Читать книгу Die Liebe des Ulanen - Karl May - Страница 7
Оглавление4. Eine Kriegskasse
Der freundliche Leser mag verzeihen, daß er jetzt aus dem Jahre 1870 ganz plötzlich um volle fünfundfünfzig Jahre in das Jahr 1814 zurückgeführt wird!
Es ist mit den Völkern ganz so wie mit dem einzelnen Menschen. Wer die Errungenschaften und Enttäuschungen, die Erfolge und Verluste des Alters verstehen will, der muß zur Jugendzeit zurückkehren. Ein Tag wächst aus dem anderen, ein Jahrhundert aus dem vorhergehenden heraus. Thaten und Ereignisse, die sich scheinbar nicht begreifen lassen, schlagen ihre verborgenen Wurzeln in die Vergangenheit. Und so wird auch Manches, was auf Ortry jetzt geschehen ist, und Vieles, was noch geschehen wird, nur dann verstanden werden, wenn der Vorhang zurückgezogen wird, hinter welchem die verflossenen Jahre im Dunkel liegen. –
Also es war im Jahre 1814. Napoleon der Erste war besiegt und bereits nach seinem Verbannungsorte, der Insel Elba unterwegs. Am 31. März waren die Verbündeten in Paris eingezogen, an ihrer Spitze die Herrscher Oesterreichs, Rußlands und Preußens. Einer aber, der zu dem Siege der vereinigten Waffen wohl das Meiste beigetragen hatte, saß auf dem Montmartre und konnte nicht mit theilnehmen; das war der alte Blücher.
Der greise Feldmarschall »Vorwärts« litt am Fieber und einer peinlichen Augenentzündung. Noch die Schlacht von Paris hatte er geleitet, mit dem Schirme eines grünseidenen Damenhutes vor den Augen. Als der Einzug begann, zeigte er sich auch, hoch zu Roß und den grünen Schirm unter dem Generalshute; aber es gelang den Bitten Gneisenaus und des Generalchirurchus Dr. Völzke, ihn zum Zurückbleiben zu bewegen.
Bald aber erlaubte ihm eine Besserung seines Zustandes, in der Stadt zu wohnen, und so bezog er das Palais des Herzogs von Otranto in der Rue Cerutti. Von hier aus spazierte er täglich in der Stadt herum, um die Sehenswürdigkeiten derselben kennen zu lernen. Am Liebsten ging er im Garten oder unter den Laubengängen des Palais Royal umher, den einfachen, bürgerlichen Ueberrock an und die unvermeidliche Pfeife im Mund. Oft saß er bei dem Gastwirthe Very in den Tuilerien, trank Kaffee mit Milch oder ein Warmbier und zog ganz gemüthlich den Rock aus, wenn es ihm zu warm wurde.
In diesem Locale saßen eines Nachmittags mehrere Herren beim L'Hombre. Ihrer Aussprache nach mußten sie geborene Franzosen sein, und ihre Haltung verrieth, daß man sie als Angehörige des Militärstandes betrachten müsse.
An einem in der Nähe stehenden Tische saß ein junger Mann in Civil, welcher sich den Anschein gab, als ob er völlig theilnahmslos sei, trotzdem aber jedes Wort der Unterhaltung vernahm, welche in den Zwischenpausen des Spieles geführt wurde.
Da öffnete sich die Thür, und es trat ein alter Herr ein, der einen sehr einfachen Anzug trug und nach einem kurzen Gruße an einem der vorderen Tische Platz nahm. Er bestellte sich eine Tasse Warmbier und war, als er sie erhalten hatte, so mit ihr beschäftigt, daß er sich um die anderen Anwesenden gar nicht kümmerte. Der Kopf dieses alten Herrn war herrlich geformt, hatte eine prächtige Stirn, eine starke, gekrümmte Nase, dunkel geröthete Wangen und einen feinen Mund, welcher von einem dichten, herabhängenden Schnurrbart beschattet wurde. Zu dem wohlgeformten Kinn paßten die tüchtig ausgearbeiteten Züge und das hellblaue Auge, dessen Blick eine treuherzige Sanftheit besaß, aber auch die Fähigkeit zu besitzen schien, scharf und stechend zu werden.
Der Mann verlangte noch eine Tasse und dann abermals eine. Draußen schien die Sonne heiß hernieder; im Raume des Gastzimmers war es schwül, und so durfte man sich nicht darüber wundern, daß es dem Alten bei dem dampfenden Warmbiere etwas zu warm wurde. Er machte gar keine Umstände, sondern zog seinen Rock aus, hing denselben an die Wand und saß nun hemdärmelig da, als ob dies hier in Paris etwas ganz und gar nichts Außergewöhnliches sei. Die Herren Franzosen aber, welche diese Nachlässigkeit bemerkten, schienen anders zu denken, denn einer von ihnen meinte:
»Wer mag dieser Mensch sein? Geht man denn darum aus, um mit der Hefe des Volkes in einem und demselben Locale zu sitzen!«
Sein Nachbar nickte und erklärte:
»Ein Franzose ist er auf keinen Fall. Ein solcher wird es niemals wagen, die Regeln des Anstandes und der guten Sitte in einer solchen Weise zu verletzen. Ich halte ihn vielmehr für einen Deutschen. Diese Barbaren werden niemals lernen, höflich zu sein. Ihre Kriegsführung ist eine vandalische; ihre Vergnügungen sind roh, und alle ihre Gewohnheiten stoßen ab. Seht Euch nur diesen Menschen an! Er ist ein Bauer, ein ungezogener Kohlenbrenner, dem man die Thür zeigen müßte!«
»Warum thun wir das nicht?« fragte der Dritte. »Warum befehlen wir dem Kellner nicht, diesem Flegel eine Ohrfeige zu geben und ihn dann hinauszuwerfen? Die Deutschen sind Hunde, welche Prügel erhalten müssen!«
Da erhob sich der junge Mann, welcher am Nebentische saß, trat herbei und sagte:
»Messieurs, erlauben Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle! Mein Name ist Hugo von Königsau, Lieutenant im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen. Der Herr, von welchem Sie soeben gesprochen haben, ist Seine Excellenz Feldmarschall von Blücher. Ich erwarte, daß Sie Alles das, was Sie von ihm und dann von den Deutschen im Allgemeinen sagten, hiermit widerrufen!«
Die Leute schienen doch ein Wenig zu erschrecken, als sie hörten, daß der von ihnen Beschimpfte der berühmte Marschall sei, vor dem sogar der Stern des großen Napoleon hatte erbleichen müssen. Nur der, welcher zuletzt gesprochen hatte, schien sich nicht werfen lassen zu wollen. Er erhob sich von seinem Stuhle, stellte sich dem Deutschen in drohender Haltung gegenüber und antwortete:
»Monsieur, wir haben ganz und gar nicht den Wunsch geäußert, Ihre Bekanntschaft zu machen; es ist also eine unverzeihliche Zudringlichkeit von Ihnen, sich uns vorzustellen, eine Zudringlichkeit, welche ganz und gar rechtfertigt, was wir von den Deutschen gesagt haben. Was jenen Herrn betrifft, so ist es ganz und gar gleich, ob sich ein Feldmarschall oder ein Schifferweib ungezogen beträgt. Wir nehmen nicht einen Buchstaben von den Worten zurück, welche wir ausgesprochen haben!«
»So darf ich wohl um Ihren Namen bitten, Monsieur?« fragte der Deutsche.
»Ich brauche mich seiner nicht zu schämen. Ich bin Albin Richemonte, Capitän der kaiserlichen Garde.«
Der Deutsche verbeugte sich höflich und sagte:
»Sie widerrufen also nicht, Herr Capitän?«
»Nein, kein Wort, keine Silbe, keinen Laut!« antwortete der Franzose stolz.
Er hatte bemerkt, daß Blücher der Unterhaltung aufmerksam folgte, trotzdem er sich den Anschein gab, als ob er gar nichts höre.
»Sie erklären also den Feldmarschall wirklich für einen Flegel und die Deutschen für Hunde, welche Prügel erhalten müssen?« fragte Königsau weiter.
»Allerdings,« antwortete Richemonte mit frechem Lachen.
»So werden Sie mir gestatten, Ihnen meinen Secundanten zu senden!«
»Ah pah! Ich schlage mich mit keinem Deutschen!« meinte der Andere verächtlich.
»Wirklich nicht? Das ist ebenso feig wie niederträchtig! Wenn Sie meinen, daß wir Deutschen Hiebe haben müssen, so haben umgekehrt doch gerade jetzt die Franzosen ganz fürchterliche Prügel empfangen. Da Sie dies aber nicht zu wissen, oder wenigstens zu beherzigen scheinen, so sollen Sie hiermit noch nachträglich das empfangen, was nicht uns, sondern Ihnen gehört!«
Er holte aus und versetzte dem Franzosen eine ganz gewaltige Ohrfeige, welcher so schnell eine zweite, dritte und noch mehrere folgten, daß der Geschlagene gar nicht Zeit fand, an eine Gegenwehr zu denken. Die Anderen waren über diese Züchtigung und über die Schnelligkeit und Kraft, mit welcher sie verabreicht wurde, so erstarrt, daß es ihnen gar nicht beikam, ein Glied zu rühren.
Endlich ließ Königsau von dem Franzosen ab. Erst jetzt kam dieser zur Besinnung des Ungeheuerlichen, was mit ihm geschehen war. Er fuhr mit der Hand nach seiner linken Seite, wo sich der Degengriff zu befinden pflegt; da er aber in Civil war und keine Waffe trug, so zog er die Hand wieder zurück, ballte sie und warf sich auf den Deutschen mit den Worten:
»Hund, Du hast mich nur überrascht! Jetzt aber gilt es Dein Leben!«
Er holte aus, empfing aber in diesem Augenblicke von Königsau einen so gewaltigen Faustschlag in das Gesicht, daß er zurücktaumelte und niederstürzte.
Es waren noch mehrere Gäste da, meist Deutsche, welche hier verkehrten, weil sie da den Helden Blücher zu sehen bekamen. Auch ihnen war der blitzschnelle Angriff Königsau's überraschend gekommen; jetzt aber eilten sie herbei, um ihm nöthigenfalls beizustehen. Der Wirth jedoch kam ihnen zuvor. Er erkannte das Gefährliche seiner Lage, die Deutschen waren Sieger; er durfte sie, welche jetzt in Paris die Oberhand hatten, nicht beleidigt lassen; daher nahm er mit seinen Leuten den Capitän der alten Garde in die Mitte und drängte ihn aus dem Gastzimmer in das danebenliegende Privatzimmer hinaus, wo man den Gezüchtigten noch lange toben hörte.
Nach all' den erzählten Vorfällen stand endlich Blücher auf, trat zu Königsau heran, klopfte ihm auf die Achsel und sagte in höchst wohlwollendem Tone:
»Das hast Du sehr gut und brav gemacht, mein Sohn! Wer keine Genugthuung geben will, der muß Keile kriegen, und die hat es gesetzt, ganz gewaltig. Ich hatte auch gehört, was diese Hallunken sagten, und ich hätte ihnen weiß Gott ein Tüchtiges über den Schnabel gehauen, wenn Du mir nicht zuvorgekommen wärest. Wie ist Dein Name, mein Sohn?«
Der Lieutenant wunderte sich nicht über die kernige Redeweise des Marschalls; man war sie von ihm gewohnt; auch wußte man, daß er, wenn er sich in guter Stimmung befand, selbst hohe Stabsofficiere mit »Du« anredete; es war dies eine ganz besondere Ehre für den Betreffenden. Er antwortete in militärisch strammer Haltung:
»Hugo von Königsau, Excellenz.«
»Und Du bist Officier, mein Sohn?«
»Lieutenant bei den Ziethenhusaren, Excellenz.«
»Lieutenant?« brummte der Alte. »Ein Kerl, der so zuhauen kann, erst Lieutenant? Du sollst Rittmeister werden, mein Sohn. Komm morgen Früh zu mir, da wollen wir die Sache in Ordnung bringen. Jetzt aber trinkst Du ein Schöppchen Warmbier mit mir und ziehst Deinen Gottfried gerade so aus wie ich; es ist verdammt warm in diesem Hause, wenn draußen die Sonne brennt und hinnen das Warmbier. Komm, Junge, und genire Dich nicht. Wir sind alle Menschen, und wegen diesen verdammten Franzmännern schmore ich mir nicht mein Fleisch von den Knochen herunter!«
Königsau mußte gehorchen. Er setzte sich zu dem Marschall an den Tisch, zog seinen Rock auch herunter und unterhielt sich nun hemdärmelig mit ihm, als ob er einen Kameraden vor sich habe. Die Vertraulichkeit des Alten brachte ihn nicht im Mindesten in Verlegenheit. Man kannte Blücher zur Genüge, und keiner seiner Officiere ließ sich gegebenen Falles dadurch aus der Fassung bringen. Kam es doch häufig vor, daß der Alte mitten auf der Straße seine Pfeife an dem Stummel eines Landwehrmannes in Brand setzte und dann mit einem Fluche zu diesem sagte:
»Kerl, was rauchst Du denn für ein Karnickel? Ich verstänkere mir doch meinen ganzen Tobak an Deinen Lorbeerblättern! Wirft's denn nicht mehr ab, he?«
Als Hugo von Königsau am anderen Morgen vorgeschriebenermaßen zu Blücher kam, um sein Rittmeisterpatent in Empfang zu nehmen, sagte dieser:
»Höre, mein Sohn, das ist eine ganz verteufelte Geschichte. Da habe ich am zweiten April den Befehl über das schlesische Heer niedergelegt, und nun denken diese Federfuchser, ich hätte nichts mehr zu sagen. Ich habe Dich empfohlen, aber es ist leider keine Rittmeisterei mehr offen. Aber ich werde an Dich denken, und sobald die Gelegenheit vorhanden ist, sollst Du sehen, daß ich Wort halte. Dort am Fenster steht der Pfeifenkasten und daneben der Tabak. Stopfe Dir eine, mein Sohn. Bei einer Pfeife plaudert es sich besser, und ich habe jetzt gerade Zeit, was sonst nicht oft vorzukommen pflegt.«
Königsau fühlte sich von dieser Nachricht natürlich ein Wenig enttäuscht, doch war ihm die Leutseligkeit des Marschalls ein fast genügender Ersatz für die nicht in Erfüllung gegangene Erwartung des versprochenen Avancements. Als er später entlassen wurde, hatte er nicht weit zu gehen, da er in derselben Straße wohnte; doch sollte er nicht so schnell, als er dachte, in sein Logis kommen.
Eine junge Dame ging vor ihm her. Ihre Kleidung war diejenige der feineren Stände; sie mußte, soviel er von hinten bemerkte, von einer nicht gewöhnlichen Schönheit sein. Sein Auge haftete mit ungewöhnlichem Interesse an ihrer hohen, stolzen Gestalt, an der zierlichen Haltung ihres Kopfes und den kleinen Füßen, welche er bemerken konnte, da sie das Kleid leicht emporgerafft trug.
Da kamen zwei Kosakenofficiere ihm entgegen. Sie sahen die Dame, nickten einander lüstern zu und blieben nun auf dem Trottoir in einer so breitspurigen Weise stehen, daß sie nicht vorüber konnte. Sie wollte sich trotzdem an ihnen vorbeidrängen, da aber ergriff sie der eine beim Arme und fragte in seinem schlechten Französisch:
»Fürchten Sie sich nicht, Mademoiselle, bei der gegenwärtigen fremden Bevölkerung so allein auf der Straße zu gehen? Wir werden Sie begleiten.«
Sie blickte ihn groß und erstaunt an und antwortete:
»Ich danke, Monsieur; ich bedarf Ihrer Begleitung nicht!«
Um ihn anzusehen, hatte sie sich zur Seite gedreht, und dadurch bekam Königsau ihr Profil zu sehen, ein Profil von so seltener Reinheit, so voll und doch so weich und zart, wie er glaubte, noch niemals eins gesehen zu haben.
Der Russe ließ trotz der Ablehnung ihren Arm nicht los, sondern sagte lachend:
»Es ist möglich, daß Sie unserer Begleitung nicht bedürfen, aber in unserer Heimath ist es nicht Sitte, eine Dame ohne Schutz auf der Straße zu lassen. Sie werden so freundlich sein, uns Ihre Wohnung zu nennen, Mademoiselle.«
Da trat Königsau hinzu, ergriff die Hand, welche ihren Arm gefaßt hielt, und drückte die Finger derselben mit solcher Gewalt zusammen, daß der Russe die Dame fahren ließ. Trotz dieser Handgreiflichkeit verbeugte er sich sehr höflich und sagte:
»Verzeihung, meine Herren Kameraden, diese Dame bedarf Ihrer Begleitung wirklich nicht; sie ist meine Braut, ich blieb nur ein Wenig zurück.«
Bei diesen Worten schlug eine jähe Röthe über das wunderschöne Gesicht des Mädchens, aber es sagte kein Wort, ihn Lügen zu strafen. Der Russe fragte ihn:
»Sie nennen mich Kamerad. Sind Sie Officier?«
»Ja.«
»Ihr Name?«
»Hugo von Königsau, von den Ziethenhusaren.«
»Ah, das ist eine wackere Truppe. Ich gratulire Ihnen zu Ihrer Braut und bitte um Verzeihung. Wir sahen Sie wohl auch, wußten aber nicht, daß Sie zu einander gehörten.«
Er hatte seine erste Frage mit zornig blitzenden Augen ausgesprochen, gab aber seine letzte Antwort bedeutend freundlicher. Er mochte erfahren haben, daß mit den Ziethenhusaren nicht sehr zu spaßen sei. Er schritt mit seinem Begleiter weiter, während Königsau den Arm der Dame sanft in den seinen zog und so mit ihr den Weg fortsetzte. Sie blickte ihn forschend von der Seite an; er that, als ob er es nicht bemerke, obgleich er förmlich fühlte, daß ihr Auge auf ihm ruhe. Erst nach einer Weile sagte er:
»Mademoiselle, ich bin sehr kühn gewesen, und ich fühle, daß ich mich zu entschuldigen habe.«
Er schwieg. Vielleicht erwartete er, ein Wort aus ihrem Munde zu hören; da sie aber schwieg, so fuhr er fort:
»Ich kenne nämlich diesen Russen. Es war Graf Mertschakeff, der wegen seiner Rohheiten mehr berüchtigt und gefürchtet, als berühmt ist. Ich war gewiß, daß er sich nicht zurückweisen lassen werde, und wagte daher, Sie meine Braut zu nennen, das einzige Mittel, Sie von ihm zu befreien. Werden Sie mir dies verzeihen können?«
Er blickte ihr jetzt zum ersten Male in die Augen. Es waren dunkle Sammetaugen, in denen sein Blick sich ein ganzes Leben lang hätte versenken mögen. Sie sah ihn offen und freundlich an und sagte:
»Ich verzeihe Ihnen und sage Ihnen herzlichen Dank, Monsieur!«
»Darf ich fragen, ob Sie noch weit zu gehen haben?«
»Einige Straßen weit.«
»Ich weiß, daß Sie wünschen werden, wieder in den Besitz Ihres Armes zu gelangen; aber wenn ich denke, daß Sie leicht eine ähnliche Begegnung haben können, so halte ich es für meine Pflicht, Sie noch nicht zu verlassen. Befehlen Sie, was geschehen soll!«
Sie blickte forschend die Straße hinab, und da sie dort mehrere militärische Gruppen bemerkte, so antwortete sie zögernd:
»Ich darf Sie doch kaum belästigen; aber da unten giebt es wieder Russen. Wollen Sie erlauben, daß ich mich Ihnen anvertraue?«
»Wie gern, wie sehr gern, Mademoiselle!«
Sie fühlte, als er diese Worte sprach, einen unwillkürlichen, freudigen Druck seines Armes. War sie hier etwa aus dem Regen in die Traufe gekommen? Sie blickte fast erschrocken zu ihm auf. Aber seine Stimme hatte so bescheiden geklungen, und sein offener Blick ruhte so mild auf ihrem Gesichte, daß sie sich beruhigte.
So schritten sie neben einander her durch mehrere Straßen, ohne den Versuch zu machen, Ihre Unterhaltung fortzusetzen. Aber zwischen zwei jungen Herzen ist ein solches Schweigen beredter als die wohlgesetzteste Rede. Die Bewegung des Gehens, und besonders das Einbiegen aus einer Straße in die andere, brachte es mit sich, daß ihre Arme sich enger an einander legten. In solchen Momenten fühlte er eine eigenthümliche, sympathische Wärme von ihr aus- und auf ihn übergehen.
Ihre Blicke trafen sich unwillkürlich; sie erröthete dann allemal leicht und senkte die langen Wimpern nieder, während es ihm war, als habe er sich aus der Tiefe ihres Auges ein süßes Eigenthum herausgeholt. Und als sie endlich vor dem Portale eines Hauses stehen blieb, deuchte es ihm, als sei er nicht einige Minuten, sondern Jahre lang an ihrer Seite gewesen.
»Hier wohne ich, mein Herr!« sagte sie.
»So muß ich Sie verlassen!«
Sie hörte deutlich, daß ein Seufzer diese Worte emporgetragen hatte. Ihr großes, dunkles Auge richtete sich mit einem so warmen, ehrlichen Blick auf ihn, daß er sie hätte an sein Herz ziehen mögen, und dabei fragte sie:
»Sie sagten, daß Sie bei den Ziethenhusaren stehen, Monsieur. So sind Sie ein Preuße?«
»Ja.«
»Wissen Sie, daß wir hier in Paris die Preußen hassen?«
»Daran thun Sie Unrecht, Mademoiselle. Man soll keinen Menschen hassen, ohne genau zu wissen, daß er den Haß auch wirklich verdient.«
»Sie wollen sagen, daß Sie unseren Haß nicht verdienen?«
»Wenigstens den Ihrigen möchte ich mir um keinen Preis verdienen. Ich bin als Soldat hier, weil es meine Pflicht war, meiner Fahne zu folgen, aber ich hasse keinen Franzosen um des Umstandes willen, daß er ein Franzose ist.«
»Ja, so sehen Sie mir aus, Monsieur, so gut und bieder. Darum will ich auch bei Ihnen die einzige Ausnahme von der Regel machen, welche ich einzuhalten pflege. Sie haben mich so freundlich beschützt; ich lade Sie ein, Mama und mich zu besuchen, falls Ihnen mein Wunsch, Sie Mama vorzustellen, nicht unangenehm ist.«
Sein Gesicht strahlte eine ehrliche, ungeschminkte Freude aus, die das Herz des schönen Mädchens gefangen nahm. Er antwortete:
»Unangenehm? O nein, ich bin im Gegentheile von Herzen erfreut über diese Ausnahme und werde Ihrer Einladung folgen, wenn Sie mir die Stunde sagen wollen, in welcher ich Sie nicht störe.«
»So kommen Sie drei Uhr, Monsieur. Haben Sie da Dienst?«
»Nein. Ich werde sicher kommen.«
»Hier ist meine Karte!«
Sie zog ein kleines, zierliches Kärtchen hervor, auf welches er jetzt seinen Blick noch nicht zu werfen wagte, dann nickte sie ihm vertraulich zu, wie einem alten, lieben Bekannten, ehe sie in der Tiefe des Hausflures verschwand.
Fast hätte er die Karte an seine Lippen gedrückt. Er hatte bereits die Hand erhoben, es zu thun, dachte aber noch zur rechten Zeit daran, daß er sich in einer sehr belebten Straße befinde, wo man seine Begeisterung belächeln werde.
Erst als er eine bedeutende Strecke zurückgelegt hatte, las er den Namen, welcher auf der Karte stand. In feinen, dünnen Zügen stand da gedruckt »Margot Richemonte, Rue d'Ange 10«. Fast hätte er den Schritt angehalten.
»Margot Richemonte?« fragte er sich. »Hieß nicht der Gardecapitän auch Richemonte, welcher gestern die Ohrfeigen von mir erhielt? Ist er vielleicht mit ihr verwandt? Ah, pah! Wie viele Namen sind gleichlautend. Wer wird gleich an so etwas denken!«
In seiner Wohnung angelangt, nahm er ein Buch zur Hand und setzte sich auf das Sopha. Aber eigenthümlich! Das Lesen wollte nicht von Statten gehen. Er hörte immer den eigenthümlich ernsten Klang ihrer Stimme, und wenn er sich Mühe gab, seine Aufmerksamkeit auf die Lectüre zu concentriren, so zogen sich die Buchstaben zusammen und bildeten ein Gesicht, so schön, so rein und mädchenhaft, wie gerade sie es gehabt hatte.
Er legte das Buch fort, stand auf und wanderte im Zimmer hin und her.
»Ich glaube, dieses Mädchen hat es mir angethan,« sagte er. »Eine Französin! Sind die Französinnen mir nicht als leicht, flüchtig, untreu geschildert worden? Und nun finde ich ein solches Gesicht, ein Gesicht, auf welches man Häuser bauen könnte! Ich werde keinem Menschen davon erzählen, denn ich würde ausgelacht. Die Französinnen sind Champagner, Esprit, Mousseux; sie sind nur zum Vergnügen da. Ein Deutscher macht andere Ansprüche!«
Aber trotz dieser Gedanken konnte er das Gesicht und den Ton dieser Stimme nicht los werden. Er frühstückte, aber ohne Gedanken, fast ohne zu wissen, was er aß. Er konnte die drei Uhr gar nicht erwarten; er wollte sich dies zwar nicht eingestehen, aber als er in der Rue d'Ange vor der betreffenden Thüre stand und nach der Uhr blickte, da bemerkte er, daß er über eine Viertelstunde zu früh gekommen sei. Er mußte einstweilen weiter gehen, um diese Zeit noch verstreichen zu lassen.
Aber mit dem Glockenschlage erreichte er die Nummer Zehn. Er fand, daß die erste Etage des Hauses in zwei Wohnungen getheilt sei. Sein erster Blick fiel auf die Thür rechts. Da las er das Schild »Veuve Richemonte«. Das war jedenfalls Margot's Mutter. Also Wittwe war dieselbe? So besaß Margot keinen Vater mehr. Dies war vielleicht eine Erklärung für den Ernst, welcher ihr ganzes sonst so liebliches Wesen umfloß.
Er klingelte. Ein Mädchen erschien. Er nannte seinen Namen und wurde eingelassen.
Das Mädchen öffnete ihm die Thür eines Salons, dessen Ameublement zwar sehr anständig, aber nicht herrschaftlich reich zu nennen war. Auf einer Chaise longue ruhte eine Dame, in welcher er sofort Margot's Mutter vermuthete. Sie war einfach schwarz gekleidet. Ihr Haar war voll, schimmerte aber bereits in das Grau hinüber. Die Züge dieser Dame waren sanft und trugen jenen passiven Zug, welcher auf eine Verstimmung des Gemüthes, auf ein stilles, verschwiegenes Leiden schließen läßt. Ihr dunkles Auge ruhte forschend auf dem Eintretenden. Sie erhob sich bei seiner respectvollen Verneigung ein Wenig aus ihrer liegenden Stellung und sagte:
»Seien Sie mir willkommen, Monsieur! Sie müssen verzeihen, daß meine Tochter noch nicht zugegen ist, um Sie zu empfangen, aber ich habe es vorgezogen, Ihnen zunächst eine aufrichtige Bemerkung zu machen. Nehmen Sie Platz!«
Er setzte sich, während ihr Auge noch immer auf ihm ruhte, als ob sie ihm bis in die Tiefe seiner Seele blicken wolle.
Welch' ungewöhnlicher Empfang war dies? So fragte er sich. Was hatte sie ihm zu sagen, bevor sie ihrer Tochter den Eintritt gestattete? Er sollte es gleich hören, denn die Dame begann:
»Sie haben sich meines Kindes angenommen, und mein Mutterherz ist Ihnen natürlich dankbar dafür. Margot hat gewünscht, daß ich Sie kennen lernen solle, aber ich weiß nicht, ob Sie sich vielleicht enttäuscht fühlen werden. Sie sind natürlich gewohnt, sich die Pariser Welt als heiter, gern genießend und leichtlebig zu denken. Sie mögen bis zu einem gewissen Puncte Recht haben. Sie sind Officier. Diese Herren machen gern die Bekanntschaft junger Damen. Es ist dies eine Art von Sport für sie; sie wollen sich unterhalten; sie wollen tändeln; sie wollen sich ihrer Eroberungen rühmen. Ich habe diesen Sport nie gut heißen können; ich habe Margot diesen Kreisen stets fern gehalten. Ich liebe mein Kind; es ist so lieb und es soll nicht unglücklich werden. Das ist der heißeste Wunsch meines Herzens.«
Sie hielt inne, wie um zu überlegen, ob sie nicht zu viel gesagt habe, ob sie nichts Beleidigendes ausgesprochen habe. Es dünkte ihm, als hätte sie sagen wollen:
»Ich liebe mein Kind, und es soll nicht unglücklich werden; nicht so unglücklich, wie seine Mutter ist.«
Sie fuhr fort:
»Ich habe Margot's Wunsch erfüllt. Sie hat die Einladung ausgesprochen, und es wäre ja wohl eine Beleidigung für Sie gewesen, wenn ich dieselbe desavouirt hätte. Ich hätte dies auch gar nicht vermocht, da wir Ihre Wohnung nicht kennen. Sollten Sie mit der Erwartung gekommen sein, hier ein Amusement zu finden, so wird diese Erwartung wohl schwerlich erfüllt werden, Monsieur. Das ist es, was ich Ihnen sagen wollte, und ich hoffe, daß Sie sich nicht davon beleidigt fühlen.«
»Beleidigt?« fragte er. »Sie haben die vollste Berechtigung, so zu sprechen, Madame. Sie bedienen sich eines ganz bezeichnenden Ausdruckes, indem Sie von jenem Sport sprechen. Die Officiere aller Länder sind sich in dieser Beziehung gleich. Ich hasse, ich verachte diesen Sport gleich Ihnen. Ich sehe in dem Menschen nicht ein Geschöpf, welches nur die Aufgabe hat, mich zu erheitern, mir die Zeit zu verkürzen. Ich bin gewohnt, das Leben von der ernsten Seite zu nehmen, und es freut mich, in Ihnen eine gleichgesinnte Natur zu entdecken. Gerade die gegenwärtige Zeit ist eine ernste, und ich habe wirklich nicht die Absicht, eine Minute von ihr zu vertändeln. Ich habe Fräulein Margot einen kleinen Dienst erwiesen, wie ich ihn jeder Dame erweisen würde; das ist nur Pflicht, das begründete keinen Anspruch auf Ihre besondere Dankbarkeit. Desto mehr bin ich erfreut gewesen über die Erlaubniß, mich Ihnen vorstellen zu dürfen. Beunruhigt Sie jedoch meine Gegenwart, so bin ich bereit, Sie sofort zu beruhigen.«
Er erhob sich von seinem Sitze. In ihrem Auge glänzte etwas wie ein stilles, zufriedenes Lächeln. Sie winkte ihm mit der Hand zu, sitzen zu bleiben, und sagte:
»Ich möchte annehmen, daß Margot sich nicht geirrt hat, ich finde Sie so, wie Sie von ihr geschildert worden sind. Bleiben Sie, Monsieur, und versuchen Sie, der Unterhaltung zweier einsamer Damen einigen Geschmack abzugewinnen! Besitzen Sie auch eine Mutter?«
»Leider nicht mehr, Madame. Meine Eltern sind todt.«
»Das ist ein schwerer Verlust. Aber vielleicht haben Sie Geschwister?«
»Auch nicht. Ich stehe allein in der Welt. Ich lebe meiner Pflicht und in den Musestunden meinen Büchern, die meine aufrichtigsten Freunde sind.«
In dieser Weise wurde die Unterhaltung noch ein Weilchen fortgeführt, bis Margot eintrat. Sie trug ein einfaches Hauskleid und sah in demselben so reizend hausmütterlich, so wirthschaftlich aus, daß ihm das Herz weit wurde. Als sie ihm die Hand reichte, breitete sich ein leises Roth über ihre Wangen aus. Er sah, daß er ihr nicht unwillkommen sei, und war ganz glücklich darüber.
Auch ihre Mutter wurde später heiterer. Sie schien Vertrauen zu ihm zu fassen, und als er sich verabschiedete, erlaubte sie ihm, morgen um dieselbe Zeit wieder zu kommen.
Er ging, ganz erfüllt von dem Eindrucke, den das schöne Mädchen auf ihn gemacht hatte. Noch glücklicher wäre er gewesen, wenn er gehört hätte, was nach seinem Fortgange über ihn gesprochen wurde.
»Dieser junge Mann ist wirklich anders als die Leute seines Alters und die Herren seines Standes,« sagte Frau Richemonte. »An ihm könnte Albin sich ein Beispiel nehmen. Wo er nur wieder bleibt? Er hat sich seit zwei Tagen nicht sehen lassen.«
»Vielleicht kommt er jetzt,« sagte Margot.
Es hatte geklingelt. Die beiden Damen zeigten aber keineswegs jene freudige, erwartungsvolle Miene, welche das Nahen einer gern gesehenen Person verkündet.
»Monsieur le Baron de Reillac!« rief das Mädchen zur Thür herein.
Und nach diesem Rufe erschien auch sogleich der Genannte im Zimmer. Er war ein langer, sehr hagerer Mann. Er mochte vielleicht fünfundvierzig Jahre zählen, trug sich aber trotzdem ganz wie ein junger, lebenslustiger Elegant gekleidet. Man hätte ihn nicht häßlich nennen können, aber er hatte doch, Alles in Allem summirt, Etwas an sich, was bereits beim ersten Blicke verhinderte, Sympathie für ihn zu fühlen.
Er verbeugte sich auf eine höchst stutzermäßige Manier, tänzelte erst zur Mutter und dann zur Tochter, um ihnen die Hand zu küssen, und fragte dann, sich niedersetzend:
»Ich habe drüben geklingelt, aber keine Antwort erhalten. Monsieur Albin befindet sich wohl nicht zu Hause?«
»Ich habe ihn seit gestern nicht gesehen,« antwortete Frau Richemonte. Und mit einem trüben, vorwurfsvollen Blicke fügte sie hinzu: »Ich darf wohl annehmen, daß er sich in Ihrer Gesellschaft befunden hat?«
»Allerdings,« antwortete der Gefragte. »Wir waren am Tage ausgefahren und Abends im Club, wo man Vieles und Ausführliches zu besprechen hatte. Man hält das Exil des Kaisers nicht für ein ewiges. Man fragt bereits, wie man sich zu verhalten haben wird, wenn er zurückkehrt, um seine Rechte geltend zu machen –«
»Um Gottes willen, welche Unvorsichtigkeit!« rief Madame. »Noch sind die Sieger in unseren Mauern, und Sie fangen bereits zu conspiriren an!«
»Keine Sorge!« lachte der Baron. »Man ist vorsichtig! Man ist klug; wenigstens in dieser Beziehung. In anderer freilich ist man desto unkluger. Werden Sie dies glauben, Madame?«
Es lag ein Nachdruck in seinem Tone, der sie schnell aufblicken ließ.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen,« sagte sie.
»O,« sagte er, süßlich lächelnd, »ich meine nur, daß ich in Beziehung auf Politik meinen Mann stelle, in geschäftlicher Hinsicht aber viel zu nachsichtig bin.«
Frau Richemonte wüthete; sie hustete leise in das Taschentuch und meinte:
»Sind Sie vielleicht gekommen, um über Geschäfte mit mir zu sprechen, Herr Baron?«
Er räusperte sich, wie sich das Raubthier die Krallen wetzt, ehe es sich auf seine Beute wirft, und antwortete dann:
»Eigentlich nicht. Ich wollte Monsieur Albin sprechen. Er gab mir gestern Abend sein Ehrenwort, heute zu Hause zu sein.«
»Sein Ehrenwort?« fragte die Dame. »Das ist doch ganz unmöglich!«
»Warum unmöglich, Madame? Zweifeln Sie vielleicht an meiner Wahrheitsliebe?«
»Dies will ich nicht sagen. Aber wenn Albin Ihnen sein Ehrenwort giebt, wird er es auch halten. Er ist Officier.«
Der Baron zuckte die Achseln.
»Officier? Ja. Sogar Capitän der Garde! Aber pah! Man kann trotzdem sein Ehrenwort brechen. Giebt es doch Capitäns der Garde, welche sich ungestraft ohrfeigen lassen!«
Die Dame erbleichte.
»Was meinen Sie?« fragte sie. »Sie wollen doch nicht sagen, daß mein Stiefsohn –«
Sie hielt inne. Es wurde ihr zur Unmöglichkeit, das Wort auszusprechen; der Baron jedoch that es an ihrer Stelle:
»Daß Ihr Stiefsohn geohrfeigt worden ist? Ja, gerade dies will ich sagen.«
Da sprang die Frau von der Chaise longue auf und rief:
»Sie lügen, Baron!«
Auch Margot hatte ihren Sitz verlassen; sie war an die Seite der Mutter getreten, wie um ihr beizustehen gegen alle Angriffe des Aergers und der Betrübniß.
»Ich lügen?« fragte der Baron. »Monsieur Albin hat es mir selbst erzählt, und auch im Club wurde leise davon gesprochen. Es sind drei Herren dabei gewesen, mit denen er am Spieltische gesessen hat. Er hat die Deutschen Hunde genannt und den Feldmarschall Blücher, welcher zugegen gewesen ist, einen Flegel. Dafür hat er von einem deutschen Officier, dessen Forderung er ausschlug, einige Dutzend Ohrfeigen erhalten.«
»Mein Gott, welche Schmach!« rief Frau Richemonte, auf ihren Sitz zurücksinkend.
Aber es lag in ihrem Ausrufe nicht der Aufschrei eines zerrissenen Mutterherzens; es klang wie Verachtung, die tiefste, unheilbarste Verachtung.
»Wenn solche Dinge geschehen, so werden Sie auch die Möglichkeit zugeben, daß er sein Ehrenwort bricht, Madame,« fuhr der Baron fort. »Er hat mir versprochen, am Nachmittage zu Hause zu sein.«
»Ah, so handelt es sich auch hier um eine Ehrensache?«
»Natürlich! Man arrangirte im Club ein kleines Spielchen, an welchem sich auch Monsieur Albin betheiligte. Er hatte Unglück. Ich schoß ihm fünftausend Franken vor, die er mir heute drei Uhr Nachmittags in seiner Wohnung zurückzugeben versprach. Ich komme um fünf Uhr, und dennoch ist er nicht hier.«
»Mein Gott, auch das noch!« klagte die Dame. »So wächst seine Schuld ja doch in das Riesenhafte!«
Der Baron nickte mit dem Kopfe und antwortete:
»Sie haben Recht, meine Gnädige! Haben Sie eine Ahnung, wie viel er mir bereits gegen Wechsel schuldet?«
»Wie sollte ich das wissen?«
»Ueber zweimal hunderttausend Franken.«
»Zweimal hund-!«
Das Wort blieb ihr auf der Zunge liegen. Margot war schreckensbleich geworden. Der Baron beobachtete die Beiden mit einem versteckten, siegesgewissen Lächeln.
»Aber das ist ja die reine Unmöglichkeit! Das ist ganz unglaublich!«
Bei diesen Worten der Dame zuckte der Baron die Achsel und antwortete:
»Unglaublich? Warum? Monsieur Albin hat sehr noble Passionen. Er spielt hoch; er verehrt dieser oder jener Tänzerin ein Geschmeide im Werthe von zehntausend Franken. Vermögen hat er nicht mehr. Gehalt erhält er nicht, da der Kaiser gefangen ist. Wie bald ist da ein solches Sümmchen ernporgelaufen!«
»So mag er sehen, wie er es wieder herunter bringt!« sagte Madame entschlossen. »Er ist mein Stiefsohn, und doch habe ich mich bereits für ihn aufgeopfert. Nun bin ich selbst arm. Er mag sehen, wer ihm hilft. Ihnen aber, Baron, schulde ich keinen Dank, daß Sie ihn in seiner wahnsinnigen Verschwendung unterstützen. Hätten Sie ihm nichts gegeben, so hätte er sparsamer leben müssen!«
Da glühte das Auge des Angeredeten in einem eigenthümlichen Lichte. Es war Stolz, Schadenfreude, Gier und Siegesgewißheit, welche daraus sprach. Er antwortete:
»Sie irren, Madame; ein Anderer hätte ihn eben so unterstützt. Uebrigens ist er der Sohn Ihres seligen Herrn Gemahls, der mein Freund war. Soll ich ihn nicht unterstützen, da ich doch auch nachsichtig gegen Sie, die Wittwe dieses Freundes, bin?«
»Nachsichtig mit mir? Wann wären Sie dies jemals gewesen!« rief sie voller Bitterkeit. »Ich ließ mich kurz vor dem Tode meines Mannes verleiten, seine Accepte auch mit meinem Namen zu versehen. Was verstand ich als Dame von solchen Papieren! Ich unterzeichnete sogar Formulare, welche später erst ausgefüllt wurden. Als mein Mann todt war, präsentirten Sie mir alle diese Documente. Sie waren nach Sicht zu bezahlen. Ich mußte Alles verkaufen, was ich besaß, um sie einlösen zu können und nicht in das Schuldgefängniß zu wandern. Nennen Sie dies Nachsicht?«
»Ich spreche nicht hiervon, Madame; ich spreche von den drei Accepten, welche ich noch jetzt von Ihnen in den Händen habe.«
Sie blickte ihn groß an, aber er hielt diesen Blick aus.
»Noch drei Accepte? Von mir?« fragte sie. »Sie irren, oder erlauben sich einen Scherz, der hier wahrhaftig nicht am rechten Platze ist!«
»An einen Scherz ist nicht zu denken,« sagte er. »Sie sprachen von Blanquets, welche später ausgefüllt worden sind. Nun wohl, es waren noch drei solche Blanquets vorhanden, als Ihr Herr Gemahl starb. Monsieur Albin hat sie ausgefüllt und den Betrag von mir erhalten. Die Wechsel lauten auf Sicht; ich habe sie Ihnen noch nicht präsentirt; darf ich da nicht von Nachsicht sprechen?«
Frau Richemonte fuhr abermals in die Höhe, jetzt vor Schreck.
»Sie sagen die Wahrheit?« fragte sie.
»Die volle Wahrheit!«
»Albin hat den Betrag erhalten?«
»Ja.«
»Wieviel?«
»In Summa hundertundfünfzigtausend Franken.«
»Hundertundfünfzigtausend Franken! O, mein Gott!« rief sie, die Hände vor das Gesicht schlagend. »Und ich besitze nur eine Rente von noch zweitausend Franken!«
»Ich werde darauf Beschlag legen müssen, Madame.«
Das hatte sie nicht erwartet. Sie starrte ihn mit großen Augen an und sagte:
»So werde ich dann verhungern müssen!«
»Nein,« antwortete er, gleichmüthig die Achsel zuckend. »Nicht verhungern, sondern nur arbeiten werden Sie müssen!«
»Arbeiten, das thun wir ja jetzt bereits. Oder glauben Sie, daß man von zweitausend Franken jährlich leben kann? Wir arbeiten insgeheim für ein Stickereigeschäft. Heute Vormittag hat Margot wieder das Fertige abgeliefert und sich dabei den frechen Insulten einer rohen Soldateska ausgesetzt.«
»Das darf ich nicht beachten, Madame. Ihr Sohn schuldet mir eine ungeheure Summe auf Wechsel, dazu eine Spielschuld von fünftausend Franken auf Ehrenwort; er hat kein Geld. Von Ihnen besitze ich Wechsel im Betrage von hundertundfünfzigtausend Franken. Ich präsentire sie Ihnen hiermit. Wollen Sie die Documente einlösen?«
Die Wittwe schlug die Hände zusammen und rief:
»Aber sehen Sie denn nicht ein, daß mir dies ganz unmöglich ist! Wer hat Ihnen erlaubt, meinem Stiefsohne gegen meine Unterschrift eine solche Summe auszuhändigen?«
»Eben Ihre Unterschrift hat es mir erlaubt, Madame,« lächelte er überlegen. »Uebrigens irren Sie sich ganz und gar, wenn Sie behaupten, daß es Ihnen unmöglich ist, diese Summe zu decken.«
»Mein Gott, womit soll ich es können?«
»Mit einem einzigen Worte.«
»Mit welchem?«
»Mit dem kleinen Wörtchen Ja.«
Sie verstand ihn nicht; sie blickte ihn fragend an. Er aber setzte sich in Positur, ließ seine Augen lüstern über die schöne Gestalt Margot's gleiten und sagte:
»Sie kennen meine Person und meine Umstände, Madame. Ich bin Armeelieferant des großen Kaisers gewesen, und habe mir Millionen verdient. Ich kann einer Frau eine glänzende Existenz bieten. Ich habe Ihnen bereits, als Ihr Herr Gemahl noch lebte, gesagt, daß ich Mademoiselle Margot liebe. Ich wurde damals abgewiesen; es hieß, Mademoiselle könne mich nicht lieben. Sie befanden sich damals in besseren Verhältnissen. Jetzt werden Sie einsehen, daß eine Heirath nach Liebe eine Dummheit ist. Ich wiederhole heute meinen damaligen Antrag. Sobald ich mit Mademoiselle vom Altare zurückkehre, zerreiße ich die Wechsel Ihres Stiefsohnes und auch die Ihrigen. Sagen Sie Nein, so wandern Sie in das Schuldgefängniß.«
Er hatte sich bei den letzten Worten erhoben, griff nach seinem Hute und fuhr dann fort:
»Sie sehen, daß ich aufrichtig bin. Nennen Sie mich hartherzig oder grausam; mir ist dies gleichgiltig. Ich liebe Margot; sie wird meine Frau werden, oder Sie müssen untergehen. Ich gebe Ihnen eine volle Woche Zeit. Heute über acht Tage werde ich mir Ihre Antwort holen. Ueberlegen Sie sich reiflich, was Sie thun werden. Adieu!«
Er ging und ließ die beiden Damen in einer großen Aufregung zurück.
Madame Richemonte lag auf ihrer Chaise longue und weinte. Margot hatte sich bei ihr niedergelassen und zog wortlos den Kopf der Mutter an ihr Herz. Das Mädchen hatte bisher kein Wort gesagt. Ihr Gesicht zeigte keine Spur von Betrübniß, wohl aber lag auf demselben ein Zug finsteren Hasses, fast möchte man sagen, der Rache, den ihre Mutter freilich nicht bemerkte, da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt war.
»Hundertundfünfzigtausend Franken!« jammerte die Frau. »Hast Du es gehört, Margot?«
»Ja.«
»Und ich war ihm nichts schuldig! Er ist ein Verführer, ein Betrüger!«
»Er ist ein Teufel, Mama. Er hat ganz und gar berechnend gehandelt.«
»Wieso?«
»Er hat mich zwingen wollen, ihn zu heirathen.«
»Mein Gott! Wirklich?«
»Ja. Zunächst hat er Papa in Schulden verstrickt und ihn und Albin zum Spielen verführt. Sodann hat er Dich zur Ausstellung der Blanquets gebracht. Jetzt sind wir verloren, wenn ich ihm nicht mein Jawort gebe.«
»Du wirst es ihm nicht geben! Nein, niemals, Kind!«
»O, doch!« sagte das Mädchen, scheinbar ruhig.
»Doch? Du willst?« fragte die Mutter ganz erschrocken.
»Ja, ich will!«
»Aber Du wirst unglücklich, Margot!«
»Nein!«
Sie sagte dieses Wort in einem so bestimmten Tone, daß ihre Mutter aufmerksam wurde, sie ganz erstaunt anblickte und dann fragte:
»Nein? Das begreife ich nicht! Kind, mein Kind, liebst Du ihn etwa gar?«
Margot schüttelte überlegen den Kopf und antwortete:
»Ich hasse ihn; ich verabscheue ihn, und darum werde ich ihn heirathen, Mama.«
»Ihn heirathen, weil Du ihn hassest? Du sprichst in Räthseln!«
»O, begreifst Du nicht, welche Süßigkeit in der Rache liegt?«
»Ah!« rief die Mutter, der das Verständniß aufzugehen schien.
»Ja. Er ist der Teufel unserer Familie, unseres Hauses gewesen. Er ist Schuld an unserer Verarmung und an dem Tode des Vaters. Ich willige ein, sein Weib zu werden, um uns Alle an ihm rächen zu können. Er liebt mich zum Rasendwerden. Ich habe seine glühenden, begehrlichen Blicke Monate lang beobachtet, ohne zu thun, als ob ich es bemerke. Ich werde sein Weib; er muß die Wechsel zerreißen; aber er wird mich niemals berühren dürfen. Er soll verschmachten vor Verlangen nach mir. Ich bin schön. Ich werde mich für ihn schmücken, nur für ihn, um ihn liebeswahnsinnig zu machen. Er soll vor mir im Staube kriechen wie ein Wurm; er soll um ein Wort, um einen Blick betteln und doch nicht erhalten, was er begehrt. Er soll Tantalusqualen erleiden, und ich werde glücklich sein, je unglücklicher ich ihn sehe!«
Sie sprach im Gefühle des Augenblickes. Sie bedachte nicht, daß ihr Glück, von dem sie sprach, ein fürchterliches sein werde. Sie wollte sich opfern, opfern für die Mutter und für die Sache. Sie glaubte, stets so Herr ihres Herzens zu sein, wie jetzt, und ahnte nicht, welch' ein Unglück es für sie sein werde, an einen solchen Mann gekettet zu sein und doch die Liebe zu einem Anderen im Herzen zu tragen. –
Als Lieutenant von Königsau die beiden Damen verlassen hatte, war er, zunächst nur an Margot denkend, durch einige Straßen geschlendert und dann in ein Kaffeehaus getreten. Dasselbe gehörte zu jenen Boulevardkaffeehäusern, welche einen Vorplatz haben, wo diejenigen Gäste sitzen können, welche es vorziehen, ihren Kaffee oder Absynth im Freien zu trinken, und dabei mit Bequemlichkeit das Leben und Treiben der Straße beobachten.
Er trat in das Zimmer und nahm an einem der Fenster Platz. Hier hatte er noch nicht lange gesessen, so sah er einen Mann herankommen, dessen Anblick ihn veranlaßte, sich etwas vom Fenster zurückzuziehen. Es war der Gardecapitän Richemonte.
Dieser blieb draußen auf dem Vorplatze, wo er sich gerade vor das Fenster setzte, hinter welchem Königsau seinen Sitz hatte. Es verging eine ziemliche Weile, so kam ein Zweiter, welcher neben dem Capitän sich niederließ. Der Deutsche kannte ihn nicht; es war der Baron de Reillac, der soeben von dem Heirathsantrag kam, welchen er Margot gemacht hatte. Es war ein eigenthümlicher Zufall, daß Königsau gerade dieses Kaffeehaus gewählt hatte. Die Beiden ahnten nicht, daß drinnen ganz in der Nähe des Fensters einer saß, der jedes Wort ihres Gespräches hören konnte.
»Eingetroffen!« sagte der Baron.
»Endlich!« meinte der Capitän. »Ich warte bereits längere Zeit. Welchen Erfolg hat die Attaque gehabt, lieber Baron?«
»Bis jetzt gar keinen.«
»Wieso?«
»Ich habe Ihren Damen eine Woche Zeit gegeben.«
»Eine Woche? Verdammt! Warum? Woher nehme ich in dieser Zeit Geld?«
»Von mir.«
»Ah, das klingt befriedigend. Ich brauche einige Tausend Franken. Was sagte die gute Stiefmama zu Ihrer Eröffnung?«
»Das, was alle Frauen bei solchen Gelegenheiten sagen; sie glaubte es zunächst nicht; dann jammerte sie, schlug die Hände zusammen und weinte. Ich kann das verfluchte Weinen nicht ausstehen und habe mich daher so kurz wie möglich gefaßt.«
»Und Margot?«
»Die? Ah, da muß ich mich zuvor besinnen! Ja, ich glaube, sie hat kein einziges Wort gesagt.«
»Glauben Sie, daß Sie die Einwilligung erhalten?«
»Jedenfalls!«
»Und wenn nicht?«
»So spazieren Sie in das Schuldgefängniß.«
»Alle Teufel, Sie scherzen, Baron! Einen Freund schickt man nicht an einen solchen Ort!«
Der Baron zuckte höchst gleichmüthig die Achsel und antwortete:
»Freund? Pah! Blutsauger waren Sie, aber nicht Freund. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich Ihnen nur Ihrer Schwester wegen ausgeholfen habe. Wird sie meine Frau, so quittire ich Ihre Schuld und zahle Ihnen noch fünfzigtausend Franken. Die Wechsel Ihrer Mutter, auf hundertundfünfzigtausend Franken lautend, werden auch zerrissen. So bezahle ich das Jawort mit viermalhunderttausend Franken. Wer ist nun der Freund? Sind Sie der meinige, oder bin ich der Ihrige?«
»Ich hoffe, daß Sie Ihren Zweck erreichen, Baron!«
»Wenn ich ihn nicht erreiche, sind Sie schuld.«
»Ich? Inwiefern?«
»Gehen Sie zu den Damen und machen Sie ihnen die Hölle heiß! Geben Sie sich ja Mühe, denn ich würde im Falle des Nichtgelingens keine Nachsicht mit Ihnen haben.«
»Fast möchte ich Ihnen dies zutrauen!«
»Ich ersuche Sie, davon überzeugt zu sein! Sie haben mir den Mund wässerig gemacht und in Folge dessen auf meine Kosten gelebt wie ein Nabob. Warum sollte es mir auf einige tausend Franken ankommen, wenn es sich darum handelt, Ihnen zu zeigen, wie es einem armen Teufel im Schuldgefängnisse zu Muthe ist. Uebrigens rathe ich ihnen, einen Panzer anzulegen, bevor Sie Ihre liebenswürdigen Damen besuchen.«
»Warum?«
»Sie wissen Ihre Spielschuld.«
»Alle Teufel! Wer hat ihnen davon gesagt?«
»Ich.«
»Sie? Sind Sie bei Sinnen! Wozu braucht meine Mutter oder die Schwester zu wissen, wie hoch ich spiele und was ich verliere?«
»Sie werden dadurch gefügiger. Uebrigens kennen sie auch Ihr Rencontre mit dem deutschen Officier.«
»Auch das? Wer hat hiervon zu ihnen gesprochen?«
»Auch ich, Capitän.«
»Mensch!« brauste der Capitän auf. »Und das sagen Sie mir so ruhig!«
»Ja, gerade so ruhig, wie ich Ihnen mein Geld gebe. Ich will die Genugthuung haben, von Ihnen reden zu können. Margot soll wissen, daß Sie mir kein Opfer bringt, wenn ich mir die Schwester eines ruinirten Officiers zur Frau nehme.«
Es blieb eine Zeit lang ruhig. Königsau hatte gedacht, daß der Capitän jetzt voller Wuth losschmettern werde; dem war aber nicht so. Er befand sich in den Händen des baronisirten Armeelieferanten; darum gab er sich Mühe, seinen Zorn zu beherrschen und antwortete:
»Glauben Sie etwa, daß ich mich vor diesem Deutschen fürchte?«
»Ja, das glaube ich,« antwortete der Gefragte kalt.
»Warum?«
»Weil Sie seine Forderung zurückwiesen.«
»Pah! Ich werde mich noch mit ihm schlagen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Diese Deutschen sollen im Punkte der Ehre außerordentlich heikel sein. Ich glaube nicht, daß dieser Husarenlieutenant – wie hieß er gleich?«
»Von Königsau.«
»Gut! Also ich glaube nicht, daß sich dieser Königsau noch mit einem schlagen wird, den er vorher geprügelt hat. Es war dies eine ganz alberne Dummheit von Ihnen!«
»Ich wollte mich nicht mit ihm schlagen, weil ich diese Deutschen hasse. Ich halte keinen von ihnen für werth, einen Degen mit einem Franzosen zu kreuzen.«
»Aber so ein Deutscher hält Sie dafür für werth, Ohrfeigen zu erhalten. Gehen Sie, Capitän! Ob Sie nach einem solchen Vorkommnisse fortdienen können, ist sehr fraglich. Doch regen wir uns nicht auf. Wieviel brauchen Sie Geld?«
»Einige Tausend Franken.«
»Gut! Sagen wir dreitausend. Kommen Sie jetzt mit zu mir; ich will sie Ihnen geben. Heute Abend legen wir wieder eine kleine Bank, und über eine Woche bin ich ein Schwager, der Ihnen die ganze Schuld quittirt.«
Sie entfernten sich.
Königsau hatte mit größter Aufmerksamkeit gelauscht, um keines ihrer Worte zu verlieren. Es lag Alles klar vor ihm. Dieser sogenannte Baron speculirte auf die Hand Margot's, welche leider die Schwester des geprügelten Capitäns war. Frau Richemonte schuldete dem Baron eine Summe von hundertundfünfzigtausend Franken auf Wechsel. Mit dieser Summe und den Schulden ihres Bruders wollte er sie erkaufen.
»Warum bin ich arm!« sagte sich Königsau. »Fünfundvierzigtausend Thaler ist Alles, was ich besitze, und auch die kann ich nur aus dem Verkaufe meines Gutes erst lösen. Wäre ich reicher, so bezahlte ich Alles, und Margot wäre mit der Mutter frei.«
Er ging nach Hause. Er mußte immer an Margot denken und an die hundertundfünfzigtausend Franken, und noch in der Nacht, als er endlich Ruhe gefunden hatte, träumte ihm von einem riesigen Schuldthurme, in dessen dunklen Kerker Margot schmachtete.
Es ist eigenthümlich, welches Interesse der Mensch an einer Person nimmt, von welcher er recht lebhaft geträumt hat. War sie ihm vorher gleichgiltig, so gewinnt sie plötzlich ein Interesse, welches sie früher nicht besessen hat. Besaß sie es jedoch bereits, so verdoppelt und vervielfacht sich die Theilnahme, und es kann auf diese Weise sehr leicht eine Liebe entstehen, die man sonst wohl für unwahrscheinlich gehalten hätte.
So war es auch mit Königsau. Als er erwachte, war er zunächst froh, von der Angst erlöst zu sein, welche er um das schöne Mädchen empfunden hatte. Aus dieser Angst aber war ihr Bild viel lichter und bezaubernder hervorgewachsen, und er fühlte eine solche Sehnsucht nach ihr, daß er den Nachmittag kaum erwarten konnte.
Endlich kam die dritte Stunde, und er machte sich auf den Weg. Als er in den Salon trat, kam ihm Margot entgegen und bat um Entschuldigung, daß ihre Mutter heute nicht zu sprechen sei, sie sei seit gestern so unwohl und angegriffen, daß sie keinen Besuch empfangen könne.
Königsau ahnte, daß an dieser Krankheit das gestrige Gespräch mit dem Baron die Schuld trage, doch er ließ sich von dieser Ahnung natürlich nichts merken.
Margot war heute außerordentlich bleich. Auf ihrem Gesichte lag eine Entschlossenheit, eine Resignation, bei welcher ihm bänglich zu Muthe wurde. Er bemerkte zwar, daß ihr Auge zuweilen mit jenem Blicke auf ihm ruhte, in welchem ein unbewußtes Geständniß sympathischer Regungen liegt, doch zeigte sie sich in ihren Reden und Antworten verschlossen und kalt. Das konnte nicht die Sorge um ihre kranke Mutter, sondern das mußte etwas Anderes sein. Er sann vergebens nach; er vermochte es nicht zu entdecken, bis endlich das Gespräch so oben hin auf zartere Verhältnisse kam.
Jetzt zeigte ihr Gesicht zum ersten Male wieder eine Spur von Leben und Wärme.
»Ich beneide Sie, Monsieur,« sagte sie. »Welch ein Glück muß es sein, in die Heimath zurückzukehren, und, dem Schlachtentode entgangen, als Sieger vor ein geliebtes Weib oder vor eine harrende Braut zu treten.«
»Beneiden Sie mich nicht, Mademoiselle,« antwortete er. »Ein solches Glück ist mir nicht beschieden.«
»Nicht? Sie haben keine Braut?«
»Nein. Mein Herz ist noch niemals engagirt gewesen.«
Sie blickte zu Boden und fragte, ohne die Augen zu ihm zu erheben und ihn anzusehen:
»Muß denn stets das Herz engagirt sein?«
»Können Sie sich ein Glück denken, ohne daß das Herz Theil daran nimmt?«
»Allerdings nein. Aber das Herz kann auf verschiedene Weise betheiligt sein.«
Er blickte ihr forschend in das bleiche Angesicht. Ihre Lippen zuckten, und auf ihrer Stirn lag es schwer und finster wie ein Entschluß, von dem sie überwunden worden war.
»Ich verstehe Sie nicht, Mademoiselle,« sagte er. »Ich kenne nur eine einzige Weise. Nur die Liebe macht glücklich, ohne sie kann man es niemals sein.«
»Sie irren. Denken Sie sich einen recht grimmigen Haß, eine recht glühende Rache. Sie befriedigt zu sehen, muß auch ein Glück sein!«
»Allerdings, aber ein Glück für einen Teufel,« antwortete er.
Sie hob mit einem raschen Aufschlage ihrer Augen den Blick zu ihm empor, sah ihn forschend an und fragte:
»Also nehmen Sie doch an, daß auch ein Teufel glücklich sein könne?«
»Ein teuflisches, das heißt, ein verdorbenes Gemüth? Ja, aber nur für einen Augenblick. Ich möchte wohl an einem Beispiele erfahren, wie man dauernd durch eine große Rache sich glücklich fühlen könne.«
Er war jetzt Diplomat, und kein schlechter. Er sprach diese Frage aus, um in ihr Geheimniß einzudringen. Sie durchschaute ihn glücklicher Weise nicht und antwortete:
»Ich will versuchen, Ihnen ein Beispiel zu geben. – Denken Sie sich ein Mädchen, jung, schön, edel und gut. Sie besitzt alle Eigenschaften, einen Mann glücklich zu machen. Da kommt ein Bösewicht, welcher sich von ihren Reizen gefesselt fühlt. Er trachtet, ihre Hand zu erlangen, wird aber abgewiesen. Hierauf beginnt er, im Stillen seine Minen zu graben. Er bemächtigt sich ihrer Anverwandten; er verführt dieselben, er stürzt sie in Sünde, Laster und Schande, und schwört, die Unglücklichen nicht eher wieder los zu geben, als bis sie losgekauft werden. Der Preis ist die Hand des Mädchens.«
»Und dieses? Das Mädchen? Was thut es?«
»Sie reicht dem Bösewicht die Hand, um die Ihrigen zu retten.«
»So hat sie wohl nie geliebt, oder besitzt ein großes, erhabenes Herz, einen seltenen Opfermuth und ein felsenfestes Vertrauen, den Bösewicht durch ihren Einfluß zu bessern.«
»Nein, das will sie nicht. Sie will ihn strafen!«
»Ah, Sie widersprechen sich, Mademoiselle. Vorhin sagten Sie, das Mädchen reiche ihm ihre Hand, um die Ihrigen zu retten, und jetzt thut sie es, um ihn zu strafen.«
»Ja, sie will ihn strafen, fürchterlich strafen. Er soll in ihr einen Himmel sehen, in den er nie gelangen kann. Er soll nach dem Tropfen schmachten, der ihm nahe vor der Lippe perlt und dennoch verdürsten.«
»Dieses Mädchen ist ein Teufel, Mademoiselle. Sie nannten sie vorhin edel und gut. Sie ist aber das gerade Gegentheil. Dieser Plan kann nur im Augenblicke des höchsten Zornes, der Verzweiflung gefaßt werden, aber kein fühlend Weib wird ihn ausführen. Ein edles, gutes Mädchen wird vor einem solchen immerwährenden Henkerwerk zurückschaudern. Denken Sie sich dann die Betreffende mit ihrem Opfer für's ganze Leben allein, vielleicht auf einer wüsten Insel. Muß sie nicht an dem Anblicke von Anderer Glück zu Grunde gehen? Vielleicht begegnet sie einem Mann, dem ihr ganzes Sein und Wesen entgegen fliegen möchte, und doch ist sie an ihr Opfer gefesselt. Nun wird sie zum Tantalus, welcher unendliche Qualen erduldet. Ist es nothwendig, daß sie ihn bestraft? Giebt es nicht einen höheren Richter? Ist nicht das wahre Gottvertrauen der größte Schatz des Weibes? Sollte Gott die Ihrigen nicht retten können, ohne daß sie ein so schreckliches Opfer bringt?«
Er hatte Recht. Sie hatte den Plan nur im Augenblicke des höchsten Zornes gefaßt. Jetzt stellte er ihr denselben in einem Lichte dar, vor welchem sie erschrak. Er verstand und begriff sie; er wußte, daß sie von sich selbst gesprochen hatte. Bei diesem Gedanken krampfte sich sein Herz zusammen. Es wurde ihm angst, und in dieser Bangigkeit ergriff er ihre Hand und fuhr fort:
»Sie rollen da ein fürchterliches Bild vor mir auseinander. Haben Sie es vielleicht Dante's Hölle entlehnt? Ich wiederhole es: Das Weib, von dem Sie sprechen, würde ein Teufel sein; es würde nicht quälen, sondern gequält werden, und zwar durch sich selbst. Es giebt auf Erden keine Lage, welche rettungslos ist. Zerreißen Sie dieses Bild und werfen Sie die Fetzen von sich weg; sie erregen Abscheu und Ekel!«
Sie hatte ihm aufmerksam zugehört. Die Blässe war von ihren Wangen gewichen; die Röthe der Scham hatte auf derselben Platz genommen. Dennoch aber machte sie noch einen Versuch, sich zu vertheidigen:
»Wenn es aber keine andere Rettung giebt?«
»Wer kann das behaupten, Mademoiselle? Wir Menschen sind kurzsichtig, zuweilen sogar blind. Was uns leicht dünkt, ist oft unmöglich, auszuführen, und im Gegentheil ist das, woran wir verzweifeln möchten, vielleicht ein Kinderspiel. Wer wollte sagen, daß es aus irgend einer Noth keine Hilfe gebe? Sie ist da; sie naht vielleicht schon, aber wir sehen sie nicht.«
»Aber wenn Menschen nicht helfen können?«
»So hilft Gott durch sie, ohne daß sie es wissen und wollen. Er weiß den rechten Weg zur Rettung, nur sollen wir ihm vertrauen, und ihm nicht widerstreben.«
Da endlich! Er sah es ihr an; er hatte sie besiegt. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und sagte:
»Ich danke Ihnen, Monsieur! Ja, Sie sind ein Deutscher, ein wahrer, echter Deutscher!«
»Was wissen Sie von uns Deutschen, Mademoiselle?«
»Daß sie wie die Kinder sind, voller Glauben und Vertrauen, und doch auch echte Männer, welche Gott zwar um Hilfe bitten, ihn aber dabei auch tüchtig unterstützen,« lächelte sie. »Man sieht es an den Schlachten, welche sie jetzt geschlagen haben.«
Diese parteilose Anerkennung that ihm wohl. Margot gewann dadurch sehr in seiner Achtung. Noch immer ihre Hand in der seinigen haltend, wagte er zu fragen:
»War es wirklich nur ein Beispiel, welches Sie mir erzählten, Mademoiselle, oder ist dieser Fall im Leben vorgekommen?«
Sie senkte den Blick verlegen zu Boden. Sie wollte ihn nicht belügen; er sah sie so ehrlich an. Und die Wahrheit, durfte sie ihm diese sagen? Endlich antwortete sie zögernd:
»Wenn es ein wirklicher Fall wäre, dürfte man sich da für berechtigt halten, es zu erzählen, Monsieur?«
Da wurde er kühn und sagte:
»Ich errathe, wessen Fall es ist.«
Eine tiefe Gluth bedeckte ihr schönes Gesicht. Errieth er es wirklich? Sie hatte Gedanken gehabt, welche er mit dem Worte teuflisch bezeichnet hatte. Sie wagte nicht, um seine Meinung zu bitten, aber sie sah ihm fragend und zagend entgegen.
