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Kapitel 1 - Wie es begann
Оглавление«Die Wahrheit über Madeleine Brock.»
Fette grosse Druckbuchstaben, billige Effekthascherei! Kopfschüttelnd fasste die junge Reporterin Lana King den Entschluss, diesen eh schlecht recherchierten, unmöglich auf Tatsachen basierenden Artikel, nicht zu lesen. Sie faltete genervt die Zeitung zusammen und schmiss sie aufs Bett. Seit Wochen zierte das schöne Gesicht von Madeleine Brock, die von der Presse manchmal auch nur MAD-y genannt wurde, Zeitungen und unzählige Magazine. Einen solchen Skandal hatte es seit Jahren nicht mehr gegeben. Und der Rummel um ihre Person schien nicht abzuflauen. Mittlerweile war Madeleine zum Inbegriff eines unmoralisch gewissenlosen, von Geldgier und Macht getriebenen Ungeheuers geworden. Erst vor wenigen Tagen trat eine angebliche Bekannte aus Madeleines Vergangenheit an die Presse heran um neue hanebüchene Geschichten in die Welt hinaus zu posaunen. Name wurde von der Redaktion geändert, ein platzierter Balken auf dem alten Foto, welches sie mit MAD-y in einer Diskothek zeigt, machte ihr Gesicht unkenntlich. Ob Wahrheit, Halbwahrheit oder Lüge, es ging eigentlich nur noch darum den Hype um ihre Person aufrechtzuerhalten. Geschichten über Madeleine Brock liessen die Absatzzahlen in die Höhe schnellen. Die Menschen sind nun mal sensationslüstern. Solange die Story noch genügend Interesse der Leser weckte, galt es sie profitabel auszuschlachten. Seriöser Journalismus war in dieser Sache schon lange nicht mehr gefragt. Lana schämte sich für ihre Berufskollegen. Die beinahe ganze westliche Hemisphäre hielt seit über vier Wochen Ausschau nach MAD-y. Doch wer ist diese Madeleine Brock eigentlich? Eine Frau die untertauchte als man sie des eiskalten Mordes an ihrem über zwanzig Jahre älteren Mann, einem der reichsten Industriellen der Welt verdächtigte. Die Berichterstattungen legten pikante Details über ihre Vergangenheit offen. Das Mädchen aus armen Hause, ohne Schulabschluss, die tagsüber als Kellnerin und nachts als Stripperin in einem Nachtclub jobbte, wie konnte sie sich den Milliardär Gregory Coleman angeln? Die eben aufgetauchte und von der Redaktion anonym gehaltene, mit der Madeleine einen Teil ihrer Jugendzeit verbracht haben soll, behauptete nun, Madeleine habe früher sogar als Prostituierte gearbeitet. Nach knapp drei Jahren Ehe mit dem Milliardär machten erste Scheidungsgerüchte die Runde. Das Paar selbst dementierte dies den Medien gegenüber immer wieder. Nach Aussagen der Haushälterin sollen sich Coleman und Madeleine in der Nacht seines Todes heftig gestritten haben. Die Enkelin Chloé Sanders fand ihren Grossvater ermordet in dessen Villa vor. Diverse Wertgegenstände wurden entwendet. Nach ersten Ermittlungen ging die Polizei davon aus das Madeleine im Streit auf ihren 24 Jahre älteren Gatten mehrere Schüsse abfeuerte und daraufhin floh. Die Tatwaffe konnte bisher nicht gefunden werden. Tobias der Enkel, welcher ebenfalls in Colemans Stadtvilla lebte, bestätigte später gegenüber der Presse dass sich sein Grossvater und Madeleine scheiden lassen wollten. Gründe konnte oder wollte er keine nennen. Der Anwalt der Familie äusserte sich nicht dazu. Seit dem Mord wurde die Villa von Reportern Tag und Nacht belagert. Die Enkelkinder verfolgte man auf Schritt und Tritt. Die beiden hatten keine ruhige Minute mehr. Chloé belastete dies mehr als ihren Bruder. Sie zog sich soweit er ihr möglich war aus dem öffentlichen Leben zurück. Zwei Wochen nach dem Tod seines Grossvaters setzte Tobias, der hingegen gerne im Rampenlicht stand, in einer Fernsehsendung eine halbe Million Dollar Belohnung aus für Hinweise die zur Ergreifung von Madeleine führten. Dazu liess er eigens eine Hotline einrichten. Unzählige Anrufe gingen bisher ein, jedoch ohne brauchbare Hinweise. Madeleine Brock blieb wie vom Erdboden verschluckt. Tobias und Chloé hatten beide eine sehr enge Bindung zu ihrem Grossvater. Sie wuchsen viele Jahre in dessen Obhut auf. Ihr Vater war früh verstorben und ihre Mutter ständig in Europa auf Reisen.
Während Lana King telefonierte glühte eine Zigarette in ihrer linken Hand. Sie war zuhause. Das Appartement war knapp zwanzig Quadratmeter gross und sporadisch eingerichtet. Im Raum befanden sich ein Bett, ein wackliger Küchentisch um den drei Stühle standen und ein mit Kleidern bedeckter Polstersessel. In einer Ecke gab es eine kleine Einbauküche. Alles war sehr unordentlich. Auf jeder noch so kleinen Fläche die Möbel und Raum boten, stand oder lag etwas. Frisch gewaschene Socken und ein BH trockneten auf einem Klappständer vor dem Fenstersims, auf dem bis ein über den Rand mit Stummeln gefüllter Aschenbecher stand. Das ungespülte Geschirr stapelte sich auf der schmalen Küchenablage. Überall lagen Zeitungsstapel, neben, vor, unter und auf dem Bett. An einer Wand türmten sich volle Umzugskartons bis knapp unter die Zimmerdecke. Zwischen den Kisten hindurch blieb gerade genug Platz um ins Bad zu kommen. Für Lana war die Unterkunft eine vorübergehende Notlösung. Vor zwei Wochen hat sie sich, an ihrem zweiunddreissigsten Geburtstag von ihrem Freund getrennt, weil sie ihn in flagranti mit einer anderen erwischte. Das tat weh. Fast gleichzeitig hängte sie ihren Job als Reporterin bei einem kleinen Zeitungsverlag an den Nagel. Da sie dort einen Maulkorb verpasst bekommen hatte und nicht mehr über den Mordfall Coleman sprechen durfte. Sie war davon überzeugt, bei einigen Einflussreichen Leuten die falschen Fragen gestellt zu haben. Da der überquillte Aschenbecher keinen Platz mehr bot, löschte Lana ihre eben gerauchte Zigarette im Spültrog unter fliessendem Wasser. Am Mobiltelefon plapperte sie ohne Unterlass mit ihrer besten Freundin. Das Fenster klemmte, wie immer. Sie versuchte mit der freien Hand den Qualm in der Nähe des Rauchmelders wegzuwedeln.
«Was? Nein! Ich rauche nicht mehr, dass weisst du doch Honey!»
Seit über einer Stunde hing sie mit Lucy an der Strippe. Lanas rechtes Ohr glühte beinahe. Sie sprachen unter anderem über ihren ehemaligen Vorgesetzten, den Chefredakteur. Ihre Freundin arbeitete dort noch immer als Kolumnistin, wobei auch sie sich nicht sonderlich positiv über ihren Arbeitgeber äusserte. Wenn sie von ihm sprach, betitelte sie ihn meistens
als einen alten sexistischen Lustmolch.
