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Kapitel 2 - Lion House

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Drei grosse schwarze Offroad Van fuhren zügig über die sandige, teilweise holprige Strasse. Der Boden war trocken und hinterliess eine lange Staubwolke hinter den Fahrzeugen. Im ersten Wagen sassen drei Bedienstete der Familie. Grace, die seit über fünf Jahren zuverlässig verschiedene Aufgaben für Greg Colemans Tochter Jessica Sanders erledigte, sie kannte die Strecke und fuhr den Van, die junge Maja die als Unterstützung für die demnächst in Rente gehende Haushälterin von Lion House Beatrice eingestellt worden war und auf dem Rücksitz hockte Lana King, mit anderer Haarfarbe und neuer Frisur. Ihr ist es tatsächlich gelungen mit falschen Zeugnissen und unter falschem Namen über eine Arbeitsvermittlungsagentur, die für die Sanders Personal rekrutiert, als Haushalts- und Küchenhilfe den Sommer über bei der Familie unterzukommen. Sie begab sich direkt in die Höhle des Löwen. Der Kofferraum war mit Proviant und Gepäck beladen. Im mittleren Wagen sass Jessica Sanders mit ihrer schönen Tochter Chloé auf der Rückbank. Das Radio lief leise im Hintergrund. Tobias, ihr Sohn lenkte das Gefährt. Er war ein leidenschaftlicher Fahrer und verzichtete wann immer möglich darauf sich von einem Chauffeur herumkutschieren zu lassen. Im letzten Wagen hockten zwei Sicherheitsbeamte die das restliche Gepäck mit sich fuhren. Der sportliche, gutaussehende, fünfunddreissig Jahre alte Daniel sass am Steuer. Seit einem Jahr war er der persönliche Assistent und Leibwächter, der manchmal etwas übertrieben vorsichtigen Jessica. Da er so unglaublich attraktiv war, verbreitete die Klatschpresse anfangs das Gerücht die Fünfzigjährige würde ihn auch für Liebesdienste bezahlen. Tatsache war jedoch, dass Jessica Privates und Geschäftliches schon immer strikt trennte. Die beiden verband also nichts weiter, als ein rein professionelles Arbeitsverhältnis. Sie bezahlte ihm nicht ein horrendes Honorar aufgrund seines äusseren, sondern wegen seiner Ausbildung, Verdienste im Militär und den eindrücklichen Referenzen die er vorzuweisen hatte. Daniel entsprach gewiss nicht dem Klischee eines Bodyguards, welcher frisch von der Sonnenbank und dem Fitnessstudio die Arbeit aufnahm, sondern er war ein Personenschützer, der mit Taktik, Strategie und Intelligenz agierte. Wie kaum sonst jemand genoss er Jessica Sanders absolutes Vertrauen.

Daniels Beifahrer schwieg seit sie New York vor mehr als sechs Stunden verlassen hatten. Ihm war er unheimlich seit er ihn das erste Mal in Colemans Villa sah. Aber irgendwie musste er sich den Sommer über mit der Situation arrangieren, denn Jessica hatte darauf bestanden einen zweiten Bewacher auf Lion House mitzunehmen. Daniel drehte den Kopf nach rechts. Die Musik im Radio war zu leise und übertönte das Schnarchen und Röcheln nicht. Das narbige Gesicht war nach vorn gekippt, die Augen hatte er geschlossen. Am linken Mundwinkel hing Sabber. Naserümpfend wandte Daniel den Blick wieder geradeaus zur Strasse und dem Wagen vor ihnen. Adam Boyle hockte neben ihm. Vermutlich war er schon vor längerem eingenickt. Er arbeitete als Security für die nichtsahnende Familie. Nicht eine Sekunde lang stand er unter Verdacht nach Colemans Tod. Es gab keinerlei Indizien dafür, dass er auf irgendeine Weise in den Mord involviert war. Bei der Vernehmung hatte er auf alle Fragen der Ermittler eine Antwort parat. Adam hatte ausgesagt, dass er seinen Arbeitgeber und dessen Frau Madeleine mehrmals heftig streiten hörte. Mit falschen Aussagen und Infos versorgte er die Beamten. Damit untermauerte er Madeleines Mordmotiv. Keiner ahnte, dass Adam in Wahrheit für jemanden anderes arbeitete und im Auftrag Colemans Tod plante sowie durchführte. Seine unangenehme Ausdünstung nach Schweiss und Tabak verbreitete sich mit jedem Kilometer den sie fuhren stärker im Fahrzeug. Adam schlief und Daniel war froh darüber, so musste er mit ihm keine Konversation führen, wobei er da eh bezweifelte ob das überhaupt möglich war. Als sie vor der Abreise den Van beluden, fluchte Adam die ganze Zeit vor sich hin und kommandierte die anderen unfreundlich herum. Bis dahin kannte er ihn nur vom Sehen her.

Chloé Sanders war es wegen der langen Fahrt übel geworden. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund. Ihre sonst so vollen roten Lippen wirkten farblos und schmal.

«Ich hasse es! Warum immer diese lange Fahrerei? Warum kann uns nicht der Hubschrauber auf Lion House absetzten?»

Tobias hatte das bleiche Gesicht seiner Schwester schon vor längerem im Rückspiegel bemerkt. Einen kleinen Zwischenhalt um sich die Beine zu vertreten hatte sie vehement ausgeschlagen. So kannte er sie gar nicht. Er vermutete, dass sie verstimmt oder verärgert war, weil sie sich am Morgen vor der Abreise wieder einmal mit ihrer Mutter gestritten hatte.

Tobias sprach seine Schwester an. «Du weisst ich fahre gerne. Und du weisst wie ängstlich Mutter ist mit dem Hubschrauber zu reisen.»

Die Melodie im Radio wurde durch ein Rauschen verdrängt. Als auch kein anderer Sender mehr zu empfangen war, stellte ihn Tobias ab.

«Wir sind schon im Radius des Magnetfeldes. Willkommen in der Abgeschiedenheit. Ab jetzt heisst es vier Wochen ohne Kommunikation zur Aussenwelt.»

«Es wird die Hölle!» fügte er lachend hinzu.

«Jetzt ist es nicht mehr weit.» Jessica wollte ihre Tochter beruhigen.

Es war nie ein leichtes es Chloé recht machen zu können. In wichtigen und prägenden Jahren bei der Erziehung ihrer Kinder fand Jessica damals, wenn auch nicht ganz freiwillig, zu wenig Zeit. Auf den Privatschulen und unter den Fittichen des Grossvaters wurde sie zu sehr verhätschelt. Sie wuchs auf wie eine Prinzessin im Elfenbeinturm.