»Sie sprechen von sich selbst. Nicht wahr, Mademoiselle?« fügte er hinzu.
»Und nun verurtheilen Sie mich?« sagte sie leise.
Sie hatte sich schön genannt; sie hatte von ihren Reizen gesprochen. Wie lächerlich kam sie sich vor! Was mußte er von ihr denken!
»Nein, ich verurtheile Sie nicht. Sie haben diesen Entschluß im Zorne gefaßt. Ich wünsche sehr, Ihnen helfen zu können, und wenn es auch nur durch einen guten Rath wäre. Darf ich mich erkundigen?«
»Bei wem?«
»Bei Ihnen.«
»Fragen Sie!«
»Sie hassen den Baron?«
Sie blickte ihn in höchster Ueberraschung an.
»Sie kennen den Baron?« fragte sie erstaunt.
»Ja; nur seinen Namen weiß ich nicht. Ich muß Ihnen nämlich Zweierlei gestehen. Erstlich habe ich ein Gespräch belauscht, welches gestern dieser Baron mit einem Capitän der Garde führte. Ich merkte dabei, daß es sich um Ihren Besitz handele, Mademoiselle. Da ich dadurch Mitwisser geworden bin, wird es Ihnen nicht schwer werden, mir auch Ihr weiteres Vertrauen zu schenken. Sind Sie mit jenem Capitän der Garde verwandt?«
»Wie heißt er?«
»Albin Richemonte.«
»Er ist mein Bruder, mein Stiefbruder, aber ich ver –«
Sie stockte verlegen; doch er ermunterte sie in eindringlichem Tone:
»Sprechen Sie weiter, Mademoiselle. Ich nehme den größten Theil an dem, was Sie mir sagen werden.«
»O, Sie werden mich abermals für unedel, für »teuflisch« halten, Monsieur!«
»Wagen Sie es immerhin,« lächelte er. »Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß Sie mir ganz wie das Gegentheil von teuflisch vorkommen.«
»Nun, ich wollte sagen, ich verachte, ich hasse ihn. Er hat ein unendliches Elend über uns gebracht. Er steht mir ferner als der fernste Mensch, obgleich er der Sohn meines Vaters ist, an dessen Tode er die Mitschuld trägt. Nicht wahr, nun verurtheilen Sie mich, die Schwester, welche ihren Bruder verachtet?«
»Nein, sondern ich danke Gott, daß er nur Ihr Stiefbruder ist. Er ist wirklich verächtlich; auch ich verachte ihn.«
»Wie, Sie kennen ihn?« fragte sie.
»Ja, und dies ist das Zweite, was ich Ihnen gestehen muß. Haben Sie vielleicht gehört, daß Ihr Bruder ein Rencontre mit einem deutschen Officiere gehabt hat?«
»Ja,« antwortete sie, in der Seele ihres Bruders beschämt.
»Nun, dieser Deutsche war ich. Können Sie mir vergeben? Hätte ich Sie bereits gekannt, so hätte ich ihn vielleicht geschont.«
»Ich habe Ihnen nichts zu vergeben, Monsieur. Sie haben Ihre Ehre und diejenige Ihres Kriegsobersten gewahrt; das war Ihre Pflicht. Lassen Sie uns als Freunde scheiden!«
»Wie, Sie wollen mich entlassen?«
»Leider muß ich es, da Mama unwohl ist. Vielleicht aber darf ich Sie morgen wiedersehen.«
Königsau hätte gern etwas von Margot's Verhältniß zu dem Baron gehört; er sah aber ein, daß sie nur aus Zartgefühl ihn nicht wieder in Erwähnung brachte. Er verabschiedete sich von ihr und versprach ihr, morgen wieder zu kommen.
Dann machte er einen längeren Spaziergang. Weit ausdehnen durfte er denselben allerdings nicht, denn es war für den einzelnen Deutschen noch nicht gerathen, in gewisse Stadttheile einzudringen. Es gab Schichten der Bevölkerung, welche die Deutschen als die Besieger des Kaisers grimmig haßten. Des Nachts hörte man nicht selten den lauten Ruf»vive l'Empereur!« und es waren bereits mehrere tumultuarische Auftritte vorgekommen, welche es nöthig gemacht hatten, mit bewaffneter Hand einzuschreiten.
Daher kehrte Königsau mit Einbruch der Nacht in seine Wohnung zurück, wo er sich mit seinen Büchern, noch mehr aber mit dem Gedanken an Margot beschäftigte.
Es mochte wohl gegen elf Uhr geworden sein, als er auf ein entferntes Getöse aufmerksam wurde, welches von vielen Stimmen herzurühren schien. Er trat an das Fenster und öffnete es. Ja, das war ein hundertstimmiges Gewirr, und da erkrachten auch einige Schüsse. Das kam aus der Gegend, in welcher Margot wohnte.
Dieser Gedanke erweckte seine Besorgniß. Ihre Mama war krank! Er warf sich rasch in die Uniform, schnallte den Degen um, steckte sein Pistol zu sich und eilte auf die Straße hinab. Er hörte laute Stimmen rufen, daß die Blousenmänner und Buonapartisten sich in einer Revolte befänden, und schritt weiter.
Je weiter er vorwärts kam, desto bevölkerter wurde die Straße. Ferne Lärmsignale ertönten; Pompiers sprangen vorüber, und Nationalgardisten eilten an ihre Versammlungsplätze. Auf Margot's Straße angelangt, fand er dieselbe durch eine dichte Volksmenge gesperrt. Aus mehreren Fenstern ertönten Hilferufe. Er hörte, daß die Blousenmänner die Häuser plünderten. Das Volk stand dabei, ohne dies zu verhindern. Hier und da erscholl der Ruf »Es lebe der Kaiser!« oder »Es lebe die Republik!«, und es war sehr zu vermuthen, daß es zwischen diesen beiden Parteien zu einem ernsten Zusammenstoß kommen werde.
Er brach sich Bahn durch die Menge und bemerkte bald, daß in Margot's Wohnung eine einzige Lampe brannte. Dies beruhigte ihn. Er erreichte die Thür und stieg die Treppe empor. Als er klingelte, steckte das Mädchen den Kopf zur Thür heraus und fragte, da es finster war:
»Wer ist da?«
»Melden Sie Monsieur Königsau!«
»Herrgott, da kommt Rettung! O kommen Sie! Ich brauche Sie gar nicht anzumelden. Man wird entzückt sein, Sie zu sehen.«
Sie führte ihn durch den unerleuchteten Salon nach dem daneben liegenden Zimmer. Es war dasjenige, in welchem die Lampe brannte, aber es war leer. Kaum jedoch war er eingetreten, so öffnete sich die gegenüberliegende Thür und Margot trat ein. Beide standen einander gegenüber, im höchsten Grade überrascht, allerdings in freudiger Weise. Sie hatte ihn bisher nur im Civil gesehen; jetzt aber stand er vor ihr in der kleidsamen Husarentracht, in welcher sie ihn im ersten Augenblicke beinahe gar nicht erkannt hätte. Und sie, o wie war sie in diesem Augenblicke doch so schön! Sie trug nichts als das Schlafnegligé und einen Staubmantel darüber. Sie hatte jedenfalls bereits geschlafen, war vom Tumulte aufgeweckt worden und hatte nur den Mantel, welcher ihr am nächsten lag, übergeworfen. In der Angst um den Ausgang und die Folgen des Tumultes hatte sie dann ganz vergessen, daß sie sich noch im Schlafgewande befinde. Jetzt, als sie eintrat und einen Officier erblickte, in welchem sie den Freund nicht sofort erkannte, war ihr unter einer Bewegung des Schreckes der Mantel entschlüpft und zu Boden gefallen. Nun stand sie vor ihm wie eine weibliche Göttergestalt aus dem Olymp.
Das weiße Negligé ging ihr nicht ganz bis auf die Knöchel herab und ließ ein elfenbeinweißes Füßchen sehen, welches, von keinem Strumpfe bedeckt, in einem blauen Sammetpantoffelchen steckte. Das Gewand hatte sehr kurze Aermel und gab also ein Paar Arme frei, wie sie Kleopatra nicht voller und schöner gehabt haben konnte. Die Falten des Stoffes legten sich liebevoll an die reizende Gestalt, deren Umrisse deutlich zu erkennen waren. Der herrliche Busen zeigte, obgleich von keiner Schnürbrust unterstützt, jene Form und Festigkeit, die man in Egypten an Fellahmädchen bewundert, welche auch niemals ein Mieder tragen. Ueber ihm erhob sich ein kräftiger, und doch feiner, glänzender Hals, der es werth war, ein Köpfchen von so herrlicher Vollendung zu tragen. Die Zöpfe des Haares waren aufgelöst, und nun floß die dichte, dunkle Fluth in zauberischen Wellen bis weit über die Hüften herab. Wie sie so dastand, glich sie einer Brunhilde, wie sie sich der Maler denkt, ohne ihre Gestalt in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit auf die Leinwand zaubern zu können.
Es war dem Deutschen, als ob er sich im Traume befinde. Er wollte grüßen, brachte aber kein Wort hervor. Daß Margot schön sei, das wußte er, daß aber ihre Schönheit eine solche Vollendung, eine solche Originalität besitze, das hatte er nicht geahnt. Allerdings hatte sie sich heute selbst schön genannt und von ihren Reizen gesprochen. Sie hatte den Ausdruck gebraucht, »die einen Mann glücklich machen kann«. War sie sich des ganzen Umfanges, des ganzen Reichthumes, der ganzen Fülle ihrer Reize bewußt?
Jetzt in diesem Augenblicke jedenfalls nicht, denn, ihr Negligé ganz vergessend, trat sie mit dem Ausdrucke höchster Freude auf Königsau zu, reichte ihm die Hand und rief:
»Ah, Sie, Monsieur! Gott sei Dank, nun ist die Angst verschwunden! Herzlichen Dank, daß Sie Ihrer Pflicht einen Augenblick abringen, um uns zu beruhigen!«
Er drückte ihre Hand an seine Lippen, es war ihm wie zum Trunkenwerden, als sein Blick von diesem Händchen aus der Formung des prächtigen Armes folgte und dann an dem plastisch vollendeten Busen hängen blieb. Er mußte sich zusammennehmen, um nicht die Antwort schuldig zu bleiben:
»Einen Augenblick? Ich stehe Ihnen für länger zur Verfügung. Ich hörte von meinem Fenster aus den Tumult und ahnte, daß er in dieser Gegend sei. Ich glaubte, daß die Gegenwart eines Militärs zu Ihrer Beruhigung beitragen werde und eilte also, mich unter Ihren Oberbefehl zu stellen, Mademoiselle.«
»O, wie lieb, wie gut ist das von Ihnen. Wir waren so allein und haben wirklich eine sehr große Angst ausgestanden. Ihre Aufmerksamkeit verpflichtet uns zum größten Dank. Ich werde Mama Ihre Gegenwart melden, damit auch sie sich beruhigt.«
Sie wendete sich um, zu ihrer Mutter zu gehen, da sah sie den Mantel liegen. Erst jetzt bemerkte sie, in welcher Weise sie den Freund empfangen hatte. Sie erglühte bis über die Stirn herauf; sie wollte den Mantel aufheben, um ihn überzunehmen, aber das ging ja nicht, das ging wirklich nicht.
Da trat Königsau hinzu, hob ihn auf und legte ihn ihr über. Seine Hand streifte dabei ihre warme Schulter. Er nahm die Last ihres Haares in die Hände, um die herrlichen Wellen über den Mantel herabgleiten zu lassen. Es war ihm, als ob er in einem Zauber- oder Märchenbuche lese. Er konnte sich nicht länger beherrschen, er konnte sich nicht halten, er drückte ihre beiden Hände an seine Brust und sagte mit heißem Athem und blitzendem Auge:
»Margot, Sie sind schön, sinnberückend schön! Und all' diese Pracht und Herrlichkeit sollte diesem Baron gehören? Bei Gott, eher stoße ich ihm den Degen in den Leib!«
Sie ließ ihm ihre Hände und antwortete:
»Bin ich wirklich so schön, Monsieur? Diese Schönheit hat uns Alles gekostet, was wir besaßen, das Glück und das Vermögen; ich möchte sie missen und sie von mir werfen, wenn ich könnte.«
»Um Gotteswillen, nein, Margot! Sie haben keine Ahnung, was Sie einem Manne sein und werden können. Ich muß mich ja abwenden, um dem Verlangen widerstehen zu können, Sie an mein Herz zu ziehen und dort festzuhalten, für das ganze Leben, für die ganze Ewigkeit, denn, wo Sie sind, da muß auch der Himmel und die Seligkeit sein!«
Er drehte sich wirklich von ihr weg. Sie zog den Mantel fester um und ging zu ihrer Mutter. Als sie nach einigen Minuten wiederkehrte, hatte sie den Mantel abgelegt und an seiner Stelle ein Morgenkleid schnell übergezogen. Aber dies war keine strengere Verhüllung, obgleich sie lächelnd sagte:
»So, Monsieur, werde ich nun Niemandem mehr gefährlich sein. Mama sagt Ihnen innigen Dank. Leider kann sie noch immer nicht erscheinen. Aber was ist das? Welch ein Schreien und Lärmen!«
Sie trat zum Fenster, um es zu öffnen; er faßte sie bei der Hand und sagte:
»Bitte, nicht hier, Mademoiselle. Hier ist Licht, und man erblickt Sie von unten. Das muß man bei solchen Gelegenheiten zu vermeiden suchen. Gehen wir in den Salon, wo es dunkel ist. Dort können wir beobachten, ohne beobachtet zu werden.«
Sie folgte ihm. Der Lärm auf der Straße hatte sich verdoppelt. Die verschiedenartigsten Rufe durchkreuzten sich, und die Menge wogte hin und her wie ein aufgeregtes Meer. Königsau öffnete das Doppelfenster. Seine Anwesenheit ermuthigte Margot, hinauszublicken; er that dasselbe an ihrer Seite. Das Fenster war nicht allzu breit; sie hatten kaum Platz neben einander. Ihre schönen, vollen Formen, deren Wärme durch das dünne Gewand drang, legten sich an seinen Körper. Wenn er ihr nicht unbequem werden wollte, so durfte er den einen Arm nicht auf das Fenster legen. Aber wohin sonst? Er wagte es und legte ihn leise um ihre Taille. Sie fühlte es, sie zuckte leicht zusammen, aber sie duldete es.
Er fühlte die electrische Wärme ihres Körpers seine Hand, seinen Arm durchdringen; er hätte für diesen Augenblick sein Leben geben können und dabei doch gedacht, daß er nicht zu theuer bezahlt sei. So beobachteten sie eine ganze Weile schweigend das Menschengedränge da unten. Da krachte ein Schuß. War es ein blinder gewesen, oder nicht? Königsau bog sich vor, um nach dem Punkte zu blicken, an welchem der Blitz aus dem Rohre gezuckt war. Sein Arm, welcher um die Taille Margot's lag, mußte dieser Bewegung folgen, und so kam seine Hand, ganz ohne daß es seine Absicht war, an ihre entzückende Büste zu liegen. Er fühlte das und erschrak. Er glaubte natürlich, daß sie seine Hand ergreifen und zornig entfernen werde; aber nein, sie that es nicht, denn sie fühlte, daß seine Bewegung eine absichtslose gewesen war, und durch ihre Selbsthilfe hätte sie ihn ja einer Absichtlichkeit geziehen.
Er selbst gab seinem Arme die vorige Lage wieder, aber dieser legte sich fester als früher um ihre Taille. Da wendete sie ihm das Köpfchen zu und flüsterte bittend:
»O, bitte, nicht so, Monsieur!«
Er fühlte den reinen Hauch ihres Mundes seine Wange streifen und antwortete:
»Nicht so, sondern so! Nicht wahr, Margot?«
Dabei drückte er sie noch fester an sich.
»O nein,« bat sie. »Soll ich mich Ihnen nicht anvertrauen dürfen?«
Es wallte in ihm heiß empor. Er antwortete:
»Anvertrauen für diesen Augenblick? O, wie unendlich viel und doch wie so wenig ist das! Können Sie denn jetzt, für diese wenigen Minuten, Vertrauen zu mir haben?«
»Für immer!« lispelte sie.
Da wollte er sie an sich ziehen, sie aber wehrte ihn ab und sagte:
»Zürnen Sie mir nicht, Monsieur! Wenn ich mich Ihnen auch anvertrauen könnte, so darf ich es doch nicht.«
»Warum nicht?« fragte er.
»Ich darf nicht. Nie, nie,« wiederholte sie.
»So hassen Sie mich?«
Sie zögerte eine Weile mit der Antwort; dann hörte er die tief gehauchten Worte:
»Wie könnte ich Sie hassen!«
Da bog er sich ganz zu ihr heran, hielt seinen Mund an ihr Ohr und flüsterte:
»Aber auch nicht lieben, Margot?«
»Nein!«
Er erschrak fast, als er dieses Wort hörte.
»Nie? Niemals?« fragte er.
»Niemals,« antwortete sie.
Da glitt sein Arm langsam von ihrer Taille herab; er trat einen Schritt vom Fenster zurück, legte die Hände an seine Stirn und holte tief Athem. Sie hörte dies. Ihr Herz bebte; wäre es hell gewesen, so hätte man ihren Busen an dem Fensterkissen zittern sehen können. Sie wartete, ob er wieder neben sie treten und wieder neben ihr hinausblicken werde – aber er kam nicht.
Da, jetzt ertönten vorn an der Straßenecke neue Stimmen.
»Es lebe die Republik! Nieder mit den Kaiserlichen!«
Ein neuer Schwarm von Menschen drängte sich zur Straße herein. Ihr Ruf sagte, wer oder was sie seien; es waren Republikaner. Da erscholl es von der anderen Seite:
»Es lebe der Kaiser! Nieder mit den Sansculotten!«
Und in der Mitte der Straße rief man:
»Es lebe Ludwig der Achtzehnte! Nieder mit den Kaiserlichen und den Sansculotten!«
Jetzt stießen die drei Parteien zusammen. Es entstand eine fürchterliche Balgerei. Ein gräßliches Brüllen und Schreien erfüllte die Straße; Schüsse detonirten, und an dem Rufen der Verwundeten hörte man, daß man auch die blanke Waffe gebrauche.
»Hurrah!« rief es endlich. »Sieg Ludwig dem Achtzehnten! Plündert die Kaiserlichen und schlagt die Sansculotten todt!«
Die Anhänger Ludwig's hatten gesiegt. Man hörte jetzt Thüren einschlagen und Fenster klirren; die Plünderung begann.
Margot hatte sich vom Fenster zurückgezogen. Sie zitterte vor Angst.
»Mademoiselle, gehen Sie zu Ihrer Mama!« sagte Königsau. »Man weiß nicht, was geschehen kann.«
»Mein Gott,« antwortete sie, »mein Bruder ist als Buonapartist bekannt!«
»Wo wohnt er?«
»Er bewohnt die andere Hälfte der Etage.«
»Ist er daheim?«
»Nein. Er würde sich bei diesem Aufruhr auch nicht nach Hause getrauen.«
»Plünderung, Plünderung!« ertönte es abermals von unten. Und eine einzelne Stimme fügte hinzu: »Hier ist Nummer Zehn; hier wohnt der Capitän!«
Man hörte, daß die Männer unten eindrangen.
»Sie kommen, mein Gott, sie kommen!« rief Margot. »Drüben mögen sie immerhin plündern, wenn sie nur meine arme Mama verschonen!«
»Wenn sie einmal drüben beginnen, so kommen sie auch herüber. Sie tragen den Namen Ihres Bruders und müssen für ihn mit bezahlen. Man muß das zu verhüten suchen. Gehen Sie zu Ihrer Mama; ich werde mein Möglichstes thun!«
Man hörte jetzt die kranke Frau ängstlich rufen; Margot eilte zu ihr. In diesem Augenblicke donnerten auch schon heftige Schläge gegen die Vorsaalthür. Das Dienstmädchen hatte sich versteckt; Königsau sah sich ganz allein. Er ergriff mit der Linken ein Licht, lockerte mit der Rechten seine Pistolen und die Degenklinge und öffnete dann die Thür. Draußen standen eine Menge wilder Gestalten, und auch die Treppe war besetzt von ihnen.
»Was wollen Sie hier, Messieurs?« fragte Königsau mit kräftiger Stimme.
Die Leute waren nicht wenig erstaunt, einen deutschen Officier zu sehen. Sie wichen ein Wenig zurück, und einer von ihnen antwortete:
»Wir suchen den Capitän Richemonte.«
»Er wohnt nicht hier, sondern gegenüber.«
»So werden wir ihn dort aufsuchen!«
»Er ist nicht daheim.«
»Das thut nichts. Wir werden uns seine Meubles einmal ansehen!«
»Da kommen Sie zu einer recht ungewöhnlichen Stunde,« meinte Königsau lächelnd. »Uebrigens, was kann ein Buonapartist für kostbare Meubles haben. Sie würden sich sehr täuschen, Messieurs. Es liegt eine sehr kranke Dame hier; ich hoffe, Messieurs, daß Sie so galant sein werden, dies zu berücksichtigen.«
»Ihr hört es!« meinte der Sprecher zu den Uebrigen. »Wollen wir gehen?«
»Ja!« riefen Viele, und »Nein!« riefen noch Mehrere.
Margot war einige Augenblicke lang bei ihrer Mutter gewesen, jetzt aber stand sie angstvoll im Hintergrunde des Vorsaales, um den Ausgang der Unterhandlung abzuwarten. Sie sah Königsau draußen auf dem Corridore stehen. Das Licht, welches er in der Linken hielt, beleuchtete seine kräftige männlich schöne Gestalt.
»Ich habe das Wort Plünderung vernommen,« sagte er. »Ich bin überzeugt, daß kein Anhänger Ludwig's des Achtzehnten es ausgesprochen hat. Wir haben den Kaiser entfernt und unser Blut für Euch vergossen, um Euch den Frieden, nicht aber Raub und Plünderung zu bringen. Es lebe Ludwig der Achtzehnte; es lebe die Ordnung! Nieder mit den Räubern und Dieben! Das Volk von Frankreich besteht nicht aus Einbrechern, sondern aus ehrlichen Leuten!«
Das war ganz nach der Situation gesprochen.
»Es lebe Ludwig der Achtzehnte; es lebe die Ordnung!« riefen die Leute nach. »Kommt, wir wollen gehen; dieser brave Deutsche giebt uns unseren König wieder; er hat Recht!«
Sie drehten sich um und verließen alle das Haus.
Als Königsau in den Vorsaal zurücktrat, erblickte er Margot. Ihre Augen leuchteten vor Freude über und vor Bewunderung für ihn. Er hatte es gewagt, er, der Einzelne, der verhaßte Deutsche, einer solchen Rotte zügelloser Menschen entgegen zu treten! Sie streckte ihm ihre beiden Hände entgegen und sagte:
»Dank, Monsieur, nehmen Sie Dank! Sie allein sind es, welcher uns errettet und befreit hat. Ich werde sogleich zur Mama gehen, um ihr zu melden, daß die Gefahr vorüber ist.«
Sie ging. Königsau stellte sein Licht wieder in den Vorsaal und kehrte dann in den Salon zurück, um von Neuem die Straße zu beobachten. Er hatte dort noch nicht allzulange gestanden, so sagte ihm ein leichtes Rauschen, daß Margot hinter ihm stehe.
Er wendete sich um und wollte zur Seite treten, um sie an das Fenster zu lassen.
»Bleiben Sie, Monsieur,« sagte sie. »Wir haben Beide Platz.«
»Es ist zu eng für Zwei, die sich nicht lieben können,« warf er ein.
»Bleiben Sie immerhin,« antwortete sie. »Was Ihnen erlaubt war, darf wohl auch ich einmal wagen.«
Sie legte den einen Arm auf das Fensterkissen und stützte den anderen gerade so auf seine Taille, wie er es vorher bei ihr gemacht hatte. Es war ein namenlos seliges Gefühl, welches ihn bei dieser Berührung durchfluthete. Ahnte sie, wie furchtbar wehe sie ihm vorhin gethan hatte, und wollte sie das wieder gut machen?
Er ergriff ihr Händchen und zog ihren Arm, der um ihn lag, fester an. Sie ließ es geschehen.
»Fürchten Sie sich nicht vor diesen Leuten, Monsieur?« fragte sie.
»Fürchten? Ich hätte mit ihnen gekämpft, wenn sie nicht gegangen wären,« versicherte er.
»O Gott, wenn man Sie getödtet hätte!«
»So wäre ich eines schönen Soldatentodes gestorben, und der letzte Gedanke, in Ihrem Dienste gefallen zu sein, wäre für mich bereits der Beginn der jenseitigen Seligkeit gewesen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn es so gekommen wäre.«
»Warum?«
Er schwieg. Nach einiger Zeit war es ihm, als ob er einen leisen Druck ihres Armes fühle, und dann sagte sie:
»Bitte, antworten Sie mir!«
»Weil mein Herz, meine Seele, mein Leben bei Ihnen bleibt, und ich nichts sein werde als ein Automat, der von seinen Pflichten regiert wird.«
»Sagen Sie mir Ihren Vornamen!«
»Hugo.«
»Nun also, Monsieur Hugo, warum bestehen Sie darauf, sich durch trübe Bilder und Vorstellungen das Glück des gegenwärtigen Augenblickes zu verkürzen?«
»Ist es denn ein Glück, Margot?«
»Ja.«
»Für mich, ja,« sagte er, ihre Hand zärtlich drückend; »ob aber für Sie?«
»Auch für mich,« flüsterte sie.
»Wirklich, Margot?«
»Wirklich, Hugo!« versicherte sie.
»Wie ist dies möglich, da Sie mich nicht lieben können?«
Bei dieser Frage hatte er sich gerade empor gerichtet, und da ihr Arm um seinen Leib lag, so war sie gezwungen, dieser Bewegung zu folgen. Sie zog zwar den Arm von ihm fort, blieb aber so nahe an ihm stehen, daß er den Hauch ihrer Worte fühlte.
»Hätte ich wirklich gesagt, daß ich Sie nicht lieben kann?« fragte sie.
»Ja.«
»Ich habe gemeint, daß ich Sie nicht lieben darf. Das ist ein Unterschied!«
»O, und was für einer! Ein riesig großer! Aber warum dürfen Sie nicht?«
»Muß ich Ihnen dies sagen?«
»Ich bitte darum!«
»Gut, aber nicht jetzt, nicht heute, sondern zu einer anderen Zeit.«
»So muß ich warten. Aber darf ich nun auch die Hauptfrage aussprechen?«
»Sprechen Sie, Monsieur!«
Da legte er den linken Arm um sie, zog sie an sich heran, so daß ihr Kopf an seine Schulter zu liegen kam, strich ihr mit der Rechten liebkosend über das reiche Haar und fragte:
»Wird es Ihnen denn so sehr leicht, mich nicht lieben zu dürfen, Margot?«
Da drückte sie ihre Wange an die seinige und antwortete:
»Nein, sondern es fällt mir sehr schwer.«
»Ich danke Dir, danke Dir von ganzem Herzen, Du herrliches, süßes Wesen!« sagte er, indem er seine Lippen auf ihren Mund legte, welcher den Kuß leise erwiderte. »Ich habe Dich trotz der kurzen Zeit, in welcher ich Dich kenne, so unendlich, so unbeschreiblich lieb, daß ich ohne Dich nicht leben kann. Glaubst Du das, meine Margot?«
Da schlang sie die beiden Arme um seinen Hals und antwortete traurig:
»Ich glaube es, denn ich empfinde für Dich ja ganz dasselbe. Aber dennoch müssen wir scheiden!«
»Aber warum? Warum? Sage es mir!«
»Das ist ja eben das, warum ich Dich nicht lieben darf!«
»Und wenn ich Dich nun recht sehr bitte, es mir zu sagen?
Sie umfaßte ihn mit innigster Zärtlichkeit und antwortete:
»Es fällt mir so schwer, so sehr schwer, Hugo.«
»So will ich an Deiner Stelle sprechen, meine Margot!«
»Thue es, mein Freund!«
»Du darfst mich nicht lieben, und Du glaubst, nicht mein Weib werden zu können, weil Du noch nicht frei vom Barone bist?«
»Du hast es errathen,« lispelte sie.
»Wenn ich ihm nun die hundertundfünfzigtausend Franken bezahle, mein Kind?«
»Dieses Opfer ist zu hoch, zu außerordentlich. Bist Du denn so reich, mein Hugo?«
»Ich will ehrlich sein, Margot. Ich bin nicht reich. Ich besitze nichts als ein Gütchen, welches vielleicht gerade so viel werth ist, wie wir brauchen werden. Ich werde es verkaufen, um Dich und Mama von diesem Menschen zu befreien.«
Sie sagte kein Wort, aber sie schlang die Arme um ihn und schmiegte sich so fest und innig an ihn, daß er das Klopfen ihres tief bewegten Herzens fühlte. Ihr Busen wogte an seinem Herzen auf und nieder, und da sie ihr Angesicht liebevoll an das seinige drückte, so fühlte er ihre Thränen über ihre und seine Wangen niederperlen. Ein wiederholtes, krampfhaftes Schluchzen, welches sie wohl unterdrücken wollte, aber nicht beherrschen konnte, sagte ihm deutlich, in welch einem Aufruhr sich ihr Inneres befinde. Er ließ sie gewähren, aber nach einer Weile, als sie ruhiger geworden zu sein schien, fragte er:
»Warum weinest Du, mein liebes Herz? Was kränkte Dich?«
»Nichts, mein Hugo,« antwortete sie, ihn innig küssend; »ich weinte vor Wonne. Ich habe nie geglaubt, einen Mann zu finden, welcher so freudig bereit ist, für seine Liebe zu mir seine ganze Habe zu opfern. Aber ich darf es nicht annehmen, so glücklich mich Deine Bereitwilligkeit auch macht.«
»Warum nicht?«
»Was bliebe Dir zum Leben? Was bedeutet ein armer Officier?«
»Gott wird uns beistehen und für uns sorgen, mein Leben!«
»Du Guter, Lieber!« Sie küßte ihn vor inniger Dankbarkeit auf Stirn, Auge, Wange und Mund; ja, sie küßte sogar seine beiden Hände und fragte dann: »Ist Dir Deine Margot denn wirklich eine so ungeheuere Summe werth?«
Er zog sie an sich, preßte sie heftig an sein Herz und versicherte ihr aufrichtig:
»Mehr als so viele Millionen, wenn ich sie hätte, als es hier Hunderte sind!«
So standen sie lange, Brust an Brust und Mund an Mund. Unten hatte sich der Aufruhr nach und nach verlaufen, um sich nach einer anderen Gegend zu wenden; tiefe Ruhe herrschte, und das erweckte die beiden Glücklichen aus ihrer Verzückung.
»Wie wird sich Mama freuen!« sagte Margot. »Wollen wir es ihr schon heute sagen?«
»Ja. Es ist zwar kühn von mir, weil sie mich noch nicht kennt, aber es nimmt ihr die Sorge um die Wechsel vom Herzen, und daher mag sie es jetzt erfahren.«
»So will ich sehen, ob sie noch wacht.«
Sie schlich leise davon, kehrte aber bald mit der Meldung zurück, daß die Mutter eingeschlafen sei. Es verstand sich von selbst, daß man sie nicht weckte. Erst nach unzähligem Abschiednehmen verließ Königsau die Geliebte, um sich nach Hause zu begeben. Es sollte jedoch anders kommen, als er gedacht hatte.
Er blieb bei der nächsten Straßenecke stehen, um sich eine Cigarre anzuzünden. Es war damals die Zeit, in welcher die Cigarren eben erst aufgekommen waren. Er war noch gar nicht weit von der Ecke fortgeschritten, so kam ihm einer entgegen und sagte:
» Halte la, Kamerad! Donneh moah eng pee de fee pour ma pipe – halt, Kamerad, geben Sie mir ein bischen Feuer für meine Pfeife!«
Dieses Französisch war geradezu schrecklich ausgesprochen. Hätte Königsau den Mann nicht an der Stimme erkannt, so hätte er doch an dieser Aussprache gehört, wer er sei, nämlich der alte Blücher, welcher bekanntlich das schauderhafteste Französisch sprach.
»Zu Befehl, Excellenz!« antwortete der Husar.
»Donnerwetter, ein Deutscher! Es ist so dunkel, daß man nichts erkennt; ich hörte nur den Sarras rasseln und sah die Cigarre glimmen. Wer sind Sie denn?«
»Lieutenant Königsau von den Ziethenhusaren.«
»Ah, Junge, bist Du es? Und noch immer nicht Rittmeister?« lachte der Alte, indem er seine Pfeife in Brand steckte. »Ich bin da in dem alten Dorfe herum gerannt, um die berühmte Revolution zu sehen, welche es gegeben haben soll, habe aber ganz und gar nichts bemerken können.«
»Ich war so ziemlich dabei engagirt, Excellenz.«
»Ah, wirklich? Komm, mein Sohn, das mußt Du mir erzählen! Ich weiß da ein recht hübsches Nest, wo es einen recht guten Wein giebt und auch noch einiges Andere mehr; da sollst Du mir beichten. Die Zeche braucht Dir keine Sorge zu machen.«
Er klopfte an die Tasche, in welcher die Goldstücke klirrten, und schritt voran. Königsau wußte, daß Blücher ein leidenschaftlicher Spieler war, der des Abends gern sein Glück versuchte; daher ahnte er, daß der jetzige Gang wohl den gleichen Zweck habe, und er sollte sich auch nicht getäuscht haben.
Nach einiger Zeit blieb Blücher vor der Thür eines Hauses stehen, welches allem Anscheine nach nicht ein öffentliches, sondern ein Privathaus war.
»Mein Sohn,« sagte er. »Ich nehme Dich mit hierher, weil ich denke, daß Du ein braver und verschwiegener Kerl bist. Du wirst von Allem, was Du siehst, das Maul halten; wo nicht, so holt Dich entweder der Teufel, oder ich!«
»Excellenz dürfen glauben, daß ich keine Plaudertasche bin,« sagte Königsau.
»Das will ich Dir auch gerathen haben! Erführe ich, daß Du Deinen Schnabel nicht in Acht nimmst, so wärest Du ein ausgemachter Lump, mein lieber Sohn, und würdest ganz gewaltig in die Käse fliegen, Du Himmelsacramenter!«
Er zog leise an einer Glocke. Erst nach längerer Zeit hörte man im Inneren des Hauses nahende Schritte, und eine Stimme fragte:
»Wer ist draußen?«
»Blücher,« antwortete der Feldmarschall.
Sogleich wurde die Thür geöffnet, und die Beiden traten ein. Der Portier, welcher sie empfing, verbeugte sich tief; Blücher beachtete es nicht und schritt voran, die Treppe empor. Oben trat er in ein Zimmer, in welchem mehrere Herren saßen, welche sich ehrfurchtsvoll erhoben. Er nickte ihnen zu und schritt, ohne Königsau vorzustellen, an ihnen vorüber in ein Nebenzimmer, in welchem sich kein Mensch befand.
Auf dem dort stehenden Tische sah man Gläser und volle Flaschen stehen. Blücher griff sofort nach einer der Letzteren, entkorkte sie und schenkte ein.
»Zunächst einschenken,« sagte er. »Diese Franzosen sind ein ganz verfluchtes Volk und haben doch einen verteufelt guten Wein. Wie paßt das zusammen! Schon aus Aerger darüber könnte man sie in Kochstücke hauen. Prosit mein Sohn! Dieser Tropfen wird Dir nicht in der Gurgel stecken bleiben.«
Er stieß mit dem Lieutenant an, setzte sich und fuhr dann fort:
»So! Nicht wahr, er ist gut? Nun setze Dich zu mir und erzähle mir von der Revolte, welche Du mit erlebt hast. Wir haben noch einige Zeit.«
Königsau folgte diesem Befehle, indem er nur das berichtete, was er für nothwendig hielt, ohne seine Herzensangelegenheit zu berühren. Während er erzählte, traten nach einander mehrere Herren ein, welche ehrerbietig grüßten, und es nicht wagten, bei den Beiden Platz zu nehmen, sondern durch eine zweite Thür verschwanden. Als er geendet hatte, sagte der Marschall:
»Also ein Auflauf, wie er in diesem Sodom und Gomorra öfters vorkommt. Für uns hat er nichts zu bedeuten, da die Demonstration nicht gegen uns gerichtet gewesen ist. Man ist Dir sogar gehorsam gewesen. Für so einsichtsvoll habe ich noch keinen Franzosen gehalten. Dein Auftreten ist muthig und tadellos gewesen, mein Sohn; ich muß Dich loben. Wie aber bist Du zu diesen Damen gekommen?«
»Wie man so Damenbekanntschaften zu machen pflegt, Excellenz!«
»Na, wie denn?« fragte Blücher.
Es war bekannt, daß er zu den Bewunderern des schönen Geschlechtes zählte. Er hörte, daß der Lieutenant sich Mühe gab, bei seiner Antwort einen möglichst gleichgiltigen Ton beizubehalten; er vermuthete daher ein kleines Abenteuer und wollte sich die Erzählung desselben nicht entgehen lassen.
»Ich traf die Tochter auf der Straße,« antwortete er. »Sie wurde von einem Russen insultirt; ich nahm mich ihrer an, und führte sie nach Hause. Infolge dessen erhielt ich von der Mutter die Erlaubniß, sie zu besuchen.«
Blücher nickte, machte ein höchst pfiffiges Gesicht und sagte:
»Verdammte Kerls, diese Russen! Wo sie eine Schürze oder eine hübsche Larve sehen, da fliegen sie in die Höhe wie Champagnerpfropfen. Also Du sagst, daß er sie insultirt habe, mein Sohn? In welcher Weise ist dies denn geschehen?«
»Er bemächtigte sich ihres Armes.«
»Donnerwetter, da muß sie hübsch gewesen sein! Nicht?«
»Ich habe keine Veranlassung, es zu leugnen, Excellenz.«
»Aha, nun ahne ich das Uebrige! Sie hat Dich gefangen, alter Schwede!«
Königsau zuckte leicht die Achsel und schwieg verlegen.
»Hm!« brummte Blücher. »Daß doch das junge Volk so geheimnißvoll und wichtig thut, als ob es sich um eine große, außerordentliche, politische Finesse handelte. Da sitzt der Kerl, zugeknöpft wie eine Sphinx, und denkt nicht, daß der alte Blücher klug genug ist, den ganzen Kram zu errathen. Junge, ich bin auch einmal jung und dumm gewesen, ein echter, richtiger Windbeutel; ich bin den Mädels nachgelaufen, wie der Bauer den Maulwürfen, und habe manchen Kuß weggeschnappt, der eigentlich einem Anderen gehört hatte. Jetzt bin ich alt und trocken wie Methusalem, aber ein Paar schöne Augen sehe ich mir auch jetzt noch lieber an, als ein Paar zerrissene Stiefel. Also kannst Du mir getrost die Wahrheit sagen. Nicht wahr, Ihr habt Euch ganz gehörig in einander verschamerirt?«
Königsau sah sich in die Enge getrieben. Er durfte den Marschall nicht belügen; er sagte sich im Gegentheil, daß dieser als sein höchster Vorgesetzter Offenheit von ihm fordern, und ihm außerordentlich nützlich sein könne; darum sagte er:
»Ja, es wird wohl nicht viel anderes sein, Excellenz.«
»Das läßt sich begreifen,« nickte der Alte. »Sie ist schön, wie Du sagst, und auch Du bist kein unebener Junge; da schnappt man rasch ein Bischen über. Aber einen guten Rath will ich Dir geben, mein Junge: Herze sie; drücke sie; schmatze sie und kneipe sie, so viel Du willst, aber heirathe sie um Gotteswillen nicht!«
»Warum?«
»Das will ich Dir sagen, Junge. Ich habe nämlich ein Haar darin gefunden, nein, nicht nur ein Haar, sondern einen ganzen alten Weiberzopf. Erst sind die Frauen mild und süß, ganz der reine Zucker; nach der Hochzeit aber geht der Teufel los und sie werden wie Alaun und Vitriol; es zieht Einem die Gurgel zusammen. Den Hof magst Du einer immerhin machen, aber nur ja keinen Heirathsantrag, sonst bist Du verloren wie Tabacksasche. Du glaubst gar nicht, was für ein Volk diese Frauenzimmer sind! Ich thue mir immer eine Güte, wenn ich einer einmal so einen richtigen Puff versetzen kann. Vor langen Jahren verliebte ich mich einmal in eine hochadelige Dame; ich war perplex bis zum Rasendwerden. Sie spielte sehr gern und ich auch. Eines Abends gewann ich ihr mehrere tausend Thaler auf Ehrenwort ab. Sie hatte große Angst vor ihrem Manne, der das ja erfahren und bezahlen mußte. Da sagte ich ihr, daß ich ihr das Geld schenken wolle, wenn sie mir einen Kuß gäbe. Was antwortete das Weib? Einiger tausend Thaler wegen werfe sie sich nicht weg! Nun gut! Ich erhielt mein Geld und die Zeit verging. Ich avancirte und wurde General, aber mit den Verhältnissen dieser Dame ging es retour. Sie wurde alt, aber das Spielen konnte sie nicht lassen. Eines schönen Abends gewann ich ihr wieder eine bedeutende Summe ab. Da sagte sie mir vor allen Leuten, daß sie jetzt bereit sei, den erbetenen Kuß zu geben, wenn ich ihr die Schuld quittiren wolle; ich aber antwortete ihr: »Nee, gnädige Frau; die Zeiten ändern sich; der Appetit auf Sie ist mir vergangen; ich schmatze keene alte Schachtel!« Du kannst Dir denken, mein Sohn, was für ein Gesicht sie machte! Ich gebe Dir mein Wort: Erst sind diese Weibsen der reine Honigseim, später jedoch wird Rindsgalle daraus. Nach der Hochzeit werden sie überständig und moderig; sie kriegen Risse, Knitter und Stockflecke; die Falten kommen, und die Haare fallen aus, und aus dem früheren Engel wird eine Klatschschwester, eine Vogelscheuche, ein Drache, ein Ungethüm, das Gift und Feuer speit. Darum verliebe Dich, aber verheirathe Dich nicht, mein Sohn! Aber, Du ziehest mir so ein wunderliches Gesicht! Junge, Du bist doch nicht etwa schon auf den Leim gegangen?«
Königsau lachte und antwortete:
»Ich sitze fest, Excellenz!«
»Alle Teufel, das ist dumm! Hast Du ihr Dein Wort gegeben?«
»Freilich!«
»Das ist noch dümmer! Armer Kerl, Du kannst mich dauern! Ist sie reich?«
»Nein!«
»Kerl, Du bist ein Esel!«
»Aber ein sehr glücklicher, Excellenz!«
»Ja, das denkst Du jetzt. Aber der hinkende Bote kommt hinterher und faßt Dich beim Schopfe. Und nun gar eine Französin! Hättest Du Dich an eine Deutsche verschachert, so möchte es noch gehen; aber eine Mademoischnelle, das ist zu dumm, mein Sohn: So ein Kerl wie Du bist! Du brauchst nur die Hand auszustrecken, so hängen gleich Elfhundert daran, und hier gehst Du so traurig auf den Leim!«
Blücher schüttelte den Kopf; Königsau aber meinte in zuversichtlichem Tone:
»Es ist kein Leim, Excellenz. Margot ist gut.«
»Gut? Hm! Wart's ab! Also Margot heißt sie?«
»Ja.«
»Na, der Name wenigstens klingt nicht übel! Aber sie ist arm, und Du hast nichts. Was soll daraus werden?«
»Ich verkaufe mein Gut.«
Der Husar ließ sich diese Antwort entfahren, ohne daran zu denken, daß er damit gerade das preis gab, was er gern verschweigen wollte.
»Dein Gut verkaufen?« fragte Blücher erschrocken. »Warum? Das ist ja gar nicht nöthig! Gerade, da Du Dich verheirathen willst, mußt Du es behalten. Deine Gage ist ja nur eine Lappalie; Dein Gut bringt Dir einen Zuschuß; wovon willst Du leben, wenn dieser wegfällt?«
Königsau blickte nachdenklich vor sich nieder und antwortete dann:
»Sie haben Recht, Excellenz, aber ich muß verkaufen; ich bin zu diesem Opfer gezwungen, und ich bringe es gern.«
»Wer zwingt Dich denn dazu?«
»Ein neugebackener Baron, der Armeelieferant Napoleon's gewesen ist.«
»Ein Armeelieferant? Den Kerl soll der Blitz zerquetschen! Diese Menschen sind alle Spitzbuben, einer wie der Andere! Aber wie hängt das zusammen? Hast Du etwa mit ihm gespielt? Bist Du ihm Geld schuldig?«
Der Lieutenant sah ein, daß er bereits zu mittheilsam gewesen sei, um jetzt schweigen zu können. Er beschloß, aufrichtig zu sein und dem Marschall Alles zu erzählen. Blücher hörte ihm schweigend zu; seine Miene wurde ernst und immer ernster; endlich schüttelte er langsam den Kopf und sagte:
»Das ist nun freilich eine ganz und gar verfluchte Geschichte. Du bist ein Ehrenmann und kannst nicht mehr zurück. Dein Gütchen ist pfutsch, vollständig pfutsch, armer Junge. Aber so ist es: gestern verliebt und heute ein Esel! Wie willst Du es anfangen, um Geld zu bekommen? In acht Tagen müssen die Wechsel eingelöst werden; aber so schnell geht es doch mit dem Verkaufe nicht!«
»Das macht mir keine Sorge. Das Gut ist unverschuldet; wenn ich es verpfände, giebt mir jeder Bankier die Summe, welche ich brauche.«
»Hm! Junge, Du dauerst mich! Ist diese Margot denn gar so ein Wunder von einem Mädchen, daß Du Dein ganzes bischen Habe gern für sie opferst?«
»Sie ist ein Engel!« antwortete Königsau warm.
»Donnerwetter, da darf ich sie mir wohl einmal ansehen, he?«
»Wenn Excellenz befehlen, werde ich Sie vorstellen.«
»Gut! Du hast mit der Alten noch gar nicht gesprochen, das heißt, über Eure Liebelei?«
»Nein.«
»Und morgen willst Du Dich erklären?«
»Ja.«
»Schön! Ich werde Dich begleiten und den Freiwerber machen. Ich glaube, daß es Dir keine Schande ist, wenn der alte Gebhard Leberecht von Blücher seinen Senf dazu giebt. Wie viel Uhr wirst Du erwartet?«
»Um drei Uhr.«
»So komme halb drei Uhr zu mir. Ich werde mich in Glanz und Wichs werfen, um Ehre einzulegen. Aber das sage ich Dir: Gefällt mir das Mädchen nicht, so rede ich kein Wort. Ich will den Vorwurf nicht auf dem Gewissen haben, an Deinem Elend Schuld zu sein. Ah!«
Er erhob sich, denn es trat ein Herr ein, welcher ihm sehr bekannt zu sein schien, und den er vertraulich grüßte. Der Mann trug sich höchst elegant; seine Hände waren mit kostbaren Ringen besteckt, und an seiner Uhrkette glänzten Berloquen, welche ein Vermögen repräsendirten. Königsau wurde ihm von dem Marschall vorgestellt, und so erfuhr der Lieutenant, daß der Franzose einer der bedeutendsten Bankiers von Paris sei.
Jetzt traten die Drei in dasselbe Zimmer, in welches sich alle Diejenigen begeben hatten, welche während des Gespräches Blücher's mit Königsau gekommen waren.
Der Letztere erkannte auf den ersten Blick, daß er sich in einer Gesellschaft feiner Spieler befinde. Man hatte sich um mehrere Tische arrangirt, um den verschiedensten Hazardspielen zu huldigen. Der Bankier trat an einen Tisch, an welchem man Biribi spielte.
»Wollen Sie mir heute Revanche für gestern geben, Durchlaucht?« fragte er Blücher.
»Später, Monsieur,« antwortete dieser. »Vorerst will ich mich anderswo versuchen.«
Er begab sich an einen Tisch, wo mehrere Herren beim Pharao saßen.
»Hast Du bereits einmal gespielt, mein Sohn?« fragte er den Lieutenant.
»Noch nie,« antwortete dieser.
»Auch noch nie zugesehen?«
»Oefters, Excellenz.«
»Das ist gut; Du wirst Dich also betheiligen können.«
»Ich bin kein Spieler,« entschuldigte sich Königsau.
»Das gilt hier nicht. Du mußt nämlich wissen, daß ein jeder, der hier Zutritt erhält, mitspielen muß. Ich habe Dich eingeführt, und ich hoffe, daß es nicht zu Deinem Schaden ist. Bist Du bei Geld, Junge?«
»Ich habe einige hundert Franken mit.«
»Das genügt, um vorsichtig zu pointiren. Komme!«
Königsau war ein Feind alles hassarden Spieles; er hätte am Liebsten das Haus wieder verlassen; aber heute und hier ging dies nicht; er war gezwungen, sich zu betheiligen, nahm sich jedoch vor, nicht leichtsinnig zu sein.
Er wurde von Blücher den Herren vorgestellt und begnügte sich zunächst damit, den Gang des Spieles zu beobachten. Blücher legte tausend Franken vor sich hin und erklärte, daß er aufhören werde, sobald diese Summe verloren sei. Er spielte mit abwechselndem Glücke. Schließlich setzte Königsau eine bescheidene Summe und gewann; er setzte abermals und gewann. Blücher nickte ihm aufmunternd zu. Der Lieutenant hatte Glück, der Marschall endlich aber Unglück. Nach Verlauf einer Stunde besaß Königsau über tausend Franken, während Blücher die seinigen verloren hatte. Er trat vom Tische ab, und der Lieutenant hielt es für seine Schuldigkeit, ihm zu folgen.
»Mein Geld hat der Teufel geholt,« lachte der Alte; »aber ich habe mehr mit. Das war nur so ein kleines Vorspiel. Gestern Abend habe ich im Biribi fünfzehntausend Franken gewonnen; der Bankier führte die Bank; ich muß ihm heute Revanche geben. Du scheinst Glück zu besitzen. Wie viel hast Du gewonnen, mein Sohn?«
»Etwas mehr, als tausend Franken,« antwortete Königsau.
»Das freut mich; so ist mein Geld doch in deutsche Hände gekommen, und Du kannst am Biribi theilnehmen. Kennst Du es?«
»Vom Zusehen.«
»Das genügt. Aber ich muß Dir sagen, daß man sehr hoch spielt. Hundert Franken ist der geringste Einsatz. Komm, versuchen wir, dieser guten Frau Fortuna einmal gehörig zu Leibe zu gehen!«
Blücher machte Rechtsumkehrt und Königsau folgte ihm.
Als Blücher und Königsau zum Tische traten, an welchem sich, wie es schien, die Hervorragendsten der Anwesenden befanden, nickte der Bankier dem Marschall zu. Dieser ging, wie im Kriege, auch hier gerade auf den Feind los und setzte fünfhundert Franken. Er verlor sie, gewann sie dann aber wieder. Man sah es seinem ferneren Spiele an, daß er sich von der Leidenschaft nicht hinreißen ließ, aber vom Glücke nicht sehr begünstigt wurde; er verlor mehr, als er gewann.
Jetzt wagte Königsau, zweihundert Franken auf Ungerade rechts zu setzen. Er gewann, und erhielt das Doppelte. Dann setzte er hundert Franken auf Nummer Zwölf. Er gewann und erhielt das Zweiunddreißigfache. Jetzt sah er sich ganz plötzlich im Besitze von über viertausend Franken und konnte mehr wagen. Er nahm sich vor, nur über die Hälfte dieser Summe zu disponiren, und hatte die Genugthuung, dieselbe nicht alle werden zu sehen. Er war offenbar vom Glücke begünstigt. Einmal wagte er tausend Franken auf einen Satz und gewann; da seine Nebenlinie besetzt war, erhielt er sechszehntausend Franken.
Jetzt begann sein Glück Aufsehen zu erregen. Er setzte zehntausend auf Eins bis Achtzehn und gewann das Doppelte. Bei kleineren Einsätzen verlor er einige Male. Nach Verlauf von anderthalber Stunde sah er sich im Besitze einer höchst bedeutenden Summe. Einige Spieler traten ab, und es begann, dem Bankier an baarem Gelde zu fehlen.
»Noch zehn Mal, dann halte ich auf, Messieurs!« sagte er. Da trat Blücher zu Königsau und flüsterte ihm zu:
»Benutze Dein Glück, mein Sohn; es ist Dir heute treu!«
»Haben Excellenz aufgehört?« fragte der Lieutenant.
»Ja, mein ganzes Geld ist zum Teufel.«
»Excellenz haben ja Credit.«
»Ich borge von keinem Franzosen!«
»Darf ich es nicht wagen, mich Ihnen zur Verfügung zu stellen?«
»Ich danke Dir, mein Junge! Ich würde es annehmen, aber der Spieler ist abergläubisch. Wer gewinnt, soll seinen Gewinn nicht angreifen. Ich bin überzeugt, daß Du von jetzt an verlieren würdest. Spiele weiter! Ich werde zusehen. Wieviel hast Du jetzt?«
»Gegen fünfzigtausend Franken.«
»Alle Teufel! Na, fahre fort, mein Sohn! Es wäre mir ein Gaudium, wenn es Dir gelänge, diese Franzmänner gehörig auszubeuteln!«
Das Spiel nahm für den Deutschen einen günstigen Verlauf. Da nahte die letzte Tour. Außer dem Bankier und Königsau betheiligte sich nur noch einer beim Spiele. Dieser setzte seine letzten hundert Franken auf ein Kreuz. Unter einer plötzlichen Eingebung deutete der Deutsche auf die daneben liegende Nummer und sagte:
»Zwanzigtausend auf diese!«
Der Bankier erschrak; das sah man ihm deutlich an.
»Wissen Sie, Monsieur,« sagte er, »daß ich Ihnen das Achtfache, also hundertundsechszigtausend Franken zu bezahlen habe, wenn Sie gewinnen?«
»Allerdings weiß ich das,« antwortete Königsau.
»Sie sehen aber, wie es mit meiner Casse steht. Creditiren Sie mir bis morgen Vormittag zehn Uhr, falls ich Unglück haben sollte?«
»Mit dem größten Vergnügen!«
»Nun wohl, so wollen wir sehen!«
Die Anwesenden waren höchst begierig, den Erfolg zu sehen. Der Bankier zog die Karte, drehte sie langsam um und erblaßte – es war die Nummer, welche Königsau gesetzt hatte. Ein allgemeiner Ruf des Erstaunens ging durch das Zimmer; eine solche Summe war hier noch nie auf einen Satz verloren worden.
»Monsieur, ich bitte Sie, mir Ihre Wohnung anzugeben,« sagte der Bankier.
Königsau überreichte ihm seine Karte. Er befand sich jetzt im Besitze von über zweimalhunderttausend Franken. Er war während des Spieles innerlich vollständig ruhig geblieben, jetzt aber war es ihm, als ob er vor Freude laut sein Glück hinausrufen müsse. Diese Freude wurde von dem Marschall aufrichtig getheilt. Dieser klopfte ihm auf die Achsel und sagte:
»Himmelelement, war das ein Treffer! Du bist ein ganz und gar bevorzugter Glückspilz, mein Junge. Ich werde Dir tragen helfen, denn Du bist nicht im Stande, das viele Geld nach Hause zu schleppen. Vor allen Dingen aber wollen wir dieses Ereigniß mit einer Flasche Champagner begießen.«
Jetzt nun setzten sich die Anwesenden zusammen, um das Glück zu feiern, oder den Aerger über ihr Unglück in Wein zu ersäufen. Im Laufe der Unterhaltung erfuhr Königsau, in welch einem Hause er sich befand.
Es gab damals in Paris Hausbesitzer, welche ihre Räume vornehmen Spielern öffneten. Diese Letzteren kamen da des Abends zusammen, ohne direct mit dem Wirthe zu verkehren. Ein Entree wurde nicht bezahlt, aber Alles, was genossen wurde, war so theuer, daß der Besitzer sich sehr wohl dabei stand. In einem solchen Hause befand sich der Deutsche.
Es war in demselben für Alles gesorgt. Sogar starke Leinwandsäckchen hielt man vorräthig, damit ein glücklicher Gewinner im Stande sei, sein Geld bequem nach Hause zu bringen. Es kam öfters vor, daß dergleichen Säckchen gebraucht wurden, obgleich es noch keinen solchen Gewinn gegeben hatte, wie heute.
Als man aufbrach, hielt der Marschall Wort. Er half Königsau seinen Gewinn tragen. Dieser Liebesdienst bereitete dem Alten ein großes Vergnügen. Einem anderen Manne seiner Stellung wäre es wohl nicht eingefallen, den Diener eines Lieutenants zu machen.
»Höre Junge, wie ist es Dir denn eigentlich zu Muthe?« fragte er, als sie sich auf der Straße befanden und von den Anderen Abschied genommen hatten.
»Ganz unbeschreiblich, Excellenz,« antwortete Königsau.
»Das glaube ich! Du bist mir zu Deinem Glücke begegnet, und ich denke, Du siehst ein, daß ein Spielchen doch etwas nicht so ganz und gar Unebenes ist.«
»Ich habe keine Veranlassung, sofistisch zu sein,« lachte der Lieutenant; »aber ich sage dennoch: Einmal gespielt, aber nicht wieder.«
»Ist dies wahr?«
»Ja, Excellenz, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nie wieder spielen werde. Es fällt mir gar nicht ein, das Glück in Versuchung zu führen, denn ich bin überzeugt, daß ich es bereuen würde. Ich will mich des heutigen Gewinnes freuen, ihn aber nicht anderen vor die Thüren tragen.«
»Daran thust Du recht, mein Sohn. Das Spiel ist ein Weib, dem man niemals trauen darf. Ich habe es erfahren, bin aber niemals so klug gewesen wie Du, mich darnach zu verhalten. In dieser Beziehung ist der alte Blücher ein fürchterlicher Esel, Du brauchst dies aber keinem Menschen zu sagen.«
»Am Meisten freue ich mich über meinen Gewinn, weil ich nun nicht nöthig habe, mein Gut zu verkaufen. Ich kann Margot die hundertundfünfzigtausend Franken geben und behalte dennoch eine bedeutende Summe übrig. Das macht mich so glücklich, wie ich im ganzen Leben noch nicht gewesen bin.«
»Ich gönne es Dir. Wann willst Du ihr das Geld geben?«
»Morgen gleich.«
»Schön. Laß Dir das Geld in Papier umwechseln, daß Du es bequem tragen kannst. Uebrigens wirst Du Wort halten, und mich halb drei Uhr abholen?«
»Das versteht sich, Excellenz!«
»Und Du denkst nicht, daß die Alte, ihre Mutter, Sperrenzien machen wird?«
»Ich glaube es nicht.«
»Ich wollte es ihr auch nicht gerathen haben. Einem Kerl, der vor lauter Liebe anderthalbmalhunderttausend Franken opfert, kann man seine Tochter schon geben. Also ein Vater ist nicht da?«
»Nein, aber ein Bruder, wie ich Eurer Excellenz ja bereits erzählt habe,« antwortete der Lieutenant. Und zögernd fügte er hinzu: »Sie kennen ihn bereits.«
»Ah! Wo hätte ich ihn denn gesehen?«
»Wir haben ihn unter für ihn allerdings nicht sehr günstigen Umständen kennen gelernt. Es ist derjenige, den ich geohrfeigt habe.«
»Donnerwetter! Und Du willst der Schwager dieses Kerls werden?«
»Der Stiefschwager,« verbesserte Königsau.
»Das ist egal. Schwager ist Schwager, und wenn der Hallunke zehnmal stief ist. Ja, diesem Kerl traue ich Alles zu, was Du mir von ihm erzählt hast. Ein Mensch, der einem die Genugthuung verweigert, ist auch fähig, sein Vermögen durchzubringen und seine Schwester zu verschachern. Na, ich hoffe, daß er uns morgen nicht in die Quere läuft, sonst würde ich ihn kurranzen, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Aber sage mir, mein Junge, wo ist denn die Bude, in der Du wohnst?«
»Ganz in der Nähe; das dritte Haus von hier.«
»So wohnst Du also nicht weit von mir. Na komme. Man hat mich heute im Biribi ganz gehörig gerupft; das will ich verschlafen.«
Vor der Wohnung des Lieutenants angekommen, gab er ihm das Geld, welches er getragen hatte, und verabschiedete sich in leutseliger Weise von ihm.
Als Königsau in seiner Stube Licht gemacht hatte, breitete er seinen Gewinn auf dem Tische aus, um ihn zu zählen. Er war mit einem Schlage zu einem Vermögen gekommen. Es war, als hätte Gott ihn heute mit dem Marschall zusammengeführt, um ihm das Opfer, welches er der Geliebten bringen wollte, zu erleichtern. Das ungeheure Glück, welches er gehabt hatte, dünkte ihm das Ja und Amen zu sein, welches die Vorsehung zu seiner Liebe sagte. Und als er sich schlafen legte, that er es in dem Bewußtsein, morgen ein Glück zu erlangen, an welches er noch vor ganz kurzer Zeit nicht gedacht hatte.
Als er am nächsten Morgen sich das Geld hatte umwechseln lassen, besaß er in seiner Brieftasche den Talisman, die Sorgen der Geliebten und ihrer Mutter zu beenden. Er konnte den Nachmittag kaum erwarten und machte bereits große Toilette lange bevor die Zeit gekommen war.
Blücher empfing ihn in voller Uniform. Er hatte Wort gehalten und sich »in Wichs und Glanz geschmissen«. Die beiden Männer sahen aus, als ob sie bei der Königsparade zu erscheinen hätten.
»Da bist Du ja, mein Sohn,« sagte der Marschall. »Es ist punkt halb drei Uhr, wir müssen aufbrechen, und ich weiß wahrhaftig noch nicht, was ich sagen soll. Eine Anrede an meine Soldaten fällt mir immer ein; sie ist sofort da, sobald ich sie brauche; aber mit einer Werbung ist es denn doch ein anderes Ding. Ich habe mir schon fast den Kopf zerbrochen, aber noch nicht ein einziges Wort gefunden. Das wird eine schöne Geschichte werden, wenn ich dastehe, wie Töffel vor dem Pfarrer und keine Silbe hervorbringe!«
»O,« sagte Königsau lächelnd, »Excellenz dürfen nur draufgehen wie auf den Feind.«
»Hat sich was mit draufgehen! Es ist mir angst und bange bei der Geschichte. Ich glaube, ich reiße aus, wenn es losgehen soll. Der Teufel hole die Heirathsanträge! Ja, wenn ich diese Margot für mich haben wollte, da müßte es nur so pfeifen; aber für einen Anderen die Kastanien aus dem Feuer holen, dabei kann man sich leicht die Hand verbrennen. Na, ich habe mich einmal mit dieser Geschichte eingelassen, und so muß sie auch ausgepatscht werden. Komm, Junge; wir wollen gehen!«
Sie machten sich auf den Weg. Als sie ihr Ziel erreichten, und von dem Mädchen eingelassen wurden, kam Margot ihnen entgegen geeilt. Ihr schönes Gesicht glänzte vor Freude, und sie hielt die Arme erhoben, um den Geliebten zu umfangen; als sie aber den Alten erblickte, ließ sie dieselben wieder fallen.