«Ach der kann mich kreuzweise!» wetterte Lana energisch.
Ihr amüsiertes Gesicht verwandelte sich schlagartig in eine erzürnte Miene. Lucy musste etwas gesagt haben das ihr nicht gefiel. Ab und wann kam das vor. Mit Kritik konnte Lana noch nie sonderlich gut umgehen.
«Ich? Ein Autoritätsproblem? Die Geschichte war eine Lüge und frei erfunden. Honey, du müsstest am besten wissen, dass ich so nicht arbeiten kann!»
Eine kurze Pause entstand. Lana ging dabei im Kreis umher und malte mit ihren nackten Zehen Muster in den langflorigen Teppichboden.
«Keiner traut sich darüber zu schreiben. So vieles passt nicht zusammen. Die Haushälterin sagte aus das Mister Coleman sie persönlich darum bat dafür zu sorgen, dass sich in jener Nacht keine Bediensteten in der Villa aufhalten. Warum, frage ich mich, hätte er das tun sollen?»
Lucy glaubte, für alles gebe es eine logische Erklärung. Von Verschwörungstheorien hielt sie nicht das Geringste. Madeleine Brock war für Lucy eine eiskalte und berechnende Mörderin. Von dieser Meinung liess sie sich nicht abbringen. Zwei Magazine rutschten fast lautlos auf den Teppich als sich Lana auf dem Bett einen Platz zum Sitzen freischaufelte. Da war es plötzlich wieder, ihr sympathisches Grinsen.
«Haha, Honey, das ist doch völliger Unsinn! Die Haushälterin ist wenige Tage nach ihrer Aussage spurlos verschwunden. Ich wollte daraufhin mit den restlichen Angestellten die in der Villa arbeiteten sprechen, doch die sind plötzlich auch alle unauffindbar. Das ist doch unheimlich?!»
Nach wenigen Sätzen fuhr Lana ihrer Freundin wieder ins Wort. «Sie rief Colemans Anwalt am Morgen an um ihn zu treffen. Madeleine wollte ihm sagen dass er ihren Mann bitten soll sie aus seinem Testament zu streichen. Woher ich das weiss? Nun, er hat es mir selbst gesagt! Ja, sein Anwalt. Und jetzt, halt dich fest, ist auch er verschwunden!»
Lucy wusste nicht was sie darauf antworten sollte. Seit Monaten versuchte sie Lana diese Verschwörungstheorien auszureden und endlich zur Vernunft zu kommen. Doch sie schien wie besessen von dem Fall.
«Honey, vielleicht habe ich mich da wirklich in etwas hineingesteigert. Ich bin nicht zu hundert Prozent von Madeleines Unschuld überzeugt, aber mein Gespür sagt mir, dass da eine ganz grosse Nummer läuft.»
Es klopfte völlig unerwartet an der Apartmenttüre.
«Meine Güte!»
Lana zuckte zusammen und hatte vor Schreck beinahe ihr Telefon fallen lassen. Es klopfte kein weiteres Mal. Ein knappes: «Warte kurz.» sagte sie zu Lucy, stand dann vom Bettrand auf um nachzusehen wer an der Tür wartete. Ihr erster Gedanke war, dass ihr Ex Freund unangemeldet auftauchen könnte. Aber als sie durch den Spion guckte sah sie niemanden warten. Bedächtig entriegelte sie das Schloss und öffnete die Wohnungstür. Als sie einen Schritt über die Schwelle setzte schaute sie umher. Keiner da und im Flur herrschte absolute Stille. Lana spürte, sie auf etwas getreten. Ein kleiner brauner Umschlag lag auf ihrer Fussmatte. Sie bückte sich, hob ihn auf und verschwand damit im Apartment. Das Telefon lag noch immer in ihrer Hand und sie vergewisserte sich das Lucy noch in der Leitung war.
«Da hat jemand etwas vor meiner Tür abgelegt!»
Während sie sprach schüttelte die den Umschlag. Da war etwas drin. Ohne das Telefon wegzulegen packte sie mit den Zähnen den Rand des Kuverts und riss es auf. Dazu plapperte sie unverständliche Sachen ins Telefon. Dann bekam sie den Umschlag auf. Lana spuckte ein kleines Stück Klebeband, dass an ihrer Zunge kleben geblieben war auf den Teppich. «Es ist ein USB Speicher Stick.»
Stirnrunzelnd packte sie ihn während der Umschlag flatternd zu Boden sank. An ihren Lippen klebte der bitterliche Geschmack des Klebers.
«Ich sollte mir gleich ansehen was da drauf ist.»
Ein mulmiges Gefühl stieg in ihr auf. Sie eilte zum Küchentisch neben dem ihre Tasche stand, in dem wiederum ein kleiner Laptop verstaut war.
«Honey, was soll da schon passieren?» Sprach sie ins Telefon. Man hörte wie aufgeregt Lana gerade war. «Mach dir keine Sorgen. Ich melde mich gleich wieder!»
Sie berührte das rote Hörersymbol und legte das Handy ab. Der Laptop startete bereits mit einem leisen Surren das Betriebssystem. Sekunden später war es dann soweit. Auf dem Stick befand sich eine einzige Videodatei. Der Film startete im Video Player. Das Bild ruckelte war schwarz-weiss und von schlechter Qualität. Es musste sich um eine Aufnahme aus einer Überwachungskamera handeln. Lana bemerkte gleich das Datum und die laufende Uhr unten rechts im Bild. Sie erschrak.
«Die Mordnacht!»
Offensichtlich eine Aufzeichnung aus Greg Colemans Arbeitszimmer. Vor einigen Jahren war sie in seiner Stadtvilla um ihn zu interviewen. Sie erinnerte sich ganz genau an die Räumlichkeiten. Die Kamera nahm aus einem ungewöhnlichen Winkel auf. Sie schien in einer Ecke des Zimmers ziemlich weit unten platziert worden zu sein. So konnte der Raum beinahe vollständig eingefangen werden.
Die Uhr im Bild zeigte 21:33 Uhr. Eine Weile lang passiere gar nichts. Ungeduldig führte Lana den Finger über den Cursor um den Film vorspulen zu lassen, doch sie liess es dann bleiben. Stattdessen wartete sie gespannt ab. Endlich, um 21:39 Uhr tauchte jemand im Bild auf. Es war Coleman persönlich. Sie erkannte wie er die Lippen bewegte. Lana schob den Lautstärkeregler hoch aber das brachte nichts. Leider hatte der Film keine Tonspur.
«Mit wem unterhält er sich da?» fragte sie sich.
Gregory stand nun direkt vor seinem Schreibtisch. Ein weiterer Mann betrat das Arbeitszimmer. Dieser sah wahnsinnig gross und kräftig aus. Er wirkte beinahe wie ein Riese. In einer Hand hielt er eine Waffe die auf Greg gerichtet war. Jetzt war es 21:41 Uhr. Coleman unterhielt sich weiterhin angeregt mit dem Fremden, der ihn mit der Waffe bedrohte. Beide bewegten sich kaum. Sie blieben an Ort und Stelle stehen. Ab und zu hatte Lana den Eindruck, Coleman schaue gezielt zur Kamera. Es wirkte als hätte er gewusst, dass alles gefilmt wird. Er nahm eine Position ein durch die idealerweise auch sein Gegenüber gut sichtbar ins Bild passte. 21:43 Uhr, ein Lichtblitz verriet das Abfeuern der Waffe. Gregory Coleman fasste sich an die Brust, seine Beine gaben sofort nach und er sank zu Boden. Ein zweiter stummer Schuss wurde abgefeuert. Entsetzt hatte Lana soeben mitverfolgt wie einer der reichsten und mächtigsten Männer des Landes das Zeitliche segnete.
