Читать книгу Gesammelte Wildwestromane & Geschichten von Karl May - Karl May - Страница 15
Оглавление»Aber sprechen kannst du, wie ich höre?«
»Ja.«
»Und laufen auch?«
»Ich denke es.«
»Hast du das Schwimmen gelernt?«
»Ein wenig.«
»Das ist gut, denn du wirst schwimmen müssen. Weißt du noch, an welchem Tage du mich wiedersehen solltest?«
»An meinem Todestage.«
»Du hast es dir gemerkt. Dieser Tag ist heute da. Steh auf; du sollst gefesselt werden.«
Es wäre Unsinn gewesen, dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten. Ich hatte sechs Rote gegen mich, denen es nicht schwer werden konnte, mich mit Gewalt aufzurichten. Ich hätte zwar einige von ihnen niederschlagen können, aber dadurch nichts erreicht, als daß das Verhalten der andern dadurch gegen mich verschärft worden wäre. Ich erhob mich also von dem Lager und hielt ihnen meine Hände hin; sie wurden mir vorn zusammengebunden, und dann bekam ich zwei Riemen so an die Füße, daß ich zwar langsam gehen oder auch steigen, aber nicht in weiten, schnellen Sätzen entspringen konnte. Dann schaffte man mich hinaus auf die Plattform.
Von hier führte eine Leiter nach der nächst unteren Etage; es war nicht eine Leiter nach unserem Begriffe, sondern ein starker Holzpfahl, in welchen tiefe Kerben eingeschnitten waren, die als Stufen dienten. Drei Rote stiegen hinab; hierauf mußte ich folgen, was trotz der Fesseln keine Schwierigkeit bot, und dann folgten die beiden andern. In dieser Weise ging es von Stockwerk zu Stockwerk, immer weiter hinab. Auf allen Plattformen standen Weiber und Kinder, welche mich neugierig aber still betrachteten und dann hinter uns herkamen. Sie zählten, als wir nach dem untersten Stockwerke den Boden erreichten, einige Hundert und bildeten auch weiterhin unser Gefolge, das Publikum, welches das Schauspiel unseres Todes genießen wollte.
Es war so, wie ich gedacht hatte; das Pueblo lag in einem schmalen Seitentale, welches bald auf das breite Tal des Rio Pecos mündete. Nach diesem letzteren wurde ich geführt. Der Pecos ist überhaupt kein wasserreicher Fluß und hat im Sommer und Herbste noch weniger Wasser als im Winter und Frühling; doch gibt es tiefe Stellen, bei denen man auch während der heißen Jahreszeit fast gar keine Abnahme bemerkt; da gibt es dann fetten Gras-und reichen Baumwuchs, welcher die Indianer zum Aufenthalte veranlaßt, weil ihre Pferde hier immer Weide finden. Eine solche Stelle sah ich vor mir liegen. Das Tal des Flusses war wohl eine gute halbe Wegsstunde breit und an beiden Ufern rechts und links von uns mit Busch und Wald bestanden, woran sich grüne Grasstreifen schlossen. Grad vor uns aber erlitt der Wald, auch auf beiden Ufern, eine Unterbrechung, über deren Ursache nachzudenken ich jetzt nicht Zeit hatte. Grad da, wo das Seitental, in welchem sich das Quertal befand, auf das Tal des Flusses mündete, gab es einen Sandstreifen, welcher wohl fünfhundert Schritte breit war, in ganz gerader Richtung auf das Wasser führte und sich jenseits desselben, am andern Ufer, fortsetzte; er glich also einem hellen Striche, welcher quer über das grüne Tal des Rio Pecos gezogen war. Auf dieser breiten, sandigen Linie war kein Gras, kein Strauch, kein Baum zu sehen, eine riesige Zeder ausgenommen, welche jenseits des Flusses mitten auf dem unfruchtbaren Streifen stand. Sie hatte infolge ihrer Stärke dem Naturereignisse widerstanden, durch welches der Sandstreifen quer über das Tal gezogen worden war. Sie stand nicht am Ufer, sondern in ziemlicher Entfernung von demselben und war von Intschu tschuna bestimmt worden, bei dem Ereignisse des heutigen Tages eine Rolle zu spielen.
Am diesseitigen Ufer herrschte reges Leben. Da sah ich zunächst unsern Ochsenwagen, den die Apachen erbeutet und mitgenommen hatten. Jenseits des unfruchtbaren Sandes weideten die Pferde, welche die Kiowas gebracht hatten, um die Gefangenen auszulösen. Da waren auch die Zelte aufgeschlagen und die verschiedenen Waffen ausgestellt, welche ebenso als Lösegeld dienten. Dazwischen bewegte sich Intschu tschuna mit denjenigen seiner Leute, welche diese Tribute zu taxieren hatten. Tangua war bei ihnen, denn man hatte ihn und die Gefangenen schon freigelassen. Ein kurzer Blick auf das Gewühl von roten, phantastisch gekleideten Gestalten sagte mir, daß gewiß sechshundert Apachen anwesend waren.
Als sie uns kommen sahen, zogen sie sich schnell zusammen und bildeten einen weiten, mehrgliedrigen Halbkreis um den Ochsenwagen, zu dem ich geführt wurde. Die Kiowas gesellten sich auch zu ihnen.
Als wir den Wagen erreichten, sah ich Hawkens, Stone und Parker, welche dort angebunden waren, doch nicht an den Wagen, sondern an Pfählen, welche fest und tief in die Erde gerammt waren. Ein vierter war leer; an diesen wurde ich befestigt. Das also waren die Marterpfähle, an denen wir unser Leben in elender, schmerz-und qualhafter Weise beschließen sollten! Sie waren in einer Reihe nebeneinander eingeschlagen, und zwar so, daß wir nur durch geringe Zwischenräume voneinander getrennt wurden und miteinander sprechen konnten. Sam befand sich neben mir; dann kamen Stone und Parker. In unserer Nähe lagen viele Bündel dürren Holzes, welche dazu bestimmt waren, um uns aufgehäuft zu werden, wenn wir nach den vorangegangenen, vielartigen Martern verbrannt werden sollten.
Meine drei Gefährten schienen während ihrer Gefangenschaft auch keine Not gelitten zu haben, denn sie sahen ganz wohlgenährt aus, machten aber nichts weniger als frohe Gesichter.
