Читать книгу Gesammelte Wildwestromane & Geschichten von Karl May - Karl May - Страница 14

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»So habt Ihr also noch niemand umgebracht?«

»Nein.«

»So habt Ihr also heut Euern ersten Totschlag verübt. Wie ist es Euch nun da innerlich zu Mute? Das ist es, was ich wissen wollte.«

»Hm! Ein angenehmes Bewußtsein ist es wahrlich nicht. Es wird mir wohl nicht so leicht wieder geschehen, daß ich einem Menschen das Leben nehme. Es regt sich etwas in meinem Innern, was die größte Aehnlichkeit mit einem bösen Gewissen hat.«

»Bildet Euch nichts ein, und macht Euch keine dummen Gedanken! Es kann Euch, ohne daß Ihr es wollt, hier alle Tage vorkommen, daß Ihr einen Menschen auslöschen müßt, um Euer eigenes Leben zu retten. In einem solchen Falle muß man heavens, da ist ja gleich ein solcher Fall!« unterbrach er sich. »Da sind wahrhaftig die Apachen schon! Da wird es blutige Köpfe geben. Macht Euch zum Kampfe fertig, Mesch’schurs!«

Es erscholl nämlich von da, wo die Gefangenen sich mit ihren Wächtern befanden, das hoch-und schrilltönende Hiiiiiiiiih, der Kriegsruf der Apachen. Intschu tschuna und Winnetou waren wider alles Erwarten jetzt schon da; sie überfielen das Lager der Kiowas. Diese, welche sich bei uns befanden, horchten erschrocken auf; dann schrie der Häuptling:

»Feinde da unten bei unsern Brüdern! Schnell hin, schnell ihnen zu Hilfe!«

Er wollte fortstürmen; da aber trat ihm Sam Hawkens entgegen und rief:

»Ihr könnt nicht hin; bleibt immer da, denn wir sind jedenfalls auch schon umringt. Oder meint Ihr, die beiden Häuptlinge der Apachen seien so dumm, nur Eure Wächter anzugreifen und nicht zu wissen, wo Ihr Euch befindet? Sie werden in nächsten Augen «

Er hatte schnell und hastig gesprochen, kam aber dennoch nicht zu Ende, denn jetzt erscholl der fürchterliche, durch Mark und Bein schneidende Schlachtruf auch rund um uns her. Wir befanden uns, wie schon erwähnt, zwar auf der offenen Prairie, doch standen auf derselben Büsche zerstreut, hinter welche sich die Apachen, von uns unbemerkt, weil wir so sehr mit uns beschäftigt gewesen waren, so geschlichen hatten, daß wir von ihnen vollständig umzingelt waren. Jetzt kamen sie in hellen Haufen von allen Seiten auf uns zugesprungen. Die Kiowas schossen auf sie und machten auch einige Treffer, doch so wenige, daß dieselben gar nicht zu rechnen waren. Dann waren die Angreifer auch schon dabei.

»Tötet keinen Apachen, ja keinen!« rief ich Sam, Dick und Will zu; dann tobte aber auch schon der Nahekampf um uns her. Wir Vier beteiligten uns nicht an demselben; der Oberingenieur aber und die drei Surveyors wehrten sich; sie wurden niedergeschossen. Das war entsetzlich. Indem mein Auge an dieser Stelle hing, sah ich nicht, was hinter mir vorging. Wir wurden von da aus von einer bedeutenden Schar angefallen und auseinander gerissen. Zwar riefen wir diesen Leuten zu, daß wir ihre Freunde seien, doch ohne Erfolg; sie drangen mit Messern und Tomahawks auf uns ein, so daß wir uns wehren mußten, obwohl wir eigentlich nicht wollten. Wir schlugen mehrere von ihnen mit dem Kolben nieder, so daß sie Respekt bekamen und von uns ließen.

Diesen freien Augenblick benutzte ich zu einem schnellen Rundblicke. Es gab keinen Kiowa, der nicht mehrere Apachen gegen sich hatte. Sam sah das auch und rief:

»Schnell fort! Dort in die Sträucher hinein!«

Er deutete nach dem schon mehrfach erwähnten Gebüsch, welches uns Deckung gegen das Lager hin gegeben hatte, und rannte demselben zu. Dick Stone und Will Parker folgten ihm. Ich zögerte einige Augenblicke, indem ich nach der Stelle sah, wo sich die Surveyors befunden hatten. Sie waren Weiße, und ich hätte ihnen gern Hilfe gebracht; aber es war zu spät dazu. Darum wendete ich mich nun auch den Büschen zu. Ich hatte sie noch lange nicht erreicht, da sah ich Intschu tschuna bei denselben erscheinen.

Er hatte sich mit Winnetou bei der Abteilung der Apachen befunden, deren Aufgabe der Ueberfall des Lagers und die Befreiung der Gefangenen war. Als sie dies erreicht hatten, waren die beiden Häuptlinge von dort fortgerannt, um nach den Erfolgen der größeren Abteilung zu sehen, mit welcher wir es zu tun hatten. Intschu tschuna war seinem Sohne eine ziemliche Strecke voran. Als er um die Büsche gebogen war, erblickte er mich.

»Der Länderdieb!« rief er mir entgegen und drang mit seiner umgekehrten Silberbüchse auf mich ein, um mich niederzuschlagen. Ich rief ihm zwar einige erklärende Worte zu, die ihm sagen sollten, daß ich kein Feind von ihm sei; aber er hörte nicht darauf und verdoppelte seine Stöße und Hiebe. Es ging gar nicht anders an, wenn ich nicht schwer verletzt oder gar erschlagen sein wollte, mußte ich ihm wehe tun. Grad als er wieder zum Hiebe ausholte, warf ich meinen Bärentöter, mit welchem ich pariert hatte, weg, hing im nächsten Momente mit der linken Hand an seinem Halse, während ich ihm mit der rechten Faust einige Hiebe gegen die Schläfe versetzte. Er ließ seine Büchse fallen, röchelte kurz auf und fiel dann auf die Erde nieder. Da ertönte hinter mir eine jubelnde Stimme:

»Das ist Intschu tschuna, der oberste der Apachenhunde! Ich muß sein Fell, seinen Skalp haben!«

Mich umdrehend, gewahrte ich Tangua, den Kiowahäuptling, welcher aus irgend einem Grunde dieselbe Richtung wie ich eingeschlagen hatte. Er warf sein Gewehr weg, zog sein Messer und stürzte sich auf den besinnungslosen Apachen, um ihn zu skalpieren. Ich faßte ihn beim Arme und gebot:

»Laß die Hand davon! Den habe ich besiegt; er gehört also nicht dir, sondern mir!«

»Schweig, weißes Ungeziefer!« antwortete er mir. »Was habe ich nach dir zu fragen. Der Häuptling ist mein! Laß mich los, sonst «

Er stach mit dem Messer nach mir und traf mich in das linke Handgelenk. Ich wollte ihn nicht erstechen und ließ darum mein Messer im Gürtel stecken, warf mich aber auf ihn und gab mir Mühe, ihn wegzuziehen. Da mir dies nicht gelang, drückte ich ihm die Kehle zusammen, bis er sich nicht mehr bewegte; dann beugte ich mich zu Intschu tschuna nieder, dessen Gesicht aus meiner Handwunde mit Blut betropft worden war. In diesem Augenblicke hörte ich ein Geräusch hinter mir und machte eine Wendung, um mich umzusehen. Diese Bewegung rettete mir das Leben, denn ich erhielt auf die Schulter einen fürchterlichen Kolbenhieb, welcher meinem Kopfe gegolten hatte. Wäre dieser getroffen worden, so hätte der Schlag mir den Schädel zerschmettert. Der mir ihn gab, war Winnetou.

Er war, wie bereits erwähnt, hinter seinem Vater zurückgewesen. Um das Gebüsch biegend, sah er mich bei seinem Vater knien, welcher wie leblos lag und mit Blut bespritzt war. Winnetou holte sofort zum tödlichen Kolbenhiebe aus, der aber glücklicherweise nur meine Schulter traf. Dann ließ er sein Gewehr fallen, zog sein Messer und stürzte sich auf mich.

