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Kapitel 3 - Familienbande
ОглавлениеMit Verspätung, wurde um halb acht das Abendessen im Esszimmer serviert. Der lange Tisch glich einer Rittertafel. Am oberen Ende sass das Familienoberhaupt Jessica. Chloé und Jonas sassen sich fast zwei Meter von ihr entfernt gegenüber.
«Chloé, wie geht es dir? Du sieht immer noch sehr blass aus.» erkundigte sich ihre Mutter.
«Ich bin Okay, hör auf mich alle fünfzehn Minuten danach zu fragen.»
Lana servierte die Vorspeise auf schneeweissen Porzellantellern. Dies unter der strengen Aufsicht von Beatrice, die neben der Klapptüre, die in die Küche führte stand. Es gab einen schlichten Feldsalat mit Ziegenkäse und herbem Fruchtdressing. Um den Ablauf nicht noch weiter zu verzögern, schenkte Maja unterdessen die Getränke ein. Einen Weisswein und stilles Mineralwasser. Nach dem servieren stellte sich Lana seitlich zum Buffet, auf dem die Speisen und Getränke zum Nachreichen abgestellt wurden. Beatrice und Maja verschwanden in die Küche. Die Klapptüre schwang noch einige Male hin und her, ehe sie zum Stehen kam. Danach lag eine bedrückende Stille im Raum. Chloé stocherte mit der Gabel in ihrem Teller herum. Da Tobias Hunger hatte, begann er bereits eifrig zu essen, noch bevor seine Mutter ein «lasst es euch schmecken» fertig ausgesprochen hatte. Vornehm führte Jessica kleine Happen zu ihrem Mund. Lana lauschte dem Geklimper des Bestecks auf den Tellern und erinnerte sich, wie es früher bei ihrer Familie Zuhause am Esstisch zu und her ging. Ihre Mutter und ihre beiden Schwestern redeten während des Essens immer wild durcheinander. Selbst der sonst strenge und stille Vater warf Bemerkungen mit vollem Mund dazwischen. Bei ihr Daheim war es immer ein buntes und lustiges Treiben, vor allem beim Abendessen. Denn da erzählten alle angeregt von ihrem Tag in der Schule oder auf der Arbeit. Hier kam es ihr gerade vor wie bei einem Leichenschmaus nach einer Beerdigung. Keiner machte Anstalten um eine Konversation in Gang zu bringen. Dabei gab es mehr als genug, dass sie sich hätten erzählen können. Jessica war so lange auf Reisen gewesen und wusste im Grunde genommen sonderlich wenig über das Privatleben ihrer Sprösslinge. Diese sonderbare Ruhe empfand Lana als äusserst unangenehm. Die Kluft zwischen der Mutter und ihren Kindern war regelrecht spürbar.
«Wir werden morgen früh gegen zehn Uhr mit der Urne zur alten Eiche gehen.» sagte Jessica auf einmal.
«Ferientag Nummer eins und wir können nicht mal Ausschlafen!» Nachdem Tobias das gesagt hatte leerte er sein Glas Wein in einem Zug und sprach weiter. «Dann sollten wir heute wohl zeitig zu Bett gehen.»
Die Stimmung war nach wie vor angespannt. Wie ein Pflock wartete Lana am Buffet sehnlichst darauf, bis endlich Jemand etwas Interessantes zu berichten begann. Wieder ergriff Tobias das Wort. «Mutter, erzähl uns doch einmal was du so in den letzten Jahren in Europa gemacht hast. Warum haben wir so lange nichts von dir gehört?»
Ruhig legte Jessica die Gabel quer über ihren Teller. Sie schien gelassen auf die Frage eingehen zu wollen. Mit der Vorspeise war sie fertig.
«Ich musste mich für euren Grossvater um wichtige geschäftliche Dinge kümmern.»
Mit einer Geste wies Tobias Lana an ihm Wein nachschenken.
«Da wo du warst gab es wohl kein Telefon?» er wollte es von seiner Mutter etwas genauer wissen. Doch sie hatte nicht vor die Mauer des Schweigens einzureissen. Bedächtig wählte sie ihre nächsten Worte, sie wusste, Tobias hatte dieselbe Angewohnheit wie sein verstorbener Vater. Auch der war meistens auf eine Konfrontation aus, immer dann, wenn er zu viel getrunken hatte. Er versuchte sie aus der Reserve zu locken.