»Ah, Sir, da kommt auch Ihr!« sagte Sam. »Ist eine armselige, eine ganz armselige Operation, welche sie mit uns vornehmen wollen, und ich glaube nicht, daß wir sie überstehen werden. Das Sterben und Totgeschlagenwerden greift den Körper so sehr an, daß man es nur selten überlebt. Sollen nachher sogar noch verbrannt werden, wenn ich mich nicht irre. Was sagt Ihr dazu, Sir?«
»Habt Ihr Hoffnung auf Rettung, Sam?« fragte ich ihn.
»Wüßte nicht, wer kommen sollte, uns herauszuholen. Habe schon wochenlang alle meine drei Gedanken angestrengt, aber keine einzige passende Idee gefunden. Wir steckten in einem finstern Felsenloche, waren überdies fest angebunden und hatten außerdem noch mehrere Wächter. Wie will man da loskommen! Wie habt denn Ihr es gehabt?«
»Sehr gut!«
»Glaube es; man sieht es Euch an. Seid ja herausgefüttert wie ein Gänserich, der zu Martini gebraten werden soll! Wie steht es denn mit der Wunde?«
»Leidlich. Sprechen kann ich wieder, wie ihr hört, und die Geschwulst, die noch übrig ist, wird wohl auch bald verschwinden.«
»Bin überzeugt davon! Diese liebe Geschwulst wird heut so radikal geheilt werden, daß nichts von ihr übrig bleibt, aber auch von Euch selber nichts, als ein Häufchen Menschenasche. Ich sehe keine Rettung für uns, und dennoch ist es mir gar nicht wie Sterben zu Mute. Ihr mögt es mir glauben oder nicht, ich habe keine Angst und keine Sorge. Es ist mir ganz so, als ob diese Roten uns ganz und gar nichts anhaben könnten, als ob ganz plötzlich irgendwoher ein Befreier kommen werde.«
»Möglich! Auch ich habe die Hoffnung noch nicht verloren. Ich möchte sogar wetten, daß wir uns heut abend, am Schlusse dieses so gefährlichen Tages, ganz wohl befinden werden.«
»Das könnt eben nur Ihr sagen, der Ihr ein ausgemachtes Greenhorn seid. Ganz wohl befinden werden! Dummheit! Von “ganz wohl” kann keine Rede sein; ich würde Gott danken, wenn ich mich heut abend überhaupt befände.«
»Ich habe Euch doch öfters gesagt und wohl auch bewiesen, daß deutsche Greenhörner ganz andere Kerls sind als die hiesigen.«
»So? Was wollt Ihr damit sagen? Ihr habt so einen eigenen Ton dabei. Ist Euch vielleicht ein guter Gedanke gekommen?«
»Ja.«
»Welcher? Und wann?«
»An dem Abende, an welchem es Winnetou und seinem Vater gelang, zu entfliehen.«
»Da kam Euch ein Gedanke? Sonderbar! Der wird uns heut nichts nützen, denn als er Euch damals kam, da wußtet Ihr ja nicht, daß wir hier bei den Apachen so schöne Garçonlogis bekommen würden. Wie heißt denn dieser Gedanke?«
»Haarlocke.«
»Haarlocke?« wiederholte er erstaunt. »Sagt einmal, Sir, wie es sich mit Eurem Oberstübchen verhält! Habt Ihr etwa ein Rattennest darin?«
»Glaube nicht.«
»Aber was faselt Ihr denn da von einer Haarlocke? Hat Euch etwa eine frühere Geliebte ihren Zopf geschenkt, den Ihr den Apachen zum Präsent machen wollt?«
»Nein, sondern ich habe sie von einem Manne.«
Er sah mich an, als ob er an meinem Verstande zweifle, schüttelte den Kopf und sagte:
»Hört, geliebter Sir, es ist wirklich nicht richtig in Eurem Kopfe. Eure Verwundung muß da etwas zurückgelassen haben, was überflüssig ist. Wahrscheinlich habt Ihr die Haarlocke im Gehirn, nicht aber in der Tasche. Denn ich wüßte nicht, wie wir durch einen Haarzopf hier von den Marterpfählen loskommen könnten.«
»Hm, ja; es ist eben eine Greenhornidee, und wir müssen ruhig abwarten, ob sie sich bewährt oder nicht. Was übrigens das Loskommen von den Marterpfählen betrifft, so bin ich wenigstens in Beziehung auf meine Person sicher, daß ich nicht an dem meinigen hängen bleibe.«
»Natürlich! Wenn man Euch verbrannt hat, hängt Ihr nicht mehr daran.«
»Pshaw! Ich komme los, ehe man die Martern mit uns beginnt.«
»So? Welchen Grund habt Ihr, dies zu glauben?«
»Ich soll schwimmen.«
»Schwimmen?« fragte er, indem er abermals einen Blick so auf mich richtete, wie ungefähr der Irrenarzt auf seinen Patienten.
»Ja, schwimmen. Und das kann ich doch hier am Pfahle nicht. Man muß mich also losbinden.«
»Alle Wetter! Wer hat Euch denn gesagt, daß Ihr schwimmen sollt?«
»Winnetou.«
»Und wann sollt Ihr schwimmen?«
»Heut natürlich jetzt.«
»Good lack! Wenn er dies gesagt hat, so ist es freilich grad wie ein Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht. Es scheint, Ihr sollt um Euer Leben kämpfen.«
»Das denke ich auch.«
»So wird es mit uns ebenso der Fall sein, denn ich glaube nicht, daß man mit Euch anders verfahren wird als mit uns. In diesem Falle ist unsere Lage allerdings nicht so verzweifelt, wie ich bisher angenommen habe.«
»Das denke ich auch. Wir werden uns wahrscheinlich retten können.«
»Oho! Bildet Euch nun nur nicht gleich zu viel ein! Wenn man uns um das Leben kämpfen läßt, so wird man uns die Sache möglichst schwierig machen. Aber es gibt Beispiele, daß in solchen Fällen weiße Gefangene gerettet worden sind. Habt Ihr denn das Schwimmen gelernt, Sir?«
»Ja.«
»Aber wie!«
»So, daß ich glaube, mich vor keinem Indianer fürchten zu müssen.«
»Hört, bildet Euch nichts ein! Diese Kerls schwimmen wie die Wasserratten, wie die Fische.«
»Und ich wie ein Fischotter, der Fische fängt und frißt.«
»Ihr schneidet auf.«
»Nein. Das Schwimmen ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Habt Ihr vielleicht einmal vom Wassertreten gehört?«
»Ja.«
»Könnt Ihr es?«
»Nein; ich habe es auch nicht gesehen.«
»So ist es möglich, daß Ihr es heut zu sehen bekommt. Wenn es sich wirklich darum handelt, daß man mir Gelegenheit bieten will, mein Leben durchs Schwimmen zu retten, so bin ich fast überzeugt, daß ich diesen Tag überleben werde.«
»Will es Euch wünschen, Sir! Und hoffentlich bietet man uns eine ähnliche Gelegenheit. Das ist immer besser, als hier am Pfahle hängen zu bleiben. Ich will doch lieber im Kampfe fallen, als mich zu Tode martern lassen.«
Wir waren nicht gehindert worden, miteinander zu sprechen, denn Winnetou stand, ohne zunächst weiter auf uns zu achten, mit seinem Vater und Tangua redend zusammen, und die andern Apachen, welche mich mitgebracht hatten, waren damit beschäftigt, Ordnung in den Halbring zu schaffen, welcher sich vor und um uns gebildet hatte.
