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Zweites Kapitel.
Kleki-petra.

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Inhaltsverzeichnis

Wir befanden uns beinahe am Ende des herrlichen nordamerikanischen Herbstes und waren schon über drei Monate in Tätigkeit, hatten unsere Aufgabe aber noch nicht gelöst, während die andern Sektionen meist schon nach Hause zurückgekehrt waren. Hierfür gab es zwei Gründe.

Der erste Grund lag in dem Umstande, daß wir eine sehr schwierige Gegend zu bearbeiten hatten. Die Bahn sollte durch die Prärieen dem Laufe des südlichen Kanadian folgen; die Richtung war also bis zum Quellgebiete desselben vorgezeichnet, während sie von New Mexiko an durch die Lage der Täler und Pässe ebenso vorgeschrieben wurde. Unsere Sektion aber lag zwischen dem Kanadian und New Mexiko, und wir hatten die geeignete Richtung also erst zu entdecken. Dazu waren zeitraubende Ritte, anstrengende Wanderungen und viele vergleichende Messungen nötig, ehe wir an die eigentliche Arbeit gehen konnten. Erschwert wurde dies alles noch dazu dadurch, daß wir uns in einer gefährlichen Gegend befanden, denn es trieben sich da die Kiowa-, Komanche-und Apache-Indianer herum, welche von einer Bahn durch das Terrain, welches sie als ihr Eigentum bezeichneten, nichts wissen wollten. Wir mußten uns ungemein in acht nehmen und stets auf unserer Hut sein, wodurch unsere Tätigkeit selbstverständlich außerordentlich erschwert und verlangsamt wurde.

In Rücksicht auf diese Indianer mußten wir darauf verzichten, uns durch die Erträgnisse der Jagd zu ernähren, denn wir hätten die Roten dadurch auf unsere Spur gelenkt. Wir bezogen vielmehr alles, was wir brauchten, durch Ochsenwagen aus Santa Fé. Leider war aber dieser Transport auch ein sehr unsicherer, und wir konnten wiederholt mit unseren Messungen nicht vorwärts schreiten, weil wir auf die Ankunft der Wagen warten mußten.

Die zweite Ursache lag in der Zusammensetzung unserer Gesellschaft. Ich habe erwähnt, daß ich in St. Louis von dem Oberingenieur und den drei Surveyors sehr freundlich begrüßt worden sei. Diese Aufnahme, welche ich bei ihnen fand, ließ mich ein gutes und erfolgreiches Zusammenwirken erwarten; darin sollte ich mich aber leider getäuscht haben.

Meine Kollegen waren echte Yankees, welche in mir das Greenhorn, den unerfahrenen Dutchman sahen, dieses letztere Wort als Schimpfwort genommen. Sie wollten Geld verdienen, ohne viel danach zu fragen, ob sie ihre Aufgabe auch wirklich gewissenhaft erfüllten. Ich war als ehrlicher Deutscher ihnen dabei ein Hemmschuh, dem sie die erst gezeigte Gunst sehr bald entzogen. Ich ließ mich dies nicht anfechten und tat meine Pflicht. Es war noch nicht viel Zeit vergangen, so machte ich die Bemerkung, daß es mit ihren Kenntnissen eigentlich nicht sehr weit her war; sie warfen mir die schwierigsten Arbeiten zu und machten sich das Leben so leicht wie möglich. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, denn ich bin stets der Ansicht gewesen, daß man um so stärker wird, je mehr man leisten muß.

Mr. Bancroft, der Oberingenieur, war der unterrichtetste von ihnen; leider aber stellte es sich heraus, daß er den Branntwein liebte. Es waren einige Fäßchen dieses verderblichen Getränkes aus Santa Fé gebracht worden, und seitdem beschäftigte er sich weit mehr mit dem Brandy als mit den Meßinstrumenten. Es kam vor, daß er halbe Tage lang total betrunken an der Erde lag. Riggs, Marcy und Wheeler, die drei Surveyors, hatten, ebenso wie auch ich, den Schnaps mit bezahlen müssen, und sie tranken, um ja nicht zu kurz zu kommen, mit ihm um die Wette. Es läßt sich denken, daß auch diese Gentlemen sich oft nicht in der besten Verfassung befanden. Da ich keinen Tropfen trank, so war ich natürlich der Arbeitsmann, während sie sich in steter Abwechslung zwischen dem Trinken und dem Ausschlafen ihres Rausches hielten. Wheeler war mir noch der liebste von ihnen, denn er hatte so viel Verstand, einzusehen, daß ich mich für sie plagte, ohne im mindesten dazu verpflichtet zu sein. Daß unsere Arbeit unter diesen Verhältnissen litt, versteht sich ganz von selbst.

Die übrige Gesellschaft ließ nicht weniger zu wünschen übrig. Wir hatten bei unserer Ankunft auf der Sektion zwölf auf uns wartende “Westmänner” angetroffen. Ich als Neuling hegte in der ersten Zeit ganz bedeutenden Respekt vor ihnen, erkannte aber nur zu bald, daß ich es mit Leuten von sehr niederem moralischem Range zu tun hatte.

Sie sollten uns beschützen und bei unsern Arbeiten Hilfe leisten. Glücklicherweise kam volle drei Monate lang nichts vor, was mir Veranlassung gegeben hätte, mich in diesen sehr zweifelhaften Schutz zu begeben, und was ihre Hilfeleistungen betraf, so konnte ich mit vollem Rechte behaupten, daß hier die zwölf größten Faulenzer der Vereinigten Staaten sich ein Stelldichein gegeben hatten.

Wie traurig mußte es unter solchen Umständen mit der Disziplin beschaffen sein!

Bancroft war dem Namen und dem Auftrage nach der Kommandierende, und er gebärdete sich auch ganz so, es zu sein, doch kein Mensch gehorchte ihm. Wenn er einen Befehl erteilte, so lachte man ihn aus; dann fluchte er, wie ich selten einen Menschen habe fluchen hören, und ging zum Brandyfasse, um sich für diese Anstrengung zu belohnen. Riggs, Marcy und Wheeler handelten nicht viel anders. Da hätte nun wohl ich allen Grund gehabt, mich der Zügel zu bemächtigen, und ich tat dies auch, doch so, daß man es nicht bemerkte. So ein junger und unerfahrener Mensch konnte von solchen Leuten unmöglich für voll angesehen werden. Wäre ich so unklug gewesen, einmal im gebieterischen Tone zu sprechen, so hätte der Erfolg ganz gewiß in einem schallenden Gelächter bestanden. Nein, ich mußte leise und vorsichtig verfahren, ungefähr so wie eine kluge Frau, welche ihren widerhaarigen Mann zu lenken und zu leiten weiß, ohne daß er eine Ahnung davon hat. Ich wurde von diesen halbwilden, schwer zu zügelnden Westmännern täglich wohl zehnmal ein Greenhorn genannt, und doch richteten sie sich unbewußt nach mir, indem ich sie bei der Meinung ließ, daß sie ihrem eigenen Willen folgten.