Der Konvoi war noch etwa eine halbe Stunde vom Landsitz Lion House entfernt. Die Familie verbrachte hier schon früher den Sommer zusammen. In diesem Jahr ohne Gregory und seiner Frau. Da sich Jessica nicht mit Madeleine verstand verzichtete sie in den letzten Jahren auf den gemeinsamen Urlaub. Sie wollte keinen Streit provozieren. Abseits der Grossmetropole im Nirgendwo, Lion House war ein Paradies auf Erden. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde das grosse Herrenhaus von Colemans Grossvater erbaut. Als Jessica ein Kind war liessen es ihre Eltern sanft renovieren. Bis heute erinnerte vieles an den Stil ihrer Mutter der den Umbau des Westflügels und die Innenausstattung von damals prägte. Der Palast war von einem riesigen Umschwung umgeben. Ein schöner gepflegter Garten mit vielen Blumen, saftig grünem Rasen und einem Springbrunnen gehörten mit dazu. Auf dem Grundstück gab es auch einen See auf den man mit einem Boot hinaus rudern konnte. Den ganzen August über konnte man sich von den Strapazen die ein Leben im Mittelpunkt der Gesellschaft mit sich brachten erholen. Man musste auf Lion House ohne jeglichen technischen Schnick Schnack auskommen, Handys und Computer funktionierten hier draussen nicht. Es gab keine lästigen Paparazzi, die wie in der Stadt überall auflauerten. Aktienkurse, strategische Entscheidungen, Fusionen, Expansionen, Entlassungen, alles was in elf Monaten eines Jahres Alltag war, liess man im August hinter sich. Gewiss gab es genügend überbezahlte Manager und Vizedirektoren in dem gewaltigen Coleman Konzern, welche in der Lage waren in diesen vier Wochen die Geschäfte stellvertretend zu führen. Wenn Jessica zurückkehrt, stand ihr die Übernahme des Imperiums ihres Vaters bevor. Dann musste sie vor den Verwaltungsrat treten. Sie erbte als Einzelkind das gesamte Aktienkapital ihres Vaters. Die Anwälte der Familie ebneten unterdessen Jessicas Weg an die Spitze der Konzernleitung. Sie war froh, konnte sie erst einmal den anderen sämtliche Formalitäten überlassen. Lion House war ein Ort der Stille. Dort konnte man sich auf das wesentliche im Leben zurückbesinnen. Den Geruch von frisch gemähtem Rasen, duftenden Blüten und Nadelgehölz, sich auf dem Ruderboot über den See treiben zu lassen, den Vögeln beim Zwitschern zuzuhören, nachdenken, Antworten finden. Es war eine Zeit in der man sich auch der Familie widmete. Die Haushälterin Beatrice wird ihnen während dem Urlaub Wochen wieder unzählige Köstlichkeiten zubereiten. Nach den Jahren der Abwesenheit wühlte es Jessica innerlich auf hierher zurück zu kehren. Sie wusste nicht genau was sie erwartete. Ihre Kinder waren ihr durch ihre langen Auslandsaufenthalte noch fremder geworden. Es gab noch weitere Gründe weshalb sie die Familie diesen Sommer auf Lion House zusammenführen musste. Sie hatte Chloé und Tobias etwas Wichtiges zu sagen, etwas dass sie schon viel zu lange vor sich herschob. Ausserdem sollte, wie es ihr Vater Gregory wünschte, seine Asche auf Lion House an seinem Lieblingsplatz, unter einer alten Eiche verstreut werden.

«Wir werden gleich die Brücke passieren.» erklärte Tobias.

Chloé sah ausdruckslos aus dem Fenster. Neben der Strasse stürzte ein schmaler Wasserfall die Felswand herab. Dann verlangsamte der Wagen vor ihnen sein Tempo, weil sie zur Brücke, die eine lange tiefe Schlucht überwand und zum Zufahrtstor von Lion House führte kamen. Es war eine über zwanzig Meter lange und knapp zwei Meter breite Steinbogenbrücke. Die Fahrbahn wurde von vier hohen massiven Säulen getragen.

Chloé seufzte lau. «Oh Gott, ich muss mich gleich übergeben.»

Die Fahrzeuge überquerten die Brücke wegen ihres massiven Gewichtes einzeln. Nicht das sie nachgegeben hätte, doch es schonte die Bausubstanz und zögerte eine aufwendige Sanierung hinaus. Ängstlich griff Chloé auf einmal nach dem Arm ihrer überraschten Mutter, um sich daran festzuhalten.

«Keine Angst, die wird nicht zusammenbrechen!» sagte sie zu ihrer Tochter.

Tobias spottete. «Herrje Schwesterherz, seit wann bist du so ängstlich?»

Ein Blick aus der Heckscheibe versicherte Jessica, dass der Wagen mit dem Sicherheitspersonal hinter ihnen aufschloss. Als fühlte sie sich unwohl, wenn sich Daniel und Adam nicht in unmittelbarer Nähe befanden. Nachdem alle Vans die Brücke passiert hatten, kamen sie vor einem grossen verschlossenen Eisentor zum Stehen. Einige Minuten verstrichen, dann machte Jessica die Wagentür auf. Die Hitze haute sie fast um, als sie aus dem klimatisierten Fahrzeug stieg. Sie blickte zum Pförtnerhäuschen rüber und erkannte durch die vergitterten Scheiben, dass keiner drinsass.

«Wieso ist Niemand am Tor?» fragte sie ins leere.

Das durfte es eigentlich nicht geben. Tobias hörte seine Mutter. Er öffnete auch seine Tür, blieb aber sitzen und liess den Motor der Klimaanlage wegen laufen.

«Sollte denn Jemand das Tor bewachen?»

«Natürlich! Ich will nicht plötzlich die Paparazzi auf dem Grundstück haben!»

Aus dem ersten Wagen stiegen Grace und Maja. Sie liefen zum Tor vor und rüttelten etwas daran. Die Eisenstäbe waren extrem heiss, die Strahlen der späten Nachmittagssonne brannten auf ihre helle ungeschützte Haut. Es war schier unerträglich. Maja hatte klugerweise ihre Sonnenbrille im Auto aufgesetzt.

«Die Kette und das Schloss sind nicht dran, wir können es einfach aufschieben.» bemerkte Grace.