»Na na, nehmt Euch immer beim Kopfe!« sagte er. »Ich bin verschwiegen und rede es nicht aus!«
Sie wurde ob dieser gutmüthig derben Anrede sichtlich verlegen, und diese Verlegenheit steigerte sich, als Königsau ihr in seinem Begleiter den berühmten Feldmarschall vorstellte, von dessen Eigenheiten man sich so wunderbare Dinge erzählte.
Sie traten in den Salon. Blücher warf einen forschenden Blick umher, ließ diesen dann auf dem Mädchen ruhen, klopfte dem Lieutenant auf die Achsel und sagte:
»Junge, ich bin zufrieden mit Dir! Diese Margot ist ein verteufelt hübsches Kind. Weiß Gott, das Maul möchte einem wässerig werden, wenn man sie ansieht. Das wird eine Frau, mit der Du Dich nicht zu schämen brauchst.«
Königsau erfuhr, daß die Mutter sich leidlich wieder erholt habe und bald erscheinen werde. Als sie eintrat, sah sie allerdings noch angegriffen aus. Auch sie verwunderte sich, daß Königsau nicht allein gekommen war; als sie aber hörte, wer der andere Besucher sei, flog es doch wie eine stolze Genugthuung über ihr Gesicht.
Das Gespräch erstreckte sich zunächst auf Allgemeines und ging dann auf das gestrige Ereigniß über. Blücher freute sich, daß die beiden Damen Deutsch verstanden, und unterhielt sich in einer Weise mit ihnen, als ob sie alte Freundinnen von ihm seien. So verging über eine Stunde, ohne daß er des eigentlichen Grundes seiner Anwesenheit gedacht hätte; er schien den rechten Anfang noch nicht gefunden zu haben.
Da klingelte es draußen. Man hörte, daß das Mädchen den Vorsaal öffnete, und den Kommenden eintreten ließ. Es war der Baron de Reillac.
Er stutzte, als er die beiden Officiere erblickte. Er hatte Blücher gesehen und kannte ihn also. Als er den Namen Königsau nennen hörte, wußte er sogleich, daß dieser der Officier sei, welcher Albin Richemonte geohrfeigt hatte. Er fragte sich, was die beiden Herren hier wohl zu suchen hätten, und fand keine andere Erklärung, als die, daß sie eben dieser Angelegenheit wegen gekommen seien. Sie hatten den Capitän nicht gefunden, und waren deshalb bei dessen Mutter eingetreten. So dachte er.
Blücher hingegen wußte beim Nennen des Namens des Franzosen sofort, daß es jener Baron sei, welcher sich den Besitz Margot's erzwingen wollte; darum schenkte er ihm nicht die mindeste Beachtung und erwiderte nicht einmal seinen Gruß.
»Sie suchen den Capitän Richemonte?« fragte Reillac.
»Woraus schließen Sie das?« fragte Königsau kalt.
»Aus Ihrer Anwesenheit, Monsieur.«
»Dann irren Sie sich. Der Capitän hat sich nicht geneigt erklärt, sich mit meiner Person zu beschäftigen. Meine Anwesenheit gilt den Damen.«
»Ah!« rief der Franzose überrascht. »Sie kennen einander?«
»Wie sie sehen!«
Da kam dem Baron ein Gedanke. Die Anwesenheit des Lieutenants galt jedenfalls mehr der Tochter als der Mutter. Hatte er etwa Absichten auf Margot? Eine fürchterliche Eifersucht erfaßte den Baron. Er wollte Gewißheit haben und fragte daher:
»Kennen Sie einander schon längere Zeit?«
»Interessiren Sie sich für diese Frage?« lächelte der Deutsche.
»Allerdings. Ich zähle mich zu den Freunden dieser Damen und nehme also Theil an Allem, was sie betrifft.«
»Nun, dann will ich Ihnen mittheilen, daß wir uns zwar erst seit Kurzem kennen, daß ich aber die Ueberzeugung hege, daß unsere Bekanntschaft sehr lange dauern, ja, wie ich hoffe, nur mit dem Leben enden wird.«
Das war deutlich geantwortet. Der Deutsche hatte Absichten auf Margot, das wußte der Baron jetzt. Er nahm sich vor, ihm sofort alle Hoffnungen zu nehmen, und sagte darum:
»Welcher Umstand berechtigt Sie zu dieser Ueberzeugung?«
Königsau warf ihm einen erstaunten Blick zu, zuckte die Achsel und antwortete:
»Mir scheint, Sie wollen mich examiniren!«
Der Baron ließ sich durch diese abweisende Frage nicht irre machen.
»Ein Wenig!« antwortete er. »Das Wohl von Madame und Mademoiselle liegt mir zu sehr am Herzen, als daß es mir gleichgiltig sein sollte, welche neue Bekanntschaft sie machen. Es ist da sehr nothwendig, vorher zu prüfen.«
»Ah! Haben Sie etwa die Absicht, mich zu beleidigen?«
»Nicht im Geringsten!«
»Das wollte ich dem Kerl auch nicht gerathen haben!« rief da Blücher.
Er hatte, halb abgewendet, der Unterhaltung zugehört. Er ärgerte sich über die Zudringlichkeit des Franzosen und hielt es endlich für angemessen, auch ein Wort zu sagen.
Madame Richemonte blickte den Alten erschrocken an. Es wurde ihr Angst. Sie befand sich in den Händen des Barons. Wurde dieser hier beleidigt, so ließ er es ihr ganz sicher entgelten, ohne alle Rücksicht darauf, ob sie daran schuld sei oder nicht.
Auch der Baron warf einen raschen, aber mehr erstaunten, als erschrockenen Blick auf den Marschall. Er war reich, und der Reichthum pflegt einem jeden ein gewisses Gefühl der Sicherheit, des Selbstvertrauens zu geben.
»Was meinen Excellenz mit diesen Worten?« fragte er rasch.
»Ich meine, daß Ihnen ein heiliges Donnerwetter auf den Hals fahren soll, wenn Sie fortfahren, solche unverschämte Fragen auszusprechen,« antwortete der Alte.
»Monsieur, ich bin ein Edelmann!« rief der Franzose in fast drohendem Tone.
»Wie? Was?« fragte Blücher, indem er sich erhob. »Moßieh nennen Sie mich? Moßieh! Donnerwetter, ich will Sie bei Moßieh! Ich bin der Feldmarschall von Blücher, Fürst von Wahlstatt, verstanden? Sie haben mich Excellenz oder Durchlaucht zu nennen; mit Ihrem Moßieh aber bleiben Sie mir ergebenst vom Leibe! Moßieh, nein, da hört denn doch Alles und Verschiedenes auf! Sie selbst mögen Moßieh sein; die Franzosen mögen Moßieh's sein, ich aber nicht! Und einen Edelmann nennen Sie sich? Ich sehe nichts davon, gar nichts. Wenn Sie Edelleute sehen wollen, so nehmen Sie doch gefälligst einmal das Fernrohr, stecken Sie es sich in das Gesicht und gucken Sie uns Beide an! Blücher's hat es gegeben schon zu Karl's des Großen Zeit, und die Königsau sind auch nicht jünger; Sie aber sind erst von Ihrem Napoleon adelig gequetscht worden; Sie sind noch warm und neubacken, daß die Butter davon herunter läuft. Geben Sie sich um Gotteswillen nicht eher für einen Edelmann aus, als bis Sie gelernt haben, sich als ein solcher zu betragen! Ihre Meriten kennt man. Bei mir kommen Sie an den Rechten. Ihren ganzen Adel blase ich in die Luft; er ist keinen Dreier werth!«
Das kam Alles so schnell und gewaltig unter dem grauen Schnurrbarte des Alten hervor, daß an eine Unterbrechung oder gar Entgegnung nicht zu denken war.
Königsau lächelte still vor sich hin; auch Margot blieb ruhig. Frau Richemonte aber fürchtete den Baron, und daher schlug sie unwillkürlich die Hände zusammen. Sie befürchtete das Schlimmste. Der Baron war zunächst wie vom Donner gerührt. Die Wortfluth des Marschalls drang so kräftig und mächtig auf ihn ein, daß an einen augenblicklichen Widerstand nicht zu denken war; als sie aber ihr Ende erreicht hatte, da fuhr er von seinem Sitz empor und sagte:
»Gut, ich will Sie Excellenz nennen! Aber sagen Sie gefälligst, was Sie mit meinen Meriten meinen und mit den Worten, daß Sie mich kennen! Sie haben mich gegenwärtig auf die eclatanteste Weise beleidigt, und ich hoffe, daß Sie sich nicht weigern werden, mir volle Genugthuung zu geben!«
»Genugthuung?« fragte Blücher mit blitzenden Augen. »Sind Sie verrückt? Sie sind Armeelieferant gewesen; das heißt, Sie haben der Armee das Schlachtvieh, die Ochsen und Schafe geliefert, und weil diese Ochsen mehr Knochen hatten als Fleisch, sind Sie ein reicher Mann geworden. Und weil diese Schafe Ihnen Ihre academische Bildung mitgetheilt haben, hat Sie Napoleon mit dem Adelsbriefe versehen. Nun machen Sie Familien unglücklich, weil Sie auf die Töchter speculiren. Sie verführen die Väter und Brüder; Sie turbiren die Mütter und Töchter; Sie drohen mit Schuldhaft und anderem Elend, um eine Frau zu erhalten. Pfui Teufel! Und das nennt sich einen Edelmann! Das will Genugthuung von mir haben! Hören Sie, Moßieh, ja, Moßieh, und abermals Moßieh, ich werde Ihnen Genugthuung geben oder geben lassen, aber nicht mit dem Säbel, sondern mit der Peitsche oder dem Stallbesen!«
Das war eine Scene, wie sie die Damen noch nicht erlebt hatten. Sie waren aufgesprungen, denn Beide hielten es für unvermeidlich, daß die beiden Männer thätlich gegen einander werden würden. Auch Königsau hatte sich langsam erhoben und an die Seite des Marschalls gestellt, um nöthigen Falles augenblicklich bei der Hand zu sein.
Der Baron war bleich wie der Tod geworden. Er erzitterte vor Grimm. Er hätte sich am liebsten auf Blücher stürzen mögen, aber die gewaltige Erscheinung des alten Kriegshelden machte doch einen solchen Eindruck auf ihn, daß es nicht dazu kam. Er fühlte sich nicht im Stande, den Sprecher Lügen zu strafen; das verdoppelte seine Wuth; er wagte nicht, dieselbe an den beiden Deutschen auszulassen, und darum wendete er sich als echter Feigling an die beiden Damen:
»Ah, Sie haben geplaudert!« stieß er knirrschend hervor.
»Ich nicht,« antwortete die Mutter ängstlich.
»Aber ich,« sagte Margot muthig.
»Zu wem?«
»Zu Herrn von Königsau.«
»Wann?«
»Gestern.«
»Ah! Sind Sie so vertraut mit ihm, daß Sie ihm bereits solche Geheimnisse mittheilen?«
»Darnach hat der Kerl zwar den Teufel zu fragen,« fiel hier Blücher ein; »aber er soll dennoch eine Antwort haben, damit er nur sieht, daß er ganz umsonst im Trüben gefischt hat.« Und sich an den Franzosen wendend, fuhr er fort: »Ja, diese beiden Leutchen sind allerdings bereits sehr vertraut mit einander, nämlich so vertraut, daß ich gekommen bin, Madame Richemonte um ihr Jawort zu bitten.«
»Ah!«
Dieser Ruf des Erstaunens wurde von Zweien ausgesprochen, nämlich von dem Baron und auch von Margot's Mutter, welche von ihrer Tochter noch nicht erfahren hatte, was gestern Abend zwischen ihr und Königsau vorgekommen war.
Der Baron blickte den Sprecher erstaunt an, so erstaunt, als ob er es gar nicht für möglich halte, daß er die Wahrheit gehört habe. Er fragte, zu Margot gewendet:
»Sie werden eiligst zugeben, daß ich jetzt falsch gehört habe?«
»Papperlapapp!« rief da Blücher. »Nichts wird zugegeben! Wer kann denn wissen, was der Mann gehört hat? Wissen wir denn, ob sich seine Ohren in Ordnung befinden? Aber sehen soll er doch, daß es mein Ernst ist. Komm, mein Sohn; nimm Dein Mädchen bei der Hand und höre, was ich Eurer Mama sagen werde!«
Blücher faßte dabei Königsau und Margot an, legte ihre Hände in einander, schob Beide zur Mutter hin, stellte sich kerzengerade vor die Letztere auf, machte ein Honneur, als ob er vor einem Landesherrn stehe und sagte:
»Madame – erstens haben sich diese Beiden lieb; zweitens wollen sie sich heirathen, und drittens bitte ich um Ihr Jawort dazu. Wer Etwas dawider hat, der mag es mir sagen; ich werde ihn bei der Parabel nehmen, daß er die lieben Engel im Himmel geigen und pfeifen hören soll!«
Diese Werbung kam Frau Richemonte so unerwartet, daß sie für den Augenblick gar keine Antwort fand. Sie hätte jedoch auch gar keine Zeit dazu gehabt, sie zu geben, denn ehe sie nur sprechen konnte, trat der Baron näher und sagte:
»Ich sehe, daß man hier Comödie spielen will; da ich meine Rolle nicht erst auswendig zu lernen brauche, so halte ich es nicht für nöthig, den stummen Zuschauer abzugeben. Madame, ich ersuche Sie, Ihre Entscheidung zurückzuhalten, bis auch ich gesprochen habe!«
Er griff in die Tasche, zog ein Portefeuille hervor, öffnete dasselbe, nahm einige Papiere heraus und hielt sie Frau Richemonte entgegen. Dann fuhr er höhnisch fort:
»Madame, ich gebe mir die Ehre, Ihnen diese Wechsel zur Zahlung zu präsentiren. Wird die Summe nicht augenblicklich entrichtet, so wandern Sie in's Schuldgefängniß.«
»Mein Gott!« rief die geängstete Frau. »Das kommt Alles so plötzlich über mich; ich weiß ja gar nicht, was ich thun oder sagen soll!«
»Sie brauchen gar nichts zu sagen oder zu thun, als nur zu zahlen,« sagte der Baron.
»Schurke!« meinte der Marschall.
»Gilt dies etwa mir?« fragte der Baron.
»Ja, Moßieh, wem sonst?« antwortete Blücher. »Es befindet sich außer Ihnen ja kein Schurke hier.«
»Darüber werden wir später sprechen,« lachte der Franzose überlegen. »Jetzt aber will ich Zahlung haben.«
»Die werden Sie erhalten,« antwortete Königsau.
Er streckte die Hand nach den Papieren aus, der Baron zog sie jedoch schnell zurück, blickte ihn höhnisch an und fragte:
»Wollen Sie vielleicht für Madame zahlen?«
»Ich hoffe, daß Madame mir gestattet, ihr den Betrag zur Verfügung zu stellen!«
Der Baron stieß ein lautes Lachen aus und rief:
»Das ist lustig! Ahnen Sie, wie hoch sich die Summe beläuft?«
»Hundertundfünfzigtausend Franken,« antwortete der Deutsche gleichmüthig.
»Allerdings. Sie scheinen von Mademoiselle sehr genau unterrichtet worden zu sein. Aber wissen Sie auch, daß der Betrag augenblicklich gezahlt werden muß?«
»Er steht zur Verfügung!«
Bei diesen Worten griff Königsau in die Tasche, zog sein Portefeuille hervor, entnahm demselben ein Packet Banknoten und legte es auf den Tisch. Der Baron trat hinzu, öffnete dasselbe und zählte. Sein Gesicht verfinsterte sich. Er hatte geglaubt, einen Haupttreffer zu machen, und fühlte sich jetzt so ganz und gar unerwartet aus seiner bisher für so vortheilhaft gehaltenen Position herausgedrängt.
»Einmalhundertundfünfzigtausend Franken,« sagte er langsam; »es stimmt!«
»Nun also, so nehmen Sie das Geld und verduften Sie sich!« sagte Blücher.
Diese Worte riefen den ganzen Widerstand des Barons wach.
»Verduften?« meinte er. »Excellenz gebrauchen Ausdrücke, welche unter gebildeten Leuten sonst nicht gebräuchlich sind!«
»Da haben Sie Recht,« meinte der Marschall ruhig; »aber glauben Sie etwa, daß es mir einfällt, Sie unter die Gebildeten zu rechnen? Sie stehen zu mir in einem solchen Range, wie zum Beispiel früher Ihre Schafe und Ochsen zu Ihnen gestanden haben, und ich glaube nicht, daß Sie Ihr Rindvieh mit Hochwohlgeboren angeredet haben. Für Sie paßt kein Wort besser als verduften, und ich hoffe, daß Sie es sofort befolgen!«
»Sie werden mir doch erlauben müssen, noch etwas länger zu bleiben. Ich habe nämlich dieser Dame zu sagen, daß ich noch Papiere ihres Sohnes in den Händen habe, und daß ich sie ihm präsentiren werde. Kann er nicht zahlen, so –«
»So thun Sie mit ihm, was Ihnen beliebt. Nicht wahr, Mama?« fiel Margot ein.
»Ich habe keine Veranlassung, ihn zu bedauern,« antwortete die Gefragte.
»Da hören Sie!« sagte Blücher zum Baron. »Geben Sie die Wechsel her!«
»Nur dann, wenn ich das Geld von Madame selbst erhalte,« antwortete dieser. »Noch weiß ich ja nicht, ob sie gewillt ist, diese Summe von dem Herrn Lieutenant anzunehmen.«
Er spielte jetzt seine letzte Karte aus, obwohl er recht gut einsah, daß sein Spiel verloren sei. Die Mutter wendete sich an Königsau:
»Sie sehen mich von Allem, was ich heute höre und erfahre, im höchsten Grade überrascht, Herr Lieutenant,« sagte sie. »Seine Excellenz bittet mich um die Hand meiner Tochter für Sie. Ich hätte das für unmöglich gehalten, denn ich weiß ja, welch eine kurze Zeit Sie sich erst kennen.«
Da legte Königsau den Arm um Margot und sagte:
»Madame, die Liebe fragt nie nach der Zeit; sie kommt, sie ist da, plötzlich, vollständig und allmächtig; man kann ihr nicht widerstehen. Ich habe erkannt, daß Margot mein Herz, mein ganzes Leben gehört. Sie ist Ihr bestes, Ihr einziges Gut, Madame; ich komme nicht, es Ihnen zu rauben, sondern es soll Ihnen gehören für immerdar; nur sollen Sie zu der Tochter noch einen Sohn nehmen, dessen größte Aufgabe es sein wird, Sie Beide glücklich zu machen.«
»Und Du, Margot, Du liebst ihn wirklich?« fragte die Mutter ihre Tochter.
»O, wie sehr, Mama,« antwortete diese, indem sie den Geliebten innig umarmte. »Er hat sein ganzes Vermögen geopfert, um uns zu retten!«
»Dann kann ich die Summe nicht annehmen,« sagte die Mutter.
»Du irrst, Margot,« fiel Königsau ein. »Ich habe kein Opfer zu bringen; ich brauche meine Besitzung nicht zu verkaufen, wie ich es noch gestern für nöthig hielt. Ich werde Dir später erzählen, wie ich in den Besitz dieser Summe gekommen bin; aber Excellenz wird mir beistimmen, daß Mama Alles nehmen kann, ohne mir den mindesten Schaden oder Verlust zuzufügen.«
»Ja, das bestätige ich,« sagte der Fürst. »Dieser verteufelte Junge ist zu dem Gelde gekommen wie Adam zur Eva, nämlich geradezu im Schlafe. Er kann es verschenken, oder zum Fenster hinauswerfen, ganz wie es ihm gefällig ist und ohne daß er sich dann eine Entbehrung aufzulegen braucht.«
»Aber eine solche Summe, Herr Lieutenant!« sagte sie. »Ich muß Ihnen sagen, daß es mir unmöglich sein wird, sie Ihnen zurückzuerstatten.«
»Diese Summe hat für mich ja nicht den Werth, welchen ich auf Ihre Freundschaft lege,« antwortete Königsau. »Wenn Sie die Güte haben wollen, unsere Liebe zu billigen, so erhalte ich von Ihnen ein Glück, welches ich für Millionen nicht verkaufen möchte. Ich bleibe also Ihr Schuldner und bitte Sie von ganzem Herzen, mit Dem, was ich Ihnen so herzlich gern biete, Ihren Gläubiger zu befriedigen und sich von der Sorge zu befreien, welche Ihnen bisher das Leben in so arger Weise verbittert hat.«
Da reichte sie ihm die Hand und sagte, mit Thränen der Rührung und Freude in den Augen:
»Sie sind ein edler Mann, Herr von Königsau, und es wäre eine große Undankbarkeit von mir, Sie dadurch zu betrüben, daß ich Ihre Großmuth zurückweise. Ich nehme sie also an und lege Ihnen dafür mein liebes, mein einziges Kind an das Herz. Gott segne Sie und lasse Ihnen das Glück finden, welches ich täglich für Sie von ihm erbitten werde. Ich werde Ihnen, da Sie keine Eltern mehr haben, eine treue Mutter sein, und mich reich fühlen, neben der Tochter einen Sohn zu besitzen, wie Sie es sind.«
Sie legte die Hände der Beiden zusammen und segnete sie. Margot umschlang sie innig und vergoß Thränen des Glückes. Königsau fühlte, daß er heute eine Seligkeit erobert habe, wie sie größer auf Erden nicht geboten werden kann; Blücher aber sagte:
»Kinder, nehmt auch meinen Segen; er wird vielleicht nicht viel werth sein, aber Schaden kann er Euch wohl auch nicht bringen. Sie aber, Moßieh Edelmann, haben nun gesehen, wie Ihre Angelegenheit steht. Sie sind überflüssig. Nehmen Sie das Geld, geben Sie die Wechsel heraus, und dann verschwinden Sie hinter den Coulissen, sonst passirt Ihnen etwas, was Ihnen schon längst hätte passiren sollen.«
Die Augen des Barons funkelten vor Grimm. Er steckte das Geld zu sich und sagte:
»Ah! Sie glauben, gesiegt zu haben? Sehen Sie sich vor, daß Sie sich nicht irren. Was ich einmal erlangen will, das pflege ich nicht so leicht aufzugeben. Noch ist Margot nicht die Frau eines Deutschen. Man wird sehen, was die Zukunft bringt!«
»Was, Du willst noch drohen!« rief Blücher, indem er auf ihn zutrat. »Trappe schleunigst ab, sonst zeige ich Dir das Loch, Moßieh Schurke!«
Der Franzose warf die Wechsel wüthend in die Stube und ging. Er sah ein, daß gegenwärtig nichts mehr zu thun sei, aber er nahm sich vor, das Spiel noch nicht aufzugeben. Als er die Treppe hinabstieg, kam ein Anderer dieselbe herauf. Es war der Capitän, Margot's Stiefbruder.
»Ah, Sie hier, Baron?« fragte der Letztere. »Wollten Sie zu mir?«
»Ich war bei Ihrer Mutter,« lautete die Antwort.
Die Worte wurden wie athemlos und in einem Tone gesprochen, welcher dem Capitän auffallen mußte; darum fragte er:
»Was haben Sie? Ist Ihnen etwas Unangenehmes begegnet?«
»Nein, o nein, sondern im Gegentheile etwas sehr Angenehmes!«
»Was? Sie sind ja ganz und gar echauffirt.«
»Ihre Mutter hat mich bezahlt.«
»Bezahlt?« meinte Richemonte erstaunt. »Unmöglich!«
»Nicht unmöglich, sondern wirklich. Ich habe soeben mein Geld erhalten.«
»Alles?«
»Alles!«
»Sie foppen mich! Woher will Mutter hundertundfünfzigtausend Franken nehmen!«
»Von dem Liebhaber ihrer Tochter.«
»Unsinn! Margot hat keinen Liebhaber!«
»Gehen Sie hinein, wenn Sie Lust haben, ihre Verlobung mit zu feiern!«
Der Capitän blickte den Anderen forschend an.
»Wie kommen Sie mir vor, Baron,« sagte er. »Verlobung? Sie kommen mir doch nicht wie ein Kranker oder ein Verrückter vor, sonst würde ich denken, daß Sie entweder im Fieber oder im Wahnsinn sprechen!«
»Ich bin auch im Fieber, aber im Fieber des Grimmes und der Wuth. Ich phantasire trotzdem nicht, denn es ist die volle Wahrheit, daß Margot soeben verlobt worden ist.«
»Ah! Welch eine Nachricht! Verlobt, ohne mich! Mit wem denn?«
»Sie werden sich unendlich freuen, wenn Sie es hören. Rathen Sie, Capitän!«
»Pah, treiben wir keine Narrenspossen! Wer ist der Kerl?«
»Ein guter Bekannter von Ihnen.«
»Den Namen! Rasch!«
»Den kennen Sie bereits. Der Mann steht Ihnen sehr nahe, denn seine Hand ist bereits mit Ihren Wangen in eine sehr intime Berührung gekommen!«
Da stutzte der Capitän.
»Sie wollen doch nicht sagen –« meinte er. »Sprechen Sie von jenem Deutschen?«
»Ja.«
»Von dem Lieutenant von Königsau?«
»Ja.«
»Dieser Mensch ist bei meiner Mutter?«
»Versteht sich!«
»Er kennt Margot?«
»Er hat soeben um ihre Hand angehalten, und Ihre Mutter hat ihm das Jawort gegeben.«
Da fuhr der Capitän zurück, als ob er ein Gespenst gesehen habe.
»Baron, Sie befinden sich dennoch im Delirium!« rief er.
»O, ich bin im Gegentheile sehr bei Verstande. Sehen Sie sich die Scene doch selbst an!«
»Donnerwetter, Sie reden also doch die Wahrheit? Da muß ich allerdings schleunigst dazwischenplatzen wie eine Bombe. Ein Jeder soll meine Schwester bekommen, nur dieser Mensch nicht! Er soll mir Rechenschaft geben, auf welche Weise er sie überlistet hat!«
»Sehr einfach! Er hat ihr das Geld gegeben, mich zu bezahlen.«
»Ah, von ihm ist es?«
»Von ihm.«
»So gehe ich gleich zu Mama. Hier ist mein Schlüssel, Baron. Treten Sie einstweilen bei mir ein; warten Sie auf mich. Ich bin überzeugt, daß ich Ihnen die Nachricht bringen werde, diesen Deutschen zur Treppe hinabgeworfen zu haben.«
Er sprang die Stufen hinauf und riß stürmisch an der Klingel der Vorsaalthür seiner Mutter, während der Baron sich die gegenüberliegende Wohnung öffnete. Das Dienstmädchen kam und schloß auf. Als sie den Sohn ihrer Herrin erblickte, wagte sie nicht, ihn zurückzuweisen.
»Wo ist Mama?«
»Im Salon.«
»Gut!«
Er stürmte an ihr vorüber, riß die Thür auf und blieb erstaunt stehen. An dem einen Fenster stand Königsau in inniger Umschlingung mit Margot, und auf dem Sopha saß die Mutter mit – dem Feldmarschall Blücher. Das hatte der Capitän nicht erwartet. Die Anwesenheit dieses Mannes legte einen Dämpfer auf seinen Vorsatz, als Herr der Situation aufzutreten. Er grüßte mit einer Verbeugung und sagte:
»Ah, Besuch, Mama!«
»Allerdings Besuch, mein Sohn,« antwortete sie so unbefangen wie möglich; »und zwar höchst lieben und ehrenvollen Besuch. Feldmarschall von Blücher, Excellenz, und der Herr Lieutenant von Königsau – mein Sohn.«
Mit diesen Worten stellte sie die drei Herren einander vor. Blücher zog mit einem eigenthümlichen Lächeln die Spitzen seines Schnurrbarts aus, und Königsau nahm von der Vorstellung nur mit einem kurzen, stolzen Kopfnicken Notiz. Dieser Mangel an Höflichkeit gab dem Zorne des Capitäns neue Nahrung. Er sagte:
»Ich habe nicht gewußt, daß Deutsche bei Dir Zutritt haben!«
»Die Herren haben mich überrascht, und zwar in freudigster Weise. Du siehst in Herrn von Königsau nicht nur den Mann, welcher Deine Wohnung vertheidigte, sondern auch den Bräutigam Deiner Schwester.«
»Du sagst mir da etwas ganz Unbegreifliches. Ich entsinne mich nicht, irgend Jemand mit der Vertheidigung meiner Wohnung beauftragt zu haben, und bin also keinem Menschen einen Dank schuldig. Und was den anderen Punkt betrifft, so darf ich doch wohl annehmen, eine giltige Stimme zu besitzen, falls es sich um eine Lebensgestaltung meiner Schwester handelt!«
Das klang herausfordernd; dennoch sagte die Mutter in mildem Tone:
»Ich will Dir nicht widersprechen, zumal ich vollständig überzeugt bin, daß Du nicht anstehen wirst, Margot's Wahl zu billigen.«
»Und wenn ich sie nun nicht billige, Mama?« fragte er mit Nachdruck.
»Das würde uns zwar betrüben, doch aber Nichts an der Thatsache ändern.«
Da trat er einen Schritt vor und sagte im zornigsten Tone:
»Es gilt doch den Versuch, ob wirklich nichts zu ändern wäre. Hast Du gewußt, daß ich diese beide Herren kenne?«
»Ja.«
»Und daß sie mich beleidigt haben?«
»Nein, sondern daß Du sie beleidigt hast.«
»Streiten wir uns nicht über Ansichten! Ich höre, daß Du unser Zerwürfniß kennst und dennoch meine Gegner nicht nur bei Dir empfängst, sondern in ihrem Interesse sogar über die Hand Margot's verfügst. Ich lege mein Veto ein und erkläre die Verlobung für Null und nichtig!«
Da trat Margot auf ihn zu und sagte in zwar milder, aber doch fester Weise:
»Du scheinst die Verhältnisse nicht richtig zu beurtheilen, Albin. Es mag sein, daß Dir eine mitberathende Stimme zusteht, wenn es sich um eine Neugestaltung meines Schicksales handelt; aber höre wohl, nur eine mitberathende, und auch nur so weit, als ich es in schwesterlicher Rücksicht Dir gestatte. Zu befehlen hast Du mir jedenfalls gerade so wenig, als ich Dir zu gehorchen habe –«
»Ah, ich werde Dich vom Gegentheile überzeugen!« unterbrach er sie.
»Versuche es,« antwortete sie; »ich werde dies sehr ruhig abwarten. Ueber meine Hand habe nur ich allein zu bestimmen. Du hast sie zum Gegenstande eines niedrigen Schachers machen wollen und Mutter und mich als Deine Sclavinnen betrachtet, welche Du verkaufen kannst. Es ist Dir nicht gelungen; wir sind frei, und es ist für Dich am Klügsten, die bestehenden Thatsachen einfach anzuerkennen.«
»Meinst Du?« hohnlächelte er. »Sage mir zunächst, wem diese Wohnung gehört?«
»Doch uns!«
»Nein. Wer hat sie gemiethet?«
»Du.«
»Gut, ich bin also der Besitzer. Es hat also kein Mensch das Recht, ohne meine Erlaubniß Zutritt zu nehmen. Meine Herren, ich ersuche Sie, dieses Local zu verlassen. Setzen Sie sich nicht der Gefahr aus, wegen Hausfriedensbruches belangt zu werden!«
Da stieß Blücher ein lautschallendes, herzliches Gelächter aus.
»Alle Teufel, das klingt gefährlich! Der alte Blücher vor Gericht als Hausfriedensbrecher! Wie er sich da wohl ausnehmen würde! Hören Sie, machen Sie sich doch um Gotteswillen nicht so unendlich lächerlich, sondern vernehmen Sie, was ich Ihnen in aller Güte zu sagen habe!«
»Ich mag nichts hören!« klang die Antwort.
»So werden Sie fühlen müssen!«
»Ah! Was?«
»Das ist es eben, was ich Ihnen sagen will, und was Sie doch wohl anhören werden müssen. Ihre häuslichen Verhältnisse gehen mich nichts an; ob Sie Herr Ihrer Schwester und Herr dieser Wohnung sind, das ist mir auch ganz egal; nicht egal aber ist es mir, wenn Sie fortfahren, mich zu beschimpfen und zu beleidigen. Sie verlangen von mir, dieses Local zu verlassen, und ich stelle als Antwort das gleiche Verlangen an Sie. Sie haben mich öffentlich beschimpft; Sie haben ebenso öffentlich die deutsche Nation beleidigt; es kostet mich ein einziges Wort, einen einzigen Wink, Sie in Untersuchungshaft zu bringen und verurtheilen zu lassen. Sie haben diesem Herrn die Genugthuung verweigert und sind in Folge dessen von ihm beohrfeigt worden. Ein Wort von mir darüber an Ihr Generalcommando, so werden Sie ausgestoßen und infam cassirt. Sie sind mir gegenüber ein Zwerg; ich habe es verschmäht, mich mit Ihnen herumzuhudeln; nun Sie aber selbst hier nicht Verstand zeigen, so muß ich zur Peitsche greifen. Verlassen Sie dieses Zimmer sofort, sonst gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie in einer Stunde sich in Untersuchungshaft befinden und in einigen Tagen aus der Armee gestoßen werden. Noch sind wir Deutschen Herr von Paris, und ich habe ganz und gar nicht die Absicht, einem kleinen Capitän glauben zu lassen, daß wir uns vor ihm fürchten müssen!«
Eine solche Zurechtweisung hatte der Capitän nicht erwartet. Er zögerte einige Augenblicke, zu antworten, da er sich aber nicht sofort ergeben wollte, sagte er dann:
»Welcher von uns Beiden Feldmarschall ist und welcher Capitän, das ist gleichgiltig. Wir stehen uns Mann gegen Mann gegenüber, und da fürchte ich Sie nicht!«
»Gehen Sie!« gebot Blücher, indem er mit der Hand nach der Thür zeigte.
»Ich wiederhole, daß ich als Bruder –«
»Hinaus!« unterbrach ihn der Alte.
»Daß ich als Bruder das Recht habe, über meine Schwester zu –«
»Hinaus!«
Dieses letzte »Hinaus« war in einem Tone gerufen, gegen welchen es absolut keinen Widerstand gab. Diese zwei Silben waren nicht etwa überlaut gebrüllt, aber sie drangen durch Mark und Bein; sie hatten einen so entschiedenen, schneidigen Ton, daß es dem Franzosen war, als ob er mit Fäusten ergriffen und aus dem Zimmer gestoßen werde. Er öffnete die Thür und ging. Er hatte, nur von dem Eindrucke, welchen der Befehl des Marschalls machte, die furchtsamen Bewegungen eines Wesens, welches mit Füßen aus der Thür gestoßen wird. Aber draußen auf dem Vorsaale angekommen, ballte er die Hand, erhob sie drohend rückwärts und knirrschte:
»Das will ich Euch eintränken; das sollt Ihr mir büßen! Diese Blamage sollt Ihr mir so theuer bezahlen, daß Euch Hören und Sehen vergehen wird.«
Richemonte trat in seine Wohnung, in welcher ihn der Baron erwartete. Dieser bemerkte die Erregung, welche auf seinem vom Zorne verzerrten Gesichte zu lesen war, und fragte:
»Ah, hat man es mit Ihnen eben so gemacht wie mit mir? Diese Deutschen haben den Platz behauptet, wie ich sehe?«
»Wie wollen Sie dies sehen?« fragte der Capitän ergrimmt.
»Nun,« lachte der Andere, »Sie haben ja ganz das Aeußere eines Schulknaben, welcher die Ruthe erhalten hat. Das bemerkt man, ohne Menschenkenner sein zu müssen.«
»Hole Sie der Teufel!« zankte Richemonte.
»Ist dies wirklich Ihre Meinung?« klang die boshafte Frage.
»Ja, ganz ernstlich.«
»Nun, so will ich, ehe er mich holt, meine irdischen Angelegenheiten vorher in Ordnung bringen, so wie es sich für einen Geschäftsmann schickt und geziemt. Hier, lieber Freund, habe ich einige Papiere, in welche ich Sie Einsicht zu nehmen bitte.«
Er zog mehrere Wechsel aus der Tasche und präsentirte dieselben dem Capitän.
»Die mag der Teufel gefälligst mit holen!« sagte dieser.
Er wendete sich ab, ohne einen Blick in die Papiere zu werfen.
»Gut,« sagte der Baron; »er mag sie immerhin holen, aber erst, nachdem sie bezahlt worden sind. Sie sind dann werthlos geworden, und ich kann sie ihm gönnen.«
»Aber, zum Donnerwetter, können Sie denn nicht warten, bis ich die Mittel besitze, Sie zu bezahlen? Sie selbst nennen sich meinen Freund. Ist es etwa eine freundschaftliche Handlung, mich jetzt zu drängen, jetzt, in diesem Augenblicke, der am Allerwenigsten dazu geeignet ist?«
»Unsere Ansichten über den gegenwärtigen Augenblick sind da allerdings sehr verschieden. Mir scheint es sehr geeignet zu sein, unsere Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Warum soll ich warten, da ich doch weiß, daß Sie nie die Mittel besitzen werden, mich zu bezahlen? Und was unsere für mich so kostspielige Freundschaft betrifft, so hege ich den Grundsatz, daß Verbindlichkeiten zwischen Freunden strenger nachzukommen sei als jeden anderen. Ich habe bereits zu lange und zu viel Nachsicht mit Ihnen gehabt, lieber Richemonte.«
»Ich kann nicht zahlen!« sagte dieser kurz.
»So wandern Sie in die Schuldhaft.«
»So weit werden Sie es nicht treiben!«
»Ah, ich werde es doch so weit treiben!«
»Wirklich?« fragte der Capitän.
Er war bisher erregt in seinem Zimmer auf und ab gegangen. Jetzt blieb er plötzlich stehen, und während er dieses letzte Wort aussprach, schien seine Stimme zu zittern.
»Wirklich!« antwortete der Baron.
Er erhob sich von seinem Sessel, auf welchem er Platz genommen hatte, trat zu Richemonte, legte diesem die Hand auf die Achsel und fuhr in einem sehr entschiedenen Tone fort:
»Sie wissen, daß ich Ihre Schwester liebe. Ich bin kein junger Geck mehr, und ich kann Ihnen sagen, daß die Liebe eines älteren Mannes eine ganz andere ist, als diejenige eines Menschen, der noch in den Knabenjahren steht. Margot ist schön; ihre Zärtlichkeiten hätten mich reich entschädigt für die großen Verluste, welche ich an Ihnen erleide. Daher versprach ich Ihnen, die Wechsel zu vernichten, falls es uns gelänge, Ihre Schwester mir geneigt zu machen. Da diese Bedingung nicht erfüllt ist, so habe ich auch nicht nöthig, mein Versprechen zu erfüllen. Das ist Alles, was ich Ihnen zu bemerken habe, um mich zu rechtfertigen, falls es überhaupt einer Rechtfertigung bedürfen sollte.«
Der Capitän stand vor ihm, ohne ihn anzusehen. Er blickte finster durch das Fenster auf die gegenüber liegende Häuserreihe. Erst nach einer längeren Pause meinte er:
»Müssen Sie denn nun wirklich jede Hoffnung aufgeben?«
»Jede.«
»Weshalb jede?«
»Weil sie ihn liebt.«
»Diesen Deutschen? Ah, daß es auch gerade dieser sein muß! Sie meinen, die Sache in Ordnung zu haben, aber ich werde noch ein sehr entscheidendes Wort mit ihnen reden!«
»Sie?« lachte der Baron. »Sie haben ihnen gar nichts zu sagen.«
»Ich? Pah, bin ich nicht der Bruder?«
»Wenngleich. Ist sie Ihnen durch ein Testament oder durch die Vormundschaftsbehörde unterstellt worden? Nein. Und selbst wenn Ihnen ein gewisses Recht zustünde, über das Schicksal Ihrer Schwester zu entscheiden, so sind Sie ganz und gar nicht der Mann, dasselbe geltend zu machen.«
»Wer sagt Ihnen das?«
»Niemand braucht mir es zu sagen; ich habe es ja jetzt gesehen. Ich habe bei Ihrem Eintritte es Ihnen angesehen, daß Sie zur Thür hinausgewiesen worden sind.«
»Ja, sie haben dies wirklich gewagt!« entfuhr es dem Capitän.
»Also wirklich? Ah, Capitän Richemonte ergreift vor diesen Deutschen Reißaus!«
»Schweigen Sie!« brauste Richemonte auf. »Sie hätten es eben so gemacht, wenn Ihnen dieser verdammte Feldmarschall Vorwärts so wie mir entgegengetreten wäre!«
»Ja, wenn der Marschall Vorwärts kommt, so concentrirt sich der Capitän rückwärts. Wie nennen Sie dies? Ich nenne es Hasenfüßigkeit.«
»So sind Sie selbst ein Hasenfuß!« rief der Andere, sich sehr beleidigt fühlend. »Sie sind es ja, der bereits vor mir gewichen ist.«
»O, das trifft nicht! Ihre Position als Bruder ist eine ganz andere als die meinige, da ich ein Fremder bin. Das Wort, welches ich soeben ausgesprochen habe, mag Ihnen nicht recht sein, aber es enthielt dennoch die Wahrheit.«
»Inwiefern? Das möchte ich wissen!«
»Erstens haben Sie sich die Thür weisen lassen, und zweitens werden Sie sich ja wohl entsinnen können, daß Sie einem Duell mit dem Deutschen ausgewichen sind.«
»Donnerwetter! Sagen Sie mir, Baron, ob ich fechten kann!«
»Sie sind allerdings Meister!«
»Und ob ich schießen kann!«
»Sie zielen außerordentlich sicher.«
»Nun, habe ich mich also vor einem Zweikampfe zu fürchten?«
»Es sollte scheinen, nein.«
»Wenn ich also ausgewichen bin, muß es aus einem anderen Grunde geschehen sein.«
»Möglich; aber ich kenne ihn nicht,« sagte der Baron.
»Sie können ihn erfahren. Es ist nämlich uns sämmtlichen Officieren die Cassirung angedroht worden, falls wir uns durch unseren Haß hinreißen lassen, mit einem Deutschen zur Mensur zu gehen. Da haben Sie es.«
»Und dies ist die Wahrheit?«
»Gewiß.«
»Sie glauben, das Duell wäre verrathen worden?«
»Man würde ganz gewiß davon gesprochen haben, denn ich hätte den Kerl getödtet.«
»So wäre Ihnen doch geholfen gewesen, denn er hätte Ihre Schwester nicht kennen gelernt, und konnte also nicht als mein Nebenbuhler auftreten. Uebrigens ist ein Duell eine Ehrensache, bei welcher jeder Theilnehmende verpflichtet ist, das tiefste Stillschweigen zu beobachten. Wie also hätte diese Sache verrathen werden können?«
Der Capitän zuckte die Achsel und antwortete:
»Glauben Sie, daß diese Deutschen geschwiegen hätten, falls einer von ihnen von mir getödtet worden wäre? Sie hätten ihn durch Verrath gerächt, und ich wäre dann doch aus der Armee gestoßen worden.«
»Das wird jetzt auch geschehen.«
»Ich hoffe es nicht.«
»Ich bin überzeugt davon.«
»Weshalb?«
»Man wird Sie wegen Schulden zwingen, Ihren Abschied zu nehmen.«
»Pah! Sie werden es nicht wagen, mich meinem Commandeur anzuzeigen!«
»Wagen? Anzeigen? Wer spricht von Wagen und Anzeigen? Ich werde Ihnen den Greffier schicken, der Sie in Wechselhaft bringt; das ist genug. Sobald dies Ihre Vorgesetzten erfahren, können Sie unmöglich in der Armee bleiben.«
»Sie aber haben sich dann einen Feind gemacht, den Sie zu fürchten haben.«
»Einen Feind? Wer sollte dies sein?« fragte der Baron lachend.
»Ich!« antwortete Richemonte selbstbewußt.
»Sie? Ah, ich habe Sie auf keinen Fall zu fürchten, am Wenigsten aber, wenn Sie sich im Gefängnisse befinden. Allerdings würde es mir leid thun, in dieser Weise gegen Sie vorschreiten zu müssen. Darum wäre es mir lieb, wenn wir alle Unliebsamkeiten vermeiden und einen Ausweg finden könnten.«
Der Capitän horchte auf. Es war ihm ängstlicher zu Muthe, als er eingestehen wollte, und da der Baron von einem Auswege sprach, so schien doch noch Hoffnung vorhanden zu sein.
»Suchen Sie!«
»Hm!« brummte der gewesene Armeelieferant. »Als Sie sich jetzt bei Ihrer lieben Mama und Schwester befanden, und ich so einsam in Ihrem Zimmer saß, habe ich darüber nachgedacht, ob denn nicht vielleicht eine Abhilfe zu finden sei.«
»Nun? Haben Sie einen Ausweg gefunden?«
»Vielleicht.«
»So sprechen Sie!«
»Man muß da im Sprechen sehr vorsichtig sein. Sie hatten vorhin die Meinung, daß Sie den Deutschen im Duelle ganz sicher getödtet hätten?«
»Er wäre gefallen,« antwortete der Capitän in sehr bestimmtem Tone.
»Ich glaube es; denn ich weiß, wie Sie fechten. Wenn er nun jetzt noch fiele?«
Der Gefragte blickte den Sprecher rasch an; dann sagte er:
»Sie meinen, daß ich ihn jetzt noch fordern solle? Das geht nicht; das ist unmöglich.«
»Ich meine etwas Anderes,« meinte der Baron langsam und zögernd.
»Was?«
»Könnte dieser Mensch nicht fallen auch ohne Duell?«
Der Capitän wurde blutroth im Gesichte. Er wandte sich rasch zum Fenster und blickte lange wortlos hinaus. Dann drehte er sich um, trat auf den Baron zu und fragte:
»Sie meinen, daß ich ihn meuchelmorden soll?«
Der Gefragte lächelte überlegen, zuckte die Achseln und antwortete mit scharfer Betonung:
»Ich sage nichts, sondern ich meine nur Folgendes: Der Weg zum Schuldthurme ist Ihnen sicher; sollte aber bis morgen Früh der Lieutenant Königsau gestorben sein, so vernichte ich die Hälfte Ihrer Accepte. Die andere Hälfte folgt dann nach, sobald ich mit Ihrer Schwester verlobt bin.«
Die Augen des Capitäns zogen sich zusammen, und sein Schnurrbart stieg in die Höhe, so daß es war, als ob er die Zähne fletschen wollte. Es war ganz dasselbe Mienenspiel, welches man auch später noch in seinem Greisenalter auf Schloß Ortry an ihm beobachtete. Sein Gesicht hatte dabei das Aussehen eines wilden Thieres, welches mit dem Gebisse droht.
»Das ist deutlich gesprochen, trotzdem Sie nichts sagen wollen,« meinte er schließlich.
»Ich bin zufrieden, wenn ich verstanden worden bin. Was antworten Sie?«
Da faßte der Capitän den Anderen beim Arme, blickte ihn finster an und fragte:
»Sie würden Wort halten in Beziehung der Wechsel?«
»Ja.«
»Und Sie glauben, des Sieges bei meiner Schwester sicher zu sein, falls dieser Königsau stirbt?«
»Vollständig sicher.«
»Gut, abgemacht! Dieser Mensch ist erstens ein Deutscher, und zweitens mein Feind. Er soll mir und Ihnen nicht länger im Wege stehen.«
»Wie wollen Sie es anfangen?«
»Nichts leichter als das. Er wird natürlich den Abend bei seiner Braut verbringen.«
»Jedenfalls.«
»Liebende sollen sich sehr viel zu sagen haben. Er wird also sehr spät nach Hause gehen.«
»Dies ist vorauszusehen.«
»Nun gut; er wird zwar nach Hause gehen, aber nicht nach Hause kommen.«
Der Baron nickte schadenfroh. Der Ueberfall mochte enden wie er wollte, so hatte er dann den Capitän in der Hand, mehr noch als jetzt. Er sagte, scheinbar besorgt:
»Ich bin mit Ihnen zufrieden, habe aber zu Ihrem Besten eine Bemerkung zu machen.«
»Reden Sie!«
»Es giebt Fälle, in denen es sehr gerathen erscheint, eine Verkleidung anzulegen.«
»Pah!« sagte der Capitän in wegwerfendem Tone. »Sie scheinen mich für einen Dummkopf zu halten. Ich weiß eben so gut wie Sie, was gerathen ist oder nicht.«
»Nun gut, so sind wir also einig.«
»Ich hoffe es.«
»So kann ich Sie verlassen. Wo und wann werde ich das Resultat erfahren?«
»Kommen Sie heute Abend nach unserem Kaffeehause. Sie werden mich da früher oder später sehen. Auf alle Fälle hoffe ich, in Ihnen einen Zeugen zu finden, mit dessen Hilfe es mir möglich ist, mein Alibi und also meine Schuldlosigkeit zu beweisen.«
»Ich stehe gern zu Diensten und hoffe, daß unser Plan Erfolg hat. Adieu, Capitän!«
»Adieu, Baron!«
Der Baron ging. Er hegte die feste Ueberzeugung, daß der Capitän das Seinige thun werde, die Mißachtung, mit welcher man sie Beide behandelt hatte, zu rächen. Dieser blieb in seinem Zimmer zurück, schritt eine Zeit lang in demselben auf und ab und trat dann in ein Nebengemach, in welchem er zu arbeiten pflegte. Diese Arbeit bestand allerdings nur in der Anfertigung eines Briefes oder in dem flüchtigen Durchblättern irgend eines Romanes. Dort hingen verschiedene Waffen an der Wand.
Der Capitän nahm eine Pistole herab, untersuchte dieselbe und murmelte dabei:
»Es ist die beste, welche ich habe. Mit ihr habe ich noch keinen Fehlschuß gethan. Sie würde mich auch heute nicht verlassen. Soll ich mich ihrer bedienen? Hm! Es ist viel Lärm bei solch einem Schusse, und das könnte gefährlich werden. Nein!«
Er hing sie wieder an den Nagel und griff nach einer Stockflinte, welche daneben hing.
»Diese Windbüchse macht kein Geräusch; es wäre besser, sie zu nehmen; auch schießt man aus ihr öfters, ohne laden zu müssen; aber leider ist sie nicht zuverlässig. Nein, auch sie nicht; ich muß sicher gehen, denn der Kerl darf mir auf keinen Fall entkommen.«
Er hing die heimtückische Waffe wieder an die Wand und suchte weiter.
»Ah, da ist ein alter, venetianischer Banditendolch. Er ist scharf und spitz und aus dem besten Glase gemacht. Beim Stoße bricht die Spitze ab und bleibt in der Wunde stecken, so daß eine Heilung unmöglich ist, wenn nicht eine sehr schwierige und geschickte Operation das Opfer von dem tödtlichen Glase befreit. Ein fester und kräftiger Stoß genügt. Diese Waffe ist sicher und still. Kein Laut erschallt; sie werde ich nehmen und keine andere.«
Während er in dieser Weise überlegte, wie er seinen Feind am Sichersten tödten könne, befand sich dieser in der glücklichsten Stimmung bei der Geliebten. Er stand wieder mit ihr am Fenster und hielt sie innig umschlungen, indeß der Marschall bei der Mutter saß, und sich mit ihr von seinen und ihren Erlebnissen unterhielt. Der Alte konnte sehr liebenswürdig sein, wenn er wollte, und heute war er es im höchsten Grade. Die drei Anderen waren über ihn entzückt; er selbst sprach sich immer tiefer in die beste Stimmung hinein und sagte endlich, einen Blick auf das schöne Mädchen werfend:
»Sehen Sie einmal hin, Madame! Da stehen die Beiden und halten sich fest, als ob eine ganze Armee anmarschirt käme, um sie zu trennen. Aber so ist die Liebe, und so sind die jungen Leute! Na, erröthen Sie nicht, Mademoiselle! Ich bin auch einmal jung gewesen. Jetzt aber freilich bin ich ein alter, weißer Eisbär geworden, um den sich Keine mehr bekümmern mag!«
Da faßte sich Margot ein Herz und antwortete:
»Excellenz meinen doch nicht, daß nur die Jugend im Stande sei, Liebe zu erwecken?«
»Ja, gerade dies meine ich, mein Kind.«
»Da haben Excellenz sicher Unrecht!«
»Meinen Sie? Können Sie mir Beweise bringen?«
»Ja. Es ist eine alte Erfahrung, daß es Damen giebt, welche für bejahrte Herren schwärmen können. Ich kenne einige meiner Freundinnen, deren Ideal nicht ein Jüngling, sondern ein gereifter Mann ist.«
Er nickte mit seinem schönen, ehrwürdigen Greisenhaupte und sagte:
»Ja, ich habe einmal mit einem Professor darüber gesprochen, der ein sehr berühmter Psychologe war. Ich glaube, dieses Wort bedeutet Menschenkenner oder Seelengrübler. Dieser Mann sagte, daß besonders unter jungen Damen, unter den sogenannten Backfischen, Viele seien, welche am Liebsten einen Mann mit grauen Haaren haben möchten. Später aber ändert sich diese Gesinnung, und sie gehen doch in die Falle, welche ihnen ein junger, schmucker Jäger gestellt hat. Unsereiner muß sich also jetzt begnügen, für einen Anderen Kastanien aus dem Feuer zu holen, wie zum Beispiel ich für den Lieutenant da.«
»So bin ich also die Kastanie?« lachte Margot.
»Ja, und zwar eine Kastanie zum Anbeißen. Ich würde – ich möchte – hm, Donnerwetter, ich wollte, ich dürfte auch einmal anbeißen!«
»Excellenz sehen aber gar nicht so bissig aus!«
»Meinen Sie?« lachte er fröhlich. »Nun, da irren Sie sich sehr, und das werde ich Ihnen sogleich beweisen. Ein jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth, sagen wir Deutschen. Ich habe mich nun ganz fürchterlich abgemüht, um Euch zusammen zu bringen; belohnt muß ich also werden. Und was denkt Ihr wohl, was ich verlangen werde?«
Margot erröthete. Sie ahnte, was nun kommen werde.
»Na,« fuhr er fort, »das Mädchen wird ja roth wie Zinnober! Es denkt sich also schon, wonach ich Appetit habe. Wird meine Bitte gewährt sein, Mademoiselle?«
»Excellenz haben sie ja noch gar nicht ausgesprochen,« antwortete sie, noch tiefer erglühend.
»Gut, so will ich es sagen: einen Kuß fordere ich als Belohnung.«
Da zog ein lustiges, schelmisches Lächeln über ihr Gesicht, und sie antwortete:
»Einen Kuß? Von wem? Von meinem Bräutigam?«
»Von Dem da? Fällt mir gar nicht ein! Was habe ich mit seinem Schnurrbarte zu schaffen! Nein, von Ihnen selbst, Mademoiselle. Ich bin allerdings kein Lieutenant, der Ihnen das Köpfchen verdreht, aber so einen conventionellen, großväterlichen Kuß wird Ihr schönes Mäulchen doch vielleicht fertig bringen. Nicht?«
»Vielleicht,« antwortete sie. »Aber da möchten wir denn doch diesen Lieutenant erst vorher um Erlaubniß bitten!«
»Den?« fragte er in komischem Stolze. »Warum Den? Fällt mir gar nicht ein! Ich habe Paris und Frankreich erobert, ohne einen Lieutenant um Erlaubniß zu fragen. Soll ich mich wegen zwei Lippen an ihn wenden, die doch auch zu meiner Eroberung gehören? Nein. Immer vorwärts, sage ich, und so auch hier. Geben Sie getrost Ihr liebes Mäulchen her! Ich werde es nicht ganz abbeißen, sondern ihm einen Theil davon übrig lassen.«
Er erhob sich vom Sopha und trat auf das Mädchen zu. Dieses erglühte zwar bis in den Nacken hinab, aber es kam ihm doch zwei Schritte entgegen.
»Excellenz,« sagte Margot; »ein Kuß von Ihnen ist die höchste Ehre, welche einer Dame geschehen kann. In diesem Sinne wage ich es, Ihrem Befehle zu gehorchen.«
»Papperlapapp, ich meine das anders. Aber, na, nur erst her mit dem Ehrenschmatz, dann wird sich das Uebrige finden.«
Er schritt mit der Courtoisie eines Höflings aus der Zeit Ludwigs des Vierzehnten auf sie zu und küßte sie leise und höflich auf die Wange; dann aber sagte er:
»So, das war der Feldmarschall. Nun aber kommt der gute Gebhard Leberecht Blücher dran, der einmal sehen will, ob er nur um seinetwillen, und nicht um des Marschalls willen einen herzhaften Kuß erhält. Was meinen Sie, Margotchen?«
»O, er ist so lieb und gut, daß er zwei erhalten soll, anstatt einen!«
Dies sagend, legte sie zutraulich, als ob er ihr Vater sei, die Arme um seinen Hals, drückte sich mit ungeschminkter Zärtlichkeit an ihn und küßte ihn ein-, zwei-, dreimal so herzhaft, wie er es gewünscht hatte, auf die Lippen.
»Alle Wetter,« sagte er, »das war eine Delicatesse, wie sie unsereiner jetzt so oft nicht mehr findet!«
Seine Augen glänzten feucht vor Rührung. Er hielt sie noch bei dem Händchen fest und fragte:
»Kam das wirklich aus dem Herzen, Du kleine, süße Hexe?«
»Ja, Excellenz,« betheuerte sie.
»Nun, dann habe Dank, meine Tochter! Du hast mir alten Kerl eine Freude gemacht, so groß, wie Du es gar nicht denkst. Ich werde Euch nicht vergessen, und erwarte, daß Ihr an mich denkt, wenn Ihr einmal einen tüchtigen Jungen habt, zu dem Ihr einen Pathen braucht. Wenn der alte Blücher Pathe steht, so wird wohl unser Herrgott ein Einsehen haben, und einen ganz besonderen Segen drauf legen, da ich armer Teufel doch nichts geben kann, als mein Ja und Amen! Nun aber ist mein Geschäft hier beendet, und ich habe noch Anderes zu thun, wobei ich leider keinen Kuß zu erwarten habe. Wie steht es, mein Junge, Du bleibst doch noch hier?«
Königsau war mit Blücher gekommen; es wäre der größte Verstoß gewesen, wenn er ihn jetzt hätte allein gehen lassen; daher sagte er, obgleich er am Liebsten noch recht lange bei der Geliebten geblieben wäre:
»Wenn Excellenz erlauben, schließe ich mich Ihnen an. Auch ich habe noch Dienstliches zu thun.«
»So mache es rasch ab! Der Dienst hier bei der Herzdame wird Dir doch wohl der angenehmste sein, und ich hoffe, daß Du Dir nichts zu Schulden kommen läßt!«
Königsau mußte Margot versprechen, am Abend wiederzukommen; dann verabschiedeten sich die Beiden von den Damen, welche die Ehre, den berühmten Feldmarschall bei sich gesehen zu haben, sehr wohl zu schätzen wußten.
Als die beiden Officiere aus dem Vorsaale traten, öffnete sich die gegenüberliegende Thür, und der Capitän erschien; er stand im Begriff, seine Wohnung zu verlassen, fuhr aber wieder zurück, als er die Beiden bemerkte. Er hatte sich dabei so wenig in der Gewalt, daß sein Gesicht die ganze Fülle des Hasses zeigte, von welchem er gegen den Lieutenant von Königsau erfüllt war.
Als dieser mit Blücher die Straße erreicht hatte, fragte ihn der Letztere:
»Hast Du den Blick gesehen, welchen der Franzmann auf Dich warf, mein Junge?«
»Ja.«
»Nun, was sagst Du dazu?«
»Nichts. Dieser Kerl geht mich nichts an!«
»Nimm es nicht so leicht!« warnte Blücher.
»Er kann mir nichts anhaben.«
»In offener, ehrlicher Weise allerdings nicht; aber sein Gesicht gefällt mir ganz und gar nicht. Weißt Du, was in seinen Augen zu lesen war?«
»Haß natürlich.«
»Haß und Rache, glühende Rachsucht. Mir scheint, daß Du Dich vor ihm in Acht nehmen solltest. Dieser Mensch ist ein Bösewicht, das steht ihm an der Stirn geschrieben.«
»Excellenz mögen Recht haben,« sagte Königsau nachdenklich. »Er ist dem Baron bedeutende Summen schuldig, und dieser scheint geneigt gewesen zu sein, sie ihm zu schenken, falls er Margot's Hand erhält. Aus dem Gespräch, welches ich belauscht habe, geht das deutlich hervor. Ja, der Baron wollte ihm sogar noch eine baare Summe auszahlen, obgleich ich es kaum glaube, daß er ein ehrliches Spiel mit ihm spielt.«
»Nun, so schließe einmal weiter! Ich will sehen, ob Du nicht auf den Kopf gefallen bist.«
»Der Baron drohte vorhin, ihm die Wechsel zu präsentiren. Thut er das, so kommt der Capitän in das Schuldgefängniß und muß aus der Armee treten. Er wird Alles aufbieten, diese Schande zu vermeiden.«
»Und auf welche Weise kann dies am Sichersten geschehen?«
»Dadurch, daß er mich zur Seite räumt.«
»Ja, nur dadurch. Du bist also doch der Dümmste nicht, mein Junge. Seine Augen funkelten wie Katzenaugen, und sein Schnurrbart zerrte sich in die Höhe, als ob er Dich beißen wolle. Der Kerl denkt Schlechtes; er will Dir an den Kragen; das war ja ganz deutlich zu sehen. Nimm Dich in Acht. Du willst heute Abend wirklich zu Deinem Schatz?«
»Ja.«
»Nun, so gehe ja nicht unbewaffnet. Ich wollte, Du wärest ein Kürassier.«
»Warum, Excellenz?«
»Weil der Küraß wenigstens den ersten Stoß abhält. Es ahnt mir, daß der Kerl heimtückisch und mit scharfer Waffe auf Dich will. Versprich mir, daß Du nicht leichtsinnig sein, sondern Dich ganz gehörig vorsehen willst!«
»Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, Excellenz.«
»Gut. Es wäre jammerschade um Dich und diese prachtvolle Margot, wenn sie zur Wittwe würde, ohne vorher Hochzeit gemacht zu haben. Diesen Capitän aber wollte ich curranzen, daß ihm die Seele quieken sollte! Hier sind wir vor meinem Hause, und Du kannst gehen. Vorher aber noch Eins, mein Junge!«
»Excellenz befehlen?«
»Befehlen? Nichts. Ich habe Dich nur zu fragen, ob Du darüber böse bist, daß mich diese Margot – verfluchter Name! Wie heißt er denn eigentlich auf Deutsch? Aber das kann mir ja gleich sein, da Du sie heirathest, und nicht ich. Also ich wollte Dich fragen, ob Du es übel genommen hast, daß ich sie geküßt habe?«
»Uebel genommen? Wo denken Excellenz hin? Margot war ganz und gar meiner Meinung, als sie sagte, daß es für eine Dame die größte Ehre sei, von –«
»Schon gut, gut, gut! Aber eine verfluchte Hexe ist sie doch! Wollte dieses verteufelte Weibsen, daß ich Dich schmatzen sollte! Na, laß sie Dir nicht über den Kopf wachsen! Erst sind diese Engels die reine Chocolade; dann kleben sie wie Gummi arabicum, und endlich wird Aloë und Stiefelwichse daraus, bitter und schwarz zum Erbarmen. Ich will Dir wünschen, daß die Deinige eine Ausnahme macht. Gutschmecken thut ihr Mäulchen, das muß man ihr lassen. Hast Du sie auch schon geküßt, Junge? Sag's aufrichtig!«
»Natürlich habe ich sie geküßt, Durchlaucht.«
»Gut, so habe ich Dich doch nicht um den ersten Kuß gebracht. Wann ist's denn geschehen?«
»Nun, bei der Liebeserklärung,« lachte Königsau.
»Bei der Erklärung, ja, da pflegt es nie ohne die obligaten Zusammenstöße abzugehen. Das schnäbelt wie die Tauben. Heiliges Pech! Wenn ich doch dies einzige Mal noch nicht ein so alter Hallunke wäre! Aber sage mir einmal, wie hast Du es denn eigentlich bei der Liebeserklärung angefangen? Was hast Du gesagt, und was hat sie dann geantwortet?«
»Das werde ich wohl für mich behalten, wenn Excellenz erlauben!«
»Dich soll der Teufel holen, mein Sohn! Na, übel kann ich es Dir nicht nehmen, denn ich hätte es auch Keinem gerathen, bei mir darnach zu fragen, auf welche Weise ich auf den Leim gegangen bin. Also es bleibt bei unserer Ausmachung: Bei dem ersten Buben stehe ich Gevatter. Sorge da für guten Wein und eine tüchtige Pfeife. Lebe wohl!«
Sie trennten sich, und Königsau schritt nach seiner Wohnung, heimlich über den Alten lachend, der da mitten auf dem Trottoir vor der Thür hatte wissen wollen, auf welche Weise er seine Liebeserklärung gemacht habe.
