ein gespenstisches Aussehen verliehen.

Zu meiner Freude sprachen die Roten nicht leise, sondern laut miteinander, denn es lag doch nicht in ihrer Absicht, heimlich zu tun; wir sollten sie nicht nur sehen, sondern auch hören. Ich erreichte den erwähnten Schatten und blieb dort liegen, vielleicht zwölf Schritte von Santers Gruppe entfernt. Es war kein geringes Wagnis von mir, da ich von den andern Roten viel leichter als von dieser Gruppe aus entdeckt werden konnte.

Ich hörte, daß Santer das große Wort hatte. Er erzählte von dem Nuggetberge und forderte die Roten auf, mit ihm dorthin zu ziehen und den Schatz zu heben.

»Weiß mein weißer Bruder den Ort, an dem er zu finden ist?« fragte der älteste der vier Indianer.

»Nein. Wir wollten ihn erfahren, aber die Apachen kamen zu schnell zurück. Wir glaubten, sie würden sich so lange verweilen, daß wir sie belauschen könnten.«

»Dann ist alles Suchen vergeblich. Es können zehnmal hundert Mann hingehen, um nachzuforschen; sie werden nichts finden. Die roten Männer verstehen es sehr gut, solche Stellen völlig unkenntlich zu machen. Aber da mein Bruder den größten unserer Feinde und seine Tochter erschossen hat, so werden wir ihm den Gefallen tun, später mit ihm hinzureiten und ihm suchen helfen. Vorher aber müssen wir deine Verfolger fangen und dann auch Winnetou töten.«

»Winnetou? Der wird doch bei ihnen sein!«

»Nein, denn er darf nicht von seinen Toten fort und wird auch die größere Hälfte seiner Krieger bei sich behalten. Die kleinere Hälfte ist dir nach und wird von Old Shatterhand, dem weißen Hunde, angeführt, welcher unserm Häuptlinge die Knie zerschmettert hat. Diese Schar werden wir heute überwältigen.«

»Dann reiten wir nach dem Nuggetberge, um Winnetou kalt zu machen und nach dem Golde zu suchen!«

»Das ist nicht so möglich, wie mein Bruder denkt. Winnetou hat seinen Vater und seine Schwester zu begraben, wobei er nicht gestört werden darf, denn der große Geist würde uns dies nie verzeihen. Aber dann, wenn er fertig ist, überfallen wir ihn. Er wird nun nicht nach den Städten der Bleichgesichter ziehen, sondern heimkehren. Da legen wir ihm einen Hinterhalt oder locken ihn so heran, wie wir es heut mit Old Shatterhand tun, der ganz gewiß dabei ist. Ich warte nur, daß mein Späher zurückkehrt, der sich drüben versteckt hat. Und auch die Wächter, welche sich weit draußen hingelegt haben, haben mir noch keine Meldung gesandt.«

Als ich dies hörte, erschrak ich. Es lagen also Posten vor dem Wäldchen. Wenn Sam Hawkens diese nicht bemerkte und zwischen sie geriet! Kaum hatte ich dies gedacht, so hörte ich ein kurz ausgestoßenes Geschrei mehrerer Stimmen. Der Anführer sprang auf und lauschte. Auch alle andern Kiowas waren still und horchten.

Da näherte sich dem Wäldchen eine Gruppe, welche aus vier Roten bestand, die einen Weißen geschleppt brachten. Er sträubte sich, doch ohne Erfolg; er war zwar nicht gefesselt, wurde aber von den vier Messern seiner Besieger in Schach gehalten. Dieser Weiße war mein unvorsichtiger Sam! Mein Entschluß stand sofort fest: ich durfte ihn nicht stecken lassen, obwohl ich dabei mein Leben wagte.