Da es aussah, als liesse sich das Tor ohne grosse Anstrengung öffnen, entschied sich Daniel der sonst sehr hilfsbereit war im Wagen sitzen zu bleiben und Grace einfach machen zu lassen. Er kannte sie zu gut und wusste, dass sie keine Mimose war. Im Gegenteil, wäre er hingegangen um seine Hilfe anzubieten, hätte sie sich nur über ihn genervt. Jetzt registrierte Daniel, wie Adam neben ihm wach wurde und geradeaus starrte. Er knipste mit der linken Hand das rauschende Autoradio aus. Daniel sah, dass ihm der kleine Finger an der Hand fehlte und Adam merkte wie Daniel auf den Stummel schaute.

«Ist ein Andenken aus meiner Kindheit, ich hatte einen Unfall.»

Die relativ nett klingende Erklärung für den fehlenden Finger, ohne das er Adam danach fragte, wunderte ihn. Kaum überlegte er sich, was er darauf sagen konnte, verwarf er den Gedanken gleich wieder. Der Riese grübelte nämlich eine zerknitterte Zigarettenpackung aus einer Hosentasche und zündete sich eine Fluppe an. Dieses Verhalten empfand Daniel als absolut anstandslos. Aber es machte keinen Sinn, ihm das Rauchen im Auto zu verbieten, denn er würde es dennoch tun.

«Kannst du wenigstens das Fenster öffnen wenn du schon im Wagen rauchen musst?»

Genüsslich inhalierte Adam einen Zug, wartete ab und blies den Rauch geradeaus gegen die Scheibe. Erst dann betätigte er in einer gespielten Gemütlichkeit den Knopf um das Fenster runterzulassen.

«Was für ein Vollidiot!»

Daniel fühlte sich provoziert, hielt sich aber zurück, wegen so was liess er sich nicht zu einem Streit hinreissen. Da die Wagen vor ihnen bereits weiterfuhren, trat er aufs Gaspedal. Als sie am Tor durch waren, hielt er wieder an.

«Ich schieb das Tor lieber zu.» meinte Daniel.

Natürlich blieb Adam sitzen und rauchte in aller Ruhe seine Zigarette. Das brachte Daniel innerlich zur Weissglut. Diesen egoistischen Vollpfosten würde er bestimmt nicht die ganzen vier Wochen lang ertragen. Er schlug mit der Faust gegen die geschwungene Falle des Tors, damit sie einrastete. Danach stieg Daniel in den Van zurück und versuchte den Tabakrauch und den Riesen soweit es ging auszublenden. Kurze Zeit später schlossen sie auf den Konvoi auf. Sie folgten einer langen Allee aus hohen Zypressen bis sie nach einer leichten Rechtskurve endlich das Hauptgebäude von Lion House erblickten. Grace steuerte allen voran auf den Vorplatz zu. «Wir haben es geschafft!» sagte sie.

Sie waren endlich angekommen. Ehrfürchtig blickte Maja zwischen den beiden protzigen Löwenfiguren aus grauem verwittertem Stein hindurch, wo ein paar lange Stufen nach oben zur Haustüre führten. Die Mähnen der Löwen, welche auf quadratischen Sockeln thronten, waren mit dickem grünem Moos bedeckt. Der Platz auf dem die Wagen hielten, sah aus wie ein gewaltiger Kreisel, in dessen Zentrum ein Springbrunnen mit antiken Putenfiguren aus Bronze, rhythmisch Wasserstrahlen in die Luft hoch spritzten. Die Seerosen liessen sich durch das Wasserspiel nicht gross beirren. Ein kurzer Blick auf die goldene Cartier verriet Jessica, es kurz nach vier Uhr. Tobias war ausgestiegen und öffnete seiner Mutter diesmal wie ein Gentleman die hintere Wagentüre. Nach Verlassen des klimatisierten Fahrzeuges traf nun alle die Hitze wie ein Schlag. Der Himmel war wolkenlos und leuchtend blau. Es schien, als glühte der sandige Boden unter Jessicas Sandaletten regelrecht. Ein leichter Sommerwind zauste durch ihr schulterlanges braunes Haar. Sie griff nach ihrer Sonnenbrille und setzte sie auf. Blitzartig huschte Chloé an ihr vorbei und ging etwas unsicher die Stufen zur Eingangstüre hoch.

«Geht mir aus dem Weg!» rief sie.

Jessicas sorgenvoller Blick klebte an ihr. Mit einem Ruck sprang die grosse holzige Doppeltür einen Spalt weit auf. Eine alte Frau mit einer weissen umgebundenen Schürze kam aus dem Schatten der breiten Steinlaibung. Chloé zwängte sich wortlos durch die Spalte an ihr vorbei und verschwand im Inneren des Hauses. Leicht überrumpelt und bang rief ihr die Haushälterin hinterher. «Geht es Ihnen nicht gut?»

Eine Tür knallte zu, Chloé verschwand im unteren Badezimmer. Um sich vor dem blendenden Sonnenlicht zu schützen hielt Beatrice eine Hand über die Augen und trat den Ankömmlingen eine Stufe entgegen.

«Herzlich Willkommen auf Lion House.»

Sie reichte Jessica und Tobias als erstes die Hand. Die Begeisterung über ihre Anreise stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Sie war ganz aufgeregt vor Freude und schien geradezu pathetisch gestimmt.

«Endlich findet die Familie wieder einmal zusammen. Bitte, kommen Sie rein, drinnen ist es angenehm kühl.»

Jessica ging vor. «Danke Beatrice.»

«Es ist so schön Miss Sanders Sie hier zu sehen.»