Hierbei hatte ich einen vorzüglichen Beistand an Sam Hawkens und seinen beiden Gefährten Dick Stone und Will Parker. Diese drei Männer waren durch und durch ehrlich und dabei, was ich dem kleinen Sam bei unserm ersten Zusammentreffen in St. Louis nicht hatte ansehen können, erfahrene, kluge und kühne Westläufer, deren Namen weithin einen guten Klang besaßen. Sie hielten sich meist zu mir und zogen sich von den Andern zurück, doch so, daß diese sich nicht etwa beleidigt fühlen konnten. Besonders verstand es Sam Hawkens trotz seiner komischen Eigentümlichkeiten, dem, was er wollte, bei der widerspenstigen Gesellschaft Achtung zu verschaffen, und so oft er in seiner halb strengen und halb drolligen Tonart etwas durchsetzte, so geschah dies stets, um mir zur Erringung dessen, was ich wollte, behilflich zu sein.

Es hatte sich zwischen ihm und mir im Stillen ein Verhältnis herausgebildet, welches ich am besten mit dem Worte Suzeränität, Oberlehnsherrlichkeit, bezeichnen möchte. Er hatte mich unter seinen Schutz genommen, und zwar wie einen Menschen, den man gar nicht danach zu fragen braucht, ob er damit einverstanden ist. Ich war das Greenhorn und er der erfahrene Westmann, dessen Worte und Taten für mich unfehlbar zu sein hatten. Er gab mir, so oft sich Zeit und Gelegenheit bot, theoretischen und praktischen Unterricht in allem, was man im wilden Westen wissen und auch können muß, und wenn ich heut der Wahrheit nach sagen muß, daß ich später an Winnetous Seite die hohe Schule durchmachte, so muß ich billig eingestehen, daß Sam Hawkens mein Elementarlehrer gewesen ist. Er fertigte mir sogar höchst eigenhändig einen Lasso an und erlaubte mir, mich im Werfen dieser gefährlichen Waffe an seiner eignen kleinen Person und seinem Pferde zu üben. Als ich es dann so weit gebracht hatte, daß die Schlinge bei jedem Wurfe ihr Ziel unfehlbar faßte, freute er sich herzlich und rief aus:

»Schön so, mein junger Sir; so ist’s recht! Doch bildet Euch auf dieses Lob ja nicht etwas ein! Ein Schulmeister muß selbst den dümmsten Jungen zuweilen loben, wenn dieser nicht ganz und gar sitzen bleiben soll. Ich bin der Lehrer schon manches jungen Westmannes gewesen, und sie alle haben viel, viel leichter gelernt und mich viel rascher begriffen als Ihr, doch wenn Ihr Euch so weiter übt, so ist es vielleicht möglich, daß man Euch nach sechs oder acht Jahren nicht mehr ein Greenhorn zu nennen braucht. Bis dahin mögt Ihr Euch mit der alten Erfahrung trösten, daß ein Dummer es zuweilen ebenso weit oder wohl gar noch weiter bringt als ein Gescheiter, wenn ich mich nicht irre!«

Er brachte dies scheinbar im größten Ernste vor, und ich nahm es mit demselben Ernste hin, wußte aber recht wohl, wie ganz anders er es meinte.

Von diesen Unterweisungen waren mir besonders die praktischen willkommen, denn die Berufsarbeit nahm mich so in Anspruch, daß ich, wenn Sam Hawkens nicht gewesen wäre, mir wohl nicht die Zeit genommen hätte, mich in den Fertigkeiten zu üben, welche ein Prairiejäger besitzen muß. Übrigens hielten wir diese Übungen geheim; sie wurden stets in solcher Entfernung vom Lager vorgenommen, daß man uns nicht beobachten konnte. Sam wollte es so, und als ich ihn einmal nach dem Grunde fragte, antwortete er:

»Geschieht Euch zuliebe, Sir. Ihr habt so wenig Geschick für solche Sachen, daß ich mich in Eure Seele hinein schämen müßte, wenn diese Kerls uns dabei sähen. So, nun wißt Ihr es, hihihihi. Nehmt es Euch zu Herzen!«

Die Folge davon war, daß die ganze Gesellschaft mir in Beziehung auf Waffenführung und körperliche Geschicklichkeit nichts zutraute, was mich aber nicht im mindesten kränken konnte.

Trotz aller vorhin erwähnten Hindernisse waren wir schließlich doch so weit gekommen, daß wir den Anschluß an die nächste Sektion nach Verlauf von vielleicht einer Woche erreichen konnten. Um dies dort zu melden, mußte ein Bote abgesandt werden. Bancroft erklärte, daß er diesen Ritt selbst machen und einen der Westmänner als Führer mitnehmen wolle. Diese Absendung einer Nachricht war nicht die erste, welche geschah, denn wir hatten sowohl mit der hinter als auch mit der vor uns liegenden Sektion in einem immerwährenden Botenverkehr stehen müssen. Infolge dessen wußte ich, daß der vor uns befehligende Ingenieur ein sehr tüchtiger Mann war.

Es war an einem Sonntage früh, als Bancroft aufbrechen wollte. Er hielt es für nötig, vorher einen Abschiedstrunk zu tun, an welchem sich alle beteiligen sollten. Ich allein wurde nicht dazu eingeladen, und Hawkens, Stone und Parker folgten der an sie ergangenen Aufforderung nicht. Der Trunk zog sich, wie ich gleich geahnt hatte, so sehr in die Länge, daß er erst dann aufhörte, als Bancroft kaum mehr lallen konnte. Seine Zechgenossen hatten gleichen Schritt mit ihm gehalten und waren nicht minder betrunken als er. Von dem beabsichtigten Ritte konnte für jetzt keine Rede sein. Die Kerls taten, was sie in diesem Zustande stets getan hatten: sie krochen hinter die Büsche, um auszuschlafen.

Was nun tun? Der Bote mußte fort, und diese Menschen schliefen nun jedenfalls bis weit in den Nachmittag hinein. Es war am besten, ich unternahm den Ritt; aber konnte ich fort? Ich war überzeugt, daß bis zu meiner Rückkehr nach voraussichtlich vier Tagen von Arbeit keine Rede sein werde. Während ich mit Sam Hawkens mich darüber beriet, deutete er mit der Hand nach Westen und sagte:

»Wird nicht nötig sein, daß Ihr reitet, Sir. Könnt die Botschaft den Beiden mitgeben, welche dort kommen.«

Als ich in die angegebene Richtung blickte, sah ich zwei Reiter, welche sich uns näherten. Es waren Weiße, und in dem einen erkannte ich einen alten Scout, welcher schon einige Male bei uns gewesen war, um uns von der nächsten Sektion Nachricht zu bringen. Neben ihm ritt ein jüngerer Mann, welcher nicht wie ein Westläufer gekleidet war. Den hatte ich noch nicht gesehen. Ich ging ihnen entgegen; als ich sie erreichte, hielten sie ihre Pferde an, und der Unbekannte fragte mich nach meinem Namen. Als ich ihm denselben genannt hatte, betrachtete er mich mit freundlich forschendem Blicke und sagte:

»So seid Ihr also der junge, deutsche Gentleman, der hier alle Arbeit tut, während die Andern auf der faulen Haut liegen. Ihr werdet wissen, wer ich bin, wenn ich Euch meinen Namen sage, Sir. Ich heiße White.«

Das war der Name des Dirigenten der westlich nächsten Sektion, zu welchem der Bote hatte geschickt werden sollen. Daß er selbst kam, mußte einen Grund haben. Er stieg vom Pferde, gab mir die Hand und ließ sein Auge suchend über unser Lager schweifen. Als er die Schläfer hinter den Büschen und dann auch das Branntweinfaß erblickte, ging ein verständnisvolles, aber keineswegs freundliches Lächeln über sein Gesicht.

»Sind wohl betrunken?« fragte er.

Ich nickte.