«Du weisst, dass mein Verhältnis zu eurem Grossvater nicht das Beste war.»
«Dafür konnten wir nichts. Du hättest dich trotzdem öfter melden dürfen. Wir hatten keine Ahnung wo du warst und wie es dir ging.» entgegnete ihr Sohn.
Jessica stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und verschränke die Arme über dem Teller.
«Es tut mir leid. Die Situation war verfahren und sehr kompliziert.»
Sie hatte einen wehmütigen Ausdruck im Gesicht. Tobias wartete, da er glaubte seine Mutter würde endlich etwas ausführlicher werden. Ihre nachfolgenden Antworten blieben kühl und oberflächlich.
«Du willst uns tatsächlich nicht mehr erzählen?» Und wieder trank Tobias sein Glas leer. Er wusste genau, seine Trinkerei machte Jessica rasend. Wenn er hartnäckig blieb, könnte er sie vielleicht zum Platzen bringen. Tobias wollte sie knacken. Diese unnahbare Person, die sie Mutter nannten, sollte endlich ein paar Emotionen zeigen.
«Naja, vielleicht hast du dich ja in Madeleine gar nicht so sehr geirrt.» Das sagte er mit einem ironischen Unterton.
Madeleine war für Jessica die Provokation schlecht hin. Chloé legte schweigend ihr noch unbenutztes Besteck auf den Tisch zurück. Sie hatte nicht einen einzigen Bissen gegessen. Tobias schaute in ihr kreidebleiches Gesicht.
«Schwesterherz, du sieht echt nicht gut aus. Was ist denn nur los mit dir?»
Sie liess die Hände in den Schoss fallen ohne auf ihren Bruder einzugehen. Jessica war ihrer Tochter wegen sehr beunruhigt, verkniff sich aber eine bemutternde Frage. Wenn nötig würde sich ihre Tochter von sich aus kundtun. Es sollte nicht schon am ersten Abend Streit ausbrechen. Es würde noch früh genug zum Ärger mit ihren Kindern kommen, dessen war sie sich sicher. Bevor die beklemmende Stille zurückkehrte, sprang die Küchentür auf und Maja trampelte ins Esszimmer. Der nächste Gang war parat. Während die Teller abgeräumt wurden, erhob Tobias sein leeres Glas als wolle er einen Toast aussprechen.
«Ist es vielleicht möglich noch etwas Wein zu bekommen?» fragte er ungehalten.
Seine Schwester musste ihn zurecht weisen. «Ich glaube du hast genug!»
«Oha, du sprichst ja doch mit mir!»
Sie zickten sich mehrere Minuten lang an wie zwei kleine verwöhnte Kinder. Lana behielt die Weinflasche in der Hand und wartete bis das Gezanke endete. Die Teller waren abgeräumt und man brachte das Lammfilet mit Kartoffeln zum Tisch. Es roch unglaublich lecker.
«Schenken Sie mir jetzt noch etwas ein oder wollen sie weiterhin wie angewurzelt dastehen?“
Man sah Lana an, dass sie sich am Verhalten von Tobias störte. Jessica erhob mahnend eine Hand, um sie mit der Flasche zurück zu weisen.
«Genug für heute. Halte bitte etwas Mass!»
«Danke Mutter, ich weiss selber wann ich genug habe.»
«Offensichtlich nicht.»
Er beharrte darauf. «Einschenken!»
«Ja was jetzt?» dachte Lana, verdrehte die Augen und schielte dabei zur Decke. Schliesslich schenkte sie ihm nach. Von Jessica erntete sie einen rügenden Blick. Chloé schaute auf ihren Teller. Den unangetasteten Salat hatte man kommentarlos durch den Hauptgang ersetzt. Sie pickte eine kleine Kartoffel auf die Gabel.
«Irgendwie habe ich heute keinen richtigen Hunger» nuschelte sie.
«Du solltest aber etwas essen. Es ist eine wahre Gaumenfreude.» erklärte Tobias.
Diesmal trank er nur einen gemässigten Schluck und stellte das Glas kontrolliert neben seinen Teller. Hatte er seine Manieren doch nicht ganz verloren?
«Wirklich, Schwesterherz, du bist viel zu dünn geworden!»