»Sam Hawkens!« rief Santer, der ihn erkannte. »Good evening, Sir! Habt wohl nicht geglaubt, mich hier wiederzusehen?«

»Schuft, Räuber, Mörder!« antwortete ihm der furchtlose Kleine, indem er ihn bei der Gurgel packte. »Gut, daß ich dich habe; nun bekommst du deinen Lohn, wenn ich mich nicht irre.«

Der Angegriffene wehrte sich. Die Roten griffen zu und rissen Sam von ihm weg. Das gab einen kurzen Tumult, den ich schnell benutzte. Ich zog die beiden Revolver, sprang nach der Stelle hin und mitten unter die Indianer hinein.

»Old Shatterhand!« schrie Santer, indem er erschrocken davonrannte.

Ich schickte ihm zwei Kugeln nach, die aber wohl nicht trafen, gab die übrigen Schüsse auf die Roten ab, welche zurückwichen, und rief Sam zu:

»Fort, mir nach, genau hinter mir her!«

Es war, als ob die Roten vor Entsetzen unfähig zur Bewegung seien; sie standen starr, obgleich ich auf sie geschossen hatte, doch absichtlich nach ungefährlichen Körperstellen. Ich faßte Sam beim Arme und riß ihn mit mir fort, in das Wäldchen hinein, durch dasselbe hindurch und in das Flußbette hinab. Das ging alles so schnell, daß von dem Augenblicke meines Angriffes an bis jetzt kaum mehr als eine Minute vergangen war.

»All devils, war das zur rechten Zeit!« meinte Sam, als wir unten angekommen waren. »Ich wurde von diesen Schurken «

»Schwatzt nicht, sondern folgt mir,« unterbrach ich ihn, indem ich seinen Arm fahren ließ und mich nach rechts wandte, um im Flußbette abwärts zu rennen, denn es galt zunächst, außer Schußweite zu kommen.

Nun erst kamen die völlig überrumpelten und verblüfften Roten zu sich. Ihr Geheul erscholl hinter uns her, so daß ich Sams Schritte nicht mehr hören konnte. Schrille Rufe erschallten, Schüsse krachten; es war ein wahrer Höllenlärm.

Warum flüchtete ich nicht flußaufwärts, unserm Lager zu, sondern abwärts, demselben grad entgegengesetzt? Aus einem sehr triftigen Grunde. Die Roten konnten uns zunächst nicht sehen, weil es unten im Flußbette dunkel war, und rannten jedenfalls aufwärts, weil sie als sicher annahmen, daß wir in dieser Richtung geflohen seien; wir befanden uns also, indem wir abwärts rannten, so ziemlich in Sicherheit und konnten dann in einem Bogen nach unserm Lager zurückkehren.

Als ich glaubte, weit genug gelaufen zu sein, hielt ich an. Das Geheul der Roten ertönte immer noch in der Ferne; da wo ich stand, regte sich nichts.

»Sam!« rief ich mit unterdrückter Stimme.

Es erfolgte keine Antwort.

»Sam, hört Ihr mich?« fragte ich lauter.

Er antwortete auch jetzt nicht. Wo steckte er? Er mußte mir doch gefolgt sein! War er vielleicht gestürzt und hatte sich verletzt? Denn meine Flucht war über rissigen, vertrockneten Schlamm und tiefe Wasserlachen gegangen. Ich nahm Patronen aus dem Gürtel, lud die Revolver wieder und kehrte dann um, langsamen Schrittes nach ihm zu suchen.

Der Höllenlärm, den die Kiowas machten, währte noch immer fort; dennoch wagte ich mich näher und näher, bis ich wieder unter dem Wäldchen an der Stelle stand, wo ich Sam aufgefordert hatte, mir zu folgen. Ich hatte ihn nicht gefunden. Er war wohl anderer Ansicht als ich gewesen und gleich an das andere Ufer gestiegen, ohne auf meine Worte zu achten. Aber da mußte ihn der Schein der Feuer getroffen und beleuchtet haben, und er hatte sich nicht nur den Augen der Kiowas, sondern auch ihren Kugeln preisgegeben. Welche Unbedachtsamkeit von dem kleinen, heut so obstinaten Kerlchen! Es wurde mir abermals angst um ihn; ich entfernte mich wieder von dem Wäldchen, bis ich von demselben aus nicht bemerkt werden konnte, und lief in einem Bogen auf unser Lager zu.