Die Warnung Blücher's ging ihm durch den Kopf. Er vergegenwärtigte sich im Stillen noch einmal die ganze Situation; er dachte an das Gesicht, welches ihm der Capitän gemacht hatte, und mußte sich sagen, daß darauf die offenste Mordlust zu lesen gewesen war. Er nahm sich vor, höchst vorsichtig zu sein. Die Bevölkerung von Paris war den Deutschen nicht hold; es kamen täglich kleinere Revolten und Kundgebungen vor; die Sicherheit war eine zweifelhafte; er dachte an Blücher's Worte, daß ein Küraß eine gute Schutzwehr sei, und sandte unter dem Eindrucke dieser Aeußerung, als er nach Hause gekommen war, seinen Diener zu einem befreundeten Officier von den Kürassieren, um anzufragen, ob dieser ihm für heute Abend seinen Panzer leihen wolle. Der Betreffende hatte zwar verwundert gelächelt, aber das Verlangte doch ganz bereitwilligst hergegeben.
Als Königsau später zu der Geliebten ging, trug er Civil, um nicht sogleich erkannt werden zu können, dazu den Küraß unter dem Mantel und eine geladene Pistole in der Tasche. Auch machte er einen Umweg, und erreichte so von der anderen Seite die Straße, in welcher die beiden Damen wohnten.
Auf dem Vorsaale brannte eine Lampe. Beim Scheine derselben glaubte er zu gewahren, daß die Thür, hinter welcher sich die Wohnung des Capitäns befand, um eine ganz schmale Lücke offen stehe, und es war ihm, als ob er ein fest an diese Lücke von Innen gedrücktes Auge auf sich funkeln sehe. Er vermied es jedoch, dies näher zu untersuchen, da er nicht wissen lassen wollte, daß er auf seiner Hut sei.
Er klingelte und wurde eingelassen. Margot kam ihm entgegen geeilt und bewillkommnete ihn mit einem herzlichen Kusse. Während der innigen Umarmung fühlte sie die harte Schutzwehr unter seinem Mantel. Sie legte die Hand darauf, blickte ihn erschrocken an und fragte in ängstlichem Tone:
»Was ist das, Hugo?«
»Nichts, mein Kind,« antwortete er beruhigend; »nur ein Panzer.«
»Ein Panzer? Warum legst Du ihn an?«
»Du brauchst keine Sorge zu haben, mein Herz. Ich sollte ihn für einen Freund, welcher bei den Kürassieren steht, aus der Reparatur mitbringen, und ich habe ihn nur deshalb angelegt, weil es zu unbequem gewesen wäre, ihn in der Hand zu tragen.«
Er schien seinen Zweck erreicht zu haben, wenigstens sagte sie kein Wort, welches einen Zweifel verrathen hätte. Aber die Liebe sieht scharf, und ein Weib ist oft viel scharfsinniger als ein Mann; es erräth auf der Stelle, was der Mann erst nach längerem Sinnen, Schließen und Grübeln erreicht.
Königsau legte im Vorzimmer Mantel, Panzer und Hut ab und trat in den Salon. Kaum jedoch befand er sich mit der Mutter im festen Gespräche, so verließ Margot die Beiden und suchte das Dienstmädchen auf; sie erkundigte sich bei ihm:
»Ist mein Bruder zu Hause?«
»Bis jetzt war er da; aber soeben hörte ich ihn gehen,« lautete die Antwort.
»Hast Du ihn sicher gehört?«
»Ja.«
»Es kann Jemand Anderes gewesen sein. Gehe hinüber und überzeuge Dich!«
Die Dienerin hatte die Wohnung des Capitäns mit in Ordnung zu halten; darum besaß sie einen Schlüssel zu derselben, da sie ihre Arbeiten nur in seiner Abwesenheit besorgen durfte. Sie ging hinüber und kehrte bald darauf mit der Nachricht zurück, daß der Capitän wirklich gegangen sei. Er hatte sich überzeugt, daß der Deutsche gekommen sei, und da es ihm zu langweilig erschien, einsam zu warten, bis dieser das Haus verlassen werde, so hatte er es vorgezogen, einstweilen ein Caffee aufzusuchen und dann sein Opfer auf der Straße zu erwarten und zu überfallen.
Margot nahm jetzt den Schlüssel und ein Licht und begab sich nach der Wohnung des Stiefbruders. Wie von einer Eingebung getrieben, durchschritt sie mit dem sie begleitenden Mädchen das vordere Gemach und trat in die zweite Stube, in welcher der Capitän zu arbeiten pflegte. Sie leuchtete mit dem Lichte an die Wand, an welcher die Waffen hingen, und bemerkte einen leeren Nagel. Sie konnte sich nicht sofort besinnen, was hier gehangen hatte, und sie fragte darum das Mädchen:
»Du pflegst auch diese Waffen abzustäuben?«
»Ja.«
»Kennst Du sie alle?«
»Ich glaube. Ich habe sie ja sehr oft in den Händen gehabt.«
»So besinne Dich einmal, was an diesem leeren Nagel gehangen hat!«
Die Gefragte blickte ihre Herrin an, einigermaßen befremdet darüber, daß diese sich so plötzlich um die Waffensammlung des Bruders bekümmere, sann aber doch einige Zeit nach und antwortete dann im Tone des Ueberlegens:
»Ich weiß es für den Augenblick wirklich nicht genau; aber warten Sie, Mademoiselle! Hier die Flinten, da die Pistolen, dort die Degen, und dann die Jagdmesser und – ah, ich habe es! Hier hing ein Dolch.«
»Ein Dolch?« fragte Margot, welche ihr Erschrecken kaum verbergen konnte.
»Ja, ein Dolch, dessen Griff von schwarzem Holze, die Klinge aber von Glas war. Ich habe mich oft darüber gewundert, warum man solche Dinge aus Glas und nicht aus Eisen gemacht hat. Das Glas ist ja so sehr leicht zerbrechlich.«
»Ja, er hatte einen venetianischen Dolch,« sagte Margot. »Komm, es ist gut!«
Sie wußte gar wohl, warum man diese Klingen von Glas machte. Sobald die Spitze auf den Knochen trifft, bricht sie ab, und die Wunde wird dadurch doppelt gefährlich, vielleicht sogar absolut tödtlich. Warum hatte der Bruder diesen Dolch mit sich genommen? Sie errieth es. Sie wußte, daß er kein Herz, kein Gemüth hatte; sie kannte ihn als einen harten Egoisten, der selbst ein Menschenleben nicht schonen würde, wenn dasselbe seinen Zwecken im Wege stand. Er hatte seine kalte, allen Gefühles bare Herzlosigkeit ja schon bereits in seinem Verhalten gegen sie und die Mutter bewiesen.
Als sie drüben wieder die eigene Wohnung betrat, forschte sie vergebens in den edlen Zügen des Geliebten. Sie konnte nicht das mindeste Zeichen von Angst oder Besorgniß in ihnen entdecken. Sie gaben nur den frohen Ausdruck des unendlichen Glückes wieder, welches sein Inneres erfüllte, und sein Auge lachte ihr so offen und unbefangen entgegen, daß sie beinahe überzeugt war, sie allein sei es, welche errathen habe, in welcher Gefahr er stehe.
Sollte sie ihn warnen? Sollte sie seine frohe, glückliche Stimmung vernichten? Sollte sie, vielleicht ohne allen Grund und alle Ursache, ihren Bruder, der so schon in so tiefem Mißcredit stand, auch noch in den Verdacht des Meuchelmordes bringen? Sollte sie glauben, daß Königsau ihr wirklich die Wahrheit gesagt habe und den Panzer nur zufällig trage? Oder hatte er, ohne daß sie wußte, auf welche Veranlassung hin, ganz denselben Verdacht geschöpft, den auch sie hegte? Hatte er es vorgezogen, ihr davon keine Mittheilung zu machen, weil er sie nicht beängstigen wollte? Diese Fragen gingen durch ihre Seele, während sie sich möglichst heiter mit ihm unterhielt, um ihre Unruhe zu verbergen.
Aber da kam ihr ein Gedanke. Hatte Königsau wirklich Verdacht geschöpft, so trug er nicht nur den Panzer, sondern jedenfalls noch eine andere Waffe bei sich. Es gab sehr bald einen Grund, sich zu entfernen, und so griff sie im Vorzimmer in die Taschen seines Mantels, welcher dort hing. Sie waren leer. Bereits wollte sie sich beruhigen; da aber dachte sie daran, daß er eine Vertheidigungswaffe wohl kaum in den Mantel stecken werde, den er überwarf, und dessen Taschen also nur unbequem zu erreichen seien. Eine Waffe steckt man nur dahin, wo man sie augenblicklich ergreifen kann.
Darum kehrte sie in den Salon zurück, ohne ganz befriedigt zu sein; aber als er einmal neben ihr stand und seinen Arm um sie legte, lehnte sie ihr Köpfchen zärtlich an seine Schulter und fuhr leise und wie liebkosend an seiner Brust herab. Ja, da fühlte sie es. In seiner Brusttasche, welche sehr tief zu sein schien, stak ein Pistol. Sie fühlte die Umrisse desselben ganz genau, ohne daß er es bemerkte, daß ihre Hand mehrere Male leise tastend zu dieser Stelle zurückkehrte.
Jetzt nun wußte sie, daß er ihren Verdacht theilte, und nun trieb es sie, zu sprechen. Sie pflegte vor ihrer Mutter kein Geheimniß zu haben, und so ließ sie sich von der Gegenwart derselben nicht beirren. Sie legte die Hand an seine Tasche und fragte:
»Was hast Du hier verborgen, lieber Hugo?«
Er bemerkte erst jetzt, worauf ihre Aufmerksamkeit gerichtet gewesen war; er konnte eine kleine Verlegenheit nicht verbergen, antwortete aber anscheinend unbefangen:
»Hier in dieser Tasche? Das ist meine Pistole, Kind.«
»Eine Pistole? Warum?«
»Aus bloßer Gewohnheit. Du wirst glauben, daß wir Officiere gewöhnt sind, Waffen zu führen, zumal in einer Stadt, welche wir erobert haben, und deren Bewohner uns in Folge dessen wohl nicht sehr freundlich gesinnt sein werden.«
»So hegst Du Besorgniß?«
»Das eigentlich nicht; aber wir stehen auf dem Kriegsfuße und sehen uns vor, selbst wenn wir Civil angelegt haben. Du weißt ja, daß Ihr selbst bei der Demonstration letzthin in Gefahr gekommen seid. Und wie viel mehr müssen wir, die Feinde, Veranlassung haben, auf der Hut zu sein.«
»Denkst Du dabei an eine bestimmte Persönlichkeit?«
»Nein, Margot.«
Er gab sich Mühe, so aufrichtig wie möglich zu erscheinen, und es gelang ihm dies ziemlich gut, so daß sie wirklich annahm, daß er aus allgemeiner Vorsicht die Waffe zu sich gesteckt habe. Aber sie war dennoch nicht vollständig befriedigt und fragte:
»Hast Du vielleicht einen persönlichen Feind, dem Du nicht traust?«
»Ich glaube nicht.«
»Und mit dem Panzer ist es so, wie Du mir vorhin erzählt hast?«
»Gewiß, mein liebes Kind.«
»Einen Panzer?« fragte da die Mutter. »Was ist's mit dem Panzer?«
»O,« antwortete Margot, »Hugo trug einen Panzer, als er kam. Er hat ihn abgelegt; er hängt draußen im Vorzimmer, liebe Mama.«
»Einen Panzer haben Sie angelegt?« fragte Frau Richemonte, zugleich erstaunt und besorgt. »Warum diese Vorsichtsmaßregel? Fürchten Sie eine Gefahr?«
»Ich weiß von keiner anderen Gefahr, als derjenigen, in welcher wir Deutschen hier alle stehen, und die vielleicht ganz illusorisch ist,« antwortete Königsau. »Den Panzer trug ich ganz zufällig, und diese Pistole steckt noch seit meinem letzten Ausgänge in der Tasche. Die Sache hat ja ganz und gar nichts zu bedeuten.«
Damit beruhigte sich zwar die Mutter, nicht aber die Tochter. Diese Letztere beschloß, zwar zu schweigen, aber dann später zu handeln. Sie war ein muthiges Mädchen; sie hatte für sich jedenfalls nichts zu befürchten, und sie liebte den Bräutigam mehr als sich selbst. Darum wollte sie ihm bei seinem Fortgehen heimlich folgen, bis sie ihn in seiner Wohnung in Sicherheit wußte.
Aus diesem Grunde befahl sie dem Mädchen, ihren Hut und Paletot hinunter nach der Loge des Portiers zu schaffen, und diesem zu bedeuten, wach zu sein, da sie noch spät ausgehen werde. Erst als dies besorgt war, gab sie sich weniger ängstlich dem Glücke hin, welches sie in der Anwesenheit des Geliebten fand.
Es war ganz so, wie der Baron und der Capitän gedacht hatten. Die Liebenden hatten sich so Vieles zu sagen und zu erzählen, daß eine lange Zeit verging, ehe sie sich zur Trennung entschließen konnten. Als Königsau aufbrach, war es bereits nach Mitternacht.
Er nahm Abschied von der Mutter, die ihn von Minute zu Minute lieber gewonnen hatte, legte draußen im Vorzimmer seine Sachen an, und war nicht wenig verwundert, als an Stelle des Mädchens Margot selbst das Licht ergriff, um ihm hinab zu leuchten, da die Hauslampe um Mitternacht verlöscht zu werden pflegte.
Unten am Ausgange umarmte und küßte er sie herzlich.
»Darf ich morgen wiederkommen, mein Leben?« fragte er.
»Ja, Hugo,« antwortete sie. »Ich werde Dich mit Sehnsucht erwarten; darum bitte ich Dich, recht zeitig zu kommen. Aber noch um eins habe ich Dich zu bitten.«
»Sage es!«
»Sei heute Abend recht vorsichtig. Mir ist so außerordentlich bange um Dich.«
Er drückte sie innig an sich und flüsterte, ganz glücklich über ihre Aengstlichkeit:
»Das ist die Besorgniß der Liebe, meine Margot. Aus ihr ersehe ich, daß ich Dir wirklich theuer bin, und ich danke Dir, daß Du mir dies wissen lässest.«
»O nein, diese Besorgniß hat außer der Liebe noch einen anderen Grund.«
»Welchen?«
»Mir ahnt, Du stehst in Gefahr.«
»Glaube dies nicht. Die Straßen sind ruhig. Gefahr könnte ich nur von einem persönlichen Feinde erwarten; aber ich kenne keinen, dem ich eine solche Gewaltthätigkeit zutrauen möchte. Uebrigens stehen wir ja nicht in der Zeit des Mittelalters und befinden uns nicht in Italien, dem Lande der gedungenen Meuchelmörder.«
Sie schauderte. Gerade der Dolch war ja ein italienischer.
»O, Geliebter,« flüsterte sie, »ich kann nicht anders, ich muß an einen Bestimmten denken, vor dessen Rache Du Dich sehr in Acht zu nehmen hast.«
»Wer sollte dies sein?«
»Mein – Bruder.«
Er fühlte sich betroffen. Also auch sie hatte bereits Verdacht geschöpft! Darum also die Aufmerksamkeit, welche sie seiner Bewaffnung gewidmet hatte! Sie war sehr unruhig; er fühlte dies an dem leichten Beben ihrer Gestalt, darum antwortete er:
»Dein Bruder, o, er ist ein Bramarbas, im Herzen aber feig. Er thut mir nichts.«
»Feig? Nein, feig ist er nie gewesen. Und er ist zu jeder That fähig, die er einmal beschlossen hat. Es ist gar traurig, den eigenen Bruder so schildern zu müssen, aber ich muß es zu Deiner Sicherheit thun. Er mag kein Meuchelmörder sein, aber ich traue es ihm zu, rohe Arbeiter zu dingen, und auf Dich zu hetzen, um Dich zu insultiren.«
An diesem Falle werde ich mich zu wehren wissen, mein Kind. Habe also keine Sorge. Schlafe im Gegentheile recht gut, und träume ein Wenig von mir!«
Er nahm, wie er meinte, für heute von ihr Abschied und verließ das Haus.
Draußen war es dunkel; aber der Schein der Sterne erlaubte doch, in einer nicht zu weiten Entfernung die Umrisse größerer Gegenstände zu erblicken. Er zog den Mantel fest an, damit ihm dieser bei einer etwaigen Vertheidigung nicht hinderlich sei, und holte die Pistole aus der Tasche, deren Hahn er spannte, um schußbereit zu sein. Dann schritt er weiter, seine Schritte möglichst dämpfend, um zu hören, ob ein Verfolger hinter ihm sei.
Am Liebsten wäre er mitten auf der Straße gegangen, aber damit hätte er dem Feinde verrathen, daß er vorbereitet sei.
Ging er auf dem Trottoir, so boten ihm die Häuser im Falle eines Kampfes von der einen Seite Deckung.
Auf diese Weise passirte er die Straße, ohne belästigt worden zu sein. Er machte ganz denselben Umweg zurück, den er herwärts gegangen war. So hatte er die zweite Straße erreicht; er befand sich bereits in der zweiten Hälfte derselben, als er sich, obgleich er weder etwas gehört noch gesehen hatte, aus einfacher Vorsicht umwendete. Da war es ihm, als ob er eine dunkle Gestalt bemerke, welche in einer Entfernung von vielleicht fünfzehn Schritten eben so wie er stehen blieb, um ihre Anwesenheit nicht zu verrathen.
»Das ist er,« dachte Königsau. »Warte, Hallunke, Dich werde ich zu täuschen wissen.«
Königsau schritt langsam weiter, rückwärts, ohne sich umzudrehen, und behielt die Gestalt fest im Auge, von der er deutlich bemerkte, daß sie ihm mit unhörbaren Schritten folge.
Margot war, sobald der Geliebte gegangen war, in die Loge des Portiers getreten und hatte dort schnell den Paletot angezogen, und den Hut aufgesetzt.
»Aber, Mademoiselle, wohin wollen Sie noch so spät?« fragte dieser verwundert.
»Nicht weit, nur um die Ecke,« antwortete sie.
»Aber allein und in den jetzigen Kriegszeiten! Erlauben Sie, daß ich Sie begleite.«
»Ich danke Ihnen! Ich muß allein gehen, ich will etwas beobachten.«
»Ah, ich verstehe!« meinte der Portier pfiffig. »Sie wollen sehen, wohin der Herr gehen wird, welcher Sie soeben verlassen hat.«
»Sie irren,« sagte sie in verweisendem Tone. »Es wird wohl keine anständige Dame einem Herrn nachlaufen, um zu spioniren. Lassen Sie mich so hinaus, daß die Thür kein Geräusch macht. Man darf weder hören noch sehen, daß ich auf die Straße trete.«
Er gehorchte ihr. Als sie sich draußen befand, blieb sie zunächst stehen, um zu lauschen. Königsau war erst kaum zwanzig Schritte entfernt, auch er war ja einige Augenblicke stehen geblieben, um seinen Mantel festzuziehen und die Pistole hervorzunehmen.
Ihr Auge durchforschte die Straße. Es war, als ob die Sorge ihrem Blicke doppelte Schärfe verleihe. Gerade gegenüber löste sich eine dunkle Gestalt vom Thorwege ab, huschte mit völlig unhörbaren Schritten über die Straße herüber und schlich dem Geliebten nach.
Das war kein Anderer als der Capitän, ihr Bruder. Das Herz zog sich ihr zusammen; ob vor Angst um Königsau oder vor Scham darüber, den Bruder als Meuchelmörder erkennen zu müssen, sie konnte es sich wohl selbst nicht sagen.
Sie hatte aus Vorsorge keine Stiefel angezogen, sie trug dieselben Hausschuhe, welche sie in der Wohnung zu tragen pflegte. Diese waren weich, und darum konnten auch ihre Schritte nicht gehört werden. So folgte sie den Beiden durch die Straße und in die Nebenstraße hinein. Dort hörte sie, daß der Geliebte, den sie wohl hören aber nicht sehen konnte, stehen blieb, denn seine Schritte waren verhallt.
»Hat er etwas bemerkt?« fragte sie sich. »Jetzt wird er vorsichtig sein!«
Einige Secunden später vernahm sie die Schritte wieder; sie hatten einen sehr eigenthümlichen Klang, den sie sich im ersten Augenblicke nicht enträthseln konnte. Bald aber dachte sie:
»Ah, er ist listig! Er tritt erst mit der Sohle und dann mit den Absätzen auf: er geht rückwärts, um seinen Mann im Auge zu behalten. Jetzt bin ich fast beruhigt.«
Sie huschte weiter und erblickte bald den heimlichen Verfolger wieder, der alle seine Aufmerksamkeit so ausschließlich auf den Lieutenant richtete, daß er gar nicht bemerkte, daß er eine Person hinter sich habe, die ihn ebenso scharf beobachtete wie er jenen.
Margot hatte sich nicht getäuscht; es war ihr Bruder. Dieser hatte das Café bereits vor Mitternacht verlassen und sich dann an das Thor des gegenüberliegenden Hauses auf die Lauer gestellt. Er sah die Schatten der Personen, welche sich droben in der Wohnung seiner Mutter bewegten, sich an den Gardinen abzeichneten und dachte mit Grimm daran, daß sein Todfeind jetzt die Liebkosungen der Schwester empfange, deren Verheirathung mit dem Baron de Reillac ihn, den tief Verschuldeten, von allen seinen quälenden und drückenden Sorgen erlösen konnte.
»Es ist das letzte Mal, daß Du bei ihr bist!« murmelte er. »Dieser Dolch soll dafür sorgen, daß Du verschwindest und uns die Bahn wieder freigeben mußt.«
Er zog den Dolch aus der Tasche und setzte die Spitze desselben prüfend an den Finger.
»Er ist spitz wie eine Nadel. In der Wunde umgedreht und dann abgebrochen, bringt er den unvermeidlichen Tod. Hätte ich den Schurken doch bereits vor mir stehen!«
Aber er mußte sich gedulden, bis ihm die Schatten sagten, daß Königsau jetzt aufbrechen werde. Nach einiger Zeit sah er ihn drüben aus dem Thore treten, welches sich hinter ihm schloß.
»Es wird sich Dir nicht wieder öffnen! Aber die Pforte der Hölle möge Dir offen stehen!«
Er hätte diese Worte am Liebsten laut ausgerufen, um seinem ergrimmten Herzen Luft zu machen; aber er mußte schweigen, um sich nicht zu verrathen. Wäre es Tag gewesen, so hätte man seine Augen blutgierig funkeln und seine Lippen sich zu jenem häßlichen Fletschen öffnen sehen, welches ihm im Falle des Zornes so eigenthümlich war.
Er legte die Hand fester um den Griff des Dolches und wollte bereits seinem Opfer folgen, aber bereits nach dem ersten Schritte blieb er überlegend wieder halten.
»Alle Teufel,« brummte er; »meine Stiefelsohlen knirschen! Dies würde mich unfehlbar verrathen. Daß ich auch nicht daran gedacht habe! Ich muß die Stiefel ausziehen. Aber sie mit mir tragen? Sie würden mich hindern. Soll ich sie hier im Thorwege stehen lassen? Es ist ja finster hier. Aber nein. Es könnte Jemand aus- oder eingehen wollen und sie finden, und dies könnte mich verrathen. Bei solchen Gelegenheiten muß man vorsichtig sein. Ich werde sie doch mit mir nehmen. Trage ich sie in der linken Hand, so hat die Rechte genug Kraft und Spielraum, einen guten Stoß auszuführen.«
Er zog die Stiefel rasch aus, nahm sie in die Linke und huschte über die Straße hinüber, um dem Lieutenant zu folgen, von welchem er sich in solcher Entfernung hielt, daß er die Gestalt desselben trotz der Dunkelheit gerade noch zu erblicken vermochte.
In der Straße, welche er selbst bewohnte, wollte er den Ueberfall nicht ausführen, um allen Möglichkeiten im Voraus vorzubeugen.
»Ich werde ihn gerade in das Herz treffen,« sagte er sich. »Er wird niederstürzen, ohne einen Laut auszustoßen. Dann beraube ich ihn. Wenn ihm, sobald er gefunden wird, die Börse fehlt sammt der Uhr und den Ringen, so wird man einen Raubmord annehmen und nicht denken, daß ein Act der Rache vorliegt.«
So hatte er die Hälfte der nächsten Straße passirt, als er bemerkte, daß Königsau stehen blieb. Sofort hielt auch er seine Schritte ein. Die Gier, mit welcher er an seine dunkle That dachte, ließ es gar nicht zu, den veränderten Ton von des Lieutenants Schritten zu bemerken, der doch Margot sogleich aufgefallen war. Er folgte ihm weiter und konnte dies scheinbar sicher, da zur damaligen Zeit die Straßenbeleuchtung in Paris sehr im Argen lag. Es brannte keine einzige Laterne.
Da, als die Straße bereits zu Ende war, schien es ihm an der Zeit zu sein. Er eilte rascher vorwärts, bis er den Lieutenant so weit erreicht hatte, daß die Entfernung zwischen ihnen höchstens noch vier Schritte betrug. Jetzt erhob er scharf den Blick, um den Stoß mit Sicherheit von hinten führen zu können, wäre aber fast erschrocken zurückgeprallt, denn er bemerkte, daß Königsau rückwärts gegangen war und nun, das Gesicht ihm zugewendet, stehen blieb, um ihn zu empfangen.
»Wer da! Was wollen Sie?« fragte der Lieutenant mit lauter Stimme.
Die Bestürzung des Capitäns hatte nur einen Augenblick gedauert. Jetzt galt es, trotzdem der Feind vorbereitet war, das Werk zu vollbringen. Er hielt den Letztern für unbewaffnet und im Nachtheile bei einem etwaigen Ringen, und ebenso glaubte er, nicht erkannt zu werden, da es ja dunkel war. Uebrigens was lag daran? Wenn er ihn auch erkannte, ein Todter kann keinen Namen ausplaudern.
»Dich, Du Hund!«
Indem er diese Worte mit verstellter Stimme als Antwort rief, warf er sich mit erhobenem Dolche auf Königsau. Der Stoß fuhr hernieder; aber zum Schrecken des Angreifers gab er einen lauten, metallenen Ton und fand einen festen Widerstand. Der Dolch glitt ab und fuhr in den Arm des Lieutenants. Dieser hielt mit der Linken den Angreifer beim Arme und rief:
»Tödten will ich Dich nicht, aber sehen will ich, wer Du bist.«
Er drückte hart vor dem Gesichte des Meuchlers seine Pistole ab. Der Schuß blitzte auf und erleuchtete für einen Augenblick das Gesicht desselben hell.
»Ah, Capitän, ich dachte, daß Sie es seien. Fliehen Sie, sonst erhalten Sie meine zweite Kugel!«
Mit diesen Worten schleuderte er den von der Pistolenflamme halb Geblendeten weit von sich und schickte sich an, seinen Weg weiter fortzusetzen, als er sich von zwei Armen fest umschlossen fühlte. Bereits glaubte er, sich eines neuen Feindes erwehren zu müssen; da aber hörte er in ängstlichem Tone die Worte:
»Hugo, um Gotteswillen, hat er Dich getroffen?«
»Ah, Margot!« antwortete er überrascht. »Wie kommst Du hierher? Was thust Du da auf der Straße?«
Sie schmiegte sich fest und innig an ihn und antwortete:
»Ich sah, daß er Dir nachschlich, und hatte so große Angst; ich mußte Euch folgen.«
»Du sahst es? So bist Du aus dem Hause getreten als ich fortging?«
»Ja. Er stand unter dem Thore gegenüber.«
»Du liebes, liebes, Du heldenhaftes Mädchen!« rief er, sie noch fester an sich drückend. »Was für ein herrliches Weib wirst Du mir sein! Aber weißt Du, wer es war?«
»Ja,« hauchte sie.
»Nun?«
»Der Capitän.«
Sie sagte nicht »der Bruder«; sie schämte sich, dieses Wort auszusprechen. Die Sorge um den Geliebten aber war noch nicht beruhigt, sie fragte zum zweiten Male dringend:
»Hat er Dich getroffen?«
»Nein, wie ich glaube. Aber hier stoße ich an Etwas. Was ist es?«
Er bückte sich nieder und fand die Stiefel, welche dem Capitän entfallen waren, als er von dem Lieutenant fortgeschleudert worden war.
»Ah, seine Stiefel!« lachte dieser. »Das ist spaßhaft; man wird sie ihm wiederschicken müssen. Aber komm, Kind! Die Leute sind durch meinen Schuß aufmerksam gemacht worden; man öffnet bereits die Fenster und die Thüren. Wir wollen gehen.«
Er nahm ihren Arm in den seinen, um sie zu führen; da aber fragte sie:
»Du willst wieder zu mir umkehren, Hugo?«
»Ja. Ich darf Dich doch unmöglich allein nach Hause gehen lassen!«
»O doch! Du darfst nicht mitkommen, denn er wird Dich erwarten und abermals anfallen.«
»Glaube das nicht,« antwortete er im Tone der Ueberzeugung; »er ist davongelaufen wie ein Hase. Und wenn er es ja wagte, mich abermals anzugreifen, so würde ich ihn niederschießen, obgleich er Dein Bruder ist. Komm, Geliebte, damit wir von den Leuten nicht gar noch belästigt werden. Ich müßte den Vorfall erzählen und mag doch nicht als Ankläger auftreten, da es sich um einen Menschen handelt, der Dein Verwandter ist, obgleich er es nicht werth ist, es zu sein.«
»Du Guter! Du willst ihm vergeben?« fragte sie, indem sie zurückkehrten.
»Ja; aber ich werde ein Wort mit ihm sprechen.«
»Thue es nicht; vermeide ihn! Er könnte Dir abermals gefährlich werden!«
»Ich werde dafür sorgen, daß dies nicht geschehen kann.«
Da auf den Schuß kein weiterer Lärm erfolgte, so machten die Bewohner der Straße ihre Fenster wieder zu. Es kam ja jetzt sehr häufig vor, daß geschossen wurde, und sie dachten, daß sich irgend ein müssiger Mensch den Spaß gemacht habe, die Ruhe der Schlafenden zu stören, indem er sich die Mühe gab, ein wenig Pulver zu verblitzen.
Königsau hatte den rechten Arm um die Schultern der Geliebten gelegt und ihren linken Arm um seine Taille gezogen. So schritten sie neben einander wortlos hin. Beide nur sich den Gefühlen hingebend, welche die überwundene Gefahr in ihnen hervorgebracht hatte. Da fühlte Margot etwas Warmes und Nasses an ihrem Halse. Sie blieb erschrocken stehen.
»Mein Gott, was ist das?« fragte sie. »Zeige Deinen Arm her, mein Hugo!«
Er that ihr den Willen. Sie untersuchte den Arm und sagte dann erschrocken:
»Gott, Du bist verwundet! Hier im Oberarme quillt aus einer Wunde Blut!«
Er hatte den Stich, welchen er erhalten hatte, bisher gar nicht gefühlt, jetzt aber kam ihm die Empfindung, daß er verletzt worden sei.
»Ist's möglich?« fragte er. »Ich habe es gar nicht bemerkt.«
»So komm, komm schnell nach Hause, damit wir die Wunde untersuchen,« sagte sie voller Angst. »Gütiger Himmel, es wird doch nicht gefährlich sein!«
»Auf keinen Fall,« beruhigte er sie. »Die Klinge des Dolches ist von dem Panzer abgeglitten und hat mir den Arm ein Wenig gestreift; weiter ist es nichts.«
»Wie gut, daß Du den Panzer trugst; er hätte Dich sonst getödtet!«
Sie zog ihn mit sich fort, erfüllt von jener Angst, welche durch die Besorgniß der Liebe verdoppelt wird. Diese Besorgniß verdoppelte ihre Schritte so, daß er ihr kaum zu folgen vermochte. So erreichten sie sehr bald das Haus, in welchem sie wohnte. Dort gab sie dem Portier das Zeichen, zu öffnen.
Anstatt in seinem Zimmer an der Schnur zu ziehen, kam er persönlich. Dies benutzte sie, ihn zu fragen:
»Ist, seit ich fort bin, Jemand eingetreten?«
»Ja,« antwortete er zögernd.
»Wer war es?«
»O, Mademoiselle, ich soll es nicht sagen.«
»Wer hat es Ihnen verboten?«
»Er selbst.«
»Mein Bruder?«
»Ah! Sie wissen es also bereits! Nun, so bin ich also nicht indiscret, wenn ich es zugebe, daß er es gewesen ist.«
»Also doch! So ist er jetzt zu Hause?«
»Nein. Der Herr Capitän schien sehr große Eile zu haben.«
»So ist er wieder fort?«
»Ja. Als er kam, dachte ich, Sie wären es. Sie wissen, daß ich Sie gern persönlich bediene; darum ging ich heraus aus meiner Loge. Ich erkannte den Herrn Capitän.«
»Was sagte er?«
»Er gab mir fünf Francs und gebot mir, keinem Menschen zu sagen, daß er hier gewesen sei. Es mußte ihm ein kleines, eigenthümliches Abenteuer passirt sein.«
»In wiefern?«
»Nun, ich bemerkte zu meinem größten Erstaunen, daß er – daß – daß –«
»Nun, was? Bitte, sprechen Sie doch!«
»Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf, Mademoiselle. Er hat es mir streng verboten.«
»Ich glaube doch, daß Sie mit mir, die ich seine Schwester bin, eine Ausnahme machen dürfen.«
»Ich glaube das allerdings selbst auch. Ich sah nämlich beim Scheine meines Lichtes, daß er keine Stiefel anhatte. Er kam in Strümpfen. Ich traute meinen Augen nicht, aber als er dann den Flur passirte und die Treppe emporstieg, bemerkte ich, daß ich mich doch nicht geirrt hatte. Der Herr Capitän muß also ein kleines Abenteuer erlebt haben.«
»Möglich. Hat er sich lange in seiner Wohnung aufgehalten?«
»Nein, sondern nur eine Minute, gerade so lange, als man bedarf, um Stiefel anzuziehen.«
»Und dann?«
»Nun, dann kam er herab. Er trug jetzt Fußbekleidung, nickte mir zu, denn ich war noch nicht in meine Loge getreten, und verließ das Haus in größter Eile.«
»In welcher Richtung?«
»Rechts. Ich habe sehr genau darauf aufgemerkt, denn die Sache kam mir doch ein Wenig ungewöhnlich vor, so daß ich unwillkürlich horchte, wohin er ging. Ich hörte, daß er sich nach rechts wendete, obgleich er sich Mühe gab, leise aufzutreten.«
»Ich danke und bitte Sie allerdings, das kleine Vorkommniß nicht zu erwähnen.«
»O, Mademoiselle, Sie kennen ja meine Ergebenheit,« versicherte der brave Mann. »Wenn Sie es nicht gewesen wären, seine Schwester, so hätte ich gar nichts erwähnt. Ein Portier muß verschwiegen sein können. Sie dürfen sich gewiß auf mich verlassen!«
»Das hoffen wir,« sagte jetzt Königsau. »Hier haben Sie noch eine Kleinigkeit!«
Er griff in die Tasche und gab dem Portier ein Goldstück. Als dieser das schimmernde Metall funkeln sah, machte er eine tiefe Verbeugung und sagte:
»Sie sind außerordentlich gütig, Monsieur. Eine solche Noblesse ist hier in diesem Hause selten. Sie können ganz und gar auf mich rechnen, meine Herrschaften!«
Er becomplimentirte sie mit ausgesuchtester Höflichkeit nach der Treppe. Er war im Stillen sehr überzeugt, daß diese beiden jungen Leute auch ein kleines Abenteuer erlebt hatten. Der deutsche Officier hatte ja erst vor Kurzem das Haus verlassen, und Mademoiselle Margot war ihm heimlich gefolgt. Als diese Beiden jetzt eben verschwunden waren, kehrte er in seine Loge zurück und betrachtete sich jetzt das Goldstück genau.
»Sapperlot!« murmelte er. »Ich glaubte, es seien zwanzig Franken, und nun sehe ich, daß ich gar ein Vierzigfrankstück erhalten habe. Das ist allerdings sehr nobel, außerordentlich nobel. Ein solches Geschenk macht man nicht des Portiers, sondern der Dame wegen, welche sich mit dabei befindet. Ich glaube, dieser deutsche Officier setzt bei Mademoiselle Margot die Eroberungen fort, welche seine Landsleute in Frankreich gemacht haben! Na, er ist ein feiner Mann, wie ich sehe, und sie ist eine ausgezeichnete Dame, sie passen zusammen, obgleich ich sie lieber einem Franzosen gegönnt hätte.«
Er steckte das Goldstück in ein heimliches Kästchen, beliebäugelte es einige Augenblicke lang und fuhr dann in seinem Monologe fort:
»Er ging fort, und sie folgte ihm heimlich. Es ist da etwas Ungewöhnliches passirt, und ich halte es für sehr möglich, daß ihr Abenteuer mit demjenigen, welches der Capitän erlebt hat, zusammenhängt. Na, mich geht dies ja nichts weiter an!«
Er hatte glücklicher Weise nicht bemerkt, daß Königsau verwundet war, sonst wäre der Gang seiner Gedanken ein noch viel kühnerer gewesen.
Unterdessen standen die beiden Liebenden droben vor der Mutter, welcher Margot in fliehender Eile das entsetzliche Erlebniß erzählte.
»O mein Gott, ist dies möglich!« klagte die erschrockene Frau. »Mein Sohn ein Mörder, ein feiger Bravo, der Andere aus dem Hinterhalte überfällt. Es ist mir fast unmöglich, daran zu glauben. Aber, Kind, in welche Gefahr hast Du Dich dabei begeben!«
Margot war beschäftigt, Wasser herbeizuschaffen und Leinewandstücke zum Verbande zu suchen, doch hinderte sie diese eilige Beschäftigung nicht, an der Unterhaltung den lebhaftesten Antheil zu nehmen. Sie überhörte mit Absicht den liebevollen Vorwurf der Mutter und antwortete:
»Wie? Es wird Dir schwer, zu glauben, daß Albin es gewesen ist?«
Frau Richemonte antwortete mit Thränen des Schmerzes im Auge:
»Leider muß ich zugestehen, daß ich ihm eine solche Schändlichkeit zutraue. Wer an den Gliedern seiner eigenen Familie so handelt wie er, der ist auch im Stande, einen Fremden, welcher seinen Plänen im Wege steht, hinweg zu räumen. Aber dennoch fällt es mir unendlich schwer, an die vorliegende Thatsache zu glauben.«
»So siehe seine Stiefel an; sie liegen hier.«
»Kind, können es nicht die Stiefel eines anderen Mannes sein?«
»Nein. Der Portier hat bemerkt, daß er in Strümpfen gekommen ist.«
»Vielleicht nur ein eigenthümlicher Zufall, obgleich ich mir nicht denken kann, auf welche Weise ein Capitän der Garde dazu kommen kann, in Strümpfen nach Hause gehen zu müssen.«
»So werde ich das Mädchen rufen. Sie hat seine Aufwartung übernommen und wird also seine Stiefel ganz genau kennen.«
»Nein, nein! Das Mädchen darf in diese Angelegenheit unmöglich eingeweiht werden. Aber beeile Dich! Siehst Du nicht, daß Herr von Königsau mehr Blut verliert!«
»Mein Gott, ja! Ich mußte doch erst Wasser und Verbandzeug besorgen. Komm her, mein Guter! Mir ist so angst, daß Deine Wunde gefährlich ist. Wir legen jetzt nur den Nothverband an und werden dann gleich zum Arzte senden.«
Königsau antwortete mit beruhigendem Lächeln:
»Fürchte nichts, liebe Margot. Es handelt sich hier jedenfalls nur um einen kleinen Ritz oder Stich, welcher vollständig ungefährlich sein wird.«
»So lege schnell ab. Mama wird es gerne erlauben.«
Frau Richemonte zog sich zurück, da Königsau gezwungen war, sich theilweise seiner Kleidung zu entledigen. Er legte den Panzer und den Rock ab, dessen Aermel ebenso blutig war wie der Aermel des Hemdes. An dem glatt polirten Panzer war die Stelle zu erkennen, welche von der Spitze des Dolches getroffen worden war. Ohne den ehernen Schutz wäre die Waffe vielleicht in das Herz gedrungen.
Margot streifte ihm den Aermel des Hemdes auf. Sie war todesbleich vor Besorgniß, aber ihre Hände zitterten nicht. Als ihr Auge die Wunde erblickte, stieß sie einen Ruf des Schreckens aus.
»Herr Gott! Wie groß und tief, das ist ja gefährlich!« rief sie.
»O nein, liebe Margot,« meinte Königsau. »Das sieht jetzt nur so schlimm aus, da Alles blutig ist. Nimm den Schwamm und reinige die Wunde, dann wirst Du sogleich sehen, daß Du Dich getäuscht hast.«
Sie folgte dieser Aufforderung. Wie schön war sie in ihrer Angst um den Geliebten! Wie leise und sanft war ihre Berührung. Er bekam hier eine Vorahnung des Glückes, welches er haben werde, wenn dieses schöne, liebevolle Mädchen als geliebtes Weib einst ganz ihm gehören werde. Er blickte nicht auf seine Wunde, sondern nur auf sie, auf ihre erregungsblassen Wangen, ihren vor angstvoller Spannung leise geöffneten Mund, zwischen dessen Lippen ein köstlicher Schatz herrlicher Zähne hervorleuchtete, auf ihre dunklen Augen, aus denen bald ein Blick voll unendlicher Zärtlichkeit auf ihn leuchtete und bald das innigste Mitleid auf seinen blutüberströmten Arm niederschaute.
Endlich war die Wunde gereinigt und konnte genauer betrachtet werden.
»Sie ist nicht so groß wie ich dachte. Gott sei Dank!« hauchte Margot. »Aber tief. Nicht?«
»Nein,« antwortete er. »Die Spitze des Dolches ist am Panzer abgebrochen, und da der Stoß dadurch geschwächt wurde, so konnte die stumpfe Klinge nicht weit eindringen.«
»Aber warum blutest Du so sehr? Es ist doch nicht etwa eine Pulsader getroffen?«
»O, dann würde die Blutung noch eine ganz andere sein, liebes Kind. Das stumpfe Instrument hat natürlich eine weitere Wunde hervorgebracht, als wenn die Spitze sich noch daran befunden hätte. Es sind einige kleinere Aederchen zerrissen worden; das sieht schlimmer aus als es ist.«
»Aber durch diesen stumpfen Stich wird die Wunde viel schmerzhafter sein!«
»Ich bin Soldat!« sagte er einfach.
»Hugo, lieber Hugo, ich wollte, ich könnte den Schmerz auf mich nehmen!«
Er schlang den gesunden Arm um sie, zog sie an sich, blickte ihr tief, tief in die nassen Augen und fragte mit vibrirender Stimme:
»So lieb, so sehr lieb hast Du mich?«
»Unendlich!« hauchte sie, sich an ihn schmiegend.
»Wirklich?«
»Gewiß. Glaube es mir!«
Sie küßte ihn innig auf den Mund und machte sich dann mit allem Eifer daran, den Verband anzulegen. Zehnmal, hundertmal fragte sie nach seinen Schmerzen, und er hatte alle Mühe, die Sorge zu bekämpfen, welche sie um ihn fühlte. –
Unterdessen war der Capitän, nachdem er sich mit neuen Stiefeln versehen hatte, nach dem Kaffeehause geeilt, in welchem ihn der Baron de Reillac erwartete, um das Ergebniß des Ueberfalls zu vernehmen. Reillac hatte sich aus Vorsorge ein besonderes Zimmerchen geben lassen, um ungestört mit ihm reden zu können. Dort traf er ihn.
»Nun?«
In dieser einen Silbe, welche der Baron aussprach, lagen alle Fragen, die er hätte thun können. Seine Augen glühten wie die Lichter einer Löwin, welche von dem zurückkehrenden Löwen erfahren will, ob er eine reiche Beute für sie gemacht habe.
»Wein!«
Dies war das eine Wort, welches Richemonte antwortete. Seine Züge waren in diesem Augenblicke eisig zu nennen. Man konnte nichts aus ihnen lesen.
»Ah,« sagte der Baron lauernd. »Diese Antwort gefällt mir. Wer so dringend nach Wein verlangt, der muß eine tüchtige Arbeit, eine dankbare Anstrengung hinter sich haben. Habe ich Recht oder nicht, lieber Capitän?«
»Ja, eine verfluchte Arbeit war es,« antwortete der Gefragte zweideutig.
Der Baron verstand ihn nicht; er glaubte, daß der Anschlag gelungen sei, und sagte:
»Nun, da sollen Sie Wein haben, vom allerbesten und so viel Sie trinken wollen.«
Er läutete und gab dem Kellner seine Bestellung. Bis dieser zurückkehrte, verhielten sich die Beiden sehr schweigend, aber als die Flaschen entkorkt waren und der dienstbare Geist sich entfernt hatte, griff Reillac zum Glase und sagte:
»Nun leeren Sie Ihr Glas, Capitän, und erzählen Sie!«
Der Angeredete stürzte sein Glas hinter, stampfte es grimmig auf den Tisch und begann:
»Sie sind ganz glücklich darüber, daß meine Arbeit eine dankbare gewesen ist?«
»Natürlich!«
»Wenn Sie sich nun aber doch irrten?«
»Wie meinen Sie das?«
»So wie Sie es hörten.«
»Ich sollte mich geirrt haben?«
»Ja.«
»Pah! Sie wollen mich ein Wenig auf die Folter spannen und dann mit der guten Nachricht überraschen. Aber mich täuschen Sie nicht. Ich schmeichle mir, Menschenkenner zu sein. So wie Sie hereintraten und so wie Sie hier sitzen, sieht nur ein Mann aus, der von gerade einer solchen Arbeit kommt, wie wir sie besprochen hatten.«
»Da mögen Sie Recht haben, obgleich es vielleicht größere Menschenkenner giebt, als Sie es sind. Ich komme allerdings direct von einer solchen Arbeit; ob sie aber gelungen ist, das muß man erst wissen.«
»Na, ich hoffe doch, daß Sie einen guten Stoß zu führen verstehen.«
»Ich denke es auch!« sagte der Capitän zornig.
»Na, also!« meinte sein Verbündeter im Tone der Befriedigung.
»Aber selbst der beste Stoß kann einmal daneben gehen!«
»Dann war es eben nicht der beste Stoß, sondern ein sehr schlechter.«
»So will ich mich anders ausdrücken: Selbst der beste Stoß kann parirt werden oder auf einen unverhofften Widerstand stoßen.«
»Ich denke, Menschenfleisch ist kein bedeutender Widerstand.«
»Nein, aber ein Panzer pflegt verdammt hart zu sein.«
Der Baron machte eine Miene unangenehmer Ueberraschung und sagte sehr schnell:
»Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß der Kerl einen Panzer getragen hat?«
»Gerade das und nichts Anderes will ich sagen.«
»Donnerwetter! Königsau ist doch, wie ich denke, Husarenofficier, und nur Kürassiere pflegen sich mit Stahl zu umgürten!«
»Er trug dennoch Panzer.«
Der Baron sah dem Capitän eine Minute lang forschend in das Gesicht, machte dann eine wegwerfende Geberde und sagte in beinahe beleidigendem Tone:
»Ah, Sie haben einen Mißerfolg gehabt?«
»Leider!«
»Und wollen denselben beschönigen?«
»Fällt mir gar nicht ein!«
»O, doch fällt es Ihnen ein! Sie haben gar nicht gestoßen, oder vielleicht haben Sie ganz und gar auf das Unternehmen verzichtet. Sie sind zu feig gewesen, und um sich bei mir zu entschuldigen, sagen Sie, daß der Mann einen Panzer getragen habe!«
Die Augen des Capitäns blitzten zornig auf, und seine Lippen öffneten sich, um seine Zähne zu zeigen. Es war abermals jenes gefährliche, raubthierartige Fletschen, welches ihm bis in das späteste Alter eigen blieb. Er erhob sich langsam und drohend.
»Baron!«
Er sagte nur dies eine Wort, aber es lag in ihm ein Grimm, vor welchem selbst Reillac zurückschreckte. Er drückte sich fest an die Lehne seines Stuhles und fragte:
»Was beliebt?«
»Wenn Sie noch einmal von Feigheit sprechen, so beweise ich es an Ihrem eigenen »Menschenfleische«, daß wirklich nur ein Panzer im Stande ist, meinen Stoß aufzuhalten!«
»Donnerwetter, Sie drohen mir?«
»Ja,« sagte der Capitän einfach, indem er sich wieder niedersetzte.
»Das verbitte ich mir!«
»Pah! Dieses Verbitten hilft Ihnen nicht das Mindeste, wenn Sie fortfahren, mich in dieser impertinenten Weise zu beleidigen.«
»Aber Sie wollen mir doch nicht glauben machen, daß Königsau wirklich einen Panzer getragen habe?«
»Glauben Sie es oder nicht! Ich mache mir den Teufel daraus,« sagte der Capitän.
»Aber wie sollte er denn auf diesen Gedanken gekommen sein! Das ist mir unbegreiflich.«
»Mir ebenso.«
»Sollte er geahnt oder gar vermuthet haben, daß er etwas zu befürchten hat?«
»Vielleicht. Fragen Sie ihn.«
»Oder tragen diese deutschen Officiere während der Feldzüge einen Panzer unter ihrem Waffenrocke, um während des Gefechtes gegen Hieb und Stich gesichert zu sein?«
»Dummheit! Diesen Gedanken kann nur Einer haben, der nicht Militär ist.«
»In wiefern?«
»Der Soldat darf nur die vorgeschriebenen Sachen und Waffen tragen.«
»Ah, wirklich?«
»Ja. Uebrigens würde man einen Beweis großer Feigheit darin sehen, wenn ein Husar den Stahl eines Kürassiers anlegen wollte. Es wäre ganz um seine Ehre geschehen.«
»In der That? Das habe ich wirklich nicht gewußt.«
»Und sodann giebt es einen sehr naheliegenden Gedanken, auf welchen Sie aber allerdings nicht gekommen sind, ein Beweis, daß es mit Ihrer Menschenkenntniß nicht weit her ist.«
»Sie werden spitz, Capitän! Das verbitte ich mir! Welchen Gedanken meinen Sie?«
»Selbst wenn es einem Husaren erlaubt wäre, die Eisenweste zu tragen, so ist der Krieg jetzt doch beendet, wie Sie wissen. Wie kommt dieser verdammte Kerl darauf, mitten im Frieden, und zwar gerade heute, einen solchen Schutz anzulegen?«
»Allerdings unbegreiflich. Sollte er so scharfsinnig sein? Er ist doch ein Deutscher!«
»Sie sprechen den Deutschen also die Fähigkeit, scharfsinnig zu sein, ab?«
»Vollständig!«
»Da bedaure ich Sie!«
»Ah, wie kann ein Barbar Scharfsinn besitzen?«
»Gehen Sie zu den Indianern und zu anderen uncivilisirten Leuten. Diese werden Ihnen Beweise eines Scharfsinnes geben, der Ihr größtes Erstaunen erregt.«
»Hm, das ist wahr.«
»Und zudem sind die Deutschen vielleicht gar nicht so große Barbaren, wie wir denken.«
»Verlaufen wir uns nicht in allgemeine Betrachtungen; das kann uns hier ganz und gar keinen Nutzen bringen; bleiben wir vielmehr bei unserem Gegenstande! Also Sie sagen wirklich, daß Sie Fiasco gemacht haben, und daß Königsau Ihnen entkommen ist?«
»Ja.«
»Alle Teufel! Und nur des Panzers wegen, den er getragen hat?«
»Nur aus diesem Grunde,« nickte der Capitän ergrimmt.
»Erzählen Sie!«
»Er war, ganz wie wir vermuthet hatten, bei meiner Schwester und ging sehr spät fort.«
»Sie lauerten ihn ab?«
»Ja.«
»Welche Waffe hatten Sie?«
»Meinen gläsernen, venetianischen Dolch.«
»So ein Stilet ist ein fürchterliches Ding. Wann ging er?«
»Es war bereits Mitternacht. Ich folgte ihm auf dem Fuße.«
»Trafen Sie noch in der Rue d'Ange auf ihn?«
»Nein, ich wollte dies vermeiden. Erst am Ende der nächsten Straße ereilte ich ihn. Aber denken Sie sich mein Erstaunen, als ich bemerkte, daß er rückwärts ging.«
»Rückwärts? Auf Sie zu?«
»Nein. Er ging seinen Weg fort, aber mit dem Gesicht nach rückwärts gewendet.«
»Alle Wetter! Höchst eigenthümlich! Höchst sonderbar!«
»Ja; er hatte mich erwartet.«
»So hat er Sie kommen gehört und sich zur Vertheidigung vorbereitet.«
»Er konnte mich nicht kommen hören, denn ich hatte mich meiner Stiefel entledigt.«
»Sie gingen in Strümpfen?«
»Ja.«
»So ist der Anschlag verrathen gewesen!«
»Fast möchte ich dies glauben. Aber wer soll ihn verrathen haben? Ich natürlich nicht!«
»Und ich noch weniger. Ich habe gegen keinen Menschen eine Aeußerung gethan, welche nur im Geringsten auf unser Vorhaben Bezug gehabt hätte.«
»Ich auch nicht.«
»So ist es unbegreiflich, ja geradezu ein Wunder, daß er unsere Absicht errathen hat. Sie müßten, als Sie ihn mit dem Marschall bei Ihrer Mutter sahen, eine Drohung ausgestoßen haben, in Folge deren er auf unsere Fährte gekommen ist?«
»Ist mir nicht eingefallen! Uebrigens wissen Sie ja selbst, daß, als ich ihn sah und sprach, von dem Anschlage gegen ihn noch gar keine Rede war. Wir haben uns ja erst besprochen, als ich von ihm nach meiner Wohnung zurückgekehrt war, in welcher Sie mich erwarteten.«
»Dann ist die Sache nur um so undurchdringlicher. Aber erzählen Sie weiter. Also er stand bereit, Sie zu empfangen. Sie bemerkten, daß er einen Panzer trug, und verzichteten in Folge dessen jedenfalls sofort auf den geplanten Angriff?«
»Das fiel mir nicht ein! Es wäre jedenfalls gut gewesen, wenn ich verzichtet hätte, denn dann wäre er jedenfalls über meine Absicht im Unklaren geblieben. Uebrigens habe ich den Panzer nicht bemerkt, da es ja dunkel war. Er rief mich an, und ich warf mich trotzdem auf ihn. Ich stieß mit aller Kraft nach seinem Herzen. Ich hätte es sicherlich getroffen; aber der Dolch glitt ab, und die Spitze brach. Erst daran merkte ich, daß er den Panzer trug.«
»Der Teufel soll ihn holen! Aber gab es denn keine andere Stelle seines Körpers, an welcher ihm ein tödtlicher Stoß beizubringen war, zum Beispiel der Hals?«
»Pah! Dazu kam ich nicht. Wir geriethen mit einander in einen Ringkampf. Er hielt meinen Arm fest, und zudem kam eine Person hinzu, deren Gegenwart ich am allerwenigsten vermuthet hätte.«
»Wer?«
»Rathen Sie!«
»Ich bin nicht allwissend. Wer war es?«
»Hören Sie, und staunen Sie: Es war – meine Schwester.«
Der Baron fuhr überrascht empor.
»Unmöglich!« rief er.
»Haben Sie doch die Güte, zu ihr zu gehen, um sich bei ihr zu erkundigen, ob es wahr ist!«
»Aber wie kommt die dazu, ihm nachzulaufen?«
»Das weiß der Teufel!«
»Es ist kein Zweifel. Sie haben Beide geahnt, daß er sich in Gefahr befindet. Margot ist ihm heimlich gefolgt, weil sie Besorgniß um ihn gefühlt hat.«
»Nur auf diese Weise läßt es sich erklären.«
»Also diesem deutschen Laffen läuft sie nach!« meinte der Baron zornig. »Ich aber werde mit Verachtung abgewiesen. Ah, ich werde ihnen einen Sallat einschneiden, den sie schlecht verdauen sollen! Wie ging es weiter?«
»Ich mußte natürlich fliehen, um nicht erkannt zu werden. Hätte ich den Kampf fortgesetzt, so wäre ich vielleicht gar ergriffen worden, da man bereits Thüren und Fenster öffnete.«
»Sie meinen also, daß Sie nicht erkannt worden sind?«
»Dort noch nicht.«
»Ah, das ist noch gut!«
»Aber später jedenfalls.«
»Ah, warum?«
»Ich hatte die Stiefel ausgezogen und trug sie bei mir. Während des Kampfes entfielen sie mir. Sie haben sie gefunden, und Margot wird sofort sehen, das es die meinigen sind.«
»Welch eine Unvorsichtigkeit! Konnten Sie Ihre Drecktreter denn nicht irgendwo verstecken?«
»Daß man sie unterdessen fand! Nein. Wäre der Panzer nicht, so hätte Alles die gewünschte Wendung genommen; so aber hat sich Alles nur auf das Schlimmste zugespitzt.«
»Aber ich sehe doch, daß Sie Stiefel anhaben!«
»Glauben Sie etwa, daß ich in Strümpfen oder gar barfuß hierher kommen konnte?«
»Woher haben Sie die Stiefel erhalten?«
»Es sind die Meinigen. Ich rannte sofort nach Hause, um ein anderes Paar anzuziehen.«
»Unbemerkt?«
»Hm! Dieser verdammte Portier öffnete persönlich. Ich glaube, er hat bemerkt, daß ich in Strümpfen war. Aber ich habe ihm befohlen, nichts zu erzählen.«
Der Baron lachte höhnisch auf.
»Das war klug von Ihnen,« sagte er, »ganz außerordentlich klug, denn nun wird er es erst recht erzählen.«
»Das Trinkgeld, welches ich ihm gab, wird ihm den Mund verschließen.«
»Ah! Wie viel gaben Sie?«
»Volle fünf Franken.«
»Volle fünf Franken!« rief der Baron mit travestirtem Erstaunen. »Donnerwetter, ist das eine Summe! Na, Capitän, lassen Sie sich entweder auslachen oder bedauern! Aber der Fehler ist einmal gemacht; er läßt sich nicht ändern. Hat der Portier gesehen, daß Sie das Haus wieder verlassen haben?«
»Ja.«
»So wird er Ihrer Schwester, sobald sie zurückkehrte, Alles erzählt haben. Was gedenken Sie zu thun, wenn Sie morgen gefragt werden?«
»Von wem?«
»Von Mutter und Schwester, von Königsau selbst, von irgendwem, vielleicht sogar von der Criminalpolizei, vom Richter.«
»Ich werde ihnen geradezu ins Gesicht lachen.«
»Gut! Man wird Ihnen nichts anhaben können, denn ich werde Ihr Alibi beweisen, Sie sind während der betreffenden Zeit bei mir gewesen.«
»Aber, wenn Sie schwören müssen, Baron?«
»So werde ich natürlich schwören. Wir sind Verbündete und müssen uns einander unterstützen. Ich werde Sie auf keinen Fall sitzen lassen; das ist aber auch Alles, worauf Sie nun von meiner Seite aus rechnen können.«
Der Capitän verstand ihn gar wohl, ließ sich dies jedoch nicht merken. Er füllte sich sein Glas, trank es bis zur Neige aus und fragte dann scheinbar gelassen:
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Daß wir zu Ende sind.«
»Ah, inwiefern?«
»Sie haben Ihre Aufgabe nicht gelöst und sich in eine fatale Lage gebracht. Ich werde Ihnen behilflich sein, aus dieser Lage zu kommen; weiter aber kann ich nichts für Sie thun. Ich bin gezwungen, Ihnen morgen Ihre Accepte zu präsentiren.«
»Unsinn!«
»Warum Unsinn? Es giebt nur ein Mittel, diesen Deutschen los zu werden; das ist sein Tod. Sie haben das nicht fertig gebracht und werden es auch nicht fertig bringen.«
»Wer sagt das?«
»Ich, denn ich kenne Sie. Uebrigens ist er jetzt gewarnt. Ja, wenn noch heute Etwas geschehen könnte! Aber er wird sich nun zu Hause befinden.«
»Das bezweifle ich sehr.«
»Wieso?«
»Sie wollen Menschenkenner sein? Gestatten Sie, daß ich nicht daran glaube! Mein Dolch ist zwar von der Brust abgeglitten, ihm aber tief in den Arm gefahren; ich habe das ganz genau gefühlt. Glauben Sie, daß meine Schwester ihn gehen lassen wird? Sie hat ihn ganz sicher mit zu sich zurückgenommen, um ihn zu verbinden.«
»Hm, das ist nicht schwer zu glauben! Wenn man nur erfahren könnte, ob er sich dort befindet!«
»Wie ich Margot kenne, so garantire ich, daß er sich dort befindet. Ich behaupte es.«
»Und wann wird er gehen?«
»Jedenfalls nicht sogleich.«
»Hm!« brummte der Baron nachdenklich, indem er vor sich hinblickte.
»Was meinen Sie?«
»Ich habe da einen Gedanken.«
»Welchen?«
»Ist diese Thür wirklich gut geschlossen, so daß uns Niemand hören kann?«
»Gewiß.«
Da legte sich der Baron über den Tisch hinüber und fragte mit lauerndem Blicke:
»Wollen Sie den Kerl so entkommen lassen?«
»Fällt mir nicht ein!« antwortete der Capitän finster. »Nun muß er erst recht daran glauben. Es ist mir jetzt ganz unmöglich, meine Rechnung zu zerreißen.«
»Aber er wird sich von jetzt an doppelt vorsehen.«
»Ist mir gleich.«
»Er wird Sie morgen vielleicht anzeigen!«
»Er mag es thun.«
»Er wird vielleicht Paris verlassen und uns entkommen!«
»Das geht nicht so schnell.«
»O, man spricht von dem baldigen Abzug der Deutschen!«
»So muß ich um so schneller handeln.«
»Gut! Aber wann?«
»Uebermorgen, morgen, wenn es paßt. Ich werde es mir überlegen.«
»Uebermorgen? Morgen? Ueberlegen? Sind Sie klug oder nicht, Capitän?«
»Was wollen Sie?«
»Morgen und übermorgen ist es bereits zu spät. Wissen Sie, wann gehandelt werden muß?«
»Nun?«
»Bereits heute.«
»Alle Teufel, Sie haben es nothwendig!«
»Weil dies das Klügste und Beste ist.«
»Aber wissen Sie, was dazu gehört?«
»Nichts als ein klein wenig Entschlossenheit.«
»Die ist da. Aber wer schafft mir die passenden Umstände, ohne welche es nicht geht?«
»Ich.«
»Sie?« fragte der Capitän erstaunt.
»Ja, ich,« antwortete dieser.
»Erklären Sie sich deutlicher!«
»Nun, die Sache ist sehr einfach. Stirbt der Kerl noch heute, so kann er nicht gegen Sie auftreten; ich zerreiße Ihre Wechsel und bekomme Margot zur Frau.«
»Aber der Panzer!«
»Wir geben ihm eine Kugel.«
»Es fragt sich, ob sie den Panzer durchbricht.«
»Ich meine, in den Kopf.«
»Das macht Lärm.«
»Wir stellen uns natürlich nicht hin!«
»Sie sagen »wir«. Sie meinen also sich selbst mit?«
»Ja. Ich muß Margot partout haben. Ich weiß nicht wie das kommt, aber ich bin bei Gott in dieses Mädchen so vernarrt, daß ich Alles hingeben würde, es zu besitzen. Ich sehe ein, daß es für Sie allein schwierig ist, diesem Deutschen entgegenzutreten, und werde Sie unterstützen.«
»Das heißt, Sie wollen mich begleiten?«
»Ja.«
Der Capitän sah Ihn erstaunt an. Endlich glaubte er zu errathen, welchen Grund der Baron habe, sich persönlich an dieser gefährlichen Affaire zu betheiligen. Er sagte daher:
»Ah, Sie gehen so als eine Art Aufseher mit?«
»Ha!« brummte der Gefragte, ohne eine weitere Antwort zu geben.
»Um sich zu überzeugen, ob ich ein Feigling bin oder nicht?«
Richemonte hatte das Richtige errathen. Aber Reillac wollte ihn nicht auf's Neue erzürnen; daher antwortete er:
»Unsinn! Jemandem eine Kugel durch den Kopf zu treiben ist leichter, als mit dem Dolche in der Faust mit ihm kämpfen, wie Sie es ja bereits gethan haben.«
»Das meine ich auch,« sagte der Capitain befriedigt.
»Ich bin überzeugt, daß Sie keinen Fehlschuß thun werden. Wenn ich erkläre, mich persönlich zu betheiligen, so ist das nicht Mißtrauen, sondern es hat andere Gründe.«
»Welche?«
»Es kann Einer dem Anderen beistehen, wenn irgend ein unvorhergesehener Fall eintreten sollte. Sodann ist es diese Nacht sehr finster. Man muß sich vor dem Schusse überzeugen, ob man auch auf den Richtigen zielt.«
»Sie meinen, man muß ihn ansehen?«
»Ja.«
Der Capitän lachte.