Im Innern desselben saßen zunächst die Kinder und hinter diesen die Mädchen und Frauen, bei denen sich auch Nscho-tschi befand, die, wie ich bemerkte, nur selten ihr Auge von mir verwendete. Dann kamen die jungen Burschen, hinter denen die erwachsenen Krieger standen. So weit war die Ordnung gediehen, als Sam die zuletzt erwähnten Worte gesprochen hatte. Da erhob Intschu tschuna, der mit Winnetou und Tangua zwischen uns und den Zuschauern stand, seine Stimme und sagte so laut, daß alle es deutlich hören konnten:
»Meine roten Brüder, Schwestern und Kinder und auch die Männer vom Stamme der Kiowas mögen hören, was ich ihnen zu sagen habe!«
Er machte eine Pause, und als er sah, daß die Aufmerksamkeit Aller auf ihn gerichtet war, fuhr er fort:
»Die Bleichgesichter sind die Feinde der roten Männer; es gibt nur selten eins unter ihnen, dessen Auge freundlich auf uns gerichtet war. Der edelste unter diesen wenigen Weißen kam zu dem Volke der Apachen, um ein Freund und Vater desselben zu sein. Darum haben wir ihm den Namen Klekih-petra weißer Vater gegeben. Meine Brüder und Schwestern haben ihn alle gekannt und lieb gehabt. Sie mögen es mir bezeugen!«
»Howgh!« ertönte das Wort der Beteurung im Kreise. Der Häuptling sprach weiter:
»Klekih-petra ist unser Lehrer gewesen in allen Dingen, die wir nicht kannten, die aber gut und nützlich für uns sind; er hat auch von der Religion der Weißen gesprochen und von dem großen Geiste, welcher der Schöpfer und Ernährer aller Menschen ist. Dieser große Geist hat befohlen, daß die roten und die weißen Leute untereinander Brüder sein und sich lieben sollen. Haben aber die Weißen diesen seinen Willen erfüllt, haben sie uns Liebe gebracht? Nein! Meine Brüder und Schwestern mögen dies bezeugen!«
»Howgh!« erklang es im Chore.
»Sie sind vielmehr gekommen, um uns unser Eigentum zu rauben und uns auszurotten. Dies gelingt ihnen, weil sie stärker sind als wir. Da, wo die Büffel und die Mustangs grasten, haben sie große Städte gebaut, von denen alles Böse ausgeht, was über uns kommt. Wo der rote Jäger durch den Urwald oder über die Savanne ging, da rennt jetzt das dampfende Feuerroß mit den großen Wagen, in denen es unsere Feinde zu uns bringt. Und wenn der rote Mann vor ihm in die Gründe flieht, die man ihm noch gelassen hat und wo er im Frieden sterben und verhungern will, so dauert es nicht lange, bis er auf Bleichgesichter trifft, die ihm nachgefolgt sind, um dem Feuerrosse auf diesem rechtmäßigen Grund und Boden des roten Mannes neue Pfade zu bauen. Wir haben solche Weiße getroffen und friedlich mit ihnen gesprochen. Wir haben ihnen gesagt, daß dieses Land unser Eigentum sei und ihnen nicht gehöre. Sie haben nichts dagegen vorbringen können, sondern es zugeben müssen. Aber als wir sie aufforderten, fortzugehen und darauf zu verzichten, das Feuerroß nach unsern Weideplätzen zu bringen, da sind sie unserer Aufforderung nicht gefolgt und haben Klekih-petra, den wir liebten und verehrten, erschossen. Meine Brüder und Schwestern mögen bestätigen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe!«
»Howgh!« erklang laut und einstimmig diese Bestätigung.
»Wir haben die Leiche des Ermordeten hierhergebracht und auf den Tag der Rache aufbewahrt; dieser Tag ist heut angebrochen. Klekih-petra soll heut begraben werden und mit ihm der, der ihn ermordet hat. Mit ihm haben wir auch diejenigen gefangen, welche bei ihm waren, als die Tat geschah. Sie sind seine Freunde und Genossen und haben uns in die Hände der Kiowas geliefert; aber sie leugnen es. Bei allen andern roten Männern würde das, was wir von ihnen wissen, genügen, sie in den Martertod zu führen; wir aber wollen den Lehren unsers weißen Vaters Klekih-petra gehorchen und gerechte Richter sein. Da sie nicht zugeben, unsere Feinde gewesen zu sein, so wollen wir sie verhören, und ihr Schicksal soll nach dem bestimmt werden, was wir dabei erfahren. Meine Brüder und Schwestern mögen mir ihre Zustimmung erteilen!«
»Howgh!« erklang der Beifall rund umher.
»Hört, Sir, das klingt günstig für uns,« sagte da Sam zu mir. »Wenn sie uns verhören wollen, liegt die Sache gar nicht so schlimm für uns, wie wir gedacht haben. Ich hoffe, es gelingt uns, unsere Unschuld zu beweisen. Ich werde diesen Leuten alles so klar machen und sie so überzeugen, daß sie uns freilassen werden.«
»Sam, das bringt Ihr nicht fertig,« antwortete ich ihm.