«Mein Gott!»
Hat Madeleine Brock ihren Mann also wirklich nicht erschossen? Warum wusste die Polizei und das FBI nichts von dieser Aufnahme? Handelte es sich womöglich um eine Fälschung? Und natürlich musste sich Lana fragen wer ihr den USB Stick zukommen liess. Ihre Neugier war geweckt, mehr denn je. Nun lag Coleman, offensichtlich tot, vor seinem Schreibtisch am Boden. Sein Mörder ging auf die Leiche zu und beugte sich über sie. Das Licht der Arbeitsleuchte wurde etwas durch die Stellung des Riesen verdeckt, wodurch das Bild noch dunkler und körniger wurde. Der Mörder fasste an Gregs Hals. Nach einer ruckartigen Bewegung hielt er etwas Glänzendes hoch das aussah wie eine Kette mit einem Anhänger. Sie erkannte, der Fremde trug Handschuhe aus dunklem Leder. Der Riese wandte sein Gesicht in Richtung Kamera. Der grobe Kontrast der Aufnahme liess ihn noch furchteinflössender aussehen. Etwas auf seiner Stirn sah aus wie eine grosse Narbe. Die Haare waren kurz geschoren und sein Bart wirkte ungepflegt, das konnte aber auch an der schlechten Qualität der Aufnahme liegen. Ein eisiger Schauder lief Lana den Rücken runter, als sie die grossen dunklen Augen des Mörders regelrecht anstarrten. Um 21:44 Uhr verschwand der Riese aus dem Zimmer. Die Kamera lief weiter. Ein Blick auf den Zeitbalken des Video Players zeigte, dass der Film immer noch etwas über fünf Minuten dauerte. Bis um 21:47 Uhr passierte nichts weiter. Lana erkannte wie sich eine Blutspur von der Leiche weg in Richtung der Kamera bewegte. Zeitlupenartig bannte sich die zähe Flüssigkeit, die in Schwarz-Weiss wie Schokoladencreme aussah, ihren Weg über das Parkett. Dann, plötzlich tauchte der Riese wieder im Bild auf. Er setzte sich hinter Gregs Arbeitstisch, riss eine Schublade nach der anderen aus den Führungen und entleerte deren Inhalt auf die Tischplatte. Hektisch durchwühlte er alles. Scheinbar erfolglos richtete er seine Aufmerksamkeit eine Minute später auf die beiden Bücherregale hinter dem Pult. Es war genau 21:49 Uhr als der Mörder zornig mit der Faust gegen die Arbeitsleuchte schlug. Die Lichtquelle war aus und Lana starrte auf den dunklen Monitor. Die Aufnahme stoppte schlussendlich um 21:50 Uhr. Sie griff sich ihr Handy und schrieb Lucy eine kurze Nachricht ehe die sich noch Sorgen machen würde. «Bei mir alles Okay, melde mich später.»
Danach setzte Lana Wasser auf um sich einen Kaffee zu machen. Das unheimliche Gefühl das sie umgab wollte nicht mehr von ihr ablassen.
«Und jetzt?!» überlegte sie sich.
Was sollte sie jetzt mit der Videodatei anfangen? Ihre Gedanken liefen auf Hochtouren und immer, wenn das passierte kribbelte es in ihren Fingerspitzen. An der lädierten Tapete links vom Fenster hingen allerlei Zeitungsschnipsel. Diese hatte sie vor kurzem selbst dort aufgehangen. Es waren einzelne Artikel über den Mordfall Coleman sowie Fotos der Familienmitglieder die Lanas Ansicht nach irgendwie in diesen Mordfall verstrickt waren. Während das Wasser zu blubbern begann, betrachtete sie sich ihre Installation. Eine Portraitaufnahme der wunderschönen Madeleine Brock lächelte ihr entgegen. Von der Küchenablage schnappte sich Lana einen Notizzettel und einen Stift. Dann schrieb sie in Grossbuchstaben RIESE auf den Zettel und befestigte ihn mit einer Pin Nadel, von denen bereits unzählige in der Tapete steckten, an die Wand über einem Foto von Gregory Coleman. Sie grübelte darüber nach, wer der grosse Unbekannte war und wonach hatte er im Arbeitszimmer gesucht? Auf dem Herd hatte zwischenzeitlich das Wasser zu kochen begonnen. Lana bereitete sich eine Tasse mit Instantkaffee zu. Im schmalen Geschirrschrank über der Küchenkombination standen Tassen, trübe Gläser, Teller, Schalen und diverse Backutensilien, ohne erkennbares Ordnungsmuster beieinander. Das passte zum restlichen Chaos in der Wohnung. Sie pustete in die heisse Brühe die dreiviertel der Tasse ausfüllte. Ein unangenehmer Geruch kam ihr entgegen als sie die Kühlschranktüre öffnete. Zügig schnappte sie sich die Milch und schloss die Türe mit einem eleganten Hüftschwung. Vielleicht würde sie sich später einen feinen Cappuccino to go im Restaurant nebenan holen. Fürs erste musste der hier genügen. Auf dem Bildschirmschoner des Laptops tanzten bunte Punkte umher. Lana wollte sich das Video noch einmal anschauen. Knappe fünf Minuten wurde sie durch das klingelnde Mobiltelefon aus ihren Gedanken gerissen. Wider Erwarten war es Lucy. Auf dem Display stand unbekannter Anrufer. Lana zögerte nahm den Anruf aber entgegen.
«Ja?»
Sie hatte eine Vorahnung, mit aller Wahrscheinlichkeit würde der Absender des Videos mit ihr in absehbarer Zeit Kontakt aufnehmen wollen. Am anderen Ende der Leitung hörte sie Jemanden Atmen.
«Haben Sie sich das Video schon angesehen?»
Die Stimme klang verstellt, doch hörte sich eindeutig weiblich an.
«Ich habe es mir eben angesehen.»
«Wenn Sie mehr wissen wollen, sechzehn Uhr in der Lobby des Plaza Hotels. Kommen Sie alleine. Ich melde mich wieder.»
«Mit wem spreche ich?»
Die Verbindung brach ab. Da der Anruf anonym war wurde keine Nummer gespeichert die Lana hätte zurückrufen können. Die Uhr auf dem Handydisplay zeigte bereits 14:45 Uhr an. Wenn sie pünktlich am Treffpunkt erscheinen wollte, musste sie in fünfzehn Minuten den Bus nehmen. Wagen besass sie keinen mehr und momentan konnte sie sich nicht einmal ein Taxi leisten.
«Soll ich da überhaupt hinfahren?»