Meine Lage war so schlimm wie möglich. Der Hieb hatte meinen ganzen Körper erschüttert und mir den Arm gelähmt. Ich hätte Winnetou gern eine Erklärung gegeben; aber dies alles ging so schnell, daß gar keine Zeit zu einem Worte vorhanden war. Er holte zum Stoße gegen meine Brust aus, zu einem Stoße, der mir die ganze Klinge in das Herz getrieben hätte. Ich brachte nur eine ganz geringe Körperwendung fertig; das Messer fuhr in meine linke Brusttasche, traf dort die schon erwähnte Sardinenbüchse, in welcher ich meine Papiere verwahrte, glitt an dem Bleche derselben ab und drang mir oberhalb des Halses und innerhalb der Kinnlade in den Mund und durch die Zunge. Dann zog er es wieder heraus und holte, mich mit der linken Hand an der Gurgel packend, zum zweiten Stoße aus. Die Todesangst verdoppelt die Kräfte; ich konnte nur eine Hand, einen Arm brauchen, und er lag von seitwärts her auf mir; es gelang mir eine weitere Wendung; ich faßte seine rechte Hand und preßte diese so zusammen, daß er das Messer vor Schmerz fallen lassen mußte; dann nahm ich schnell seinen linken Arm beim Ellbogen und drückte ihn so nach oben, daß er, wenn er ihn nicht brechen wollte, die Hand von meinem Halse lassen mußte. Nun zog ich die Knie an und schnellte mich mit aller Gewalt empor; er wurde abgeschleudert, so daß er mit dem Vorderleibe die Erde berührte. Im nächsten Augenblicke lag ich ihm so auf dem Rücken wie er vorher auf dem meinigen gelegen hatte.

Jetzt galt es, ihn nieder zu halten, denn wenn er wieder aufkam, war ich verloren. Ein Knie ihm quer über die beiden Oberschenkel und das andere auf den einen Arm setzend, nahm ich ihn mit der einen brauchbaren Hand beim Genick, während er mit seiner andern, freien Hand nach dem entfallenen Messer suchte, glücklicherweise vergeblich. Nun gab es ein wahrhaft satanisches Ringen zwischen uns. Man denke, Winnetou, der nie besiegt worden war und später auch nie wieder besiegt worden ist, mit seiner schlangenglatten Geschmeidigkeit, den eisernen Muskeln und stählernen Flechsen. Jetzt hätte ich Zeit zum Sprechen gehabt; einige Worte hätten zur Aufklärung genügt; aber das Blut schoß mir in Strömen aus dem Munde, und als ich mit der durchstochenen Zunge zu sprechen versuchte, brachte ich nur ein unverständliches Lallen hervor. Er wendete alle seine Kraft an, mich abzuwerfen, und ich lag auf ihm wie ein Alp, der nicht abzuschütteln ist. Er begann zu keuchen und keuchte immer stärker; ich preßte ihm mit den Fingerspitzen den Kehlkopf so fest nach innen, daß ihm der Atem ausging. Sollte er ersticken? Nein, auf keinen Fall! Ich gab also für einen Augenblick seinen Hals frei, worauf er sofort den Kopf hob; das brachte diesen für meine Absicht in die richtige Stellung zwei, drei rasch aufeinander folgende Faustschläge, und Winnetou war betäubt; ich hatte ihn, den Unbesieglichen, besiegt. Denn daß ich ihn schon einmal niedergeschlagen hatte, das war kein Sieg zu nennen, weil kein Kampf vorangegangen war.

Ich holte tief, tief Atem, wobei ich mich in acht nehmen mußte, nicht das Blut zu verschlucken, welches mir den Mund füllte, so daß ich ihn offen halten mußte, damit es Abfluß fand; auch aus der äußeren Wundöffnung floß es in einem beinahe fingerdicken Strahle. Eben wollte ich mich vom Boden erheben, da hörte ich einen zornigen indianischen Ruf hinter mir und bekam einen Kolbenhieb gegen den Kopf, der mich besinnungslos niederstreckte.

Als ich wieder zu mir kam, war es Abend; so lange hatte ich ohne Besinnung gelegen. Zunächst war es mir wie im Traume: Ich war in das tiefe Mauerlager eines Mühlrades gestürzt. Die Mühle ging nicht, weil sich das Rad nicht bewegen konnte, da ich zwischen ihm und der Mauer steckte. Das Wasser rauschte über mir herab, und die Kraft, mit welcher es auf das Rad wirkte, preßte mich fester und fester zusammen, daß ich glaubte, ich würde zermalmt. Alle meine Glieder schmerzten, besonders aber der Kopf und die eine Schulter. Nach und nach erkannte ich, daß dies nicht Wirklichkeit, aber auch nicht Traum war. Das Rauschen und Brausen kam nicht vom Wasser; es wohnte in meinem Kopfe und war die Folge des Kolbenhiebes, welcher mich niedergeworfen hatte. Und die Schmerzen in der Schulter wurden nicht durch ein Mühlenrad verursacht, welches mich zusammenpreßte, sondern durch den Hieb, den ich von Winnetou bekommen hatte. Das Blut lief mir noch immer aus dem Munde; es wollte mir in die Kehle dringen und mich ersticken; ich hörte ein fürchterliches Röcheln und Gurgeln und erwachte vollends. Derjenige, der so geröchelt hatte, war ich selbst.

»Er bewegt sich! Gott sei Dank, er bewegt sich!« hörte ich Sams Stimme rufen.

»Ja, ich habe es auch gesehen,« antwortete Dick Stone.

»Jetzt macht er die Augen auf! Er lebt, er lebt!« fügte Will Parker hinzu.

Ich hatte allerdings die Augen geöffnet. Das, was der erste Blick mir zeigte, war keineswegs tröstlich. Wir befanden uns noch auf dem Platze, wo der Kampf stattgefunden hatte. Es brannten wohl über zwanzig Lagerfeuer, zwischen denen wohl über fünfhundert Apachen sich bewegten. Viele von ihnen waren verwundet. Auch eine bedeutende Anzahl von Toten sah ich in zwei Abteilungen liegen. Die erste Abteilung bestand aus Apachen und die zweite aus Kiowas. Die ersteren hatten elf und die letzteren dreißig ihrer Krieger eingebüßt. Rings um uns lagen die gefangenen Kiowas, alle streng gefesselt. Es war kein einziger entkommen. Auch Tangua, der Häuptling, befand sich unter ihnen. Den Oberingenieur und die drei Surveyors sah ich jetzt nicht. Sie waren niedergemacht worden, weil sie sich unklugerweise gewehrt hatten.

In geringer Entfernung von uns sah ich einen Menschen liegen, dessen Körper ringförmig zusammengezogen war, ungefähr so, wie es früher, in den Zeiten der Tortur, bei der Anwendung des sogenannten spanischen Bockes zu geschehen pflegte. Es war Rattler. Die Apachen hatten ihn krumm geschnürt, um ihm Schmerzen zu bereiten. Er stöhnte, daß es trotz seiner moralischen Verkommenheit zum Erbarmen war. Seine Gefährten lebten nicht mehr. Sie waren gleich beim ersten Angriffe erschossen worden. Ihn hatte man verschont, weil er als der Mörder Klekih-petras für einen langsamern und qualvollern Tod aufgehoben werden sollte.

Auch ich war an Händen und Füßen gefesselt, ebenso Parker und Stone, welche mir zur Linken lagen. Zu meiner Rechten saß Sam Hawkens. Er war an den Füßen gefesselt; seine rechte Hand hatte man ihm auf den Rücken gebunden, die linke aber frei gelassen, damit er, wie ich später erfuhr, mir Hilfe leisten könne.

»Dem Himmel sei Dank, daß Ihr wieder bei Euch seid, lieber Sir!« sagte er, indem er mir mit der freien Hand liebkosend über das Gesicht strich. »Wie ist es nur gekommen, daß Ihr niedergeschlagen worden seid?«

Ich wollte antworten, konnte aber nicht, weil ich den Mund voll Blut hatte.

»Spuckt es heraus!« sagte er.

Ich folgte dieser Weisung, brachte aber nur wenige, undeutliche Worte hervor, dann hatte sich der Mund schon wieder mit Blut gefüllt. Infolge dieses großen Blutverlustes war ich zum Sterben matt. Meine Antwort konnte ich nur in kurzen, weit auseinander gedehnten Absätzen geben und zwar so leise, daß Sam sie kaum verstehen konnte:

»Intschu tschuna gekämpft Winnetou dazu Mund gestochen Kolbenhieb auf Kopf von weiß es nicht.«

Die dazwischen liegenden Worte erstickten in dem Blute. Es hatte, wie ich jetzt bemerkte, eine Lache gebildet, in welcher ich lag.