»Alle?«

»Ja. Mr. Bancroft wollte zu Euch, und da hat es einen kleinen Abschiedstrunk gegeben. Ich werde ihn wecken und «

»Halt!« fiel er mir in die Rede. »Laßt sie schlafen! Es ist mir lieb, daß ich mit Euch reden kann, ohne daß sie es hören. Gehen wir zur Seite, und wecken sie nicht auf! Wer sind die drei Männer, die dort bei Euch standen?«

»Sam Hawkens, Will Parker und Dick Stone, unsere drei zuverlässigen Scouts.«

»Ah, Hawkens, der kleine, sonderbare Jäger. Tüchtiger Kerl; habe von ihm gehört. Die Drei mögen mit uns kommen.«

Ich folgte dieser Aufforderung, indem ich sie zu uns winkte, und erkundigte mich dann:

»Ihr kommt selbst, Mr. White. Ist’s etwas Wichtiges, was Ihr uns bringt?«

»Nichts weiter, als daß ich hier einmal nach dem Rechten sehen und mit Euch, grad mit Euch reden wollte. Wir sind mit unserer Sektion fertig, Ihr mit der Eurigen noch nicht.«

»Daran tragen die Schwierigkeiten des Terrains die Schuld, und ich will «

»Weiß, weiß!« unterbrach er mich. »Weiß leider alles. Wenn Ihr Euch nicht dreifach angestrengt hättet, so stände Bancroft noch da, wo er angefangen hat.«

»Das ist keineswegs der Fall, Mr. White. Ich weiß zwar nicht, wie Ihr zu der irrtümlichen Ansicht gekommen seid, daß ich allein fleißig gewesen sein soll, doch ist es meine Pflicht «

»Still, Sir, still! Es sind Boten zwischen Euch und uns hin und her gegangen; die habe ich ausgehorcht, ohne daß sie es bemerkten. Es ist sehr edelmütig von Euch, daß Ihr diese Säufer hier in Schutz nehmen wollt, aber ich will die Wahrheit hören. Und da ich sehe und höre, daß Ihr zu nobel seid, sie mir zu sagen, werde ich nicht Euch, sondern Sam Hawkens fragen. Setzen wir uns hier nieder!«

Wir waren nach unserm Zelte gegangen. Er setzte sich vor demselben in das Gras und winkte uns, dasselbe zu tun. Als wir dieser Aufforderung nachgekommen waren, begann er, Sam Hawkens, Stone und Parker auszufragen. Sie erzählten ihm alles, ohne zur Wahrheit ein überflüssiges Wort zu fügen; dennoch warf ich hier und da eine Bemerkung ein, um gewisse Härten zu mildern und meine Kollegen zu verteidigen, doch verfehlte dies den beabsichtigten Eindruck auf White. Er bat mich im Gegenteil wiederholt, diese meine Bemühungen einzustellen, da sie vollständig erfolglos seien.

Dann, als er alles wußte, forderte er mich auf, ihm unsere Zeichnungen und das Tagebuch zu zeigen. Ich brauchte ihm diesen Wunsch nicht zu erfüllen, tat es aber dennoch, weil ich ihn sonst beleidigt hätte, und ich sah doch, daß er es gut mit mir meinte. Er sah alles sehr aufmerksam durch, und als er mich danach fragte, konnte ich nicht leugnen, daß ich allein der Zeichner und Verfasser war, denn keiner von den Andern hatte einen Strich getan oder einen Buchstaben geschrieben.

»Aber aus diesem Tagebuche ersieht man nicht, wie viel oder wie wenig Arbeit auf den Einzelnen kommt,« sagte er. »Ihr seid in Eurer löblichen Kollegialität viel zu weit gegangen.«

Da bemerkte Hawkens mit pfiffigem Gesichte:

»Greift ihm doch mal in die Brusttasche, Mr. White! Da steckt ein blechernes Dings, worin Ölsardinen gewesen sind. Die Sardinen sind heraus, aber dafür steckt etwas Papiernes drin. Wird wohl sein Privattagebuch sein, wenn ich mich nicht irre. In diesem wird es ganz anders lauten als hier in dem offiziellen Berichte, in dem er die Faulheit seiner Kollegen vertuscht.«

Sam wußte, daß ich mir private Aufzeichnungen gemacht hatte und sie in der leer gewordenen Sardinenbüchse bei mir trug. Es war mir unangenehm, daß er es sagte. White bat mich, ihm auch das zu zeigen. Was sollte ich tun? Verdienten es meine Kollegen, daß ich mich für sie plagte, ohne Dank zu finden, und dies dann auch noch verschwieg? Ich wollte ihnen keineswegs schaden, aber auch nicht unhöflich gegen White sein. Darum gab ich ihm mein Tagebuch, doch unter der Bedingung, daß er zu niemand von dem Inhalte spreche. Er las es durch, gab es mir dann zurück und sagte:

»Eigentlich sollte ich die Blätter mitnehmen und an der betreffenden Stelle abgeben. Eure Kollegen sind ganz unfähige Menschen, denen kein einziger Dollar mehr ausbezahlt werden sollte; Euch aber müßte man dreifach bezahlen. Doch, wie Ihr wollt. Nur mache ich Euch darauf aufmerksam, daß es gut für Euch sein wird, diese Privatnotizen gut aufzuheben. Sie können Euch später leicht von großem Nutzen sein. Und nun wollen wir die famosen Gentlemen wecken.«

Er stand auf und schlug Lärm. Die “Gentlemen” kamen mit stieren Augen und verstörten Gesichtern hinter ihren Büschen hervor. Bancroft wollte darüber, daß man ihn im Schlafe gestört hatte, grob werden, zeigte sich aber höflich, als ich ihm sagte, daß Mr. White von der nächsten Sektion angekommen sei. Die Beiden hatten sich noch nicht gesehen. Das Erste war, daß er ihm einen Becher Brandy anbot; aber damit kam er an den unrechten Mann. White benutzte dieses Anerbieten sofort als Anknüpfungspunkt zu einer Strafrede, wie Bancroft gewiß noch keine gehört oder gar selbst erhalten hatte. Dieser hörte sie, vor Erstaunen wortlos, eine Weile an, dann fuhr er auf den Redner los, faßte ihn am Arme und schrie ihn an:

»Herr, wollt Ihr mir wohl gleich sagen, wie Ihr heißt?«

»White heiße ich; das habt Ihr ja gehört.«

»Und was Ihr seid?«

»Oberingenieur der benachbarten Sektion.«

»Hat jemand von uns Euch dort etwas zu befehlen?«

»Ich denke, nein.«

»Nun wohl! Ich heiße Bancroft und bin Oberingenieur der hiesigen Sektion. Es hat mir kein Mensch etwas zu befehlen, am allerwenigsten aber Ihr, Mr. White.«

»Es ist richtig, daß wir uns vollständig gleichstehen,« antwortete dieser ruhig. »Befehle von dem Andern anzunehmen, hat keiner von uns Beiden nötig. Aber wenn der Eine sieht, daß der Andere das Unternehmen, an welchem beide arbeiten sollen, schädigt, so ist es seine Pflicht, den Betreffenden auf seinen Fehler aufmerksam zu machen. Eure Lebensaufgabe scheint im Brandyfasse zu stecken. Ich zähle hier sechszehn Menschen, welche alle betrunken waren, als ich vor zwei Stunden hier ankam, und so «

»Vor zwei Stunden?« fiel ihm Bancroft in die Rede. »So lange seid Ihr schon hier?«