Jessica schnitt in das zarte Fleisch. Es schmeckte sogar noch besser als es roch. Beatrice war eine Meisterköchin.
«Möchtest du etwas anderes essen?»
«Nein Mutter!» gab Chloé überaus streng zur Antwort. Sie kaute auf der kleinen Salzkartoffel herum, dann würgte sie den Bissen theatralisch hinunter. Es sah aus, als zwinge man sie mit vorgesetzter Pistole eine Kakerlake zu verzehren.
«Warum ziehst du denn so ein Gesicht?»
Noch ignorierte sie ihren Bruder rigoros. Stattdessen wandte sie sich mit einer seltsamen Miene an Jessica. «Wir haben uns wirklich gefragt wohin du so plötzlich verschwunden bist.»
«Ich musste dafür sorgen, dass euer Erbe nicht den Bach runtergeht.»
Tobias klinkte sich wieder ein. Er plauderte mit vollem Mund. «Hast du gewusst, dass Grossvater unsere MAD-y als alleinige Erbin einsetzten wollte?»
Es wurde mucksmäuschenstill. Er hatte ins Schwarze getroffen.
Jessicas Schutzpanzer bekam einen Riss.
«Möchtest du auf etwas Spezielles anspielen?»
Ihr Sohn verzog höhnisch den Mund. «Sie muss echt eine Granate im Bett gewesen sein, dass sie Grossvater dermassen um den kleinen Finger wickeln konnte.»
«Sei nicht so respektlos!»
Ärgerte sich Jessica, ihre Kiefermuskeln spannten sich an. Die Stimmung war geladen, ein weiterer Funke konnte eine Explosion auslösen. Wie aus dem Nichts warf Chloé eine Behauptung in den Raum.
«Madeleine ist schwanger.»
Aufmerksam beobachtete sie die Reaktion ihrer Mutter. Die verschluckte sich beinahe an einem Stück Fleisch. «Woher weisst du das?»
Vom Buffet aus verfolgte Lana die Diskussion die entfachte. Gleich würde es krachen.
«Ich hörte Grossvater und Madeleine deswegen streiten.»
Tobias beugte sich vor. «Sie war schwanger?»
Jessica hielt es bloss für einen schlechten Scherz. Bestimmt wollten sie ihre Kinder nur verärgern. Aber Chloé blieb hartnäckig bei ihrer Geschichte.
«Es ist die Wahrheit!»
«Das ist schlichtweg unmöglich.»
«Ich habe genau gehört wie sie darüber stritten.»
«Mein Vater hatte vor Jahren eine Vasektomie machen lassen.»
Diese Tatsache verwunderte ihre Tochter zutiefst. In ihrem Kopf begann sie sich etwas zusammenzureimen. Angewidert starrte sie ihren Bruder an. Als er es merkte, fing er ihren Blick ein. «Was ist denn?»
«Wessen Kind trug sie eigentlich in sich?»
Ihm missfiel ihre Anspielung. «Was meinst du damit?»
Sie hob arrogant eine Augenbraue. «Ich denke du weisst genau wovon ich spreche!»
«Nein das tue ich nicht.»
«Du hattest eine Affäre mit ihr.»
«Bist du von Sinnen? Das ist völliger Schwachsinn!»
Tobias sah wie seiner Mutter die Kinnlade runter hing. Der letzte Bissen war ihr beinahe im Hals stecken geblieben
«Hör bloss nicht hin. Das ist Blödsinn was sie da erzählt!»
Chloé liess nicht locker. «Ich habe euch zusammen im Pool gesehen!»
«Im Pool gesehen?! Du spinnst!»
«Du wolltest mit ihr durchbrennen!»
Jetzt knallte Jessica ihr Messer auf den Tisch und rief «Stopp!»
Dann klatschte sie dreimal in die Hände bis sie die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden im Raum hatte.
«Lassen Sie uns alleine!»
Lana stand alleine beim Buffet. Auf Jessicas Anweisung hin musste sie nun das Zimmer verlassen.
«Schade! Jetzt wo es gerade spannend wird!»
Sie ging nicht durch die Klapptüre in die Küche, sondern nahm die andere Tür die in den Korridor hinausführte. Hinter sich liess sie einen kleinen Spalt offen um lauschen zu können.