»Alle Wetter! Wer konnte das ahnen! Wir hätten uns ja gern ergeben, aber diese Apachen hörten gar nicht auf unsere Worte. Darum machten wir uns in das Gesträuch hinein, um zu warten, bis ihr Grimm sich gelegt haben würde, wenn ich mich nicht irre. Wir glaubten, Ihr hättet das auch getan, und suchten nach Euch. Als wir Euch aber nicht fanden, kroch ich nach dem Rande des Gesträuches, um nach Euch auszuschauen. Da stand eine heulende Gruppe von Apachen um Intschu tschuna und Winnetou, welche tot zu sein schienen, aber bald zu sich kamen. Ihr lagt, auch wie tot, daneben. Das erschreckte mich so, daß ich sofort hier diesen Will Parker und diesen Dick Stone holte und mit ihnen zu Euch hinlief, um zu sehen, ob vielleicht noch Leben in Euch sei. Wir wurden natürlich gleich festgenommen. Ich sagte Intschu tschuna, daß wir Freunde der Apachen seien und gestern abend die Absicht gehabt hätten, die beiden gefangenen Häuptlinge zu befreien. Er aber lachte mich grimmig aus, und nur Winnetou habe ich es zu verdanken, daß man mir diese eine Hand freigelassen hat. Er ist es auch gewesen, der Euch am Halse verbunden hat, sonst wäret Ihr gar nicht wieder aufgewacht, sondern hättet Ihr Euch verblutet, wenn ich mich nicht irre. Ist der Stich tief eingedrungen?«

»Durch die Zunge,« lallte ich.

»Alle Teufel! Das ist gefährlich. Werdet da ein Wundfieberchen bekommen, welches ich zwar nicht haben möchte, aber doch lieber auf mich nehmen würde, weil so ein alter Waschbär, wie ich bin, es leichter übersteht als so ein Greenhorn, welches, wie ich vermute, Blut bis jetzt nur in der Wurst gesehen hat. Ihr seid doch nicht etwa noch sonst blessiert?«

»Kolbenhiebe Kopf und Schulter,« antwortete ich.

»Also niedergeschlagen seid Ihr worden? Ich dachte, der Stich sei allein schuld. Da wird Euch freilich der Kopf verteufelt brummen. Aber das vergeht; die Hauptsache ist, daß das bißchen Verstand, welches Ihr hattet, nicht mit erschlagen worden ist. Die Gefahr, in welcher Ihr schwebt, liegt in der zerstochenen Zunge, die man nicht verbinden kann. Ich werde «

Mehr hörte ich nicht, weil ich jetzt wieder in Ohnmacht fiel.

Als ich aus derselben erwachte, fühlte ich, daß ich mich in Bewegung befand; ich hörte den Huftritt vieler Pferde und schlug die Augen auf. Ich lag man denke sich! auf der Haut des Grizzlybären, den ich erstochen hatte. Sie war in die ungefähre Form einer Hängematte zusammengeschnürt worden und hing zwischen zwei Pferden, die mich auf diese Weise tragen mußten. Ich steckte so tief in dem Felle, daß ich nur die Köpfe dieser beiden Pferde und den Himmel sehen konnte, mehr nicht. Die Sonne warf glühende Strahlen auf mich herab, und brennend, wie flüssiges Blei, flutete es mir in den Adern. Mein Mund war geschwollen und von geronnenem Blute voll. Ich wollte es mit der Zunge ausstoßen, konnte sie aber nicht bewegen.

»Wasser, Wasser!« wollte ich rufen, denn ich fühlte einen geradezu entsetzlichen Durst, brachte aber keinen Laut, nicht einmal einen hörbaren Hauch hervor. Ich sagte mir, daß es um mich geschehen sei, und wollte, wie jeder Sterbende es soll, an Gott und das, was jenseits dieses Lebens liegt, denken, wurde aber von der Ohnmacht wieder übermannt.

Nachher kämpfte ich mit Indianern, Büffeln und Bären, machte Todesritte durch die ausgedorrten Steppen, schwamm monatelang über uferlose Meere es war im Wundfieber, in welchem ich lange, lange mit dem Tode rang. Zuweilen hörte ich Sam Hawkens’ Stimme wie aus weiter, weiter Ferne; zuweilen sah ich zwei dunkle, sammetne Augen vor mir, die Augen Winnetous; dann starb ich, wurde in den Sarg gelegt und begraben; ich hörte, daß die Erdschollen auf den Sarg geschaufelt wurden, und lag dann eine ganze, ganze Ewigkeit, ohne mich bewegen zu können, in der Erde, bis auf einmal der Deckel meines Sarges geräuschlos nach oben schwebte und dann verschwand. Ich sah den hellen Himmel über mir; die vier Seiten des Grabes senkten sich. War dies denn wahr? Konnte dies geschehen? Ich fuhr mir mit der Hand nach der Stirn und

»Halleluja, Halleluja! Er erwacht vom Tode; er erwacht!« jubelte Sam.

Ich wendete den Kopf.

»Seht ihr es, daß er sich mit der Hand nach dem Kopf gegriffen, daß er jetzt sogar den Kopf herumgedreht hat!« schrie der Kleine.

Er beugte sich über mich. Sein Gesicht strahlte förmlich vor Entzücken; das sah ich, trotzdem der dichte Bartwald es fast ganz bedeckte.

»Seht Ihr mich, Sir, geliebter Sir?« fragte er. »Ihr habt die Augen geöffnet und Euch bewegt. Ihr lebt also wieder. Seht Ihr mich?«

Ich wollte antworten, konnte aber nicht, erstens vor übergroßer Mattigkeit und zweitens weil die Zunge mir schwer wie Blei im Munde lag. Darum nickte ich.

»Und hört Ihr mich?« fuhr er fort.

Ich nickte wieder.

»Da seht ihn an seht her seht her!«

Sein Gesicht verschwand und dafür erschienen die beiden Köpfe von Stone und Parker. Die braven Kerls hatten Freudentränen in den Augen. Sie wollten auf mich einsprechen; aber Sam schob sie fort und sagte:

»Laßt mich zu ihm! Ich will mit ihm reden, ich, ich!«

Er nahm meine beiden Hände, drückte diejenige Stelle seines Bartes, unter welcher der Mund zu vermuten war, darauf und fragte:

»Habt Ihr Hunger, Sir? Habt Ihr Durst? Werdet Ihr etwas essen oder trinken können?«

Ich schüttelte den Kopf, denn ich fühlte kein Bedürfnis, irgend etwas zu genießen. Ich lag in einer Schwäche, welche selbst den Genuß eines einzigen Wassertropfens ausschloß.

»Nicht? Wirklich nicht? Herr Gott, ist das denn möglich! Wißt Ihr, wie lange Ihr hier gelegen habt?«

Ich antwortete wieder durch ein leises Schütteln.

»Drei Wochen, volle, ganze drei Wochen! Denkt Euch nur! Ihr wißt jedenfalls auch gar nicht, was nach Eurer Verwundung geschehen ist und wo Ihr Euch befindet. Ihr habt ein fürchterliches Wundfieber gehabt und seid dann in Starrkrampf gefallen. Die Apachen wollten Euch einscharren; aber ich konnte nicht an Euern Tod glauben und habe so lange gebettelt, bis Winnetou mit seinem Vater sprach und dieser die Erlaubnis gab, Euch erst dann zu begraben, wenn die Fäulnis eintreten werde. Das haben wir der Fürsprache Winnetous zu verdanken. Ich muß hin zu ihm, muß ihn holen!«

Ich schloß die Augen und lag nun wieder still, doch nicht im Grabe, sondern in einer seligen Müdigkeit, in einem wonnigen Frieden. Ich wünschte, ewig, ewig so liegen bleiben zu können. Da hörte ich Schritte. Eine Hand betastete mich und bewegte meinen Arm; dann vernahm ich die Stimme Winnetous:

»Hat Sam Hawkens sich nicht geirrt? Ist Selki lata wirklich wach gewesen?«

»Ja, ja. Wir drei haben es ganz deutlich gesehen. Er hat sogar mit Kopfnicken und Schütteln auf meine Fragen geantwortet.«

»So ist ein großes Wunder geschehen. Aber es wäre besser, wenn es nicht geschehen, wenn er tot geblieben wäre. Er ist nur, um zu sterben, in das Leben zurückgekehrt. Er wird mit Euch wieder in den Tod gehen.«

»Aber er ist der beste Freund der Apachen!«

»Er hat mich zweimal niedergeschlagen!«

»Weil er mußte!«

»Er hat nicht gemußt!«

»O doch: Das erstemal tat er es, um dir das Leben zu retten. Du hattest dich gewehrt und wärst von den Kiowas ermordet worden. Und das zweitemal hat er sich gegen dich wehren müssen. Wir wollten uns euch freiwillig ergeben, konnten das aber nicht, weil eure Krieger nicht auf unsere Versicherungen hörten.«