Es war unklar was sie dort erwarten würde. Seit ihren ersten Recherchen im Mordfall Coleman, konnte es Lana regelrecht riechen. Da war etwas Grosses am Laufen. Die vorhandenen Puzzleteilchen passten nicht zusammen. Es gab zu viele offenen Fragen über die sie sich den Kopf zerbrach. Womöglich, überlegte sie sich, könnten endlich ein paar Fragen beantwortet werden. Oder stellte ihr die Unbekannte Anruferin eine Falle? Wollte man sie zum Schweigen bringen? War sie bei ihren Nachforschungen doch auf etwas gestossen. Lana hatte auch einflussreichen Leuten hinterher spioniert. Das war mitunter ein Grund für ihre Strafversetzung bei dem Zeitungsverlag gewesen. Wegen der Versetzung stritt sie sich mit ihrem Boss, der Streit führte zur fristlosen Kündigung. Bereits als Kind hatte Lana einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn gehabt. Damit eckte sie immer wieder an. Sie starrte zu den Zeitungsschnipseln und Fotos an der Wand. War sie mit ihren Nachforschungen so weit gekommen dass sie Jemandem gefährlich werden konnte? Das bezweifelte Lana. Eigentlich wusste sie gar nichts. Seit mehr als einer Woche verkroch sie sich nur noch in diesen maroden vier Wänden. Beim Zähneputzen beobachtete sie sich selbstkritisch im Spiegel.
«Nimm die Spur wieder auf.»
Es schien der richtige Zeitpunkt sich etwas Mut zusprechen. Ihr Leben musste weitergehen. Zur Hölle mit dem Ex! Schluss damit, nächtelang war sie wachgelegen und stellte sich vor was hätte sein können. Obschon sie selbst die Notbremse zog warf sie die Trennung vollends aus der Bahn. Hätte sie von Anfang an auf ihren Bauch gehört, dann hätte sie sich erst gar nicht auf diesen Typen eingelassen. So etwas würde ihr nicht noch einmal passieren. Lana spukte die Zahnpasta ins Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und ihre hohle Hand füllte sich mit lauwarmem Rostwasser. Ein kurzer Flirt mit ihrem Spiegelbild, sie zwinkerte sich zu.
«Es ist alles okay. Du schaffst das.»
Zur nächsten Haltestelle war es nicht weit. Sie musste gleich aufbrechen.
«Es wird Zeit dort weiter zu machen wo du aufgehört hast. Das kann die Story deines Lebens werden.»
Die Mieten am Stadtrand waren bedeutend günstiger. Dafür dauerte der Weg ins Zentrum mit den öffentlichen Verkehrsmitteln eine halbe Stunde. Den ersten Bus hatte sie knapp verpasst, weil sie in aller Hektik ihr Handy im Appartement liegen liess und nochmal zurück musste um es zu holen. Nun wartete Lana zehn Minuten an der Haltestelle auf die nächste Busverbindung. Unterwegs musste sie einmal umsteigen, um zum Plaza Hotel zu gelangen.
Schleppend bewegte sich der Bus von Haltstelle zu Haltestelle. Je näher man dem Zentrum kam, umso mehr Menschen stiegen hinzu. Vor lauter Nervosität stieg Lana zwei Stationen zu früh aus und erst als sich hinter ihr die Türen schlossen wurde es ihr bewusst. Da wars zu spät, der Bus fuhr bereits weiter. Um nicht zu spät zu sein musste sie denn restlichen Weg zügig zu Fuss gehen. Ausser Atem stand sie drei Minuten vor vier vor dem Plaza Hotel. Ihre Beine zitterten vor Aufregung und Erschöpfung. Wäre es vielleicht nicht schlauer gewesen die Polizei zu informieren?
«Du musst das jetzt durchziehen!» murmelte sie in sich hinein.
Das Plaza war ein grosses, teures und frisch saniertes Fünf Sterne Hotel im Art Deco Stil der dreissiger Jahre. Eine Drehtür beförderte Lana in die Lobby. Der rote Teppich steuerte den Besucher geradlinig zur Rezeption, welche durch die hochglanzpolierte Messingverkleidung aussah wie ein gewaltiger Goldbarren. Auf der Ablage standen zwei reichlich verzierte Gefässe mit Blumensträussen. Hinter der Theke waren eine junge Frau mit leichtem Überbiss und ein gutaussehender Herr mit ergrauten Schläfen, beide schick uniformiert, unabhängig voneinander in Kundengespräche verwickelt. Die krakenartigen Auswüchse an den vier opulenten Deckenleuchtern, an deren Enden Fussballgrosse opalweisse Kugeln hingen, leuchteten wie ein Universum aus Vollmonden den ganzen Saal aus. Bestimmt wiegt so ein Ding mehrere Tonnen, dachte Lana als sie zur Decke hoch schaute. Sessel und Sofas waren in Gruppen aufgestellt und mit dunkelgrünem Stoff bezogen. In der Mitte stand jeweils ein kleiner runder Tisch aus Messingrohren und einer Marmorplatte. Die vielen Sitzgelegenheiten wurden rege genutzt. In der Lobby herrschte ziemlicher Betrieb. Lana merkte, dass sie einem Pagen mit Gepäckwagen den Weg zu einem der Fahrstühle versperrte und trat mit einem verlegenen Lächeln zur Seite. Der goldene Minutenzeiger auf der Wanduhr hinter dem Goldbarren schwang sich gerade auf vier nach vier Uhr. Ein flaues Gefühl machte sich in Lanas Magengrube breit. In den Fingerspitzen liess das Kribbeln nicht nach. Bestimmt sah man ihr die Aufregung an. Ihr kam es vor als würde sie so etwas zum ersten Mal machen. Ohne aufzufallen setzte sie sich auf einen Sessel in der Nähe der Lobby. Von da aus konnte sie gut zu den Fahrstühlen und zum Eingang sehen. Auf dem Tischchen lag eine gefaltete Tageszeitung. Wohin man auch ging, Madeleine Brock war omnipräsent. Lana hielt ihr Mobiltelefon bereits in der Hand als es klingelte. Unbekannter Anrufer.
«Ich bin in der Lobby.» man hörte an ihrer Stimme wie aufgeregt sie war.
«Sind Sie alleine?»
«Ja.»
Einen Moment lang hörte Lana nur ein Rauschen.
«Achter Stock, Zimmer 307.»
Die Unbekannte brach die Verbindung ab. Es war dieselbe verstellte Stimme wie vorhin gewesen. Lana pustete alle Luft aus ihren Lungen und füllte sie langsam wieder. Dann stand sie auf und ging rüber zum Fahrstuhl.
«Ich werde gleich erfahren was hier läuft.»
Kurz darauf trat sie auf weichen gemusterten Teppich Belag. Es roch dezent nach Farbe, als wäre hier vor kurzem noch gestrichen worden. Sanft schloss sich die Lifttüre hinter ihr. Der Flur war menschenleer. Geradeaus hing ein Messingschild das ihr die Richtung wies. Zum Zimmer 307 musste sie nach links. Die Wände waren in einem Bordeauxrot gestrichen und fanden den Abschluss mit einer breiten goldfarbenen Stuckbordüre zur weissen Decke hin. In der Stille hörte sie ein leises knistern unter ihren synthetischen flachen Schuhsohlen in Folge statischer Entladung. Als Lana die maserierte Holztür erreichte, schaute sie den Flur zurück. Ihr war niemand gefolgt. Sie klopfte dreimal. Ihre Hand zitterte dabei. Im Innern des Zimmers bewegten sich Schritte auf die Tür zu und sie hatte plötzlich das Gefühl, dass man sie durch den Spion beobachtete. Nach einigen Sekunden klickte das Schloss. Eine Frau, der Stimme nach war es nicht die Person mit der sie telefoniert hatte, bat sie höflich einzutreten. In der Suite roch es nach Vanille. Sie folgte der Fremden bis in den grosszügigen Wohnbereich.