Dort fand ich alles in großer Aufregung. Die roten und weißen Gefährten drängten sich an mich heran, und Dick Stone rief in vorwurfsvollem Tone aus:

»Sir, warum habt Ihr uns verboten, Euch nachzukommen, selbst wenn Schüsse fallen sollten! Wir haben mit wahrer Gier gewartet, daß Ihr rufen würdet. Gott sei Dank, daß wenigstens Ihr wieder da seid, und zwar unverletzt, wie ich sehe!«

»Wo ist Sam? Nicht hier?« erkundigte ich mich.

»Hier? Wie könnt Ihr nur so fragen! Habt Ihr denn nicht gesehen, wie es ihm ergangen ist?«

»Wie denn?«

»Als Ihr fort waret, warteten wir. Nach längerer Zeit hörten wir einige Rote rufen; dann wurde es wieder still. Da auf einmal hörten wir Revolverschüsse und kurz darauf ein entsetzliches Geheul. Dann krachten Flintenschüsse, und wir sahen Sam erscheinen.«

»Wo?«

»Drunten beim Wäldchen, am diesseitigen Ufer.«

»Dachte es mir! Sam ist heut so unvorsichtig gewesen wie noch nie. Weiter, weiter!«

»Er kam auf uns zugelaufen, aber es war eine ganze Menge Kiowas hinter ihm her, die ihn ereilten und festnahmen. Wir sahen dies deutlich, weil die Feuer hell brennen, und wollten ihm Hilfe bringen; aber ehe wir die Stelle erreichen konnten, waren sie mit ihm schon über das Flußbette hinüber und verschwanden unter den Bäumen. Wir hatten große Lust, ihnen nachzufolgen, um sie anzugreifen und Sam zu befreien; aber wir dachten an Euer Verbot und unterließen es.«

»Daran habt ihr sehr klug getan, denn ihr elf Mann hättet nichts erreicht und wäret alle ausgelöscht worden.«

»Aber was tun wir, Sir? Sam ist gefangen!«

»Leider ja, und zwar nun zum zweitenmal!«

»Zum zweiten ?!« rief er erstaunt.

»Ja. Nach dem ersten Male hatte ich ihn schon wieder frei; er brauchte mir nur zu folgen, so stände er jetzt grad so hier wie ich; aber er hat heut eben seinen Kopf für sich.«

Ich erzählte ihnen, was geschehen war. Als ich geendet hatte, sagte Will Parker:

»Da trifft Euch keine Schuld, Sir! Ihr habt weit mehr getan, als was jeder andere gewagt hätte. Sam hat sich selbst in diese Tinte geritten; aber wir dürfen ihn deshalb doch nicht drin sitzen lassen!«

»Nein; er muß heraus. Das wird uns aber nun weit schwerer werden, als es mir zum erstenmal geworden ist; denn wir können uns darauf verlassen, daß die Kiowas doppelt scharf aufpassen werden.«

»Das ist gewiß. Aber vielleicht ist es dennoch möglich, ihn noch einmal herauszuhauen!«

»Hm, möglich ist alles; aber zwölf Mann gegen fünfzig, die nur darauf warten, überfallen zu werden! Und doch ist dies wahrscheinlich die einzige Art und Weise, denn am Tage dürfen wir den Angriff auf das Wäldchen noch viel weniger wagen.«

»Well, so greifen wir noch in dieser Nacht an!«

»Langsam, langsam! Das will überlegt sein.«

»Ueberlegt es, Sir; aber gebt mir inzwischen die Erlaubnis, mich einmal hinüberzuschleichen, um nachzuforschen, wie es steht.«

»Das mögt Ihr tun, doch nicht jetzt, sondern später, wenn einige Zeit verflossen ist und ihre Aufmerksamkeit sich vermindert hat. Und dann geht Ihr nicht allein, sondern ich begleite Euch, und wahrscheinlich nehmen wir auch die andern alle mit.«

