Читать книгу Das Dorf Band 12: Schleim - Karl Olsberg - Страница 3

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1. Ein ganz besonderer Tag

Mit ernster Miene blickt Magolus, der Priester – pardon, der Oberste Hohepriester von Allen – über die Dorfgemeinde, die sich wie immer zum Notchdienst in der kleinen Kirche im Dorf am Rand der Schlucht zusammendrängt. Birta, seine treue Gehilfin, sieht andächtig zu ihm auf, während die anderen eher gelangweilt dreinschauen. Primo ermahnt seinen Sohn Nano, der gerade in Richtung von Kolles Tochter Maffi Grimassen schneidet, mit dem Unsinn aufzuhören.

Magolus wirft ihm einen strengen Blick zu, bevor er mit dröhnender Stimme seine Predigt beginnt: „Liebe Gemeinde, Notch, unser Herr, ist mir heute Nacht im Traum erschienen. Und er sprach zu mir: Mein Sohn, es ist mir eine große Freude, dass du mein treuer Diener und Oberster Hohepriester von Allen bist. Deshalb sollen alle Dorfbewohner den Tag ehren, an dem du geboren wurdest.“

„Hört, hört!“, ruft Birta dazwischen, während Nano mit den Augen rollt und Maffi die Zunge herausstreckt, was ihm einen strengen Blick seiner Mutter Golina einbringt.

„Somit habe ich beschlossen, dass wir ab sofort den Tag meiner Geburt mit einem großen Fest begehen“, fährt Magolus fort. „Es soll ein ganz besonderer Tag werden. Es wird ein Festmahl geben, und ihr dürft mir alle als Zeichen eurer Bewunderung und Verehrung Geschenke machen!“

Ein Raunen geht durch die Kirche. Die Dorfbewohner sehen sich verwundert an.

„Spinnt der jetzt?“, fragt Olum, der Fischer seinen Nachbarn, den Bauern Kaus. „Wir sollen ihm Geschenke machen?“

„Also, ich finde die Idee ja gar nicht so schlecht“, erwidert Kaus. „Wir könnten ja auch den Tag feiern, an dem ich geboren wurde, und dann könnt ihr mir auch alle ...“

„Moment, wenn hier einer Geschenke kriegt, dann ja wohl ich!“, meldet sich Hakun, der Fleischer, zu Wort. „Immerhin versorge ich das ganze Dorf mit Fleisch!“

„Du?“, fragt Jarga, die Schäferin. „Erst verlangst du fünf Smaragde für ein einziges Ei, und jetzt willst du auch noch Geschenke haben?“

Primo erinnert sich mit Unbehagen an die Zeit, als jeder im Dorf nur noch an die Smaragde dachte, die der böse Graf mit falscher Großzügigkeit verteilt hatte, um Zwietracht zu säen. Inzwischen sind alle wieder zu dem Tauschhandel zurückgekehrt, der vorher herrschte – Hakun beliefert zum Beispiel das Dorf mit Fleisch und erhält dafür von Olum Fische, von Kaus Brot und von Jarga Wolle. Doch nicht alle Wunden, die in jenen finsteren Tagen aufgerissen wurden, sind schon völlig verheilt. Erst heute Morgen hat sich Golina schon wieder darüber beschwert, dass die Schmiede seines Vaters, in der sie wohnen, eigentlich viel zu klein für drei Personen und einen Wolf sei.

„Ruhe!“, schimpft Birta. „Dies ist das Haus Notchs!“

„Wann soll denn das eigentlich sein, dieses Festmahl?“, will Olum wissen. „Ich krieg jetzt schon Hunger, wenn ich daran denke.“

„Ja, Oberster Hohepriester von Allen, wann genau bist du eigentlich geboren worden?“, fragt Birta.

Magolus blickt sie mit großen Augen an. „Wann ich geboren bin? Also, äh, in drei Tagen, würde ich sagen.“

„In drei Tagen?“, fragt Olum. „Aber du bist doch schon da. Wie kannst du da erst in drei Tagen geboren werden?“

„Ich meine, äh, in drei Tagen vor langer Zeit. Also ist in drei Tagen das Festmahl zum Gedenken an dieses wunderbare Ereignis, durch das diesem Dorf so viel Glanz geschenkt wurde. Birta wird die Vorbereitungen organisieren. Und nun gehet hin und denkt darüber nach, was ihr mir schenken wollt!“

Wie üblich versammeln sich die Dorfbewohner nach dem Notchdienst vor der Kirche, um noch ein wenig zu plaudern.