Mit etwas Glück konnte sie lange genug dort stehen bleiben um mehr zu erfahren, ehe Beatrice nach ihr rufen würde. Im Esszimmer nahm Jessica den Gesprächsstoff wieder auf. Keiner hatte bemerkt das die Tür hinter der Dienstmagd nicht zugefallen war.
«Tobias, sag mir um Himmelswillen, dass das nicht wahr ist!»
«Es ist eine verdammte Lüge. Ich habe keine Ahnung warum sie so etwas erzählt.»
«Sie dachten, erklärte Chloé, sie wären alleine in der Villa. Grossvater war geschäftlich in New York. Ich wollte ins Theater gehen, habe mich auf halbem Wege vom Chauffeur zurückfahren lassen da ich meine Migränetabletten vergessen hatte. Das Gelächter war durch die offene Verandatüre bis nach draussen zu hören. Ich sah euch eng umschlungen im Pool herum turteln. Erst wollte ich etwas sagen, entschied mich aber dagegen. Mir wurde durch das Gerede der beiden plötzlich bewusst, dass sie vorhatten in naher Zukunft zusammen durchzubrennen.»
Jessica presste die Lippen zusammen und atmete laut durch die Nase aus.
«Mutter, das ist nicht wahr!» verteidigte sich Tobias lautstark.
Seinen Rechtfertigungen hörte Jessica zu, doch er vermochte es nicht sie von seiner Unschuld zu überzeugen. Der lange Tisch bebte als Tobias seine Faust darauf ballerte. Wutentbrannt sprang er von seinem Stuhl auf.
«Das ist eine verdammte Lüge!»
Jessica musste ihn ermahnen. «Setzt dich gefälligst wieder hin!»
Widerwillig tat er wie ihm geheissen.
Derweil erzählte Chloé weiter was sich in der Stadtvilla zugetragen hatte.
«Ich hörte wie du zu ihr sagtest, dass du bald alles organisiert hättest um mit ihr zu verschwinden.»
«Was ist denn nur in dich gefahren?! Wieso erfindest du solche Geschichten?!»
«Herrgott Tobias! Ich hoffe du hast nichts mit dem Tod meines Vaters zu tun!»
Ihm würden gleich sämtliche Sicherungen durchgehen. «Spinnst du?» schrie er. «Wie kannst du so etwas sagen? Du hörst mir ja nicht einmal zu.»
Lana horchte hinter der angelehnten Türe. Sie wusste genauso wenig wer die Wahrheit erzählte. Madeleine versicherte ihr, das Kind sei von Gregory. Aber nun erzählte Chloé, ihr Bruder hätte seine Stiefmutter geschwängert.
Jessica wollte von ihrer Tochter wissen ob sie dies der Polizei gegenüber erwähnte.
«Nein, es hätte unsere Familie nur beschämt.»
«Wusste mein Vater von dieser Affäre?»
«Verdammt noch mal! Es gab keine Affäre! Das hat sich Chloé ausgedacht!»
Er streckte den Zeigfinger zu seiner Schwester als wolle er sagen, da seht! Das ist die Schuldige!
«Ich glaube er fand es raus oder Madeleine hat es ihm selbst gestanden. Im Streit muss sie ihn dann erschossen haben.» sagte Chloé.
Jessica schloss kurz die Augen. Sie war wie benommen und ihr Gesicht fühlte sich auf einmal ganz heiss an. Das durfte nicht wahr sein.
«Meine Güte Tobias!» ächzte sie.
«Soll ich mich einem Lügendetektortest unterziehen lassen damit du mir glaubst?»
«Warum erzählst du sowas?» er fragte das Chloé wieder und wieder.
«Wieso sollte sie das erfunden haben?»
Sie schauten Chloé an, wodurch diese plötzlich einen verunsicherten Eindruck machte. Sie fing an, nervös zu blinzeln und kniff ein paar Mal die Augen zusammen um es zu unterdrücken. Und dann bekam sie unerwartet leichtes Nasenbluten. Chloé griff die Serviette und stand auf. «Ich fühle mich unwohl.» stotterte sie. «Es ist besser wenn ich mich hinlege.»
Tobias schüttelte heftig den Kopf. «Du kannst jetzt nicht einfach aufstehen und gehen!»
«Was ist los mit dir?»
