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3. Der einzige Anhaltspunkt

„Also gibt es mich jetzt, oder gibt es mich nicht?“, fragt Olum.

Zusammen mit Hakun, dem Fleischer, und Kaus, dem Bauern, steht er auf dem Dorfplatz vor Asimov, als Primo und Willert hinzukommen. Die Katze Mina hat es sich wie immer auf dem Kopf des Golems gemütlich gemacht.

„Das kommt drauf an“, antwortet der Golem. „In dieser Welt gibt es dich. Aber diese Welt gibt es nicht wirklich. Sie ist nur eine Simulation in einem Computer, der irgendwo in der Kugelwelt steht.“

„Was ist das, ein Komjuta?“, fragt Kaus.

„Das hat Asimov doch schon erklärt“, weist ihn Hakun zurecht. „Das ist eine Maschine, die ganz toll rechnen kann. Nicht nur eins plus eins, sondern sogar drei mal sieben und noch kompliziertere Sachen. Höhere Mathematik nennt man das.“

„Und die Kugelwelt?“, fragt Olum. „Ist das auch eine Simbulision?“

„Es heißt Simulation“, erklärt der Golem geduldig. „Nein, die Kugelwelt ist keine Simulation. Aber sie existiert auch nicht wirklich. Sie ist nur eine ausgedachte Geschichte.“

„Aha“, sagt Olum. „Und wer hat sich die ausgedacht, diese Geschichte?“

„Darüber liegen mir aktuell keine Informationen vor“, antwortet Asimov.

„Und der, der sich die Geschichte ausgedacht hat, gibt es den wenigstens wirklich?“, fragt der Fischer.

„Möglich wäre es“, meint Asimov. „Vielleicht aber auch nicht. Es könnte sein, dass auch seine Welt nur eine Simulation ist.“

„Das heißt, es gibt mich gar nicht wirklich?“, fragt Olum.

„Das kommt drauf an“, erklärt Asimov seelenruhig. „In dieser Welt gibt es dich. Aber diese Welt ...“

„Entschuldigung, wenn ich unterbreche“, schaltet sich Primo ein. „Aber ich hätte eine Frage.“

„Primo, du kommst gerade richtig“, sagt Asimov. „Wir waren hier in einer Endlosschleife gefangen. Seit du angeblich in der Kugelwelt warst, diskutieren hier alle nur noch darüber, was wirklich ist und was nicht. Ich fange schon selbst an, an meiner Existenz zu zweifeln.“

„Ich war nicht angeblich in der Kugelwelt, sondern wirklich“, erklärt Primo.

„Falls es dich überhaupt gibt“, wendet Olum ein.

„Klar gibt es mich“, behauptet Primo.

„Also, gibt es ihn nun, oder gibt es ihn nicht?“, fragt Olum.

„Das kommt darauf an“, erklärt Asimov. „In dieser Welt gibt es ihn. Aber diese Welt ...“

„Schluss damit!“, ruft Primo. „Ist doch egal, ob es mich gibt oder nicht. Ich will bloß wissen, wo Ruuna ist.“

„Ruuna?“, fragt Olum. „Gibt es die überhaupt wirklich?“

„Und ob es sie gibt!“, sagt Hakun. „Weißt du nicht mehr, wie dieser Riesenschleim das Dorf angegriffen hat? Wo hätte der herkommen sollen, wenn nicht Ruuna wieder irgendwelchen Unsinn gehext hätte?“

„Hm, stimmt“, gibt Olum zu. „Ich bin nicht sicher, ob es mich gibt, aber Hexen gibt es auf jeden Fall.“

„Das muss ich leider bestätigen“, stimmt auch Asimov zu. „Ohne den Zaubertrank, den mir Ruuna damals an den Kopf geworfen hat, könnte ich jetzt nicht hier stehen und mit euch sinnlose Gespräche führen, die sich im Kreis drehen. Oh, Ruuna, warum hast du mir das angetan?“

„Weißt du denn, wo Ruuna ist?“, fragt Primo.