„Fein, ein Fest!“, ruft Hakun. „Endlich mal eine gute Idee, die Magolus da hatte.“

„Und was wirst du ihm schenken?“, fragt Birta.

„Schenken?“, ruft Hakun verdutzt aus.

„Ihr habt es doch gehört: Jeder von uns muss Magolus etwas schenken!“

„Na gut, ich schenke ihm ein Schnitzel.“

„Pssst!“, macht Birta. „Nicht so laut, es soll doch eine Überraschung sein!“

„Und was schenkst du mir?“, fragt Kaus.

„Dir? Wieso denn dir?“

„Na, ich bin doch auch vor langer Zeit geboren worden. Also ist mein Geburtstag auch in drei Tagen.“

„Moment mal, dann ist ja auch meiner in drei Tagen!“, ruft Hakun aus.

Schnell sind sich alle einig, dass die Sache mit dem Fest eine gute Idee ist und dass eigentlich jeder an diesem Tag Geburtstag hat und von den anderen Geschenke kriegen sollte. Nur Magolus grummelt; er scheint nicht begeistert von der Idee zu sein, dass sein Ehrentag plötzlich auch der Ehrentag aller anderen Dorfbewohner ist. Aber es gelingt ihm nicht, die anderen von ihrer Idee abzubringen, und so stimmt er schließlich zu.

„Oh du meine Güte, was schenke ich bloß?“, fragt Golina mit sorgenvoller Miene, als sie mit Primo und Nano nach Hause geht. Dann hellt sich ihre Miene auf. „Ich hab’s! Ich koche Pilzsuppe! Dann kann ich jedem einen Teller davon schenken! Schließlich mochte der Graf sie sehr gerne, und man kann über ihn sagen, was man will, aber er hatte Stil!“

Primo schweigt. Er bringt es nicht übers Herz, seiner Frau zu sagen, dass der böse Graf nur so getan hat, als möge er ihre Pilzsuppe. Auch er selbst ist nicht unbedingt ein Fan der faden, braunen Brühe.

„Und du?“, fragt sie. „Was willst du denn den anderen schenken?“ Sie kichert. „Nein, sag’s nicht! Ich will, dass es eine Überraschung für mich wird!“

Erst jetzt wird Primo klar, dass er ein Problem hat: Golina erwartet ein Geschenk von ihm. Und es muss natürlich etwas Besonderes sein. Schließlich ist sie seine Frau, und er liebt sie von ganzem Herzen. Aber womit könnte er sie überraschen? Er hat ihr doch schon den Stern geschenkt, den er in der Höhle im Land der Federköpfe gefunden hat, nachdem sie die dreiköpfige Schlange besiegt hatten. Er hat ein kleines bisschen geflunkert, als er ihr erzählte, dass er den Stern extra für sie vom Himmel geholt hat. Bestimmt erwartet Golina jetzt etwas noch Schöneres von ihm, schließlich hat sie ja Geburtstag.

„Ich habe keine Ahnung, was ich Golina schenken soll“, sagt er, als er später nach dem Mittagessen – es gab Pilzsuppe – seinen besten Freund Kolle trifft.

„Ich weiß auch nicht, womit ich Margi überraschen könnte“, gibt Kolle missmutig zurück. „Ich glaube, das mit dem Geburtstag ist eine ziemlich blöde Idee gewesen.“

„Schenk ihr doch ein Buch“, sagt Primo. „Sie liest doch gern, und ein Buch ist immer ein gutes Geschenk.“

„Aber sie kennt doch schon alle Bücher in der Bibliothek!“ Kolle seufzt. „Wo krieg ich jetzt bloß ein Geschenk her? Was mach ich bloß?“

„Ich habe eine Idee“, ruft Primo aus. „Wir fragen Ruuna! Wenn jemand gute Ideen hat, dann sie!“

„Ich weiß ja nicht.“ Kolle blickt skeptisch drein.

Zugegeben, Ruunas Ideen sind zwar immer originell, haben aber oft unerwünschte Nebenwirkungen. Trotzdem erscheint es Primo die beste Idee zu sein, und Kolle, dem auch nichts Besseres einfällt, stimmt schließlich zu.

Also schleichen sich die beiden in den Wald – schließlich dürfen ihre Frauen nicht wissen, dass sie eine Überraschung planen – und machen sich auf den Weg zu der einsamen Hütte, in der die Hexe Ruuna und ihr Freund Willert wohnen.

Als Ruuna von der Geburtstagsparty hört, ist sie sofort begeistert.