«Bitte, treten Sie ein. Ich muss leider sicher gehen, dass Sie nicht verwanzt sind oder eine Waffe bei sich tragen.»
Etwas verwirrt aber ohne Gegenwehr liess sich Lana mustern.
«Mit Ihnen hatte ich nicht telefoniert, oder?»
«Nein, sie wird aber gleich da sein. Schalten Sie bitte ihr Mobiltelefon aus solange Sie hier sind und setzten Sie sich bitte.» ihre Aussprache war freundlich.
Mit einer Geste wies sie Lana an, sich auf den Sessel nahe dem Fenster zu setzten. Die Nachtvorhänge waren zugezogen und liessen kaum Tageslicht durch. Im Raum brannten zwei Stehlampen. Eine Türe öffnete sich.
«Entschuldigen Sie die Umstände, ich bin sehr vorsichtig geworden.»
Lana erhob sich sofort aus dem Sessel. Leibhaftig, Madeleine Brock hatte das Zimmer betreten. Fassungslos starrte Lana sie an. Die andere Frau welche ihr die Türe geöffnet hatte, nickte Madeleine kurz zu und ging dann aus dem Wohnzimmer. Spätestens jetzt hätte man die Polizei verständigen müssen. Alle Welt suchte nach der flüchtigen Witwe. Doch etwas hinderte Lana daran genau das zu tun. Es musste einen bestimmten Grund geben, warum Madeleine sie herbestellt hatte.
«Sie ist eine gute Freundin und passt auf mich auf.» erklärte Madeleine. «Man hat im Leben nicht wirklich viele gute Freunde auf die man sich in der Not verlassen kann.»
Der erste Schock war überwunden. Als sich Madeleine vis-a-vis auf einen Sessel setzte bemerkte Lana ihren rundlichen Bauch. Sie brauchte erst gar nicht zu fragen, denn ihr Gesichtsausdruck musste sie schon verraten haben.
«Ich bin im fünften Monat schwanger. Und ja, das Kind ist natürlich von Gregory.»
Lanas Kehle war so trocken, dass ihre Zunge am Gaumen festklebte.
«Nehmen Sie sich ruhig etwas zum Trinken von der Bar.»
Die hatte sie bereits ins Visier genommen und lief zum antiken Buffet hinüber. Sie schenkte sich ein Glas stilles Mineralwasser ein. Madeleine lehnte dankend ab, als Lana anbot ihr etwas zu reichen.
«Das Video beweist Ihre Unschuld. Warum gehen Sie nicht zur Polizei?»
«So kennt man Sie. Lana King die hartnäckige Reporterin die gleich zur Sache kommt.»
«Warum haben Sie mir diesen Beweis zukommen lassen?»
«Das ist alles viel komplizierter als Sie vermuten. Ich habe Ihre Berichterstattungen gelesen und Ihre Anstrengungen auf der Suche nach der Wahrheit mitverfolgt. Sie sind die Einzige die mich nicht für eine eiskalte Mörderin hält.»
«Meine Hartnäckigkeit hat mich meinen Job gekostet! Sind Sie es denn? Unschuldig meine ich.»
«Ich fürchte, ganz so einfach ist auch das nicht zu beantworten.»
Es war eine geschlossene Frage die man nur mit Ja oder Nein hätte beantworten können. Etwas überrascht über die Antwort, starrte Lana sie einen Moment lang an und schwieg. Unbewusst tippte sie dabei im Sekundentakt mit einem Finger gegen das Wasserglas.
«Bitte setzten Sie sich wieder hin, Sie machen mich nervös.» sagte Madeleine schliesslich.
«Aus welchem Grund sollte ich jetzt nicht die Polizei rufen?»
«Ihr Gefühl sagt Ihnen, dass Sie auf der richtigen Fährte sind. Helfen Sie mir das alles aufzudecken und im Gegenzug bekommen Sie ihre Story.»
Madeleine streichelte sanft über ihren Babybauch. Die Schwangerschaft schien ihr trotz den ganzen Umständen gut zu bekommen. Ihre Haare trug sie mittlerweile nicht mehr blond, sondern hellbraun. Nach wie vor war sie Lanas Meinung nach eine wunderschöne Frau die jedoch nur schwer zu durchschauen war. Ihre Mimik verriet nicht viel. Hinter der kühnen Fassade lauerte eine bewegte Vergangenheit. Nach Colemans Tod verschwand sie von der Bildoberfläche und war gezwungen ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Rund um die Uhr bestand Gefahr erkannt und gefasst zu werden. Was geht in so einem Menschen vor? Schlimmer noch, wenn man eines Mordes verdächtigt wird den man womöglich nicht begangen hat. Seit Monaten war es ihr möglich unsichtbar zu bleiben. Dies zeugte nicht bloss von geistiger und physischer Stärke, sondern Madeleine musste auch die finanziellen Mittel haben und die damit verbundenen Möglichkeiten gekonnt abzutauchen.
Lana nahm das Verhör wieder auf. «Haben Sie ihren Mann ermordet?»
«Nein.»
«Ist dieses Video echt?»
«Ja.»
Jetzt schenkte Lana ein Glas Wasser nach, trank und setzte sich dann endlich auf den Sessel zurück. Madeleines Ausdruck blieb warm und sympathisch. Trotzdem war Lana unsicher ob sie ihr wirklich trauen konnte.
«Wer ist dieser Riese aus dem Video?»
«Er nennt sich Adam Boyle, ich bin aber nicht sicher ob das sein richtiger Name ist.»
«Adam Boyle?» diesen Namen hatte Lana schon einmal gehört.
Als sie die Liste der Angestellten aus Colemans Villa durchgegangen war, um sie für ein Interview zu kontaktieren, hatte sie seinen Namen gelesen.
«Sein eigener Leibwächter hat auf ihn geschossen?»
Allmählich rückte Madeleine mit Informationen heraus. «Weil ich meinen Mann nicht töten wollte, wurde er eingeschleust.»
Die Klimaanlage lief, im Raum war es ziemlich kühl. Lana nippte am Glas und stellte es auf den Salontisch der zwischen ihnen stand. Ihre Bewegungen führte sie übertrieben langsam aus, weil sie versuchte sich einen Reim auf die Aussage zu machen. Die Geschichte wurde immer wie verworrener.
«Ich denke Sie müssen mir das jetzt genauer erklären.» sagte Lana.
«Es begann vor mittlerweile knapp vier Jahren. Ich lernte Gregory auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennen. Dieses Zusammentreffen war arrangiert. Mein Auftrag war es die Familie Coleman zu infiltrieren. Als erstes sollte ich nach Plänen über eine geheime Anlage die sich unter dem Landsitz der Familie befindet suchen. Zudem war es mein Auftrag Informationen über ein mysteriöses Familiengeheimnis zu sammeln. Meinen Auftraggeber habe ich zwei Jahre lang mit Hinweisen versorgt. Dann, die alte Geschichte. Ich bekam Gewissensbisse, da ich mich in Gregory verliebt hatte. Ich wollte aus der Sache aussteigen. Sie verlangten, dass ich Gregory töte und ihm einen Schmuckanhänger den er immer mit sich trug abnehme. Diesen sollte ich dann zu meinen Auftraggebern bringen. Nur dann würde sie mich gehen lassen. Vor zwei Jahren hatte ich einen schweren Autounfall, vielleicht haben sie darüber gelesen?»