»Das sagt Hawkens nur, um sich zu retten.«

»Nein; es ist die Wahrheit!«

»Deine Zunge lügt. Alles, was du mir erzählt hast, um dem Martertode zu entgehen, hat nur die Folge gehabt, uns zu überzeugen, daß ihr noch größere Feinde von uns waret als selbst die Hunde von Kiowas. Du bist uns entgegengeschlichen und hast uns belauscht. Wärst du unser Freund gewesen, so hättest du uns gewarnt; dann wären wir nicht dort am Wasser überfallen und an die Bäume gebunden worden.«

»Aber ihr hättet den Tod Klekih-petras an uns gerächt, oder, wenn dies aus Dankbarkeit vielleicht nicht geschehen wäre, so hättet ihr uns wenigstens gehindert, unsere Arbeiten fortzusetzen und zu beendigen.«

»Ihr habt dies auch so nicht tun können. Du ersinnst Ausreden, welche ein jedes Kind durchschauen muß. Hältst du Intschu tschuna und Winnetou für so dumm, ja, für noch dümmer als so ein kleines Kind?«

»Das fällt mir ganz und gar nicht ein. Old Shatterhand ist wieder ohnmächtig geworden. Wäre er bei Bewußtsein und könnte er sprechen, so würde er dir mitteilen, daß ich die Wahrheit gesagt habe.«

»Ja, er würde ebenso lügen wie du. Die Bleichgesichter sind alle Lügner und Betrüger. Ich habe nur einen einzigen Weißen gekannt, in dessen Herz die Wahrheit wohnte; dieser war Klekih-petra, den ihr uns ermordet habt. In diesem Old Shatterhand hätte ich mich beinahe getäuscht. Ich sah seine Kühnheit und seine Körperkraft und bewunderte ihn. In seinem Auge schien die Aufrichtigkeit ihren Sitz zu haben, und ich glaubte, ihn lieben zu können. Aber er war genau ein solcher Länderdieb wie die Andern; er verhinderte euch nicht, uns in die Falle zu locken, und hat mir zweimal seine Faust an den Kopf geschlagen. Warum hat der große Geist einen solchen Mann geschaffen und ihm ein so falsches Herz gegeben?«

Ich hatte ihn, als er mich berührte, ansehen wollen; aber der Wille fand bei den matten Bewegungsnerven keinen Gehorsam. Mein Körper schien aus Aether zu bestehen, ja, gar nicht aus durch die Sinne wahrnehmbaren Stoffen zusammengesetzt zu sein und also auch gar nichts Wahrnehmbares vernehmen zu können. Aber jetzt, als ich dieses Urteil Winnetous hörte, gehorchten mir die Augenlider. Sie öffneten sich und ich sah ihn neben mir stehen. Er war jetzt in ein leichtes, leinenes Gewand gekleidet, trug keine Waffe und hielt ein Buch in der Hand, auf dessen Einband in großer Goldschrift das Wort Hiawatha zu lesen war. Dieser Indianer, dieser Sohn eines Volkes, welches man zu den “Wilden” zählt, konnte also nicht nur lesen, sondern er besaß sogar Sinn und Geschmack für das Höhere. Longfellows berühmtes Gedicht in der Hand eines Apache-Indianers! Das hätte ich mir nie träumen lassen!

»Er hat die Augen wieder offen!« rief da Sam, und Winnetou drehte sich zu mir um. Er trat wieder zu mir heran, richtete sein Auge lange, lange auf das meinige und fragte dann:

»Kannst du reden?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Hast du Schmerzen im Körper?«

Dieselbe Antwort.

»Sei aufrichtig mit mir! Wenn man vom Tode erwacht, kann man keine Unwahrheit sagen. Habt ihr vier Männer uns wirklich retten wollen?«

Ich nickte zweimal.

Da machte er eine verächtliche Handbewegung und rief im Tone sittlicher Empörung aus:

»Lüge, Lüge, Lüge! Selbst am wieder geöffneten Grabe Lüge! Hättest du mir die Wahrheit gestanden, so wäre mir vielleicht der Gedanke gekommen, daß du anders, daß du besser werden könntest, und ich hätte Intschu tschuna, meinen Vater, gebeten, dir das Leben zu schenken. Aber du bist eine solche Fürbitte nicht wert und mußt sterben. Wir werden dich sehr aufmerksam pflegen, damit du sehr schnell wieder gesund und kräftig wirst, die Qualen, welche deiner warten, lange auszuhalten. Als kranker, schwacher Mann sehr schnell zu sterben, das ist keine Strafe.«

Länger konnte ich die Augen nicht offen halten; ich schloß sie wieder. Hätte ich doch reden können! Sam, der sonst so listige Sam Hawkens, führte unsere Verteidigung in einer nichts weniger als scharfsinnigen Weise; ich hätte ganz anders gesprochen als er. Als ob er diesen meinen Gedanken erraten hätte, stellte er jetzt dem jungen Apachenhäuptlinge vor:

»Aber wir haben dir doch bewiesen, klar und unwiderleglich bewiesen, daß wir auf eurer Seite gewesen sind. Eure Krieger sollten gemartert werden, und um dies zu verhindern, hat Old Shatterhand mit “Blitzmesser” gekämpft und ihn besiegt. Er hat also sein Leben für euch gewagt und soll nun zum Lohne dafür gemartert werden!«

»Ihr habt mir nichts bewiesen, denn auch diese Erzählung war nichts als Lüge.«

»Frage Tangua, den Häuptling der Kiowas, welcher sich noch in euren Händen befindet!«

»Ich habe ihn gefragt.«

»Was sagte er?«

»Daß du lügst. Old Shatterhand hat nicht mit “Blitzmesser” gekämpft, sondern dieser ist, als wir euch überfielen, von unsern Kriegern getötet worden.«

»Das ist eine großartige Schlechtigkeit von Tangua. Er weiß, daß wir heimlich auf eurer Seite standen, und will sich nun dafür dadurch rächen, daß er uns in das Verderben bringt.«

»Er hat es mir beim großen Geiste geschworen, also glaube ich ihm und nicht euch. Ich sage dir dasselbe, was ich soeben Old Shatterhand gesagt habe: Würdet ihr ein offenes Geständnis abgelegt haben, so hätte ich für euch gebeten. Klekih-petra, welcher mein Vater, Freund und Lehrer gewesen ist, hat die Gesinnung des Friedens und der Milde in mein Herz gelegt. Ich trachte nicht nach Blut, und mein Vater, der Häuptling, tut stets, um was ich ihn bitte. Darum haben wir von allen den Kiowas, welche wir noch immer hier gefangen halten, noch keinen getötet; sie mögen das, was sie getan haben, nicht mit ihrem Leben, sondern mit Pferden und Waffen, Zelten und Decken bezahlen. Wir sind mit ihnen noch nicht ganz einig über den Preis, doch wird der Abschluß bald zustande kommen. Rattler ist Klekih-petras Mörder, er muß sterben. Ihr seid seine Genossen, dennoch würden wir vielleicht Nachsicht haben, wenn ihr aufrichtig wäret; da ihr dies aber nicht seid, so werdet ihr sein Schicksal teilen.«

Das war ein lange Rede, so lang, wie ich aus dem Mund des schweigsamen Winnetou später nur selten und nur bei den wichtigsten Veranlassungen wieder eine gehört habe. Unser Schicksal lag ihm also wohl mehr am Herzen, als er eingestehen wollte.

»Wir können uns doch unmöglich als eure Feinde erklären, wenn wir eure Freunde sind,« entgegnete Sam.

»Schweig! Ich sehe ein, daß du mit dieser großen Lüge auf den Lippen sterben wirst. Wir haben euch bisher mehr Freiheit gelassen als den andern Gefangenen, damit ihr diesem Old Shatterhand Hilfe leisten konntet. Ihr seid dieser Nachsicht nicht wert und werdet von jetzt an strenger gehalten werden. Der Kranke braucht euch nicht mehr. Folgt mir jetzt! Ich werde euch den Ort anweisen, den ihr nun nicht mehr verlassen dürft.«

»Das nicht, Winnetou, nur das nicht!« rief Sam erschrocken aus. »Ich kann mich unmöglich von Old Shatterhand trennen!«

»Du kannst es, denn ich befehle es dir! Was ich will, das wird geschehen!«

»Aber wir bitten dich, uns wenigstens «

»Still!« unterbrach ihn der Apache im strengsten Tone. »Ich will kein Wort dagegen hören! Werdet ihr mit mir gehen, oder soll ich euch durch meine Krieger binden und fortschaffen lassen?«

»Wir befinden uns in eurer Gewalt und sind also gezwungen, zu gehorchen. Wann dürfen wir Old Shatterhand wiedersehen?«

»Am Tage eures und seines Todes.«

»Eher nicht?«

»Nein.«

»So laß uns, ehe wir dir jetzt folgen, von ihm Abschied nehmen!«

Er ergriff meine Hände, und ich fühlte seinen Bartwald auf meinem Gesichte, denn er gab mir einen Kuß auf die Stirn. Parker und Stone taten ebenso; dann gingen sie mit Winnetou fort, und ich lag einige Zeit allein, bis einige Apachen kamen und mich forttrugen, wohin, das wußte ich nicht, da ich zu schwach war, die Augen noch einmal aufzuschlagen. Noch indem sie mich trugen, schlief ich wieder ein.