Tatsächlich, in der Eingangshalle war es viel angenehmer. Und das blieb es auch, sofern man die fast Garagentor grosse Haustüre sofort wieder zumachte, damit nicht zu viel Wärme eindrang. Die alten dicken Mauern isolierten das Gebäude. Der Marmorboden im Entree war schwarz-weiss, wie ein Schachbrett verlegt und auf Hochglanz poliert. In der Mitte des Raumes stand ein runder dunkler Holztisch auf dem sich eine Vase mit einem grossen bunten Blumenstrauss befand. Der süssliche Duft der Blüten verteilte sich in der ganzen Halle. Über dem Tisch hing ein gewaltiger Kronleuchter mit funkelndem Glasbehang von der hohen stuckverzierten Kassettendecke hinunter. Unzählige kerzenförmige Glühbirnen brannten daran. Viel Tageslicht drang nicht in den Raum. Die Doppeltüre durch die man ins Haus kam hatte je ein eingelassenes Fenster aus Buntglas. Wenn die Sonne im richtigen Winkel stand, wurde das Entree in ein farbiges Lichtermeer getaucht. Dann bekam man den Eindruck, man stehe in einer Kathedrale. Quer durch die Halle, gegenüber der Türe befand sich die Treppe die nach oben führte. Die etwa dreissig tiefen Stufen, waren gut ein Meter fünfzig breit, aus grauem teils etwas abgelaufenem Stein und führten auf ein Podest hinauf das ein wenig über der mittleren Raumhöhe lag. Dort verzweigte sich die Treppe, links ging es zu den Schlafräumen und rechts gelangte man in einen Korridor mit weiteren Zimmern. Geradeaus an der Wand auf dem Podest, hing ein eindrücklicher antiker Spiegel mit einem breiten aufwändig verzierten Rahmen. Er war mit leicht rötlich schimmerndem Blattgold überzogen. Der wog über eine Tonne, seine Aufhängung war deswegen fest in der Mauer verankert. Die Treppe zum Podest hing zwischen vier eckigen Säulen die am oberen Ende ein tragendes Deckenelement stützten. An der verputzten Wand, zirka acht Meter links zum Treppenaufgang befand sich der prunkvolle Kamin, dessen versenkte Feuerstelle fast vier Quadratmeter einnahm. Der geschwärzte russige Sims ragte wenig schräg in den Raum hinein. Ein im Massstab eins zu eins aus Stein gemeisseltes, detailgetreues Löwenhaupt hing darüber. Das Kaminschutzgitter wurde von mehreren klobigen, gusseisernen Tatzen am Boden festgehalten. Ein für die Hausverhältnisse eher schmaler Gang führte zwischen der Treppensäule und der Kaminwand in die Gemächer der Bediensteten. Ein dreimal so breiter Flur führte auf der anderen Seite in die Küche, das Esszimmer sowie in einen grossen Salon durch welchen man direkten Zugang zum Garten hatte. Durch eine riesige Glasfront gelangte man von da auf eine Terrasse und zum Pool. Nicht einmal Jessica selbst wusste wie viele Zimmer es in diesem Palast gesamthaft gab.

Lanas Schritte klopften auf dem Marmor. Sie kam aus dem Staunen fast nicht mehr heraus, als sie Maja und Grace half das Gepäck ins Haus zu tragen. In Echt war Lion House noch um ein hundertfaches schöner als sie es auf Bildern gesehen hatte. Sie konnte ihre Blicke kaum von den ganzen Verschnörkelungen an der hohen Decke und dem funkelnden Kronleuchter abwenden.

«Wie reich man wohl sein musste um sich so etwas leisten und unterhalten zu können?» fragte sie sich. Vor dem Treppenaufgang erteilte Beatrice Anweisungen wo was hin gebracht werden musste. Lana hoffte Adam aus dem Weg gehen zu können. Alleine sein Anblick liess sie jedes Mal aufs Neue erschauern. Durch ihre Nachforschungen hatte sie herausgefunden, dass er weiterhin für die Familie arbeitete und als Sicherheitsangestellter mit nach Lion House reisen würde. Erst dadurch war sie selbst auf die Idee gekommen sich mit falscher Identität einzuschleusen. Madeleine sagte ihr, dass sie hier auf dem Landsitz Antworten finden würde. Durch den Vorhang hatte sie der Riese vor ein paar Wochen im Hotel nicht gesehen, als sie ihn überrumpelte und glücklicherweise entkommen konnte. Wüsste er wer sie war, wäre er damals sicher bei ihr im Apartment aufgetaucht. Heute Morgen, als die Wagen bei der Stadtvilla beladen wurden stand sie gezwungenermassen für einen Augenblick dicht neben ihm. Er würdigte sie keines Blickes, bemerkte nicht wie sie kurzum zu schwitzen und schlottern begann, da sie seine Anwesenheit nervös machte. Nach der Begegnung hatte sie die absolute Gewissheit, er hatte keinen Schimmer, dass sie die Frau aus dem Hotelzimmer war. Sie würde also ohne Bedenken ihre Nachforschungen fortsetzten können. Im Schuhkarton war sie ebenfalls auf etwas gestossen, dem sie auf den Grund gehen musste. Dies hatte mit dem Foto, welches der Riese im Hotel in den Händen gehalten hatte zu tun. Alle Fäden schienen auf Lion House zusammenzulaufen. Wenn es ihr tatsächlich gelingen sollte hinter das dunkle Familiengeheimnis zu kommen, so wäre es die Enthüllungs- und Sensationsstory schlechthin.

Daniel ärgerte sich draussen weiterhin über Adam, weil er seinen Zigarettenstummel neben dem Van auf den Kies warf. Er spuckte ohne Scham auf den Boden, so als sei es das normalste auf der Welt. Ihm schien es völlig egal zu sein was die anderen dachten. Ehe ihn Daniel aufforderte mit anzupacken, griff sich Adam zwei der Koffer aus dem Wagen und brachte sie zum Hauseingang. Sie waren schwer, doch er trug sie locker als wären es Federkissen. Den Rest aus dem Kofferraum ihres Vans musste Daniel dann leider selber entladen, denn Adam verschwand im Haus und kam nicht mehr zurück um zu helfen. Da er Hunger und Durst hatte wollte sich Adam etwas aus der Küche holen. Lana stand vor dem offenen fast leeren Kühlschrank, die Rückwand hatte sich mit einer dünnen eisigen Kruste überzogen. Es war ein wuchtiges Möbel das neu und modern aussah. Sie überlegte ob womöglich die Temperatur etwas zu hoch eingestellt war, wollte aber nicht am Regler herumspielen. Gleich würde sie eh die ganzen Sachen aus der Kiste welche sie gerade in die Küche schleppte darin verstauen und da könnte sich das mit der Temperatur wieder ausgleichen. Sie pickte sich bestimmte Lebensmittel aus der Kiste um sie schon vorneweg den Tablaren entsprechend vor zu sortieren. Ordentlich stellte sie die erste Ladung auf den obersten Glasboden. Tabak und dieser stechend säuerlich riechende Schweissgeruch schlich sich plötzlich ohne Vorwarnung in ihre Nase. Im Bruchteil einer Sekunde war ihr klar wer die Küche betreten hatte. Sie drehte sich schlagartig um und Adam stand leibhaftig ganz nah hinter ihr. In ihrer linken Faust bohrten sich vor Schreck die Finger in die gelbe Peperoni. Mit einem gespenstischen Blick röntge er Lana langsam vom Haaransatz bis zu den Schuhsohlen. Er zog dabei eine wüste Grimasse die jede Furche in seinem Gesicht betonte. Durch die ungleichmässig grossen Nasenlöcher sog er Lanas Geruch in sich auf. Ihr wurde trotz der offenen Kühlschranktüre ganz heiss. Die Szene spielte sich erneut in ihrem Kopf ab, wie er sie grob durch den Vorhang packte und würgte. Obschon sie ihren Mund bewegte, brachte sie ausser einem niedlichen Piepser kein einziges verständliches Wort über die trockenen Lippen. Etwas konstruierte er sich gerade zusammen, dass konnte Lana in seinen dämonischen Augen lesen. Er spitze den Mund, zuckte intuitiv mit den Nasenflügeln, er tat wie ein Hund der eine Fährte aufgenommen hat.