»Das ist allerdings eine sehr ungewöhnliche Ansicht,« sagte er. »Wir ersuchen jeden Vorübergehenden, stehen zu bleiben, um sich ansehen zu lassen, und machen also alle Leute auf uns aufmerksam. Und wenn der Richtige kommt, blicken wir auch ihm an die Nase, so daß er Zeit behält, unsere Absicht zu errathen, sich zur Wehr zu stellen und zu entkommen.«
»Sie nehmen die Sache allerdings zu hölzern, Capitain!«
»Wie soll ich es sonst nehmen, daß Sie sich den Mann erst genau ansehen wollen?«
»Ansehen? Hm!« lächelte Reillac überlegen. »Ich meine sogar, daß wir ihn vorher erst anleuchten werden.«
»Sind Sie toll?«
»Wenigstens nicht ganz. Ich habe zu Hause ein allerliebstes, kleines Blendlaternchen.«
»Das wollen wir holen?«
»Ja. Ferner habe ich ein Paar ausgezeichnete Doppelpistolen. Wir brauchen sie nicht alle zwei. Eine wird genügen,« meinte Reillac voll Zuversicht.
Richemonte theilte die Zuversicht Reillac's, und antwortete daher beruhigt:
»Das ist allerdings angenehm. Ich möchte nicht gern abermals nach Hause gehen, was doch geschehen müßte, wenn ich mich meiner eigenen Pistole bedienen wollte.«
»Sehen Sie, daß ich nicht ganz toll bin! Also wir müssen sicher gehen. Passanten giebt es nicht viele; wir werden also nicht auffallen. Uebrigens werden wir es jedem Kommenden am Schritt anhören, ob er ein Officier ist oder nicht. Ferner wissen wir nicht, welchen Weg Königsau einschlagen wird, wenn er heimkehrt. Wir werden ihn also vor seiner Wohnung erwarten müssen. Auf diese Weise läuft er uns ganz sicher in die Hände, ohne daß wir einem Anderen lästig fallen.«
»Aber das Anleuchten –?«
»Habe ich nur so gemeint, daß wir ihm, wenn er kommt, das Licht der Blendlaterne für einen Augenblick in das Gesicht fallen lassen. So überzeugen wir uns, daß er es wirklich ist, und zugleich erhalten Sie dabei ein sicheres Ziel. Sie nehmen die Pistole und ich die Laterne. Während ich ihn beleuchte, schießen Sie.«
»Hm, das ist wirklich nicht übel ausgedacht! Aber wenn er uns erkennt?«
»Wir werden im Dunkeln bleiben, und zudem wird er von dem plötzlichen Lichte so geblendet sein, daß er gar nichts erkennen kann. Uebrigens würde er auf keinen Fall Etwas verrathen können, da er ja bereits im nächsten Augenblicke eine Leiche sein wird.«
Der Capitän überlegte noch. Die Sache kam ihm zu rasch. Der verunglückte Anschlag war kaum vorbei, so sah er sich auch bereits vor eine Wiederholung gestellt.
»Und wenn es gelingt, was thun wir?«
»Wir entfernen uns natürlich!« lachte der Baron.
»Wohin?«
»Nach meiner Wohnung. Das giebt ein Alibi.«
»Das bezweifle ich. Ihre Leute werden natürlich unser Kommen bemerken; man wird also wissen, daß wir nicht dagewesen sind.«
»Ich bedaure Sie, Capitän. Ich bin nicht so unbefangen, wie Sie es zu sein scheinen. Meine Leute glauben mich in meiner Bibliothek. Dort brennt ein Licht, und Niemand hat Zutritt, nicht einmal mein Kammerdiener, auf den ich mich verlassen könnte.«
»Ah, so haben Sie einen geheimen Ausgang?«
»Natürlich!«
»O, Sie sind schlau, Baron!«
»Was wollen Sie! In diesen Zeiten weiß man nie, was passiren kann. Uebrigens hat man ja auch sonst seine kleinen Verhältnisse und Abenteuer. Da ist es stets gut, wenn die Dienerschaft mit gutem Gewissen beschwören kann, daß man zu Hause gewesen ist. Ich hoffe, daß Sie meinen Vorschlag annehmen!«
»Hm! Sie werden die Wechsel dann wirklich zerreißen?«
»Ja, auf Ehre!«
»Und mir nach der Verlobung die versprochene Summe ganz gewiß auszahlen?«
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.«
»Gut, so stimme ich bei, Baron. Hier meine Hand!«
»Und hier die meinige. Topp!«
Sie schlugen ein, und über das Haupt Königsau's war also abermals der Stab gebrochen.
»Da haben wir aber keine Zeit zu verlieren, Capitän!« meinte dann Reillac.
»Ja, wir müssen eilen. Ich mache einen Vorschlag.«
»Welchen?«
»Sie gehen nach Hause, um die Blendlaterne und die Pistolen zu holen – – –«
»Und Sie?«
»Ich gehe nach der Rue d'Ange, um an dem Schatten, den man an den Gardinen sieht, zu erkennen, ob er noch da ist.«
»Ah, richtig; das ist gut! Und wo treffen wir uns?«
»Unter dem Thore, gegenüber von Königsau.«
»Gut. Wie lange bringen Sie zu?«
»Fünf Minuten.«
»Und ich zehn. Klingeln Sie dem Kellner. Ich werde bezahlen.«
Der Capitän klingelte, und der Baron bezahlte; dann verließen sie das Local. Draußen trennten sie sich, indem der Capitän nach links und der Baron nach rechts gehen mußte.
Richemonte hatte gar nicht weit bis zur Rue d'Ange, was zu Deutsch »Engelsstraße« bezeichnet. Sie war finster und leer. Es war bereits spät, und so sah er nur noch einige Fenster erleuchtet. Auch die Wohnung seiner Mutter zeigte Licht. Es huschten weibliche Schatten hin und her, und nach einiger Zeit bemerkte er auch einen männlichen Schatten, welcher sich deutlich an der Gardine abzeichnete.
»Das ist er,« murmelte er. »Gut, daß er noch da ist. Dieses Mal soll er mir nicht entgehen!«
Er wendete sich um und begab sich nach dem Stelldichein.
Der Baron hatte auch keinen sehr weiten Weg zurückzulegen. Er erreichte seine Wohnung sehr bald, trat aber nicht ein, sondern begab sich in ein enges, finsteres Seitengäßchen. An dasselbe stieß die Mauer seines Gartens, in welcher es ein Pförtchen gab. Er öffnete dasselbe mit einem Schlüssel, welchen er bei sich führte, und trat in den Garten und von da in den Hof, welcher das Haus von dem Letzteren trennte.
Hier gab es eine Veranda, welche auf vier Säulen ruhte. Von einer dieser Säulen zur anderen waren Latten gezogen, an denen sich Schlingpflanzen emporrankten. Diese Latten waren wohl befestigt und vermochten ganz gut, einen nicht gar zu schweren Mann zu tragen.
Der Baron kletterte an ihnen empor. Als er sich oben auf der Veranda befand, stand er grad vor einem Fenster des ersten Stockwerkes. Es war von Innen verschlossen, und er klopfte leise an eine Scheibe. Nach kaum einer Minute öffnete es sich.
»Wer ist da?« fragte eine leise, männliche Stimme.
»Ich,« antwortete Reillac.
»Der gnädige Herr?«
»Ja. Bist Du denn heute blind, Pierre?«
»Verzeihung, Herr Baron! Es ist heut so finster, daß man nicht zu sehen vermag.«
»Tritt weg; ich komme hinein.«
»Soll ich Licht anbrennen?«
»Nein. Wir gehen nach der Bibliothek.«
Er stieg durch das Fenster in das Zimmer und begab sich von da aus mit dem Diener nach der Bibliothek, welche erleuchtet war und ganz dem Lesezimmer eines Mannes glich, welcher eine Bibliothek nur besitzt, um mit dem Goldschnitte der Bücher zu prunken.
Man sieht, daß der Baron gar nicht so unbemerkt in seine Wohnung kam, wie er dem Capitän glauben gemacht hatte. Der Kammerdiener war sein Vertrauter, auf den er glaubte, sich in allen Fällen getrost verlassen zu können.
Pierre trug graue Livrée, Sammetgamaschen und ein weißes Halstuch. Er war von ebenso hagerer, langer Gestalt wie sein Herr, und hatte ein Gesicht, in welchem sich alle Lüste und Listen sehr deutlich aussprachen. Dieser Mann war jedenfalls in allen gestatteten und verbotenen Genüssen geübt, und besaß in seinem spitzigen Fuchskopfe die nöthige Schlauheit, mit der gesellschaftlichen Ordnung ganz freundschaftlich zu verkommen, obgleich er der ärgste ihrer Feinde war.
»Der gnädige Herr kehren heut sehr früh nach Hause zurück,« meinte er.
»Ich gehe wieder.«
»Ah, der Herr Baron kommen nur, um einiges Geld zu holen?«
»Nein.«
»Ich dachte, der Capitän hätte nach vollbrachtem Tagewerke – – –«
»Sofort seinen Lohn verlangt?« lachte der Baron. »Nein, er hat seine Arbeit sehr schlecht gethan, so schlecht, daß sie ganz und gar mißlungen ist.«
»Esel!«
Es war eigenthümlich, welchen Ausdruck der Diener in dieses Wort zu bringen vermochte. Verachtung, Stolz, Selbstbewußtsein, demüthigendes Mitleid, Alles das lag darin. Es klang deutlich heraus, daß er es besser gethan hätte als der Capitän. Uebrigens verkehrte Pierre mit seinem Herrn zwar höflich und ergeben, aber doch in jener dienstfertig vertraulichen Weise, welche sich gewöhnlich bei älteren Dienern einwurzelt, welche sich in die Geheimnisse ihrer Herrschaft einzuschleichen gewußt haben.
»Ja, ein Esel ist er,« meinte der Baron.
»Ein Stich, ein einziger Stich! Wie leicht, gnädiger Herr!«
»Ja. Aber eine Entschuldigung giebt es doch.«
»Keine!«
»O doch. Der Deutsche hatte einen stählernen Harnisch angelegt.«
»Donnerwetter!«
»Ja. Der Dolch ging nicht hindurch.«
»So muß man schießen!«
»Allerdings. Wo sind meine Pistolen?«
»Dort im Secretair. Sie wollen doch nicht – –?«
»Freilich will ich!«
»Selbst – – –?«
»Ja,« nickte der Baron stolz.
»Kann denn der Capitän nicht allein – – –?«
»Nein. Er braucht Einen, der ihn anfeuert. Sind sie geladen?«
»Nein.«
»Lade eine, aber sorgfältig!«
»Aber, gnädiger Herr, die Gefahr – – –!«
»Pah, es ist keine Gefahr dabei. Es wird so arrangirt, daß wir sicher sind.«
»Gewiß?« fragte Pierre im Tone der Besorgniß.
»Ja, habe keine Angst um mich, Alter. Nöthigenfalls haben wir unser Alibi.«
»Sie sind ja den ganzen Abend zu Hause gewesen und von mir bedient worden. Aber der Capitän; wie steht es mit seinem Alibi?«
»Er war bei mir.«
»Schön!«
Mit diesen Worten öffnete Pierre den Secretair, nahm den Pistolenkasten hervor und begann, eine der Waffen zu laden.
»Hast Du das kleine Laternchen?« fragte sein Herr.
»Auch im Secretair.«
»Setze es in Stand.«
»Das ist gut, gnädiger Herr. Man weiß nicht – –«
Er schien sich darin zu gefallen, in nur halb ausgesprochenen Sätzen zu reden. Uebrigens war die Angelegenheit ja eine solche, über die man sich nicht gern vollständig ausspricht.
»Das Fenster lehnst Du dann nur an, schließest es aber nicht zu,« befahl Reillac.
»Ah, warum, gnädiger Herr?«
»Es ist möglich, daß der Capitän mitkommt. Er darf nicht wissen, daß ich Dich mit in das Vertrauen gezogen habe. Mache schnell. Ich habe nur sehr wenig Zeit!«
Die Pistole war geladen; jetzt wurde die Laterne hervorgenommen.
»Wenn es nur gut abläuft!« meinte der Diener dabei.
»Wie soll es anders ablaufen!«
»O, oft hat in solchen Sachen der Teufel sein Spiel!«
»Na, hier werden jedenfalls wir selbst die Teufel sein,« lachte der Baron.
»Und dennoch – –! Gnädiger Herr, ich liebe die Deutschen nicht; ich gönne diesem Königsau lieber zehn Kugeln anstatt einer; ich an Ihrer Stelle aber würde diese Angelegenheit denn doch auf eine andere Weise zu ordnen suchen.«
»Auf eine andere? Hm! Auf welche?« fragte der Baron neugierig.
Der Diener spitzte den Mund wie ein Faun, küßte sich die Fingerspitzen und antwortete:
»Auf eine sehr, sehr interessante Weise.«
»Ach, ich kenne Deine Pantomimen, weiß aber dennoch nicht, was Du meinst. Heraus damit!«
»Hm! Ich setze den Fall, Mademoiselle Margot besäß meine Liebe und versagte mir ihre Gegenliebe, so würde sie doch auf die leichteste Weise der Welt meine Frau.«
»Ach! Laß mich doch diese Weise kennen lernen!«
»Ich behaupte sogar, daß sie mich bitten würde, ihr Mann zu werden.«
»Pierre, Du bist nicht gescheidt!«
»Aber auch nicht dumm, wie ich zu meinem Ruhme selbst gestehen muß.«
»So sage, wie Du Sie zwingen willst!«
»Ich würde sie zu mir einladen.«
»Und sie kommt auch?«
»Sie kommt sogar in mein Schlafgemach, gnädiger Herr!«
Sein Gesicht nahm jetzt einen so lüsternen Ausdruck an, daß sein Herr lachen mußte.
»Du irrst, alter Schelm!« sagte er.
»Ich bin es vielmehr überzeugt.«
»So sprichst Du sehr im Delirium!«
»O, ich bin sehr bei Sinnen.«
»Da kennst Du diese Margot nicht!«
»Ich brauche sie nicht zu kennen. Es kommt ganz allein auf die Art und Weise an, in welcher sie meine Einladung erhält.«
Jetzt wurde der Baron doch aufmerksamer. Er merkte, daß der Kammerdiener irgend einen Plan hatte; darum fragte er:
»Wie würde Deine Art und Weise sein?«
»Hm!« brummte der Gefragte nachdenklich. »Je nach den Umständen. Hat Mademoiselle ihren Verlobten bereits einmal in seiner Wohnung besucht?«
»Ich glaube es nicht.«
»Erzählten mir der gnädige Herr nicht, daß Blücher den Freiersmann gemacht habe?«
»Ja.«
»So steht dieser Königsau bei dem Marschalle gut?«
»Höchst wahrscheinlich.«
»So, daß dieser ihn auch einmal einladen könnte, mit ihm zu speisen?«
»Gewiß, Blücher soll in dieser Beziehung ja ganz und gar wenig penibel sein.«
»Gut, gut, da hätten wir ja gleich einen Modus!«
»Erkläre Dich deutlicher!«
»Nun wohlan! Es kommt ein Ordonnanzofficier in einer Equipage zu Madame Richemonte, natürlich ein deutscher Ordonnanzofficier, gnädiger Herr.«
»Weiter, weiter!« sagte Reillac, ganz begierig, den Plan Pierres zu vernehmen.
»Dieser Officier bringt eine Empfehlung von dem Marschall: Mademoiselle Margot ist eingeladen, das Souper mit demselben einzunehmen. Ihr Bräutigam ist ebenso geladen, holt sie aber nicht selbst ab, weil er überrascht werden soll. Er weiß gar nicht, daß Mademoiselle erscheinen wird.«
»Schlaukopf, ich beginne zu ahnen!«
»Nicht wahr?«
»Aber ein Fehler, ein sehr großer Fehler!«
»Welcher, gnädiger Herr?«
»Die Mutter ist nicht mit geladen; das würde sehr auffallen.«
»Ah, sagten der gnädige Herr nicht, daß sie unwohl gewesen sei?«
»Allerdings.«
»Nun, da hat man ja gleich die gute Ausrede. Die Ordonnanz hat zu melden, daß der Marschall wegen ihres Unwohlseins lebhaft bedauere, die gnädige Frau nicht auch bei sich zu sehen. Das wird wohl genügen?«
»Jedenfalls.«
»Nun kenne ich da an der Seine in einem kleinen Gäßchen einen heruntergekommenen Apotheker, welcher davon lebt, daß er gewisse Sachen, welche der Privatmann sonst nicht erhält, an seine guten Freunde verkauft.«
»Bist Du einer dieser guten Freunde?«
»Ich schmeichle es mir,« antwortete Pierre lächelnd. »Er besitzt ein Parfüm, welches, einige Tropfen in ein Taschentuch geträufelt und einer Dame vor das Gesicht gehalten, macht, daß diese sofort die Besinnung verliert.«
»Schurke!« lachte der Baron. »Hast Du dieses Parfüm bereits selbst einmal erprobt?«
»Mit Ihrer gnädigen Erlaubniß, ja,« antwortete Pierre cynisch.
»An wem? An einer Dame?«
»Natürlich! An einem Herrn würde die Probe zu uninteressant sein.«
»Du bist und bleibst ein schlechter Kerl.«
»Danke, gnädiger Herr!« sagte Pierre mit einer sarkastischen Verbeugung.
»Fahre fort!«
»Also Mademoiselle sitzt mit der Ordonnanz im Wagen. Der Offizier träufelt zwei Tropfen des Parfüms auf sein Mouchoir und hält es ihr vor das Näschen.«
»Du bist bei Gott ein Bösewicht!« bemerkte der Baron.
»Sie schmeicheln zu sehr, gnädiger Herr.«
»Weiter. Verliert sie sofort die Besinnung?«
»Sofort,« antwortete der durchtriebene Diener.
»Auf wie lange?« forschte der Baron weiter.
»Auf eine halbe Stunde,« erklärte der Domestike.
»Es schadet ihr nichts?« frug der Baron lauernd.
»Im Gegentheil. Es stärkt sie außerordentlich. Sie erwacht wie nach einem langen, gesunden Schlafe und fühlt sich ganz frisch und wohl,« beruhigte der schurkische Kammerdiener seinen ihm würdigen Herrn.
»Und dann? Ah, wo erwacht sie? Bei Feldmarschall Blücher?«
»Damit würde Ihnen wohl nicht gedient sein!«
»Wo denn sonst?«
»Natürlich bei Ihnen.«
»Ah, Teufel!«
»In Ihrem Vorsaale, in Ihrem Empfangs- oder Arbeitszimmer; sie wird überhaupt da erwachen, wo Sie es für gut und bequem halten, gnädiger Herr.«
»Höre, Dein Plan hat Vieles für sich, aber er ist etwas zu phantastisch.«
»Wieso phantastisch?«
»Er ist nicht gut auszuführen.«
»Das finde ich nicht, gnädiger Herr.«
»Man muß sich der Ordonnanz und dem Kutscher geradezu auf Gnade oder Ungnade ergeben.«
»Das ist ganz und gar nicht nothwendig!«
»Woher die Ordonnanz nehmen?«
»O, ich kenne einen jungen Mann, welcher für zwei- bis dreihundert Franken recht gern für eine halbe Stunde die Uniform eines deutschen Officiers anlegen würde.«
»Hat er das nöthige Geschick?«
»O, sehr! Er ist Schauspieler.«
»Hm! Er müßte Deutsch verstehen und sprechen.«
»Das thut er vollständig.«
»Er müßte verschwiegen sein.«
»Das ist er im höchsten Grade.«
»Kannst Du garantiren?«
»Vollständig!«
»So mußt Du seiner sehr sicher sein, denn bei der geringsten Plauderei würdest Du Deine Stelle bei mir einbüßen. Verstehst Du wohl?«
»Ich verstehe, brauche aber keine Sorge zu haben. Der junge Mann ist – mein Sohn.«
Der Baron sah den Diener ganz erstaunt an.
»Dein Sohn?« sagte er. »Du warst ja nie verheirathet! Oder hast Du mich da getäuscht?«
Pierre zuckte die Achseln, ließ ein leises Hüsteln hören und antwortete:
»Ich belüge den gnädigen Herrn niemals. Ich bin unverheirathet, doch aber der Vater dieses jungen Mannes. Man hat so seine kleinen Fehler, gnädiger Herr!«
»Gut, gut! Weiß er denn, daß er Dein Sohn ist?«
»Freilich. Ich habe ihn ja auf meine Kosten erziehen lassen. Seine Mutter ist jetzt todt. Sie war eine Deutsche; darum versteht er ihre Sprache wie das Französische.«
Der Baron fühlte sich von diesem Plan so eingenommen, daß er gar nicht daran dachte, daß der Capitän bereits auf ihn wartete. Er schritt im Zimmer auf und ab und begann, zu überlegen, während der Diener ihn mit heimlichem Lächeln betrachtete.
»Hm, hm!« sagte er endlich. »So hast Du also dieses Mädchen unglücklich gemacht?«
»Unglücklich? O nein. Sie war ja eine Deutsche, und diese sind ja immer froh, wenn sie im Arme eines Franzosen liegen können.«
»Ist Dein Sohn in Paris?«
»Ja.«
»Er könnte also zu jeder Zeit zur Verfügung stehen?«
»Zu jeder Zeit. Er ist jetzt ohne Anstellung und privatisirt.«
»Gut. Aber der Kutscher! Wo nimmt man einen verschwiegenen Kutscher her?«
»Auch dafür ist gesorgt. Ich weiß einen, auf den Sie sich verlassen können.«
»Wo? Wer?«
»Hier, ich selbst.«
»Ah, alle Wetter, an Dich habe ich ja gar nicht gedacht! Du hast ganz und gar das Rechte; Du bist ein Schlaukopf mit erster Censur. Aber den Wagen? Ich darf doch meinen eigenen Wagen nicht nehmen; das könnte mich schließlich verrathen.«
»Ich kenne einen Verleiher von Equipagen, gnädiger Herr.«
»Ist er sicher?«
»Er braucht gar nicht sicher zu sein, denn er wird nicht erfahren, wozu ich den Wagen brauche.«
»So wird er ihn Dir nicht geben.«
»O, sehr gern. Wir sind sehr gute Bekannte. Er ist Stammgast der Weinstube, in welcher ich zuweilen verkehre, wenn der gnädige Herr mir Urlaub geben.«
»So! Hm! Ich werde mir Deinen Plan überlegen. Er bietet mir eine treffliche Chance, falls meine sonstigen Bemühungen vergeblich sein sollten. Die Bedenken, welche ich vorhin hatte, sind verschwunden, aber die größte Schwierigkeit kommt später.«
»Wieso?«
»Wie die Mademoiselle hereinbringen?«
»O, durch den Garten.«
»Man wird es bemerken.«
»Nein, denn die Diener werden Erlaubniß erhalten, auszugehen. Sie sind fort.«
»Richtig, das geht! Aber dann das Erwachen!«
»Wird ein sehr interessantes sein.«
»Im Gegentheile. Was wird sie sagen, was wird sie thun? Wird sie schreien?«
»Jedenfalls nicht, denn sie wird gebunden sein und einen Knebel haben.«
»Donnerwetter! Ich bin kein Bandit!«
»Aber ein vorsichtiger Mann, gnädiger Herr. Später kann man die Dame befreien, denn sie wird von selbst schweigen.«
»Aber wenn sie es nicht thut?«
»O, es liegt zu sehr in ihrem eigenen Interesse! Sie wird nach Hause zurückkehren, als ob sie bei dem Marschall soupirt habe. Ihr Geliebter wird erfahren, daß dies nicht wahr ist, sie kann ihm nicht sagen, wo und wie sie diese Stunden verbracht hat; sie werden sich entzweien, und der gnädige Herr hat dann freies Feld.«
»Pierre, Du bist wirklich ein Satan; aber Deine Gedanken sind gut und richtig. Ich werde mir diesen Plan wirklich überlegen. Jetzt aber – Donnerwetter, ich muß fort; der Capitän wartet auf mich!«
Er steckte die Pistole und die Laterne zu sich und schickte sich an, zu gehen.
»So wollen der gnädige Herr wirklich auf ihn schießen?« fragte Pierre.
»Ich nicht. Richemonte wird es thun.«
»Aber der Herr Baron werden zugegen sein?«
»Allerdings.«
»So bitte ich unterthänigst, sich nicht zu sehr zu exponiren. Die Sache hat Gefahr.«
»Weiß, weiß es, Pierre. Ich werde vorsichtig sein. Also schließe das Fenster von Innen nicht zu. Kommen wir zu Zweien, so läßt Du Dich nicht eher sehen, als bis ich Dich hole.«
Er kehrte in das Zimmer zurück und stieg zum Fenster hinaus und an der Veranda hinab. Er gelangte auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder auf die Straße und begab sich eiligst nach dem Stelldichein.
Dort war er von dem Capitän bereits seit langer Zeit ungeduldig erwartet worden.
»Mein Gott, wie lange bleiben Sie denn?« fragte Richemonte.
»Es ging nicht eher. Der Weg war mir durch ein Liebespaar verlegt,« antwortete Reillac.
»Der Teufel hole die Liebespaare! Ich warte bereits seit drei Viertelstunden!«
»Ist er bereits vorüber?«
»Nein, er muß aber jede Minute kommen. Haben Sie die Laterne? Es ist finster wie in einem Sacke.«
»Ich habe sie und werde sie gleich anstecken.«
»Und die Pistole?«
»Ja. Hier ist sie.«
»Geladen?«
»Beide Läufe.«
Der Capitän erhielt die Waffe und untersuchte sie mit den Fingern vorsichtig, ob er sich auf sie verlassen könne. Unterdessen trat der Baron in den tiefen Thorbogen zurück und brannte seine Laterne an. Dann steckte er sie, zugeklappt, in die Außentasche seines Rockes, bereit, sich ihrer augenblicklich zu bedienen.
»Jetzt nun hinüber auf die andere Seite,« sagte er, »dort wohnt er ja.«
»Halt!« sagte der Capitän. »Vorher müssen wir unsere Rückzugslinie besprechen.«
»Wozu?«
»Man kann nie wissen, was passirt. Im Falle eines Mißlingens haben Sie mir ja versprochen, mir behilflich zu sein, mein Alibi beizubringen.«
»Gut. Sie bleiben diese Nacht bei mir, Sie sind überhaupt während des ganzen Abends bei mir gewesen.«
»Wir werden uns also nach Ihrem Hause flüchten, falls uns hier etwas Unerwartetes begegnen sollte?«
»Ja, aber nicht nach der vorderen Thür. Kennen Sie das kleine Nebengäßchen?«
»Ja.«
»Mein Garten stößt daran. In der Mauer befindet sich ein kleines Pförtchen, sehr leicht zu treffen, da es das einzige im Gäßchen ist. Dort erwarten wir einander, wenn wir ja gezwungen sein sollten, uns zu trennen. Jetzt kommen Sie. Aber schießen Sie nur dann, wenn wir wirklich Königsau vor uns haben!«
Sie schritten leise über die Straße hinüber und warteten. Es verging einige Zeit, da hörten sie nahende Schritte. Sie drückten sich sehr tief an den Thürbogen, um nicht sofort gesehen zu werden. Der Capitän zog die Pistole hervor und der Baron fuhr mit der Hand nach der Laterne.
»Aufgepaßt!« flüsterte der Letztere. »Das wird er sein. Sobald er hier bei uns stehen bleibt, um dem Portier zu klingeln, leuchte ich ihm plötzlich in's Gesicht. Sie halten ihm den Lauf dicht an die Schläfe und drücken los. Er ist sofort todt.«
Die Schritte kamen immer näher. Da sagte der Capitän leise:
»Dieses Mal ist es nichts. Diese Schritte klingen nicht wie diejenigen eines Officiers. Aber seien wir trotzdem gefaßt. Geht er vorüber, so ist er es auf keinen Fall.«
Der Erwartete kam langsam herbei. Den beiden Lauernden klopfte vor Erregung das Herz, dieses Mal jedoch unnützer Weise. Der Mann ging vorüber.
Erst nach einer Pause meinte der Capitän:
»Ich hatte Recht, aber ich wollte, Königsau wäre es gewesen.«
»Warum?«
»So wäre jetzt die Geschichte vorüber.«
»Ah! haben Sie Angst?«
»Pah, Angst! Sie taxiren mich noch immer zu niedrig, wie ich höre. Aber warten wir!«
Und sie warteten. Es vergingen kaum zwei Minuten, so hörten sie abermals Schritte, welche sich auf ihrer Seite der Straße näherten. Richemonte lauschte und erklärte dann:
»Das ist ein Soldat, das ist ein Officier.«
»Wirklich?«
»Ich gehe jede Wette mit ein.«
»Gut, Sie sind in diesem Fache Kenner. Geht er vorüber, so ist es wohl ein Anderer, bleibt er stehen, so werde ich ihn anleuchten. Aber nur schießen, wenn er es ist.«
Die kräftigen, militärischen Schritte kamen näher. Jetzt war er noch zehn Schritte von ihnen entfernt, dann acht, sechs, vier – da blieb er stehen. Sie konnten wegen der Dunkelheit nicht sehen, was er that, aber es schien, als ob er emporblicke, um die Fensterfronte zu mustern. Der Capitän stieß den Baron an. Dieser zog die Laterne vor, richtete die vordere Seite genau auf die Gestalt und öffnete. Sofort wurde diese von einem hellen, blendenden Lichte überfluthet, während die beiden Anderen im tiefsten Dunkel standen.
»Donnerwetter!« rief der Mann und dann fügte er in gebrochenem Französisch, welches ganz schrecklich klang, hinzu: »Wer seid Ihr? Was macht Ihr hier?«
Die beiden Männer waren fürchterlich erschrocken, denn sie hatten – den Feldmarschall Blücher erkannt. Der Baron klappte schleunigst seine Laterne zu, um zu verhüten, daß ihr Licht auf ihn selbst falle. Dabei aber machte er mit der Hand eine unwillkürliche Drehung, und das Licht fiel auf einen kurzen Moment seitwärts, wo der Capitän stand. Dieser hatte die Pistole bereits zum Schusse erhoben gehabt, aber vor Schreck die Hand halb wieder sinken lassen. Der Lichtblitz fiel nicht auf ihn, aber doch auf die Hand, welche die Pistole hielt. Blücher war zu sehr Soldat, um nicht die Waffe sofort zu bemerken, aber er besaß auch Schlauheit genug, um einen Fehler zu vermeiden. Als die Beiden in Folge ihres Schreckens nicht antworteten, wiederholte er:
»Ich frage, wer Ihr seid, und was Ihr hier wollt.«
Da faßte sich der Capitän und antwortete:
»Wir sind erieurs de nuit – Nachtwächter.«
»Warum steht Ihr hier?«
»Wir warten hier auf unsere Ablösung.«
»So, so! Zeigt doch einmal Eure Gesichter! Nehmt die Laterne heraus!«
Das war ein schlimmer Befehl, aber der Baron wußte sich zu helfen. An der Laterne befand sich ein kleiner Schieber, um das Licht zu verlöschen. Ein leichter Fingerdruck genügte, um das Licht auszulöschen.
»Sogleich,« antwortete er.
Bei diesem Worte griff er in die Tasche, drückte an dem Schieber und zog die Laterne hervor.
»Ah!« meinte er in bedauerndem Tone. »Sie ist soeben ausgelöscht.«
»So mag es sein. Gute Nacht!«
Mit diesen Worten wandte Blücher sich um und schritt weiter.
»Donnerwetter, der Marschall!« sagte der Capitän. »Wer hätte das gedacht!«
»Und in Civil! Sie hatten dennoch Recht, daß es ein Officier sei.«
»Wissen Sie, Baron, daß wir einen großen Fehler begangen haben?«
»Welchen?«
»Ich sollte ihn niederschießen.«
»Himmel! Warum?«
»So wäre Frankreich gerächt gewesen.«
»Allerdings, und ich auch, denn er hat den Freiersmann gemacht.«
»Ich war bei Gott ein Thor!«
»Nein, es ist so besser. Hätten wir jetzt geschossen, so wäre uns Königsau entgangen, und daß wir ihn treffen, ist jetzt die Hauptsache.«
Die Beiden fühlten es vielleicht, aber sie gaben sich keine Rechenschaft darüber, daß es der Eindruck der gewaltigen Persönlichkeit des Marschalles und seines Rufes gewesen war, der sie erschreckt und verwirrt hatte. Dieser Eindruck ist sehr wohl im Stande, eine bewaffnet erhobene Hand wieder sinken zu lassen.
»Ob er glaubt, daß wir Nachtwächter sind?« fragte Richemonte.
»Es klang nicht so.«
»Ja, er wollte uns sehen. Wie gut, daß Sie den Gedanken hatten, die Laterne zu verlöschen. Er hätte uns sofort erkannt.«
»Ganz gewiß. Es scheint mir nun nicht mehr ganz geheuer zu sein. Ich möchte wissen, ob er in seine Wohnung tritt oder nicht.«
»Warum?«
»Tritt er ein, so ist Alles gut. Geht er weiter, so ist sehr zu befürchten, daß er errathen hat, auf wen wir warten.«
»Horchen wir also!«
Sie lauschten, aber es ließen sich keine Schritte mehr hören.
»Er scheint doch hineingegangen zu sein,« meinte der Capitän. »Man hört nichts.«
»Hm, ungewiß! Wir haben gesprochen, anstatt aufzupassen. Aber wir müssen Gewißheit haben, denn das ist das Nothwendigste jetzt.«
»Wie diese aber bekommen?«
»Sehr leicht. Er hat doch zwei Ehrenposten vor der Thür. Ich gehe hin und frage.«
»Gut. Aber wenn inzwischen Königsau kommt?«
»So geben Sie ihm die Kugel oder alle beide. Ich gehe.«
Er ging langsam im gemüthlichen Schritte eines aus dem Wirthshause Heimkehrenden nach, links hinauf, wo das Palais stand, welches Blücher bewohnte. Die beiden Posten standen zu Seiten des Portales.
»Guten Abend,« grüßte er.
Einer der Beiden radebrechte ein wenig Französisch und erwiderte den Gruß.
»War der Mann, welcher jetzt kam, der Feldmarschall Blücher selbst?«
»Ja,« antwortete der Posten auf diese Frage.
»Ist er weiter fortgegangen?«
»Nein.«
»Also eingetreten?«
»Ja.«
»Ich danke!«
Der Baron wandte sich befriedigt um und kehrte zu seinem Gefährten zurück, dem er die erhaltene Auskunft mittheilte. Er bückte sich dann nieder und zündete seine Laterne von Neuem an, um bereit zu sein, wenn ihr Opfer erscheine.
Sie hielten sich wieder für sicher und doch täuschten sie sich. Blücher war seiner persönlichen Schlauheit wegen bekannt. Er hatte Verdacht gefaßt, sich aber wohl gehütet, ihn merken zu lassen. Als er von ihnen fortging, murmelte er:
»Nachtwächter wollen sie sein? Wart, ich werde sie benachtwächtern! Der Eine hat die Laterne und der Andere die Pistole? Verdammte Bande ist es, die hier irgend Einen auflauert. Und wer ist dieser Eine? Tausend Teufel, doch nicht etwa der Königsau? Ich habe ihn gewarnt. Man will ihm zu Leibe! Sollte er noch bei seinem Mädel sein? Das ist möglich, obgleich es sehr spät ist, denn ein Verliebter horcht auf keinen schwarzwälder Perpendikel. Ich muß sogleich hinschicken, aber wen? Wer weiß das Haus, und wer findet es? Niemand. Ich muß selber hin!«
Er wendete sich sofort um, blieb aber unter dem Eindrucke eines neuen Gedankens stehen. Er schlug sich mit der Hand an den Kopf und brummte:
»Was? Feldmarschall willst Du sein? Ein Dummhut biste! Wenn Du an den zwei Kerls vorübersausest, so merken sie den ganzen Kram! Ja, ich muß einen Umweg machen. Aber, zum Teufel, ja, wenn nun die Kerls bereits Unrath gewittert hätten, he? Vielleicht haben sie gemerkt, daß ich ihnen nicht traute; denn ich wollte, daß sie sich anleuchten sollten. Der Halunke hat die Laterne jedenfalls mit Fleiß ausgelöscht. Hm! Wenn sie denken, daß ich Verdacht geschöpft habe, so werden sie jedenfalls zum Posten gehen und sich erkundigen, ob ich mich in's Nest gelegt habe oder nicht. Höre, Blücher, Du bist doch nicht so dumm, als ich soeben dachte! Du hättest Polizist oder Amtscopist werden können! Aber wartet, Ihr Kerls, Ihr sollt mich nicht beluxen! Euch mache ich ein X für ein U, daß Ihr alle Beide blau und roth anlaufen sollt, wie die Altenweibernasen um Weihnachten herum!«
Er ging rasch auf sein Palais zu. Die Posten hörten ihn kommen. Als er that, als ob er eintreten wolle, rief der Eine:
»Halt! Werda?«
»Junge sei nicht voreilig!« meinte Blücher gutmüthig. »Ich bins!«
»Wer denn?«
»Nu, ich!«
»Das ist kein Name. Hier darf ohne Erlaubniß Niemand passiren.«
»Hm, ihr bewacht mich wirklich gar nicht übel! Hört, kennt ihr denn den alten Blücher nicht, he?«
»Wir kennen ihn.«
»Na, da guckt mir doch einmal unter die Haube!«
»Es ist zu dunkel hier draußen. Treten Sie unter die Einfahrt, wo die Lampe brennt; da werde ich Sie ansehen.«
»Schön, mein Junge. Du packst die Sache gar nicht schlecht beim Kragen an!«
Er that die paar Schritte bis hinter das Portal, wo eine Lampe eine spärliche Helle verbreitete, man aber doch ein Gesicht deutlich erkennen konnte.
»Na, da komme her, Du ungläubiger Thomas Zebedäus und setze die Brille auf,« meinte Blücher. »Viel Gescheidtes wirste aber wohl nicht sehen!«
Der Posten betrachtete den Marschall; er erkannte ihn, erschrak aber nicht im Geringsten. Er kannte die Eigenthümlichkeiten des Alten und wußte, daß er ganz sicher bestraft worden wäre, wenn er ihm erlaubt hätte, zu passiren.
»Na, kennste mich jetzt?« fragte Blücher.
»Zu Befehl, Excellenz,« antwortete der Mann präsentirend.
»Höre, thue die Flinte weg, sie könnte losgehen! Wie meinste denn? darf ich eintreten, oder muß ich draußen herbergen?«
»Excellenz können passiren.«
»Gut, mein Junge! Jetzt haste Deinen Willen gehabt, und nun werde ich Dir zeigen, daß ich auch den meinigen haben will. Ich werde den Kopf aufsetzen und nun gerade erst recht draußen bleiben. Aber merkt Euch Eins, Ihr Kerls: Es wird jetzt vielleicht Jemand kommen, der nachfragt, ob ich hier eingetreten oder ob ich weiter fortgeschlumpert bin. Dem macht Ihr weiß, daß ich zu Bette bin. Verstanden?«
»Zu Befehl, Excellenz!«
»Schön! Na, haltet die Augen auf, daß sie mich nicht mausen! Und weil Ihr so auf dem Damme seid, da sollt Ihr Euch eine Freude machen. Hier, da habt Ihr jeder ein Achtgroschenstück!«
Er griff in die Tasche und hielt ihnen das Geld hin.
»Excellenz verzeihen!« meinte der Eine in Beider Namen. »Auf Posten darf man keine Geschenke annehmen. Eigentlich müßte ich Sie melden!«
Da klopfte ihm der Alte auf die Achsel und sagte:
»Du bist ein Luderkerl! Ich glaube, Dir maust Keiner das Pferd unter den Beinen heraus. Kommt morgen früh um Neune zu mir, da sollt Ihr anstatt der Achtgroschenstücker jeder einen Speziesthaler erhalten und eine Pfeife Tabak dazu. Aber melden müßt Ihr mich, daß ich Euch habe verführen wollen. Verstanden?«
»Zu Befehl, Excellenz!«
»Gut, also melden! Das bitte ich mir aus, sonst soll Euch der Teufel Purzelbäume schlagen, Ihr Himmelsakramenter!«
Er ging fort. Er merkte, daß er sich bei den beiden Soldaten doch etwas zu lange aufgehalten hatte; darum nahm er jetzt einen sehr eiligen Schritt an. Kurz nach seinem Fortgange kam auch wirklich Baron Reillac, um sich nach ihm zu erkundigen, und erhielt die von dem Marschalle anbefohlene Antwort.
Blücher gelangte auf seinem Umwege nach der Rue d'Ange und sah, daß in der Wohnung der Frau Richemonte noch Licht sei. Er klingelte dem Portier. Dieser dachte, ein Bewohner des Hauses kehre heim, und kam nicht heraus, sondern zog nur an der Leine, so daß die Thüre aufging. Blücher wollte keine Zeit verlieren, mit ihm zu reden, sondern stieg schnell die ihm bereits bekannte Treppe hinauf und klingelte am Vorsaale.
Drin ertönten zögernde Schritte; die Thür wurde geöffnet, und Margots Köpfchen erschien.
»Wer ist da?« fragte sie in den dunklen Vorplatz hinaus.
»Ich, mein liebes Fräulein!«
Beim Klange dieser Stimme wäre ihr vor Ueberraschung fast das Licht aus der Hand gefallen. Sie war bereits in das Negligé gekleidet, machte aber doch die Thür weit auf und sagte:
»Excellenz, Sie hier! So spät!«
»Ja. Verzeihen Sie! Ist der junge, der Königsau, noch da?«
»Nein, Excellenz. Wollen Sie doch eintreten!«
»Gott bewahre! Wenn er fort ist, da habe ich Eile. Wann ging er?«
»Vor kaum zwei Minuten.«
»Donnerwetter! Jetzt kriegt ihn diese Bande! Gute Nacht!«
Er stürmte, ohne auf die ängstliche Frage des Mädchens zu antworten, die Treppe hinab und unten zur vom Portier rasch wieder geöffneten Thür hinaus. Draußen aber blieb er stehen.
»Heiliges Pech!« sagte er. »Wohin nun? Ist er rechts oder links gegangen? Ach, von links her kam ich; ich hätte ihn treffen müssen; er ist also nach rechts.«
Er eilte fort im Trabe, er der Marschall, eines einfachen Lieutenants wegen. Er legte die Engelsstraße zurück und bog nun in diejenige ein, die er bewohnte. Es war eine weite Strecke bis da hinauf, aber er rannte weiter. Der Athem wollte ihm versagen. Da kam ihm der beste Gedanke, den er haben konnte: Er blieb stehen und horchte. Ja, da oben erschallte der laute, abgemessene, tactvolle Schritt eines Mannes, der jedenfalls Militär war. Aber der Gehende konnte, dem Klange seiner Schritte nach, gar nicht mehr weit von der gefährlichen Stelle sein. Darum legte Blücher die Hände um den Mund und rief so laut, wie er konnte:
»Königsau! Halt! Zurück! Sie wollen Dich abmurksen!«
In demselben Augenblicke aber sah er auch da vorn einen raschen Laternenblitz über die Straße leuchten, und dann fielen schnell hinter einander zwei Schüsse.
»Herrgott, er ist zum Teufel!«
So rief der Alte und setzte sich von Neuem in Bewegung. In Zeit von einer Minute war er an dem Thore, an welchem die beiden angeblichen Nachtwächter gestanden hatten. Er sah nichts. Er strich mit dem Beine über den Boden und stieß auf zwei Gegenstände. Er bückte sich nieder und hob sie auf. Es war die Laterne und die abgeschossene Pistole.
»Ein verdammter Kerl!« rief er freudig. »Er ist also noch nicht zum Teufel!«
Jetzt holte er erst einige Male tief Athem. Und da kamen auch bereits mehrere Soldaten mit Laternen herbei. Sie gehörten zu dem Wachtkommando, welches im Palais des Marschalls lag. Man hatte dort die Schüsse gehört und wollte nun sehen, was das zu bedeuten hätte.
»Hierher, Jungens!« rief er. »Hier ist's gewesen!«
Der Vorderste, ein Korporal, leuchtete ihn an.
»Kreuzbataillon, Excellenz, hat man etwa gar auf Sie geschossen?« fragte er, den Marschall erkennend.
»Nein, mein Junge, auf mich und Dich nicht, aber auf einen Anderen. Sucht einmal hier umher, ob da vielleicht ein kaputgemachter Husarenlieutenant liegt!«
»Ein Husarenlieutenant?«
»Ja, geehrtester Herr Korporal! Aber zu fragen hast Du hier nichts, sondern zu suchen, sonst will ich Dir Augen und Beine machen, Du neugieriger Kater Du.«
Es wurde gesucht, aber nichts und Niemand gefunden. Nicht einmal ein Tropfen Blutes wurde bemerkt, welcher hätte auf eine Verwundung schließen lassen.
»Das ist gut; das freuet mich!« meinte Blücher. »Korporal, komm her, halte einmal Deinen Kometen in die Höhe!«
Der Gerufene gehorchte, indem er ihm die Laterne vorhielt. Blücher ließ das Licht derselben auf die beiden gefundenen Gegenstände fallen.
»Was ist das für ein Ding, Korporal?« fragte er.
»Eine Laterne,« antwortete der Gefragte pflichtschuldigst.
»Gut, mein Junge! Und das hier?«
»Eine Pistole.«
»Sehr schön, mein Junge. Du entwickelst da ganz bedeutende Kenntnisse in der Physik und in der Waffenkunde. Wenn ich mal abdanke, so melde Dich zum Feldmarschall. Jetzt aber lege Dich mit dem Ohre wieder auf Deine Pritsche, denn hier sind wir überflüssig geworden.«
Die Leute gehorchten. Blücher wunderte sich nicht darüber, daß die Schüsse nicht mehr Aufsehen erregt hatten. Es blieb ganz ruhig auf der Straße. Man war damals nächtliche Excesse gewohnt geworden.
Er trat zu den beiden Posten, die seit vorhin noch nicht abgelöst worden waren.
»Kennt Ihr mich noch?« fragte er.
»Zu Befehl, Excellenz,« lautete die Antwort.
»Na, ist Einer gekommen?«
»Zu Befehl!«
»Und hat gefragt, ob ich zu Bette bin?«
»Zu Befehl!«
»Ihr habt ihn doch anlaufen lassen?«
»Zu Befehl!«
»Schön! Aber wie war das mit den beiden Schüssen? Wo fielen sie?«
»Ein Stück die Straße hinunter.«
»Also dort. Habt Ihr nicht bemerkt, wer geschossen hat?«
»Nein. Aber bald nach dem letzten Schusse rannten zwei Männer hier vorüber.«
»Ihr habt sie nicht aufgefangen? Ihr Halunken.«
»Nein. Wir dürfen unseren Posten nicht verlassen, Excellenz.«
»Gut! Ihr seid brave Kerls. Ich will nicht raisonniren, sonst müßt Ihr mich morgen zweimal melden. Also zwei Menschen waren es, welche vorüber rannten?«
»Ja, und ein Dritter kam hinter ihnen her.«
»Ah, der hat sie gejagt?«
»Es schien so, als ob er sie verfolgte. Und dort am zweiten Thore, da – da – –«
»Da – da – – was, da?«
»Da blieb er stehen.«
»Der dumme Kerl! Was hat er da zu stehen gehabt?«
»Er – er zog – – er zog seine Stiefeln aus.«
»Seine Stiefeln? Heiliges Wetter! Zieht der Schlingel seine Stiefeln aus, anstatt den Bengels nachzurennen. Dem gehören recht tüchtige Hiebe hinten drauf.«
»Er rannte ihnen dann wieder nach.«
»Wird ihm auch viel helfen. Mit den Stiefeln in der Hand! So ein Unsinn!«
»Entschuldigung, Excellenz! Er ließ die Stiefel stehen.«
»Stehen? Das ist ja noch schlimmer! Wenn sie sie ihm nun wegmausen!«
»Er rief uns zu, Achtung auf sie zu geben.«
»Was? Achtung auf seine Stiefeln? Ist der Kerl übergeschnappt? Ihr sollt wohl gar noch vor seinen alten Latschen das Gewehr präsentiren! Nein, so etwas! Die Ehrenposten des Feldmarschalls von Blücher sollen auf die Kothstampfer des ersten besten Kerls hier Achtung geben! Wenn ich wüßte, wer der Flegel ist, so ließ ich ihn citiren und hieb ihm seine Schaftsandalen mit sammt den Struppen höchst eigenhändig um die Nase herum! Der sollte vor Angst Syrup und Buttermilch niesen!«
»Excellenz, er hat uns seinen Namen genannt.«
»Auch noch? Welche maliziöse Frechheit. Wie hieß denn dieser Urian?«
»Lieutenant von Königsau.«
»Lieu – te – nant – von Kö – – nigs – – – au? Sapperlot, Der war es, Der? Ich alter Esel! Das konnte ich mir denken! Na, je höher man im Range steigt, desto alberner wird man im Kopfe! Und mit dem Feldmarschall geht der Kopf dann ganz in's Seebad. Jungens, daß Ihr mir nicht etwa einmal Marschall's werdet, sonst könntet Ihr mich dauern! Sagte er diesen Namen wirklich?«
»Zu Befehl!«
»Und dann rannte er ihnen nach?«
»Ja.«
»Ein pfiffiger Filou. Sie hören seine Schritte nicht mehr, weil er in Strümpfen läuft, und denken also, sie haben Niemand hinter sich. Auf diese Weise wird er sie fangen. Hat er Euch nicht gesagt, ob sie ihn todtgeschossen haben?«
»Nein.«
»Nun, da lebt er jedenfalls noch. Aber seine Stiefel müssen wir in Sicherheit bringen. Gehe mal hin, mein Junge, und hole sie!«
»Verzeihung, Excellenz, das kann ich nicht!«
»Nicht? Warum nicht, he?«
»Ich darf meinen Posten nicht verlassen.«
»Alle Teufel, das ist wieder wahr! Na, da mag der Andere gehen!«
»Auch der darf nicht.«
»Liebe Kinder, Euch soll der Teufel holen! Na, da es nicht anders geht, so will ich es einmal machen wie der alte Fritze, und Schildwacht stehen. Gieb mir Dein Gewehr, mein Sohn. Ich will Deine Stelle vertreten, während Du hingehst und mir die Stibbels herbringst.«
»Excellenz, das geht auch nicht.«
»Donnerwetter! Auch nicht? Warum denn nicht, Du Canaille?«
»Excellenz sind in Civil und nicht in Uniform.«
»Hol's der Kukkuk, das ist wahr. Höre, mein Sohn, Du bist kein übler Kerl; Du kennst das Reglement besser als ich. Das ist aber auch gar kein Wunder, denn es sind nun über fünfzig Jahre her, daß ich's gelernt habe. Wie ist denn Dein Name?«
»August Liebmann.«
»Gut, mein lieber August. Komm nach zweiundfünfzig Jahren, gerade am heutigen Datum, zu mir, und sage mir das Reglement her. Wenn Du es noch auswendig kannst, so nenne ich Dich Herr Liebmann anstatt August. Darauf kannst Du Dir dann noch mehr einbilden als ich auf die Stiefeln, die ich mir nun selber holen muß. Wo stehen sie?«
»Dort am zweiten Thore.«
»Schön. Ihr könnt nachher die Eurigen auch hinsetzen. Ich bin einmal im Gange, da kann ich sie Euch auch holen. Laßt mich nur gefälligst wecken, wenn Ihr sie braucht!«
Er ging wirklich hin, nahm die Stiefeln auf, steckte unter jeden Arm einen und sagte, nachdem er zurückgekehrt war:
»Der Lieutenant von Königsau wird jedenfalls wiederkommen und nach seinen Sauerkrautröhren fragen. Sagt ihm, daß sie bei mir sind. Er soll sofort kommen und sich melden, auch wenn ich schlafe; aber in den Strümpfen. Er darf bei Leibe nicht erst nach Hause gehen. Habt Ihr's verstanden?«
»Zu Befehl!«
»Und solltet Ihr abgelöst werden, ehe er kommt, so übergebt Ihr diesen Befehl Euern Nachmännern, die ihn auszurichten haben.«
»Zu Befehl, Excellenz!«
»Gute Nacht, lieber August!«
»Gute Nacht, Excellenz!« –
Als Blücher vorhin zu so später Nachtstunde zu Margot gekommen war, hatte diese sich höchlichst verwundert über diesen Besuch. Als sie aber seine Worte hörte, war eine fürchterliche Angst über sie gekommen, deren sie nicht Herr werden konnte.
»Donnerwetter! Jetzt kriegt ihn diese Bande! Gute Nacht!« hatte er gesagt; dann war er gegangen. Gegangen? Nein, er war förmlich die Treppe hinabgesprungen, als ob es sich um eine große Gefahr handle.
Wen betraf diese Gefahr? Jedenfalls den, den er hier gesucht hatte, also Königsau. Und worin bestand diese Gefahr? Wer war die »Bande«, von welcher der Marschall gesprochen hatte? Bereits einmal hatte der Geliebte heute in Lebensgefahr gestanden; jetzt vielleicht wieder!
Sollte sie die Mutter und das Dienstmädchen wecken, welche Beide bereits schliefen? Nein; diese konnten auch nicht helfen. Sie hätten nur die Angst mit gehabt.
So ging Margot im Zimmer auf und ab. Es wurde ihr zu eng, zu heiß. Sie konnte es nicht länger aushalten. Sie mußte hinaus in die freie Luft. Sie wollte nach der Wohnung des Geliebten gehen, um nachzusehen, ob sein Fenster erleuchtet sei. Sie war zwar noch nicht dort gewesen, aber er hatte sie ihr so deutlich beschrieben, daß sie gar nicht irren konnte.
Sie setzte also das Capouchon auf, schlang sich ein Tuch um die Schulter, nachdem sie schnell ein Oberkleid übergeworfen hatte, und ging.
Der Portier wunderte sich nicht wenig, als er bemerkte, wer es war, dem er abermals zu öffnen hatte.
»Um Gotteswillen, Mademoiselle, was ist passirt, daß Sie wieder gehen?« fragte er.
»Nichts. Oeffnen Sie nur schnell.«
Er sah beim Scheine seiner Lampe ihre Blässe und fragte weiter:
»Wer war der Herr, der vorhin bei Ihnen klingelte und dann so stürmisch das Haus verließ? Ich konnte ihm gar nicht schnell genug öffnen.«
»Es war der Feldmarschall Blücher.«
»Mein Gott, da muß es sich um höchst wichtige Dinge handeln. Gehen Sie!«
Er ließ sie hinaus.
Sie wußte, daß der Geliebte die Richtung nach rechts eingeschlagen habe, und folgte derselben. Sie hatte kaum einige Schritte gethan, so war es ihr, als ob sie in weiter Ferne zwei Schüsse schnell hintereinander fallen höre. Wem galten dieselben? Hingen sie im Zusammenhange mit der Gefahr, welche Blücher angedeutet hatte? Sie ertönten aus der Gegend, in welcher Königsau wohnte.
Es erfaßte sie eine unendliche Angst. Sie ging eiligen Schrittes die Straße hinab und bog dann links um die Ecke. Dann ging es weiter. Sie sah in der Ferne Laternen, weit, weit unten. Sie eilte weiter, immer weiter. Die Laternen verschwanden wieder und nachher kam sie an das Haus, welches nach der erhaltenen Beschreibung von Königsau mit bewohnt wurde. Sie sah an keinem einzigen Fenster Licht. Wäre der Geliebte nach Hause gekommen, so hätte er sich sicher wenigstens eine Kerze angebrannt. Ihre Angst wuchs.
Da vernahm sie weiter unten Stimmen; sie ging darauf zu. Vielleicht konnte sie hier Etwas hören. Sie kam näher und näher. Da hörte sie die lauten Worte:
»Gute Nacht, lieber August!«
Sie erkannte sofort die Stimme, welche diese Worte gesprochen hatte. Es war diejenige des Feldmarschalls, und wenn sie ja geglaubt hätte, sich zu irren, so erhielt sie den Beweis, daß sie recht gehört hatte, durch die darauf folgende Antwort:
»Gute Nacht, Excellenz!«
Sie eilte auf die Stelle zu und kam an dem Thore an. Sie sah die beiden Posten.
»War der Feldmarschall hier?« fragte sie.
»Ja,« wurde ihr geantwortet.
»So muß ich zu ihm!«
Sie wollte in das Thor treten; da aber hielt ihr der eine Posten das Gewehr quer vor und sagte:
»Hier darf Niemand passiren!«
»Aber ich muß zu ihm!«
»Kommen Sie am Tage wieder.«
Blücher hatte bereits den Anfang der Treppe erreicht, als er draußen noch lautes Reden hörte. Er blieb stehen und horchte. Er hörte eine Frauenstimme und dann die Antwort des Postens, daß sie morgen wiederkommen solle. Da fragte er, laut rufend:
»Wer ist denn noch draußen?«
»Ein Frauenzimmer, Excellenz!« antwortete der Posten zurück.
Er mochte ein biederer Märker oder Pommer sein, bei dem Alles gleich war, ob Dame oder Frau, Mädchen oder Fräulein.
»Ein Frauenzimmer?« antwortete Blücher. »Weiter nichts? Es soll sich zum Teufel scheeren. Nachts drei Uhr gebe ich keiner alten Schachtel Audienz!«
»Sie ist jung, Excellenz,« wagte der Mann zu bemerken, aber immer in einem schreienden Tone, um von dem Marschall gehört zu werden.
»Jung?« brüllte dieser zurück. »Laß Dich nicht bemeiern, Junge. Sie lügen sich alle um elf Jahre jünger; jage sie fort!«
»Sie sagt, daß Sie mit Excellenz bekannt sei!«
»Das ist nicht wahr!«
»Excellenz sind erst vorhin bei ihr gewesen.«
»Das ist eine Lüge! Ich besuche kein Frauenzimmer. Gieb ihr eins auf den Schnabel!«
»Sie meint, ich solle nur den Namen Richemonte sagen,« rief der Posten.
»Richemonte? Heiliges Elend! Kerl, bist Du verrückt, mein Sohn!«
Bei diesen Worten kehrte er sich um und eilte zurück. Als er an den Eingang gelangte, hatte er noch die beiden Stiefeln unter den Armen. Er sah Margot stehen und erkannte sie sofort. Da trat er zum Posten und sagte:
»Mensch, Esel, August! Du bist das größte Kameel, was in der Wüste Sahara Datteln und Radieschen frißt! Siehe einmal hierher! Ist das ein Frauenzimmer, he, ein Frauenzimmer?«
Der Mann sah den Marschall ganz verblüfft an und antwortete:
»Zu Befehl, Excellenz!«
»Ein Frauenzimmer? Wirklich?«
»Zu Befehl!«
»Halte das Maul mit Deinem Befehl! Wer hat Dir den Befehl gegeben, diese Mademoiselle für ein Frauenzimmer auszugeben, Du Waschbär von einem August?«
»Verzeihung, Excellenz, es ist doch keine Mannsperson!«
Dieser Gegenbeweis schmetterte für den ersten Augenblick den Marschall förmlich zurück. Es wurde ihm ganz fremd im Kopf, und er sagte:
»Hm, das ist nicht übel gesagt! Eine Dame ist eigentlich auch ein Frauenzimmer; aber siehst Du, mein Sohn, in Paris giebt es blos Madame und Mademoisellen. Hättest Du mir gesagt, daß eine Mademoiselle da sei, so hätte ich Dir nicht befohlen, sie zum Teufel zu jagen. Eigentlich sollte ich Dir Deines Unsinns wegen diese Stiefeln gelinde um den Kopf herumschlagen, aber weil Du in Deiner Unschuld nicht weißt, was eine Mademoiselle ist, und es ihr gleich angesehen hast, daß sie keine Mannsperson ist, so will ich Gnade für Recht ergehen lassen und Dich mit einem einfachen Verweise abrüffeln. Nimm Dir das zu Gemüthe, aber stirb mir ja nicht daran; denn es wäre jammerschade um so einen August!«
Jetzt war er mit dem Posten fertig, und nun wendete er sich direkt an Margot. Diese trat näher und bat:
»Verzeihung, Ew. Excellenz! Die Angst ließ mich nicht zu Hause bleiben; dann hörte ich gar noch Schüsse fallen –!«
»Nicht ich habe Ihnen zu verzeihen, sondern Sie mir, Mademoiselle,« antwortete er. »Ich störte Sie zu so später Stunde und ging fort, ohne Ihnen Auskunft zu ertheilen. Das war höchst unhöflich von mir. Bitte, kommen Sie mit mir.«
Er schritt ihr voran, und sie folgte. Er führte sie die Treppe empor in ein hell erleuchtetes Zimmer. Dieses war jedenfalls ein Damenboudoir gewesen. Die Rococomeubles waren aus Rosenholz, mit Sandel ausgelegt, die Polster und Kissen alle von feinster Seide. Köstliche Uhren und Vasen, herrliche Leuchter und Nippes waren zu sehen, aber neben der Stutzuhr im Werthe von wenigstens fünftausend Franken lag der Stiefelknecht; an einer kararischen Venus hing ein alter Tabaksbeutel von Schweinsblase, und auf der Bettdecke von echt persischer Seide paradirten ein Paar dreckige Kanonenstiefeln. Eine köstliche Chatouille war mit zerbrochenen Pfeifenköpfen angefüllt, und überall, sogar auf dem Fußboden, lagen Landkarten, Risse, Berichte und Briefcouverts zerstreut umher.
»So, Mademoiselle, das ist meine Studirbude,« sagte er. »Nehmen Sie Platz! Setzen Sie sich, wohin Sie wollen, nur nicht auf mich selbst, und sagen Sie mir getrost, was Sie auf dem Herzen haben.«
Er stand vor ihr, noch immer die Stiefel unter den Armen. Sie war gewiß sehr in Angst und Betrübniß, aber sie hätte doch fast lächeln müssen bei dem Anblick des alten Haudegens, der jetzt beinahe wie ein ehrsamer Flickschuster vor ihr stand.
»Der Besuch Euer Excellenz hat mich in die fürchterlichste Unruhe versetzt,« sagte sie. »Galt derselbe meinem Bräutigam?«
»Ja. Zu Ihnen hätte ich sonst doch um diese Zeit nicht kommen dürfen.«
»O, sagen Sie, befindet sich Hugo in Gefahr?«
»Hugo? Hm! Wer ist das?«
»Herr von Königsau nennt sich Hugo.«
»Ah so! Siehste, Alter, also ein Hugo biste? So, so! Nun, allerdings befand sich dieser Hugo in Gefahr, Mademoiselle.«
»Mein Gott! War sie groß?«
»Hm! Man wollte ihn ein Wenig erschießen.«
»Ist's möglich, Excellenz!« rief sie erschrocken.
»Ja. Sie haben ihn an seiner Thür aufgelauert. Es waren zwei Kerls.«
»Was haben sie ihm gethan, Excellenz? O bitte, bitte, sagen Sie es schnell!«
Sie war fürchterlich blaß geworden. Sie dauerte ihm; er wollte sie mit einem Male beruhigen, und dies glaubte er am Sichersten zu erreichen dadurch, daß er den einen Stiefel unter dem rechten Arme hervorzog und sie fragte:
»Kennen Sie diesen Stibbel, Mademoiselle?«
»Nein,« antwortete sie erstaunt.
»Nun, so kennen Sie vielleicht diesen anderen?«
Er zog jetzt den unter dem linken Arme hervor und hielt ihn ihr entgegen.
»Auch nicht, Excellenz.«
»Nun, das wundert mich. Aber dennoch gereichen diese Stibbeln Ihnen sehr zum Troste.«
»Diese Stiefeln? Mir? Verzeihen Excellenz, daß ich Sie nicht verstehe!«
»Diese Stibbeln sprechen eine Sprache, welche Sie eigentlich verstehen sollten. Wir haben sie, diese Stibbeln nämlich, und das ist die Hauptsache. Er wird dann schon ganz von selber kommen, und zwar in Strümpfen.«
Margot war ganz verlegen geworden. Der Marschall sprach ihr in Räthseln.
»Er? Bitte, mir zu sagen, wer?«
»Nun, der Hugo.«
»Hugo? Ah, diese Stiefel gehören ihm?«
»Ja.«
»Ah!« Sie erröthete sehr und fuhr dann fort: »Aber wie kommt er dazu – –?«
»Solche Stiefel zu haben? O, die hat bei uns jeder anständige Officier.«
»Nein, nein! Ich meine, wie kommen Excellenz zu diesen Stiefeln?«
»Glauben Sie vielleicht, ich habe sie mir von ihm geborgt? Nein. Sie standen unten am Thore.«
»Aber wie sind sie dorthin gekommen?« fragte Margot, immer mehr erstaunter werdend.