»Allerdings. Ich habe mir die Aufnahmen angesehen und mich darüber unterrichtet, wer sie gemacht hat. Das ist ja das reine Schlaraffenleben hier gewesen, während ein Einziger und noch dazu der Jüngste von Euch allen, die ganze Arbeit zu bewältigen hatte!«

Da fuhr Bancroft zu mir herum und zischte mich an:

»Das habt Ihr gesagt, Ihr und kein Anderer! Leugnet es einmal, Ihr niederträchtiger Lügner, Ihr heimtückischer Verräter!«

»Nein,« antwortete ihm White. »Euer junger Kollege hat als Gentleman gehandelt und nur Gutes über Euch gesprochen. Er hat Euch in Schutz genommen, und ich rate Euch, ihn um Verzeihung zu bitten, daß Ihr ihn einen Lügner und Verräter nanntet.«

»Um Verzeihung bitten? Fällt mir nicht ein!« lachte Bancroft höhnisch auf. »Dieses Greenhorn weiß kein Dreieck von einem Vierecke zu unterscheiden und bildet sich trotzdem ein, Surveyor zu sein. Wir sind nicht vorwärts gekommen, weil er alles verkehrt gemacht und uns aufgehalten hat, und wenn er nun, anstatt dies einzusehen und zuzugeben, uns bei Euch verleumdet und anschwärzt, so «

Er kam nicht weiter. Ich war monatelang geduldig gewesen und hatte diese Leute nach ihrem Belieben über mich denken lassen. Jetzt war der Augenblick da, ihnen zu zeigen, daß sie sich in mir geirrt hatten. Ich ergriff Bancroft beim Arme, drückte ihn so, daß er vor Schmerz den angefangenen Satz unausgesprochen ließ, und sagte:

»Mr. Bancroft, Ihr habt zuviel Schnaps getrunken und nicht ausschlafen können. Ich nehme an, daß Ihr noch betrunken seid, und es mag also so sein, als ob Ihr nichts gesagt hättet.«

»Ich, betrunken? Ihr seid verrückt!« antwortete er.

»Jawohl, betrunken! Denn wenn ich wüßte, daß Ihr nüchtern seid und die Beschimpfungen mit Ueberlegung ausgesprochen habt, so wäre ich gezwungen, Euch wie einen Buben zu Boden zu schlagen. Verstanden! Habt Ihr nun noch das Herz, Euren Rausch abzuleugnen?«

Ich hielt seinen Arm noch fest in meiner Hand. Er hatte gewiß nie geglaubt, jemals vor mir Angst haben zu müssen; jetzt aber fürchtete er sich; das sah ich ihm an. Er war keineswegs ein schwacher Mann; aber der Ausdruck meines Gesichtes schien ihn zu erschrecken. Er wollte nicht sagen, daß er noch betrunken sei, getraute sich aber auch nicht, seine Beschuldigungen aufrecht zu erhalten; darum wendete er sich um Hilfe an den Anführer der zwölf Westmänner, die uns zur Unterstützung beigegeben waren:

»Mr. Rattler, duldet Ihr es, daß dieser Mensch sich an mir vergreift? Seid Ihr nicht hier, um uns zu beschützen?«

Dieser Rattler war ein hoch und breit gebauter Kerl, welcher die Kraft von drei, vier Menschen zu besitzen schien, ein rohes Subjekt und zugleich Bancrofts liebster Trinkkumpan. Er konnte mich nicht leiden und nahm jetzt mit Freuden die Gelegenheit wahr, dem Grolle, den er gegen mich hegte, Luft machen zu dürfen. Er trat schnell herbei, faßte mich am Arme, so wie ich Bancroft noch immer bei dem seinigen hatte, und antwortete:

»Nein, das kann ich nicht dulden, Mr. Bancroft. Dieses Kind hat seine ersten Strümpfe noch nicht abgelaufen und will hier erwachsenen Männern drohen, sie verschänden und verleumden. Tu’ die Hand von Mr. Bancroft weg, Junge, sonst zeige ich dir, was für ein Greenhorn du bist!«

Diese Aufforderung war an mich gerichtet. Er schüttelte mir bei derselben den Arm. Das mußte mir noch lieber sein, denn er war ein stärkerer Gegner als der Oberingenieur. Wenn ich ihn Mores lehrte, mußte es besser wirken, als wenn ich diesem zeigte, daß ich kein Feigling sei. Ich riß meinen Arm aus seiner Hand und entgegnete:

»Ich ein Junge, ein Greenhorn? Widerruft das augenblicklich, Mr. Rattler, sonst schmettere ich Euch zu Boden!«

»Ihr mich?« lachte er. »So ein Greenhorn ist wirklich so albern, zu glauben, daß «

Er konnte nicht weiter reden, denn ich schlug ihm die Faust an die Schläfe, daß er steif wie ein Sack niederstürzte und betäubt liegen blieb. Einige kurze Augenblicke herrschte tiefes Schweigen; dann rief einer von Rattlers Kameraden:

»All devils! Sollen wir ruhig zusehen, wenn so ein hergelaufener Dutchman unsern Anführer schlägt? Drauf auf den Halunken!«

Er sprang auf mich ein. Ich empfing ihn mit einem Fußtritte in die Magengegend. Dies ist ein sichres Mittel, den Gegner zum Fall zu bringen, nur muß man dabei sehr fest auf dem andern Beine stehen. Der Kerl stürzte nieder. In demselben Momente kniete ich auf seinem Leibe und gab ihm den betäubenden Fausthieb an die Schläfe. Dann sprang ich schnell auf, riß die beiden Revolver aus dem Gürtel und rief:

»Wer noch? Der mag kommen!«

Rattlers ganze Bande hätte wohl nicht übel Lust gehabt, die Niederlage ihrer beiden Kameraden zu rächen. Einer blickte den Andern fragend an. Ich warnte aber:

»Hört mein Wort, ihr Leute: Wer einen Schritt nach mir tut oder mit der Hand nach der Waffe greift, bekommt augenblicklich eine Kugel in den Kopf! Denkt meinetwegen von den Greenhorns im allgemeinen, was und wie ihr wollt; von den deutschen Greenhorns aber will ich euch beweisen, daß ein einziges es recht gut mit zwölf solchen Westmännern aufnimmt, wie ihr seid!«

Da stellte sich Sam Hawkens an meine Seite und sagte:

»Und ich, Sam Hawkens, will euch auch warnen, wenn ich mich nicht irre. Dieses junge, deutsche Greenhorn steht unter meinem ganz besondern Schutze. Wer es wagen sollte, ihm nur ein Haar zu krümmen, dem schieße ich sofort ein Loch durch die Gestalt. Ist mein voller Ernst; könnt es euch merken, hihihihi!«

Dick Stone und Will Parker hielten es für angezeigt, sich auch neben mir aufzupflanzen, um anzudeuten, daß sie ganz der Meinung von Sam Hawkens seien. Das imponierte den Gegnern. Diese wendeten sich von mir ab, murmelten unterdrückte Flüche und Drohungen in die Bärte und beschäftigten sich dann angelegentlich mit den beiden Gefallenen, um sie zum Bewußtsein zurückzubringen.