«Erinnert der sich etwa gerade an mein Parfum oder an den Geruch meines Shampoos!?»

Dieser Gedanke ängstigte sie.

«Wer bist du?» wollte er ganz plötzlich wissen.

«Eigentlich wurden wir uns heute Morgen bereits kurz vorgestellt.»

Sie hörte sich etwas von Dienstmädchen und Küchenhilfe krächzen. Solange er sie dermassen fixierte, blieb sie wie gelähmt.

«Du bist zum ersten Mal hier?»

Lana nickte dürftig. Kräftig wurde die Klapptür in die Küche aufgestossen, es nahte Erlösung, Grace war in Begleitung von Beatrice und Maja. Tüten und Kartons stellten sie auf die grosszügige Arbeitsfläche neben dem Herd. So wie das so ist, wenn man grad was anderes im Kopf hat, deshalb abgelenkt ist, einer Aufgabe nachgeht oder alltägliche Routinen pflegt, der Tunnelblick. Keine der drei bemerkte anfänglich Lanas und Adams Anwesenheit. Er war es selbst der sich aus dem entstandenen Standbild herauslöste um auf die andere Seite der Küche zu laufen.

«Ich fange mit dem Einräumen an, holt bitte den Rest aus dem Wagen.» sagte Beatrice.

Adam war hungrig. «Kann mir eine von euch ein Sandwich machen?»

Tat er nur so als sei eben nichts gewesen? War das eine Art Taktik von ihm? Und er würde später an das Verhör anknüpfen? Eben noch schien seine ausgeprägte animalische Natur überhand zu gewinnen. Nun stand er drüben und unglaublicher weise hatte er etwas, dass aussah wie ein liebenswürdiges Lächeln im Gesicht. Weil sie so dicht vor dem Kühlschrank erstarrt war, betäubte die Kälte trotz ihrer Wallung ihre Rückenmuskulatur. Sehr freundlich wiederholte Adam seine Bitte um ein Sandwich. Krass, dachte Lana. Wie auf Knopfdruck war er ein ganz anderer Mensch. Wie ein Schizophrener. Über die Arbeitsinsel hinweg registrierte sie in Beatrice Antlitz etwas Ablehnendes dem Riesen gegenüber.

«In Ordnung, von mir aus.» sagte sie mürrisch klingend.

«Ich kann das machen!» bot sich Maja an.

«Wenn es Schinken hat, wäre das toll!»

Beatrice hatte Lana doch bemerkt und schaute zu ihr rüber.

«Helfen sie Grace beim Ausladen und machen sie endlich die Kühlschranktür zu!»

Vielleicht, überlegte Lana, war Adam so ausgehungert, dass er nun deswegen alles andere um sich herum vergass. Provokant geräuschvoll, schloss sie die Kühlschranktüre. Selbst da, Adam reagierte nicht mehr auf sie, genau wie in der Früh auf dem Parkplatz vor der Abfahrt sie war für ihn Luft. Maja kam näher um ein paar Sachen zu holen. Sie schmierte ihm sein Brot. Voll freudiger Erwartung sah ihr Adam dabei aufmerksam zu.

Nach einer halben Stunde waren alle Fahrzeuge entladen. Koffer und Kisten waren im Haus an ihrem zugewiesenen Platz verteilt worden. In der Küche instruierte die Haushälterin ihre Helferinnen über ihre nächsten zu erledigenden Arbeiten. Gleich war es viertel vor fünf, für sieben Uhr war das Dinner vorgesehen. Bis dahin gab es also noch einiges zu tun. Chloé ging es zwar wieder etwas besser, sie zog sich dennoch in ihr Zimmer zurück um sich bis zum Abendessen auszuruhen. Auch Tobias war nach oben in sein Schlafzimmer verschwunden und wollte sich kurz hinzulegen. Die fürsorgliche Beatrice brächte bestimmt etwas zum Trinken und ein paar Kräcker hoch, so war das jedenfalls früher immer gewesen. Adam erhielt von Jessica den klaren Auftrag, das Tor zu bewachen. Nachdem Daniel die drei Wagen ein kurzes Stück ums Haus zu den Parkplätzen und Garagen fuhr und mit den Schlüsseln zurückkam, machte er wie immer eine Kontrollrunde entlang den Mauern von Lion House. Es war noch unglaublich heiss draussen und er versuchte soweit es ging dem Schatten zu folgen. Als Jessica von der Küche aus in die Halle kam hörte sie die Haustüre hinter Daniel dumpf zufallen. Sie hielt ein Glas kalte Limonade in der Hand und trank einen Schluck. Dann stellte sie das Glas vorsichtig auf das geölte Holz der Tischplatte und folgte mit den Fingern den Konturen der Blumenvase bis hin zu den Blüten des Strausses. Sie war alleine. Der Duft hatte sofort Erinnerungen an vergangene Tage geweckt. Es ist viel Zeit vergangen seit sie das letzte Mal den Sommer hier verbracht hatte. Das Haus würde nie etwas von seiner Geschichte und dem Glanz vergangener Tage verlieren. Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr lebte sie hier mit ihrer drei Jahre jüngeren Schwester und ihren Eltern in fast völliger Abgeschiedenheit. Mutter und Vater führten eine harmonische Beziehung. Als Kind war sie an diesem Ort immer glücklich gewesen. Jedenfalls bis zu jenem schrecklichen Tag der alles veränderte. Als sie mit ihrer Schwester Sophia, ohne Erlaubnis der Eltern oder von Beatrice, die schon damals ein fester Bestandteil der Familie war, mit dem Ruderboot auf den See hinausfuhren, ereignete sich ein schrecklicher Unfall. Sie hatten gestritten, weil Sophias Haarspange ins Wasser gefallen war und sie deswegen nicht mehr ruhig sitzen bleiben wollte. In dem Durcheinander stürzte Sophia aus dem Boot und ertrank. Ihre Leiche wurde erst Tage später im dichten Schilf am Ufer geborgen. Jessica konnte es sich nie verzeihen dass sie mit ihrer Schwester auf den See hinaus gerudert war. Einige Monate nach der Tragödie jagte sich ihre Mutter Josephine, mit dem Revolver aus Gregorys Schreibtisch eine Kugel in den Kopf. Jessica eilte nach dem Schuss als erste ins Schlafzimmer der Mutter. Dann ging es Knall auf Fall. Am Tag nach dem Selbstmord verliessen sie Lion House. Jessicas Vater kaufte eine Villa am Stadtrand. Fortan lebten sie dort. Gregory sprach nie wieder über die schrecklichen Ereignisse. Stattdessen offenbarte er ihr an ihrem neunzehnten Geburtstag das Familiengeheimnis. Ihr wurde bewusst welche Last sie in Zukunft zu tragen hatte. Mit zweiundzwanzig Jahren wurde sie dann, auf Druck ihres Vaters, mit Jonas Sanders zwangsverheiratet. Sie liebte ihn nicht, kam jedoch gegen den Willen ihres Vaters nicht an. Die Affären und Eskapaden ihres Mannes ignorierte Jessica rigoros. Sie wusste es war ein Arrangement um zwei Imperien zusammen zu führen. Sie gebar ihm zwei Kinder, Chloé und Tobias. Jonas Sanders verstarb als sein Sohn fünfzehn und Chloé vierzehn Jahre alt waren. Er war schwerer Alkoholiker und starb an akutem Leberversagen. Die Kinder wuchsen hauptsächlich bei Ihrem Grossvater in der Stadtvilla auf. Jessica gelang es nie eine richtige Beziehung zu ihnen aufzubauen. Ihr Vater übernahm bereits früh die Rolle des Erziehers um die zukünftigen Erben auf ihren Platz im Familienunternehmen vorzubereiten. Das Verhältnis zu ihrem Vater wurde durch die Hochzeit mit der zwanzig Jahre jüngeren Madeleine Brock noch komplizierter. Die letzten paar Jahre verbrachte Jessica in Europa. Wo genau sie sich niederliess und was sie dort machte wusste keiner so genau. Sie verstand es den ganzen Medienrummel um ihre Familie zu umgehen. Wenn sie nicht gefunden werden wollte, so wusste Jessica gekonnt abzutauchen. Einen Tag nach der Ermordung ihres Vaters flog sie in die Staaten zurück um bei ihren Kindern zu sein. Blut ist bekanntlich dicker als Wasser. In Krisenzeiten muss die Familie zusammenstehen.