Wie lange ich da geschlafen habe, weiß ich nicht. Es war der Genesungsschlaf, welcher immer tief zu sein und sehr lange zu währen pflegt. Als ich erwachte, wurde es mir gar nicht schwer, die Augen zu öffnen, und ich war bei weitem nicht mehr so schwach wie vorher. Ich konnte die Zunge einigermaßen bewegen und mit dem Finger in den Mund langen, um diesen von dem geronnenen Blute und von dem Wundeiter zu reinigen.

Ich befand mich zu meinem Erstaunen in einem gemachähnlichen, viereckigen Raume, dessen Seiten aus steinernen Mauern bestanden. Er erhielt sein Licht durch die Eingangsöffnung, welche durch keine Türe verschlossen war. Mein Lager befand sich in der hintern Ecke. Man hatte da mehrere Grizzlybärenfelle übereinander gelegt und eine sehr schöne, indianische Santillodecke über mich gebreitet. In der Ecke neben der Türe saßen zwei Indianerinnen, jedenfalls mir zur Pflege und zugleich Bewachung, eine alte und eine junge. Die alte war häßlich, wie die meisten alten, roten Squaws, was eine Folge der Ueberanstrengung ist, da die Frauen alle selbst die schwersten Arbeiten verrichten müssen, während die Männer nur dem Kriege und der Jagd leben und die übrige Zeit untätig verbringen. Die junge war schön, sogar sehr schön. Europäisch gekleidet, hätte sie gewiß in jedem Salon Bewunderung erregt. Sie trug ein langes, hellblaues, hemdartiges Gewand, welches den Hals eng umschloß und an der Taille von einer Klapperschlangenhaut als Gürtel zusammengehalten wurde. Es war an ihr kein Schmuckgegenstand zu sehen, etwa Glasperlen oder billige Münzen, mit denen die Indianerinnen sich so gern behängen. Ihr einziger Schmuck bestand aus ihrem langen, herrlichen Haare, welches in zwei starken, bläulich schwarzen Zöpfen ihr weit über die Hüften herabreichte. Dieses Haar erinnerte mich an dasjenige von Winnetou. Auch ihre Gesichtszüge waren den seinigen ähnlich. Sie hatte dieselbe Sammetschwärze der Augen, welche unter langen, schweren Wimpern halb verborgen lagen, wie Geheimnisse, welche nicht ergründet werden sollen. Von indianisch vorstehenden Backenknochen war keine Spur. Die weich und warm gezeichneten vollen Wangen vereinigten sich unten in einem Kinn, dessen Grübchen bei einer Europäerin auf Schelmerei hätte schließen lassen. Sie sprach, jedenfalls um mich nicht aus dem Schlaf zu wecken, leise mit der Alten, und als sie dabei den schön geschnittenen Mund zu einem Lächeln öffnete, blitzten die Zähne wie reinstes Elfenbein zwischen den roten Lippen hervor. Die feingeflügelte Nase hätte weit eher auf griechische als auf indianische Abstammung deuten können. Die Farbe ihrer Haut war eine helle Kupferbronze mit einem Silberhauch. Dieses Mädchen mochte achtzehn Jahre zählen, und ich wäre jede Wette darauf eingegangen, daß es die Schwester Winnetous sei.

Diese beiden Squaws waren damit beschäftigt, einen weißgegerbten Ledergürtel mit roten Stichen und Arabesken zu verzieren.

Ich richtete mich auf, jawohl, ich richtete mich auf, und dies wurde mir gar nicht sehr schwer, während ich, ehe ich zum letztenmale eingeschlafen war, vor Schwäche nicht einmal die Augen hatte öffnen können. Die Alte hörte diese meine Bewegung, sah zu mir her und rief, indem sie auf mich deutete:

»Uff! Aguan inta-hinta!«

Uff ist der Ausruf des Erstaunens, und aguan inta-hinta heißt: er ist munter. Das Mädchen blickte von ihrer Arbeit auf und erhob sich, als sie mich sitzen sah, um sich mir zu nähern.

»Du bist wach geworden,« sagte sie zu meinem Erstaunen in einem ziemlich geläufigen Englisch. »Hast du einen Wunsch?«

Ich öffnete wohl den Mund, um zu antworten, schloß ihn aber wieder, denn es fiel mir ein, woran ich nicht gedacht hatte, nämlich, daß ich nicht sprechen konnte. Aber ich hatte mich aufsetzen können, da war es vielleicht möglich, daß es auch mit der Sprache besser ging. Ich machte also den Versuch und antwortete:

»Ja; ich habe sogar mehrere Wünsche.«

Wie froh war ich, als ich meine Stimme hörte. Sie klang mir freilich fremd; die Worte kamen gepreßt und pfeifend heraus; sie verursachten mir im hintern Munde Schmerzen; aber es waren doch eben wieder Worte, nachdem ich drei Wochen lang zu keiner Silbe fähig gewesen war.

»Sprich leise, oder nur durch Zeichen,« sagte sie. »Nscho-tschi hört, daß dich das Reden schmerzt.«

»Nscho-tschi ist dein Name?« sagte ich.

»Ja.«

»So danke dem, der ihn dir gegeben hat. Du konntest keinen passenderen bekommen, denn du bist wie ein schöner Frühlingstag, an welchem die ersten Blumen des Jahres zu duften beginnen.«

Nscho-tschi heißt nämlich “schöner Tag”. Sie errötete leicht und erinnerte mich:

»Du wolltest mir deine Wünsche sagen.«

»Sage mir vorher, ob du vielleicht meinetwegen hier bist!«

»Ja, denn ich habe den Befehl erhalten, dich zu pflegen.«

»Von wem?«

»Von Winnetou, der mein Bruder ist.«

»Ich dachte es mir, denn du siehst diesem jungen, tapfern Krieger außerordentlich ähnlich.«

»Du hast ihn töten wollen!«

Das klang halb wie eine Behauptung und halb wie eine Frage. Sie blickte mir dabei so forschend in die Augen, als ob sie mein ganzes Innere ergründen wolle.

»Nein,« entgegnete ich.

»Er glaubt das nicht und hält dich für seinen Feind. Du hast ihn, den noch keiner überwinden konnte, zweimal zu Boden geschlagen!«

»Einmal, um ihn zu retten, und das andere Mal, weil er mich töten wollte. Ich habe ihn lieb gehabt, gleich als ich ihn zum erstenmal sah.«

Wieder ruhte ihr dunkles Auge längere Zeit auf meinem Angesichte; dann sagte sie:

»Er glaubt euch nicht, und ich bin seine Schwester. Hast du Schmerzen im Munde?«

»Jetzt nicht.«

»Wirst du schlingen können?«

»Ich möchte es versuchen. Darfst du mir Wasser zum Trinken geben?«

»Ja, und auch zum Waschen; ich werde dir welches holen.«

Sie ging mit der Alten fort. Was war das? Wie sollte ich es mir deuten? Winnetou hielt uns für seine Feinde, schenkte unsern Beteuerungen vom Gegenteil keinen Glauben und hatte mich doch der Pflege seiner eigenen Schwester übergeben! Der Grund dazu wurde mir vielleicht später klar.

Nach einiger Zeit kamen die beiden Squaws zurück. Die jüngere hatte ein tassenähnliches Gefäß aus braunem Ton in der Hand, wie die Pueblo-Indianer sie zu fertigen pflegen. Es war mit kühlem Wasser gefüllt. Sie hielt mich für noch zu schwach, ohne Hilfe zu trinken, und gab es mir deshalb an den Mund. Das Schlingen wurde mir schwer, sehr schwer und machte mir große Schmerzen; aber es ging, es mußte gehen; ich trank in kleinen Schlucken und großen Pausen, so lange, bis das Gefäß leer war.