Bancroft hielt es für das Klügste, nach dem Zelte zu gehen und in demselben zu verschwinden. White hatte mit großen, verwunderten Augen auf mich geblickt. Jetzt schüttelte er den Kopf und sagte im Tone ungekünstelten Erstaunens:

»Aber, Sir, das ist ja fürchterlich! In Eure Finger möchte ich auf keinen Fall geraten. Man sollte Euch wahrhaftig Shatterhand nennen, weil Ihr einen baumlangen und baumstarken Menschen mit einem einzigen Fausthiebe niederschmettert. So etwas habe ich noch nie gesehen.«

Dieser Vorschlag schien dem kleinen Hawkens zu gefallen. Er kicherte fröhlich:

»Shatterhand, hihihihi! Ein Greenhorn, und schon einen Kriegsnamen, und nun gar einen solchen! Ja, wenn Sam Hawkens seine Augen auf ein Greenhorn wirft, so kommt etwas dabei heraus, wenn ich mich nicht irre. Shatterhand, Old Shatterhand! Ganz ähnlich wie Old Firehand, der auch ein Westmann ist, stark wie ein Bär. Was sagt ihr dazu, Dick, Will, zu diesem Namen?«

Ich bekam nicht zu hören, was sie antworteten, denn ich hatte meine Aufmerksamkeit auf White zu richten, welcher, meine Hand ergreifend und mich beiseite führend, sagte:

»Ihr gefallt mir außerordentlich, Sir. Habt Ihr keine Lust, mit mir zu gehen?«

»Lust oder nicht, Mr.White, ich darf nicht.«

»Warum?«

»Weil meine Pflicht mich hier bindet.«

»Pshaw! Ich verantworte es.«

»Das nutzt mir nichts, wenn ich es nicht selbst verantworten kann. Ich bin hierher geschickt worden, um diese Sektion vermessen zu helfen, und darf nicht fort, weil wir noch nicht fertig sind.«

»Bancroft wird es mit den drei Andern fertig machen.«

»Ja, aber wann und wie! Nein, ich muß bleiben.«

»Aber bedenkt, daß dies gefährlich für Euch ist!«

»Warum?«

»Das fragt Ihr noch? Ihr müßt doch einsehen, daß Ihr Euch diese Leute spinnefeind gemacht habt.«

»Ich nicht. Ich habe ihnen nichts getan.«

»Das ist wahr, oder vielmehr es war bis vorhin wahr. Nun Ihr aber zwei von ihnen niedergeworfen habt, ist es aus zwischen Euch und ihnen.«

»Mag sein; ich fürchte mich nicht vor ihnen. Und grad diese beiden Fausthiebe haben mich in Respekt gesetzt; es wird sich nicht gleich jemand an mich wagen. Uebrigens stehen mir Hawkens, Stone und Parker zur Seite.«

»Wie Ihr wollt. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, doch oft auch seine Hölle. Ich hätte Euch gebrauchen können. Aber wenigstens ein Stück zurückbegleiten werdet Ihr mich doch?«

»Wann?«

»Jetzt.«

»Ihr wollt gleich aufbrechen, Mr. White?«

»Ja, ich habe die Verhältnisse hier so gefunden, daß es mich nicht gelüsten kann, länger, als notwendig ist, hier zu bleiben.«

»Aber etwas essen müßt Ihr doch, ehe Ihr aufbrecht, Sir?«

»Ist nicht nötig. Wir haben in unsern Satteltaschen, was wir brauchen.«

»Wollt Ihr Euch nicht von Bancroft verabschieden?«

»Habe keine Lust dazu.«

»Aber Ihr seid doch wohl gekommen, um Geschäftliches mit ihm zu besprechen!«

»Allerdings. Doch kann ich Euch das auch sagen. Bei Euch findet es sogar besseres Verständnis als bei ihm. Vor allen Dingen wollte ich ihn vor den Roten warnen.«

»Habt Ihr welche gesehen?«

»Nicht direkt, sondern nur ihre Fährten. Es ist jetzt die Zeit, in welcher die wilden Mustangs und Büffel südwärts ziehen; da verlassen die Roten ihre Dörfer, um zu jagen und Fleisch zu machen. Die Kiowas sind nicht zu fürchten, denn mit ihnen haben wir uns wegen der Bahn geeinigt; die Komanchen und Apachen aber wissen noch nichts davon, und so dürfen wir uns vor ihnen ja nicht sehen lassen. Was mich betrifft, so bin ich mit meiner Sektion fertig und verlasse diese Gegend. Macht, daß Ihr auch zu Ende kommt! Der hiesige Boden wird von Tag zu Tag gefährlicher für Euch. Sattelt jetzt Euer Pferd und fragt Sam Hawkens, ob er Lust hat, mitzukommen.«

Natürlich hatte Sam Lust.

Eigentlich hatte ich heut arbeiten wollen; aber es war Sonntag, der Tag des Herrn, an welchem jeder Christ, selbst wenn er sich in der Wildnis befindet, sich sammeln und mit seinen geistlichen Pflichten beschäftigen soll. Dazu hatte ich wohl einmal einen Ruhetag verdient. Ich ging also zu Bancroft in das Zelt und sagte ihm, daß ich heut nicht arbeiten, sondern White mit Sam Hawkens ein Stück begleiten würde.

»Geht in des Teufels Namen, und laßt euch von ihm die Hälse brechen!« antwortete er, und ich dachte nicht, daß dieser rohe Wunsch in kurzer Zeit beinahe in Erfüllung gehen würde.

Ich war seit einigen Tagen nicht in den Sattel gekommen, und mein Rotschimmel wieherte freudig auf, als ich ihm das Zeug auflegte. Er hatte sich als ein vortreffliches Pferd bewährt, und ich freute mich schon im voraus darauf, dies meinem alten »Gunsmith« Henry sagen zu dürfen.

Wir ritten munter in den schönen Herbstmorgen hinein, sprachen über das geplante, großartige Bahnunternehmen und über alles, was uns auf dem Herzen lag. White gab mir die nötigen Winke, welche sich auf den Anschluß an seine Sektion bezogen, und zu Mittag machten wir an einem Wasser Halt, um ein frugales Mahl zu genießen. Dann ritt White mit seinem Scout weiter, und wir blieben noch ein Weilchen liegen, um uns über religiöse Dinge zu unterhalten.

Hawkens war nämlich ein frommer Mensch, wenn er dies auch gegen Andere nicht zutage treten ließ.

Kurz, bevor wir aufbrachen, um zurückzukehren, bückte ich mich zum Wasser nieder, um mit der Hand zu schöpfen und zu trinken. Da sah ich durch die kristallhelle Flüssigkeit auf dem Boden einen Eindruck, welcher von einem Fuße herzurühren schien. Natürlich machte ich Sam darauf aufmerksam. Er betrachtete den Eindruck aufmerksam und sagte dann:

»Dieser Mr. White hatte ganz recht, als er uns vor den Indianern warnte.«

»Meint Ihr, Sam, daß diese Spur von einem Indianer herrührt?«

»Ja, von einem indianischen Mokassin. Wie wird Euch dabei zu Mute, Sir?«

»Gar nicht.«

»Fi! Ihr müßt doch etwas denken oder fühlen?«

»Was soll ich anderes denken, als daß ein Roter hier gewesen ist?«

»Also habt Ihr keine Angst?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Wenigstens Sorge?«

»Auch nicht.«

»Ja, Ihr kennt die Roten nicht!«

»Hoffe sie aber kennen zu lernen. Sie werden wohl grad so wie andere Menschen sein, nämlich die Feinde ihrer Feinde und die Freunde ihrer Freunde. Und da es nicht meine Absicht ist, sie feindlich zu behandeln, so nehme ich an, daß ich nichts von ihnen zu befürchten habe.«

»Ihr seid eben ein Greenhorn und werdet es ewig bleiben.