»Schön, sehr gut, Sir! Das will ich gelten lassen. Die andern auch gleich mitnehmen, das klingt schon ganz wie Ueberfall. Wir werden unsere Pflicht tun. Sechs bis acht Kiowas nehme ich auf mich allein, und Dick Stone wird nicht weniger haben wollen. Nicht, alter Dick?«

»Yes, hast’s getroffen, alter Will,« antwortete der Gefragte. »Es kommt mir auf einige mehr oder weniger gar nicht an, wenn es sich darum handelt, Sam loszumachen. Ist sonst ein kleiner Pfiffikus; hat aber heut grad seinen schwachen Tag gehabt.«

Ja, allerdings, an diesem Tage war Sam recht schwach gewesen. Ich ging im stillen mit mir zu Rate, auf welche Weise er am besten zu befreien sei. Mein Leben hatte ich für ihn wagen dürfen, aber war ich berechtigt, seinetwegen auch dasjenige der Apachen auf das Spiel zu setzen? Vielleicht konnte man auf dem Wege der List leichter und ungefährlicher an das Ziel gelangen. Das mußte sich nachher ergeben, wenn wir uns hinüberschlichen. Um für alle Fälle gerüstet zu sein, wollte ich da die Apachen auch mitnehmen. Vielleicht stellte es sich heraus, daß ein plötzlicher Angriff Vorteile bot, welche wir mit keinen großen Wagnissen erreichen konnten.

Jetzt mußten wir noch warten, denn wir machten die Bemerkung, daß es drüben noch sehr lebhaft zuging. Bald aber wurde es ruhiger, und diese Stille wurde nur durch kräftige, weithin schallende Tomahawkhiebe unterbrochen. Die Roten schlugen Holz von den Bäumen; wahrscheinlich hatten sie die Absicht Feuer bis zum Morgen in der jetzigen, ungewöhnlichen Weise zu unterhalten.

Dann hörten auch die Axtschläge auf. Die Sterne deuteten Mitternacht an, und ich hielt es für an der Zeit, ans Werk zu gehen. Zunächst sorgten wir dafür, daß die Pferde, welche wir zurücklassen mußten, gut angebunden waren und nicht loskommen konnten; dann sah ich noch einmal nach den Fesseln und dem Knebel des gefangenen Kiowa. Hierauf verließen wir unsern Lagerplatz und schlugen genau denselben Weg ein, auf welchem ich vorhin nach dem Flußbette gegangen war.

Als wir unterhalb des Wäldchens in demselben standen befahl ich den Apachen, unter der Anführung Dick Stones hier zurückzubleiben und ja jedes Geräusch zu vermeiden. Dann stieg ich mit Will Parker leise zu den Bäumen empor. Als wir die Uferhöhe erreicht hatten, legten wir uns nieder und lauschten. Es herrschte tiefste Stille ringsumher. Nun krochen wir langsam vorwärts. Die acht Feuer brannten noch immer so hoch. Ich sah, daß ganze Haufen starker Aeste in dieselben geworfen worden waren. Das machte mich stutzig. Wir rückten weiter und weiter vor und sahen keinen Menschen. Endlich überzeugten wir uns, freilich unter Beachtung aller Vorsicht, daß das Wäldchen leer war. Es gab keinen einzigen Kiowa mehr da.

»Sie sind fort, wirklich fort, heimlich fort!« sagte Parker erstaunt. »Und doch haben sie die Feuer noch so geschürt!«

»Um ihren Rückzug zu maskieren. So lange die Feuer brennen, müssen wir denken, daß sie noch da sind.«

»Aber wohin sind sie? Ganz fort?«

»Ich vermute es, weil Sam für sie eine gute Beute ist, die sie in Sicherheit bringen wollen. Aber es ist auch möglich, daß sie eine Teufelei beabsichtigen.«

»Welche?«

»Uns drüben zu überfallen, wie wir sie jetzt hier hüben angegriffen hätten.«

»Wetter, das ist freilich möglich! Da müssen wir schleunigst vorbeugen, Sir!«

»Ja; wir müssen hinüber und unsere Pferde in Sicherheit bringen, auch wenn es sich später als unnötig erweisen sollte. Besser ist besser.«