»Nicht? Warum? Meint Ihr etwa, daß ich nicht reden kann?«
»O, das Sprechen hat man Euch wohl schon als Kind so nach und nach beigebracht; aber wir sind sechs Wochen hier gefangen gewesen, und während dieser ganzen, langen Zeit ist es Euch nicht gelungen, den Apachen eine bessere Meinung beizubringen.«
»Euch auch nicht, Sir!«
»Allerdings nicht, Sam, denn erst konnte ich nicht reden, und dann, als es mir wieder möglich war, die Zunge zu bewegen, hat sich kein einziger Roter bei mir sehen lassen. Ihr werdet also wohl zugeben, daß ich nicht einmal einen Versuch habe machen können, uns gegen einen der Häuptlinge zu verteidigen.«
»So macht ihn ja auch jetzt nicht!«
»Warum?«
»Weil es Euch nicht gelingen würde. Ihr seid als Greenhorn viel zu unerfahren in solchen Dingen und könnt Euch darauf verlassen, daß Ihr uns nicht heraushelfen, sondern ganz im Gegenteile uns immer tiefer hineinreiten würdet. Ihr besitzt zwar eine riesige Körperkraft, die uns aber hier gar nichts nützen kann, denn hier kommt es vor allen Dingen auf die richtige Erfahrung, auf den Scharfsinn und die Schlauheit an, die Euch abgehen. Ihr könnt ja nichts dafür, denn Ihr seid nun einmal ohne diese schönen Eigenschaften geboren worden, aber grad darum müßt Ihr die Hand aus dem Spiele lassen und es erlauben, daß ich unsere Verteidigung übernehme.«
»So wünsche ich Euch nur bessern Erfolg, als Ihr bisher gehabt habt, lieber Sam!«
»Wird nicht fehlen, denn Ihr sollt hören, daß ich meine Sache gut machen werde.«
Dieser unser Meinungsaustausch hatte ungestört stattfinden können, weil unsere Vernehmung nicht sofort begonnen hatte. Intschu tschuna und Winnetou unterhielten sich leise mit Tangua und hielten dabei ihre Augen oft auf uns gerichtet. Sie sprachen also von uns. Die Blicke der beiden Ersteren wurden immer finsterer und strenger, und die Bewegungen und Mienen des Kiowa waren diejenigen eines Mannes, welcher auf Jemand eifrig einspricht, um Andere bei ihm zu verdächtigen. Wer weiß, was er für Lügen von uns erzählte, um uns zu verderben! Dann kamen sie auf uns zu. Die beiden Apachen stellten sich rechts von uns auf, während Tangua sich links neben mich postierte. Nun sagte Intschu tschuna zu uns, wieder mit lauter Stimme, so daß es Alle hören konnten:
»Ihr habt vernommen, was ich vorhin gesprochen habe. Ihr sollt uns die Wahrheit sagen und euch verteidigen dürfen. Beantwortet mir die Fragen, welche ich an euch richte! Ihr gehörtet zu den Weißen, welche die neue Bahn des Feuerrosses vermessen haben?«
»Ja. Doch muß ich dir sagen, daß wir Drei hier nicht mit gemessen haben, sondern ihnen nur zum Schutze mitgegeben worden sind,« antwortete Sam. »Und was den Vierten hier betrifft, Old Shatterhand genannt, so «
»Schweig!« unterbrach ihn der Häuptling. »Du hast nur meine Fragen zu beantworten und kein weiteres Wort zu sprechen. Redest du mehr, so laß ich dich peitschen, daß dir die Haut aufspringt! Also ihr gehörtet zu diesen Bleichgesichtern? Antworte kurz mit Ja oder mit Nein!«
»Ja,« sagte Sam, um sich nicht schlagen lassen zu müssen.
»Old Shatterhand hat mit vermessen?«
»Ja.«
»Und ihr Drei beschütztet diese Leute?«
»Ja.«
»So seid ihr noch schlimmer als sie, denn wer Diebe und Räuber beschützt, der hat doppelte Strafe verdient. Rattler, der Mörder, war euer Gefährte?«
»Ja, doch muß ich dir sagen, daß wir nicht seine Freunde ge «
»Schweig, Hund!« fuhr ihn Intschu tschuna an. »Du hast nur das zu sagen, was ich wissen will, mehr aber nicht! Kennst du die Gesetze des wilden Westens?«
»Ja.«
»Wie wird ein Pferdedieb bestraft?«
»Mit dem Tode.«
»Was ist wertvoller, ein Pferd oder das große, weite Land, welches den Apachen gehört?«
Sam antwortete nicht, um sich nicht selbst das Todesurteil zu sprechen.
»Sprich, sonst laß ich dich mit dem Lasso bis auf das Blut peitschen!«
Da knurrte der kleine, mutige Sam:
»Schlagt zu! Sam Hawkens ist nicht derjenige, welcher sich zum Reden zwingen läßt, wenn er nicht reden will!«
Da wendete ich ihm das Gesicht zu und bat ihn:
»Redet, Sam; es ist besser für uns!«
»Well,« antwortete er. »Wenn Ihr es wollt, so will ich mich einmal dazu hergeben, zu reden, wo ich eigentlich schweigen sollte.«
»Also, was ist wertvoller, ein Pferd oder dieses Land?«
»Das Land.«
»So hat ein Länderdieb also noch viel eher den Tod verdient als ein Pferdedieb, und ihr habt uns unser Land rauben wollen. Dazu kommt, daß ihr die Genossen des Menschen seid, welcher Klekih-petra ermordet hat. Das verschärft die Strafe. Als Länderdiebe wäret ihr erschossen worden, ohne vorher Qualen zu erleiden; da ihr aber Mörder seid, so werdet ihr vor euerm Tode den Marterpfahl durchmachen müssen. Aber wir sind mit der Aufzählung eurer Taten noch nicht fertig. Ihr habt uns in die Hände der Kiowas, welche unsere Feinde waren, geliefert?«
»Nein.«
»Das ist Lüge!«
»Es ist die Wahrheit.«
»Bist du nicht mit Old Shatterhand uns nachgeritten, als wir euch verlassen hatten?«
»Ja.«
»Das ist doch ein sicheres Zeichen der Feindschaft!«
»Nein. Ihr hattet uns gedroht, und so mußten wir nach den Regeln, nach welchen man im wilden Westen lebt, wissen, ob ihr euch wirklich entfernt hattet oder nicht. Ihr konntet euch versteckt haben und auf uns schießen wollen. Nur deshalb ritten wir hinter euch her.«