Nehmt Euch noch so fest vor, wie Ihr die Roten behandeln wollt, es wird doch ganz, ganz anders kommen. Die Ereignisse sind doch nicht von Eurem Willen abhängig. Ihr werdet das erfahren, und ich will wünschen, daß diese Erfahrung Euch nicht einen tüchtigen Fetzen Menschenfleisch aus Eurem eigenen Leib oder gar das Leben kostet.«

»Wann mag dieser Indsman hier gewesen sein?«

»Vor ungefähr zwei Tagen. Wir würden seine Spuren hier im Grase sehen, wenn es sich nicht während der Zeit wieder aufgerichtet hätte.«

»Ein Kundschafter wohl?«

»Ein Kundschafter auf Büffelfleisch, ja; denn da jetzt Friede zwischen den hiesigen Stämmen herrscht, kann es kein Kriegskundschafter gewesen sein. Der Kerl war außerordentlich unvorsichtig, also sehr wahrscheinlich jung.«

»Wieso?«

»Ein erfahrener Krieger tritt nicht mit dem Fuße in ein Wasser wie dieses hier, wo die Spur auf dem seichten Grunde zurückbleibt und noch lange gesehen werden kann. So eine Dummheit kann nur von einem Dummkopfe begangen werden, der gerade so ein rotes Greenhorn ist, wie Ihr ein weißes seid, hihihihi. Und weiße Greenhorns pflegen sogar noch viel dümmer zu sein als rote. Könnt Euch das mit merken, Sir!«

Er kicherte leise in sich hinein und stand dann auf, um sein Pferd zu besteigen. Der gute Sam liebte es eben, mir seine herzliche Zuneigung dadurch zu verstehen zu geben, daß er mich für dumm erklärte.

Wir hätten auf dem Wege, den wir gekommen waren, zurückkehren können; aber als Surveyor war es meine Aufgabe, unsere Strecke kennen zu lernen; darum bogen wir erst ein Stück ab und schlugen dann die Parallele ein.

Dabei kamen wir in ein ziemlich breites Tal, welches mit saftigem Grase bewachsen war; die Lehnen, von denen es hüben und drüben eingesäumt wurde, trugen unten Gebüsch und weiter oben Wald. Das Tal war vielleicht eine halbe Wegstunde lang und so schnurgerade, daß man von dem Anfange desselben bis an das Ende sehen konnte. Wir waren nur wenige Schritte in dieser freundlichen Bodensenkung vorwärts gekommen, da hielt Sam sein Pferd an und blickte aufmerksam nach vorn.

»Heig-day!« stieß er hervor. »Da sind sie! Ja wirklich, da sind sie, die allerersten!«

»Was?« fragte ich.

Ich sah ganz fern, weit vor uns, vielleicht achtzehn bis zwanzig dunkle Punkte, welche sich langsam bewegten.

»Was?« wiederholte er meine Frage, indem er lebhaft im Sattel hin und her rutschte. »Schämt Euch doch, eine solche Frage auszusprechen! Ach so, Ihr seid ja ein Greenhorn, und zwar ein ganz gewaltiges! Solche Kerls, wie Ihr, pflegen mit offenen Augen nicht zu sehen. Habt doch einmal die freundliche Gewogenheit, verehrtester Sir, zu raten, was das für Dinger sind, auf denen dort Eure schönen Augen ruhen!«

»Raten? Hm! Ich würde sie für Rehe halten, wenn ich nicht wüßte, daß diese Wildgattung in Rudeln oder Sprüngen von nicht über zehn Stück beisammen lebt. Auch muß ich, wenn ich die Entfernung in Betracht ziehe, sagen, daß die Tiere dort, so klein sie von hier aus zu sein scheinen, bedeutend größer als Rehe sein müssen.«

»Rehe, hihihihi!« lachte er. »Rehe hier oben an den Quellen des Kanadian! Das ist ein Meisterstück von Euch! Aber das andere, was Ihr sagtet, war gar nicht so übel überlegt. Ja, größer sind sie, diese Tiere, viel, viel größer als Rehe!«

»Ach, lieber Sam, doch nicht etwa gar Büffel?«

»Natürlich Büffel! Bisons sind es, echte, wahre Bisons, die sich auf der Wanderung befinden, die ersten, die ich heuer sehe. Nun wißt Ihr, daß Mr. White recht gehabt hat: Bisons und Indianer. Von den Roten sahen wir nur eine Fußspur; die Büffel aber haben wir in Lebensgröße vor den Augen. Was sagt Ihr dazu, he, wenn ich mich nicht irre?«

»Wir müssen hin!«

»Natürlich!«

»Sie beobachten!«

»Beobachten? Wirklich beobachten?« fragte er, indem er mich ganz erstaunt von der Seite her anblickte.

»Ja. Ich habe noch nie Bisons gesehen und möchte diese hier so gerne belauschen.«

Ich fühlte jetzt nur das Interesse des Zoologen; das war dem kleinen Sam vollständig unbegreiflich. Er schlug die Hände zusammen, und meinte:

»Belauschen, nur belauschen. Grad so, wie ein kleiner Junge seine Augen neugierig an eine Ritze des Kaninchenstalles legt, um die Karnickels zu belauschen! O, Greenhorn, was muß ich alles an Euch erleben! Nicht beobachten und belauschen, sondern jagen werde ich sie, wirklich jagen!«

»Heut, am Sonntage!«

Das fuhr mir so unbedacht heraus. Er wurde wirklich zornig darüber und herrschte mich an:

»Haltet gefälligst Euren Schnabel, Sir! Was frägt ein richtiger Westmann nach dem Sonntage, wenn er die ersten Büffel vor sich sieht! Das gibt Fleisch, verstanden, Fleisch, und was für welches, wenn ich mich nicht irre! Ein Stück Bisonlende ist noch herrlicher als das himmlische Ambrosius oder Ambrosianna, oder wie das Zeug hieß, von welchem die alten griechischen Götter lebten. Ich muß eine Büffellende haben, und wenn es mich das Leben kosten sollte! Die Luft ist uns entgegen; das ist gut. Hier, an der linken, nördlichen Talwand ist nur Sonne; drüben rechts aber gibt es Schatten. Wenn wir uns in diesem halten, werden uns die Tiere nicht vorzeitig bemerken. Kommt!«

Er sah nach seiner “Liddy”, ob die beiden Läufe derselben in Ordnung seien, und trieb sein Pferd nach der südlichen Talwand hinüber. Diesem Beispiele folgend, untersuchte ich auch meinen Bärentöter. Er sah dies, hielt sofort sein Pferd an und fragte:

»Wollt Ihr Euch etwa gar beteiligen, Sir?«

»Natürlich!«

»Das laßt hübsch bleiben, wenn Ihr nicht binnen jetzt und zehn Minuten zu Brei zerstampft sein wollt! Ein Bison ist kein Kanarienvogel, den man auf den Finger nimmt und singen läßt. Ehe Ihr Euch an so gefährliches Wild wagen dürft, muß noch viel schönes und viel schlechtes Wetter über die Felsenberge gehen.«

»Aber ich will doch «

»Schweigt und gehorcht!« unterbrach er mich in einem Tone, den er noch nie gegen mich angewendet hatte. »Ich will Euer Leben nicht auf dem Gewissen haben, und es ist der Rachen des sichersten Todes, in den Ihr reiten würdet. Macht zu andern Zeiten, was Ihr wollt; jetzt aber dulde ich keine Widersetzlichkeit!«