»Er hat sie hingesetzt und meinen Posten gesagt, daß sie auf sie aufpassen sollen.«
»Aber, Excellenz, ich begreife noch nicht, weshalb er sie dahin gesetzt hat. Wie hängt dies überhaupt mit der Gefahr zusammen, in welcher er sich befindet?«
»O, sehr eng. An seiner Thür standen nämlich zwei Menschen, die ihn erschießen wollten, der Eine mit der Laterne und der Andere mit der Pistole. Er ist ihnen glücklich entkommen, auf welche Weise, das weiß ich noch nicht. Sie sind entflohen und er ist hinter ihnen her. Damit sie es nun nicht hören, daß er sie verfolgt, so hat er diese Stibbeln ausgezogen und mir zur Aufbewahrung übergeben, eigentlich meinen Posten, aber das bleibt sich gleich.«
»Er verfolgt sie? Wie unvorsichtig!«
»Haben Sie keine Sorge, Mademoiselle! Haben wir einmal seine Stibbeln, so bekommen wir ganz sicher auch ihn. Er wird nur sehen wollen, wer die Kerls sind.«
»O, ich ahne bereits, wer es ist.«
»Ah, Sie ahnen?«
»Ja. Jedenfalls ist Derjenige dabei, der ihn heute Abend bereits gestochen hat.«
»Gestochen? Donnerwetter! Er ist gestochen worden?«
»Leider.«
»Wohin denn?«
»In den Arm.«
»Ah, da hat es nicht viel zu sagen.«
»Aber es wurde nach dem Herzen gezielt.«
»Donner und Doria! Da ist es also ganz und gar ernstlich gemeint gewesen!«
»Ja. Hätte er den Panzer nicht angehabt, so wäre er jetzt todt.«
»Ah, er hatte Küraß getragen?«
»Er hatte sich einen geliehen.«
»So ist er also doch vernünftig gewesen. Aber, wer hat ihn denn gestochen?«
»Mein Gott, es ist mir fast unmöglich, Ihnen dies zu sagen.«
»O, ich ahne bereits, wer der Mann gewesen ist. Sprechen Sie getrost und aufrichtig zu mir. Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Erzählen Sie mir Alles; aber erlauben Sie mir vorher, mir eine Pfeife zu stopfen. Es leidet mich zu Hause nicht wenn mich nicht der Knaster an die Nase brennt.«
Er stopfte sich eine seiner kurzen Thonpfeifen, von denen er immer einen großen Vorrath besaß, und als er sie in Brand gesteckt hatte, setzte er sich auf eine offene Nähchatouille, welche am Boden lag. Margot mußte auf einem Tabouret Platz nehmen und dann die Erzählung der heutigen Ereignisse beginnen.
Unterdessen war es Königsau ganz eigenthümlich ergangen.
Er war sehr lange Zeit bei Margot gewesen. Man hatte ihn da aufgehalten. Selbst die Mutter hatte ihm ein Zimmerchen für diese Nacht angeboten, damit er nicht abermals fortzugehen brauche, denn die beiden Damen hatten befürchtet, daß er abermals angefallen werden könne. Er aber hatte diese Gastfreundschaft ausgeschlagen und war endlich doch noch aufgebrochen.
Margot hatte ihn bis zur Thüre begleitet und dort die innige Bitte ausgesprochen, doch ja recht vorsichtig zu sein und sich recht fleißig umzuschauen, ob nicht irgend eine Gefahr in der Nähe zu bemerken sei.
Dies hatte er denn auch gethan. Obgleich er getrosten Muth gezeigt hatte, war er doch selbst schon auch der Ansicht gewesen, daß der verunglückte Ueberfall zum zweiten Male unternommen werden könne. Ja, er sagte sich sogar, daß man sich dabei wohl nicht mehr eines Dolches oder Messers, sondern einer Schußwaffe bedienen werde.
Da war natürlich eine Abwehr bedeutend schwieriger, wo nicht unmöglich. Aus diesem Grunde ging er nicht an einer Seite, sondern auf der Mitte der Straße. Der Feind stand jedenfalls unter einem Thore und konnte ihn auf diese Weise nicht so leicht erkennen.
So war er bis in die unmittelbare Nähe seines Hauses gekommen. Da erst kam ihm der Gedanke, daß ein etwaiger Angreifer sich gerad hier verstecken müsse, um ihn sicher zu treffen. Er hemmte seinen Schritt und ging ganz langsam, jeden Zollbreit mit dem Auge fixirend, soweit es die dichte Dunkelheit zuließ.
Er war nur noch vier Schritte von der Hausthür entfernt, da hörte er den Ruf:
»Königsau! Halt! Zurück! Sie wollen Dich abmurksen!«
Er wußte sofort, wer der Warner war. Es war die Stimme und auch die Ausdrucksweise des Marschalls. Diese Warnung hatte jedenfalls ihren guten Grund; darum wollte er sie befolgen und sich umdrehen, da blitzte vor ihm die Laterne auf.
Mit Gedankenschnelligkeit kam ihm die Ahnung, daß er angeleuchtet werde, um ein sicheres Ziel zu bieten, und daß im nächsten Moment der Schuß fallen werde. Augenblicklich warf er sich zur Erde. Diese Geistesgegenwart rettete ihm das Leben, denn er hatte den Boden noch nicht berührt, so krachte auch bereits der Schuß. Die Kugel wäre ihm in den Kopf gedrungen, so aber flog sie weit über ihn hinweg.
»Er hat sich niedergeworfen. Leuchten Sie zur Erde!«
So hörte er eine halblaute Stimme sagen. Er erkannte sie; es war diejenige des Capitäns. Sogleich fiel das Licht der nach ihm gedrehten Laterne abwärts. Er sah sich abermals hell erleuchtet, schleuderte sich aber mit aller Gewalt zur Seite und zwar keinen Augenblick zu früh, denn da krachte auch bereits der zweite Schuß, und er hörte ganz deutlich, daß die Kugel hart neben ihm auf den Stein schlug.
Nun war es aber auch aus mit seiner Langmuth. Der Schütze hatte beide Kugeln verschossen; ob er noch eine zweite Doppelpistole bei sich trage, das war Königsau in diesem Augenblicke sehr gleichgiltig. Er schnellte sich vom Boden auf und sprang auf die beiden Kerls zu. Ein Faustschlag traf den, welcher die Laterne hielt. Er ließ sie fallen und lief davon. Nun packte der Deutsche den Capitän.
»Jetzt lasse ich Dich nicht wieder laufen, Schurke!« sagte er.
Er hielt ihn umschlungen und wollte ihn zu Boden ringen. Da ließ der Capitän die Pistole fallen, um die Hand frei zu bekommen und faßte ihn bei der Brust. Diese aber war vom Metall bewahrt.
»Feigling!« knirschte der Franzose. »Versteckst Du Dich hinter dem Küraß!«
Er faßte ihn beim Arme grad da, wo die Wunde war. Königsau stieß unwillkürlich einen Ruf des Schmerzes aus.
»Ach, ist das die richtige Stelle!« sagte der Gegner mit unterdrückter Stimme.
Er griff jetzt mit beiden Händen zu, und zwar mit Aufbietung aller Kräfte. Königsau konnte nicht anders, er mußte den Capitän fahren lassen, um zunächst seinen verwundeten Arm zu befreien. Das gelang ihm; dadurch wurde aber auch der Gegner frei und entsprang. Der Deutsche hielt ihn noch für nahe und sprang auf ihn zu, stürzte aber zur Erde nieder. Dadurch gewann der Fliehende einen Vorsprung.
Königsau rannte ihnen nach, kam aber schnell zur Einsicht, daß dies so eine Thorheit sei, denn der laute Schall seiner Schritte ließ ihm die Schritte Derer, die er verfolgte, nicht hören. Er blieb daher sogleich stehen und riß seine Stiefeln herunter. Er bemerkte, daß er sich an Blücher's Wohnung befinde; er hatte bereits einige Sprünge an den Posten vorüber gethan. Er rief ihnen daher in fliegender Eile zu:
»Ich bin Lieutenant von Königsau. Habt mit Acht auf meine Stiefel!«
Dann schnellte er seinen Feinden nach, deren Vorsprung ein bedeutender geworden war, obgleich er sich kaum einige Augenblicke verweilt hatte.
Glücklicher Weise hörte er noch ihre lauten, schnellen Schritte. Er war ein ausgezeichneter Läufer; darum gedachte er, den Vorsprung schnell einzuholen, aber der Küraß war ihm nicht auf den Leib gemacht; er paßte schlecht und hinderte ihn am Laufen. Dennoch war zu hören, daß sich der Abstand zwischen ihm und ihnen sehr rasch verminderte, denn er hörte die Schritte immer deutlicher.
Da aber mußte er plötzlich stehen bleiben, um zu lauschen. Er vernahm nämlich, daß sie sich getrennt hatten. Der Eine war links in ein Seitengäßchen eingebogen, während der Andere geradeaus rannte. Welchem sollte er folgen?
Das Seitengäßchen schien nicht gepflastert zu sein; die Schritte des Fliehenden konnten nicht weit gehört werden; daher war hier eine Verfolgung sehr erschwert, gar nicht gerechnet, daß dieses Gäßchen in ein Gassengewirr führen konnte, in welchem die Spur des Flüchtlings sofort verschwinden mußte. Er beschloß daher, dem Andern zu folgen, welcher sich gradeaus gehalten hatte.
Er rannte ihm nach, merkte aber bald, daß er auch links eingebogen war. An einer weiteren Ecke mußte er abermals halten, um zu hören, woher die Schritte tönten. Dies nahm ihm Zeit weg. Bei einer dritten Ecke ging es ihm ebenso. Auch hinderte ihn die große Dunkelheit am schnelleren Fortkommen.
Endlich stand er abermals vor einem Seitengäßchen, in welchem die Schritte des Fliehenden verhallt zu sein schienen. Er drang da hinein und hatte sehr bald die Ahnung, daß es dasselbe Gäßchen sei, in welches bereits der Erste entkommen war.
Da galt es Vorsicht, denn jedenfalls hatten die Beiden verabredet, sich hier zu treffen.
Er tastete in der Dunkelheit nach rechts und links. Das Gäßchen war kaum acht Fuß breit. Rechts waren Hintermauern von Häusern, und links schien eine lange Gartenmauer zu sein. Er glitt leise und langsam weiter.
Da war es ihm, als ob er ein Geräusch gehört habe, als ob ein Schlüssel sich in einem alten Schlosse drehe. Er lauschte. Und wirklich wiederholte sich der eigenthümlich quitschende Laut, ganz nahe vor ihm, zu seiner Linken, also in der Gartenmauer.
Er schlich weiter hinzu, und nun hörte er gar zwei Stimmen, zwar gedämpft, aber doch auch nicht ganz leise. Er fühlte mit der Hand ein Pförtchen, welches sich in der Mauer befand. Es war verschlossen, und hinter demselben, im Garten also, standen die beiden Sprechenden, welche wohl nicht ahnten, daß der Verfolger so nahe sei.
»Das war ein ganz verfluchter Tag!« hörte er sagen.
»Wer ist Schuld als Sie!« meinte der Andere.
»Ich? In wiefern?«
»Erst stechen Sie verkehrt, und dann zielen Sie falsch.«
»Konnte ich zielen, wenn Sie falsch leuchteten? Uebrigens warum ergriffen Sie die Flucht? Wir hätten ihn kalt machen können, wenn Sie blieben; mir allein aber war dies nicht möglich. Sie haben mich immer einen Feigling genannt; jetzt aber gebe ich Ihnen dieses Wort mit doppelten Zinsen zurück.«
»O, es wäre mir gar nicht eingefallen, fortzulaufen, wenn nicht Hilfe gekommen wäre.«
»Hilfe? Wieso?«
»Hörten Sie es nicht rufen, gerade eh ich zur Laterne griff?«
»Ja. Wer muß der Mensch gewesen sein? Es ist, als sollte uns jetzt Alles quer gehen. Aber morgen ist auch ein Tag. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«
»Gewiß. Aber kommen Sie! Hier ist nicht der Ort zu unserer Unterhaltung.«
»Wie kommen wir hinein? Durch die Thür?«
»Nein. Man würde dies bemerken. Alle meine Leute denken, ich arbeite noch in der Bibliothek. Wir steigen an der Veranda empor und dann zum Fenster hinein.«
»Steht es auf?«
»Ja. Kommen Sie.«
Sie entfernten sich. Königsau blieb halten. Er hörte nach einer längeren Weile ein Fenster klingen und wußte nun, daß sie sich im Innern des Hauses befanden.
Dieses Haus mußte er kennen lernen. Er beschloß also, ihnen zu folgen.
Zunächst tastete er empor. Die Mauer war so hoch, daß er ihre Kante nicht mit der Hand zu erreichen vermochte. Nun suchte er nach einer schadhaften Stelle. Es gab keine, aber dafür fand er eine, an welcher der Mörtel vollständig los- und herausgebrochen war. Die großen, zwischen den Steinen befindlichen Ritze gaben seinen Fingern und Fingerspitzen einen zwar nicht bequemen aber doch genügenden Haltepunkt, so daß er emporklettern konnte. Drüben ließ er sich wieder hinab.
Es war kein ungefährliches Unternehmen für ihn, hier einzudringen. Er befand sich als Feind des Vaterlandes in Paris und verfolgte hier zwei persönliche Feinde. Wurde er erwischt, so galt es jedenfalls einen Kampf auf Leben und Tod. An Gnade und Erbarmen war auf keinen Fall zu denken.
Er befand sich jetzt im Garten, aber es war so dunkel, daß er sich forttasten mußte. Da anzunehmen war, daß sich die Hausfront parallel mit der Gartenmauer ziehe, so ging er im rechten Winkel von der Letzteren aus gerade vorwärts und gelangte auch bald in den Hofraum, wo er die Veranda fand, von welcher der Eine gesprochen hatte.
»Also hier sind sie emporgeklettert,« dachte er. »Trägt sie diese Beiden, so trägt sie jedenfalls auch mich. Ich werde es auf alle Fälle versuchen.«
Er fühlte die Querlatten. Es ließ sich an ihnen wie an einer Leiter emporsteigen. Als er oben anlangte, untersuchte er die Decke der Veranda, ob sie ihn auch halten werde. Sie war stark genug dazu. Er trat auf sie und richtete sich empor. Er stand jetzt vor einem Fenster, jetzt zwar von Innen verschlossen, jedenfalls aber dasselbe, durch welches sie eingestiegen waren.
Ein Blick überzeugte ihn, daß dieses Fenster zu einem jetzt unerleuchteten Raum führe. Von diesem aber ging eine Thür, welche fast ganz geöffnet war, in ein Nebenzimmer, in welchem eine große Lampe eine hinreichende Helligkeit verbreitete, um Alles erkennen zu können. Zwei Männer gingen darin auf und ab. So oft sie an der geöffneten Thür vorüber gingen, konnte er sie sehen.
»Ah; der Capitän und dieser Baron Reillac! Ich habe es mir gleich gedacht.«
So sagte Königsau zu sich, indem er diese Beiden betrachtete.
Sie mußten ein sehr erregtes Gespräch führen, wie aus ihren Mienen und den lebhaften Gesticulationen zu ersehen war. Leider konnte der Lauschende nicht Alles hören; nur einige abgerissene Brocken wurden ihm verständlich.
»Das, ja, das ist das Beste!« hörte er den Capitän sagen.
».......... komme ich unblutig in ihren Besitz,« meinte darauf der Baron. »Ob ich dann aber auch das Gleiche zahle, das ..........«
»Das versteht sich ja ganz von selbst, denn wenn ich es nicht zugebe, so wird aus diesem Plane nicht das .....«
»Na, so mag es sein. Ich denke .......... soll es mir auf die versprochene Summe nicht ankommen ..... Sie ja mein Schwager werden, und da darf man als anständiger Mann nicht ..........«
Diese auseinandergerissenen Sätze waren von dem Baron zu hören. Der Capitän antwortete darauf:
»Wenn es gelingt, so .......... man vergeblich suchen wird. Besonders dieser verdammte Königsau ..... der mir ..........«
»Die Hauptsache ist,« fuhr der Baron fort, »ob wir bereits .......... welche Uhr er stets zu kommen pflegt .......... muß es schon geschehen sein .......... sonst ist es jedenfalls zu spät.«
»Ich werde morgen genaue Erkundigungen einziehen,« meinte der Capitän, »und Ihnen bei Zeiten .......... Widerstand leisten wird.«
»Ich werde ihn zu brechen wissen, da ich dabei auf Ihre Hilfe rechnen darf,« sagte der Baron. »Jedenfalls steht zu erwarten .......... ihre Ehre retten, so bleibt nichts Anderes übrig als .......... darauf rechne ich!«
Bei diesen letzten Worten schob er die Thüre zu. Nun wurde es finster, und Königsau konnte kein einziges Wort mehr vernehmen. Er wartete noch eine längere Weile, doch vergebens, und so beschloß er, seinen Rückzug anzutreten.
Dieser gelang ihm vollständig, denn da das Gartenhaus höher lag, als das Gäßchen draußen, so war von Innen aus die Mauer leichter zu erklettern, als von draußen herein. Jetzt war es aber Hauptsache, sich das Gäßchen genau zu merken; dies konnte unter Umständen von größtem Vortheile sein.
Er schritt es auf und ab, ebenso die anliegenden Straßentheile und war endlich sicher, es am Tage sehr leicht auffinden zu können. Nun kehrte er nach Hause zurück.
Auf dem Heimwege dachte er über das nach, was er gehört hatte. Er entnahm daraus, daß ein neuer Anschlag gegen ihn und Margot verabredet worden war, doch ließ sich nicht denken und errathen, worin derselbe bestehe. Es war die Rede davon gewesen, daß der Capitän morgen Erkundigungen einziehen wolle, daß Margots Ehre zu retten sei, daß ihr Widerstand besiegt werden solle. Aus Alledem ließ sich doch nichts Bestimmtes folgern. Nur das schien festzustehen, daß der neue Anschlag recht bald ausgeführt werden solle.
Königsau gelangte bald auf seine Straße und an das Palais des Marschalls. Es standen, wie vorhin, zwei Posten da. Er bückte sich da, wo er seine Stiefel abgelegt hatte, nieder; sie waren weg. Er trat daher zu den Posten. Seines leisen Ganges und der Dunkelheit wegen hatten sie ihn nicht kommen gehört. Sobald sie ihn aber erblickten, riefen sie ihn an:
»Wer da?«
»Preußischer Husarenofficier,« antwortete er. »Seit wann steht Ihr hier?«
»Nicht ganz eine Stunde.«
»Wurden Euch keine Stiefel übergeben?«
»Nein.«
»Wurde auch nicht der Name eines Officiers genannt?«
»O ja, Herr Lieutenant.«
»Welcher?«
»Lieutenant von Königsau.«
»Gut! ich bin es.«
»Der Herr Lieutenant sollen sofort zum Marschall kommen.«
»So spät?«
»Sofort. Sie sollen gar nicht erst nach Ihrer Wohnung gehen.«
»Sapperlot! Ich habe ja keine Stiefel an!«
»Die haben Excellenz mit heraufgenommen.«
»Alle Teufel! Confiscirt?«
»Ich weiß nicht. Wir sollen aber sagen, daß der Herr Lieutenant sofort erscheinen sollen, und zwar in Strümpfen.«
»Na, da muß ich es wohl oder übel thun.«
Er trat ein und stieg die Treppe empor. Droben im Vorsaale stand der Unterofficier von der Wache.
»Was thun Sie so spät hier?« fragte der Lieutenant.
»Ich habe den Herrn Lieutenant anzumelden.«
»Ah, so werde ich erwartet?«
»Ja.«
»Na, melden Sie!«
Der Unterofficier verschwand hinter der Thür, und es dauerte eine ganze Weile, ehe er wieder kam, um Königsau zu sagen, daß er eintreten könne. Diese Zeit hatte nämlich Blücher gebraucht, um Margot zu verstecken, die auch bei ihm war.
Als der Lieutenant die Thür hinter sich zugezogen hatte, trat er drei Schritte vor und machte sein Honneur. Blücher hatte die Pfeife im Munde, und in der Stube gab es fürchterlichen Tabaksqualm. Auf dem Tische stand eine kostbare japanesische Schale, welche der Marschall benutzt hatte, die ausgerauchten Pfeifen hinein zu putzen. Schwefelfaden und Zunder lagen in einem silbernen Fruchtkörbchen.
»Ach, was ist denn das?« fragte Blücher in erstauntem Tone. »Sie kommen ja so leise wie ein Spitzbube herein. Das klingt grad, als ob kein Geldbeutel vor Ihren Fingern sicher wäre! Ach Teufel noch einmal! Sie haben keine Stiefel!«
»Zu Befehl Excellenz!«
»Nun, wo stecken denn diese Stibbeln?«
»Sie sind nicht sicher gewesen vor den Fingern Euer Excellenz!«
Blücher schmunzelte und sagte, die Hand drohend erhebend:
»Junge, mache keine guten Witze! Du weißt, die schlechten verzeihe ich, aber die guten bestrafe ich mit Lattenarrest!« Und einen ernsten Ton anschlagend, fuhr er fort: »Es ist mir noch nie vorgekommen, daß ein Lieutenant sich in Strümpfen bei mir gemeldet hat! Das ist unbegreiflich!«
»Desto begreiflicher ist es, wenn Ew. Excellenz einem Lieutenant befehlen, in Strümpfen zu erscheinen.«
»Du, das ist ein schlechter Witz; den rechne ich Dir nicht an. Bilde Dir also nichts auf ihn ein! Uebrigens wärst Du bald schrecklich blamirt gewesen. Es war Jemand da, der schöne Augen über Deine Strümpfe gemacht haben würde. Gucke sie Dir mal an, mein Sohn! Sie sind ja dreckiger wie ein Paar Pferdehändlerstiefeln. Und die Zehen gucken wohl – ach, zeige doch her! Na, sie stecken noch drin; da geht es! Gehe dort hin in den Silberschrank, und fahre in Deine Feueressen!«
Königsau gehorchte und öffnete den Schrank. Da, wahrhaftig, standen seine Stiefel mitten unter dem funkelnden Gold und Silbergeschirr. Er nahm sie heraus und zog sie vor den Augen des Marschalls an.
»So,« sagte dieser. »Jetzt bist Du wieder der Hugo, der sich sehen lassen kann. Gehe doch mal hin an die Thür, und klopfe an!«
Königsau that es. Sofort öffnete sich die Thür.
»Margot!«
»Hugo!«
Sie lagen sich in den Armen, ohne sich durch die Gegenwart des Marschalls stören zu lassen. Dieser zupfte an seinem Schnurrbart herum, zog allerlei glückliche und verdrießliche Gesichter und sagte schließlich:
»Ja, die haben sich beim Kopfe! Wo aber bleibt der alte Gebhard Leberecht Blücher? Den nimmt Niemand bei den Ohren!«
»O doch!« antwortete Margot.
Sie trat auf ihn zu, legte ihm die Arme furchtlos um den Hals und küßte ihn recht herzhaft auf die Wange.
»Mädel,« sagte er, »das ist die falsche Adresse; hat Dir's der Hugo Dich denn nicht besser gelernt? Komm her!«
Er nahm sie beim Kopfe und küßte sie auf den Mund; dann sagte er zu Königsau:
»Wenn Du es nicht leiden willst, so verklage mich oder hau mich! Aber ich habe mit der Hexe jetzt stundenlang beisammengesessen; sie hat mirs angethan, und wir sind so hübsch einig geworden, daß ich wollte, Du wärst der General und ich der Lieutenant. Sie hat mir Alles erzählt, was heute passirt ist. Nun erzähle Du weiter, mein Sohn, damit man klar sehen kann.«
Königsau setzte sich neben Margot, legte den Arm um sie und begann zu erzählen. Unterdessen ging Blücher auf und ab und rauchte wie ein feuerspeiender Berg.
Der Lieutenant ließ nicht das Geringste hinweg. Margot lehnte ihr Köpfchen an seine Schulter und weinte vor Glück, ihn wieder zu haben. Es war, als ob Blücher der Vater dieser Beiden sei, vor dem sie sich gar nicht zu geniren brauchten.
Als Königsau geendet hatte, sagte der Marschall:
»Fürchterlich! Der eigene Bruder! Was wirst Du thun, mein Junge?«
»Sie Beide niederschlagen, wo ich sie finde.«
»Nein. Das geht nicht, das verbiete ich Dir. Verstanden!«
»Excellenz – – –!«
»Papperlapappexcellenz! Ich habe es Der da versprechen müssen.«
Er zeigte bei diesen Worten auf Margot. Königsau sah dem schönen Mädchen in die dunklen, feuchten Augen und fragte sie:
»Margot, Du wünschest, daß ich mich nicht räche?«
»Hugo, er ist doch immer mein Bruder!« bat sie.
»Gut! Aber dieser Baron Reillac?«
»Auch ihm soll nichts geschehen, mein lieber Freund.«
»Ja, so wie es in der Bibel zu lesen ist,« sagte Blücher gerührt. »Rebecca hat auch feurige Steinkohlen auf das Haupt des Herodes gesammelt.«
Der Lieutenant konnte denn doch ein Lächeln nicht unterdrücken. Der Marschall sah es und fragte mit etwas verlegener Miene:
»Was lachst Du, he? War's etwa blos Torf und keine Steinkohlen?«
»Es müssen doch Steinkohlen gewesen sein, Excellenz, denn dem Herodes ist dabei die ganze obere Hälfte des Kopfes mit weggebrannt. Uebrigens möchte ich nicht sagen, daß es mir sehr leicht wird, den Baron entkommen zu lassen. Er geht uns nichts an; wir sind ihm keine Rücksichten schuldig, und er wüthet als Todfeind gegen uns.«
»Kannst Du gegen ihn handeln, ohne auch meinen Bruder zu treffen?« fragte Margot.
»Das ist allerdings wahr. Aber wenn wir sie nicht unschädlich machen, so steht uns jedenfalls ein neues Unglück bevor. Du hast ja gehört, was ich belauschte. Sie schmiedeten bereits einen neuen Plan gegen uns.«
»Da weiß ich Hilfe,« meinte Blücher. »Anstatt sie unschädlich zu machen, will ich Euch unverletzlich machen; Beides führt zu ganz demselben Ziele. Wie wäre es, wenn ich Dich nach Berlin schickte, mein Junge?«
»O, Excellenz, soll Margot ohne meinen Schutz hier zurückbleiben?«
»Nein. Ich habe vorhin mit ihr darüber gesprochen. Frau Richemonte hat da gegen Belgien hin eine nahe Verwandte. Dorthin reisen die beiden Damen morgen ab, ohne daß ein Mensch erfährt, wo sie sich befinden. Dort werden die beiden Spitzbuben Dir die Margot sicherlich nicht ausgattern.«
»Dieser Vorschlag ist prächtig, Excellenz! Führen wir ihn aus, so entziehen wir uns den Verfolgungen und sind nicht zur Rache gezwungen.«
»Siehst Du! Ich habe heute bereits einmal gesehen, daß der Blücher ein guter Amtscopist hätte werden können. Und was Dich betrifft, so bringst Du die Damen an Ort und Stelle und gehst dann nach Berlin. Du wirst schon noch erfahren, wozu. Aber Du wirst da heute den ganzen Tag bei mir sein müssen, um mir zu helfen, die dazu nöthigen Schreibereien anzufertigen.«
»Ich stehe ganz zu Befehl, Excellenz.«
»Gut. So führe jetzt Dein Mädel nach Hause, wie es einem richtigen Burschen geziemt. Punkt neun Uhr bist Du bei mir; da geht das Arbeiten los, und erst am Abend sehen wir uns Alle wieder. Damit Euch aber nicht wieder Etwas Schlimmes widerfährt, gebe ich Euch acht Mann Garde mit, unter scharf geladenem Gewehre, vier Mann auf der einen, vier Mann auf der anderen Seite der Straße und Ihr in der Mitte. Hier ist der Befehl, mein Junge; gieb den Wisch unten in der Wachstube ab. Und nun gute Nacht. Ihr werdet Euch mehr zu sagen haben als mir. Alles Andere aber werden wir heute Abend besprechen. Gute Nacht, Kinder! Und wenn Ihr Euch küßt, so macht nicht zu viel Lärm dabei; leise und zart schmeckts viel besser.«
Sie gingen und erreichten unter der erwähnten Bedeckung glücklich die Wohnung Margots. Der Portier öffnete wieder persönlich.
»Verzeihung, Mademoiselle,« sagte er, »Sie waren bei dem Marschall Blücher?«
»Ja,« antwortete sie.
Er machte eine außerordentlich tiefe Reverenz, und als sie außer Hörweite von ihm waren, brummte er leise in den Bart:
»Der ist ganz sicher kein Lieutenant, sondern irgend ein Prinz incognito, sonst würden die Beiden nicht so intim mit dem berühmten Marschall sein. Na, ich gönne es Mademoiselle Margot von ganzem Herzen, eine Prinzessin zu werden.«
Margot war ganz erfüllt von dem, was sie erlebt und mit dem Marschall besprochen hatte. Sie konnte nicht anders, sie weckte ihre Mutter, und als diese vernahm, um was es sich handle, verzichtete sie gern auf die Fortsetzung der unterbrochenen Nachtruhe. Königsau wurde nicht fortgelassen; er mußte bleiben.
Frau Richemonte erschrack zwar außerordentlich, als sie erfuhr, in welcher Lebensgefahr sich der Lieutenant wieder befunden habe, und daß Margot wieder so kühn gewesen sei, sich auf die Straße zu wagen; da jedoch Alles so glücklich abgelaufen war, so wurde es ihr nicht schwer, sich bald wieder zu beruhigen.
Den Vorschlag Blüchers, die Freundin aufzusuchen, fand sie ganz und gar acceptabel. Sie war von dieser Dame hundert Male eingeladen worden, ohne dieser Einladung Folge leisten zu können. Sie war gewiß, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, und schrieb stehenden Fußes einen Brief, in welchem sie ihre Ankunft meldete und den Königsau schleunigst zu besorgen versprach.
Es wurde ausgemacht, das Einpacken der mitzunehmenden Effecten so geheim wie möglich zu betreiben. Das Dienstmädchen sollte entlassen werden und nicht erfahren, wohin die Reise gehe. Von der Freundin sollten Mutter und Tochter dann später nach Berlin kommen, wo die Hochzeit sein solle; daher beschloß man, alles schwere Gepäck zu vermeiden und Meubles und anderes Geräth unter der Hand zu verkaufen. Das würde der gute Papa Blücher wohl auch bewerkstelligen, so daß auch hierbei ein Verrath des Aufenthaltsortes der beiden Damen wohl nicht zu befürchten sei.
Unter diesen Gesprächen und Berathungen verging die Zeit. Es wurde Tag, und als es acht Uhr schlug, mußte Königsau aufbrechen, um zur bestimmten Stunde bei dem Marschall zu sein.
Während Königsau mit diesem in allerlei wichtige und geheimnißvolle Schreibereien vertieft war, hatten Mutter und Tochter genug zu thun, um ihre wirthschaftlichen Fragen und Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, damit morgen ihrer Abreise nichts im Wege stehe. Die Mutter war in letzter Zeit immer leidend gewesen; der Kummer und Gram über ihren Stiefsohn hatten zu tief auf sie eingewirkt, und als nun der Abend kam, da fühlte sie sich so angestrengt und ermüdet, daß sie sich legen mußte, um sich für die Reise auszuruhen.
»Du denkst, der Marschall wird kommen?« fragte sie dabei Margot.
»Entweder das, oder er ladet uns zu sich ein, Mama. Er hat ganz bestimmt gesagt, daß heute Abend noch alles Nöthige besprochen werden soll.«
»Wenn er kommt, so werde ich aufstehen müssen, schickt er aber eine Einladung, so wirst Du mich entschuldigen müssen, ich bin heute wirklich zu schwach, ihr zu folgen. Vielleicht finde ich morgen noch Zeit, mich von ihm zu verabschieden und ihm zu danken für Alles, was er an uns so Liebes und Ungewöhnliches gethan hat.«
Es war draußen dunkel geworden und Margot hatte seit einer Viertelstunde Licht angebrannt, als sie auf der Straße das Rasseln eines Wagens vernahm, welcher unten an der Thür zu halten schien. Nach wenigen Augenblicken läutete es an der Glocke. Sie ging selbst, zu öffnen und erblickte einen jungen Officier in deutscher Uniform mit der Adjutantenschärpe.
»Verzeihung, Mademoiselle,« sagte er unter einer eleganten Verneigung, »komme ich hier recht zu Frau Richemonte?«
»Gewiß; bitte treten Sie ein, Herr Lieutenant!«
Sie führte ihn in den Salon und nöthigte ihn zum Sitzen; er lehnte dies jedoch mit den höflichen Worten ab:
»Entschuldigung, daß ich, ehe ich Ihrem Befehle gehorche, mich zuvor meines Auftrages entledige! Ist Frau Richemonte zu sprechen?«
»Leider nein. Sie befindet sich nicht wohl.«
Ueber das Gesicht des Officieres ging ein schnelles Lächeln der Befriedigung, welches Margot aber nicht beachtete. Er sagte im Tone des Bedauerns:
»So gestatten Sie, daß ich condolire, gnädiges Fräulein! Ich habe doch die Ehre, Fräulein Richemonte vor mir zu sehen?«
Sie antwortete durch eine bejahende Verneigung.
»Nun, dann theile ich Ihnen mit, daß ich als Ordonnanz seiner Excellenz, des Herrn Feldmarschall's von Blücher komme. Excellenz lassen die beiden Damen höflichst ersuchen, bei ihm das Souper einzunehmen; da sie jedoch wußten, daß Ihre gnädige Frau Mama in letzter Zeit immer leidend gewesen ist, so bin ich beauftragt, die Dame von der Befolgung der Einladung zu dispensiren.«
»Ich danke Ihnen, mein Herr! Wir haben diese Einladung fast erwartet und uns bereits besprochen, daß Mama ablehnen muß. Ich aber werde sogleich mit Ihnen kommen und bitte nur um einen Augenblick Geduld, um Mama zu benachrichtigen. Ist Lieutenant von Königsau bei Excellenz?«
»Allerdings.«
»Er wird mich dort erwarten. Da ich schon vorbereitet bin, so nimmt meine Toilette keine Zeit in Anspruch. Ich stehe gleich zu Diensten!«
Als sie in das Nebenzimmer getreten war, sah sich der angebliche Officier erstaunt um und murmelte:
»Bei Gott, ich bin ganz versteinert! Ich glaubte hier auf Schwierigkeiten zu stoßen, welche man nur mit der größten diplomatischen Finesse beseitigen kann, und nun geht Alles wie genudelt. Man ist vorbereitet; man hat bereits Toilette gemacht; man nimmt die Mama nicht mit. Wenn das kein Wunder ist, so giebt es überhaupt keins. Wenn mir nur dieser verteufelte Königsau nicht in die Quere kommt; dann habe ich gewonnen.«
Nach kaum zwei Minuten trat Margot wieder herein und erklärte sich zum Mitgehen bereit. Da sie die Anspruchslosigkeit des Marschalls kannte, so hatte sie es unterlassen, große Toilette zu machen. Sie war sehr einfach aber doch geschmackvoll gekleidet; aber grad diese Einfachheit hob ihre Schönheit so hervor, daß die angebliche Ordonnanz den Blick mit hoher Bewunderung auf ihr ruhen ließ. Sie sah so vornehm, so distinguirt aus und dabei doch so mädchenhaft, so kindlich lieb und gut, daß dem Schwindler doch ein Gefühl des Bedauerns und des Mitleides ankam.
»Wie schön sie ist,« dachte er. »Wie rein und züchtig sie aussieht! Und dieses gute, herrliche Wesen soll diesem alten, trockenen Baron zum Opfer fallen! Ah, wenn mein Vater nicht sein Diener wäre, so würde ich mich sehr hüten, ihm behilflich zu sein. Wenn er noch jung und hübsch wäre! So aber kann sie mich dauern!«
Er gab ihr durch eine Verbeugung das Zeichen, daß er bereit sei, mit ihr zu gehen, und so trat sie den Weg an, von dem sie nicht ahnte, wie verhängnißvoll er ihr werden sollte.
Unten wartete die Equipage. Der Kammerdiener saß als Kutscher verkleidet auf dem Bocke. Der Officier öffnete den Wagenschlag, und Margot stieg ein. Er folgte ihr, und dann setzte sich der Wagen in Bewegung.
Es war bereits finster auf der Straße. Hier und da brannte eine Laterne, doch war das dadurch verbreitete Licht nicht hinreichend, eine genügende Helle zu geben. Uebrigens begann der Officier eine lebhafte Unterhaltung, welche den Zweck hatte zu verhindern, daß Margot ihre Aufmerksamkeit hinaus auf die Straße richte; sie hätte ja sonst bemerken müssen, daß der Wagen zwar in die Straße einbog, in welcher Blücher's Wohnung lag, aber nicht vor derselben hielt.
Dennoch wurde sie aufmerksam. Das einem jeden Menschen innewohnende Vermögen, ganz unwillkürlich die Zeitdauer abzumessen, sagte ihr, daß sie das Ziel bereits erreicht haben mußten. Darum unterbrach sie die Unterhaltung mit der Frage:
»Aber, Monsieur, mußten wir nicht bereits angekommen sein?«
»Allerdings, Mademoiselle,« antwortete der Gefragte; »aber ich bemerke, daß der Kutscher einen kleinen Umweg eingeschlagen zu haben scheint. Lassen Sie einmal sehen, ob ich richtig rathe oder mich irre.«
Er blickte durch die Fensterscheibe seiner Wagenseite und that so, als ob er da nichts erkennen könne. Dann neigte er sich zur anderen Seite herüber und sagte:
»Gestatten Sie! Hier kann man deutlicher sehen.«
Sie bog sich ein Wenig zurück, um ihm Raum zu lassen, aber in demselben Augenblicke fühlte sie sich von ihm ergriffen und mit aller Gewalt in die Ecke gedrückt.
»Herrgott, was ist das! Was wollen – – –!«
Sie konnte nicht weiter sprechen. Ein Tuch verschloß ihr den Mund, und diesem Tuche entströmte ein scharfer, unangenehmer Geruch, welcher ihr in die Respirationsorgane drang und ihr fast augenblicklich die Kraft, zu widerstehen, benahm. Sie versuchte zwar noch, den Angreifer von sich zu schieben, doch geschah dies so schwach, daß sie damit kein Kind fortzustoßen vermocht hätte. Einige Secunden später lag sie vollständig bewußtlos in der Ecke.
»Ah, das ist mir leicht geworden,« flüsterte der Schauspieler. »Ich hatte es mir bedeutend schwerer vorgestellt. Nun aber werde ich mir einen Lohn nehmen, der allerdings nicht vereinbart worden ist. Ich werde sie küssen, bis der Wagen hält!«
Er setzte sich auf das Sitzkissen neben sie nieder, zog ihren Kopf herbei und legte seine Lippen auf ihren Mund. Da aber spürte er den scharfen Geruch des Parfüms, welcher ihm beinahe den Athem versetzte.
»Donnerwetter, es geht nicht,« sagte er; »ich muß gewärtig sein, daß ich die Besinnung grad so verliere wie sie. Wie schade! Ach der Genuß wäre ja auch ein nur kurzer gewesen, denn wir sind bereits am Ziele. Der Wagen hält.«
Die Equipage hatte das Gäßchen erreicht, war in dasselbe eingebogen und hielt nun vor dem Gartenpförtchen. Dieses öffnete sich auf der Stelle, und zwei Männer traten hervor. Es war Baron Reillac und Capitän Richemonte.
»Nun? Gelungen?« fragte der Erstere den Kutscher.
»Weiß nicht genau!« antwortete dieser.
»Nicht genau? Alle Teufel! Du mußt doch wissen, ob Ihr sie habt!«
»Wir haben sie, aber – – –«
»Was, aber – – –?«
»Ob die Narkotisirung gelungen ist – – –!«
»Das werden wir gleich sehen!«
Er öffnete den Schlag, aus welchem ihm jener Geruch sogleich entgegendrang.
»Gelungen?« fragte er nun in den Wagen hinein.
»Vollständig,« antwortete der verkleidete Schauspieler.
»Heraus mit ihr!«
Er griff zu, und der Capitän half ihm.
»Jetzt schafft den Wagen fort, und hier ist das Geld.«
Er gab dem Schauspieler eine Börse, welche den vereinbarten Sündenlohn enthielt. Dieser steckte jene ein, bedankte sich und setzte sich wieder im Wagen zurecht.
»Wie lang darf ich ausbleiben?« fragte der Kutscher.
»Bis Du den Wagen abgeliefert hast; ich brauche Dich vielleicht nöthig.«
»Das Abliefern wird langsam gehn.«
»Warum?«
»Wir müssen den Wagen erst ausräuchern; der Geruch könnte uns verrathen.«
»Ach. Wie wollt Ihr dies thun?«
»Ich habe das Nothwendigste bereits bei mir. Wir fahren hinaus vor die Stadt, wo wir auf freiem Felde unbeobachtet sind. Vielleicht kommen wir vor Mitternacht nicht retour.«
»So müssen wir versuchen, ohne Euch zu verkommen. Vorwärts!«
Der Wagen setzte sich in Bewegung und verließ das Gäßchen.
»Tragen Sie Ihre Schwester,« meinte der Baron zu dem Capitän. »Ich habe die Thüren zu öffnen und zu schließen.«
Richemonte folgte dieser Aufforderung. Sie schafften in der angegebenen Weise Margot in das Haus und hinauf in das Bibliothekzimmer. Das konnte unbeobachtet geschehen, da der Baron den Meisten seiner Leute Urlaub gegeben und die Uebrigen mit irgend einem Auftrage aus dem Hause entfernt hatte.
Droben setzte der Capitän seine Schwester auf einen Stuhl.
»Wollen wir sie binden?« fragte er.
»Binden? Wird dies nöthig sein?«
»Ich denke es. Sie wird jedenfalls Widerstand leisten.«
»Pah, diesen Widerstand werden wir wohl brechen können!«
»Sie wird um Hilfe rufen!«
»So verhüllen wir ihr den Mund.«
»Sie wird die Hülle losreißen, wenn wir ihr nicht auch die Arme binden.«
»Gut, so wollen wir sie an den Stuhl fesseln. Wie blaß sie ist! Wie eine Leiche.«
»Sie wird doch nicht erstickt sein?« fragte der Capitän, indem sein Auge eine unheimliche Gluth erkennen ließ.
»Ich hoffe es nicht!«
»Es wäre dies wohl ein Strich durch Ihre Rechnung, Baron?«
»Durch die Ihrige ebenso!«
»Pah! Mir würde dies sehr gleichgiltig sein!«
»Ich bezweifle dies. Ich würde in diesem Falle nicht Ihr Schwager werden und also die Wechsel nicht zerreißen.«
Der Capitän lächelte und fletschte dabei die Zähne.
»O, diese Wechsel sind mir von jetzt an nicht mehr fürchterlich!«
»Nicht? Warum?« fragte der Baron, aufmerksam werdend.
»Sie haben meine Schwester in Ihrer Hand, und ich fordere die Wechsel!«
»Noch aber ist sie nicht meine Frau.«
»Ob sie es wird oder nicht, das wird ganz allein von Ihrer Geschicklichkeit abhängen.«
»Sie kann mir noch entrissen werden!«
»Das geht mich nichts an.«
»Ich begreife Sie nicht, Capitän. Ich habe Ihnen versprochen, Ihre Accepte zu vernichten, sobald Margot meine Frau ist. Ich werde Wort halten, eher aber nicht.«
Der Capitän zuckte die Achsel und antwortete:
»Ganz wie es Ihnen beliebt. Behalten Sie die Papiere meinetwegen ganz; es ist ja ebenso gut als ob sie vernichtet wären!«
Der Baron betrachtete ihn verwundert und fragte:
»Ah, wie meinen Sie das?«
»Muß ich Ihnen dies wirklich erklären?«
»Ich bitte darum!«
»Wissen Sie, welch eine Strafe das Gesetzbuch auf widerrechtliche Freiheitsberaubung legt?«
»Ah, meinen Sie dies so?«
»Ja. Und wissen Sie, wie die gewaltthätige Bezwingung einer Dame bestraft wird?«
Da röthete der Zorn das Gesicht des Barons.
»Hole Sie der Teufel!« sagte er. »Sie werden doch nicht glauben, daß ich mich fürchte.«
»Ich glaube es allerdings nicht, ersuche Sie aber, dasselbe auch von mir zu denken!«
»Sie wollen drohen?«
»Nicht im Mindesten. Ich will nur eben bemerkt haben, daß ich Ihre Wechsel jetzt nicht mehr fürchte. Ich werde sie nicht honoriren.«
»Und ich werde sie Ihnen doch präsentiren, falls sich vor meine Wünsche in Betreff Ihrer Schwester doch ein Hinderniß legt!«
»Präsentiren Sie sie in Gottes Namen! Zahlung aber setzt es nicht.«
»So dürfte Ihnen der Schuldthurm offen stehen.«
»Und Ihnen das Zuchthaus.«
»Ah, Sie würden mich anzeigen?«
»Ganz gewiß.«
Der Baron blickte den Andern überlegen an und antwortete:
»Sie sind ein schlechter Rechner. Sie haben einen bedeutenden Factor vergessen.«
»Welchen?« fragte der Capitän gleichgiltig.
»Sie sind ja mitschuldig.«
»Pah! Beweisen Sie das!«
»Nun, Sie stehen ja hier, hier mit dabei.«
Da stieß der Capitän ein geringschätzendes Lächeln aus und antwortete:
»Wie wollen Sie meine Mitschuld beweisen? Habe ich mit Ihrem Kammerdiener über Ihren Coup gesprochen?«
»Nein.«
»Oder mit seinem Sohne, dem famosen Ordonnanzofficier?«
»Nein.«
»Oder mit sonst einem Menschen?«
»Außer mir allerdings nicht.«
»Wie also wollen Sie beweisen, daß ich Ihr Mitschuldiger bin?«
»Die beiden Genannten haben Sie vorhin bei mir stehen sehen.«
»Ja, doch können sie unmöglich beschwören, daß ich gewußt habe, um was es sich handelt. Ich verhalte mich in dieser Angelegenheit so vorsichtig, daß mir später kein Mensch an den Leib gehen kann. Nur allein Margot werde ich zeigen, daß ich mit im Complot bin. Ich hasse sie, und sie soll wissen, daß ich mich räche.«
»Capitän, Sie sind ein fürchterlicher Mensch!«
»O,« antwortete dieser kalt, »wir Beide sind einander jedenfalls ebenbürtig. Aber, merken Sie auf, Baron! Mir scheint, daß sie bald erwachen wird. Die Röthe kehrt bereits auf ihre Wangen zurück. Wir müssen sie binden.«
Sie schlangen jetzt Tücher um das Mädchen und den Stuhl herum und banden ihr zugleich ein Taschentuch um den Mund, so daß sie nicht rufen konnte. –
Als der verkleidete Schauspieler vorhin in Margot's Wohnung gedacht hatte: »Wenn mir nur dieser verteufelte Königsau nicht in die Quere kommt, so habe ich gewonnen,« hatte er wohl nicht geglaubt, daß diese gefürchtete Entdeckung nur an einem einzigen Augenblicke hing.
Königsau hatte mit Blüchern ganz angestrengt gearbeitet. Er sollte in öffentlichen und auch geheimen Aufträgen des Marschalls nach Berlin gehen, und dieser hatte ihm eine Menge Dictate in die Feder geliefert.
»Man munkelt davon,« hatte der alte Held gesagt, »daß die Majestäten nach England gehen werden, um sich dort als Retter Europa's angaffen und fetiren zu lassen. Wir sind eingeladen. Wenn der König diese Einladung befolgt, so muß ich auch mit. Man wird uns dort Wochen lang herumschleppen, und weitere Wochen werden auf der Heimreise vergehen. Darum muß ich mich nach einem zuverlässigen Manne umsehen, der mir während dieser Zeit die Augen aufhält, damit ich erfahre, was daheim vorgeht. Ich habe meine Feinde, große und kleine. Verstanden?«
»Sehr wohl, Excellenz,« antwortete Königsau verständnißinnig.
»Na, ich sehe, daß Du nicht auf die Nase gefallen bist, mein Junge; darum habe ich Dich auserwählt. Ich weiß, daß ich mit Dir aufrichtig sein kann. Sage mir doch einmal, was sie mit diesem Napolium gethan haben?«
»Verbannt.«
»Wohin?«
»Nach Elba.«
»Schön! Ich will gleich sterben, wenn ich gewußt habe, was dieses Elba für ein Land ist. Ich habe sogar den Namen nie gehört. Und nun hat man mir gesagt, was ich unter Elba zu verstehen habe. Was denkst Du wohl?«
»Eine Insel.«
»Ja. Was für eine?«
»Eine offene.«
»Sehr gut geantwortet, mein Junge! Eine offene Insel, ohne Mauern und Festungswerke, so offen, daß dieser Bonaschwarte sofort echappiren kann. Und die Hauptsache, wo liegt diese Insel?«
»In Italien.«
»Ja, ganz in der Nähe der italienischen Küste, wo man den abgesetzten Kaiser anbetet. Der Teufel soll diese Dummheit holen! Ja, sie könnten ihn meinetwegen in Kukuks Namen nach Italien verbannen, aber nicht nach Elba, sondern in den Vesuv hinein; da wäre es ihm auch einmal so warm geworden, wie er es uns gemacht hat. Ich sage Dir, ich traue dieser Geschichte nicht. Der Kerl kommt wieder.«
»Ich glaube es auch, Excellenz!«
»Wirklich?«
»Ja. Er hat einen großen Anhang in Frankreich. Man wird seine Rückkehr sogar mit Jubel begrüßen.«
»Das meine ich auch. Wir Soldaten haben uns die größte Mühe gegeben, ihn hinauszuschmeißen, und diese verteufelten Federfuchser halten ihm die Hinterthür offen, damit er ja nur recht bald hereinkommen kann. Man möchte diese Kerls in einem Mörser zerstampfen und dann das Pulver aus einer Pistole in die Luft blasen. Da bilden sie einen Friedenscongreß. Sie nehmen das Bischen Europa her, zwicken hier einen Lappen ab und leimen dort einen Lappen hinan. Und ehe sie mit dem Leimen und Zwicken zu Stande gekommen sein werden, wird Napoleon hinter ihnen stehen und ihnen auf die Finger klopfen. Und was wird dann geschehen, mein Sohn?«
»Sie werden dann rufen: »Blücher her!«
»Ja, Blücher her! Du hast Recht. Und was diese politischen Schneiderseelen dann gezwirnt, gefädelt und gestecknadelt haben, das werde ich mit dem Säbel wieder zerhauen müssen, das ist so sicher wie sonst Etwas. Darum muß ich die Augen offen halten, und Du sollst auch nach Berlin, um mir heimlich zu helfen, das bischen preußischen Verstand zusammen zu halten. Du schreibst mir regelmäßig, und ich schreibe Dir. Und kannst Du meine Briefe nicht lesen, so steckst Du sie lieber in's Feuer, statt daß Du sie einem Andern zeigst. Und nun schreibe! Ich werde Dir schriftliche Instructionen geben.«
So hatten diese Beiden bis zum Abende gearbeitet. Als der letzte Federstrich gethan war, sagte Blücher:
»Nun schmeiße die Feder in den Ofen, das Dintenfaß an die Wand und stecke die Scriblifaxerei in die Tasche. Ich habe das Ding satt. Gehe zu Deiner Margot, und sage ihr, sie soll mit ihrer Mutter ein Bischen herkommen. Wir haben ja noch Verschiedenes zu besprechen.«
Das war Königsau willkommen. Er machte sich schleunigst auf, um den Befehl des Alten auszuführen.
Es war dunkel, und als er die Straße hinabschritt, begegnete ihm da, wo er in die Rue d'Ange einzubiegen hatte, eine Equipage, welche im Trabe an ihm vorüberrollte. Er achtete kaum auf sie. Er ahnte nicht, daß man in diesem Wagen ihm soeben die Geliebte entführt habe.
Als er die Wohnung erreicht hatte, ließ ihn das Mädchen ein, welches sich zugegen befand, als Margot fortfuhr, morgen aber entlassen werden sollte. Er grüßte und fragte:
»Mademoiselle Margot?«
»Ist ausgefahren.«
»Ah! Wohin?«
»Zum Feldmarschall Blücher.«
»Wirklich? Eigenthümlich! Frau Richemonte ist natürlich mit?«
»Nein.«
»So fuhr Mademoiselle Margot allein?«
»Nein. Ein Officier war bei ihr.«
Königsau erstaunte noch mehr als vorher.
»Was für ein Officier?« fragte er. »Ein Deutscher?«
»Ich weiß es nicht. Madame wird es wissen.«
»So melden Sie mich sofort an!«
Frau Richemonte erstaunte natürlich ebenso, als sie erfuhr, daß Königsau mit ihr sprechen wolle. Sie ließ ihn eintreten und sagte:
»Margot ist zum Marschall, Herr Lieutenant.«
»Wann?«
»Vor wenig Minuten.«
»Ah! Zu Wagen?«
»Ja.«
»Ich bin ihm begegnet. Ich höre, daß ein deutscher Officier mit ihr sei?«
»Allerdings. Es war eine Ordonnanz des Marschalls.«
»Eine Ordonnanz? Unmöglich!«
»Oder ein Adjutant.«
»Ebenso unmöglich!«
»Aber, mein Gott, der Marschall schickte ja den Herrn, um uns zum Souper abzuholen.«
Königsau erbleichte, doch nahm er sich der kranken Dame gegenüber zusammen und fragte:
»Wie hieß er?«
»Ich weiß es nicht, ich habe nicht gefragt; ich habe ihn gar nicht gesehen.«
»Sie waren auch mit eingeladen, Madame?«
»Ja. lch ließ mich entschuldigen, weil ich mich sehr angegriffen fühlte.«
»Ah, so liegt meinerseits ein kleiner Irrthum vor!«
»Welcher?«
»Ich wußte nicht, daß der Marschall so aufmerksam war, bereits nach Ihnen zu senden; ich glaubte, Sie abholen zu müssen. Sie verzeihen, daß da meine Zeit gemessen ist.«
»Gehen Sie, mein lieber Lieutenant, und haben Sie die Güte, mich nochmals beim Marschall zu entschuldigen. Wenn die Stunde unserer Abreise bestimmt ist, werde ich sehen, ob mir Zeit bleibt, mich noch persönlich bei Blücher zu empfehlen.«
Königsau ging.
Er hatte ihr von seinem Schrecke nichts merken lassen. Er war beinahe überzeugt, daß ein neuer Anschlag gegen Margot vorliege, und rannte in größter Eile zum Marschall zurück, bei welchem er athemlos und mit hochrothem Gesichte eintrat.
»Donnerwetter, müssen Sie gelaufen sein!« sagte Blücher. »Was giebt es?«
»Ist Margot hier, Excellenz?« keuchte der Lieutenant.
»Nein. Ich denke, Sie bringen sie mit.«
»Ah, Excellenz haben nicht nach den Damen geschickt?«
»Nein.«
»Keine Equipage?«
»Nein.«
»Keinen Ordonnanzofficier oder einen Adjutanten?«
»Nein. Was ist denn los?«
»So ist Margot entführt worden.«
Da sprang der Marschall vom Stuhle auf und rief:
»Tausend Teufel! Entführt? Sind Sie bei Troste, oder nicht?«
»O, gegenwärtig bin ich allerdings ganz und gar nicht bei Troste, Excellenz. Ich muß fort, augenblicklich fort!«
Er wendete sich um, um sich schleunigst zu entfernen; aber Blücher commandirte:
»Halt! Rechtsumkehrt! Weiß Er Tausendsakkerloter nicht, daß Er zu bleiben hat, bis ich Ihn entlasse! Also was ist mit Margot? Ich muß es wissen. Wenn eine neue Teufelei im Werke sein sollte, so darf man nicht besinnungslos hineinstürmen, sondern man hat fein klug und schlau zu verfahren. Verstehst Du mich, Junge?«
Königsau sah ein, daß der Alte Recht habe; er zwang sich zur möglichsten Ruhe und wiederholte:
»Margot ist entführt worden, Excellenz.«
»Das hast Du bereits einmal gesagt. Aber beweise es!«
»Es ist vor einigen Minuten eine Equipage vorgefahren.«
»Ah! Mit einem Officier?«
»Ja.«
»Was für einer?«
»Ich weiß es nicht. Mama hat ihn nicht gesehen gehabt. Er hat sich für eine Ordonnanz ausgegeben – – –«
»Von mir?«
»Ja, oder für einen Adjutanten – – –«
»Von mir?«
»Ja, und hat eine Einladung zum Souper von Ew. Excellenz gebracht.«
»Donnerwetter!«
»Mama ließ sich entschuldigen; sie ist sehr angegriffen und konnte nicht kommen.«
»Und Margot ist mitgefahren?«
»Ja.«
»Wohin?«
»Diese Straße herab; ich bin dem Wagen begegnet.«
Königsau konnte sich kaum zur Ruhe zwingen. Vor Aufregung klang seine Stimme heißer. Auch Blücher stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und ab.
»Das ist eine Lüge, eine verdammte Lüge, ein Schwindel ohne Gleichen!« sagte er. »Ich habe Niemand gesendet. Ja, sie ist entführt, aber von wem?«
»Von wem anders als von Baron Reillac!«
»Donnerwetter, das glaube ich selbst! Und ihr schöner Stiefbruder ist im Complotte.«
»Jedenfalls, Excellenz.«
»Aber, wohin hat man sie geschafft? Wenn man das wüßte!«
»Ich glaube es zu errathen.«
»Ah, wirklich?«
»Ja, und ich denke nicht, daß ich mich irre.«
»Das wäre gut; das wäre fein! Wir könnten ihnen auf die Bude rücken! Wo?«
»Man hat sie nach der Wohnung Reillacs geschafft.«
»Hm! Warum denkst Du das?«
»Weil ich gestern Abend bemerkt habe, daß dort noch andere Heimlichkeiten ausgeheckt werden. Erinnern Sich Excellenz dessen, was ich dort belauschte?«
»Was?«
»Den neuen Anschlag. Der Capitän wollte sich heute erkundigen. O, mir ahnt was man mit Margot vorhat!«
Er ballte die Fäuste und machte eine Wendung, als ob er fortstürmen wolle.
»Was?« fragte Blücher abermals.
»Ich hörte gestern, daß sie gezwungen werden solle, in die Ehe mit diesem Baron zu willigen. Heut weiß ich, wodurch. Errathen es Excellenz nicht?«
Da trat Blücher einen Schritt zurück; sein Auge glühte, als er sagte:
»Ah! Mensch! Wäre das möglich!«
»Ich bin überzeugt davon.«
»So haue ich sie zu Brei, alle Beide!«
»Erst muß man sie haben, Excellenz. Ich muß fort! Bitte, mich zu entlassen.«
»Entlassen? Unsinn! Ich muß auch mit fort, und zwar mit Dir! Hast Du Waffen?«
»Jetzt habe ich keine bei mir.«
»So steckst Du ein Paar Pistolen von mir mit ein. Glaubst Du, daß wir das Haus des Barons finden werden?«
»Ich habe mir es sehr genau gemerkt.«
»Gut, so werden wir gehen und es stürmen!«
Er schnallte seinen Säbel um und nahm zwei Paar Pistolen von der Wand. Er war ganz so in begeisterter Rage, als ob es zu einer Schlacht gehen sollte. Königsau wollte auch nicht gern einen Augenblick verlieren, aber er besann sich doch und sagte:
»Excellenz, der Degen würde uns im Wege sein.«
»Warum?«
»Weil wir eine Mauer und eine Veranda zu ersteigen haben.«
»Gut, so lasse ich ihn zu Hause. Werden wir es allein ermachen können?«
»Man weiß es nicht. Es kommt auf die Umstände an.«
»Gut, so nehmen wir aus der Wachtstube ein paar tüchtige Kerls mit!«
Da aber kam Königsau ein bedenklicher Gedanke.
»Werden wir so mir nichts dir nichts eindringen dürfen, Excellenz?« fragte er.
»Warum nicht? Wir steigen hinauf und schlagen das Fenster ein.«
»Hausfriedensbruch!«
»Meinetwegen Weltfriedensbruch! Wer will uns etwas thun?«
»Es ist verboten, ohne Erlaubniß einzudringen.«
»Die Kerls haben das Mädchen. Das entschuldigt Alles!«
»Aber wenn sie Margot nicht haben?«
»Sie haben sie ganz bestimmt.«
»Können wir dies beweisen? Wird man uns suchen lassen?«
Blücher machte eine Miene des Mißmuthes.
»Junge, Du kannst Recht haben!« sagte er, jetzt ein Wenig nachdenklich.
»Denken sich Excellenz das Aufsehen.«
»Hm! Ja!«
»Feldmarschall Blücher auf der Anklagebank wegen Hausfriedensbruches.«
»Verdammt fatal!«
»Und in Feindes Land! Das könnte böses Blut geben.«
»Ja, ja! Aber wir müssen Hilfe bringen, auf alle Fälle.«
»Auf möglichst gesetzlichem Wege aber.«
»Dann kann Margot zwanzig Jahre auf uns warten. Ich kenne die Schnelligkeit der Gesetze. Eine Schnecke ist eine Schwalbe gegen sie. Hast Du einen Gedanken?«
»Ja,«
»Nun, so schieße ihn heraus.«
»Wir begeben uns zum Maire des Arondissements.«
»Ah, zum Meister des Stadtviertels! Gut. Wenn der Blücher zu ihm kommt, so wird er wohl keine Sperrenzien machen.«
»Das denke ich auch. Wir sagen ihm, in welchem Verdacht der Baron bei uns steht. Er muß mit, um dort auszusuchen.«
»Gut. Aber er ist Franzose und wird einem Landsmanne die Augen nicht auskratzen.«
»So unterstützen wir seinen Scharfsinn.«
»Schön. Ich schlage vor, wir nehmen doch einige pommersche Grenadiere mit.«
»Jawohl, Excellenz, aber nur heimlich. Wir stecken sie hinauf auf die Veranda, wo sie unser Zeichen erwarten und vielleicht auch Etwas erlauschen können.«
»Dieser Gedanke ist sehr gut. Jetzt haben wir einen Plan, und wir werden ihn sofort ausführen. Weißt Du die Mairie?«
»Ja. Sie ist vis-à-vis des Gäßchens, um welches es sich handelt.«
»Das paßt. Da verlieren wir nicht viel Zeit. Hier hast Du die zwei Pistolen. Komm!«
Jeder der Beiden steckte zwei geladene Pistolen zu sich, und dann begaben sie sich hinunter in das Wachtlocal. Dort erregte das Erscheinen des Marschall's nicht wenig Aufsehen. Die Mannschaft sprang schleunigst von ihren Pritschen auf und salutirte.
Blücher überflog die Leute mit einem raschen Blick, dann trat er zu Einem von ihnen.
»Du, Kerl, bist Du nicht der August, mit dem ich gestern gesprochen habe?«
»Zu Befehl!« antwortete der Mann.
»Du hast mich gemeldet?«
»Zu Befehl.«
»Ist Dir das Urtheil bekannt gemacht worden?«
»Zu Befehl!«
»Wie lautet es?«
»Ein Verweis.«
»Gut, diesen Rüffel habe ich auch erhalten, schriftlich natürlich. Ja, lieber August, nun kannst Du Dich rühmen, daß Du den alten Blücher angezeigt und in Strafe gebracht hast. Man wird Dich anstaunen, mein Junge! Aber Euer Geld habt Ihr Euch nicht geholt!«
»Excellenz!«
»Was, Excellenz!«
»Das wäre zu bettelig erschienen.«
»Donnerwetter, August, Du bist stolz, Du hast Zartgefühl! Das freut mich von Dir, alter Schwede. Deshalb will ich Dir jetzt Gelegenheit geben, Dich auszuzeichnen. Kannst Du klettern?«
»Zu Befehl, Excellenz.«
»Ueber eine Mauer?«
»Ja.«
»Auch auf eine Veranda hinauf, welche Querlatten hat?«
»Ja.«
»Nun gut. Nimm noch Drei zu Dir, welche auch so klettern können. Gewehre braucht ihr nicht. Das Uebrige sollt Ihr erfahren. Aber macht schnell.«
In Zeit von einer Minute standen die vier Männer zur Verfügung, und der Marsch wurde angetreten.