Wie erquickte mich das! Nscho-tschi mochte mir das ansehen, denn sie sagte:

»Das hat dir wohl getan. Ich werde dir später noch etwas Anderes bringen. Du mußt viel Durst und Hunger haben. Willst du dich waschen?«

»Ob ich es können werde?«

»Versuche es!«

Die Alte hatte eine ausgehöhlte Kürbishälfte voll Wasser gebracht. Nscho-tschi setzte es mir neben das Lager und gab mir ein handtuchähnliches Geflecht aus feinem, weichem Bast. Ich versuchte es, aber es ging nicht; ich war noch zu schwach. Da tauchte sie einen Zipfel des Geflechtes in das Wasser und begann, mir das Gesicht und die Hände zu reinigen, sie, dem vermeintlichen Todfeinde ihres Bruders und Vaters. Als sie fertig war, fragte sie mich mit einem leisen, aber sichtbar mitleidigen Lächeln:

»Bist du stets so hager gewesen wie jetzt?«

Hager? Ach, daran hatte ich noch gar nicht gedacht! Drei lange Fieberwochen und dabei den Wundstarrkrampf, welcher fast stets tödlich zu verlaufen pflegt! Dazu keinen Bissen gegessen und keinen Tropfen getrunken! Das konnte natürlich nicht ohne Wirkung geblieben sein. Ich befühlte meine Wangen und antwortete dann:

»Ich bin nie hager gewesen.«

»So sieh einmal dein Bild im Wasser hier!«

Ich schaute in den Kürbis und fuhr erschrocken zurück, denn es blickte mir aus dem Wasser der Kopf eines Gespenstes, eines Skeletts entgegen.

»Welch ein Wunder, daß ich noch lebe!« rief ich aus.

»Ja, Winnetou sagte das auch. Du hast sogar den langen Ritt hierher überstanden. Der große, gute Geist hat dir einen außerordentlich starken Körper gegeben, denn ein Anderer hätte es nicht fünf Tage unterwegs ausgehalten.«

»Fünf Tage? Wo befinden wir uns?«

»In unserm am Rio Pecos.«

»Sind alle eure Krieger, die uns gefangen nahmen, hierher zurückgekehrt?«

»Ja, alle. Sie wohnen in der Nähe des Pueblo.«

»Und die gefangenen Kiowas sind auch da?«

»Auch. Eigentlich sollten sie getötet werden. Jeder andere Stamm würde sie zu Tode martern, aber der gute Klekih-petra ist unser Lehrer gewesen und hat uns über die Güte des großen Geistes belehrt. Wenn die Kiowas einen Preis der Sühne zahlen, dürfen sie heimkehren.«

»Und meine drei Gefährten? Weißt du, wo sie sich befinden?«

»Sie sind in einem ähnlichen Raume wie dieser hier, der aber finster ist, angebunden.«

»Wie geht es ihnen?«

»Sie leiden keine Not, denn wer am Marterpfahle sterben soll, muß kräftig sein, daß er viel aushalten kann, sonst ist es keine Strafe für ihn.«

»Also sie sollen sterben wirklich sterben?«

»Ja.«

»Auch ich?«

»Auch du!«

In dem Tone, in welchem sie dies sagte, lag nicht eine Spur von Bedauern. War dieses schöne Mädchen so gefühllos, daß die qualvolle Ermordung eines Menschen sie gar nicht berührte?

»Sage mir, ob ich sie vielleicht einmal sprechen kann?« bat ich.

»Das ist verboten.«

»Auch nicht bloß einmal sehen, nur von weitem?«

»Auch das nicht.«

»So darf ich ihnen aber doch wenigstens eine Botschaft senden?«

»Auch das ist untersagt.«

»Ihnen nur sagen lassen, wie ich mich befinde?«

Sie überlegte eine kleine Weile und antwortete dann:

»Ich will Winnetou, meinen Bruder, darum bitten, daß sie zuweilen erfahren, wie es dir geht.«

»Wird Winnetou einmal zu mir kommen?«

»Nein.«

»Aber ich habe mit ihm zu sprechen!«

»Er nicht mit dir.«

»Was ich ihm zu sagen habe, ist sehr notwendig.«

»Für ihn?«

»Für mich und meine Gefährten.«

»Er wird nicht kommen. Soll vielleicht ich es ihm sagen, wenn es etwas ist, was du mir anvertrauen kannst. «

»Nein; ich danke dir! Ich könnte es dir wohl sagen; ich könnte dir überhaupt alles, alles anvertrauen; aber wenn er zu stolz ist, mit mir zu sprechen, so habe auch ich meinen Stolz, nicht durch einen Boten mit ihm zu reden.«

»Du wirst ihn nicht eher als am Tage deines Todes sehen. Wir werden jetzt gehen. Wenn du etwas wünschest oder brauchst, so gieb ein Zeichen. Wir hören es, und es wird dann sogleich jemand kommen.«

Sie zog ein kleines, tönernes Pfeifchen aus der Tasche und gab es mir; dann entfernte sie sich mit der Alten.

War es nicht eine ganz abenteuerliche Lage, in der ich mich befand? Ich lag todkrank und sollte gut gepflegt werden, um dann gute Kräfte zum langsamen Sterben zu haben! Der, welcher meinen Tod forderte, ließ mich durch seine Schwester pflegen und nicht etwa durch eine alte, unsaubere, häßliche Indianersquaw!

Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß mein Gespräch mit Nscho-tschi nicht so glatt verlief, wie es sich lesen läßt. Das Reden machte mir Schwierigkeit und war mit ziemlich großen Schmerzen verbunden; ich sprach also sehr langsam und mußte oft innehalten, um auszuruhen. Das ermattete mich, und darum schlief ich ein, als “Schöner Tag” sich entfernt hatte.

Als ich einige Stunden darauf erwachte, hatte ich großen Durst und einen wahrhaft bärenmäßigen Appetit. Ich versuchte das Zaubermittel und blies in das Pfeifchen. Augenblicklich erschien die Alte, welche draußen vor der Tür gesessen haben mußte, steckte den Kopf herein und sprach eine Frage aus. Ich verstand nur die Worte ischha und ischtla, wußte aber nicht, was sie bedeuteten. Sie hatte mich gefragt, ob ich essen oder trinken wolle. Ich machte das Zeichen des Trinkens und des Kauens, worauf sie verschwand. Kurze Zeit darauf kam Nscho-tschi mit einer tönernen Schüssel und einem Löffel. Sie kniete neben meinem Lager nieder und gab mir löffelweise zu essen, wie einem Kinde, welches noch nicht selbstständig essen kann. Die wilden Indianer führen derartige Gefäße und Geräte nicht; der tote Klekih-petra war auch hierin der Lehrer der Apachen gewesen.

Die Schüssel enthielt eine sehr konsistente Fleischbrühe mit Maismehl, welches die Indianerinnen derart bereiten, daß sie die Maiskörner mühsam zwischen Steinen zerstoßen und zerreiben. Für den Haushalt Intschu tschunas aber hatte Klekih-petra zu diesem Zwecke eine Handmühle gebaut, die mir später als eine große Sehenswürdigkeit gezeigt wurde.

Das Essen wurde mir natürlich noch viel schwerer als das Trinken; ich konnte die Schmerzen kaum aushalten und hätte bei jedem Löffel laut aufschreien mögen; aber die Natur verlangte Speise, und wenn ich nicht verhungern wollte, so mußte ich etwas genießen. Darum gab ich mir Mühe, von der Qual, welche ich hatte, nichts merken zu lassen, konnte aber nicht verhindern, daß mir das Wasser dabei aus den Augen lief. Nscho-tschi bemerkte dies gar wohl und sagte, als ich den letzten Löffel voll glücklich überwunden hatte:

»Du bist zum Umfallen schwach, aber dennoch ein starker Mann, ein Held. Wärest du doch als Apache und nicht als lügenhaftes Bleichgesicht geboren!«

»Ich lüge nicht; ich lüge nie; das wirst du schon noch einsehen!«

»Ich möchte es dir sehr gern glauben; aber es gab nur ein einziges Bleichgesicht, welches die Wahrheit redete; das war Klekih-petra, den wir alle liebten. Er war mißgestaltet, hatte aber einen hellen Geist und ein gutes, schönes Herz. Ihr habt ihn ermordet, ohne daß er euch beleidigte; dafür werdet ihr sterben müssen und mit ihm begraben werden.«

»Wie? Er ist noch nicht begraben?«

»Nein.«

»Aber seine Leiche kann sich doch unmöglich so lange gehalten haben!«

»Er liegt in einem festen Sarge, durch welchen keine Luft zu dringen vermag. Du wirst diesen Sarg kurz vor deinem Tode zu sehen bekommen.«

Nach dieser tröstlichen Versicherung entfernte sie sich. Es ist doch für einen, der zu Tode gemartert werden soll, eine ungeheure Beruhigung, vorher den Sarg eines Andern ansehen zu dürfen! Uebrigens dachte ich jetzt noch gar nicht im Ernste an meinen Tod. Ich war im Gegenteile überzeugt, daß ich leben bleiben würde; ich besaß ja ein unfehlbares Mittel, unsere Unschuld zu beweisen, nämlich die Haarlocke, welche ich Winnetou, als ich ihn befreite, abgeschnitten hatte.