Hätte nicht ein so gutes Verhältnis zwischen uns bestanden, es wäre ihm gewiß eine sehr kräftige Antwort geworden, so aber schwieg ich und ritt langsam im Schattenstreifen, den der Wald herniederwarf, hinter ihm her. Dabei erklärte er mir, nun wieder in milderem Tone sprechend:

»Es sind zwanzig Stück, wie ich sehe. Aber seid einmal dabei, wenn tausend und noch mehr Stück über die Savanne brausen! Ich habe früher Herden von zehntausend und darüber gesehen. Das war des Indianers Brot; die Weißen haben es ihm genommen. Der Rote schonte das Wild, weil es ihm Nahrung gab; er erlegte nur so viel, wie er brauchte. Der Weiße aber hat unter den ungezählten Herden gewütet wie ein grimmiges Raubtier, welches auch dann, wenn es gesättigt ist, weiter mordet, nur um Blut zu vergießen. Wie lange wird es dauern, so gibt es keinen Büffel und dann nach kurzer Zeit auch keinen Indianer mehr. Gott sei es geklagt! Und grad so ist’s auch mit den Pferdeherden. Es gab Trupps von tausend Mustangs und noch höher. Jetzt ist man ganz entzückt, wenn man das Glück hat, einmal so ein hundert Stück beisammen zu sehen.«

Wir waren indessen bis auf ungefähr vierhundert Schritt an die Büffel gekommen, ohne daß sie uns bemerkten, und Hawkens hielt sein Pferd an. Die Tiere grasten langsam talaufwärts. Am weitesten vorgerückt war ein alter Bulle, dessen Riesenleib ich mit Erstaunen betrachtete. Er war ganz gewiß gegen zwei Meter hoch und wohl drei Meter lang; damals verstand ich das Gewicht eines Bisons noch nicht zu taxieren; heute sage ich, daß dieser hier wohl an die dreißig Zentner wiegen konnte, eine ganz erstaunliche Fleisch-und Knochenmasse. Er war auf eine Schlammlache gestoßen und wälzte sich behaglich in derselben.

»Das ist der Leitstier,« flüsterte Sam, »der gefährlichste der ganzen Gesellschaft. Wer mit dem anbindet, muß sein Testament unterschrieben haben. Ich nehme die junge Kuh rechts dahinten. Paßt auf, wohin ich ihr die Kugel gebe! Hinter dem Schulterblatte von der Seite schräg in das Herz hinein; das ist der beste, ja der einzig sichre Schuß außer dem in das Auge; aber welcher nicht wahnsinnige Mensch wird einen Bison von vorn nehmen, um ihn in das Auge zu treffen! Bleibt hier halten, und drückt Euch mit dem Pferde ins Gesträuch! Wenn sie mich sehen und dann fliehen, wird die wilde Jagd grad hier vorübergehen. Laßt es Euch aber ja nicht einfallen, diese Stelle zu verlassen, ehe ich wiederkomme oder Euch rufe!«

Er wartete, bis ich mich zwischen zwei Büsche gedrückt hatte, und ritt dann, zunächst langsam und leise weiter. Mir war ganz sonderbar zu Mute. Wie man den Bison jagt, das hatte ich sehr oft gelesen; darüber konnte man mir nichts Neues sagen; aber es ist ein Unterschied zwischen dem Papiere, auf welches man solche Beschreibungen druckt, und der Wildnis, in der man diese Jagden erlebt. Heute sah ich zum erstenmal in meinem Leben Büffel. Was für Wild hatte ich bisher geschossen? Im Verhältnisse zu diesen riesigen, gefährlichen Tieren keins, gar keins. Da sollte man meinen, ich sei ganz einverstanden gewesen mit Sams Befehle, mich ja nicht zu beteiligen; aber es fand das gerade Gegenteil statt. Vorhin hatte ich nur beobachten, belauschen wollen, jetzt fühlte ich einen mächtigen, ja unwiderstehlichen Drang, mitzutun. An eine junge Kuh wollte Sam sich machen, pfui! dachte ich, dazu gehört kein Mut; ein rechter Mann wählt grad den stärksten Bullen!

Mein Pferd war außerordentlich unruhig geworden; es tanzte mit den Hufen; es hatte auch noch keine Büffel gesehen, fürchtete sich und wollte fliehen; kaum vermochte ich, es zurückzuhalten. War es da nicht besser, wenn ich es zwang, den Bullen anzunehmen? Ich war nicht etwa erregt, sondern überlegte, innerlich ganz ruhig, zwischen Ja und Nein. Da entschied der Eindruck des Augenblickes.

Sam hatte sich den Bisons bis auf dreihundert Schritte genähert; dann gab er seinem Pferde die Sporen und galoppierte auf die Herde zu und an dem mächtigen Bullen vorbei, um an die Kuh zu kommen, welche er mir bezeichnet hatte. Sie stutzte und versäumte die Flucht; er erreichte sie; ich sah, daß er im Vorüberjagen auf sie schoß. Sie zuckte zusammen und senkte den Kopf. Ob sie zusammenbrach, das sah ich nicht, denn mein Auge wurde durch einen andern Anblick gefesselt.

Der Riesenbulle war aufgesprungen; er stierte nach Sam Hawkens hin. Welch ein mächtiges Tier! Dieser dicke Kopf mit dem gewölbten Schädel, der breiten Stirn und den zwar kurzen, aber starken, aufwärts gekrümmten Hörnern, diese dichte, zottige Mähne um Hals und Brust! Dem Bilde ursprünglichster, rohester Kraft wurde durch den hohen Widerrist die höchste Vollendung gegeben. Ja, das war ein höchst gefährliches Geschöpf; aber sein Anblick reizte förmlich zu dem Verlangen, menschliches Können an dieser tierischen Stärke zu messen.

Wollte ich, oder wollte ich nicht? Ich weiß es nicht. Oder ging mein Rotschimmel mit mir durch? Er schoß aus den Büschen heraus und wollte nach links; ich riß ihn aber nach rechts herum und flog auf den Bullen zu. Er hörte mich kommen und wendete sich nach mir um; mich sehend, senkte er den Kopf, um Roß und Reiter mit den Hörnern zu empfangen. Ich hörte Sam aus allen Kräften schreien, hatte aber keine Zeit, den Blick nach ihm zu richten. Dem Bison eine Kugel geben, war unmöglich, denn erstens stand er mir nicht schußgerecht und zweitens wollte mir das Pferd nicht gehorchen; es schoß vor Angst grad auf die drohenden Hörner zu. Um es aufzuspießen, warf der Büffel seine Hinterbeine zur Seite und den Kopf mit einem gewaltigen Stoße in die Höhe; mit Anstrengung aller Kräfte gelang es mir, den Schimmel ein wenig abzubringen; er flog in einem weiten Satze über das Hinterteil des Bullen hinweg, während in demselben Augenblicke dessen Hörner ganz nahe an meinem Beine vorbeistießen. Unser Sprung ging grad in die Schlammlache hinein, in welcher der Büffel sich gewälzt hatte; ich sah es und nahm die Füße aus den Bügeln, zu meinem Glücke, denn das Pferd glitt aus und wir stürzten. Wie das so schnell geschehen konnte, ist mir heut noch unbegreiflich, doch stand ich schon im nächsten Augenblicke aufrecht neben der Lache, das Gewehr noch fest in der Hand. Der Büffel hatte sich nach uns umgedreht und sprang in ungelenken Sätzen auf das Pferd zu, welches sich auch aufgerafft hatte und im Begriffe stand, zu entfliehen. Dabei bot er mir seine Flanke zum Schusse; ich legte an; jetzt sollte sich der schwere Bärentöter zum erstenmal im Ernste bewähren. Noch einen Sprung, so hatte der Bison den Rotschimmel erreicht; ich drückte ab er blieb mitten im Laufe stehen, ob vor Schreck über den Schuß oder weil ich gut getroffen hatte, das wußte ich nicht; ich gab ihm sofort auch die zweite Kugel. Er hob langsam den Kopf, stieß ein mir durch alle Glieder gehendes Brüllen aus, wankte einigemal hin und her und brach dann auf derselben Stelle, wo er stand, zusammen.