„Nein, und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht wissen“, erwidert Asimov. „Ein Tag ohne Hexerei ist ein guter Tag, wenn ihr mich fragt.“

Willert starrt den Golem finster an. „Ruuna ist meine Freundin. Und sie hat zwar schon eine Menge Unsinn angestellt, aber auch schon oft genug das Dorf gerettet“, sagt er.

„Wenn ihr euch alle nur ein bisschen vernünftiger verhalten würdet, dann müsste dieses Dorf nicht ständig gerettet werden“, kontert Asimov. „Und Ruuna ist mit Abstand die unvernünftigste Person in der ganzen Gegend. Da kann selbst Primo nicht mithalten.“

„He, Moment mal!“, protestiert Primo.

Doch ehe er dem Golem erklären kann, dass er so gut wie nie unvernünftig ist, zieht Willert ihn am Arm.

„Hier kommen wir nicht weiter. Lass uns zu unserer Hütte gehen. Vielleicht finden wir dort ja einen Hinweis.“

„Oder vielleicht ist sie in der Zwischenzeit von selbst zurückgekehrt“, überlegt Primo.

„Schön wär’s“, seufzt Willert.

Doch diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Als sie den Wald durchqueren und die einsame Hütte erreichen, ist Ruuna nirgends zu sehen. Nur Budda, der Kugelwolf, sitzt wie immer auf der Wiese vor der Hütte und kaut auf einem Halm herum.

Primo betrachtet das schwarz-weiß gemusterte Tier nachdenklich, das ihn aus seinen irgendwie klug wirkenden Augen anblickt.

„Vielleicht weiß der Kugelwolf, wo Ruuna ist“, überlegt er.

„Glaube ich nicht“, erwidert Willert. „Und selbst wenn er es wüsste, er könnte es uns nicht sagen.“

„Ruuna hat mir mal einen Allesversteher-Trank gebraut“, erinnert sich Primo. „Damit konnte ich mit Tieren sprechen. Meinst du, sie hat noch irgendwo was davon?“

„Keine Ahnung“, meint Willert. „Möglich wäre es. Sie bewahrt ihre Tränke an allen möglichen Stellen auf, und manchmal vergisst sie sie dort. Das Problem ist nur, dass wir nicht wissen, welcher Trank was bewirkt. Zwar haben die Tränke jetzt wieder unterschiedliche Farben, aber nur Ruuna weiß, wie welcher Trank aussieht.“

„Warum beschriftet sie die Tränke eigentlich nicht?“, fragt Primo. „Dann wäre es doch viel leichter, sie wiederzuerkennen.“

„Eine Zeitlang hat sie das gemacht“, erzählt Willert. „Aber es hat auch nicht viel genützt. Sie hat Dinge wie ‚Achtung, nicht ins Feuer gießen‘, ‚schmeckt merkwürdig‘ oder ‚Risiken und Nebenwirkungen unbekannt‘ auf die Flaschen geschrieben. Als ich ihr vorschlug, stattdessen die Wirkung des Tranks auf das Etikett zu schreiben, hat sie gesagt, das wäre doch langweilig.“

„Ja, das passt zu ihr“, meint Primo.

Sie betreten die Hütte und klettern die Leiter hinab in den Keller. Dass Ruuna schon länger nicht mehr hier war, merkt Primo sofort daran, dass der unerträgliche Gestank fehlt, der normalerweise diesen Raum erfüllt.

Das Labor sieht aus wie immer: Ein heilloses Durcheinander von Tränken, Glaskolben, Töpfen, Kisten und Zutaten. Dazwischen stehen ein Tisch und ein Braustand.