Lana nickte. Sie hatte es damals in den Medien mitverfolgt.
«Das war kein Unfall!» fuhr Madeleine fort.
«Kein Unfall?»
«Die wollten mich umbringen, da sie befürchteten ich könnte meinem Mann die Wahrheit erzählen, was ich später auch tat. Ich hatte Angst, dass sie ihm und mir etwas antun würden. Es traf Gregory sehr schwer, als ich ihm alles beichtete. Doch anstatt mich hinter Gitter zu bringen oder wegzuschicken, stellte er mich ab da rund um die Uhr unter Schutz.»
«Er hat nicht die Polizei eingeschaltet? Das ist doch absurd.»
«Nein, er wollte nicht, dass ich ins Gefängnis komme. Und es geht hier um Dinge, die es so oder so unmöglich machen eine öffentliche Institution beizuziehen. Gregory hegte einen Verdacht, wer hinter allem stecken könnte, doch er behielt es für sich. Alles hängt mit dem Familiengeheimnis zusammen. Die Stadtvilla liess Gregory nun noch besser bewachen, sie glich einer Festung. Es war nur möglich an meinen Mann heran zu kommen, indem sie Adam Boyle in sein Security Team einschleusten.»
Für die Thesen betreffend ihrer Verschwörungstheorien hatte man Lana verhöhnt. Bislang fand sie kein einziges handfestes Indiz um ihre Annahmen untermauern zu können und sich irgendwo Gehör zu verschaffen. Sie war hin und hergerissen, denn was sie da vorgetragen bekam, klang nach einer phantastischen Geschichte. Trotz ihres Enthusiasmus musste sie mit geschärftem und klarem Verstand agieren. Madeleine reichte ihr quasi eine Büchse mit süssen Keksen und sie musste sich gut überlegen ob sie davon naschen sollte.
«Wer hat Sie engagiert? Was soll das für ein Familiengeheimnis sein und was hat es mit diesem Anhänger auf sich?»
«Ich habe meine Auftraggeberin nie persönlich kennengelernt. Einige Male kontaktierte mich einer ihrer Mittelsmänner, der sich nur Remus nannte. Der Austausch von Informationen und Bezahlung lief über ein Schliessfach. So viel ich erfahren habe ist Gregorys Anhänger so etwas wie ein Schlüssel zu einem geheimen Ort. Adam hat den Anhänger an sich genommen. Auf dem Überwachungsvideo kann man das sehen.»
Lana spürte wie sehr es Madeleine belastete über den Tod ihres Mannes zu sprechen.
«Wissen Sie was das für ein geheimer Ort sein soll?»
«Etwas verbindet die Familien Coleman, die Maloneys und die Fonders und es hat mit Lion House zu tun.»
«Hinter grossen Vermögen stecken meist grosse Verbrechen. Es ist bekannt, dass diese Familien seit Generationen zusammen Geschäfte machen und auch privat eng miteinander verbunden sind. Über diese ganzen Geschichten, sie seien allesamt in illegale Geschäfte verwickelt, habe ich schon viel gelesen.»
Sie sagte es in einem etwas abschätzigen Tonfall, es klang als hätte sich Lana an all den verrückten Presseberichten und Mythen satt gelesen.
«Was, wenn ich Ihnen sage, dass es nicht bloss Geschichten sind?»
«Dann müsste ich einen handfesten Beweis dafür sehen.»
Die Tür zum Wohnzimmer sprang auf und die Frau von vorhin stürmte völlig aufgelöst herein.
«Wir müssen sofort los! Er ist in der Lobby!»
«Wer ist in der Lobby?» fragte Lana verwundert.
«Adam Boyle!» gab die Frau zur Antwort.
Madeleine stand auf und hielt sich dabei den Babybauch als würde er ihr sonst davon kugeln. Ihre Bekannte räumte bereits zügig Kleider aus einem Schrank in eine Sporttasche. Die beiden Frauen waren auf eine Flucht vorbereitet gewesen. Das Prozedere dauerte höchstens eine Minute, dann stand die Fremde mit zwei vollgepackten Taschen zum Aufbruch bereit vor der Tür zur Suite. Erst jetzt merkte Lana, dass Madeleines Begleiterin eine Waffe am Kreuz trug.
«Wie konnte er uns finden?» fragte Madeleine.
«Womöglich ist er ihr gefolgt.»
Mit ihr hatte die Frau Lana gemeint. Die war sich nicht bewusst in welcher Gefahr sie sich gerade befanden. «Mir ist bestimmt keiner gefolgt…?»
Madeleine unterbrach sie. «…Adam Boyle, er sucht nach mir! Ich könnte alles zu Fall bringen. Wir haben keine Zeit mehr und müssen sofort los!»
Hektisch ging Madeleine zu einer Kommode hinüber. «Ich weiss nicht ob ich Sie noch einmal kontaktieren kann.»
Während sie sprach wühlte sie in einer Schublade und hielt auf einmal einen grauen unifarbenen Schuhkarton in den Händen der mit einer Packschnur zusammengebunden war.
«Hier! Es ist alles drin was ich an Beweisen sammeln konnte! Nehmen Sie die Schachtel und verschwinden Sie!»
Madeleine legte sie Lana in die Arme, als überreiche sie ihr eine mit Diamanten gefüllte Schatztruhe. «Da ist noch etwas das Sie über Adam wissen sollten.»
Die Andere Frau sprach laut dazwischen. «Wir müssen jetzt los!»
Sie sprach in einem Ton, als wolle sie ihre Aufforderung kein weiteres Mal wiederholen müssen. Jegliche Sympathie war verflogen, mir ihr wollte sich Lana nicht anlegen, denn sie würde gewiss den Kürzeren ziehen.
«Die Wahrheit finden sie auf Lion House. Sie müssen auch verschwinden. Seien sie vorsichtig!» Es waren Madeleines letzte Worte die sie Lana mit auf den Weg gab. Ihre Begleitung wartete noch immer im Flur. «Los jetzt!»
«Was muss ich noch über Adam wissen?» rief Lana.
Doch im Bruchteil einer Sekunde schnappte das Schloss hinter Madeleine zu. Da stand sie nun ganz alleine im Wohnzimmer der Suite, zurückgelassen, mit noch mehr Fragen als zuvor. Die Schachtel stellte Lana auf der breiten Armlehne des Sessels ab und griff eilig nach ihrem Mobiltelefon in der inneren Jackentasche. Ehe sie losging, wollte sie es rasch einschalten. Ruck zuck surrte es dreimal und das Logo des Herstellers flatterte über den schwarzen Spiegel.
«Du musst hier schleunigst raus!» das war ihr bewusst.