»Weshalb du nicht allein? Weshalb nahmst du diesen Old Shatterhand mit?«
»Um ihn im Lesen der Spuren zu unterrichten, da er noch Neuling ist.«
»Wenn eure Absicht eine so friedliche war und ihr uns nur der Vorsicht wegen folgtet, warum rieft ihr da die Hilfe der Kiowas an?«
»Weil wir sahen, daß du vorausgeeilt warest. Du wolltest deine Krieger schnell holen, um uns zu überfallen.«
»War es da wirklich nötig, euch an die Kiowas zu wenden?«
»Ja.«
»Gab es keinen andern Ausweg?«
»Nein.«
»Du lügst abermals. Um uns zu entgehen, brauchtet ihr nur das zu tun, was ich euch befohlen hatte, nämlich unser Gebiet zu verlassen. Warum habt ihr das nicht getan?«
»Weil wir nicht eher gehen konnten, als bis unsere Arbeit vollendet war.«
»Also ihr wolltet den Raub, den ich euch verboten hatte, vollständig ausführen und rieft darum die Kiowas zu Hilfe. Wer aber unsere Feinde auf uns hetzt, ist auch unser Feind und muß getötet werden. Das ist ein neuer Grund für uns, euch das Leben zu nehmen. Aber ihr habt es dann nicht etwa den Kiowas allein überlassen, uns zu empfangen, anzugreifen und zu besiegen, sondern ihr habt ihnen dabei geholfen. Giebst du das zu?«
»Was wir getan haben, das taten wir nur, um Blutvergießen zu vermeiden.«
»Willst du, daß ich dich verlache? Bist du uns nicht entgegen gegangen, als wir kamen?«
»Ja.«
»Hast uns belauscht?«
»Ja.«
»Und eine ganze Nacht in unserer Nähe zugebracht? Ist es so oder nicht?«
»Es ist so.«
»Hast du nicht die Bleichgesichter nach dem Wasser geführt, um uns dorthin zu locken, und dann die Kiowas in den Wald versteckt, damit sie über uns herfallen sollten?«
»Das ist wahr; aber ich muß «
»Schweig! Ich will eine kurze Antwort, aber keine lange Rede haben. Es wurde uns eine Falle gestellt! Wer hat diese ersonnen?«
»Ich.«
»Diesmal sagst du die Wahrheit. Mehrere von uns wurden verwundet, Einige getötet, die Anderen aber gefangen genommen. Daran seid ihr schuld; dieses vergossene Blut kommt über euch und ist ein weiterer Grund, daß ihr sterben müßt.«
»Es lag in meinem Plane, daß «
»Schweig! Ich habe dich jetzt nicht gefragt. Der große, gute Geist sandte uns einen unbekannten, unsichtbaren Retter. Ich kam mit Winnetou, meinem Sohne, frei. Wir schlichen zu unsern Pferden, nahmen aber nur die, welche wir brauchten, damit die Gefangenen, wenn wir sie befreiten, gleich ihre Pferde hätten. Wir ritten fort, um unsere Krieger zu holen, welche gegen die Kiowas zogen. Sie waren auf die Spur derselben getroffen und ihnen gefolgt; darum stieß ich so schnell mit ihnen zusammen, daß wir schon am nächsten Tage bei euch sein konnten. Da ist wieder viel Blut geflossen; wir haben im ganzen sechzehn Tote, ohne das Blut und die Schmerzen der Verwundeten zu rächen, ein abermaliger Grund, daß ihr sterben müßt. Ihr habt weder Gnade noch Erbarmen zu erwarten und «
»Gnade wollen wir gar nicht, sondern nur Gerechtigkeit,« fiel Sam ihm in die Rede. »Ich kann «
»Wirst du wohl schweigen, Hund!« unterbrach ihn Intschu tschuna zornig. »Du hast nur zu sprechen, wenn ich dich frage. Ich bin überhaupt nun mit dir, mit euch fertig. Da du aber von Gerechtigkeit redest, so sollt ihr nicht nur nach deiner eigenen Aussage verurteilt werden, sondern ich will euch einen Zeugen gegenüberstellen. Tangua, der Häuptling der Kiowas, mag sich herablassen, in dieser Angelegenheit seine Stimme zu erheben. Sind diese Bleichgesichter unsere Freunde?«
»Nein,« antwortete der Kiowa, dem man die Genugtuung darüber, daß die Sache für uns einen so bedenklichen Lauf nahm, deutlich ansah.
»Haben sie uns schonen wollen?«
»Nein. Sie haben mich vielmehr gegen euch aufgehetzt und mich gebeten, ja keine Nachsicht mit euch zu haben, sondern euch zu töten, alle zu töten.«
Diese Unwahrheit empörte mich so, daß ich mein bisheriges Schweigen brach und ihm in das Gesicht sagte:
»Das ist eine so große, unverschämte Lüge, daß ich dich sofort zu Boden schlagen würde, wenn ich nur eine Hand frei hätte!«
»Hund, stinkender!« brauste er auf. »Soll ich es sein, der dich erschlägt?«
Er hob die Faust empor; ich antwortete:
»Schlag zu, wenn du dich nicht schämst, dich an Jemandem zu vergreifen, der sich nicht wehren kann! Ihr redet da von einem Verhöre und von Gerechtigkeit? Ist das ein Verhör, und ist das Gerechtigkeit, wenn man nicht sagen darf, was man zu sagen hat? Wir sollen uns verteidigen dürfen? Können wir das, wenn wir bis auf das Blut geschlagen werden sollen, falls wir nur ein einziges Wort mehr reden, als ihr hören wollt? Intschu tschuna verfährt wie ein ungerechter Richter. Er stellt die Fragen so, daß uns die Antworten, welche er uns erlaubt, ins Verderben führen müssen; andere Antworten dürfen wir nicht geben, und wenn wir die Wahrheit sagen wollen, welche uns retten würde, so unterbricht er uns, läßt uns nicht ausreden und droht uns mit Mißhandlungen. Ein solches Verhör und eine solche Gerechtigkeit brauchen wir nicht. Da beginnt doch lieber gleich mit den Martern, die ihr uns zugedacht habt! Ihr werdet keinen Laut des Schmerzes von uns zu hören bekommen.«
»Uff, uff!« hörte ich eine weibliche Stimme bewundernd rufen. Es war die Schwester Winnetous.
»Uff, uff, uff!« riefen viele Apachen ihr nach.