„Kannst du erkennen, ob etwas fehlt?“, fragt Primo. „Ich meine, hat sie irgendetwas mitgenommen?“

„Einen Flugtrank offensichtlich, sonst hätte sie der anderen Hexe ja nicht folgen können“, sagt Willert. „Kann sein, dass noch mehr Zaubertränke fehlen, das weiß ich nicht. Und natürlich ihr Zauberbuch.“

„Ihr Zauberbuch?“, fragt Primo nach. „Ich dachte, Ruuna kocht ihre Tränke nicht nach Rezept?“

„Das tut sie auch nicht“, stimmt Willert zu. „Aber sie schreibt manchmal auf, was bei ihren Experimenten schiefgeht.“

„Damit sie aus ihren Fehlern lernen kann?“

„Wohl eher, damit sie es noch einmal machen kann, falls etwas besonders Lustiges passiert.“

„Aha“, meint Primo. „Und wo liegt das Zauberbuch normalerweise?“

„Dort auf dem Tisch.“

Primo bückt sich. Unter einer Kiste in der Nähe des Tischs sieht er den Zipfel eines Blattes Papier herausragen. Er hebt die Kiste an und zieht das Blatt hervor. Darauf steht in Ruunas krakeliger Handschrift:

Wenn man beim Unsichtbarkeitstrank das fermentierte Spinnenauge weglässt und stattdessen Knallpulver hineintut, explodiert er – total lustig! Funktioniert auch, wenn man die vergoldete Karotte und die Netherwarze durch Knallpulver ersetzt.

„Genau das meinte ich“, bestätigt Willert, als Primo ihm den Zettel zeigt. Er macht ein betrübtes Gesicht. „Ich habe mich immer geärgert, wenn Ruunas Tränke explodiert sind. Aber jetzt wünschte ich, sie würde unsere Hütte mal wieder in die Luft sprengen. Ich vermisse sie so sehr!“

Primo legt den Zettel auf den Tisch und klopft seinem Freund auf die Schulter. „Wir finden sie schon“, sagt er.

„Aber wie?“, fragt Willert. „Wir wissen nicht, wer die fremde Hexe war und woher sie kam. Ruuna kann überall sein!“

Nachdenklich kratzt sich Primo am Kopf. „Der einzige Anhaltspunkt, den wir haben, ist, dass Ruuna die Hexe vermutlich von früher kannte. Damals hat sie im Sumpf nördlich des Wüstendorfs gelebt. Vielleicht ist sie dort.“

Willert zuckt mit den Schultern. „Ich halte das für unwahrscheinlich. Aber du hast recht, es ist unser einziger Anhaltspunkt. Also lass uns hingehen und nachsehen.“

Gemeinsam kehren sie ins Dorf zurück.

„Ich geh‘ nur mal kurz mit Willert in den Sumpf nördlich des Wüstendorfs, Ruuna suchen“, sagt Primo zu Golina.

Sie starrt ihn entgeistert an. „Nur mal kurz? Allein die Reise dorthin dauert mindestens zwei Tage! Und wie ich dich kenne, wird es nicht bei der Reise zum Sumpf bleiben. Meinst du wirklich, es ist eine gute Idee, das Dorf so lange schutzlos zu lassen?“

„Wir haben doch schon darüber gesprochen, Linchen“, beruhigt Primo sie. „Zusammen mit Kolle und Asimov kannst du das Dorf problemlos gegen Nachtwandler und Knallschleicher verteidigen. Notfalls kann euch mein Vater mit seinem Schmiedehammer zu Hilfe kommen.“

„Mit Nachtwandlern und Knallschleichern werden wir schon fertig“, stimmt ihm Golina zu. „Aber was, wenn Artrax die Gelegenheit nutzt und das Dorf angreift? Oder wenn dieser fiese Khan zurückkehrt? Letztes Mal konnten wir ihn nur mit Hilfe von Ruunas Zaubertränken besiegen.“

„Ach was“, winkt Primo ab. „Du machst dir viel zu viele Sorgen, mein Schatz. Artrax und der Khan haben sich schon lange nicht mehr blicken lassen und wie gesagt bin ich bald zurück. Es wird schon nichts passieren.“

Golina seufzt und gibt ihm einen Kuss. „Na gut. Aber beeil dich! Und sei vorsichtig, ja?“

„Du kennst mich doch, mein Linchen“, sagt Primo.

„Eben!“, erwidert sie.

Das Dorf Band 22: Verhext

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