Wir stiegen zu den Apachen hinab und eilten nach unserm Lagerplatze, wo wir alles in Ordnung fanden. Doch die Kiowas konnten auch noch später kommen; darum stiegen wir auf und ritten ein tüchtiges Stück in die Prairie hinein, wo wir uns lagerten. Wenn die Kiowas ja noch kamen, so fanden sie uns nicht am alten Platze und mußten den Tag abwarten, um uns zu sehen. Den Gefangenen hatten wir natürlich nicht liegen lassen, sondern mitgenommen.

Nun blieb auch uns nichts anderes übrig, als uns bis zum Morgen zu gedulden. Wer schlafen konnte, der schlief; wer das nicht fertig brachte, der wachte. So verging die Nacht, und als der Morgen zu dämmern begann, setzten wir uns auf die Pferde und ritten zunächst nach unserem Lagerplatz zurück. Es war niemand dagewesen, und wir hatten uns also ohne Grund entfernt; doch das schadete nichts. Dann ging es über den Fluß nach dem Wäldchen hinüber. Die Feuer waren niedergebrannt und hatten Aschenhaufen hinterlassen als die einzigen Zeichen davon, daß es gestern hier so lebhaft zugegangen war.

Nun untersuchten wir die Spuren. Von der Stelle, an welcher ich die Pferde gesehen hatte, führte die Gesamtspur der Kiowas fort; sie waren hier aufgestiegen, und hatten sich in südöstlicher Richtung entfernt. Es lag klar, daß sie es aufgegeben hatten, sich in einen Kampf mit uns einzulassen, welcher ihnen keinen Nutzen bringen konnte, weil es ihnen nicht mehr möglich war, uns zu überraschen.

Und Sam? Den hatten sie mitgenommen, was Dick Stone und Will Parker außerordentlich in das Gemüt griff. Auch mir tat das liebe Kerlchen herzlich leid, und ich war gern bereit, alles halbwegs Vernünftige zu seiner Befreiung zu unternehmen.

»Wenn wir ihn nicht losmachen, so werden sie ihn am Pfahle martern,« klagte Dick Stone.

»Nein,« tröstete ich ihn. »Wir haben ja auch einen Gefangenen, eine Geisel für ihn.«

»Aber ob sie das wissen!«

»Jedenfalls. Sam ist unbedingt so klug gewesen, es ihnen zu sagen. Wie man es ihm macht, so machen wir es mit unserm Gefangenen.«

»Aber wir müssen diesen Indsmen nachreiten, es mag stehen, wie es will!«

»Nein.«

»Was? Ihr wollt ihn im Stiche lassen?«

»Auch nein.«

»Aber wie reimt Ihr dieses beides zusammen?«

»Dadurch, daß ich mich von diesen roten Kerls nicht an der Nase in der Savanne herumführen lasse.«

»An der Nase? Ich verstehe Euch nicht.«

»Nun, seht Euch einmal ihre Fährte an! Wie alt ist sie wohl?«

»Sie sind schon vor Mitternacht fort, wie es den Anschein hat.«

»Das denke ich auch. Von da an bis jetzt sind gegen zehn Stunden vergangen. Denkt Ihr, daß wir diesen Vorsprung heut einholen können?«

»Nein.«

»Oder morgen?«

»Auch nicht.«

»Und wohin meint Ihr, daß sie geritten sind?«

»Nach ihrem Dorfe.«

»So kommen sie dort an, ehe wir sie einholen können. Seid Ihr nun vielleicht der Ansicht, daß wir zwölf Personen uns mitten in das weite Gebiet der Kiowas wagen können, um eines ihrer Dörfer zu überfallen und einen Gefangenen zu befreien?«

»Das würde Wahnsinn sein.«

»Schön! Wir sind also einer Meinung; wir reiten ihnen nicht nach.«

Da kratzte er sich hinter dem Ohre und murmelte ratlos und ärgerlich:

»Aber Sam, Sam, Sam! Unser alter Sam, was wird mit dem? Wir können ihn doch nicht aufgeben!«

»Nein, das tun wir nicht, sondern wir werden ihn im Gegenteile befreien.«

»Hol Euch der Teufel, Sir! Ich bin nicht dazu geschaffen, diese Art von Rätseln zu lösen. Einmal sagt Ihr, daß wir den Roten nicht folgen wollen, und gleich darauf behauptet Ihr, daß ihr Gefangener befreit werden soll. Das ist doch ganz so, als ob Ihr einen Esel in einem Atem erst ein Kamel und dann einen Affen nennt! Das mag begreifen, wer will, ich aber nicht!«

»Es ist schon etwas anderes, denn Euer Beispiel trifft nicht zu. Die Kiowas wollen nämlich gar nicht nach ihrem Dorfe.«

»Nicht? Wohin denn?«

»Erratet Ihr das nicht?«

»Nein.«

»Hm! Was für alte, erfahrene Westmänner ihr doch seid! Da lobe ich mir doch die Greenhorns, welche solche Nüsse knacken, ohne sich die Zähne daran auszubeißen! Die Roten wollen nämlich nach dem Nuggetberg.«

»Nach dem behold! Sollte das die Wirklichkeit sein, Sir?«

»Sie ist es; darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Zuzutrauen wäre es ihnen wirklich!«

»Ich traue es ihnen nicht nur zu, sondern ich behaupte es mit Bestimmtheit.«

»Aber sie dürfen doch das Begräbnis nicht stören!«

»Das beabsichtigen sie auch nicht. Sie werden warten, bis es vorüber ist. Sie sind uns und den Apachen feindlich gesinnt; sie streben nach Rache. Da war ihnen Santers Ankunft sehr willkommen. Sie erfuhren den Tod Intschu tschunas und seiner Tochter und freuten sich darüber. Wie gern werden sie Winnetou und uns das gleiche Schicksal wünschen. Sie hatten es uns zugedacht, als sie hörten, daß Santer Verfolger hinter sich habe. Wir aber waren vorsichtig und gingen, Sam ausgenommen, nicht in die Falle. Nun versuchen sie es anders. Sie tun, als ob sie die Absicht hätten, nach ihrem Dorfe zu reiten; das hält uns ihrer Ansicht nach davon ab, ihnen zu folgen; sie nehmen also an, daß wir zu Winnetou zurückkehren werden. Wenn sie aber einige Zeit südöstlich geritten sind und dabei, wenn der Zufall es bietet, noch mehr Krieger an sich gezogen haben, wenden sie um und gehen nach dem Nuggetberge, wo wir, wie sie denken, uns ahnungslos überfallen und abschlachten lassen werden.«

»Schönes Exempel, jawohl, schönes Exempel! Werden aber dafür sorgen, daß es ein anderes Fazit ergibt!«

»Ja, das werden wir. Wahrscheinlich ist ihnen dieser Plan von Santer eingegeben worden, welcher diese Gelegenheit benützen will, sich Gold zu holen. Kurz und gut, ich bin vollständig überzeugt, daß der Stock so schwimmt, wie ich es jetzt erklärt habe. Wollt Ihr nun noch hinter den Kiowas her?«

»Fällt mir nicht ein. Eure Berechnung erscheint mir zwar etwas gewagt, aber so lange ich Euch kenne, habt Ihr Euch noch nie geirrt, sondern stets recht gehabt; darum denke ich, daß es diesmal auch so zutreffen wird. Was meinst du dazu, alter Will?«

»Ich meine, daß es genau so ist, wie Old Shatterhand sagt. Wir müssen fort von hier, augenblicklich fort, um Winnetou rechtzeitig warnen zu können. Seid Ihr einverstanden, Sir?«

