Читать книгу Das Dorf Band 12: Schleim - Karl Olsberg - Страница 5
Оглавление3. Die Verhandlung
„Du!“, ruft Magolus und zeigt auf Ruuna. „Du warst das!“
„Was war ich?“, fragt die Hexe.
„Du hast dieses heimtückische Paket in unser Dorf geschmuggelt! Du hast einen hinterhältigen Anschlag auf den Frieden unseres Dorfes geplant, und das ausgerechnet an meinem Ehrentag!“
Wütendes Gemurmel erhebt sich von den anderen Dorfbewohnern, die alle zusammengekommen sind.
„Das ist ja wieder mal typisch!“
„War ja klar, dass es die Hexe war!“
„Ich habe schon immer gesagt, dass sie nicht in unserem Dorf wohnen sollte.“
„Aber sie wohnt doch gar nicht in unserem Dorf.“
Ruuna blickt betreten in die Runde. „Habe ich gar nicht“, verteidigt sie sich.
„Hast du wohl!“, keift Birta.
„Hab’ ich nicht!“
„Hast du wohl!“
„Hab’ ich nicht!“
„Ruuna kann nichts dafür“, meldet sich Primo zu Wort. „Es war Magolus, der das Paket geöffnet und angezündet hat!“
Magolus protestiert heftig, doch Primo lässt sich nicht beirren und erzählt, was er gesehen hat: „Also, ich bin heute Nacht aufgewacht und wollte schnell das unsichtbare Kleid, das ich für Golina ... ich meine, ich wollte ein bisschen frische Luft schnappen, da habe ich Magolus gesehen, wie er sich zur Schlucht geschlichen hat. Dann hat er das Paket aufgemacht und seine Fackel ist ihm, äh, aus der Hand gerutscht, und da ist das Paket explodiert!“
„Das ist eine bösartige Unterstellung!“, ruft Magolus. „Und außerdem wollte ich nur sichergehen, dass sich niemand heimlich eins von meinen ... von den Geschenken genommen hat.“
„Magolus kann gar nicht schuld sein“, erklärt Birta. „Schließlich ist er der Oberste Hohepriester von Allen!“
„Na und?“, ruft Margi. „Was hat das denn damit zu tun?“
„Ich bleibe dabei“, ruft Magolus wütend. „Diese Katastrophe konnte nur passieren, weil Ruuna in heimtückischer Absicht ein mörderisches Explosionspaket zwischen den Geschenken versteckt hat! Ich bestimme hiermit, dass sie unser Dorf nie wieder betreten darf!“
Ruuna bricht in Tränen aus. „Nie wieder?“, ruft sie.
„Ja, nie wieder!“, ruft Birta, die sich darüber zu freuen scheint.
„Halt, nicht so schnell!“, mischt sich Primos Vater Porgo ein. „Magolus, du bist zwar unser Priester ...“
„Oberster Hohepriester von Allen, bitte“, unterbricht Birta.
„... aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, alleine zu entscheiden, wer das Dorf betreten darf und wer nicht. Wenn überhaupt, dann müssen wir alle darüber abstimmen. Aber vorher möchte ich vorschlagen, dass wir die Sache gründlich von allen Seiten beleuchten. Magolus, da du selbst in die Sache verwickelt bist, bist du befangen. Daher kann Birta die Anklage gegen Ruuna vertreten. Ich selbst werde die Verteidigung übernehmen. Wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist und Birta und ich unsere Plädoyers gehalten haben, können die übrigen Dorfbewohner das Urteil fällen.“
„Warum kann ich nicht Ruuna verteidigen?“, fragt Primo. „Ich habe schließlich gesehen, was passiert ist.“
„Eben drum“, sagt sein Vater. „Du bist ein wichtiger Zeuge der Verteidigung.“
Alle sind mit diesem Vorschlag einverstanden. Sogar Magolus stimmt zu.
„Also, dann last uns anfangen. Birta, du kannst deinen ersten Zeugen aufrufen.“
„Ich rufe Magolus, unseren geschätzten und unfehlbaren Obersten Hohepriester von Allen in den Zeugenstand. Magolus, bitte berichte, was geschehen ist.“
Magolus erzählt langatmig, wie er aus Sorge um das Dorf nicht schlafen konnte, wie Notch ihm angeblich gesagt hat, er solle zur Schlucht gehen und nach dem Rechten sehen, und wie er durch seinen heldenhaften Einsatz in letzter Minute verhinderte, dass die heimtückische Bombe der Hexe das ganze Dorf zerstörte. Primo will mehrmals dazwischenrufen, dass der Priester lügt, doch Porgo wirft ihm einen scharfen Blick zu, mit dem er ihn zum Schweigen bringt.