Bekanntschaft mit Adam Boyle wollte sie auf keinen Fall machen. Sie war zum Ausgang unterwegs, dabei tippte sie hastig den Pincode ein. Vor der Tür merkte sie, dass der Karton noch im Wohnzimmer auf der Sofalehne stand. Entnervt hörte sie sich selbst Dummkopf sagen und rannte zurück um sie zu holen. Da hörte sie wie sich der Türknopf bewegte. Wer so kraftvoll daran rüttelte um in das Zimmer zu kommen, konnte keinen Schlüssel haben. Für einen kurzen Moment schien er abzulassen. Aber plötzlich stocherte etwas im Schloss herum, bis es deutlich hörbar klick machte. Die Tür wurde aufgestossen. Zwischenzeitlich war Lana ins Wohnzimmer geflüchtet und stellte sich hinter den schweren Verdunklungsvorhang. Ein besseres Versteck bot sie auf die Schnelle nicht an. Der Platz war knapp. Über ihren Schuhen bewegte sich der Saum des dunkelgrünen Stoffes. Sie krümmte die Füsse in eine X Bein Stellung, dass es schon wehtat. Aber dadurch verschwanden auch die Schuhspitzen ganz hinter dem Vorhang.
«Das hab ich jetzt davon, wäre ich doch nur zuhause geblieben!» stachelte sie sich an.
Die Tür zur Suite viel zu und Lana hörte schwere, träge Schritte näherkommen. Zweifelsohne, es musste der Riese sein! Mit schwerem Atem trat er ins Wohnzimmer und ging im Raum umher.
«Oh Nein!» schoss es ihr durch den Kopf. «Die Kiste steht immer noch auf dem Sessel!»
Sein lautes Röcheln klang nach einem Kettenraucher oder Asthmatiker. Plötzlich fing er an in einem tiefen Bariton vor sich hin zu brummen. Unversehens blieb er direkt vor dem Vorhang stehen. Lanas Herz pochte so laut, dass er es hätte hören müssen. Durch den Stoff erkannte sie verschwommen seine Silhouette. Die Angst versetzte sie in eine Starre. Sie stand Colemans Mörder direkt gegenüber. Nur der Nachtvorhang trennte sie voneinander. Innerlich tauchte das körnige Bild von seinen grossen dunklen Augen und dem narbigen Gesicht aus dem Video auf. Sein Umriss liess vermuten, dass er noch grösser war als sie angenommen hatte. Eine Zeitlang verharrte Adam vor dem Vorhang, wie eine Katze vor dem Mauseloch. Sein Atem roch nach Alkohol und Zigaretten. Das was er von sich gab, entpuppte sich als ein endlos aneinandergereihtes Sammelsurium an Fluchworten. Dann, urplötzlich, wandte er sich ab und ging weiter. Die Türe zum Nebenzimmer öffnete sich. Von dort hörte sie ihn angestrengt husten, würgen und wie er seinen Auswurf ausspuckte. Anschliessend ging sein Gefluche wieder los.
«Scheisse, verdammt noch mal.»
Er kam zurück in den Wohnraum und trampelte zu den Sesseln.
«Er hat den Schuhkarton entdeckt!»
Wie eine Rassel schüttelte er die Schachtel in seinen grossen Händen. Bei dem Versuch den Knoten der Schnur aufzubekommen fauchte er wie eine Wildkatze. Da es ihm nicht auf die sanfte Tour gelang, zerriss er das Band mit Gewalt. Er nahm auf einem der Sessel Platz und verstummte. Adam öffnete die Schatztruhe. Hinter dem Vorhang bekam Lana mit, dass er im Inhalt herumwühlte. Dann hörte sie ihn telefonieren. Seine Stimme klang düster.
«Sie ist nicht mehr da!»
Während er zuhörte röchelte er die ganze Zeit.
«Ich habe eine Schachtel mit Fotos und Unterlagen gefunden.»
Adam kippte den Inhalt auf den Boden. Ein Polaroid Foto flatterte zum Vorhang rüber, rutsche bis zur Hälfte unter den Saum und wurde schlussendlich von Lanas rechter Schuhspitze gebremst. Sie fühlte den kurzen kaum wahrnehmbaren Druck, sah und wusste aber nicht was zu ihr herüber gerutscht war. Was es auch gewesen ist, er würde jetzt hoffentlich nicht herkommen um es sich zu holen. Momentan hockte er noch auf dem Sessel und konzentrierte sich auf ein gefaltetes Stück Papier, welches er in der Kiste fand. Adern zeichneten sich an seinen behaarten wulstigen Händen ab. In der einen hielt er das Telefon, die andere an der sein kleiner Finger fehlte, streckte er von sich und probierte den Papierbogen aufzufalten. Unbeholfen wie er war, riss er ihn dabei fast in Stücke.
«Es ist eine Karte des Tunnelsystems!» keuchte er ins Telefon.
«Ich nehme alles mit und komme zum Treffpunkt.»
Der Anruf endete. Sein Telefon verschwand in einer Tasche seiner Jeans. Die Karte hatte sich ohne Mühe wie eine Ziehharmonika zusammenlegen lassen. Er faltete sie aber noch eins kleiner, als sie ursprünglich war, damit sie in eine Gesässtasche passte. Als er seinen Hintern vom Polster hob, quietschte der Federkern. Mit seinen Händen wischte er die ausgeschütteten Zettel und Bilder vom Boden auf und warf alles zurück in den Schuhkarton. Dummerweise erfasste sein Blick beim Hochkommen das Foto, dass halb unter dem Vorhang hervorschaute. Die schweren Schritte näherten sich ihrer Position. Sein penetranter Atem stach Lana erneut in die Nase. Etwa einen halben Meter vor dem Fenster hielt er still und ging in die Hocke. Sein Kreuz knackste mehrmals. Lana fühlte ein leichtes zwicken unter dem rechten Fuss. Ihre Sohle gab keinerlei Widerstand. Adam hob das Bild auf ohne von ihr Kenntnis zu nehmen. Als er geruhsam aufstand, bäumte sich sein Umriss wie ein riesiges Ungeheuer durch den Vorhangstoff hindurch vor ihr auf. Sie kam sich vor wie Schmelzkäse in einem Sandwich. Angst, Hitze und der Mangel an Sauerstoff waren dafür verantwortlich.
«Du hast was du wolltest, jetzt verschwinde endlich!»
Das Polaroid lag in seiner rechten Tatze. Nachdenklich gestimmt, sah er es sich eine Weile lang an. Ein grosser mager wirkender Junge in dunkelblauer Manchester Latzhose, beigem Shirt und grünem Baseballcap stand neben einer gut aussehenden Brünette mit auf toupierter Dauerwelle und auffallend grossen pinken Kreolen. Wahrscheinlich ist das Foto irgendwann in den achtziger Jahren entstanden. Die Farben wirkten ein wenig verblasst. Der Junge schaute verlegen in die Linse, so als sei es ihm unangenehm gewesen fotografiert zu werden. Dagegen wirkte die Ausstrahlung der Frau sehr selbstsicher. Wirklich glücklich und zufrieden sah aber auch sie nicht aus. Lana hörte den Riesen verständlich nuscheln.
«Mutter»
Er wandte dann den Blick vom Foto und liess seine langen starken Arme baumeln ohne es loszulassen. Beim zweiten Mal klang seine Aussprache beinahe liebevoll.
«Mutter.»