Nachdenklich lies Jessica ihre Hand zurück gleiten, entlang der transparenten Glasvase, hinunter, bis zum Tischblatt. Sie hielt inne. Durch die Stille hörte sie ganz leise das Ticken der Standuhr aus dem kleinen Salon. Ein leichter Druck baute sich hinter ihrer Stirn auf. Möglich, dass eine Migräne im Anmarsch war. Vergeblich hatte sie versucht dagegen anzukämpfen. Nur innert einer Minute pochte ein heftiger Schmerz in ihrem Kopf. Sie empfand das Ticken plötzlich, als würde sie auf einer Zeitbombe sitzen, die jeden Moment hochgehen konnte. Mit beiden Händen stützte sich Jessica am Tisch und versetzte dabei dem Möbel einen so heftigen Stoss, dass die kegelförmige Vase mit den Blumen ins Wanken geriet und umkippte. Übermannt von dem Getrommel in ihrem Kopf nahm sie nur noch getrübt und verschwommen wahr was um sie herum passierte. Das verschüttete Wasser sammelte sich erst zeitlupenartig an einem Punkt und bildete eine kleine Pfütze. Plötzlich zweigte sich daraus eine Bahn ab und lief weiter bis zur Tischkante. Jeder einzelne Tropfen der sich schlussendlich die rund fünfundsiebzig Zentimeter vom Tischblatt in die Tiefe stürzte, tönte beim Aufschlag auf den Marmorboden schmerzhaft in ihren Ohren. In ihrem Hirn entstanden Fantasien. Die Geister der Vergangenheit versuchten gerade eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen. In diesem Augenblick der ewig zu dauern schien, fühlte sie sich wie gefangen, als könne sie sich daraus nicht losreissen. Die Umgebung, ausserhalb dieser entstandenen Kuppel, nahm Jessica nun gar nicht mehr war. Der Schmerz wurde noch stärker. Der tobende Sturm in ihrem Kopf war nicht zu bändigen. Auf

einmal wurde ihr schwarz vor Augen und sie viel in Ohnmacht.

Später, als sie wieder zu sich kam, lag sie im kleinen Salon auf einem weichen Sofa. Ihre Füsse waren auf einem Kissen hoch gelagert. Wie sie hierhergekommen war und wer sie so gebettet hatte, daran erinnerte sie sich nicht. Zuerst erkannte sie Daniel, ihren Beschützer. Er sass dicht beim Sofa auf einem Stuhl und fühlte ihren Puls am Handgelenk. Danach hörte sie die Stimme von Beatrice, die auch anwesend war.

«Madame, können Sie mich hören?»

Jessica war noch etwas schwindlig, ansonsten fühlte sie sich aber viel besser.

«Es ist alles in Ordnung.» beschwichtige sie die im Raum Anwesenden.

«Sie sind in Ohnmacht gefallen! Erinnern Sie sich daran?» fragte Daniel.

Sie dachte über die Frage nach. «Ich bin wohl etwas erschöpft von der Reise.»

Daniel fühle den Puls an ihrem Handgelenk. «Sie sollten sich ausruhen.»

Jessica gab bereits wieder Anweisungen. «Ich mag keine bösen Überraschungen, Adam soll die Nacht über als Wache am Tor bleiben, bringen sie ihm später etwas zu Essen.»

Er versicherte ihr, sich darum zu kümmern, dann ging er aus dem Salon. Beatrice wartete bis er draussen war ehe sie nähertrat.

«Ich mache mir Sorgen. Ist wirklich alles in Ordnung?»

«Ja, mir geht es gut. Ich war lange nicht mehr hier. Vermutlich habe ich meine emotionale Bindung zu Lion House unterschätzt.»

Beatrice setzte sich auf den Stuhl wo Daniel eben gesessen hatte.

«Manchmal gibt es Orte an die man zurückkehren muss, damit man die Vergangenheit loslassen kann.»

«So viel Zeit ist vergangen. Und doch, es fühlte sich eben an als wäre es erst gestern gewesen. Die Antiquitäten, die Tapeten, die Vorhänge, hier gibt es überall Fotografien aus vergangenen Tagen, das Knarren des Riemenparketts, der Duft von Bienenwachs, Lavendel und all den Blumen. Alles erinnert an meine Mutter.»