Königsau machte den Führer. In dem Gäßchen und an dem Pförtchen angekommen, sagte er ihnen flüsternd:
»Wir suchen ein Mädchen, welches man, wie wir vermuthen, gewaltsamer Weise hierher gebracht hat. Ihr steigt hier über die Mauer und schleicht Euch geradeaus nach dem Hofe und an die Veranda, welche sich dort befindet. An dieser steigt Ihr in die Höhe und sucht zu erlauschen, was geschieht. Aber Ihr nehmt Euch in Acht, daß man Euch nicht bemerkt. Sollten wir Euch rufen, so kommt Ihr durch das Fenster in die Stube gestiegen.«
»Ja,« meinte der Marschall; »sobald ich rufe »August herein!« so zerhaut Ihr das Fenster und springt in das Zimmer.«
August Liebmann fühlte sich geschmeichelt. Er war nicht dumm; es kam ihm ein Gedanke, den er auch sofort auszusprechen wagte:
»Excellenz, ist das Mädchen gelaufen oder gefahren?«
»Gefahren natürlich! Warum?«
»Vor vielleicht einer Viertelstunde fuhr ein Wagen in dieses Gäßchen.«
»Ah! Was für ein Wagen?«
»Eine feine Kutsche.«
»Sapperlot! Woher weißt Du das?«
»Ich habe es selbst gesehen. Ich wurde durch den Wachthabenden nach der Mairie geschickt; da sah ich die Kutsche, welche hier hereinlenkte.«
»August, Du bist kein übler Kerl! Hast Du schon eine Liebste?«
»Nein, Excellenz.«
»Na sieh, wenn ich einmal eine Tochter übrig habe, werde ich sie Dir anbieten. Und nun klettert los, Ihr Schlingels. Laßt Euch aber von Niemanden sehen.«
Während die vier Soldaten sich leise und möglichst geräuschlos emporschwangen, begaben sich die beiden Männer nach der Mairie. Sie fragten einen der anwesenden Unterbeamten nach dem Maire und wurden in das Zimmer gewiesen, in welchem sich derselbe befand. Er saß bei einer Arbeit, von welcher er nicht aufsah; er erwiderte den Gruß der Beiden mit einem kaum sichtbaren Kopfnicken und schrieb weiter.
Blücher hustete leise, da aber der Maire gar nicht darauf achtete, so fragte er Königsau leise:
»Was heißt Schafskopf oder Pinsel auf Französisch?«
»Benêt,« antwortete der Gefragte ebenso leise.
Blücher nickte befriedigt, trat einen Schritt auf den Maire zu und rief laut:
»Benêt, Doppel-benêt, dreifaches Benêt!«
Da fuhr der Maire wie von einer Otter gestochen von seinem Stuhle auf und fragte:
»Was ist das? Wer spricht da? Wer ist gemeint?«
Blücher legte ihm die Hand auf die Achsel und fragte:
»Können Sie Deutsch?«
»Ja,« nickte er stolz.
»Na, wenn ich das wußte, so hätte ich anstatt Benêt Einfaltspinsel gesagt.«
Da schob der Maire, welchem die Brille nach der Nasenspitze gerutscht war, dieselbe in die Höhe und blitzte den Marschall wüthend an. Er legte sich zu einer Strafrede aus.
»Monsieur,« begann er; »wie können Sie es wagen, hier in meiner – – –«
Er hielt plötzlich inne. Erst jetzt hatte er den Alten richtig angesehen. Seine Züge nahmen den Ausdruck des höchsten Schreckens an.
»Ah, mein Sohn, Du scheinst mich zu kennen?« sagte Blücher freundlich.
Da machte der Maire eine knietiefe Verbeugung und antwortete:
»Ich habe die ausgezeichnete Ehre. Was befehlen Excellenz?«
»Zunächst, mein Sohn, befehle ich Dir, in Zukunft nicht wieder ein Schafskopf zu sein. Man kommt zu Dir, um mit Dir zu reden, nicht aber, um sich Deine hintere Fronte abzumalen. Verstanden? Und sodann wollte ich wissen, ob Du vielleicht ein Bischen Zeit für mich hast.«
»Ich stehe stundenlang zur Verfügung,« antwortete der Gefragte.
»Stehe so lange wie Du willst; jetzt aber sollst Du einmal mit uns gehen.«
»Wohin?«
»Kennst Du einen Baron de Reillac?«
»Sehr wohl. Ich habe die Ehre, sein Schwager zu sein.«
»Sein Schwager? Hm! Woher kommt denn diese Bekanntschaft?«
»Seine Schwester ist meine Frau.«
»Alle Teufel, da brauche ich mich nicht zu wundern, daß Du vorhin ein so großer Schafskopf warst.«
Bisher hatte der Maire gethan, als ob er die Malicen des Alten gar nicht bemerke, jetzt aber stellte er sich einigermaßen in Positur und sagte:
»Excellenz vergessen wohl, daß ich Beamter bin!«
»Als ich Dich vorhin sitzen sah, vergaß ich es allerdings; da hielt ich Dich für einen Oelgötzen. Gut, daß Du mich daran erinnerst! Du bist doch der Maire?«
»Zu dienen.«
»Schön. Ziehe mal Deinen Gottfried an, setze den Hut auf, und komm mit.«
»Wohin?«
»Zu Deinem lieben Schwager.«
»In welcher Angelegenheit?«
»Das wird sich finden, mein Söhnchen.«
»Excellenz erlauben mir die Bemerkung, daß ich das wissen muß.«
»Und Du erlaubst mir die Bemerkung, daß Du das an Ort und Stelle erfahren wirst. Willst Du oder willst Du nicht?«
»Eigentlich brauche ich nicht mitzugehen.«
»So bleibe da, mein Sohn! Aber ich werde Dich holen lassen.«
»Ah! Durch wen?«
»O, ich habe da in und um Paris eine Viertelmillion blauer Jungens stecken; da thut mir ein Jeder gern den Gefallen, Dich beim Hinterbeine aus dem Stalle zu ziehen.«
»Wenn Excellenz drohen, so kann ich allerdings nicht widerstehen, mache aber – – –«
»Schon gut! Gehe mit; weiter brauchst Du nichts zu thun.«
Der Maire legte den Schreibärmel ab, zog den Ueberzieher an, griff zum Hute und erklärte sich bereit, die Herren zu begleiten. Draußen auf der Straße nahmen sie ihn in die Mitte und Blücher begann:
»Herr Bürgermeister, Sie haben vielleicht gehört, daß ich ein eigenthümlicher Querkopf bin. Im Guten geht Alles, im Schlimmen geht Nichts! Jetzt spreche ich zu Ihnen als den Vertreter der Polizei. Wir bedürfen Ihrer Hilfe.«
»In welcher Angelegenheit?«
»Man hat einer Mutter ihre Tochter entführt.«
»Ah, der Geliebte ist mit ihr durchgegangen?«
»Nein; die Sache liegt strafbarer: man hat sie förmlich geraubt.«
»Ah! Menschenraub? Das wäre schlimm! Wer ist das Mädchen?«
»Es ist Mademoiselle Richemonte.«
»Ah, vielleicht die Schwester des Capitän Richemonte?«
»Allerdings. Kennen Sie ihn?«
»Ich sah ihn einige Male bei meinem Schwager. Wann ist sie entführt worden?«
»Vor noch nicht einer halben Stunde.«
»Von wem?«
»Wir haben eben Ihren Schwager in Verdacht.«
Da blieb der Maire erschrocken stehen und sagte:
»Meinen Schwager? Den Baron?«
»Ja, den neugebackenen Baron.«
»Aber warum, Excellenz?«
»Weil er ein Halunke ist, dem man so eine Niederträchtigkeit zutrauen muß.«
»Excellenz verzeihen; ich darf unmöglich anhören, daß ein Verwandter von mir – – –«
»Papperlapapp! Ihre Verwandtschaft geht uns gar nichts an. Ihr Schwager will Mademoiselle mit Gewalt zu seiner Frau machen; sie liebt ihn nicht. Hier dieser Herr, ein junger Freund von mir und wackerer Officier, ist ihr Verlobter. Gestern Abend hat Ihr Schwager ihn meuchlings auf der Straße überfallen und zwei Kugeln auf ihn abgegeben. Der Mord gelang nicht; da hat der Baron sich entschlossen, das Mädchen zu rauben.«
»Unmöglich!«
»Schwatzen Sie keinen Unsinn! Wenn ich, der alte Blücher, es sage, so haben Sie es zu glauben, sonst soll Sie der Teufel holen! Er hat sich zu dieser Schlechtigkeit sogar meines eigenen Namens bedient und einen als deutscher Officier verkleideten Menschen zu der Dame geschickt, der sie angeblich zu mir zum Souper abholen sollte. Der Wagen ist nach der Wohnung des Barons gefahren.«
»Aber, Excellenz, wie ich meinen Schwager kenne, so ist er – – –«
»Ein Erzspitzbube, nicht wahr?« fiel Blücher ein. »Da stimme ich vollständig bei!«
»Ich wollte allerdings das Gegentheil sagen!«
»Damit haben Sie bei mir kein Glück.«
»Aber die ganze Geschichte klingt so fabelhaft, daß ich – – –«
»Herr!« donnerte ihn Blücher da an. »Glauben Sie, daß ich mit meinem Heere nach Frankreich gekommen bin und Paris eingenommen habe, nur um einem kleinen Maire eine Fabel zu erzählen? Was ich sage, das sage ich!«
»Aber, was wünschen Sie von mir?«
»Ihr Schwager wohnt in Ihrem Arondissement. Nicht wahr?«
»Allerdings.«
»Nun, wir wünschen, eine Haussuchung bei ihm zu halten.«
»Mein Gott, ist dies möglich?«
»Sogar sehr wirklich. Diese Haussuchung soll keine heimliche, sondern eine officielle sein.«
»Da soll ich mit helfen?«
»Natürlich. Ich respectire die Gesetze, Herr Maire.«
»Da muß ich Ihnen leider sagen, daß eine Haussuchung unmöglich ist.«
»Ah, warum?«
»An eine Haussuchung sind gewisse Vorbedingungen geknüpft, meine Herren, die – – –«
»Die hier vollständig vorhanden sind,« fiel Blücher ein.
»Im Gegentheile, im Gegentheile.«
»Was? Wie sagen Sie?« fragte Blücher. »Zu einer Haussuchung gehört nur Zweierlei.«
»O, mehr, vielmehr.«
»Papperlapapp! Zu einer Haussuchung gehört erstens ein Haus und sodann der, welcher es aussucht, pasta, abgemacht! Das Haus ist da, der Aussucher auch, ja es sind sogar deren mehrere da. Es giebt keinen Grund zur Ausrede für Sie.«
»Ich muß dennoch bei meinem Bescheide beharren, Messieurs.«
»So beharren Sie; uns wird das gar nicht stören. Aber Sie werden die Freundlichkeit haben, uns zu Ihrem lieben Herrn Schwager zu begleiten.«
»Eigentlich bin ich dazu viel zu sehr beschäftigt.«
»So arbeiten Sie eine Stunde länger, Monsieur. Wir Deutschen haben Ihretwegen manche Stunde arbeiten müssen. Wo ist das Haus, Lieutenant?«
»Hier, Excellenz!«
Sie waren natürlich nicht nach dem Gäßchen, sondern nach der vorderen Fronte der Straße gegangen. Die erste Etage des angedeuteten Hauses war nur theilweise erleuchtet. Der Marschall klingelte, und der Portier öffnete.
»Wohnt hier Baron Reillac?« fragte Königsau.
»Ja, Monsieur.«
»Ist er ausgegangen?«
»Nein.«
»Also daheim?«
»Ja.«
»Hat er Besuch?«
»Der Herr Capitän Richemonte scheint bei ihm zu sein.«
»Ah! Wer noch?«
»Weiter Niemand.«
»Da hören Sie es!« sagte der Maire mit befriedigter Miene.
»Was hören wir?« fragte Blücher, indem er den Maire die Treppe emporschob. »Denken Sie, wir sind so dumm wie Ihr Franzosen? Ihr meldet es wohl dem Portier, wenn Ihr ein Mädchen entführt und nach Hause schleppt? Gott segne Euren Verstand! Lieutenant, klingeln Sie. Man wird sehen, wo man Margot versteckt hat.«
Während Königsau mit Blücher gesprochen hatte und dann mit diesem nach der Mairie gegangen war, hatte Margot ihr Bewußtsein wieder erhalten.
Sie blickte umher und fand sich in einem ihr fremden Zimmer. Sie wußte nicht, wie sie hierher gekommen war, und wollte mit der Hand nach der Stirne greifen, wie man zuweilen thut, wenn man etwas überlegen will. Da merkte sie, daß sie gefesselt war, ja, daß man ihr sogar den Mund verbunden hatte. Und nun kam es plötzlich klar und hell über sie, wie sie hierher gekommen war. Es fiel ihr ein, daß eine Ordonnanz sie abgeholt hatte. Sie erinnerte sich des Parfums, welches sie eingeathmet hatte, und nun wurde sie von der Gewißheit durchschauert, daß sie das Opfer eines Betruges geworden sei.
Sie ließ ihr Auge im Zimmer umherschweifen; es war kein Mensch vorhanden. Wo befand sie sich? Es wurde ihr vor Angst siedend heiß im Innern.
Da hörte sie ein Geräusch hinter sich. Sie konnte den Kopf nicht bewegen, aber dies war auch nicht nöthig, denn der Betreffende trat gleich darauf vor sie hin.
Es war ihr Bruder.
Er verschränkte die Arme ineinander und blickte sie an. Sie schloß das Auge, um das Spiel seiner Mienen nicht ansehen zu müssen. Nach einer Weile stieß er ein kurzes, höhnisches Lachen aus und sagte:
»Das hat man davon, wenn man sich zur Geliebten eines Deutschen herabwürdigt!«
Sie konnte ihm nicht antworten. Er hatte große Lust mit ihr zu spielen, wie die Katze mit der Maus, darum trat er näher und schob ihr das Tuch ein wenig vom Munde fort.
Sie holte laut und tief Athem; diese reine Luft that ihr nach der Narkose außerordentlich wohl. Er bemerkte das und fuhr fort:
»Welch eine Luft! Nicht wahr? Nur meine Nähe verpestet sie!«
Sie hielt noch immer die Augen geschlossen. Sie wollte, bevor sie sich in ihrem Verhalten bestimmte, erst erfahren, welche Absicht er mit ihr habe.
»Wie schade, hier bei mir sein zu müssen, während Du glaubtest, bei Blücher und Deinem Soldaten speisen zu können.« Und tief höhnisch fügte er hinzu: »Welcher rühmt sich denn eigentlich des Glückes, Dich zu besitzen? Der Alte oder der Junge?«
Auch jetzt noch schwieg sie. Das ärgerte ihn, und darum sagte er:
»Doch das ist ja gleich. Du wirst von jetzt an das Eigenthum eines Anderen sein.«
Das half, denn sie öffnete jetzt die Augen und fragte:
»Wessen?«
»Das weißt Du nicht?«
»Nein.«
»Nun, des Barons!«
»Ah! Er hat mich rauben lassen, und Du hast ihm geholfen?«
»So ist es!«
»Mein Gott, ein Bruder!«
»Mein Gott, eine Schwester!« höhnte er.
»Weiß Mama, wo ich bin?«
Die Angst um die Mutter gab ihr diese Frage ein. Er lachte laut auf und antwortete:
»Sie? Es wissen? Hältst Du uns für wahnsinnig?«
»Sie wird es erfahren.«
»Gewiß, das wollen wir ja.«
»Wann?«
»Sobald es Dir beliebt.«
»Ich verstehe Dich nicht.«
»Du wirst mich sofort verstehen. Paß auf.«
In diesem Augenblicke neigte sich der Baron über die Lehne des Stuhles herüber und küßte sie auf den Mund. Sie hatte nicht gewußt, daß er hinter ihr gestanden hatte. Sie stieß einen lauten Hilferuf aus, da aber sagte ihr Bruder schnell:
»Halt! Keinen Laut! Sobald Du rufst, bekommst Du einen Knebel in den Mund; das wird Deine Lage keineswegs angenehmer machen.«
»Wer berührte mich jetzt?« fragte sie, zitternd vor Abscheu.
»Ich.«
Bei diesen Worten trat der Baron hervor, so daß sie ihn deutlich sehen konnte.
»Unverschämter!« zürnte sie.
»Zanken Sie immerhin!« lachte er. »Sie befinden sich in meiner Hand. Ich werde Sie jedenfalls zu zähmen wissen.«
»Nie, niemals.«
»Ah, Sie glauben es nicht?« fragte er. »Nun, so hören Sie, was Ihrer wartet. Ich liebe Sie, und Sie stoßen mich von sich. Ich habe Sie gebeten und Ihnen gedroht, Alles umsonst. Nun greife ich zu dem letzten, aber unfehlbaren Mittel: Sie werden heute die Meine werden, heute, noch diesen Abend. Sie werden es eine lange Zeit sein, bis es mir gefällt, Sie zu entlassen; Sie werden dann in Ehren keinem Anderen gehören können und mich kniefällig bitten, die Schande von Ihnen zu nehmen, indem ich Sie zur Baronin Reillac mache. Und das werde ich dann vielleicht thun, vielleicht auch nicht.«
»Teufel.«
»Ja, ich bin ein Teufel, und Sie sind ein Engel; es wird eine interessante Verbindung.«
»Nie! Niemals!« rief sie.
»Pah, Sie können nicht widerstehen!« lachte er.
»Gott wird mich schützen.«
»Glauben Sie das nicht, Gott hat mehr zu thun, als sich um die kleine Margot zu bekümmern. Sie werden heute so gut sein wie meine Frau.«
»Ich werde sterben,« hauchte sie.
»Es stirbt sich nicht so leicht und schnell. Meine Zärtlichkeiten werden Ihnen bald gefallen, und dann werden Sie recht gern leben.«
Sie war leichenblaß geworden. Sie blickte ihm ängstlich forschend in das Gesicht und sagte:
»Baron, das kann Ihre Absicht nicht sein.«
»O, gewiß doch.«
»Ich kann Sie nie lieben.«
»Sie werden es lernen.«
»Haben Sie Mitleid! Denken Sie an meinen Vater, dessen Freund Sie einst waren, und an meine arme Mutter, welche bereits so viel gelitten hat.«
»Ihr Vater ist todt, und Ihre Mutter geht mich jetzt nichts an. Als meine Schwiegermutter jedoch wird sie mir sehr angenehm und willkommen sein.«
»So denken Sie an Gott, der Alles sieht.«
»Wirklich?« lachte er. »Er wird eine interessante Liebesscene sehen.«
»Und der Alles bestraft.«
»Vor dieser Strafe fürchte ich mich nicht.«
Sie schauderte. Dieser Mensch war wirklich ein Teufel. Sie wendete sich an den Bruder:
»So erbarme Du Dich mein; Du bist ja doch der Bruder.«
»Unsinn!« antwortete er. »Hast Du Dich meiner erbarmt?«
»Albin,« sagte sie vorwurfsvoll; »Du weißt, daß Mama und ich im Stillen für Dich gearbeitet und gehungert haben.«
»Das ist Dir gut bekommen,« sagte er mitleidslos. »Wenn Du die Frau des Barons bist, quittirt er meine Schulden. Als gute Schwester würdest Du dies beherzigen und ihm aus freien Stücken Dein Jawort geben. Du stehst jetzt an der letzten Entscheidung. Ich frage Dich: Willst Du freiwillig seine Frau werden oder gezwungen?«
Sie sah, daß hier auf kein Mitleid zu rechnen war, und antwortete:
»Ich werde es weder freiwillig noch gezwungen sein. Gott wird mich beschützen.« Sie dachte an das, was Königsau ihr gestern erzählt hatte, als sie bei Blücher saßen.
Der Lieutenant war auf den Balkon gestiegen und hatte das Gespräch des Capitäns mit dem Baron belauscht. Wenn er auch nur abgerissene Sätze verstanden hatte, so war dies doch hinlänglich. Gestern war er über die Bedeutung des Gehörten noch nicht klar gewesen, heute aber konnte er nicht darüber im Zweifel sein.
Ganz sicher kam Königsau zu Margot's Mutter, um eine Einladung des Marschalls zu bringen, oder er brachte diesen Letzteren gleich mit. In beiden Fällen erfuhren sie, welcher Betrug stattgefunden hatte, und dann war es gewiß, daß sie die Verlorene bei dem Baron suchen würden. Es fragte sich nur, wo sie sich befand, ob in demselben Hause, an dessen Hinterseite sich die Veranda befand, oder in einem anderen. In dem letzteren Falle konnte ihre Hoffnung auf Errettung allerdings nur eine geringe sein.
»So hast Du also gewählt,« sagte Margots Bruder. »Baron, ich übergebe sie Ihnen. Thun Sie mit ihr, was Ihnen beliebt. Sie hat Alles nur sich selbst zuzuschreiben!«
»Albin!« sagte sie da. »Das wirst Du nicht thun. Du wirst mich nicht verlassen!«
»Papperlapapp!« antwortete er achselzuckend.
»Denke an den Vater!«
»O, er ist schuld, daß ich leichtsinnig geworden bin. Sein Andenken kann Deine Lage nicht im Geringsten verbessern!«
»Gott, was soll ich da noch sagen!« klagte sie. »Ihr seid keine Menschen!«
»O, wenigstens ich bin ein Mensch,« meinte der Baron. »Ich werde Ihnen beweisen, daß mein Herz sehr menschliche Regungen verspürt.«
Er näherte sich ihr, um sie zu küssen.
»Gehen Sie, gehen Sie, Ungeheuer!« rief sie.
Er spitzte dennoch den Mund. Sie konnte den Kopf nicht wenden; sie hatte kein anderes Mittel der Vertheidigung, sie spuckte ihm in das Gesicht.
»Da, Du Widerwärtiger!« rief sie. »Gebt mir nur wenigstens meine Glieder frei, damit ich mit Euch kämpfen kann.«
»Fällt mir nicht ein!« lachte der Baron, indem er sich das Gesicht abtrocknete. »Sie haben eine eigenthümliche Manier, Küsse zu empfangen. Ich werde Ihnen den Mund verbinden, um Wiederholungen zu vermeiden.«
Er schob ihr das Tuch wieder auf den Mund. Dadurch wurde der Hals frei, welcher alabasterweiß und verlockend aus dem dunklen Kleide hervorleuchtete. Hierher richtete jetzt der Baron seine Küsse. Er sah, daß der ganze Körper des schönen Mädchens unter diesen Berührungen zusammenzuckte; aber die herrlichen Formen, welche da vor ihm lagen, erweckten seine Gluth, so daß er zu Richemonte sagte:
»Also jetzt ist sie mein?«
»Sie geloben Stillschweigen?«
»Gewiß.«
»Nun gut, so werde ich Ihnen jetzt eins Ihrer Accepte zurückgeben.«
»Nur eins?«
»Nach der Hochzeit die andern.«
»Aber wenn es zu keiner Hochzeit kommt?«
»O, sie wird jedenfalls einwilligen.«
»Ich meine, wenn Sie es sind, der von der Verbindung absieht.«
»Ich? Das ist unmöglich.«
»O, man kennt Beispiele, daß die leidenschaftlichste Liebe nach der Erhörung erkaltet!«
»Nun, in diesem Falle werde ich mich so gegen Sie verhalten, als ob Ihre Schwester meine Frau geworden sei.«
»Dann her mit dem Accepte!«
»Ich habe es im Schreibtische. Kommen Sie. Wir wollen erst Margot in Sicherheit bringen.«
»Wohin?«
»Ich habe da in der Nähe ein außerordentlich bequemes Tapetenzimmer, dessen Thür kein Uneingeweihter zu finden vermag. Dort ist sie so sicher wie in Abrahams Schooß.«
»So machen Sie, ich möchte am Liebsten fort von hier.«
»Gut, vorwärts.«
Er öffnete die Thür zum Nebenzimmer. Die gegenüberliegende Thür desselben stand auf. Es war derselbe Raum, in welchem gestern die Beiden beisammen gewesen waren. Draußen auf der Decke der Veranda lagen die vier pommerschen Grenadiere. Es war ihnen gelungen, ganz unbemerkt heraufzukommen. Nun hatten sie schon eine geraume Zeit gewartet, aber nichts sehen oder hören können.
»Verdammt langweilig!« flüsterte der Eine.
»Wie auf Vorposten!« sagte der Andere.
»Haltet das Maul!« meinte August. »Wir haben aufzupassen.«
»Auf was denn?«
»Auf das Mädchen.«
»Wo ist es denn?«
»Da drin natürlich.«
»Besser wärs, wir hätten es hier außen.«
»Unsinn! Ich mag keine Französin.«
»Warum nicht?«
»Am Dienstag verliebte ich mich in eine.«
»Ah! Und sie?«
»Sie verliebte sich in mich. Ich führte sie nach Hause.«
»Gratulire.«
»Halte das Maul! Als ich am Mittwoch zu ihr kam, saß ein Anderer bei ihr.«
»Der auch ihr Liebster war?«
»Natürlich. Er war ein Eckensteher.«
»Pfui Teufel!«
»Am Donnerstag beluxte sie wieder mich.«
»Das war dumm.«
»Am Freitag nahm sie abermals einen Anderen mit nach Hause.«
»Was war er?«
»Lumpensammler.«
»Pfui Teufel!«
»Und am Sonnabend, da – – –«
»Da beluxte sie zur Abwechslung wieder Dich?«
»Beinahe, denn sie war hübsch, aber – hört Ihr da drinn nicht Leute reden?«
»Ja.«
Die vier Soldaten horchten.
»Jetzt war's, als ob ein Frauenzimmer gerufen hätte,« meinte August Liebmann.
»Das wird sie sein.«
»Wollen wir hinein?« fragte Einer.
»Nein. Ihr wißt, daß Ihr mir Subordination zu leisten habt,« sagte August. »Blücher hat die Angelegenheit ganz in meine Hände gelegt. Sogar das Stichwort bin ich selber. Halt, da ist ja Licht!«
Drinnen wurde die Thür geöffnet und dann die zweite. Die beiden Männer brachten Margot in das Zimmer, vor dessen Fenster die Vier lagen.
»Um Gotteswillen, laßt Euch nicht sehen,« sagte August. »Aber paßt genau auf!«
Und nun flüsterten sich die Soldaten alle Bemerkungen zu, welche sie machten.
»Sie ist an den Stuhl gebunden.«
»Und vor dem Munde hat sie einen Knebel!«
»Donnerwetter, muß die hübsch sein.«
»Ja, wenn die verdammten Tücher nicht wären.«
»Wer aber mögen die beiden Kerls sein?«
»Hört, mir kommt eine Ahnung!« meinte August.
»Welche?«
»Ob das nicht die beiden Halunken sind, welche gestern nach Lieutenant Königsau geschossen haben?«
»Du, das wäre möglich.«
»Und das Mädchen ist Die, welche dann zu Blücher kam, wo mir der Alte den Ausdruck Frauenzimmer so um die Nase rieb.«
»Weißt Du es genau?«
»Jetzt sehe ich es deutlich. Wir haben sie ja mit nach Hause geführt.«
»Sapperlot, was machen sie mit ihr? Das sieht grade aus, als ob sie mit ihr und dem Stuhle durch die Wand rennen wollten.«
»Das thun sie auch. Guckt, eine Tapetenthür. Habt Ihrs gesehen, wie man sie öffnet?«
»Ich,« sagte August stolz.
»Wie denn? Ich habe nichts gesehen; es ging mir zu rasch.«
»Dir habe ich's nicht zu melden, sondern Blüchern.«
Der Baron war mit dem Capitän in dem Tapetenzimmer verschwunden, doch kamen die Beiden sehr bald zurück. Sie gingen mit einander wieder nach der Bibliothek. Dort öffnete der Baron den Schreibtisch, zog ein verborgenes Fach heraus und entnahm demselben einen Wechsel.
»Hier!« sagte er.
Der Capitän griff hastig darnach, überlas ihn und riß ihn dann in Stücke, welche er vorsichtig in seine Tasche steckte. Da wurde draußen die Glocke gezogen.
»Wer mag das sein?« meinte der Baron.
»Vielleicht Ihr Kammerdiener.«
»Möglich. Warten Sie; ich werde öffnen.«
Er durcheilte die vorderen Zimmer bis zum Vorsaale, dessen Thür er entriegelte. Anstatt seines Dieners erkannte er den Maire. Die beiden Andern standen etwas seitwärts, so daß er sie noch nicht sehen konnte.
»Ah, Du?« fragte er. »Was führt Dich zu so ungewöhnlicher Zeit zu mir?«
»Ich habe Dir diese beiden Herren vorzustellen,« antwortete der Beamte.
»Wen?«
Er trat bei diesem Worte vollständig auf den Vorsaal hinaus und erkannte nun allerdings zu seinem augenblicklichen Schrecken, wen er vor sich habe.
»Baron Reillac?« fragte Blücher kurz und gebieterisch.
»Zu dienen!«
»Herr Richemonte bei Ihnen?«
»Ja,« antwortete der Gefragte zögernd.
»Weiter Niemand?«
»Nein.«
»Wollen sehen.«
Er machte Miene, einzutreten, da aber stellte sich ihm der Baron in den Weg.
»Bitte, mein Herr,« sagte er. »Bei mir ist jetzt nicht Besuchsstunde.«
»Aber bei mir, alter Junge!« sagte der Marschall, indem er ihn einfach zur Seite schob und eintrat. »Ueberhaupt wirst Du gleich erfahren, was die Stunde ist!«
Der Baron sah sich überrumpelt; er mußte nun auch die beiden Andern eintreten lassen. Er war außerordentlich froh, Margot bereits in das verborgene Zimmer gebracht zu haben. Wären diese Kerls eher gekommen, so hätten sie ihn mit ihr überrascht.
Was aber wollten sie bei ihm? Suchten sie nach Margot? Vermutheten sie sie bei ihm?
»Wo ist dieser Richemonte?« fragte Blücher.
»In meiner Bibliothek,« antwortete der Baron.
»Gehen wir also dorthin. Führen Sie uns.«
Als sie in die Bibliothek traten, war Richemonte nicht weniger bestürzt, als vorher sein Verbündeter. Man konnte ihm seinen Schreck zwar nicht anmerken; dazu besaß er zu viel Selbstbeherrschung, aber im Stillen sagte er sich, daß jetzt eine schlimme Stunde kommen werde und daß nur die größte Unverfrorenheit im Stande sei, darüber hinwegzuhelfen.
»Capitän Richemonte, Excellenz, Feldmarschall von –«
Diese Namen nannte der Baron, um die Herren einander vorzustellen. Blücher jedoch fiel ihm schnell in die Rede:
»Schon gut! Geben Sie sich keine Mühe. Brauche den Namen nicht zu hören, denn ich kenne diese Sorte schon! Der Herr Lieutenant von Königsau kennt Sie Beide auch genau. Wozu also solcher Wippchen! Wo haben Sie Mademoiselle Margot?«
Man sieht, der alte Marschall Vorwärts sprang mit seiner Frage gleich mitten in den Feind hinein. Sie war an ihren Bruder gerichtet.
»Jedenfalls zu Hause,« antwortete dieser.
»Ah, zu Hause, hm!« meinte der Alte, indem er sich im Zimmer umblickte.
»Excellenz,« meinte da Königsau. »Riechen Sie nichts?«
Blücher schnüpperte die Luft ein und sagte:
»Hm, ein verfluchter Geruch! Grad wie Schwefeläther! Lieutenant, ich glaube, sie ist betäubt worden.«
»Wenn es ihr im Geringsten geschadet hat,« sagte dieser, »so gnade ihnen Gott!«
»Natürlich! Also Baron Reillac, wo haben Sie Mademoiselle Margot?«
»Excellenz,« antwortete der Gefragte, »ich weiß wirklich nicht, wie ich dazu komme, nach einer Dame gefragt zu werden, über welche Lieutenant Königsau jedenfalls die beste Auskunft zu geben weiß.«
»Ja, das thut er auch,« meinte Blücher.
»Nun, warum die Frage an mich?«
»Weil der Lieutenant behauptet, die Dame befinde sich bei Ihnen.«
»Ah,« lächelte der Baron, »ich habe noch nie die Ehre gehabt, Mademoiselle bei mir zu sehen.«
»Also auch heute nicht?«
»Natürlich nicht.«
»Dürfen wir uns überzeugen?«
»Das heißt, Sie zweifeln an der Wahrheit meiner Versicherung?«
»Ja.«
»Sie halten mich für einen Lügner?«
»Ja.«
»Ah, welche Beleidigung! Bei mir haben nur Leute Zutritt, welche höflich aufzutreten wissen. Ich ersuche Sie, mich zu verlassen, und zwar sofort. Am Allerwenigsten aber kann es mir einfallen, solchen Menschen zu erlauben, meine Räume zu durchsuchen.«
Da trat der Alte auf ihn zu und rief:
»Was, Du Wechselbalg! »Solche Menschen« nennst Du uns? Da schlage doch der helle, lichte Teufel hinein! Hier hast Du Etwas, um zu sehen, wie höflich ich sein kann! Und hier, hier, hier und hier!«
Er holte mit aller Force aus und schlug dem Baron bei jedem »Hier« die Rechte in das Gesicht, daß es klang, als ob er ihm den Kopf zerschlagen wolle. Da trat der Maire hinzu und rief:
»Excellenz, um Gotteswillen!«
Der Capitän machte Miene, sich zu betheiligen; da aber zog Königsau seine beiden Pistolen heraus und rief:
»Halt! Wer Excellenz anrührt, den schieße ich nieder.«
Da trat der Capitän erschrocken zurück.
Der Baron war von den Ohrfeigen so überrascht worden, daß er an eine Gegenwehr zunächst gar nicht denken konnte; als aber Blücher von ihm abließ, da zog ihm der Grimm und die Bestürzung die Hand empor. Es hatte ganz das Aussehen, als ob er die Ohrfeigen erwidern wolle. Da aber funkelte auch bereits Blüchers Pistolenlauf ihm vor dem Gesichte.
»Nieder mit der Hand, Halunke!« gebot der Alte.
Der Baron ließ den Arm sinken; er sah es Blüchern an, daß er im nächsten Augenblicke losdrücken werde.
»Aber, Messieurs, so ein Auftritt!« sagte der Maire. »Excellenz, ich muß mir wirklich die allerdings sehr höfliche Bemerkung erlauben, daß ich's wunderbar finde – – –«
»Pah!« unterbrach ihn der Alte. »Ich finde hier gar nichts Wunderbares. Der Andere hat seine Keile von dem Lieutenant bekommen, nun erhält sie Der da von mir. Es giebt Subjectersch, welchen man nur mit Ohrfeigen antworten kann.«
»O, Excellenz tragen außerdem noch Pistolen in der Hand.«
»Ja, aus Vorsicht! Gestern Abend hat der Eine von diesen Beiden zweimal auf den Lieutenant geschossen, während ihm der Andere dazu geleuchtet hat. Bei solchen Leuten muß man sich vorsehen.«
»Welche Verleumdung!« rief der Baron.
»Welche Lüge!« erwiderte der Capitän.
Blücher sah sie gar nicht an. Er sagte zu dem Maire:
»Sie sehen, daß hier nicht einmal Ohrfeigen mehr fruchten. Diese Sorte Apfel ist bereits so tief hinein faul, daß sie stinkt; ihr ist nicht mehr zu helfen. Und weil es ihnen gestern nicht gelang, den Bräutigam zu tödten, so haben sie sich heute der Braut bemächtigt. Aber wir werden sie finden.«
Da nahm sich der Baron zusammen. Er wendete sich an den Maire:
»Du bist Beamter, wenn Du uns nicht beschützen kannst, so werde ich Beschwerde erheben. Wenn diese Leute mein Haus nicht verlassen, so werde ich mich doch so weit zurückziehen, daß ich gegen Insulten geschützt bleibe, für welche ich mir allerdings Genugthuung geben lassen werde. Kommen Sie, Capitän.«
Er wendete sich zum Gehen, dies lag aber ganz und gar nicht in Blüchers Absicht. Dieser erhob vielmehr die Pistole und sagte:
»Ohne meine ausdrückliche Erlaubniß zieht sich hier Niemand zurück.«
»Excellenz!« rief da der Maire. »Das geht zu weit.«
»Unsinn! Ich weiß gar wohl, was ich darf,« meinte der Alte. »Es ahnt mir im Gegentheile, daß ich heut noch viel weiter gehen werde.«
»Das heißt, Sie wollen die Durchsuchung des Hauses erzwingen?«
»Ja.«
»Selbst mit bewaffneter Hand?«
»Wie Sie sehen.«
»Ich lege Widerspruch ein!«
»Hilft nichts.«
»Ich mache Excellenz auf alle Folgen aufmerksam.«
»Ist nicht nöthig.«
»Gut, so wasche ich meine Hände in Unschuld.«
»Meinetwegen in Syrup oder Buttermilch! Kann es losgehen?«
»Da Sie mich in dieser Weise zwingen, so muß ich mich allerdings fügen. Ich erkläre also als oberster Beamter dieses Arrondissements, daß Seine Excellenz der Feldmarschall von Blücher behaupten, es sei in diesem Hause eine junge Dame versteckt, welche man unter Anwendung von List und Gewalt entführt hat. Ich werde also jetzt alle Räumlichkeiten nach der Verschwundenen durchsuchen, weise jedoch alle Consequenzen von mir ab.«
»Ich werde sie zu tragen wissen,« sagte Blücher.
»Gut! Führt uns!« meinte der Maire zu dem Baron.
»Mich wird man wohl von der Theilnahme an dieser Entdeckungsreise gnädigst dispensiren,« meinte der Capitän höhnisch.
Der Maire warf einen fragenden Blick auf Blücher. Dieser antwortete:
»Hat da zu bleiben und mit uns zu gehen! Lieutenant, lassen Sie diese beiden Kerle nicht aus den Augen.«
Jetzt begann die Durchsuchung des Hauses, soweit es von dem Baron bewohnt wurde. Sie wurde mit allem Nachdrucke und aller Aufmerksamkeit geführt, lieferte aber nicht das geringste Resultat. Als man nach der Bibliothek zurückkehrte, hatte sich nicht die mindeste Spur der Gesuchten gefunden.
Der Baron und der Capitän warfen einander triumphirende Blicke zu.
»Ich werde Genugthuung fordern!« drohte der Erstere.
»Ich ebenso,« stimmte der Letztere bei.
Der Maire zuckte die Achsel.
»Ich kann leider nicht davon abrathen,« sagte er. »Ich selbst bin in der Art vergewaltigt worden, daß ich den Weg des Rechtes betreten werde, um meine geschändete Amtsehre reinigen zu lassen. Uebrigens habe ich nun die Verpflichtung, darauf aufmerksam zu machen, daß der Herr Baron jetzt unbedingt fordern kann, daß die beiden deutschen Herren sein Haus verlassen.«
»Ich fordere es sofort und unbedingt!« sagte Reillac.
Blücher lachte. Er wendete sich an Königsau:
»Schau, mein Junge, wie ihnen der Kamm schwillt! Wollen doch einmal sehen, ob sie nicht doch noch zu Kreuze kriechen. Komm!«
Er machte Miene, nochmals in die bereits durchsuchten hinteren Zimmer zu treten, da aber rief der Baron:
»Halt! Jetzt ist meine Geduld zu Ende. Hier herein tritt man nicht.«
»Mache Dich nicht mausig, Kerl!« antwortete der Alte. »Jetzt kommt Ihr Alle noch einmal mit, sonst soll Euch der Donner krachen.«
»Excellenz!« meinte der Maire.
»Halte das Maul! Vorwärts! Alle dahinein, sonst schieße ich!«
Sie gehorchten und mußten ihm bis in das Zimmer folgen, vor welchem die Soldaten lagen. Blücher wendete sich nochmals an den Maire:
»Sie behaupten also, daß die Gesuchte sich nicht in diesem Hause befindet?«
»Ich kann es beschwören.«
»Gut. Ich habe auch nichts gesehen; aber oft hat der Teufel sein Spiel, und ich will doch erst einmal mit Leuten reden, welche gescheidter zu sein pflegen als ein französischer Maire von Paris. August, herein!«
Er wirbelte bei diesem Worte das Fenster auf.
Da commandirte August draußen:
»Ganzes Bataillon marsch!«
Die vier Grenadiere sprangen herein. Der Maire erstaunte; die beiden Anderen aber erschraken. Befanden diese Soldaten sich bereits längere Zeit da draußen auf der Veranda, so war das Geheimniß verrathen.
Der Capitän suchte unbemerkt wieder in die Nähe der Thür zu kommen. Es gelang ihm nicht, denn das Pistol Königsau's richtete sich sofort nach seinem Kopfe.
»Halt! zurück!«
»Ah!« meinte Blücher. »Die Kerls wollen echappiren? Das mögen sie bleiben lassen, sonst fahren sie in den Sack. Vorwärts! Alle Drei in diese Ecke!«
»Ah, ich auch mit?« fragte der Maire.
»Ja freilich! Habe ich Paris belagert und erobert, so kann ich schon einmal drei so sanfte Kröten in Belagerungszustand erklären. Vorwärts!«
Er reckte auch seine Pistole vor, und da zog sich dann der Maire mit den beiden Anderen in die Ecke zurück, aus der sie nicht zu entweichen vermochten. Nun wendete sich Blücher an die Grenadiere:
»Das Fenster zu, Kinder, und drei von Euch an die Thür. Werden diese drei Messieurs schon festhalten. Und nun, mein lieber August, hast Du aufgepaßt?«
Liebmann nickte wichtig und antwortete:
»Ich hab sie, Excellenz.«
»Wen?«
»Die Mademoiselle, welche kein Frauenzimmer ist.«
»Donnerwetter! Ist's wahr?«
»Ja.«
»Wo hast Du sie?«
»Dort!«
Er zeigte mit der Hand nach der Tapetenthür.
»Dort? Da ist ja die Wand.«
»Ja, aber dahinter!«
»Alle Teufel! Eine Tapetenthür, vielleicht?«
»Ja.«
»Wie geht sie auf?«
»Da im Fußboden ist ein Ast. Man bückt sich und drückt darauf.«
»Kerl, woher weißt Du das?«
»Habe genau aufgepaßt,« schmunzelte der Grenadier.
»Mensch, Freund, Erretter, August, wenn sich Deine Worte bewahrheiten, so bist Du ein Kerl, den man eigentlich in Gold fassen sollte!«
Er sah den scheinbaren Ast, welchen Liebmann meinte, und drückte mit dem Daumen darauf. Sofort sprang die Tapetenthür auf und das Zimmer war zu sehen. Es war finster darin; das Licht aus der Stube hier durfte man nicht geben, darum gebot Blücher dem Grenadier, die Lampe aus der Studierstube zu holen. Dies geschah, und nun trat Königsau in das Tapetenzimmer, während die Anderen die Gefangenen nicht aus den Augen ließen. Er ließ einen Ruf des Entsetzens hören.
»O Gott, Margot, meine Margot!«
»Was ist's?« fragte Blücher draußen.
»Sie ist gefesselt, an den Stuhl gebunden. Auch geknebelt ist sie.«
»Alle Teufel, da fällt jede Rücksicht weg! August!«
»Excellenz?«
»Reißt einmal hier die Gardinen auseinander, damit wir Stricke bekommen, und bindet mir diese beiden Menschen fest, so fest wie Ihr könnt, und wenn ihnen das Blut aus den Nägeln spritzt!«
Das war Wasser auf die Mühle der Grenadiere. Im Nu waren die Gardinen in Stricke verwandelt. Der Baron und der Capitän wollten sich wehren, aber sie waren den Pommern nicht gewachsen. Sie wurden zusammengeschnürt.
»Nun komm, Bursche, und siehe Dir einmal die Bescheerung an!« gebot Blücher dem Maire, welcher kein Wort mehr zu sagen wagte.
Er gehorchte. Als die Beiden hinaustraten, sahen sie Margot noch immer auf dem Stuhle fest gebunden. Aber den Knebel hatte Königsau entfernt, und nun hingen die beiden Liebenden einander an den Lippen, während er sie und den Stuhl umschlungen hielt.
»Endlich, endlich!« sagte er. »Welche Angst habe ich ausgestanden!«
»O, ich noch viel mehr!« flüsterte sie, ganz müde vor Glück. »Ich hörte Euch suchen.«
»Du hörtest es?«
»Ja, ich verstand sogar jedes Wort, welches gesprochen wurde.«
»Und dann gingen wir wieder, nicht wahr?«
»Ja. Ihr gingt fort, und da gab ich Alles verloren!«
»Du Allerärmste, was mußt Du ausgestanden haben!«
»Aber dann, dann kamt Ihr wieder,« lächelte sie.
»Und Du hörtest, daß die geheime Thür entdeckt worden war?«
»Ja, und da, da war nun Alles gut.«
»O nein, es ist noch nicht Alles gut!« meinte da der Marschall. »Es giebt noch sehr viel zu thun. Aber Lieutenant, Junge, willst Du sie denn nicht endlich losbinden?«
Diese Beiden waren durch das Wiedersehen so beglückt, daß sie gar nicht an die Bande gedacht hatten, welche Margot noch immer an den Stuhl fesselten. Sie wurden nun gelößt. Sobald sie sich erheben konnte, flog sie auf Blücher zu, drückte seine Hand an ihre Lippen und sagte:
»Excellenz, das habe ich Ihnen zu verdanken!«
»Daß Du entführt wurdest, Mädel?« fragte er lächelnd.
»O nein, sondern daß ich befreit wurde!«
»Da irrst Du Dich bedeutend, meine Goldtochter. Das hat Alles hier Dein Schatz gethan. Ich hätte den Teufel gewußt, wo Du zu suchen bist; er aber hatte es geahnt.«
»Aber er hätte mich doch nicht befreit. Wer hätte auf ihn gehört?«
»Ach, Du meinst den Nachdruck, welchen es giebt, wenn der alte Blücher Etwas will? Nun ja! Aber der Lieutenant hätte Dich ganz allein geholt. Er wäre mit dem Kopfe durch alle Wände gefahren. Nun aber erzähle vor allen Dingen, wie man es angefangen hat, Dich in diese Klemme zu bringen!«
Sie erzählte den ganzen Vorgang von Anfang bis zum Ende. Sie sprach dabei so laut, daß Alle es hören konnten, auch die beiden Gefangenen, welche gefesselt draußen auf der Diele lagen. Wie mußte diesen jetzt zu Muthe sein!
Sie verhehlte auch nicht, daß sie geküßt worden war. Das aber brachte den Alten fürchterlich in Harnisch.
»Was? Geküßt hat er Dich?« fragte er.
»Ja.«
»Wohin?«
»Einmal auf den Mund.«
»Und dann?«
»Hierher.«
Sie deutete dabei nach der Stelle des Halses, welche von seinen Lippen getroffen worden war.
»Ach, das soll ihm schlecht bekommen! Unsere Margot zu küssen! Heda, Königsau, sinne Dir eine Strafe aus! Mir fällt nicht gleich eine ein!«
»Ich könnte ihn erdrosseln!« knirschte der Lieutenant.
»Gut, erdrosseln wir sie ein Wenig!« rief Blücher. »Sie haben es verdient.«
Da wagte der Maire denn doch eine Bemerkung:
»Excellenz wollen bedenken, daß nur das Gesetz die Strafe übernehmen kann!«
Blücher warf ihm einen zornigen Blick zu und antwortete:
»Behalte Er seine Weisheit für sich, Er Dummrian! Vorhin war auch nur das Gesetz berechtigt, die Haussuchung vorzunehmen. Was aber hat denn Er Mann des Gesetzes gefunden, he? Ich wäre der größte Esel Frankreichs – und die sind doch groß genug – wenn ich es mir einfallen lassen könnte, diese beiden Kerls Eueren Gesetzen zu übergeben. Da erhielten sie wohl gar noch eine Prämie für ihre Schlechtigkeit!«
Der Maire schwieg, aber ein anderer Fürsprecher trat auf, oder vielmehr eine Fürsprecherin – Margot selbst.
»Excellenz, lassen Sie es gut sein!« bat sie.
»Ja, er ist Dein Bruder und so weiter, grad wie schon früher; nicht wahr?«
»Allerdings.«
»Das gilt heut nichts mehr. Auf das, was sie gethan haben, steht Todesstrafe.«
»Um Gotteswillen, Excellenz!«
Sie bat und flehte, aber er ließ sich lange nicht erweichen. Königsau verhielt sich dabei ganz passiv. Er gönnte den Beiden jede Strafe und wollte doch der Geliebten nicht widersprechen. Endlich meinte Blücher:
»Straflos ausgehen können sie unmöglich. Sie haben nicht blos Dich entführt. Sie haben auf einen deutschen Officier geschossen und heut mich beleidigt. Sie haben zweimal den Tod verdient. Es kostet mich ein Wort, so hängen sie morgen am Galgen. Aber ich will Dich nicht so sehr betrüben. Das Leben soll ihnen geschenkt sein.«
»Aber nicht die Freiheit?« fragte sie.
»Werde es mir überlegen!«
Sie begann von Neuem zu bitten, bis er endlich losbrach:
»Hole Dich der Teufel, Goldkind! Dir kann man nichts abschlagen. Ich will ihnen auch die Freiheit schenken, aber wenn Du nun noch ein Wort sagst, so rechne ich Alles zurück und lasse sie noch heut Abend aufhängen!«
Jetzt glaubte sie, genug erreicht zu haben, und ließ mit Bitten ab. Blücher nickte dem Lieutenant heimlich zu, zum Zeichen, daß es ihm gar nicht einfalle, sie ganz straflos zu lassen. Dann sagte er:
»Was wir hier noch zu thun haben, ist für eine Dame zu langweilig. Protokolls aufnehmen und Acten schreiben gewährt keine Unterhaltung. Ich denke, Königsau, Du führst Margot nach Hause, und ich komme nach, sobald ich fertig bin.«
»In die Wohnung von Excellenz?«
»Nein, zur Mutter. Die muß ich heute auch noch sehen.«
Das ließ sich der Lieutenant nicht zweimal sagen. Er nahm den Arm der Geliebten unter den seinigen und ging, nicht aber, ohne daß sie sich vorher herzlich bei den braven Pommern bedankt hätte.
Jetzt nun sollte das Verhör beginnen. Blücher machte seine Sache kurz.
»Acten schreiben und Protocolle verfassen werde ich nicht,« meinte er. »Ich wollte damit nur Mademoiselle zum Fortgehen bewegen. Ihr beiden Halunken werdet gehört haben, daß ich Euch das Leben und auch die Freiheit schenke. Ich thue das aber nur unter der Bedingung, daß Ihr mir zwei Fragen beantwortet; sonst verspreche ich Euch bei meiner Ehre, daß Ihr morgen dennoch gehenkt werdet.«
Die beiden Delinquenten nahmen sich vor, wenn es halbwegs möglich sei, die Fragen zu beantworten.
»Wer war der Kerl, welcher den Officier gespielt hat?« fragte Blücher.
»Ein Schauspieler, der Sohn meines Kammerdieners,« antwortete der Baron.
»Und wer war der Kutscher?«
»Mein Kammerdiener.«
»Ah, wo ist er?«
»Er muß daheim sein. Ich hörte ihn während der Haussuchung kommen. Der Portier wird ihm gesagt haben, wer sich bei mir befindet.«
»Ah, und da fürchtet er sich?«
»Wahrscheinlich.«
»So werde ich ihn citiren.«
Blücher ging in die Bibliothek, in welcher er einen Glockenzug bemerkt hatte, und gab das Zeichen. In kurzer Zeit klingelte es am Vorsaale, welcher verschlossen war. Der Marschall öffnete. Ein langer Mann stand da, in Livrée gekleidet.
»Wer bist Du?« fragte Blücher.
»Der Kammerdiener,« antwortete der Mann.
»Gut, Dein Herr hat längst auf Dich gewartet. Wo ist Dein Sohn?«
»Unten beim Portier. Er wollte sich noch nicht von mir trennen.«
»Hole ihn herauf, mein Sohn. Der Baron braucht Euch nothwendig.«
In Zeit von einer Minute kam der Schauspieler, jetzt natürlich in Civil gekleidet. Blücher nahm die Beiden in Empfang und brachte sie in das Verhörzimmer.
»Ist das Dein Kammerdiener?« fragte er den Baron.
»Ja,« antwortete dieser.
»Und der Andere ist dessen Sohn?«
»Ja.«
»Nun gut, so will ich mein Urtheil sprechen.«
Erst jetzt merkte der Kammerdiener, in welche Falle er gegangen war. Er blickte sich nach der Thür um, sah aber, daß an ein Entkommen gar nicht zu denken war.
Blücher wendete sich an seine Grenadiere und sagte:
»Ihr habt Eure Sache sehr brav gemacht, und darum will ich Euch eine Erholung gönnen. Wüßte ich nur, wo recht hübsche Rüthchen und Schwibbchen zu finden sind!«
Das war allerdings eine sehr freudige Ueberraschung für die Grenadiere. August trat sogleich vor und sagte, indem sein ganzes Gesicht schmunzelte:
»Mit Verlaub, Excellenz, sollte in dieser Wirthschaft sich nicht ein biegsames Spazierröhrchen finden, mit einigen hübschen Knötchen drin?«
»Sapperlot, ja, Du hast Recht. Suche einmal nach, mein Junge!«
Das ließ sich August nicht zweimal sagen. In kurzer Zeit hatte er alle Spazierstöcke des Barons beisammen.
»Wird es gehen, August?« fragte der Alte.
»Sehr gut! Besonders hier die drei Bambusse!«
»Schön! Wollen wir anfangen. Da ist zunächst ein Kammerdiener, welcher bei Entführungen den Kutscher macht und seinen eigenen Sohn zu solchen Dingen verführt. Er soll sechzig haben, und zwar aus dem ff. Bindet ihn, und knüpft ihm auch den Mund zu, denn sein Winseln mag ich nicht hören.«
Der Kammerdiener wurde von den Grenadieren gebunden und geknebelt. Als er die Sechzig erhalten hatte, kam sein Sohn an die Reihe.
»Dieser hat sich für meine Ordonnanz ausgegeben. Der Kerl hat Anlage zum größten Schwindler. Er bekommt hundert.«
So geschah es auch. Das Blut der Beiden schwamm auf dem Fußboden.
Jetzt stieß Blücher mit dem Stiefel an den Capitän.
»Der ist schon gebunden. Wir wollen ihm den Mund nicht verschließen, denn ich will einmal sehen, ob ein Capitän der alten Garde zu schweigen versteht. Er hat seine eigene Schwester verkauft und auf einen preußischen Officier geschossen. Er erhält zweihundert, aber so, daß er gleich liegen bleibt. Dann sind wir wenigstens sicher, daß er binnen der ersten Zeit nicht daran denken kann, neue Schlechtigkeiten auszuhecken. Fangt an, Burschens!«
Zweihundert Hiebe sind für jeden Menschen eine böse Strafe, für einen Officier aber geradezu eine fürchterliche. Der Capitän hielt sie aus, ohne einen Laut auszustoßen. Als man mit ihm fertig war, sah man seine Lippen zerbissen und seine Augen ganz blutig geröthet. Er sprach kein Wort, aber sein Blick war mit dem Ausdrucke teuflischer Rache auf den Marschall gerichtet.
Jetzt nun war an dem Baron die Reihe.
»Dieser hat ein Mädchen entführt und auf einen Officier geschossen,« entschied Blücher. »Er erhält auch zweihundert. Und für die Küsse, welche er gegeben hat, soll er ein Gegengeschenk von fünfzig Hieben außerdem haben. Schont ihn nicht, Jungens!«
Der Maire hatte bisher geschwiegen. Jetzt, da es sich um seinen Schwager handelte, glaubte er sich desselben annehmen zu müssen. Er sagte:
»Excellenz gestatten die Frage, ob diese Fälle auch in Ihrer Competenz liegen.«
»Nein, nicht in meiner Competenz, sondern hier auf dem Fußboden liegen die Kerls mit all ihren Fällen und Hieben. Wenn Sie den Mund nicht halten, werde ich Ihnen jedoch beweisen, daß meine Competenz sich sogar über die Mairie dieses Arrondissements erstreckt. Meine Jungens sind einmal im Zuge, Monsieur.«
Dem Baron wurde der Mund verbunden; ihm war die Selbstüberwindung des Capitäns nicht zuzutrauen. Er erhielt die ihm zugesprochenen zweihundertfünfzig Streiche ohne allen Abzug, und dann war das Tagewerk der Grenadiere vollbracht.
»So, jetzt können wir gehen, Kinder,« sagte der Alte. »Diese vier Messieurs werden mit uns zufrieden sein, denn wir haben sie um keinen einzigen Hieb betrogen. Der Herr Maire kann hier bleiben, um zu sehen, welche Salbe ihnen gut thun wird; die unserige jedoch ist ihnen am gesündesten gewesen. Sollte ihm übrigens meine Competenz nicht gefallen, so bin ich gern erbötig, den Mädchenraub und den Mordanfall auf einen preußischen Officier noch nachträglich vor das competente Criminalgericht zu bringen. Gute Nacht, Herr Maire dieses Arrondissements.«
Er ging mit seinen Grenadieren. Diese verließen das Haus nicht so, wie sie es betreten hatten, sondern auf dem gewöhnlichen Wege durch den Eingang.
Bei seinem Palais angekommen, trennte er sich von ihnen, um noch zu Frau Richemonte zu gehen, vorher aber sagte er:
»Höre, lieber August, Ihr habt Euch heut durch große Thaten ein ungeheures Verdienst erworben. Ihr sollt morgen jeder fünf Laubthaler ausgezahlt erhalten und so viele Pfeifen Tabak, als Ihr heut Hiebe ausgetheilt habt. Wie viele sind dies?«
»Sechshundertundzehn,« antwortete Liebmann schnell.
»Das ist ein Bischen viel Tabak, für die, welche die Hiebe erhalten haben, und auch für mich, der ich ihn Euch geben muß. Aber es ist gut; Ihr habt ihn verdient. Am Liebsten hätte ich den Maire auch noch klopfen lassen und sein Arrondissement dazu, aber ich hätte dann nicht gewußt, woher ich morgen den Tabak für Euch genommen hätte. Gute Nacht, Jungens!«
Er setzte seinen Weg in bester Laune fort. Er hatte Gelegenheit gehabt, einigen Franzosen deutsche Hiebe zukommen zu lassen, und dies war stets sein größtes Gaudium.
Seit diesem Abende war eine lange Zeit vergangen. Frankreich hatte einen neuen Herrscher erhalten, und die Heere der Verbündeten hatten sich aus Frankreich zurückgezogen, um die heimathliche Stätte aufzusuchen. Blücher war in England gewesen und dort in geradezu unerhörter Weise gefeiert worden, und auch in der Heimath hatte man ihn mit unbeschreiblichem Jubel empfangen. Er hatte mehrere hochgestellte Feinde, aber im Herzen des Volkes hatte er als der Marschall »Vorwärts« sich ein immerwährendes Andenken erworben.
Im Uebrigen trug er einen tiefen Groll im Herzen. Er, der am Besten wußte, welche Opfer Preußen, Deutschland und die verbündeten Länder gebracht hatten, um das übermüthige Frankreich zu schlagen und den Mann zu stürzen, welcher es gewagt hatte, aller Welt Gesetze vorzuschreiben, die Deutschen aber am Liebsten mit dem Ausdrucke Cochons, das ist »Schweine«, zu bezeichnen.
Und nun tagte der berühmte Congreß in Wien, welcher die Aufgabe zu lösen hatte, die Ergebnisse des Krieges in eine bestimmte Form und Gestaltung zu bringen. Er vermochte es aber nicht, den Widerstreit der verschiedensten Ansprüche, welche sich kund gaben, zu schlichten und zu lösen. Man begann, den Frieden von Paris bitter zu tadeln. Man hatte den Franzosen zu viel Macht und Land gelassen und die erkämpften Vortheile wieder aus der Hand gegeben.
Dieser Ansicht schloß sich besonders Blücher an.
»Frankreich wird wieder laut,« pflegte er zu sagen; »es beginnt wieder das große Wort zu führen, und wir, die wir den Frieden erkämpft und uns nach Ruhe gesehnt haben, halten nur einen Rasttag, welcher nicht lange dauern wird.«
Er erhob überall seine Stimme, um zu warnen. Er that Alles, um das Heer kriegstüchtig und marschbereit zu halten, und er that daran sehr recht.
Napoleon war aus Frankreich verbannt, aber er hatte tausend, ja Millionen stille Anhänger zurückgelassen. Grade während seines Unglückes hatte sich sein kriegerisches Genie am Glänzendsten bewährt. Die Soldaten vergötterten ihn, und wer war damals in Frankreich nicht noch Soldat oder früher Soldat gewesen. Keiner hat die Anhänglichkeit des Kriegers an diesen außerordentlichen Feldherrn ergreifender geschildert, als Heinrich Heine in seinen Versen:
»Was scheert mich Weib, was scheert mich Kind?
Ich trage weit besseres Verlangen.
Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind.
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!«
Napoleon kannte diese Verhältnisse, und er beschloß, sie zu benutzen. Er war nicht der Mann, auf Elba die Rolle eines abgedankten Souverains zu spielen. Er that aber einen großen Fehler; er verließ die Insel zu früh, denn noch hatten die feindlichen Heerestheile nicht alle ihre Heimath erreicht; sie durften nur die Ordre zur Umkehr erhalten, so waren sie kampfbereit. Und der Umstand, daß die Vertreter der Nationen noch in Wien tagten, begünstigte ein schnelles Einvernehmen zwischen ihnen und den schleunigen Beschluß, sich mit vereinigten Kräften wieder auf ihn zu werfen.
Dennoch erscholl plötzlich die Kunde, Napoleon habe am 27. Februar die Insel Elba verlassen und sei mit einer Schaar Bewaffneter in Frankreich gelandet.
Dieses Unternehmen, welches anfangs abenteuerlich erschien, wuchs in schneller Entwickelung riesenhaft empor. Bereits nach wenigen Wochen war Napoleon wieder in Paris und gebot von Neuem als Kaiser über ganz Frankreich.
Er ließ den Mächten sagen, daß er nicht den Krieg bringe, sondern den Frieden beabsichtige. Da er sich aber denken konnte und auch bald erfuhr, daß ganz Europa sich in dem Entschlusse, ihn zu bekämpfen, vereinigen werde, so traf er die schnellsten und riesigsten Vorbereitungen zum Kriege, den er nach der Richtung der belgischen und niederländischen Grenze zu spielen hatte.
Alle seine Anhänger waren ihm zugeströmt, unter diesen auch Zwei, welche wir bereits kennen, nämlich der Capitän Richemonte und Baron Reillac.
Beide hatten eine schlimme Zeit erlebt. Die Züchtigung, welche ihnen damals von Blücher zudictirt worden war, hatte sie körperlich für lange Zeit niedergeworfen. Es waren Monate vergangen, ehe ihre Wunden geheilt waren. Während dieser Zeit war bei Beiden der Haß gegen die Deutschen, besonders aber der Gedanke, sich persönlich an Blücher zu rächen, fast zur Monomanie geworden.
Grad als die Nachricht verlautete, daß Napoleon wieder zurückgekehrt sei, hatte sich ihr Gesundheitszustand soweit gebessert, daß sie daran denken konnten, dem Kaiser ihre Dienste anzubieten. Und dies thaten sie.
Baron Reillac stellte sich Napoleon vor und wurde von diesem beauftragt, die Lieferungen für das erste Armeecorps zu übernehmen, welches General Drouet befehligte.
Richemonte hatte beabsichtigt, wieder in die alte Garde einzutreten, erhielt aber durch Reillacs Vermittelung eine Compagnie der jungen Garde. Diese gehörte zu einem Regimente, welches sich beim ersten Armeecorps befand.
Früher nämlich hatte die Garde stets ein eigenes Corps gebildet, welches stets für den entscheidenden Angriff aufgespart worden war. Jetzt aber seit der Bildung der jungen Garde wurden deren Regimenter und Bataillone auch anderen Armeecorps zugetheilt.
Der Marschbefehl war bereits gegeben worden. Morgen sollte der Capitän Paris verlassen. Er saß in dem bekannten Kaffeehause beim Frühstück. Reillac hatte ihm versprochen, zu kommen, obgleich die Beaufsichtigung seiner Lieferungen ihn sehr in Anspruch nahm. Er hielt Wort, wenn auch spät, so kam er doch.
Die beiden Männer standen sich jetzt weniger schroff gegenüber als früher, wo der Baron bei jeder Gelegenheit mit seinen Wechseln gedroht hatte. Jetzt kam dies nicht so oft vor. Sie hatten Ursache über gewisse Dinge zu schweigen, welche sie Beide betrafen; dies machte sie, so zu sagen, zu Vertrauten, obgleich es sicherlich Keinem von ihnen einfiel, den Anderen für einen wirklichen Freund zu halten.
Heute hatte das Gesicht Reillacs einen Ausdruck, welcher dem Capitän sofort auffiel. Es lag etwas sehr Unternehmendes darin.
»Was giebts? Was bringen Sie?« fragte Richemonte.
»Etwas für Sie,« antwortete der Gefragte.
»Ah, etwas Gutes?«
»Ja, etwas so Angenehmes, daß ich selbst mich sofort zur Ausführung entschließen würde, wenn ich zum activen Militär gehörte.«
»Was ist es?«
»Sie kennen den General Drouet?«
»Natürlich!«
»Ich meine seine Eigenheiten.«
»Diese weniger.«
»Nun, eine dieser Eigenheiten stimmt auffällig mit unseren persönlichen Ansichten. Er ist nämlich ein enragirter Blücherhasser.«
»Donner! Das lobe ich an ihm!«
»Er hat erfahren, daß Blücher von Berlin abgereist ist und über Köln nach Lüttich gekommen ist, wo er sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Wenn da irgend ein Streich auszuführen wäre!«
»Ah! Was meinen Sie?«
»Ha, irgend Etwas,« antwortete der Baron mit schlauem Ausdrucke.
»Donnerwetter! Sollen Sie dies mir sagen?«
»Ja.«
»Auf des Generals Veranlassung?«
»Natürlich.«
»So liegt irgend ein bestimmter Plan vor?«
»Vielleicht. Der General wird geneigt sein, Sie zu empfangen.«
Da blitzten die Augen des Capitäns auf.