Ging es ihrer Tochter wirklich gerade so schlecht oder spielte sie ihnen nur etwas vor um sich vor weiteren Fragen zu drücken? Gerade als ihr Jessica auf den Zahn fühlen wollte, sprang die Küchentüre auf. Maja und Beatrice traten herein, wurden aber von Jessica gleich zurückbeordert.
«Geben sie uns noch ein paar Minuten!»
Beatrice nickte ihr besorgt aber freundlich zu. Beide verschwanden zügig in die Küche zurück. Chloé schwankte leicht und stütze sich an der Tischkante.
«Das alles wühlt mich zu sehr auf und ich habe eine schreckliche Migräne.»
Auch Jessica stand jetzt auf. «Ich werde dich hinaufbegleiten!»
«Nein!» fauchte Chloé. «Das ist absolut unnötig!»
Sie sagte es sehr schroff, geradezu aggressiv. Jessica und Tobias sahen ihr stillschweigend hinterher wie sie durch die Tür zum Flur verschwand. Da sie ihren Abgang angekündigt hatte, blieb Lana genug Zeit um sich unbemerkt davon zu stehlen. Mit deutlichen strengen Worten gelang es Jessica ihren Sohn am Tisch zurückzubehalten.
«Ist sie krank? Du würdest es mir doch sagen wenn du etwas wüsstest.»
«Sie scheint ganz offensichtlich ihren Verstand verloren zu haben!»
«Wie lange geht das schon so, mit ihrer Migräne und der ständigen Übelkeit?»
«Seit einigen Tagen, vielleicht eine Woche.»
«War sie bei einem Arzt?»
«Ich weiss nicht, vermutlich nicht. Sie reagierte schon immer sehr empfindlich auf Stress oder Veränderungen. Mir macht es mehr Sorgen, wie sie darauf kommt solche Lügenmärchen zusammen zu spinnen. Ich meine, ich liebe meine Schwester über alles, aber wir wissen beide, sie ist verzogen und manchmal ein kleines intrigantes Miststück.»
«Nenne mir einen vernünftigen Grund, weshalb sie sich das ausgedacht haben soll.»
«Keine Ahnung! Sie fand Grossvaters Leiche, möglich, dass da in ihrem Kopf etwas passierte.»
«Etwas passierte?»
«Du glaubst mir kein Wort!» klagte Tobias. «Stattdessen fällst du auf Chloés Hirngespinste herein! Was ist bloss los mit euch?! Es war eine dumme Idee herzukommen!»
Die Küchentür knarrte. Beatrice streckte vorsichtig ihren Kopf hindurch um einen neuen Anlauf zu wagen. Jessica erlaubte ihr den Eintritt.
«Sollen wir den Nachtisch servieren oder möchten Sie noch warten?»
Beatrice bemerkte das Chloé nicht mehr anwesend war. Sogleich erkannte sie in Jessicas Gesicht, etwas musste vorgefallen sein.
«Kann ich irgendwie helfen?»
«Sehen Sie doch bitte nach Chloé, sie hatte Nasenbluten und klagte über starke Kopfschmerzen.»
«Ich werde natürlich gleich nach ihr sehen.»
Tobias lief zum Buffet hinüber und schnappte sich eine volle Flasche Rotwein.
«Ich ziehe mich auch zurück.»
«Bitte setz dich wieder hin.»
Er wollte sich von ihr nicht mehr herumkommandieren lassen.
«Ich habe keine Lust mich weiterhin für eine Lüge rechtfertigen zu müssen.»
Er liess die Türe offenstehen als er hinausging.
«Es wird besser werden. Die müssen sich erst wieder an sie gewöhnen.» sagte Beatrice mit beruhigender Stimme und einem Lächeln.
«Sie sind verwöhnt und es ist meine Schuld.»
«Haben sie Geduld. Sie sind jung und müssen ihren Weg noch finden. Bei ihrem Sohn sollten wir lediglich dafür sorgen, dass er seinen Alkoholkonsum etwas drosselt.»
«Ich bin besorgt wegen Chloé. Sie macht keinen gesunden Eindruck auf mich.»
«Maja kann Ihnen einen Kaffee und etwas von meinem Tiramisu servieren. Ich werde unterdessen nach ihrer Tochter sehen. Machen sie sich keine Sorgen.»
Jessica bedankte sich für die wohlwollenden Worte.