Aber besaß ich sie wirklich noch? Hatte man sie mir nicht abgenommen? Ich erschrak, als ich mir diese Frage stellte; ich hatte während der kurzen Augenblicke, in denen ich wach gewesen war, gar nicht daran gedacht, daß die Indianer ihre Gefangenen auszuplündern pflegen. Ich mußte also meine Taschen untersuchen.

Ich trug noch meinen vollständigen Anzug, von welchem man mir kein Stück genommen hatte. Was das heißt, drei Wochen lang in einem solchen Anzuge im Wundfieber zu liegen, das kann man sich wohl denken. Es gibt Verhältnisse, die man zwar durchmachen und erleben kann, niemals aber in einem Buche miterzählen darf. Der Leser eines solchen Buches beneidet wohl einen solchen weitgereisten, vielerfahrenen Mann, würde sich aber, wenn er die mit Schweigen übergangenen Nebendinge erführe, sehr hüten, in seine Fußstapfen zu treten. Wie oft bekomme ich Briefe von begeisterten Lesern meiner Werke, in denen sie mich benachrichtigen, daß sie ähnliche Reisen unternehmen wollen. Sie fragen mich nach den Kosten, nach der Ausrüstung, wenige aber auch nach den Kenntnissen, welche dazu gehören, und nach den Sprachen, die man vorher zu lernen hat. Diese abenteuerlichen Herren kuriere ich mit untrüglicher Sicherheit durch meine aufrichtigen Antworten, in denen ich den Vorhang von jenen verschwiegenen Dingen ziehe.

Also, ich untersuchte meine Taschen und fand zu meinem freudigen Erstaunen, daß ich noch alles, alles besaß; man hatte mir nur die Waffen abgenommen. Ich zog die Sardinenbüchse hervor; meine Aufzeichnungen befanden sich noch drin und zwischen ihnen die Locke Winnetous. Ich steckte sie wieder ein und legte mich beruhigt nieder, um wieder einzuschlafen. Kaum war ich gegen Abend wieder erwacht, so erschien, ohne daß ich das Zeichen gegeben hatte, Nscho-tschi und brachte mir wieder Essen und frisches Wasser. Ich aß diesmal ohne ihre Hilfe und legte ihr dabei verschiedene Fragen vor, welche sie je nach dem Inhalte derselben beantwortete oder nicht. Es waren ihr natürlich Verhaltungsmaßregeln gegeben worden, nach denen sie sich streng zu richten hatte. Es gab da vieles, was ich nicht wissen durfte. Ich fragte sie auch, warum ich nicht ausgeplündert worden sei.

»Winnetou, mein Bruder, hat es so befohlen,« antwortete sie.

»Weißt du den Grund davon?«

»Nein; ich habe nicht gefragt. Aber etwas Anderes, Besseres kann ich dir sagen.«

»Was?«

»Ich war bei den drei Bleichgesichtern, die mit dir gefangen worden sind.«

»Du selbst?« fragte ich erfreut.

»Ja. Ich wollte ihnen sagen, daß du dich besser fühlst und bald wieder gesund sein wirst. Da bat mich der, welcher Sam Hawkens hieß, dir etwas zu geben, was er während der drei Wochen, in denen er dich pflegte, für dich angefertigt hat.«

»Was ist es?«

»Ich habe Winnetou gefragt, ob ich es dir bringen darf, und er hat es erlaubt. Hier ist es. Du mußt ein starker und kühner Mann sein, daß du es wagest, den grauen Bären bloß mit dem Messer anzugreifen. Sam Hawkens hat es mir erzählt.«

Sie gab mir eine Kette, welche Sam von den Zähnen und Krallen des Grizzly angefertigt hatte; die beiden Ohrenspitzen waren auch dabei.

»Wie hat er das machen können?« fragte ich verwundert. »Doch nicht mit den Händen allein. Hat man ihm sein Messer und sein anderes Eigentum gelassen?«

»Nein, du bist der Einzige, dem man nichts genommen hat. Aber er sagte meinem Bruder, daß er diese Kette machen wolle, und bat sich die Krallen und Zähne des Bären zurück. Winnetou erfüllte ihm diesen Wunsch und gab ihm auch die Gegenstände, welche zur Anfertigung der Kette nötig waren. Trage sie gleich heute, denn du wirst dich nicht lange über sie freuen können.«

»Wohl weil ich nun bald sterben muß?«

»Ja.«

Sie nahm mir die Kette aus der Hand und legte sie mir um den Hals. Ich habe sie von diesem Tage an stets getragen, so oft ich im wilden Westen war, und antwortete jetzt der schönen Indianerin:

»Dieses Andenken konntest du mir auch später bringen. Es eilt nicht so, denn ich werde es hoffentlich noch viele Jahre tragen.«

»Nein, nur kurze, sehr kurze Zeit.«

»Glaube das nicht! Eure Krieger werden mich nicht töten!«

»Gewiß! Es ist im Rate der Alten beschlossen.«

»So werden sie anders beschließen, wenn sie hören, daß ich unschuldig bin.«

»Das glauben sie nicht!«

»Sie werden es glauben, denn ich kann es ihnen beweisen.«

»Beweise es, beweise es! Ich würde mich sehr, sehr freuen, wenn ich hörte, daß du kein Lügner und kein Verräter bist! Sage mir, womit du es beweisen kannst, damit ich es Winnetou, meinem Bruder, mitteile!«

»Er mag zu mir kommen, um es zu erfahren.«

»Das tut er nicht.«

»So erfährt er es nicht. Ich bin nicht gewöhnt, mir Freundschaft zu erbetteln oder durch Boten mit jemand zu verkehren, der selber zu mir kommen kann.«

»Was seid ihr Krieger doch für harte Leute! Ich hätte dir so gern die Verzeihung Winnetous gebracht; du wirst sie aber nicht erhalten.«

»Verzeihung brauche ich nicht, denn ich habe nichts getan, was mir vergeben werden müßte. Aber um einen andern Gefallen werde ich dich bitten.«

»Um welchen?«

»Falls du wieder zu Sam Hawkens kommen solltest, so sage ihm, daß er keine Sorge zu haben brauche. Sobald ich mich von meiner Krankheit erholt habe, werden wir frei sein.«

»Das glaube ja nicht! Diese Hoffnung wird dir nicht in Erfüllung gehen.«

»Es ist keine Hoffnung, sondern eine vollständige Gewißheit. Du wirst mir später sagen, daß ich recht gehabt habe.«

Der Ton, in welchem ich dies sagte, war so überzeugt, daß sie es aufgab, mir zu widersprechen. Sie ging.

Mein Gefängnis lag also am Pecosflusse, jedenfalls in einem Nebentale desselben, denn wenn ich durch die Tür blickte, so fiel mein Auge auf die gegenüberliegende Felswand, die gar nicht weit entfernt war, während das Tal des Rio Pecos viel breiter sein mußte. Gern hätte ich das Pueblo, in oder auf welchem ich mich befand, gesehen; aber ich konnte nicht vom Lager auf, und selbst wenn ich stark genug zum Gehen gewesen wäre, wußte ich nicht, ob es mir erlaubt war, den Raum zu verlassen, in welchem ich mich befand.

Als es dunkel wurde, kam die Alte und setzte sich in die Ecke. Sie brachte eine Lampe mit, welche aus einem kleinen ausgehöhlten Kürbis bestand und die ganze Nacht brannte. Diese Alte hatte die gröberen Arbeiten zu verrichten, während Nscho-tschi, um mich so auszudrücken, das Prinzip der Gastlichkeit vertreten sollte.

Ich tat die ganze Nacht hindurch wieder einen tiefen, kräftigenden Schlaf und fühlte mich am andern Morgen stärker als am vorhergehenden Tage. Heut bekam ich nicht weniger als sechsmal zu essen, immer dicke Fleischbrühe mit Maismehl; das war ebenso nahrhaft wie leichtverdaulich und wurde auch die nächsten Tage und so lange fortgesetzt, bis ich besser schlingen und also festere Nahrung, besonders Fleisch, zu mir nehmen konnte.