Jessica streckte ihre Hand nach Beatrice aus, die sie liebevoll fasste.

«Sie sind voller Zorn, haben viele Fragen. Als ich vor zwei Wochen anreiste konnte ich es gleich fühlen. Etwas ist in Bewegung und es liegt nicht nur an ihrer Rückkehr nach Lion House. Ihrem Vater gelang es leider nicht, seinen inneren Frieden zu finden. Kommen sie zur Ruhe, ehe es zu spät ist. Stellen sie sich der Vergangenheit. Ich werde ihnen alle Fragen auf die ich eine Antwort weiss beantworten. Vielleicht kann ich ihnen dabei helfen, den Zorn zu zügeln.»

«Wann haben sie meinen Vater das letzte Mal gesehen?» wollte Jessica wissen.

«Ich war einen Monat vor seinem Tod bei ihm. Sie müssen wissen, er gab ihnen nie die Schuld an Sophias Tod oder dem Selbstmord ihrer Mutter. Sie wissen, dass sie schon vor dem Verlust ihres Kindes schwer depressiv war. Sicher waren sie damals noch zu klein um das alles zu verstehen. Ihr Vater sagte mir jedes Mal wenn wir uns trafen, wie sehr er sie liebt und wie Leid es ihm tat was er ihnen alles aufbürdete. Ich weiss, nach aussen hin wirkte ihr Vater immer recht kühl und unnahbar. Doch hinter dieser Fassade war er ein hochsensibler Mensch.»

Als Maja in den Salon kam um Beatrice etwas zu fragen brach der Dialog ab. Wie es aussah wurde die Hilfe der Haushälterin in der Küche benötigt. Maja entschuldigte sich mehrmals für die Störung und ging wieder.

«Gehen sie ruhig, ich werde mich oben noch etwas ausruhen. Wir finden genügend Zeit um zu reden. Rufen sie mich bitte wenn das Abendessen fertig ist.»

«Aber natürlich.» versicherte ihr Beatrice.

In der Halle kniete Lana auf dem Boden und saugte mit einem Schwamm das verschüttete Blumenwasser auf. Sie hob den Kopf als Jessica an ihr vorbei zur Treppe lief. Das klassische Dienstmädchen Outfit, bestehend aus einem schwarzen biederen Kleidchen und einer weissen Schürze mit Rüschen stand Lana ausgesprochen gut. Gewiss trug sie die Uniform nicht freiwillig. Sie drückte den vollgesogenen Schwamm über einem blauen Kunststoffeimer aus. Hoffentlich würde sie zwischendurch auch etwas Zeit haben um sich umsehen zu können. Beatrice schien recht streng zu sein und verlangte ihren Mädchen einiges ab. Jetzt wunderte es sie nicht mehr, weshalb die Arbeit so gut entlohnt wurde. Da kam die Haushälterin auch schon wieder um die Ecke gelaufen.

«Kommen Sie, ich brauche ihre Hilfe in der Küche.»

«Sklaventreiberin!»

Mit einem leisen Seufzer den Beatrice aber nicht hören konnte stand sie auf, griff nach dem Eimer und folgte ihrer Chefin in die Küche.

Im oberen Stock betrat Jessica ihr Schlafzimmer. Die beiden vollgepackten Koffer standen neben dem grossen Bett. Sie waren unangetastet. Da sie es nicht mochte, wenn jemand anderes ihre Kleider in den Schrank räumte, wollte sie es später selbst erledigen. In ihrem Zimmer roch es angenehm frisch. Auf Beatrice konnte man sich seit sie denken konnte immer verlassen. Ihre hervorragende Arbeit schätzte sie sehr. Als Jessica als Kind mit ihrer Familie hier lebte, war Beatrice nicht nur Haushälterin, sondern auch ein strenges Kindermädchen. Oft hatte Jessica sie für ihre verhängten Verbote, Hausarreste und das kontrollieren der Hausaufgaben verflucht. Erst im Erwachsenenalter wusste sie dies alles zu schätzen. Ihr Vater hätte sie und ihre Schwester sonst viel zu sehr verwöhnt. Glücklicherweise liess er Beatrice ziemlich freie Hand im Betreuen seiner Nachkommen. Ihre Mutter war oft von schweren Depressionen geplagt worden, manchmal schloss sie sich über Tage in ihrem abgedunkelten Zimmer ein. Es war Beatrice, der es schliesslich wieder gelang sie zum Essen zu bewegen und sie unternahm mit ihr stundenlange Nachmittagsspaziergänge. Ihre Mutter vertraute ihr alles an, keiner wusste so viel über Josephine und ihre Lebensgeschichte wie Beatrice. Seit Generationen wurden Nachkommen der Familie mütterlicherseits von Geisteskrankheiten heimgesucht. Die Angst war bei Jessica immer präsent, denn auch sie selbst neigte zu Melancholie und fürchtete oft, dass es ihr irgendwann wie ihrer Mutter erginge. Nachdem Lion House der Familie nur noch als Sommerresidenz diente, kümmerte sich Beatrice mit einem reduzierten Pensum um die Pflege des Hauses und dass alles instandgehalten wurde. Arbeit gab es hier eigentlich immer genügend. Mit ihrem Mann Charles, dem Gärtner, der sich um die weitläufige Gartenanlage von Lion House kümmerte, lebte sie über zwei Jahrzehnte lang im alten Bedienstetenhaus, das auf der anderen Seite vom See lag. Charles wurde krank und musste im Krankenhaus behandelt werden, weswegen sie das Anwesen verliessen. Coleman kaufte ihnen aus Dankbarkeit für die langjährigen Dienste eine Stadtwohnung. Wehmütig wurde Jessica bewusst, der Tag war nah, an dem Beatrice das Organisieren des Unterhalts von Lion House zu viel werden würde. Sie ging auf die siebzig zu. Es dürfte wahrscheinlich ein unmögliches Unterfangen werden einen würdigen Ersatz für sie zu finden.