«Leisten Sie mir doch anschliessend im Salon etwas Gesellschaft. Wir können dort gemeinsam von ihrem köstlichen Nachtisch essen und in aller Ruhe einen Kaffee trinken.»
Keine zwanzig Minuten später sassen die beiden Frauen auf weichen bequemen Sesseln im kleinen Salon, der durch die mächtige Bücherwand eher einer Bibliothek glich. Sie hatten einen direkten Blick auf das Feuer im Kamin. Das Ambiente war sehr gemütlich. Beatrice hatte ihre Schürze abgelegt und war offiziell in den Feierabend gegangen. Vor wenigen Minuten servierte ihnen Maja einen frisch gebrühten Kaffee. Dazu gab es Tiramisu. Nachdem was beim Abendessen vorgefallen war hatte sie die Lust auf ihren Lieblingsnachtisch verloren. Sie ass bloss eine Dessertgabel voll und stellte den Teller bei Seite. In diesem Jahr wurde Jessica zweiundfünfzig Jahre alt. Die meisten schätzten sie um einiges jünger ein. Sie hatte noch immer schöne Gesichtszüge und eine straffe Haut. Obwohl sie sportlich nie besonders aktiv gewesen war, behielt sie ohne grosse Anstrengungen ihre schlanke Figur. Jessica war eine anmutige Frau und sie hatte etwas Sinnliches an sich. Sah man sich Fotos ihrer Mutter an, so war Jessica ihr Abbild.
An diesem Abend wollte sie von Beatrice in Erfahrung bringen wie es ihren beiden Kindern in den letzten Jahren unter der Obhut ihres Grossvaters ergangen war. Durch ihre langen Europareisen hatte sie nur am Rande mitbekommen wie es um ihr Privatleben bestellt gewesen war. Vor etwas mehr als einem Jahr, das hatte sie durch die Boulevardpresse erfahren, verlobte sich ihre Tochter Chloé mit dem Sohn eines Medienmoguls aus San Francisco. Die Hochzeitsvorbereitungen fanden jedoch ein plötzliches Ende, weil Chloé das Interesse an ihrem Freund verlor. Die genauen Gründe kannte Jessica nicht. Häppchenweise bröselte Beatrice heraus, was sie darüber wusste. Im Gegensatz zu ihrem Bruder war Chloé in Liebesbeziehungen eigentlich immer die verantwortungsvollere, vernünftigere gewesen. Tobias war ein Playboy, das Vermögen der Familie verprasste er für Freizeitvergnügen, in Nachtclubs, für teure Autos von denen er schon mehr als eines zu Schrott gefahren hatte und für teure Geschenke an schöne Frauen. Vielen hatte er das Herz gebrochen. Tobias kokettierte früher oft damit nicht arbeiten zu müssen und zeigte dies auch in der Öffentlichkeit. Seit einiger Zeit so berichtete Beatrice, sei er ruhiger und reifer geworden. Nur trinke er hin und wieder zu viel und dann schlage er über die Stränge. Gewisse Anlagen seines Vaters wurden ihm wohl mit auf den Weg gegeben. Eigentlich sehnte er sich nach einer warmherzigen und liebevollen Frau mit der er Kinder haben konnte. Seinen Weg und seine Bestimmung musste er jedoch noch finden. Ihm fehlte es an Strukturen, denn er lebte lange Zeit in den Tag hinein. Der Tod seines Grossvaters habe Tobias und Chloé tief erschüttert. Sie wohnten lange Zeit gemeinsam als Familie in der Stadtvilla. Nach dem Mord zog Chloé aus, da sie die vertraute Umgebung nicht mehr ertrug. Für sie war Gregory wie eine Vaterfigur. Schon als Chloé noch ein Kind war hatte ihre Mutter schwer Zugang zu ihr gefunden. Sie war hoch intelligent, introvertiert, sehr eigen und eine Einzelgängerin. Wenn andere Kinder draussen spielten und herumtobten, sass sie lieber drinnen, las ein Buch oder hörte sich alte Geschichten ihres Grossvaters oder von Beatrice an. Zuerst waren die Geschwister vehement gegen eine Hochzeit zwischen Gregory und Madeleine Brock. Später verstanden sich aber beide, zur grossen Überraschung anderer, recht gut mit ihr. Es war ihrer Stiefmutter gelungen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Für Jessica blieb das absolut unverständlich. Selbst Beatrice stand Madeleine freundlich gesinnt gegenüber. Sie hielt sie nicht für Gregorys Mörderin.