„Au ja! Au ja! Eine Überraschungsparty!“, ruft sie und hüpft vor Vergnügen im Kreis.

„Hast du eine Idee, was ich Golina schenken könnte?“, fragt Primo.

„Klar“, erwidert die Hexe. „Schenk ihr doch einen giftigen Pilz! Sieht gut aus und ist praktisch, wenn man mal jemanden vergiften will.“

Primo rollt mit den Augen. „Ich meinte eher etwas, womit ich ihr zeigen kann, dass ich sie liebe.“

„Hm ...“ Ruuna denkt angestrengt nach. „Ich hab’s! Ich habe da ein bisschen mit Farben experimentiert.“ Sie zwinkert ihm zu. „Na, fällt es dir auf?“

Jetzt, wo sie ihn darauf hinweist, fällt Primo tatsächlich auf, dass Ruuna anders aussieht als sonst. Über ihren Augen sind seltsame Schatten, ihre Haut sieht rosig aus und ihre Lippen sind ganz rot.

„Bist du krank?“, fragt Primo.

„Krank? Ich? Nein. Ich habe mich nur ein bisschen im Gesicht angemalt. Sieh mal, mit diesem in rote Farbe getauchten Holzstück habe ich mir die Lippen verschönert, und mit diesem rosa Pulver meine Wangen gefärbt. Und die Schatten unter den Augen habe ich mit Kohle gemacht. Hübsch, oder?“

„Ähm, nun, na ja ...“

„Du könntest doch Golina solche Gesichtsfarben schenken. Ich zeige dir, wie man sie herstellt, wenn du willst.“

Primo schüttelt den Kopf. Die Vorstellung, dass eine Frau ihr Gesicht anmalt, um hübscher auszusehen, kommt ihm völlig absurd vor. Sowas kann wirklich nur einer durchgeknallten Hexe einfallen!

„Lieber nicht“, sagt er. „Sonst denkt sie noch, ich finde sie nicht hübsch, so, wie sie ist.“

„Hm, auch wieder wahr“, gibt Ruuna zu.

„Wir könnten unseren Frauen neue Kleider schenken“, schlägt Kolle vor.

„Neue Kleider? Aber Margi und Golina haben doch schon so viele davon!“, wendet Primo ein.

„Ja, schon, aber vielleicht in einer neuen Farbe ... Ist dir nicht auch aufgefallen, dass die Welt in letzter Zeit bunter geworden ist?“

„Bunter? Weiß nicht ...“

„Das ist eine gute Idee!“, ruft Ruuna. „Und ich weiß eine Kleiderfarbe, die die beiden garantiert noch nicht haben!“

„Wirklich?“, fragt Primo skeptisch. „Welche denn?“

„Unsichtbar!“, ruft Ruuna aus. „Pass auf, ich zeig’s dir!“

Sie holt ein braunes Kleid aus einer Kiste, dann nimmt sie ein Fläschchen mit einem Trank aus einem Regal und spritzt etwas davon auf das Kleid, das plötzlich verschwindet.

Primo greift danach. Tatsächlich, das Kleid ist noch da, man sieht es nur nicht mehr.

„Wow!“, ruft Primo aus. „Das ist ja genial! Eine tolle Idee! Über diese Überraschung wird sich Golina ganz bestimmt freuen! Danke, Ruuna!“

„Äh, Primo, wenn das Kleid unsichtbar ist, dann ...“, beginnt Kolle, doch Primo ist so begeistert, dass er gar nicht zuhört. Ein unsichtbares Kleid ist das perfekte Geschenk!

Kolle bittet Ruuna, ein Kleid in die rote Farbe zu tauchen, die sie für ihre Lippen verwendet hat.

„Ich glaube, diese Farbe hat Margi noch nicht“, sagt er.

Umso besser, denkt sich Primo. Dann hat Golina als Einzige im Dorf ein unsichtbares Kleid!

Die beiden bedanken sich überschwänglich bei Ruuna für ihre Hilfe und kehren gut gelaunt ins Dorf zurück.

„Siehst du, es war eine gute Idee, dass wir zu Ruuna gegangen sind“, meint Primo. „Sie weiß immer einen Rat!“

„Ja“, stimmt Kolle zu. „Aber was schenken wir jetzt den anderen?“

„Welchen anderen?“

„Na, Magolus und Birta und Olum und Kaus und deinem Vater und meinen Eltern und all den anderen. Die haben doch auch alle Geburtstag!“

„Auweia“, stöhnt Primo.

Das Dorf Band 12: Schleim

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