Die hellen Vorhänge vor der Fensterfront waren aufgezogen und die Sonne brannte auf den durch die Jahrzehnte ausgebleichten Riemenboden. Jessicas Schritte verursachten ein leises Knistern. Sie öffnete die Glastür die auf einen schmalen Balkon führte, der von einem verschnörkelten schmiedeeisernen Geländer umgeben war. Sie blickte über den Garten und den See in die Ferne. Eine wunderbare weitgehend unberührte Landschaft. Es überkam sie ein Gefühl, dass irgendwo zwischen schmerzlichen Erinnerungen und Heimkehr lag. Vielleicht war es doch gut, noch einmal zurückzukommen um die Asche ihres Vaters zu verstreuen. Sie musste Abschied von der Vergangenheit nehmen. Es war schmerzlich, als sie ihren Vater zum letzten Mal lebend getroffen hatte, stritt sie sich mit ihm. Wie fast immer ging es dabei um Madeleine. Niemals ahnte sie da, Wochen später an seiner Trauerfeier teilnehmen zu müssen. Auch er hatte es nicht leicht in seinem Leben. Die Frau die er liebte erkrankte nach der Geburt ihrer beiden Kinder an schweren Depressionen und nahm sich später das Leben. Seine zweite Tochter ertrank mit sieben Jahren im See. Die Zeitungen sprachen von einem Fluch der auf der Familie lag. Seit Generationen mussten die Colemans derbe Schicksalsschläge einstecken. Kurz nach Ende des ersten Weltkrieges setzte ein Vorfahre, Alfred Coleman Lion House in Brand. Ein Grossteil der ursprünglichen Grundmauern wurde dabei zerstört. Seine Frau, die fünf Kinder und drei Angestellte kamen ums Leben. Beim Wiederaufbau sprachen Arbeiter davon, dass ein alter Geist über dem Anwesen wache, wenn man sich dort zu lange aufhielte verliere man den Verstand, würde dem Wahnsinn verfallen und schliesslich sterben. Immer wieder rankten sich Mythen um Lion House.

Jessicas Schlafraum war einer der grössten im Haus. Es gab eine Türe die in ein eigenes grosses Badezimmer führte. Gegenüber dem Bett war ein etwa fünf Meter langer Kleiderschrank mit weiss lasierten Schiebetüren in die Wand eingebaut. Sämtliche antiken Möbelstücke in dem Zimmer waren aufwändig restauriert und ebenfalls weiss lasiert worden. Auf beiden Seiten der Fensterfront stand ein Polstersessel. Er wurde mit hellem Stoff auf dem ein zartes lilafarbenes Blumenmuster aufgedruckt war bezogen. Cremeweiss und Pastelllila waren die Lieblingsfarben ihrer Mutter. In diesem Zimmer waren sie für Jessicas Empfinden etwas zu dominant vorhanden. Ein allzu vertrauter Geruch strömte ihr von der Spiegelkommode her entgegen. Das lag an den wunderschönen weissen Lilien welche in einer Vase arrangiert waren.

«Wie aufmerksam von Beatrice!» dachte Jessica und war gerührt über die Geste.

Diese Blumen liebte sie genauso sehr wie es ihre Mutter Josephine zu Lebzeiten getan hatte. Sie erklärte ihr einmal, dass die Lilie eine strahlende Pflanze sei, bei deren Anblick man automatisch an Licht und Liebe denken müsse. Wenn man jemandem Lilien schenkt, sagte sie, gebe man dem Beschenkten ein Gefühl der Hochachtung und Zuneigung. Von dieser Erklärung beeindruckt, erkor sie sie ebenfalls zu ihrer Lieblingsblume. Da sich die Blumen im Spiegel spiegelten, wirkte der Strauss auf den ersten Blick noch voller als er ohnehin schon war. An der weissen Porzellanvase lehnte ein kleines Kuvert. Jessica ging hin und zog eine Karte heraus. Flüssig geschrieben, mit schwarzer Tinte, in zusammenhängender verschnörkelter Schrift stand da: «Alles hat seine Zeit.»

Sie drehte das Kuvert in ihrer Hand. Ein Name des Absenders stand weder auf dem Umschlag noch auf der Karte. Es war nicht Beatrice Handschrift, dass sah sie sofort. Sie stellte das Kuvert zur Vase zurück, so wie sie es vorgefunden hatte. Obschon sie etwas verwundert darüber war, fiel ihr keine plausiblere Erklärung ein, als das die Blumen doch von Beatrice kommen mussten. Von wem sonst? Plötzlich war er wieder da. Der pochende Schmerz in ihrem Kopf kehrte zurück. Es war als legte sich ein dunkler Schleier über sie.

«Ich muss mich ausruhen!» flüsterte sie.

Bevor sich Jessica aufs Bett legte, betrachtete sie sich im Spiegel über der Kommode. Mit der rechten Hand zog sie an ihrer fein geflochtenen Halskette bis der Anhänger über der Bluse hing. Sie beobachtete das Schmuckstück im Spiegelbild und klebte den Blick auf die längliche, schmale, konische Kapsel. Sie war aus purem Gold, knapp zwei Zentimeter lang und sah genau genommen aus wie eine Patronenhülse. Rund um die Fläche war ein feines Muster eingraviert. Das Gold funkelte. Ihr Vater hatte einen fast identischen Anhänger besessen. Lediglich durch die Gravur unterschied er sich von ihrem. Seine Patrone war spurlos verschwunden. Vergeblich hatte Jessica nach seinem Tod danach gesucht. Das Schmuckstück lag nicht im Tresor der Stadtvilla, nicht in seinem Büro in der Firma und nicht in einem seiner Bankschliessfächer. Das legte den Verdacht nahe, dass die Kette mit dem Anhänger in der Mordnacht entwendet wurde. Sie hielt Madeleine Brock für die Diebin, denn Jessica war fest davon überzeugt, dass sie ihren Vater aus Habgier ermordete. Insgesamt existierten fünf dieser Patronen. Die Besitzer und Träger waren bewusst auserwählt. Sie gaben ihre Anhänger niemals freiwillig aus der Hand. Denn mit ihnen liessen sich Türen zu streng geheimem Orten öffnen. Jeder der Träger war ein Hüter des Familiengeheimnisses. Jessica dachte nach dem Tod ihres Vaters darüber nach, ob er eventuell schwach geworden war und Madeleine etwas darüber erzählt hatte. Auch möglich, dass er gezwungen wurde Informationen preis zu geben. Sie traute der Frau die er zu lieben glaubte seit Beginn ihrer Liaison nicht.

Hinter Jessicas Rücken klopfte der Wind sanft an die offene Verandatüre. Das reichte um sie aus ihren Träumereien zu reissen. Sie war erleichtert darüber, dass der Schmerz in ihrem Kopf bereits wieder nachliess. Jessica tastete nach dem Verschluss der Halskette und öffnete ihn. Danach zog sie die oberste Schublade auf, um das Schmuckstück unter ein paar weissen Handtüchern die sich beim hineingreifen ganz flauschig anfühlten zu verstecken.

«Verliere jetzt nur nicht den Verstand!»

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