Der Riese entfernte sich vom Fenster, nahm die Schachtel und legte das Polaroid zu den anderen Sachen dazu. Es schien als breche er endlich auf. Grosse Erleichterung machte sich in Lana breit. Sie hörte ihn durch den Gang zum Ausgang trampeln. Ausgerechnet in diesem Moment vibrierte das Handy unter ihrer linken Brust. Bei einer SMS würde es bei einem Surren bleiben, wenn es ein eingehender Anruf war, dann dröhnte nach wenigen Sekunden der Klingelton los. Lana presste die Zähne zusammen und griff in die Innentasche der Jacke. Wie sie ahnte, Judy rief sie an, weil sie sich höchstwahrscheinlich Sorgen machte. Durch die hastigen Bewegungen geriet der Vorhang ins Schwanken. Sofort presste sie den Zeigefinger auf: Anruf ablehnen!
«Mist!»
Lana betete darum, dass Adam die Suite bereits verlassen hatte als der Klingelton losgegangen war. Dieser wollte gerade mit eingezogenem Kopf durch den Türrahmen in den Flur hinaustreten als ihn das Geräusch zurück hielt. Sie hörte die Türe zufallen und seine Schritte kamen schnell näher. Gleich würde das Ungeheuer ins Wohnzimmer stürmen und sie hätte nie und nimmer eine Chance gegen ihn. Lana verharrte. Seine kräftigen Hände griffen ihren Hals mitsamt dem Vorhang. Er war unglaublich stark und hob sie ohne Anstrengung vom Boden. Wenn nicht gleich ihr Genick bräche, würde sie ersticken, der Vorhang presste sich wie ein Kissen an ihr Gesicht. Ihre Füsse baumelten in der Luft. In ihrem Schädel baute sich ein schmerzender Druck auf und es flimmerte ihr vor den Augen. Sie rang verzweifelt nach Atemluft.
«Angriff oder du bist gleich tot!»
Lana zog die Unterschenkel nach hinten um sie dann gleich, so fest es ihr nur möglich war, nach vorn zu preschen. Wenn es klappte, würde sie ihn an der Stelle treffen wo es richtig wehtat. Und tatsächlich prallte ihr rechtes Bein mit Wucht zwischen seine Beine. Adam brüllte, sein Würgegriff lockerte sich. Es reichte aus damit sie ihren Kopf nach hinten fallen lassen konnte um die Lungen mit Luft zu füllen. Damit gewann sie sofort etwas an Kraft zurück. Während sie ihn durch den Stoff hindurch anbrüllte senkte er langsam seine Arme. Lanas durchgestreckten Zehen berührten den Fussboden. Flugs ballte sie die Fäuste, dann prügelte sie wild auf den Riesen ein. Es war wie auf einen Sandsack einzuschlagen. Ihre Schläge prallten an seinem Brustkorb ab. Schon nach wenigen mal zuschlagen schmerzten ihre Gelenke. Viel konnte sie ihm nicht anhaben. Lanas Füsse standen nun wieder auf festem Grund. Nacheinander rissen durch das wilde Gezappel die Ringe von der Vorhangstange an der Decke. Unter einem jauchzen nahm sie einen Satz und hielt sich am schweren Stoff fest. Die Aufhängung gab komplett nach. Stange samt Vorhang kam ihnen entgegen. Während ihr Angreifer verzweifelt versuchte unter dem Zelt das ihn begrub freizukommen, versetzte ihm Lana einen heftigen Stoss. Seine Schimpfworte drangen dumpf durch den Stoff. Er sah aus wie ein Nachtgespenst. Torkelnd stolperte er zurück und ging zu Boden. Seine Grösse und sein Gewicht schränkten ihn ein um wieder rasch hochzukommen. Bevor sich Adam befreien konnte, rannte Lana davon. Adrenalin schoss durch ihren Körper.
«Nichts wie raus hier!»
Unterwegs zur Tür erspähte sie die Kartonschachtel auf einem Möbel im Gang, die nahm sie mit. Noch draussen auf dem Flur hörte sie wie der Riese sie verwünschte. Lana entschied sich über das Treppenhaus zu verschwinden statt auf den Fahrstuhl zu warten. Etage um Etage stürmte sie abwärts. Die letzten drei Stufen überging sie jeweils mit einem Sprung. Zu guter Letzt führte eine automatische Glasschiebetür direkt in die Lobby. Dort stiess Lana mit einem älteren Herrn zusammen der ihr verärgert auf Italienisch etwas nachrief. Fast hätte sie dabei den Schuhkarton fallen lassen. Aus der Drehtür hinaus ins Freie war sie beinahe auch noch über eine Hundeleine gestolpert, an der eine kleine dicke und viel zu übertrieben geschminkte Frau ihren Mops spazieren führte. Nur kurz wagte sie einen Blick nach hinten in die Lobby hinein. Adam war nicht zu sehen. Gegenüber der Strasse hielt ein Taxi, in Windeseile lief sie ihm mit hochgestreckter, winkender Hand entgegen. Nach Hause wollte sie nicht. Stattdessen wies Lana den Chauffeur an, sie auf schnellstem Wege zu Lucys Wohnung zu kutschieren. Sie hatte das dringende Bedürfnis mit jemandem zu sprechen und ausserdem musste Lucy den Fahrer bezahlen.
«Rassfordclayton Street 108, beeilen Sie sich bitte!»
Geschwind bog das Taxi in den Hauptverkehr ein. Durch die Heckscheibe rückte der Hotelkomplex in weite Ferne. Sie war vollends erschöpft. Ohne Deckel ruhte die Schachtel, gefüllt mit alten Briefen und Fotos auf ihrem Schoss. Die Druckstellen an ihrem Hals schwollen an und pulsierten. Der Rhythmus des Herzschlags pochte in ihrem Kopf. Rufnummern hatte sie sich noch nie merken können. Über die gespeicherten Kontakte auf dem Handy scrollte sie zu Lucy. Buchstaben und Zahlen auf dem Tastenfeld des Displays wirkten unscharf. Am liebsten hätte sie sich auf der Rückbank hingelegt, so gerädert fühlte sie sich gerade. Stattdessen rief sie ihre Freundin zurück um ihr mitzuteilen, dass sie unterwegs zu ihr war. Das Taxi fuhr durch den stockenden Stadtverkehr. Lana dachte über den Riesen nach und darüber was Madeleine alles erzählt hatte. Heute Morgen als sie aufgestanden war befürchtete sie, es könnte wieder so ein Tag werden den sie mit Stellensuche, Wohnungssuche, Einsamkeit und Langeweile totschlagen müsse. Ihre Recherchen endeten bis anhin alle in Sackgassen. Aber nun war sie mitten ins Geschehen reingeschlittert. Früher war sie furchtlos und unerschrocken. Deswegen wurde sie Reporterin. Wenn sie die Sachen im Karton alle durchging, kam vielleicht noch mehr zum Vorschein mit dem sie etwas anfangen konnte. Lana blieb unschlüssig ob sie Madeleine vertrauen konnte. Zweifel überkamen sie. Ohne handfeste Beweise machte es noch keinen Sinn zur Polizei zu gehen. Mit nicht ernst nehmen und abweisen hatte sie genug Erfahrungen gemacht. Es war frustrierend.
«Du hast nur diese Videoaufzeichnung von schlechter Qualität. Womöglich ist es eine Fälschung. Du hast keine anderen stichhaltigen Beweismittel. Sie werden dir nicht glauben…»
Lana erinnerte sich an Madeleines letzte Worte. «Die Wahrheit finden sie auf Lion House.»