»Ja.«

»Und den Gefangenen nehmen wir mit?«

»Natürlich. Wir binden ihn auf Sams Mary, was ihm freilich keinen großen Genuß bereiten wird. Nachdem ihr das besorgt habt, brechen wir gleich auf. Vorher jedoch wollen wir unten im Flusse einen Wassertümpel suchen, um unsere Pferde zu tränken.«

Eine halbe Stunde später waren wir unterwegs, keineswegs sehr zufrieden mit dem Erfolge unseres Rittes. Anstatt Santer zu fangen, hatten wir Sam Hawkens verloren, aber durch seine eigene Schuld, und wenn meine Voraussetzung sich später bewahrheitete, so stand fast mit Sicherheit zu erwarten, daß wir Sam Hawkens befreien und Santer ergreifen würden.

Bei der Verfolgung des Letzteren waren wir natürlich gezwungen gewesen, auf seiner Spur zu bleiben, und hatten infolgedessen einen Umweg gemacht, weil er von seiner ursprünglichen Richtung abgewichen war, und einen stumpfen Winkel geritten hatte. Ich beschloß, diesen Winkel abzuschneiden, und die Folge davon war, daß wir schon kurz nach Mittag des nächsten Tages vor der Schlucht hielten, welche hinauf nach der Lichtung führte, auf der der Ueberfall und Doppelmord geschehen war.

Wir ließen die Pferde unter der Obhut eines Apachen unten im Tale und stiegen empor. Am Rande der Lichtung stand ein Wächter, der uns nur mit einer stillen Bewegung der Hand begrüßte. Wir sahen beim ersten Blicke, wie fleißig die zwanzig Apachen gewesen waren, um das Begräbnis ihres Häuptlings und seiner Tochter vorzubereiten. Ich sah eine Menge schlanker Bäume liegen, welche mit den Tomahawks gefällt und zum Gerüste bestimmt waren. Sodann gab es große Haufen von Steinen, welche herbeigeschleppt worden waren und noch immer herbeigetragen wurden. Zu diesen Arbeitern gesellten sich sogleich die Apachen, welche ich mit mir gehabt hatte. Ich erfuhr, daß das Begräbnis am nächsten Tage stattfinden sollte.

Seitwärts hatte man eine interimistische Hütte errichtet, in welcher die beiden Leichen aufbewahrt wurden. Winnetou befand sich in derselben. Es wurde ihm gesagt, daß wir angekommen seien, und er trat heraus. Wie sah er aus!

Er war ja überhaupt sehr ernst und nur in seltenen Fällen glitt einmal ein Lächeln über sein Gesicht; laut lachen aber habe ich ihn niemals hören; jedoch lag auf seinen männlich schönen Zügen trotz dieses Ernstes stets ein Ausdruck der Güte und des Wohlwollens, und sein dunkles Sammetauge konnte bei Gelegenheit sogar außerordentlich freundlich blicken. Wie oft hat es auf mir mit einer Liebe und Zärtlichkeit geruht, deren Licht man sonst nur in Frauenaugen zu finden pflegt! Heut aber gab es von alledem keine Spur. Sein Gesicht schien steinhart geworden zu sein, und sein Auge blickte düster innenwärts. Seine Bewegungen waren langsam und schwer. So kam er auf mich zu, warf einen trüben, forschenden Blick umher, schüttelte mir matt die Hand, sah mir mit einem Ausdrucke, der mir tief in die Seele schnitt, in die Augen und fragte:

»Wann ist mein Bruder zurückgekehrt?«

»Soeben.«

»Wo befindet sich der Mörder?«

»Er ist uns entgangen.«

Die Aufrichtigkeit gebietet mir, zu gestehen, daß ich bei dieser Antwort den Blick zu Boden senkte. Ich möchte beinahe sagen, daß ich mich schämte, diese Worte auszusprechen.