«Es klingt vielleicht komisch.» erklärte sie. «Und nehmen Sie es mir nicht übel, doch ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen das Madeleine ihren Vater getötet hat. Denn ich weiss, sie hat ihn abgöttisch geliebt.»
Das von Beatrice zu hören verschlug Jessica beinahe die Sprache. Sie räusperte sich.
«Wie können Sie sich da nur so sicher sein?»
«Ich habe sie zusammen erlebt. Sie war ihm gegenüber wohl gesinnt. Da war keine Habgier in ihren Augen. Ihre Absichten waren ehrlich. Sie hat ihren Vater ein Stück weit gebändigt. Er war zufriedener und hatte seine verloren geglaubte Lebensfreude zurückgewonnen.»
Das Holz knisterte im Kaminfeuer.
«Glückliche Liebe sagen Sie?»
Diese Frau war lediglich auf sein Vermögen aus. Welcher alte Mann würde sich nicht geschmeichelt fühlen wenn er von einer jungen Schönheit umgarnt wird.
«Und diese ganzen Streitereien? Es gibt genügend Aussagen die das bekräftigen. Für mich klingt das nicht nach einer harmonischen Beziehung.»
«Ja, sie stritten sich. Ihr Vater hatte mir als ich ihn das letzte Mal sah erzählt, dass sie ihre Probleme überwunden hätten.»
«War sie schwanger?» wenn, dachte Jessica, so musste es Beatrice wissen.
«Wo haben sie das aufgeschnappt?»
«Chloé hat es vorhin beim Abendessen erwähnt. Auch, dass Madeleine mit Tobias eine Affäre gehabt haben soll.»
Fast hätte Beatrice ihre Tasse Kaffee die sie in der Hand hielt verschüttet. Sie lachte und schüttelte ungläubig den Kopf.
«Nein, nein, nein. Meine Güte, das ist völliger Humbug!»
Sie unterdrückte ihr Gelächter. «Tobias und Madeleine, sie verhielten sich eher wie Geschwister, mehr war da nicht! Madeleine war schwanger, das Kind ist von ihrem Vater, daran gibt es keinen Zweifel. Ich weiss von der Vasektomie. Deswegen verlangte er einen Test von ihr, darüber hatten sie unter anderem gestritten. Dieser Test bestätigte jedoch eindeutig seine Vaterschaft.»
Zum einen fiel ihr ein Stein vom Herzen, aber zum anderen blieb da noch eine gewisse Skepsis. Es gab Fälle, wo es trotz einer Vasektomie zur Schwangerschaft kam, doch das geschah eher selten.
«Wäre es möglich gewesen den Test zu fälschen?»
«Sie mögen Madeleine wirklich nicht.»
«Es ist für mich ein Rätsel, warum Chloé eine solche Geschichte erfinden sollte.»
«Das kann ich mir auch nicht erklären.»
Sie unterhielten sich noch fast eine weitere Stunde über das Leben von Jessicas Kindern und den Geschehnissen der letzten Zeit. Trotz aller Sympathie die Beatrice Madeleine entgegenzubringen schien, konnte Jessica von ihrer Abneigung nicht wegkommen. Alleine die Tatsache, dass Madeleine irgendwo auf der Flucht war und das Kind ihres Vaters austrug liess sie erschaudern. Dies auch aus absolut egoistischen Beweggründen, denn die Möglichkeit bestand, dass dieses Kind irgendwann den Anspruch auf sein rechtmässiges Erbe geltend machen könnte.