Der Mut ist das, was der Indianer stets achtet und selbst an seinem Feinde anerkennt; daher die Ausrufe der Bewunderung, welche ich jetzt zu hören bekam. Ich fuhr fort:
»Als ich Intschu tschuna und Winnetou zum erstenmale erblickte, sagte mir mein Herz, daß sie tapfere und gerechte Männer seien, die ich lieben und auch achten könne. Ich habe mich geirrt. Sie sind nicht besser als alle Andern, denn sie hören auf die Stimme eines Lügners und lassen die Wahrheit nicht zu Worte kommen. Sam Hawkens hat sich einschüchtern lassen; ich aber höre nicht auf eure Drohungen und verachte Jeden, der den Gefangenen unterdrückt, nur weil er sich nicht verteidigen kann. Wäre ich frei, so wollte ich noch ganz anders mit euch reden!«
»Hund, du schimpfest mich einen Lügner!« schrie Tangua. »Ich zerschmettere dir die Knochen!«
Er hielt sein Gewehr in der Hand, drehte es um und wollte mit dem Kolben nach mir schlagen; da sprang Winnetou herbei, hielt ihn davon ab und sagte:
»Der Häuptling der Kiowas mag ruhig bleiben! Dieser Old Shatterhand hat sehr kühn gesprochen, aber ich stimme einigen seiner Worte bei. Intschu tschuna, mein Vater, der Oberhäuptling aller Apachen, mag ihm die Erlaubnis erteilen, zu sagen, was er zu sagen hat!«
Tangua mußte sich beruhigen, und Intschu tschuna entschloß sich, dem Wunsche seines Sohnes Folge zu geben. Er trat näher zu mir heran und sagte:
»Old Shatterhand ist wie ein Raubvogel, der selbst dann noch beißt, wenn man ihn gefangen hat. Hast du nicht Winnetou zweimal niedergeschlagen? Hast du nicht selbst mich mit deiner Faust betäubt?«
»Habe ich das freiwillig getan? Hast du mich nicht dazu gezwungen?«
»Gezwungen?« fragte er erstaunt.
»Ja. Wir wollten uns ohne Gegenwehr ergeben, aber eure Krieger hörten nicht auf das, was wir sagten. Sie fielen so über uns her, daß wir uns verteidigen mußten. Aber frage die Betreffenden, ob wir sie auch nur verwundet haben, obgleich wir sie töten konnten. Wir sind vielmehr, um keinen von ihnen verletzen zu müssen, geflohen. Da kamst du und griffst mich auch an, ohne auf meine Worte zu achten. Ich mußte mich wehren, und hätte dich erstechen oder erschießen können, aber ich schlug dich nur nieder, weil ich dein Freund bin und dich schonen wollte. Da kam Tangua, der Häuptling der Kiowas, und wollte dir den Skalp nehmen; weil ich dies nicht zugab, kämpfte er mit mir, doch ich besiegte ihn. Ich habe dir also nicht nur das Leben, sondern auch den Skalp erhalten. Dann als «
»Dieser verfluchte Coyote lügt, als ob er hundert verschiedene Zungen hätte!« schrie Tangua wütend.
»Ist es wirklich Lüge?« fragte ihn Winnetou.
»Ja. Mein roter Bruder Winnetou zweifelt hoffentlich nicht an der Wahrheit meiner Worte?«
»Ich kam dazu. Du lagst unbeweglich und mein Vater auch. Das stimmt. Old Shatterhand mag fortfahren!«
»Also ich hatte Tangua besiegt, um Intschu tschuna zu retten; da kam Winnetou. Ich sah ihn nicht und erhielt von ihm einen Kolbenschlag, der aber nicht meinen Kopf traf. Winnetou stach mich in den Mund und durch die Zunge; ich konnte also nicht sprechen, sonst hätte ich gesagt, daß ich ihn lieb habe und sein Freund und Bruder sein möchte. Ich war verwundet und am Arm gelähmt; ich habe ihn trotzdem besiegt; er lag betäubt vor mir, grad so wie Intschu tschuna auch; ich konnte Beide töten. Habe ich es getan?«
»Du hättest es noch getan,« antwortete Intschu tschuna; »aber ein Apachenkrieger kam und schlug dich mit dem Kolben nieder.«
»Nein; ich hätte es nicht getan. Sind nicht diese drei Bleichgesichter, welche hier mit mir angebunden sind, freiwillig zu euch gekommen, um sich euch auszuliefern? Hätten sie dies getan, wenn sie euch als Feinde betrachtet hätten?«
»Sie haben es getan, weil sie einsahen, daß sie nicht entkommen konnten. Da hielten sie es für klüger, sich freiwillig zu ergeben. Ich gebe zu, daß an deinen Worten etwas ist, was beinahe Glauben erwecken könnte; aber als du meinen Sohn Winnetou zum erstenmal betäubtest, warst du nicht dazu gezwungen.«
»O doch.«
»Durch wen?«
»Durch die Vorsicht. Wir wollten dich und ihn retten. Ihr seid sehr tapfere Krieger; ihr hättet euch ganz gewiß gewehrt und wäret dann verwundet oder gar getötet worden. Das wollten wir verhindern; darum schlug ich Winnetou nieder, und du wurdest von meinen drei weißen Freunden überwältigt. Ich hoffe, daß du meinen Worten nun Glauben schenkst.«
»Lüge sind sie, nichts als Lüge!« rief Tangua. »Ich kam eben dazu, als er dich niedergeschlagen hatte. Nicht ich, sondern er war es, der dir den Skalp nehmen wollte. Ich wollte ihn daran hindern, da traf mich seine Hand, in welcher der große, böse Geist zu wohnen scheint, denn ihr kann Niemand, selbst der stärkste Mann nicht, widerstehen.«
Da wendete ich mich ihm wieder zu und sagte in drohendem Tone:
»Ja, ihr kann Niemand widerstehen. Ich wende sie nur an, weil ich nicht das Blut eines Menschen vergießen will; aber wenn ich wieder mit dir kämpfe, werde ich es nicht mit der Hand, sondern mit der Waffe tun, und dann kommst du nicht mit einer bloßen Betäubung weg. Das merke dir!«
»Du mit mir kämpfen?« hohnlachte er. »Wir werden dich verbrennen und deine Asche in alle Winde zerstreuen!«
»Das denke nicht. Ich werde eher frei sein, als du ahnst, und dann Rechenschaft von dir fordern!«
»Die kannst du bekommen; ich gebe sie dir. Ich wünsche, deine Worte könnten in Erfüllung gehen. Ich würde dann gern mit dir kämpfen, denn ich weiß, daß ich dich zermalmen würde.«
Intschu tschuna machte diesem Intermezzo ein Ende, indem er zu mir sagte:
»Old Shatterhand ist sehr kühn, wenn er glaubt, wieder freizukommen. Er mag bedenken, wie viel Fälle gegen ihn vorliegen; wenn auch einer derselben aufgegeben würde, so könnte das an seinem Schicksale nichts ändern. Er hat nur Behauptungen ausgesprochen, aber keine Beweise erbracht.«
»Habe ich nicht Rattler niedergeschlagen, als er auf Winnetou schoß und Klekih-petra traf? Ist auch das kein Beweis?«
»Nein. Du kannst dies auch aus andern Gründen getan haben. Hast du noch etwas zu sagen?«
»Jetzt nicht; vielleicht später.«
»Sage es jetzt, denn später wirst du nichts mehr sagen können!«
»Nein, jetzt nicht. Wenn ich es später sagen will, werdet ihr darauf hören, denn Old Shatterhand ist nicht der Mann, dessen Worte man mißachten darf. Ich schweige jetzt, weil ich neugierig bin, das Urteil zu hören, welches ihr nun über uns fällen werdet.«
Intschu tschuna wendete sich von mir ab und gab einen Wink. Auf diesen traten mehrere alte Krieger aus dem Halbkreise hervor und setzten sich mit den drei Häuptlingen zusammen nieder, um Beratung zu halten. Bei derselben gab sich Tangua natürlich alle Mühe, das Urteil so viel wie möglich zu verschärfen. Inzwischen hatten wir Zeit, Bemerkungen gegenseitig auszutauschen.