»Ich werde zu ihm gehen,« sagte er.
»Thun Sie das! Sie wollen doch jedenfalls gern avanciren?«
»Das versteht sich!«
»Nun, hier bietet sich die beste Gelegenheit. Uebrigens habe ich Ihnen mitzutheilen, daß ich auch nicht in Paris bleiben werde.«
»Schließen Sie sich unserm Armeecorps an?«
»Ja. Der General meint, daß dies für die Ehrlichkeit der Lieferung von sehr großem Vortheil sein werde. Er hat mich in der Hand.«
»So werden Sie diesesmal keine großen Reichthümer sammeln,« lachte Richemonte.
»Möglich. Und noch eine dritte Mittheilung habe ich zu machen, welche Sie persönlich betrifft. Errathen Sie vielleicht?«
»Nein.«
»Ihre Schwester – – –!«
»Ah!« fuhr Richemonte auf. »Ist es Ihnen vielleicht endlich gelungen, eine Spur von ihr zu entdecken?« Und mit höhnischem Tone fügte er hinzu: »Ich würde mich natürlich unendlich freuen, sie endlich einmal wiederzusehen.«
»Noch immer keine Spur. Einen Brief habe ich aus Berlin erhalten. Lieutenant Königsau ist noch nicht verheirathet, auch deutet kein Anzeichen darauf hin, daß er verlobt sei.«
»Sollten sie sich einander verloren haben?«
»Pah!«
»Es ist Alles möglich!«
»Sie sind auf falschen Gedanken. Dieser Königsau ist ein schlechter Kerl. Er weiß, daß er uns zu fürchten hat und hält daher den Aufenthalt seines Bräutchens geheim.«
»Ich gäbe viel darum, ihn zu erfahren!«
»Ich jedenfalls noch mehr, und da habe ich heute Nacht, als ich schlaflos im Bette lag und über Verschiedenes nachgrübelte, eine Idee gehabt.«
»Eine Idee? Ah! Ist, eine Idee zu haben, bei Ihnen eine solche Seltenheit, daß Sie sich veranlaßt sehen, diesen wunderbaren Fall extra zu constatiren?«
»Machen Sie keine faulen Witze! Vielleicht zeigt es sich, daß meine Idee außerordentlich gut ist.«
»So theilen Sie mir dieselbe gefälligst mit!«
»Nun, wir haben uns die größte Mühe gegeben, die Adresse Ihrer Schwester zu erfahren, doch umsonst. Jetzt sagen Sie mir einmal: Erhält Ihre Mutter nicht eine Rente ausgezahlt?«
»Allerdings.«
»Durch wen?«
»Durch Banquier Vaubois.«
»Dieser Mann muß also ihre Adresse haben.«
»Hölle und Teufel! Ja, das ist wahr!« rief der Capitän. »Bin ich denn ein Idiot, daß ich daran noch nie gedacht habe? Ich werde sofort hingehen.«
»Halt, keine Uebereilung! Wenn nun Ihre Mutter dem Banquier verboten hat, die Adresse zu nennen.«
»Das wäre allerdings möglich.«
»Sogar sehr wahrscheinlich. Sie würden sie dann am allerwenigsten erfahren.«
»Sie ebenso.«
»Ja, sie wird ihn aber vor uns Beiden ganz besonders gewarnt haben.«
»So müssen wir einen anderen Weg einschlagen.«
»Ich habe bereits einen.«
»Nun?«
»Hm! Meine Wäscherin hat ein allerliebstes Töchterchen.«
»Ah! Sie selbst finden sie allerliebst?«
»Warum nicht? Aber trösten Sie sich; ich bin dem Kinde unschädlich.«
»Aus Altersrücksichten?« lachte der Capitän.
»Das vielleicht weniger. Aber sie hat bereits einen Geliebten.«
»Das war vorauszusehen. Welches hübsche Mädchen hätte nicht einen Geliebten.«
»Hier kommt noch der Umstand in Betracht, daß dieser Geliebte Commis eines hiesigen Bankhauses ist.«
»Ah, des Hauses Vaubois vielleicht?«
»Leider nein. Aber ich schenke der Kleinen zuweilen Etwas. Sie wird mir gern einen Gefallen thun. Ebenso wird ihr Geliebter ihr gern einen Wunsch erfüllen.«
»Ich ahne ihren Entwurf.«
»Das ist nicht schwer. Der junge Mensch geht also zu Vaubois und zieht die betreffende Erkundigung ein.«
»Und wenn er nach dem betreffenden Grunde gefragt wird?«
»Den kennt er nicht. Sein Prinzipal sendet ihn.«
»Und wenn man zögert?«
»So schildert man die Angelegenheit als eilig.«
»Hm, es gelingt vielleicht. O, daß ich morgen fort muß!«
»Warum bedauern Sie dies?«
»Ich werde nicht Zeit haben, diese so lange ersehnte Neuigkeit zu erfahren.«
»Warum nicht? Der Commis kommt zwölf Uhr nach Hause. Er speist nämlich bei meiner Wäscherin. Jetzt ist es elf Uhr. Wenn ich sofort aufbreche, so ist es noch genug Zeit, die kleine Intrigue einzuleiten. Sie kommen heute Abend wieder hierher; im Falle des Gelingens kann ich Ihnen da die Adresse bereits sagen.«
»Das geht; das geht wahrhaftig! Gehen Sie; eilen Sie, Baron.«
Der Capitän brauchte gar nicht zur Eile aufzufordern, denn der Baron hatte bereits Hut und Stock ergriffen und verließ das Café mit raschen Schritten.
Richemonte blieb noch einige Zeit sitzen, um sich das Gehörte alles zurecht zu legen; dann trank auch er aus und ging – – zu General Drouet.
Dieser war ein höchst thatkräftiger und kühner Mann, doch versäumte er bei allem Muthe nicht, vorsichtig und klug zu sein. War irgend ein Ziel ebenso gut durch List wie durch Verwegenheit zu erreichen, so zog er die Erstere stets der Letzteren vor.
Er war, da er so nahe vor dem Ausmarsche stand, sehr beschäftigt, ließ aber, als ihm der Capitän gemeldet wurde, denselben sofort eintreten. Dieser Umstand schien diesem ein gutes Zeichen zu sein. Der Blick des Generals ruhte forschend auf dem Officier; dann fragte er:
»Haben Sie in Spanien gekämpft?«
»Ja, General.«
»Unter wem?«
»Unter Suhet.«
»Das war ein tüchtiger General, vielleicht der tüchtigste, der in Spanien befehligt. Man hat es dort mit Guerillas zu thun. Sie haben also jedenfalls auch den kleinen Krieg zur Genüge kennen gelernt?«
»Ich denke es, mein General.«
»Nun, so werden Sie wissen, daß der Sieg sehr oft von sonst ganz nebensächlich erscheinenden Dingen abhängt, von der Kenntniß der Gegend und der Stimmung ihrer Bevölkerung, und so weiter. Auch bei dem sogenannten großen Kriege sind diese Umstände keineswegs aus der Acht zu lassen. Wir werden nach den Niederlanden gehen. Dort befehligen Wellington und Blücher.«
»Ah, lieben Sie Blücher?«
»Ich habe keine Veranlassung dazu.«
»Aber Sie hassen ihn auch nicht?«
»Ich wünsche ihn zu allen Teufeln, und ich habe Veranlassung dazu.«
»Dieser Wunsch wird ihm nicht viel schaden!« lächelte der General.
Aber der Blick, welchen er dabei auf den Capitän warf, war ein lauernder.
»O, ich wollte, ich könnte thätig sein, meinen Wunsch zur Erfüllung zu bringen.«
»Nun, wissen Sie, wo dieser Bramarbas sich gegenwärtig befindet?«
»In Lüttich, wie ich höre.«
»Das ist richtig, Capitän. Ich brenne vor Begierde, Etwas über seine kriegerischen Evolutionen zu hören; aber das ist außerordentlich schwer.«
»Es scheint mir leicht zu sein.«
»Man hat nicht zuverlässige Männer genug.«
»Es giebt deren doch welche!«
»Vielleicht Sie?«
»Ich hoffe es.«
»Gut, Capitän, Sie sind mir empfohlen. Was denken Sie von einer Reise nach Lüttich oder Umgegend?«
»Sie müßte sehr unterhaltend und belehrend sein.«
»Aber auch gefährlich.«
»Ich fürchte Blücher nicht!«
»Aber einer seiner Corpscommandanten hat dort zugleich sein Hauptquartier. Dieser Bülow nämlich. Und der ist gefährlich.«
»So wird man sich in Acht zu nehmen wissen.«
»Ich wünsche besonders zu wissen, welche Macht man dort zusammen zieht und was man für Pläne hat; hauptsächlich jedoch kommt es mir darauf an, alles, was mit der Persönlichkeit Blüchers in Beziehung steht, zu erfahren.«
»Ich werde eifrig darnach forschen.«
»Sie kennen ihn persönlich?«
»Ja.«
»Und er Sie auch?«
»Ebenso.«
»So kann ein Zusammentreffen sehr gefährlich werden.«
»Für mich jedenfalls nicht.«
»Sie meinen für ihn?«
»Eher!«
»Nun, man wird ja hören, was Sie erleben. Um meine Anerkennung brauchen Sie sich nicht zu sorgen, wenn auch es mir unmöglich ist, meine Wünsche, oder vielmehr meinen Hauptwunsch in deutlicher Weise auszusprechen.«
»Ich errathe ihn, mein General.«
»Vielleicht rathen Sie gut. Thun Sie, was Sie denken! Aber Ihre Reise erfordert Auslagen. Darf ich fragen, ob Sie bemittelt sind?«
»Ich lebe von dem Solde, den ich erst empfangen soll.«
»Ah, das ist peinlich. Hier nehmen Sie diese kleine Remuneration. Wenn man Gutes von Ihnen hört, wird man weiter dankbar sein. Adieu, Capitän!«
Der General hatte ihm eine Geldrolle in die Hand gedrückt. Als Richemonte sie zu Hause öffnete, sah er, daß sich fünfhundert Franks darin befanden.
»Fünfhundert Franks für den Kopf Blüchers! Der Kerl ist aber bei Gott auch nicht mehr werth,« murmelte er. »Wollen sehen, was man noch zulegen wird.«
Als er am Nachmittage in seine Caserne kam, erfuhr er vom Obersten, daß dieser vom Generale beauftragt sei, ihm einen unbestimmten Urlaub zu geben und einen dreimonatlichen Gehalt auszuzahlen. Er erhielt die Summe sofort zu Händen gestellt und ein versiegeltes Couvert; dann war er entlassen.
Aus dem Couverte zog er, als er es öffnete, mehrere Pässe, welche auf verschiedenen Stand und Namen lauteten. Jedes Signalement stimmte genau mit seinem Aeußeren. Er kannte nun seine Pflicht, ohne daß man ihm diese genau bezeichnet hatte; aber er war zu stolz, sich zu sagen, als was er ausgesandt wurde – – als Spion.
Am Abende besuchte er das Kaffeehaus und fand den Baron bereits seiner wartend. Dieser bestellte sogleich Wein für ihn, was auf einen guten Erfolg der heutigen Unterredung hinzudeuten schien.
»Waren Sie beim General?« fragte Reillac.
»Ja.«
»Was haben Sie erreicht?«
»Einen Urlaub auf unbestimmte Zeit und mehrere gute Pässe.«
»Gratulire!«
»Ist eine Ironie!«
»Weshalb?«
»Was thue ich mit dem Urlaube, wenn ich ihn nicht benützen kann! Hat sich der General nicht bei Ihnen nach meinen Verhältnissen erkundigt?«
»Ein Wenig.«
»Was sagten Sie ihm?«
»Daß Sie keine Seide spinnen.«
»Dennoch scheint er mich für einen sehr wohlhabenden Mann zu halten.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Weil ich zu meinem unbestimmten Urlaub nur einen dreimonatlichen Sold erhalten habe.«
»Das ist schlimm! Hm! Wenn ich wüßte – –! Aber ich habe mich selbst fast ganz und gar ausgegeben.«
»Ihnen stehen Connexionen zu Gebote, mir aber nicht.«
»Sie haben Recht, und darum will ich Ihnen abermals tausend Franken leihen, wenn Sie mir Eins versprechen.«
»Was?«
»Auf Ihrer gegenwärtigen Reise Ihre Schwester mit zu besuchen.«
»Donnerwetter! Haben Sie die Adresse?«
»Ja.«
»Hat es Mühe gekostet?«
»Gar nicht. Der Commis hat gefragt und sofort bereitwillige Auskunft erhalten.«
»Wie lautet die Adresse?«
»Meierhof Jeanette bei Roncourt.«
»Dieses Roncourt ist mir unbekannt. Wo liegt es?«
»Im Argonner Walde, nicht weit von Sedan.«
»Ah, das liegt ja fast auf meiner Tour!«
»Fast genau. Sie haben höchstens einen ganz und gar unbedeutenden Umweg zu machen. Werden Sie mir den Gefallen thun, den Meierhof aufzusuchen?«
»Gewiß.«
»Und mich benachrichtigen, wie es dort steht, nämlich in Beziehung meiner Wünsche?«
»Ja, besonders, da es sich um tausend Franken handelt.«
»Ah, Sie denken, ich habe das bereits vergessen,« lachte der Baron. »Ich will nachsehen, ob ich so viel bei mir trage.«
»Ich bezweifle es nicht.«
»Hm! Man giebt sich jetzt aus. Man muß zu sehr wagen. Ich stecke mein ganzes Vermögen und all meinen Credit in diese Lieferungen.«
»Aber man verdient ungeheuer dabei.«
»Blos eine Kleinigkeit, mein Lieber. Wird der Kaiser abermals geschlagen, so bin ich ein für immer ruinirter Mann.«
»Ihre Lage wird dann durch die tausend Franken, welche Sie mir jetzt geben, nicht um ein Bedeutendes verschlimmert sein.«
»Nein. Und so sollen Sie das Geld haben. Hier! Aber Sie schreiben ganz bestimmt?«
»Ja. Aber wohin?«
»Zunächst bleibe ich ja noch hier. Und später werden mir Ihre Briefe auf das Sicherste nachgesandt, wenn Sie dieselben an meine gegenwärtige Adresse schicken.«
Auf diese Weise hatte der Capitän sich durch eine Lüge in den Besitz von tausend Franken gesetzt, welche ihn auf seinem nicht gefahrlosen Wege begleiteten.
Fast um dieselbe Zeit, in welcher der Capitän von Paris aufbrach, wanderte ein junger Mann auf der Straße von Paliseul daher, welche über Bouillon nach Sedan führt. Bouillon ist ein trauriger Ort, er liegt an dem Semoyflüßchen in einer tiefen Schlucht der Ardennen. Es ist dies dasselbe Oertchen, welches durch den Namen des großen Kreuzfahrers und Eroberers von Jerusalem, Gottfried von Bouillon, seine Berühmtheit erhalten hat.
Es war ein schlimmer Gewitterstag. Die Dämmerung brach bereits herein, und der Regen goß in Strömen vom Himmel herab. Dazu war der Koth auf dem Dinge, welches man hier Straße nannte, so tief, daß man die Füße kaum aus demselben herausziehen konnte. Daher war der Wanderer froh, als er die ersten Lichter von Bouillon erblickte. Er beschloß, diese Nacht hier zu bleiben.
Er suchte nach der Herberge des Ortes und erkannte sie trotz der Dunkelheit und des strömenden Regens an dem großen Aste, welchen man über der Thür herausgestreckt hatte. In der niederen Stube, welche nur durch einen Kienspan erleuchtet wurde, befand sich kein Gast. Nur der Wirth mit seiner Frau, ein Paar alte Leute, saßen an einem schmutzigen Tische.
Er grüßte höflich, doch wurde sein Gruß sehr mürrisch erwidert.
»Darf ich mir am Ofen meine Kleider trocknen?« fragte er. »Lehnt Euch hinan,« lautete die Antwort.
»Und kann ich ein Abendbrot erhalten?«
»Milch und ein Stück Brot. Wir sind hier arme Leute. Wo wollt Ihr noch hin?«
»Bei diesem Wetter nicht weiter.«
»Ah, Ihr wollt doch nicht etwa hier bleiben?«
»Warum nicht?«
Der Wirth warf einen scheuen Blick auf ihn und fragte:
»Woher seid Ihr?«
»Aus Paris.«
»Und wo kommt Ihr her?«
»Aus Lüttich.«
»Mein Gott, wo die Preußen sind?«
»Ja. Ich bin vor ihnen geflohen.«
»Da habt Ihr recht gethan. Sie wollen wieder Krieg anfangen, aber der Kaiser wird sie auf die Finger klopfen. Was seid Ihr denn eigentlich?«
»Ein Musikante.«
»Ihr habt doch kein Instrument bei Euch!«
»Die Preußen haben mir meine Geige genommen.«
»Ihr armer Mann. Ja, sie sind Diebe und Räuber, welche der Kaiser bald fortjagen wird. Habt Ihr denn eine Legitimation bei Euch?«
»Ja.«
»Das ist gut. Zeigt sie her. Ohne ein solches Papier darf man keinen Fremden aufnehmen. Es ist uns streng verboten worden.«
»Warum?« fragte der Fremde.
»Weil die Preußen viele Spione hier in das Land schicken.«
»Hm, das ist ein sehr gefährliches Handwerk.«
»Es soll aber sehr gut bezahlt werden. Unterdessen müssen ehrliche Leute hungern.«
»Ist Bouillon so arm?«
»Es war bereits sehr arm; aber durch den Krieg ist es noch ärmer geworden. Daran war die Kriegskasse schuld.«
»Welche Kriegskasse?«
»Das wißt Ihr nicht?«
»Nein. Ich bin ja von Paris und nicht von hier.«
Der Alte warf einen beobachtenden Blick auf den Fremden und fragte:
»Was sind Eure Eltern, Herr?«
»Mein Vater ist nur ein armer Weber.«
»Ah, ein Weber! Seht, die Bewohner von Bouillon sind alle arme Weber. Ihr seht so ehrlich aus, daß man wohl Vertrauen zu Euch fassen kann. Nicht?«
»Ich meine auch, daß Ihr es thun könnt.«
»Nun gut. Legt Euch ein tüchtiges Holzscheidt in den Ofen, und dann will ich Euch die Geschichte von der Kriegskasse erzählen.«
Der Fremde folgte dieser Aufforderung, wobei er von der Frau gefragt wurde:
»Wollt Ihr Euer Milch und Brot jetzt gleich essen?«
»Wenn es Euch recht ist, ja.«
»So seid so gut und zeigt uns Euer Papier.«
Der junge Mann griff in die Tasche und zog ein abgegriffenes Büchelchen hervor, welches er der Frau gab. Diese reichte es ihrem Manne; dann ging sie hinaus, um das Abendbrot zu besorgen. Der Wirth zog eine großmächtige Klemmbrille, eine sogenannte Nasenquetsche aus dem Tischkasten hervor, setzte sie auf und begann das Buch vom ersten bis zum letzten Blatte durchzusehen. Als er fertig war, sagte er:
»Ihr müßt bereits sehr weit herumgekommen sein, Herr?«
»Sehr weit,« nickte der Fremde.
»Das sieht man an den vielen Stempeln, welche da im Buche stehen. Lesen kann ich es freilich nicht, aber es wird wohl richtig sein. Nicht wahr?«
»Es stimmt.«
Da trat die Frau herein und setzte die Schüssel auf den Tisch. Sie enthielt Milch. Daneben legte sie ein Stück Brot zum Hineinbrocken. Das war die ganze Mahlzeit. Während sich der Fremde mit mehr Hunger als Appetit darüber machte, fragte sie den Wirth, welcher das Wanderbuch jetzt eben in ein Schränkchen schloß:
»Stimmt es, Vater?«
»Ja, es sind Namen und Stempel darin.«
Sie musterte den Esser abermals sehr sorgsam und flüsterte dann:
»Er scheint armer, aber braver Leute Kind zu sein.«
»Ja,« nickte der Alte.
»Und man hat ihm seine Fiedel gestohlen.«
»Eben! Er dauert mich!«
»Du, wollen wir?«
»Ja, ich denke.«
»Gut. Willst Du es ihm sagen?«
»Sage Du es lieber, Alte! Ich weiß, es macht Dir Freude.«
Sie nickte vergnügt und wendete sich an den Fremden:
»Hört, Herr, wir haben Euch erst mit Mißtrauen betrachtet.«
»Das habe ich leider bemerkt,« meinte er freundlich.
»Jetzt aber meinen wir, daß Ihr wohl kein Stromer seid.«
»Der bin ich allerdings nicht, liebe Mutter.«
Bei den letzten beiden Worten warf die Alte einen stolzen Blick auf ihren Mann, denn so war sie noch von keinem Gaste genannt worden; dann sagte sie:
»Darum meinen wir Beide, daß Ihr auf dem Heuboden schlafen sollt.«
»Ah, auf dem Heuboden?« fragte er, innerlich doch ein wenig enttäuscht.
»Ja. Wir wollen Euch nicht dahin thun, wo gewöhnliche Leute schlafen, denn Ihr habt so etwas Gutes und Apartes an Euch.«
»Ich danke Euch herzlich. Aber wo schlafen denn hier die gewöhnlichen Leute?«
»Im Ziegenstalle.«
»Ah, im Ziegenstalle. Sind Ziegen drin?«
»Zwei. Dort aber liegt nur Laubstreu, und die ist feucht. Ihr könntet Euch erkälten. Hat Euch die Milch geschmeckt?«
»Sehr gut.«
»Ja, es ist selbst erbaute von unsern zwei Ziegen. Aber, Alter, wolltest Du denn nicht die Geschichte von der Kriegskasse erzählen?«
»Freilich, aber vor Dir kommt man ja gar nicht zu Worte.«
»Na, so erzähle. Ich werde still sein.«
»Ja, erzählt!« bat der Gast. »Ihr habt mich fast neugierig gemacht.«
»O, es ist nichts Lustiges, Herr. Also von dem Blücher habt Ihr bereits gehört?«
»Sehr viel.«
»Der kam im vorigen Jahre über den Rhein herüber, der doch uns Franzosen gehört. Er kam nach Toul, welches jenseits der Berge im Süden liegt, und schickte einen seiner Generäle, welcher Fürst Schischerbatoff hieß, mit 10000 Feinden nach Void und Ligny. Dort lagen die Unserigen mit einer großen Kriegskasse.«
»Ah, da haben wir ja die Kriegskasse!«
»O, wenn wir sie doch hätten! Die Franzosen waren zu schwach, um lange Widerstand leisten zu können. Besonders war es ihnen um die Kriegskasse zu thun.«
»Das läßt sich denken,« meinte der Fremde mit einem verständnißvollen Lächeln.
»Ueber die ebene Gegend hinüber nach der Marne zu konnte sie nicht gerettet werden.«
»Wohl weil die Deutschen zu viele Reiterei hatten?«
»Ja. Darum brach ein Hauptmann mit einer halben Compagnie auf, um sich mit ihr in die Berge zu schlagen und sie durch den Argonner Wald zu schaffen, immer der Meuse entlang.«
»Merkte dies der Feind nicht?«
»Nein. Sie entging ihm.«
»So ist sie gerettet worden?«
»Auch nicht. Es ist das eine sehr traurige Geschichte. Während des Marsches fielen bald von rechts und bald von links Schüsse auf die armen Leute. Bereits am ersten Abende hatten sie zwölf Mann verloren, bis zum zweiten wohl ebenso viele.«
»Wer schoß?«
»Das war nicht herauszubekommen. Wenn man an die Stelle kam, wo der Schuß gefallen war, stand Niemand mehr da.«
»Das war vorauszusehen.«
»Nach vier Tagen waren nur noch zehn Mann übrig, am fünften noch sechs und am sechsten noch vier. Diese kamen mit der Kasse nach Bouillon. Sie wollten weiter und forderten Bedeckung; aber weil wir dachten, daß wir erschossen würden wie sie, flohen wir in die Berge; wir wollten nicht mit.«
»Das war Euch nicht zu verdenken.«
»Am nächsten Tage fand man die vier Soldaten erschossen, gar nicht weit von hier; die Kasse aber war weg. Nach einigen Tagen hatten die Deutschen die Gegend verlassen, und es kam im Geheimen eine Streifparthei der Unserigen, welche nach der Kasse suchten. Sie erfuhren, was geschehen war, und wir mußten zur Strafe eine schwere Contribution zahlen, durch welche wir vollends arm geworden sind.«
»Das ist allerdings sehr traurig für Euch. Hat sich keine Spur der Kasse je wieder gezeigt?«
»Nein.«
»Und auch keine Spur der Schützen, welche damals die Bedeckungsmannschaften niedergeschossen haben?«
»Nein.«
»Hat man denn die Angelegenheit nicht gerichtlich untersucht?«
»Was denkt Ihr, Herr! Wir hatten ja Krieg, dann keine Regierung, dann eine, welche nichts galt. Es blieb eben Alles, wie es war.«
»Vielleicht sind es deutsche Nachzügler gewesen?«
»Nein. Diese hätten unser Terrain nicht so gut gekannt.«
»Oder französische Marodeurs?«
»Das ist eher möglich. Wollen lieber von der traurigen Geschichte schweigen. Sagt, geht Ihr jetzt direct nach Paris zurück?«
»Ja.«
»So werdet Ihr das Glück haben, den großen Kaiser zu sehen?«
»Jedenfalls.«
»Ich wollte, daß ich an Eurer Stelle wäre. Ihr geht natürlich über Sedan?«
»Ja.«
»Berührt Ihr da vielleicht das Dörfchen Roncourt?«
»Das ist wohl möglich.«
»So versäumt ja nicht, nach dem dortigen Meierhof Jeanette zu gehen.«
»Jeanette? Ah, warum?«
»Weil dort das schönste Mädchen Frankreichs wohnt.«
»Was, Vater, Ihr seid noch für die Schönheit eines Mädchens begeistert?«
»Ja, welcher Franzose wäre dies nicht? In allen Ehren, natürlich.«
»Ist diese Schönheit gar so groß?«
»Hm, ich bin kein Kenner, wie Ihr ja auch hier an meiner Alten ersehen könnt, aber man sagt es allgemein.«
Da ergriff endlich auch die Wirthin das Wort; hier konnte sie nicht schweigen.
»Was?« fragte sie. »An mir kann man das sehen?«
»Daß ich kein Kenner bin? Ja.«
»Wie meinst Du das?«
»Wenn ich Kenner wäre, hätte ich doch eine Schöne genommen.«
»O, das sagst Du jetzt,« lachte sie vergnügt. »Du warst sehr mit mir zufrieden.«
»Ja, eben weil ich kein Kenner bin.«
»Hm, ich denke, daß ich hübsch genug war, wenn auch freilich nicht so sehr wie die Schönheit vom Meierhof Jeanette. Ja, Herr, Ihr solltet sie wirklich sehen!«
»Ihr macht mir beinahe Lust, hinzugeben.«
»Thut es! Geht man weit, um ein schönes Bild anzusehen, warum soll man nicht dasselbe thun, um einen schönen Menschen zu betrachten?«
»Habt Ihr sie selbst gesehen?«
»Ja. Sie ist ja selbst hier bei uns gewesen.«
»Ah, zu Besuch?«
»Nein, nur für eine halbe Stunde, bis eine andere Deichsel da war.«
»Sie hatte wohl einen Unfall erlitten, diese schöne Person?«
»Freilich. Sie hatte nach Lüttich gewollt, um dort Verwandte zu besuchen. Hier in der Nähe brach die Deichsel vom Wagen, und da war sie gezwungen, bei uns einzukehren. Sie fuhr gar nicht weiter.«
»So ist sie abergläubisch?«
»Herr, das Abbrechen der Deichsel bedeutet stets etwas Böses.«
»Sehr richtig,« lachte er.
»Und sodann diese Deutschen! Sie waren ja bereits in Lüttich. Wir alle haben ihr abgerathen. Und so ist sie wieder umgekehrt.«
»Sie ist gewiß die Tochter des Meiereibesitzers?«
»O nein. Sie ist nur zum Besuch dort.«
»Ah! Woher?«
»Das weiß man nicht.«
»Wie heißt sie?«
»Das kann ich nicht sagen. Hier bei uns war ihre Mutter bei ihr, von dieser wurde sie Margot genannt.«
»Ein hübscher Name!«
»Ja, er paßt ganz zu dem Mädchen. Aber gar zu schön ist doch auch nicht gut; das kann man an ihr sehr deutlich sehen.«
»Wieso?«
»Weil ihre Schönheit bereits zweien Menschen das Leben kostet.«
»Sapperlot.«
»Ja. Denkt Euch, daß die ganze Garnison von Sedan verrückt ist, sie nur zu sehen. Der Wunsch eines Jeden ist, einmal mit ihr sprechen zu können. Man hat sich bereits dreimal wegen ihr duellirt. Zweimal fiel ein Officier.«
»O weh! So ist sie wohl coquet?«
»O, nicht im Geringsten. Sie erscheint auf keinem Balle, wenn sie auch zehnmal eingeladen würde. Sie geht nie allein aus, sondern stets nur in Gesellschaft ihrer Mutter. Es kann sich keiner rühmen, ihr auch nur die Fingerspitzen geküßt zu haben.«
»Und doch diese Duelle?«
»O, gerade diese Zurückhaltung macht ja die Männer verrückt.«
»Na, Alte, ich war damals in Dich nicht verrückt!« neckte der Wirth.
»Das hätte Dir auch sehr schlecht angestanden. Aber der junge Herr wird ermüdet sein. Auch wir gehen zeitig schlafen.«
Die beiden Leute waren jetzt erst zutraulich geworden, nachdem sie vorher verschlossen und mißtrauisch gewesen waren, wie man es bei Bewohnern abgelegener Ortschaften häufig trifft. Der Fremde hätte so gerne sich mit ihnen noch unterhalten, besonders über das letzte Thema, das schöne Mädchen. Das interessirte ihn noch mehr als die Kriegskasse. Er kannte dieses Mädchen ja und wußte auch, warum sie sich so zurückgezogen hielt. Sie war ja seine Geliebte, seine Braut, und er war der Oberlieutenant Hugo von Königsau.
»Geht Ihr wirklich so zeitig schlafen?« fragte er.
»Ja, denn wir müssen des Morgens früh wieder munter sein.«
»Nun, so will ich Euch nicht von der Ruhe abhalten. Zeigt mir mein Lager.«
»Das ist nicht hier im Hause, sondern im Hofe. Kommt.«
Der Mann brannte eine Laterne an und leuchtete ihm über den kleinen, offenstehenden Hof hinüber. Dort stand ein einzelnes, kleines Gebäude, der Ziegenstall, über welchem sich der verschlossene Heuboden befand.
»Hier muß man das Heu verschließen, sonst wird es leicht gestohlen,« erklärte der Wirth. »Da lehnt die Leiter, an welcher Ihr emporsteigt. Nehmt sie mit hinauf; das ist besser. Jetzt während des Krieges giebt es allerlei Gesindel in der Nähe. Wenn Ihr aber die Leiter hinaufzieht, kann Niemand hinauf zu Euch. Sind Eure Kleider trocken geworden?«
»So ziemlich. Ich danke.«
»Soll ich Euch wecken?«
»Nein. Ich wache selbst schon auf.«
»So schlaft wohl. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Königsau folgte dem Rathe des Wirthes und zog die Leiter empor, als er sich oben befand, obgleich er über die ganze Situation lächeln mußte.
Also dieser kleine, niedrige, kaum fünf Ellen im Durchmesser haltende Heuboden war erster Rang, der Ziegenstall unten aber zweiter Rang! Konnten wirklich Menschen da unten bei den Ziegen auf der kothigen Streu schlafen?
Der Wirth war jedenfalls ein armer Mann; er besaß nicht einmal eine Kuh, sondern nur zwei Ziegen, und dieser Miniaturstall diente als Herberge. Auf das so kostbare Heu durften sich nur bevorzugte Gäste legen.
Königsau machte sich sein Lager zurechte. Dies erweckte die Ziegen, welche ein leises, unzufriedenes Meckern hören ließen. Dieses Letztere war so deutlich zu hören, daß der Boden, welcher das Heu trug, nur ein sehr dünner sein konnte.
Draußen plätscherte der Regen noch immer hernieder, hier auf dem Heu aber lag es sich wirklich ganz hübsch. Das Plätschern hatte eine einschläfernde Wirkung. Der Oberlieutenant dachte an das schöne Mädchen von der Meierei Jeanette, an die verlorene Kriegskasse, und zwischen diesen beiden Gegenständen spann die Vorstellung phantastische Fäden herüber und hinüber.
Er wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte; er wußte nicht einmal, ob er gewacht oder geträumt hatte, aber plötzlich war er munter, denn er hatte draußen vor dem Stalle ein Geräusch gehört. Er horchte angestrengter und vernahm nun auch die Frage einer halb unterdrückten Stimme:
»Hast Du nachgesehen?«
»Ja.«
»Sie waren wirklich schon zu Bette?«
»Ja, denn es gab kein Licht mehr im ganzen Hause.«
»So gehen wir in den Stall.«
»Aber wenn bereits Jemand da ist.«
»Werden sehen.«
Die Thür des Ziegenstalles wurde geöffnet, und Königsau hörte, daß Jemand hineinkam. Die Ziegen zeigten etwas Unruhe, schwiegen aber nach einigen begütigenden Lauten wieder, und dann erklang unten die Mahnung:
»Komm herein, es ist Niemand hier.«
»Ah, das ist gut.«
»Ja, hier ist es warm, viel besser als da draußen. Ich bin allemal hier untergeschlippt, wenn ich den Weg in die Berge gemacht habe.«
»Heimlich?«
»Ja, heimlich. Es ist besser, man weiß gar nicht, daß ich hier gewesen bin.«
Königsau konnte alle diese Worte verstehen, obgleich sie fast nur geflüstert wurden. Freilich durfte er kein Glied seines Körpers rühren, weil sonst das Rascheln des Heues seine Anwesenheit verrathen hätte.
Wer waren die beiden Männer da unten? so fragte er sich. Der Wirth hatte von allerlei Gesindel gesprochen. Geheim war ihr Einschleichen in den Stall, und geheimnißvoll klangen auch die Worte, welche er erlauscht hatte.
»Was würde der Wirth sagen, wenn er uns hier entdeckte?«
»Nichts. Wir sind hereingegangen, weil er schlief und wir ihn nicht stören wollten. Er würde es uns gar nicht übel nehmen, aber wir müßten doch einen Sou Schlafgeld zahlen.«
»Darauf kann es Dir ja gar nicht ankommen, denn Du bist reich.«
»Freilich!« lachte der Andere. »Aber besser ist es immer, man weiß gar nichts von meiner Anwesenheit.«
»Werden die Hacken und die Schaufeln noch da liegen?«
»Ganz gewiß; sie sind ja vergraben.«
»Ah, wenn die Leute wüßten – – –!«
»Nun, ich habe dafür gesorgt, daß sie nichts wissen. Ah, ich habe in dieser Beziehung bereits schon sehr viel Pulver verschwendet.«
»Wie aber kommst Du dazu, mir dieses Geheimniß mitzutheilen, während die Anderen es doch – – hm?«
»Das will ich Dir sagen. Wir waren sechs Personen. Wir hatten ausgemacht, nur alle sechs zugleich sollten den Ort zur bestimmten Zeit besuchen. Ich aber war schlau und machte mir meine Zeichen. Da merkte ich gar bald, daß die Kerls einzeln kamen und sich Geld holten. Da habe ich sie nach und nach weggeputzt, Viere ich und Du den fünften vorgestern. Das war Deine Probe. Du hast sie gut bestanden.«
»O, denkst Du, daß es das erste Mal war?« lachte es auf.
»Ah, Du hast schon – – –?«
»Sechs, bis jetzt.«
»Sechs hast Du bereits abgethan?«
»Ja.«
»Hm, das ist schon aller Ehren werth. Und Du hast wirklich ein Auge auf meine Tochter?«
»Ja.«
»Und sie? Was sagt sie dazu? Hast Du schon mit ihr gesprochen?«
»Freilich will sie mich. Wir sind vollständig einig.«
»Wenn die Sache so steht, so kann ich Dir vertrauen. Mein Schwiegersohn wird mich nicht verrathen.«
»Fällt mir doch nicht im Traume ein! Aber wie kamst Du denn eigentlich dazu, es gerade auf die Kasse abzusehen? Es war doch eine böse und schwierige Sache.«
»Das war der reine Zufall. Es war eine schlechte Zeit, und der Wildhandel ging nicht mehr, denn ein Jeder schoß sich selbst das, was er brauchte. Ich wußte nicht, wovon ich leben sollte. Da nahm ich meine Büchse und zielte auf Menschen.«
»Hm!«
»Was?«
»Brachtest Du das gleich fertig?«
»Warum nicht? Uebrigens war es oft gar nicht nöthig. Es gab Todte oder Verwundete, in deren Taschen genug für mich war. Es hatten sich nach und nach Mehrere zu mir gefunden, fünf Mann und ich. Wir trieben das Handwerk methodisch, und es brachte uns Etwas ein. Da, bei dem Ueberfall der Preußen auf Ligny waren wir in der Nähe. Wir beobachteten vom Berge aus den ganzen Vorgang.«
»Das war sehr bequem.«
»Natürlich. Da sahen wir, daß sich ein mit vier Pferden bespannter Wagen verduftete; er wurde von vielleicht fünfzig Infanteristen begleitet. Das fiel auf. Wir beriethen; wir lauschten und kamen zu dem Glauben, daß es die Kriegskasse sei. Das war natürlich ganz unser Fall.«
»Was thatet Ihr?«
»Einige waren so toll, einen directen Ueberfall wagen zu wollen; ich aber überzeugte sie doch, daß dies der reine Wahnsinn sei. Es lag klar, daß man die Kasse in das Gebirge bringen wollte. Wir brauchten nur mitzugehen, so konnten wir die Bedeckungsmannschaft nach und nach ganz gemüthlich wegputzen. Und dies geschah. Nicht weit von hier fielen die letzten Vier. Dann bemächtigten wir uns des Geschirres und fuhren hinauf in die Schlucht, welche ich von früher her kannte. Dort wurde die Kasse vergraben.«
»Und Pferde und Wagen?«
»Den Wagen haben wir zertrümmert und verbrannt, auf die Pferde aber haben wir uns gesetzt und sind fortgeritten, um sie zu verkaufen.«
»Wie viel war in der Kasse?«
»Ich weiß es nicht. Wir konnten es nicht zählen.«
»Alle Teufel, so viel war es?«
»Ja. Das Zählen hätte uns zu viel Zeit gekostet. Es durfte sich ein Jeder tausend Franken nehmen; dann wurde sie vergraben.«
»Dann habt Ihr Euch öfters Geld geholt?«
»Ich zweimal, dann habe ich die Anderen auf die Seite geschafft.«
»Wo ist die Schlucht?«
»Sie ist eigentlich sehr leicht zu finden, aber sehr schwer zu beschreiben. Du wirst es morgen ja sehen.«
»Wann brechen wir auf?«
»Sobald der Tag graut, damit man uns hier nicht sieht.«
»Ich kann Dir sagen, daß ich vor Freude wie im Fieber bin!«
»Erst war es bei mir ebenso; jetzt hat es sich gelegt.«
»Aber was gedenkst Du, mit diesem vielen Gelde zu thun?«
»Ich warte, bis es ruhig im Lande geworden ist, dann ziehe ich nach Amerika.«
»Und nimmst das Geld mit?«
»Natürlich!«
»Man wird es bemerken.«
»Wohl schwerlich. Das laß überhaupt meine Sorge sein.«
»Aber ich. Was wird dann mit mir?«
»Dummer Kerl, Du wirst mein Schwiegersohn und ziehst mit mir!«
»Wirklich?«
»Natürlich.«
»Ah, welche Freude! Höre, Du sollst sehen, daß Du an mir stets einen tüchtigen und treuen Burschen haben wirst.«
»Das hoffe ich. Nun aber laß uns schlafen. Wir brauchen die Ruhe. Gute Nacht!«
»Gute Nacht!«
Unten raschelte die Streu, und dann wurde es still.
Wachte Königsau oder träumte er? Er brauchte Zeit, um sich in das Gehörte zurecht zu finden. Kaum hatte er von der Kriegskasse erzählen gehört, so stand er auch bereits an der Pforte ihres Geheimnisses.
Da raschelte es unten wieder und der Eine, welcher die Tochter haben wollte, sagte:
»Du, schläfst Du schon?«
»Nein.«
»Was ist über uns?«
»Der Heuboden.«
»Warst Du da schon einmal?«
»Nein. Dort schlafen nur selten Leute, welche besser sein wollen als Unsereiner.«
»Donnerwetter! Wenn Jemand oben läge!«
»Höre, das ist wahr! Der Kerl hätte Alles gehört!«
»Man müßte ihn kalt machen.«
»Komm, wir müssen sogleich nachsehen.«
Sie standen alle Beide wieder auf und traten aus dem Stalle heraus. Königsau hatte den Riegel von innen vorgeschoben; er war also sicher. Aber auch im andern Falle hätte er sich nicht gefürchtet, denn er war mit zwei Taschenpistolen bewaffnet. Und doch war es ein Glück, daß er die Leiter hereingenommen hatte, denn er hörte sagen:
»Es ist zu, da oben.«
»Also Niemand drinn?«
»Wäre Jemand drinn, so würde die Leiter anlehnen.«
»Das ist richtig. Wir haben uns unnöthiger Weise echauffirt.«
»Ich denke es auch. Komm, legen wir uns wieder auf das Ohr!«
Das Geräusch, welches sie jetzt verursachten, gab Königsau Gelegenheit, sich in eine so bequeme Lage zu bringen, daß er darin verharren konnte, ohne besorgt sein zu müssen, ein verrätherisches Geräusch zu verursachen.
Wer waren diese beiden Kerls? fragte er sich. Jedenfalls nichtswürdige Subjecte, Schlachtfeldhyänen, von denen die eine die andere aufgezehrt hatte. Er beschloß, die ganze Nacht zu wachen und ihnen am Morgen zu folgen. Der Gedanke an die Masse Geldes, um die es sich handelte, ließ ihm zunächst allerdings keine Ruhe, bald jedoch kam die Müdigkeit langsam, aber sicher über ihn, und er fiel in Schlaf, der aber so leise war, daß er sofort erwachte, als kurz vor Tagesanbruch sich die beiden Männer unter ihm zu regen begannen. Der Eine gähnte laut und fragte:
»Schläfst Du noch?«
»Nein. Ich wachte soeben auf.«
»Ich auch. Welche Zeit wird es sein?«
»Will sehen!«
Die Thür des Stalles wurde geöffnet, und dann sagte dieselbe Stimme:
»Der Tag wird gleich kommen. Wir könnten immer aufbrechen.«
»Wie ist es mit dem Regen?«
»Nicht so dick wie gestern, aber er dringt durch.«
»Verdammt! Gutes Wetter wäre mir lieber!«
»Und mir dieses schlechte. Kein Mensch wird in den Bergen sein.«
»Wie lang haben wir zu gehen?«
»Zwei Stunden.«
»Das ist viel. Wir werden fadennaß.«
»Aber wir bekommen Geld die Hülle und die Fülle. In der Köhlerhütte machen wir uns dann ein Feuer und wärmen und trocknen uns.«
»Liegt sie an unserm Wege?«
»Ja.«
»Und ist sie bewohnt?«
»Lange nicht mehr. Wir sind da vollständig sicher. Komm, mache Dich auf die Beine.«
Der Andere erhob sich, trat aus dem Stalle heraus und machte die Thür desselben wieder zu. Dann dehnte und streckte er sich und fragte:
»So! Ich bin bereit. Rechts oder links?«
»Rechts? Dummheit! Wir werden doch nicht wieder durch die Stadt gehen. Wir müssen links, am Wasser hin. Wenn dann drei große Erlen kommen, geht es in die Berge hinein. Komm!«
Sie entfernten sich. Jetzt brauchte Königsau nicht sofort nachzufolgen, denn er wußte die Richtung, in welcher er sich zu halten hatte. Uebrigens war seine Aufgabe keineswegs eine leichte. Er wollte diese beiden Menschen verfolgen und durfte sich ihnen doch nicht so weit nähern, daß er von ihnen gesehen werden konnte. Aus diesem Grunde war ihm das Regenwetter hoch willkommen. Es weichte den Boden auf, so daß tüchtige Spuren zurückbleiben mußten, welche leicht zu erkennen waren.
Er ließ erst ihre Schritte vollständig verhallen; dann öffnete er seine Thür und schob die Leiter hinaus, an welcher er hinunter stieg, nachdem er die Thür wieder verschlossen hatte. Gleich von hier aus waren die Spuren der Beiden ganz deutlich zu sehen.
Er folgte denselben längs des Flüßchens hin bis zu den erwähnten drei großen Erlen. Dort bogen sie links ab und er mit ihnen.
Bei hellem Wetter wäre es bereits Tag gewesen, heut aber mischte sich der Regen mit einem Nebel, welcher kaum zehn Schritte weit zu blicken erlaubte. Die Gegend war nicht sehr bewaldet, und so sorgten die Verhältnisse ganz von selbst dafür, daß die Spuren sich nicht verloren.
So ging es wohl eine Stunde lang immer bergan. Da begann der Hochwald, und es hieß nun, vorsichtiger und auch aufmerksamer sein.
Königsau beflügelte seine Schritte, um in größere Nähe der Voranschreitenden zu kommen. Nach einiger Zeit hörte er ihre Stimmen, da sie ganz ungenirt laut mit einander sprachen, und nun konnte er, hinter den Bäumen versteckt, hinter ihnen herhuschen, ohne befürchten zu müssen, sie wegen Mangels an Spuren zu verlieren.
Diese letzteren waren jetzt immer einer Art von Weg gefolgt, auf welchem sich wohl auch ein Wagen bewegen konnte, jetzt aber endete dieser Weg an einer kleinen Lichtung, auf welcher ein sehr primitives Gebäude stand, jedenfalls die Köhlerhütte, von welcher gesprochen worden war.
Die Männer traten nicht ein, sondern schritten quer über die Lichtung hinüber. Königsau folgte ihnen, aber nicht direct, sondern sich unter den Bäumen am Rande der Blöße haltend. Wenn Einer zurückblickte, hätte er sonst sehr leicht entdeckt werden können.
Jetzt hatte der Pfad aufgehört; aber die Bäume standen so breit auseinander und das Terrain stieg so langsam empor, daß man auch hier noch mit Wagen fahren konnte. Endlich kam man in eine breite Thalmulde, welche fast bis zum Kamme des Gebirges emporzugehen schien, dann aber plötzlich in einen breiten, kluftartigen Riß überging, welcher sich nach links hinzog.
In ihn bogen die beiden Männer ein, und der Oberlieutenant folgte ihnen. Die beiden Ränder der Schlucht waren dicht mit starken Bäumen besetzt, zwischen denen noch niederes Gebüsch wucherte. Königsau brauchte nicht zu befürchten, gesehen zu werden.
Da sie unten auf der Sohle der Schlucht fortschritten, so konnte er etwas höher parallel mit ihnen gehen und so sie sogar reden hören. Jetzt, zum ersten Male, sah er auch ihre Gesichter. Es war ein älterer und ein jüngerer Mann. Der Erstere hatte ein dicht bebartetes Gesicht und in seinem Gang, seiner Haltung etwas Forstmännliches. Er mochte wohl ein fortgejagter Forstwart sein. Seine Züge waren kühn und keineswegs abstoßend. Der Andere trug auch einen Vollbart, aber kurz und struppig, weil er noch nicht lange Zeit gestanden hatte. Seine Haltung war gebückt, sein Gang schleichend, und sein Gesicht zeigte die Spuren einer durch Laster fast bereits zerrütteten Jugend. Königsau hatte große Lust, ihn jeder Schandthat für fähig zu halten.
»Geht es noch weit?« fragte dieser Letztere, welcher bedeutend jünger war als der Erstere, mit lauter Stimme.
»Warte einmal!« sagte der Gefragte lächelnd. Er musterte den Boden und fügte dann hinzu: »Gehe einmal grad zwölf Schritte langsam vorwärts!«
Der Aufgeforderte that dies.
»Halt!« kommandirte jetzt der Andere.
»Halt? Warum?«
»Weil Du jetzt grad über der Kriegskasse stehst.«
»Ah, sie liegt grad unter mir?«
»Ja.«
»Wie tief?«
»Ungefähr fünf Fuß.«
»Da werden wir aber verteufelt zu graben haben!«
»Nein; es geht ganz gut. Der Boden ist locker.«
»Aber Hacken und Schaufeln?«
»Gehe noch fünf Schritte geradeaus!«
Der Andere that es.
»Halt!«
»Hier liegen sie?«
»Ja, grad unter Deinen Füßen.«
»Wie tief?«
»Nur so tief, daß Du nichts als das Messer zu nehmen brauchst, um sie zu bekommen.«
»Wollen wir gleich anfangen?«
»Ja. Aber erst trinken wir einen Schluck.«
Der Sprecher zog eine Branntweinflasche aus der Tasche, that einen tüchtigen Schluck und reichte sie dann dem Andern hin, der auch davon trank und sie ihm dann zurückgab.
Nun gruben sich die Beiden zunächst die Werkzeuge aus der Erde. Es waren zwei Spitzhacken und zwei Schaufeln. Der Jüngere forderte den Aelteren auf:
»Also, sag mir, wie ich graben soll. Wo ist die Länge und die Breite?«
»Es ist ein Quadrat. Ehe wir die Hacken nehmen, müssen wir erst den Rasen mit den Schaufeln vorsichtig abstechen und abschälen. Er kommt später wieder darauf. Sonst würde man merken, daß hier gegraben worden ist.«
Er nahm eine der Schaufeln und stach ein Quadrat des Rasens aus, welches abgehoben und zur Seite gelegt wurde. Dann begann die eigentliche Grabarbeit.
Königsau hatte das Alles ganz deutlich gesehen und gehört. Er hatte sich, höchstens fünfzehn Schritte oberhalb ihres Arbeitsortes, ganz gemächlich unter die überhängenden Zweige einer starken Fichte niedergesetzt. Dort war der Regen nicht durchgedrungen; er hatte also einen bequemen trockenen Sitz und wurde durch ein kleines, vorstehendes Strauchwerk so versteckt, daß er nicht bemerkt werden und doch Alles genau beobachten konnte.
Die Beiden arbeiteten wohl eine halbe Stunde abwechselnd mit Hacke und Schaufel. Da endlich gab ein Hieb einen dumpfen, harten Ton.
»Was war das?« fragte der Jüngere.
»Wir sind auf die Kiste gestoßen.«
»Ah, das Geld ist in einer Kiste?«
»Nein; in einem eisernen Kasten, aber dieser steht wieder in einer Kiste.«
»Höre,« sagte der Jüngere, »ich will Dir sagen, daß ich bis jetzt an der Wahrheit Deiner Erzählung gezweifelt habe.«
»Dummkopf!«
»Ich dachte, Du wolltest mich dadurch bewegen, Deine Tochter zu nehmen.«
»Unsinn! Die würde noch einen anderen Kerl kriegen, als Du bist.«
»Na, schön ist sie nicht.«
»Wenn sie Dir nicht paßt, kannst Du ja gehen!«
»Das fällt mir gar nicht ein! Also die Kriegskasse ist wirklich in dieser Kiste?«
Sein Gesicht war vor Erregung geröthet, und seine Augen glühten wie Flammen.
»Na, was denn sonst?«
»So wollen wir weiter graben.«
Er ergriff die Hacke, während der Andere schaufelte. Als dieser sich aber ein Wenig mehr niederbückte, als nöthig gewesen wäre, holte er mit der Hacke aus und schlug sie ihm mit aller Gewalt auf den Hinterkopf. Der Getroffene stürzte lautlos und mit vollständig zerschmettertem Schädel in die Grube hinab.
Der Mörder aber warf die Hacke weg, schlug die Hände zusammen und rief:
»Hier, Dummkopf, hast Du Deinen Lohn! Um die Kasse zu besitzen, hast Du die Andern gemordet; jetzt bist Du selbst todt und mußt sie mir überlassen. O, ich bin reich, reich, reich, reich! Und Niemand weiß es und Niemand bekommt Etwas davon! Nun mag der Teufel das Mädchen holen! Ich kann mir nun die Schönste suchen, die es giebt, ich kann sogar auf die Meierei Jeanette freien gehen!«
Die entsetzliche That war so schnell und unerwartet begangen worden, daß es für Königsau unmöglich gewesen wäre, sie zu verhindern. Er war aufgesprungen; er stand ganz steif vor Schreck; aber lange Zeit blieb er nicht so stehen, sondern er zog seine beiden Doppelpistolen hervor, spannte die Hähne und schlich sich hinab.
Der Mörder stand wie ein Verzückter vor seinem Opfer.
»Habe ich Dich getroffen? Nicht wahr, sehr gut?« sagte er. »Komm heraus! Ich muß zu der Kasse hinab, Du aber liegst mir im Wege!«
Er ergriff die beiden Beine des Ermordeten und zog ihn aus der Grube heraus. Dann nahm er die Schaufel vom Boden auf und richtete sich in die Höhe, um die Arbeit fortzusetzen; da aber riß er plötzlich die Augen auf; die Schaufel entsank seinen Händen, und er stand vor Schreck völlig bewegungslos.
Er hatte Königsau bemerkt, welcher zwei Schritte weit vor ihm stand, die vier Läufe seiner Pistolen auf ihn gerichtet.
»Mörder!«
Auf dieses Wort des Officiers konnte der Mann nichts antworten; er schien die Sprache verloren zu haben.
»Gleich siehst Du, ob er vielleicht noch lebt!«
Dieser Befehl gab ihm das Vermögen der Sprache wieder.
»Hölle und Teufel, wer sind Sie?« fragte er.
»Das wird sich finden. Jetzt siehst Du nach, ob er noch lebt, sonst jage ich Dir eine Kugel in den Kopf. Vorwärts, rasch!«
Königsau's Ton und Haltung waren so, daß der Mann nicht zu widerstreben wagte. Er bückte sich nieder, untersuchte den Andern und sagte dann ohne eine Spur der Reue:
»Vollständig todt. Warum war er so dumm?«
»Wer der Dumme ist, das wird sich finden. Wie heißest Du?«
Der Mann hatte sich jetzt von seinem Schrecke vollständig erholt. Er antwortete:
»Wem geht das hier Etwas an?«
»Mir! Uebrigens mache ich Dich darauf aufmerksam, daß ich Dir sofort die Kugel durch den Kopf jage, wenn Du mir noch eine einzige solche Antwort giebst. Also, wie heißest Du?«
»Fabier.«
»Woher?«
»Aus Roncourt.«
»Was bist Du?«
»Fleischer.«
»Wie hieß dieser Mann hier?«
»Barchand.«
»Woher?«
»Auch aus Roncourt.«
»Was war er?«
»Auch Fleischer.«
»Gut, das genügt einstweilen. Nimm eine Hacke und Schaufel und folge mir!«
»Wozu?«
»Das wirst Du erfahren.«
»Wissen Sie, was sich in dieser Grube befindet?«
»Ja.«
»Nein, Sie wissen es nicht, Sie können es nicht wissen!«
»Ich weiß es.«
»Nun, was?«
»Die Kriegskasse von Ligny.«
»O Teufel, woher wissen Sie das?«
»Ich bin ein Officier. Das muß Dir genügen.«
»Officier? Herr, wir wollen die Kasse theilen!«
»Unsinn.«
»Ich will nur den dritten Theil haben!«
»Schweig, und gehorche.«
»Nur den vierten Theil.«
»Wirst Du Hacke und Schaufel nehmen oder nicht?«
»Ich gehorche, und Sie werden mit sich reden lassen.«
Er nahm die Werkzeuge auf. Immer mit gespannter Waffe führte ihn Königsau eine Strecke weiter in die Schlucht hinein. Auf den Boden deutend, gebot er:
»Hier gräbst Du dem Gemordeten ein Grab!«
»Gern, Monsieur! Aber wollen wir nicht erst über die Kasse sprechen?«
»Später. Erst bringen wir den Todten zur Ruhe.«
»Gut, ich werde gehorchen.«
Er begann zu arbeiten. Der Gedanke an die Kasse trieb ihn zum größten Eifer an. In Zeit von einer Viertelstunde war ein sechs Fuß langes und vier Fuß tiefes Grab aufgeworfen. Der Mann blickte den Lieutenant fragend an.
»Noch einmal so breit!« gebot dieser.
»Warum? Das genügt Ja.«
»Arbeite so, wie ich es Dir befehle.«
Der Mann sah sich gezwungen, zu gehorchen. Nach Verlauf von abermals einer Viertelstunde hatte das Grab die anbefohlene Breite.
»Jetzt hole Deinen Kameraden her und lege ihn hinein!«
Der Mann gehorchte abermals, aber er war außerordentlich blaß geworden. Es schien ihm zu ahnen, weshalb er dem Grabe eine doppelte Breite hatte geben müssen.
»Was nun?« fragte er jetzt, scheinbar demüthig.
Königsau bemerkte gar wohl die Blicke, welche er um sich warf. Es handelte sich hier um Leben und Tod. Jeder mußte auf den Anderen die strengste Obacht geben.
»Jetzt wird die Kasse wieder zugedeckt,« sagte der Officier.
»Zugedeckt? Warum?«
»Es soll sie Niemand bemerken. Weshalb denn sonst?«
»Ich denke, wir wollen sie theilen!«
»Sie bleibt unberührt.«
»Herr, beweist doch einmal, daß Ihr ein Recht an ihr habt!«
»Du bist der Kerl nicht, dem ich dies zu beweisen hätte. Packe Dich an die Arbeit, sonst jage ich Dir die Kugel in den Kopf.«
»Aber wenn ich die Kasse zugedeckt habe, was wird nachher?«
»Das wirst Du sehen.«
»Herr, Ihr dürft nicht so schlimm von mir denken.«
»O nein. Du hast nur bereits Sechs abgethan; dieser dort ist der Siebente.«
Da wurde das Gesicht des Mannes förmlich fahl vor Schreck. Dann aber trat auch sein eigenthümlicher Character zu Tage, denn er antwortete darauf:
»Nun, wenn Sie das wissen, so werden Sie mir wohl auch glauben, daß ich Ihnen jetzt nur gehorche, weil ich meinen Grund dazu habe.«
»Allerdings. Du fürchtest meine Kugel.«
»O, da irren Sie sich ganz außerordentlich. Nicht eine jede Kugel trifft.«
»Die meinige sicher.«
»Das kommt auf eine Probe an.«
Königsau zuckte die Achsel.
»Dummkopf!« sagte er. »Glaubst Du, mich zu Probeschüssen verleiten zu können? Gehorche meinem Befehle, sonst wirst Du sofort sehen, daß ich gut treffe.«
Der Mann begann nun allerdings, die Grube zuzufüllen, welche er mit dem Todten mit so vieler Mühe aufgegraben hatte. Königsau stand dabei und sah zu, daß es in der gehörigen Weise geschehe. Auch der Rasen wurde wieder darauf gelegt und festgetreten, so daß man nicht sah, daß vor wenigen Minuten sich hier ein tiefes Loch befunden habe. Jetzt sagte der Mörder:
»So, da sind wir fertig; unser Geheimniß ist nun wieder gesichert. Ich hoffe nun, daß wir unsere Verabredungen treffen. Wie haben Sie denn eigentlich den Ort kennen gelernt, an dem der Schatz vergraben liegt?«
Königsau sagte sich, daß die Wahrheit hier eine Strafschärfung sei, und daher antwortete er mit einem überlegenen Lächeln:
»Von Euch selber.«
»Von uns? Wen meinen Sie?« fragte er erstaunt.
»Ich meine Dich und dort Deinen Begleiter, den Du ermordet hast.«
»Wie? Von uns Beiden hätten Sie es erfahren?«
»Ja.«
»Aber wie denn?«
»Ihr spracht gestern Abend im Ziegenstalle davon.«
»Donnerwetter! Wo waren Sie da?«
»Ueber Euch auf dem Heuboden.«
Der Mann stand ganz perplex da.
»Aber wir haben ja nachgesehen,« sagte er. »Es war kein Mensch droben.«
»Ich war droben.«
»Es war ja zugeschlossen!«
»Ich hatte von innen zugeschlossen.«
»Es war keine Leiter da.«
»Ich hatte sie mit hineingenommen.«
»Und das ist wahr, wirklich Alles wahr?«
»Ganz gewiß. Als Ihr Euch ausgesprochen hattet, sagtet Ihr Euch gute Nacht; aber nach einer Weile frugst Du, was über Euch sei. Es kam Euch der Gedanke, daß Jemand gehorcht haben könnte, und da nahmt Ihr Euch vor, ihn kalt zu machen.«
»Wahrhaftig, das stimmt, das stimmt! Wie dumm, o wie dumm!«
»Daß Ihr mich nicht kalt gemacht habt?«
»Ja, das hätten wir ganz sicher gethan.«
»Heut morgen bespracht Ihr noch den Weg, links vom Flusse ab, wo die drei hohen Erlen stehen. Da bin ich Euch nachgefolgt bis hierher.«
»Welch eine Dummheit von uns! Aber sagt, was hatten Sie sich vorgenommen? Was wollten Sie thun?«
»Ich wollte den Ort kennen lernen und dann die Kasse holen. Vielleicht hätte ich Euch beide erschossen, so wie Du ihn getödtet hast und ich Dich auch tödten werde.«
»Mich? Tödten?« fragte er mit kreidebleichen Lippen.
»Ja, gewiß,« antwortete Königsau bestimmt und ernst.
»Aber warum? Ich habe Ihnen doch nichts gethan!«
»O, Du hättest mich längst erschlagen, wenn Dich meine Pistolen nicht im Zaume gehalten hätten. Du hast Deinen Kameraden gemordet, und der Ort, an welchem die Kasse vergraben liegt, muß verborgen bleiben; das sind zwei höchst triftige Gründe für Dein Todesurtheil. Du hast Dir dort Dein Grab selbst gegraben; Du wirst neben Deinem Opfer verfaulen.«
Der Mann blickte einige Secunden regungslos zu Boden, als ob er sich von den Worten des Sprechers vollständig zerknirscht und niedergeschmettert fühle. Dann zog er den einen Fuß zurück und warf sich im nächsten Augenblicke mit einem wuchtigen Sprunge auf den Mann, der sich hier zu seinem Richter aufwarf.
»Noch ist's nicht so weit!« rief er. »Stirb Du vor mir!«
Aber der verkleidete Husarenlieutenant war nicht der Mann, sich in dieser Weise überrumpeln zu lassen. Sein scharfes Auge hatte die Fußbewegung des Mörders ganz richtig taxirt. Er trat, als dieser sich auf ihn schnellte, zur Seite, erhob die Pistole und antwortete:
»So fahre hin ohne Beichte und Gebet!«
Sein Schuß krachte und der Franzose stürzte, durch den Kopf getroffen, zu Boden.
Jetzt waren die Opfer der Kriegskasse gerächt, und der Sieger befand sich, wie er meinte, in dem alleinigen Besitze des werthvollen Geheimnisses.
»Jetzt bin ich der Einzige, der diesen Ort kennt,« sagte er zu sich. »Die Deutschen werden siegen und wieder in Frankreich eindringen. Ich hebe dann die Kasse und übergebe sie dem Marschall. Ein Avancement ist mir darauf hin gewiß. Daß ich diesen Menschen erschossen habe, braucht meinem Gewissen keine Schmerzen zu machen. Er war ein Verräther gegen seine Verbündeten, ein Mörder, der seinen Lohn empfangen hat.«
Er warf die Leiche des Erschossenen in das von diesem selbst bereitete Grab und deckte die beiden Todten mit Erde zu. Nachdem er das Aeußere des Grabes so hergerichtet hatte, daß man nur schwer errathen konnte, was hier vorgegangen war, zerstreute er rundum die noch übrig gebliebene Erde. Auch gab er sich die möglichste Mühe, den Ort, an welchem die Kasse vergraben lag, so natürlich herzustellen, daß Niemand auf den Gedanken gerathen konnte, daß hier in der Erde ein Schatz von so bedeutendem Werthe vergraben liege.
Nun blieb nur noch übrig, die Werkzeuge wieder zu verbergen. Er that dies in derselben Weise, wie es vorher der Fall gewesen war, da ihm keine bessere Art der Verwahrung einfallen wollte. Darauf maß er die Lage der Goldgrube, der Werkzeuge und der Leichen genau nach Schritten ab und zog dann sein Notizbuch hervor, um seine Notizen darüber zu machen und eine Zeichnung zu entwerfen.
Jetzt war er fertig und trat den Rückweg an.
Als er das Haus erreichte, in welchem er gestern Abend eingekehrt gewesen war, fand er die Wirthsleute bereits munter. Sie hatten sich noch nicht um ihn gekümmert und glaubten, daß er erst jetzt aufgestanden sei. Das war ihm lieb.
Nachdem er ein sehr frugales Frühstück genossen hatte, bezahlte er seine Zeche und setzte seinen Weg fort, begleitet von den besten, aber wortkargen Wünschen der beiden Alten, welche gestern Abend so ungewöhnlich mittheilsam gegen ihn gewesen waren.