Ich hätte vor Freude über diesen schweren Sieg hell aufjubeln mögen, hatte aber Notwendigeres zu tun. Mein Pferd setzte reiterlos nach rechts hinunter, während ich Sam Hawkens am jenseitigen Talrande dahingaloppieren sah, von einem Stiere verfolgt, welcher nicht viel kleiner als mein Bulle war.

Man muß wissen, daß der Bison, einmal gereizt, nicht von seinem Gegner läßt und es dabei an Schnelligkeit mit dem Pferde aufnimmt. Er entwickelt dann einen Mut, eine List und eine Ausdauer, die ihm vorher gewiß niemand zutraut.

So war auch dieser Stier dem Reiter hart auf den Fersen. Um ihm zu entgehen, mußte Hawkens die gewagtesten Wendungen machen, welche das Pferd ermüdeten; es hielt jedenfalls nicht so lange aus wie der Büffel; da war also Hilfe dringend nötig. Ich hatte keine Zeit, nachzusehen, ob mein Bulle wirklich tot sei oder nicht; ich lud schnell beide Läufe des Bärentöters und sprang dann über das Tal hinüber. Sam sah dies; er wollte der Hilfe entgegenkommen und warf sein Pferd in die Richtung nach mir herum. Das war ein großer Fehler, denn der Stier, welcher eng hinter ihm war, bekam dadurch das Pferd quer vor sich; ich sah, daß er die Hörner senkte; ein Stoß und er hob das Pferd samt dem Reiter empor und ließ, als sie dann zur Erde stürzten, mit wütenden und schüttelnden Stößen nicht von ihnen ab. Sam schrie um Hilfe, was er schreien konnte. Ich war wohl noch hundertfünfzig Schritte entfernt und durfte keinen Augenblick zögern. Der Schuß wäre zwar aus größerer Nähe sicherer gewesen, aber wenn ich zauderte, konnte Sam verloren sein, und wenn ich ja nicht gut traf, hatte ich doch hoffentlich den Erfolg, das Untier von dem Freunde abzulenken. Ich blieb also stehen, zielte hinter das linke Schulterblatt und schoß. Der Büffel hob den Kopf mit einer Bewegung, als ob er horchen wolle, und drehte sich langsam um. Da sah er mich und kam auf mich zugerannt, doch mit sich verringernder Schnelligkeit; dadurch glückte es mir, den abgeschossenen Lauf mit fiebernder Eile wieder zu laden, und ich war damit fertig, als das Tier höchstens noch dreißig Schritte zu mir zu machen hatte. Es konnte nicht mehr rennen; seine Bewegungen waren nur noch ein langsames Laufen; aber mit tief gesenktem Kopfe und blutunterlaufenen, grausam vorwärts glotzenden Augen kam es auf mich zu, näher und näher wie ein schweres Verhängnis, welches nicht aufzuhalten ist. Da kniete ich nieder und legte das Gewehr an. Diese Bewegung verursachte den Bison, stehen zu bleiben und den Kopf ein wenig zu heben, um mich besser oder voller sehen zu können. Das brachte die tückischen Augen vor meine beiden Läufe; ich schickte eine Kugel in das rechte und die andere in das linke ein kurzes Zittern ging durch den Leib, dann stürzte die Bestie nieder.

Ich sprang auf, um zu Sam zu eilen, doch war dies nicht notwendig, denn ich sah ihn gelaufen kommen.

»Halloo!« rief ich ihm zu. »Ihr lebt? Ihr seid nicht schwer verletzt?«

»Gar nicht,« antwortete er. »Nur die rechte Hüfte tut mir weh vom Sturze, oder ist’s die linke, wenn ich mich nicht irre; ich kann es nicht genau wegbekommen.«

»Und Euer Pferd?«

»Ist hin. Es lebt zwar noch, doch hat ihm der Büffel den ganzen Leib aufgerissen. Um seine Leiden abzukürzen, müssen wir es erschießen, das arme Tier. Ist der Bison tot?«

»Hoffe es; wollen ihn untersuchen.«

Wir taten dies und überzeugten uns, daß kein Leben mehr in ihm war. Da sagte Hawkens mit einem tiefen, tiefen Atemzuge:

»Hat mir dieser alte, brutale Ochse zu schaffen gemacht! Eine Kuh wäre zarter mit mir umgegangen. Freilich, Ochsen darf man nicht zumuten, ladylike zu sein, hihihihi!«

»Wie ist er denn auf den dummen Gedanken gekommen, mit Euch anzubinden?«

»Habt Ihr das nicht gesehen?«

»Nein.«

»Nun, ich schoß die Kuh nieder, und konnte, da mein Pferd im Galoppieren war, es grad erst in dem Augenblick anhalten, als es an diesen Ochsen anrannte. Das nahm er übel und nahm mich aufs Korn. Ich gab ihm zwar schnell die zweite Kugel, die ich in meiner Liddy hatte, sie scheint ihn aber nicht vernünftiger gemacht zu haben, denn er bewies mir eine Zuneigung, welche ich ihm nicht erwidern konnte. Er hat mich so gehetzt, daß es mir unmöglich war, das Gewehr wieder zu laden; ich habe es weggeworfen, weil es mir doch nichts nützte und ich dadurch die Hände zur besseren Leitung des Pferdes frei bekam, wenn ich mich nicht irre. Der arme Gaul hat sein Möglichstes getan, sich aber doch nicht retten können.«

»Weil Ihr die letzte schnelle, verhängnisvolle Wendung machtet. Ihr hättet einen Bogen reiten sollen; dadurch wäre das Pferd gerettet worden.«

»Gerettet worden? Ihr sprecht doch wie ein Alter. Das sollte man von einem Greenhorn nicht erwarten.«

»Pshaw! Greenhorns haben auch ihr Gutes!«

»Ja, denn wenn Ihr nicht gewesen wäret, so läge ich jetzt ebenso zerstochen und zerfetzt dort wie mein Pferd. Wollen doch einmal hin zu ihm.«

Wir fanden es in einem traurigen Zustande. Die Eingeweide hingen ihm aus dem aufgeschlitzten Leibe; es schnaubte vor Schmerzen. Sam holte seine weggeworfene Büchse, lud sie und gab ihm den Gnadenschuß. Dann schnallte er ihm die Zügel und den Sattel ab und sagte dabei:

»Jetzt kann ich mein eigenes Pferd machen und den Sattel auf meinen Rücken nehmen. Das hat man davon, wenn man mit einem Ochsen zusammenrennt.«

Gesammelte Wildwestromane & Geschichten von Karl May

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