»Bin neugierig, was sie zusammenbrauen werden,« meinte Dick Stone. »Viel Kluges wird es jedenfalls nicht sein.«
»Ich bin überzeugt, daß es uns an Kopf und Kragen geht,« sagte Will Parker.
»Ich auch,« stimmte Sam Hawkens bei. »Die Kerls glauben ja nichts, wir können vorbringen, was wir wollen! Habt Eure Sache übrigens gar nicht so übel gemacht, Sir! Habe mich über Intschu tschuna gewundert.«
»Warum?« fragte ich.
»Daß er Euch so schwatzen ließ. Mir ist er gleich über den Mund gefahren, wenn ich ihn öffnete.«
»Schwatzen? Ist das Euer Ernst, Sam?«
»Ja.«
»Danke für diese Höflichkeit!«
»Schwatzen nenne ich jedes Reden, welches keinen Erfolg hat, wenn ich mich nicht irre. Und Erfolg habt Ihr ja ebenso wenig gehabt wie ich.«
»Ich denke anders.«
»Aber ohne Ursache!«
»Nein, sondern mit ganz gutem Grunde. Winnetou hat vom Schwimmen gesprochen; das ist beschlossene Sache gewesen; darum denke ich, daß sie nur im Verhöre so scharf gewesen sind, um uns bange zu machen. Das Urteil wird wohl viel besser lauten.«
»Sir, bildet Euch das ja nicht ein! Meint Ihr etwa, daß man Euch Gelegenheit geben wird, Euch durchs Schwimmen zu retten?«
»Ja.«
»Unsinn, welch ein Unsinn! Ja, wenn es so ausgemacht ist, wird man Euch schwimmen lassen; aber wißt Ihr auch, wohin?«
»Nun?«
»Mitten in den Rachen des Todes hinein. Dann, wenn Ihr tot seid, so denkt daran, daß ich recht gehabt habe hihihihi!«
Dieser kleine, sonderbare Kerl brachte es selbst in der schlimmen Lage, in welcher wir uns befanden, fertig, über diesen seinen zweifelhaften Witz vergnügt in sich hineinzukichern. Seine Lustigkeit währte freilich nur einen Augenblick, denn die Beratung war jetzt zu Ende; die Krieger, welche an derselben teilgenommen hatten, zogen sich in den Halbkreis zurück, und Intschu tschuna verkündete mit lauter Stimme:
»Hört, ihr Krieger der Apachen und Kiowas, was über diese vier gefangenen Bleichgesichter beschlossen worden ist! Im Rate der Alten war schon vorher verabredet worden, daß wir sie im Wasser jagen, dann miteinander kämpfen lassen und sie endlich verbrennen wollten. Aber Old Shatterhand, der jüngste von ihnen, hat Worte gesprochen, in denen sich Stellen mit der Weisheit des Alters befanden. Sie haben den Tod verdient, aber es scheint doch, als ob sie es nicht so bös gemeint hätten, wie wir geglaubt haben. Darum ist unser ursprünglicher Beschluß aufgehoben worden, und wir wollen den großen Geist zwischen uns und ihnen entscheiden lassen.«
Er hielt einige Augenblicke inne, jedenfalls um die Spannung seiner Zuhörer zu vergrößern. Dies benutzte Sam zu der Bemerkung:
»Alle Wetter, das wird interessant, hochinteressant! Wißt Ihr, was er meint, Sir?«
»Ich ahne es,« antwortete ich.
»Nun, was?«
»Einen Zweikampf, ein sogenanntes Gottesurteil. Habe ich recht geraten?«
»Ja, jedenfalls einen Zweikampf. Aber zwischen wem? Bin furchtbar neugierig, es zu hören.«
Jetzt fuhr der Häuptling fort:
»Dasjenige Bleichgesicht, welches Old Shatterhand genannt wird, scheint das vornehmste von ihnen zu sein; also soll die Entscheidung in seine Hände gelegt werden. Sie soll abhängig sein von demjenigen unter uns, welcher am Range auch der höchste ist. Der bin ich, Intschu tschuna, der Häuptling der Apachen.«
»Alle Wetter, alle Wetter! Ihr und er!« flüsterte Sam in großer Erregung.
»Uff, uff, uff!« gingen die Rufe der Verwunderung durch die Reihen der Roten.
Sie waren jedenfalls erstaunt darüber, daß er selbst mit mir kämpfen wollte. Er hätte sich der Gefahr, die es dabei doch wohl auch für ihn gab, entziehen und einen Andern damit beauftragen können. Er gab die Erklärung, indem er weitersprach:
»Intschu tschuna und Winnetou sind in ihrem Ruhme dadurch gekränkt worden, daß es nur der Faust eines Bleichgesichts bedurfte, sie niederzuschlagen und zu betäuben. Sie müssen diesen Flecken wegwaschen, indem einer von ihnen mit diesem Bleichgesichte kämpft. Winnetou muß zurücktreten, denn ich bin älter und der erste Häuptling der Apachen. Er ist damit einverstanden, denn ich werde mit meiner Ehre auch die seinige dadurch reinigen, daß ich Old Shatterhand töte.«
Er ließ wieder eine Pause eintreten.