Auch er sah zur Erde nieder. Ich hätte in sein Inneres blicken mögen! Erst nach einer langen Pause erkundigte er sich:

»Hat mein Bruder die Spur verloren?«

»Nein; ich habe sie noch jetzt. Er wird hierher kommen.«

»Old Shatterhand mag mir erzählen!«

Er setzte sich auf einen Stein; ich tat desgleichen und lieferte ihm einen genauen, wahrheitsgetreuen Bericht. Er hörte ihn wortlos bis zu Ende an, schwieg auch noch darüber hinaus und fragte dann:

»So weiß mein Bruder nicht genau, ob der Mörder von den Revolverkugeln getroffen worden ist?«

»Nein, ich möchte aber annehmen, daß ich ihn nicht verwundet habe.«

Er nickte leise, drückte mir die Hand und sagte:

»Mein Bruder mag mir die Frage verzeihen, welche ich vorhin aussprach, die Frage, ob er die Spur verloren habe! Old Shatterhand hat alles getan, was er tun konnte, und am Schlusse noch außerordentlich weise gehandelt. Sam Hawkens wird es sehr bedauern, unvorsichtig gewesen zu sein; wir werden es ihm verzeihen und ihn befreien. Ich denke auch wie mein Bruder: die Kiowas werden kommen; sie sollen uns aber anders finden, als sie uns zu finden hoffen. Der Gefangene mag nicht hart behandelt, aber scharf beobachtet werden. Morgen sollen die Gräber über Intschu tschuna und Nscho-tschi errichtet werden. Wird mein Bruder dabei sein?«

»Es würde mich sehr schmerzen, wenn Winnetou es mir nicht erlaubte!«

»Ich erlaube es nicht, sondern ich bitte dich darum. Deine Gegenwart wird vielleicht vielen Söhnen der Bleichgesichter das Leben erhalten. Das Gesetz des Blutes fordert den Tod vieler weißer Menschen; aber dein Auge ist wie die Sonne, deren Wärme das harte Eis zerweicht und in erquickendes Wasser verwandelt. Du weißt, wen ich verloren habe. Sei du mir Vater, und sei du mir Schwester zugleich; ich bitte dich darum, Scharlih!«

Eine Träne stand in seinem Auge. Er schämte sich ihrer, die er vor einem andern als mir unmöglich sehen lassen durfte, eilte davon und verschwand bei den Toten in der Hütte. Er nannte mich heut zum erstenmal bei meinem Vornamen Karl und hat ihn auch in Zukunft nie anders als jetzt, nämlich Scharlih, ausgesprochen.

Nun sollte ich von dem Begräbnisse erzählen, welches mit allen indianischen Feierlichkeiten vorgenommen wurde; ich weiß auch sehr wohl, daß eine eingehende Beschreibung dieser Feierlichkeiten gewiß interessieren würde, aber wenn ich an jene traurigen Stunden denke, fühle ich noch heut ein so tiefes Weh, als ob sie erst gestern vergangen wären, und die Schilderung derselben kommt mir wie eine Entweihung vor, nicht eine Entweihung der “Grabmäler”, welche wir den beiden Toten damals am Nugget-tsil erbauten, sondern des Denkmales, welches ich ihnen in meinem Herzen errichtete und stets treu gehütet habe. Darum bitte ich, die Beschreibung unterlassen zu dürfen.

Intschu tschunas Leiche wurde auf sein Pferd gebunden, worauf man um beide Erde häufte, bis sich das Tier nicht mehr bewegen konnte; dann bekam es eine Kugel in den Kopf. Der Erdhaufen wurde erhöht, bis er den Reiter, seine Waffen und seine Medizin ganz bedeckte, und dann rundum mit mehreren Steinschichten bis zur Spitze bedeckt.

Nscho-tschi erhielt auf meine Bitte ein anderes Grab. Ich wollte sie nicht so unmittelbar mit Erde bedeckt haben. Wir richteten sie an dem Stamme eines Baumes in sitzende Stellung auf und fügten dann um sie herum Steine zu einer festen, hohlen Pyramide zusammen, aus deren Spitze der Gipfel des Baumes ragte.

Ich bin später einigemal mit Winnetou am Nugget-tsil gewesen, um die Gräber zu besuchen. Wir haben sie immer unverletzt gefunden.

Gesammelte Wildwestromane & Geschichten von Karl May

Подняться наверх