Der Himmel war sternenklar. Die Nacht vermochte den aufgeheizten Boden etwas abkühlen zu lassen. Daniel stampfte durch das hohe Gras eines halb überwucherten Weges. Er war unterwegs zu der kleinen Holzbaracke unten am Seeufer. Nachdem er seine Kontrollrunde ums Haus gedreht hatte, war er beim Tor gewesen. Verärgert musste er feststellen, dass Adam nicht auf seinem Posten sass, sich geschweige denn in der Nähe dessen aufhielt. Seit über einer halben Stunde suchte er nun wütend nach ihm. Es schien Adam nicht mal in den Sinn gekommen zu sein, wenigstens die Kette mit dem Schloss am Tor anzubringen. Angelehnt hatte er es einfach zurückgelassen. Dabei wusste er genau wie sehr sich Jessica vor ungebetenen Gästen fürchtete. Sie hatte ausdrücklich darauf bestanden, einen Wachmann beim Haupteingang zu Lion House zu haben. Früher hatten sich immer wieder Paparazzi aufs Grundstück geschlichen um das Gelände auszukundschaften und heimlich Bilder von Familienmitgliedern zu schiessen. Als sich Daniel der Baracke näherte, konnte er den Geruch von Tabak ausmachen. Er verliess den Pfad dem er bis hierhin gefolgt war und ging stattdessen rings um den Schuppen herum. Dabei stolperte über eine lose Bodenplatte. Als er wieder hoch sah, entdeckte er Adam und ging ihm zornig entgegen.
«Was zum Geier machst du hier?! Ich habe dich überall gesucht! Du sollst doch am Tor Wache halten!»
Hinter der Baracke stand eine alte verwitterte Holzbank auf der er sass. Seelenruhig rauchte er eine Zigarette und nippte dazwischen an einer Flasche Bier. Er blickte gelangweilt auf den Boden und hielt es nicht für nötig zu Daniel aufzusehen. Er trug dunkelgrüne schmutzige Militärhosen, ein verschwitztes Shirt, Gummistiefel und einen Strohhut, obschon die Sonne längst untergegangen war.
«Ach!» reagierte er gereizt.
Man musste sich etwas konzentrieren, damit man ihn richtig verstand. Adam nuschelte. Sein tiefer und kratziger Bariton hatte etwas richtig Unheimliches an sich.
«Ich brauchte eine kurze Pause!»
«Geh auf deinen Posten zurück, sonst kriegst du mächtigen Ärger!»
Der Riese hätte ihn beim Reden wenigstens anschauen können, doch stattdessen nippte er an der Bierflasche. Mit ihm wollte er sich eigentlich nicht anlegen müssen. Daniel war klar, wenn es darauf ankam, würde ihn Adam in den Boden stampfen. Ohne Zweifel wäre er imstande gewesen, jeden unerwünschten Gast vom Grundstück fernhalten. Dies schon allein durch seine massige und riesige Erscheinung. Als Mitarbeiter war er jedoch unzuverlässig und für seine Kollegen eine Zumutung. Sozialverhalten war ein Fremdwort für ihn und Respekt schien er vor niemandem zu haben. Daniel begriff nicht warum er für die Familie arbeiten durfte. Es war ihm ein grosses Rätsel. Adam stellte die leere Bierflasche unter der Bank ab, rülpste laut und sagte «Was regst du dich so auf?!»
Sein verschwitztes Shirt spannte sich erheblich an seiner Brust, als würde es gleich zerreissen.
«Ich muss mich darauf verlassen können, dass du deinen Job machst! Du kannst auch beim Tor deine Zigaretten rauchen. Das Trinken unterlass gefälligst wenn du im Dienst bist!»
Unter dem Strohhut, den er hochrückte, kam sein zerknittertes Gesicht zum Vorschein. Im trüben Licht der Aussenbeleuchtung, die den Sitzplatz ausleuchtete, erinnerte ihn Adam an Frankensteins Monster.
«Ich geh ja schon!»
Er knirschte mit den Zähnen, schmiss den Zigarettenstummel auf den Boden und trampelte in seinen Gummistiefeln davon.
Sämtliche negativen Gedanken welche Daniel gerade durch den Kopf geisterten, behielt er erst mal für sich. Er musste darauf vertrauen, dass Adam jetzt zum Tor ging. Später würde er noch einen Kontrollgang machen. Sollte er da wieder nicht an seinem Platz sein, dann würde er es morgen Jessica sagen müssen. Er konnte seiner Art nicht das geringste abgewinnen. Adam war eine tickende Zeitbombe. Sein aggressives Verhalten, die Unzuverlässigkeit und Trinkerei würden nur Probleme mit sich bringen, da war er sich sicher. Der Zigarettenstummel glühte noch einmal auf, wütend trat ihn Daniel mit einem Schuh aus.
«Der Trottel wird hier noch alles abfackeln!»