»Könnt Euch freuen, Sir!« sagte Sam. »Werdet jedenfalls einen schnelleren Tod haben als wir. Habt den Kerl schonen wollen und werdet nun auf alle Fälle von ihm ausgelöscht!«
»Das wollen wir abwarten!«
»Brauche es gar nicht abzuwarten, weiß es im voraus. Oder meint Ihr, daß es sich um gleiche Waffen handeln wird?«
»Das bilde ich mir nicht ein.«
»Well! Die Bedingungen werden bei solchen Gelegenheiten so gestellt, daß der Weiße verloren ist. Kam ja irgendwo und irgendeinmal einer mit dem Leben davon, so ist es eine Ausnahme gewesen, welche die Regel nur bestätigt. Hört!«
Intschu tschuna fuhr fort:
»Wir werden Old Shatterhand die Fesseln abnehmen und ihn in das Wasser des Flusses lassen, über den er zu schwimmen hat; aber er bekommt keine Waffe. Ich folge ihm und nehme nur den Tomahawk mit. Kommt Old Shatterhand an das Ufer und lebendig bis zu der Zeder, welche da drüben auf der Lichtung steht, so ist er gerettet, und auch seine Gefährten sind frei; sie können gehen, wohin sie wollen. Töte ich ihn aber, bevor er die Zeder erreicht, so sind auch sie dem Tode verfallen und werden zwar nicht gemartert und verbrannt, sondern erschossen. Alle anwesenden Krieger wollen bestätigen, daß sie meine Worte gehört und verstanden haben und dieselben beherzigen wollen.«
»Howgh!« lautete die einstimmige Antwort.
Man kann sich denken, daß wir uns in großer Aufregung befanden, ich wohl nicht so sehr wie Sam, Dick und Will. Der Erstere sagte:
»Das haben diese Kerls sehr schlau angefangen. Weil Ihr der Vornehmste seid, sollt Ihr schwimmen. Unsinn! Weil Ihr ein Greenhorn seid; das ist der Grund. Mich, mich sollten sie in das Wasser lassen! Wollte ihnen zeigen, daß Sam Hawkens wie eine Forelle durch die Wellen geht! Aber Ihr! Hört, Sir, bedenkt, daß unser Leben von Euch abhängig ist! Wenn Ihr verliert und wir sterben müssen, rede ich kein einziges Wort mehr mit Euch. Darauf könnt Ihr Euch verlassen, wenn ich mich nicht irre!«
»Sorgt Euch nicht, alter Sam!« antwortete ich. »Was ich tun kann, das tue ich. Ich meine ganz im Gegenteile zu Euch, daß die Roten gar keine üble Wahl getroffen haben. Ich bin überzeugt, daß ich euch leichter retten werde, als Ihr uns retten könntet.«
»Wollen es hoffen! Also, es geht auf Leben und Tod. Ihr dürft Intschu tschuna nicht etwa schonen. Laßt Euch diesen Gedanken ja nicht in den Kopf kommen!«
»Wollen sehen!«
»Das ist nichts gesagt; da gibt es gar nichts zu sehen! Wenn Ihr ihn schont, so seid Ihr verloren, und wir gehen auch zugrunde. Ihr verlaßt Euch wohl auf Eure Faust?«
»Ja.«
»Das tut nicht, ja nicht! Es wird gar nicht zum Handgemenge kommen.«
»Ich bin überzeugt, daß es dazu kommt.«
»Nein nicht!«
»Wie will er mich denn töten?«
»Mit dem Tomahawk natürlich. Ihr wißt doch, daß man den nicht nur im Nahekampfe anwendet; er ist auch eine fürchterliche Waffe für die Ferne; er wird geworfen, und diese Roten sind darin so geübt, daß sie einem auf hundert Schritte die Spitze des emporgehaltenen Fingers damit abschneiden. Intschu tschuna wird nicht etwa mit dem Beile auf Euch loshacken, sondern es, während Ihr flieht, hinter Euch her schleudern und Euch beim ersten Wurfe töten. Glaubt mir, Ihr mögt ein noch so vorzüglicher Schwimmer sein, Ihr kommt gar nicht ans andere Ufer hinüber; er schleudert Euch schon während des Schwimmens den Tomahawk in den Kopf oder vielmehr in den Nacken, was weit sicherer tötet. Da hilft Euch alle Eure Kunst und alle Eure Stärke nichts.«
»Das weiß ich, lieber Sam. Und ebenso weiß ich, daß unter Umständen ein Fingerhut voll List mehr wirkt als ein großes Faß voll Körperkraft.«
»List? Wie wolltet denn Ihr zu der nötigen List gekommen sein! Ich sage Euch, daß der alte Sam Hawkens als ein pfiffiger Kerl bekannt ist; aber ich kann trotz dieser Pfiffigkeit nicht einsehen, wie Ihr dem Häuptlinge durch List den Rang ablaufen wollt. Was hilft alle List, die List der ganzen Welt, gegen einen gut geschleuderten Tomahawk!«
»Sie hilft, Sam, sie hilft!«
»Wie denn?«
»Das werdet Ihr sehen, oder vielmehr, das werdet Ihr zunächst nicht sehen. Ich will Euch aber sagen, daß ich des Gelingens beinahe sicher bin.«
»Diese gewaltige Prahlerei laßt Ihr doch nur los, um uns das Herz leicht zu machen.«
»Nein.«
»Jawohl, um uns zu trösten! Aber was nützt uns ein Trost, der schon in der nächsten Minute zu Schanden wird!«
»Beruhigt Euch doch. Ich habe einen guten, einen ganz vortrefflichen Plan.«
»Einen Plan? Auch das noch! Hier gibt es keinen andern Plan als hinüber zu schwimmen, und dabei trifft Euch der Tomahawk.«
»Nein. Paßt auf! Wenn ich ertrinke, so sind wir gerettet.«
»Ertrinke gerettet! Sir, Ihr liegt schon jetzt im Sterben; darum redet Ihr so irre!«
»Ich weiß, was ich will. Merkt es Euch: Wenn ich ertrinke, so haben wir nichts mehr zu fürchten.«
Ich sprach diese Worte schnell und hastig, denn die drei Häuptlinge kamen jetzt zu uns. Intschu tschuna sagte:
»Wir binden Old Shatterhand jetzt los; er mag aber ja nicht denken, daß er davonlaufen kann! Es würden sofort mehrere hundert Verfolger hinter ihm her sein.«
»Fällt mir nicht ein!« antwortete ich. »Selbst wenn ich entkommen könnte, wäre es eine Schlechtigkeit von mir, meine Gefährten zu verlassen.«
Ich wurde losgemacht und bewegte die Arme, um ihre Beweglichkeit zu prüfen. Dann sagte ich:
»Es ist eine große Ehre für mich, mit dem berühmtesten Häuptlinge der Apachen um die Wette oder vielmehr um Leben und Tod zu schwimmen; aber für ihn ist es keine Ehre.«
»Warum nicht?«
»Weil ich kein Gegner für ihn bin. Ich habe zuweilen in einem Bache gebadet und mir dabei Mühe gegeben, nicht unterzugehen. Aber über einen so breiten, tiefen Fluß zu kommen, das getraue ich mir nicht.«