Mein Zustand verbesserte sich von Tag zu Tag. Das Skelett bekam wieder Muskeln, und die Geschwulst im Munde nahm stetig ab. Nscho-tschi blieb ganz dieselbe, immer freundlich besorgt und dabei überzeugt, daß mir der Tod immer näher rücke. Später bemerkte ich, daß ihr Auge, wenn sie sich unbeachtet glaubte, mit einem wehmütigen, still fragenden Blicke auf mir ruhte. Es schien, daß sie begann, mich zu bedauern. Ich hatte ihr also unrecht getan, als ich annahm, daß sie kein Herz besitze. Ich fragte sie, ob es mir erlaubt sei, meinen Kerker, dessen Tür stets offen stand, zu verlassen; sie verneinte dies und teilte mir mit, daß Tag und Nacht, ohne von mir bemerkt worden zu sein, zwei Wächter vor der Tür gesessen hätten und mich auch ferner bewachen würden. Ich hatte es nur meiner Schwäche zu verdanken, daß ich nicht gefesselt worden war, und sie glaubte, daß man mir nun bald Riemen anlegen werde.

Das forderte mich zur Vorsicht auf. Ich verließ mich zwar auf die Haarlocke, aber es war doch vielleicht möglich, daß sie die beabsichtigte Wirkung verfehlte; dann konnte ich mich nur auf mich selbst verlassen, auf mich und meine Körperstärke, und diese Kraft mußte ich üben. Aber wie?

Ich lag nur, wenn ich schlief, auf den Bärenfellen; sonst saß ich auf oder ging im Raume auf und ab. Ich sagte Nscho-tschi, daß ich das niedrige Sitzen nicht gewöhnt sei, und fragte sie, ob nicht ein Stein zu bekommen sei, der mir als Sitz dienen könne. Dieser Wunsch wurde Winnetou vorgetragen, und er schickte mir mehrere von verschiedener Größe; der schwerste konnte etwas über einen Zentner wiegen. Mit diesen Steinen übte ich mich, so oft ich allein war. Gegen meine Pflegerinnen simulierte ich noch Schwäche; in Wirklichkeit aber wurde es mir schon nach vierzehn Tagen nicht mehr schwer, den großen Stein vielmal nacheinander hoch emporzuheben. Das verbesserte sich noch weiter, und als die dritte Woche vergangen war, wußte ich, daß ich meine frühere Körperkraft vollständig wieder hatte.

Ich war nun sechs Wochen hier und hatte nicht gehört, daß die gefangenen Kiowas entlassen worden seien. Das war eine Leistung, gegen zweihundert Mann so lange zu ernähren! Jedenfalls aber hatten die Kiowas dafür zu zahlen. Je länger sie blieben, ohne auf die Vorschläge der Apachen einzugehen, desto bedeutender wurde natürlich das Lösegeld.

Da, es war an einem schönen, sonnigen Spätherbstmorgen, brachte Nscho-tschi mir mein Frühessen und setzte sich, während ich aß, bei mir nieder, während sie sich in der letzten Zeit sofort entfernt hatte. Ihr Auge blieb weich und mit einem feuchten Schimmer auf mir haften, und endlich rollte ihr gar ein Tränentropfen über die Wange herab.

»Du weinst?« fragte ich. »Was ist geschehen, das dich so betrübt?«

»Es soll erst geschehen, heute.«

»Was?«

»Die Kiowas werden frei und ziehen fort. Ihre Boten sind in dieser Nacht unten am Flusse angekommen mit all den Gegenständen, die sie uns bezahlen müssen.«

»Und das betrübt dich so? Du müßtest doch eigentlich Freude darüber haben!«

»Du weißt nicht, was du sprichst, und ahnst nicht, was dir bevorsteht. Der Abschied der Kiowas soll dadurch gefeiert werden, daß man dich und deine drei weißen Brüder an die Marterpfähle bindet.«

Ich hatte das schon lange kommen sehen und erschrak doch, als ich es hörte. Also heut war der Tag der Entscheidung, vielleicht mein letzter Tag! Was würde er mir gebracht haben, wenn er sich am Abende zur Rüste neigte? Ich heuchelte Gleichgültigkeit und aß, scheinbar ruhig, weiter; als ich fertig war, gab ich ihr das Gefäß. Sie nahm es, stand auf und ging. Unter dem Eingange drehte sie sich um, kam noch einmal auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte, ihre Tränen nicht länger zurückhaltend:

»Ich kann jetzt zum letztenmale zu dir sprechen. Leb wohl! Du wirst Old Shatterhand genannt und bist ein starker Krieger. Sei auch stark, wenn sie dich martern! Nscho-tschi ist sehr betrübt über deinen Tod; aber sie würde sich sehr freuen, wenn keine Qual es vermöchte, dir einen Laut des Schmerzes und der Klage zu entlocken. Mache mir diese Freude und stirb als ein Held!«

Nach dieser Bitte eilte sie hinaus. Ich trat an den Eingang, um ihr nachzublicken; da wurden die Läufe zweier Gewehre auf mich gerichtet; die beiden Wächter taten ihre Pflicht. Hätte ich einen Schritt hinaus getan, so wäre ich sicher erschossen oder absichtlich so verwundet worden, daß ich nicht weiter konnte. An eine Flucht war nicht zu denken, die überhaupt mißlingen mußte, weil ich die Oertlichkeit nicht kannte. Ich zog mich also schnell in mein Gefängnis zurück.

Was sollte ich tun? Das Beste war jedenfalls, das Kommende ruhig abzuwarten und im gegebenen Augenblicke die Wirkung der Haarlocke zu versuchen. Der Blick, welchen ich jetzt in das Freie geworfen hatte, war ganz geeignet, mich davon zu überzeugen, daß ein Fluchtgedanke Wahnsinn gewesen wäre. Ich hatte zwar von den indianischen Pueblos gelesen, aber noch keines gesehen. Sie sind zum Zwecke der Verteidigung errichtet, und ihre Bauart, so eigenartig sie ist, entspricht dieser Bestimmung auf das allerbeste.

Sie füllen gewöhnlich tiefe Felsenlücken aus, bestehen durchweg aus festem Stein-und Mauerwerk und setzen sich aus einzelnen Stockwerken zusammen, deren Zahl sich nach der Oertlichkeit richtet. Jedes höhere Stockwerk tritt ein Stück zurück, so daß vor ihm eine Plattform liegt, welche von der Decke des darunterliegenden Stockes gebildet wird. Das Ganze gewährt den Anblick einer Stufenpyramide, deren Etagen sich je höher desto mehr und tiefer in die Felsenlücke hineinziehen. Das Parterre steht also am weitesten vor und ist am breitesten, während die folgenden Etagen immer schmäler werden. Diese Stockwerke sind nicht etwa, wie bei unsern Häusern, in ihrem Innern durch Treppen verbunden, sondern man gelangt zu ihnen nur von außen mittelst Leitern, welche angelegt und wieder weggenommen werden können. Rückt ein Feind heran, so werden diese Leitern entfernt, und er kann nicht herauf, außer er hätte Leitern mitgebracht; aber auch in diesem Falle müßte er jede Etage einzeln erstürmen und sich den Geschossen der auf den oberen Plattformen stehenden Verteidiger aussetzen, während diese vor seinen Waffen vollständig sicher sind.

Auf einem solchen Pyramidenpueblo befand ich mich, und zwar, wie ich jetzt gesehen hatte, auf dem achten oder neunten Stockwerke derselben. Wie konnte man da fliehend hinunterkommen, da sich auf allen unter mir liegenden Plattformen Indianer befanden! Nein, ich mußte bleiben. Ich warf mich also auf mein Lager und wartete.

Das waren schlimme, beinahe unerträgliche Stunden; die Zeit rückte mit wahrer Schneckenlangsamkeit vor, und es wurde fast Mittag, ohne daß etwas eintrat, was die Vorhersage der Indianerin bestätigte. Da, endlich hörte ich draußen die nahenden Schritte mehrerer Personen. Winnetou kam herein, gefolgt von fünf Apachen. Ich blieb, mich ganz unbefangen stellend, liegen. Er ließ einen langen, forschenden Blick über mich gleiten und sagte dann:

»Old Shatterhand mag mir mitteilen, ob er jetzt wieder gesund ist!«

»Noch nicht ganz,« antwortete ich.

Gesammelte Wildwestromane & Geschichten von Karl May

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