Nachdem er geendet hat, sagt Porgo: „Nun werde ich als Verteidiger dem Zeugen einige Fragen stellen. Magolus, das Paket auf dem Tisch war in buntes Papier eingepackt, richtig?“
„Äh, ja.“
„Woher wusstest du dann, dass es eine Bombe war?“
„Äh, nun, na ja, es kam mir eben verdächtig vor. Schließlich war es das einzige Geschenk, das in buntes Papier verpackt war.“
„Und ist das Paket sofort explodiert, als du es geöffnet hast?“
Magolus schweigt einen Moment und wirft einen hilfesuchenden Blick zu Birta.
„Einspruch!“, ruft seine Gehilfin. „Die Frage tut nichts zur Sache!“
„Und ob sie das tut!“, widerspricht Primo. „Magolus soll die Frage des Herrn Verteidigers beantworten. Und wenn er es nicht tut, dann werde ich es tun, denn schließlich war ich dabei!“
Die anderen Dorfbewohner nicken zustimmend.
„Magolus?“, fragt Porgo. „Ist das Paket sofort explodiert, als du es geöffnet hast, ja oder nein?“
„Äh, also, nun ja, ich glaube, vermutlich eher nicht.“
„Ich habe keine weiteren Fragen. Ich rufe nun Primo in den Zeugenstand.“
„Wohin?“, fragt Primo verwirrt.
Sein Vater geht nicht darauf ein. „Bitte erzähle uns noch einmal, was du gesehen hast.“
Primo erzählt alles wahrheitsgetreu.
„Das Paket ist also erst explodiert, als Magolus die Fackel hat fallen lassen, nachdem du ihn erschreckt hast, Primo?“
„Äh, ja, ich glaube, so war es.“
„Und das Paket ist dabei vom Tisch gefallen, richtig?“
„Ja.“
Porgo wendet sich an Ruuna. „Gehe ich richtig in der Annahme, dass das Paket ein Feuerwerk enthalten hat, das du zu Ehren des Geburtstags aller Dorfbewohner entzünden wolltest, um uns allen eine Freude zu machen?“
Ruuna nickt. „Es sollte eine Überraschung sein!“
„Also können wir davon ausgehen, dass das Ganze ein Versehen war. Weder wollte Ruuna das Dorf zerstören noch wollte Magolus das Paket zum Explodieren bringen. Niemand ist an dieser Katastrophe schuld!“
Die Dorfbewohner nicken zustimmend. Ruuna wirkt erleichtert. Auch Primo fällt ein Stein vom Herzen. Er ist froh, dass sein Vater Ruunas Verteidigung übernommen hat – klug, wie er ist, hat er genau das Richtige gesagt.
Doch in diesem Moment meldet sich eine metallische Stimme zu Wort: „Darf ich auch mal was sagen?“
Alle blicken verdutzt auf den Golem, der bis jetzt stumm dagestanden hat.
„Ich rufe Asimov in den Zeugenstand“, ruft Birta, sichtlich erfreut über dies unerwartete Wendung. „Was hast du uns zu sagen, Golem?“
„Es mag sein, dass niemand die Absicht hatte, das Dorf zu zerstören“, sagt Asimov. „Aber das heißt nicht, dass niemand daran schuld ist. Sicherheitsvorschriften wurden nicht eingehalten. Das Paket war nicht als leicht brennbar gekennzeichnet. Es war nirgendwo ein Hinweis angebracht, dass offenes Feuer fernzuhalten sei. Diejenige Person, die dieses hoch explosive und extrem gefährliche so genannte Geschenk hergestellt hat, hätte wissen müssen, dass es geeignet ist, Schäden an Personen und Gegenständen hervorzurufen, wenn es unsachgemäß gehandhabt wird. Zumal jene Person bereits mehrfach einschlägige Erfahrungen gemacht hat.“
„Was willst du damit sagen?“, fragt Primo, der Schwierigkeiten hat, die komplizierten Sätze des Golems zu verstehen.
„Was ich damit sagen will, ist, dass Ruuna sehr wohl an dieser Katastrophe schuld ist, auch wenn es keine Absicht war“, sagt der Golem.
Ruuna bricht in Tränen aus.
„Wenn ich der Verteidigung einen Vorschlag machen darf, ich würde auf ‚schuldunfähig wegen Unzurechnungsfähigkeit‘ plädieren“, ergänzt Asimov.
Magolus blickt Porgo an.
„Hat der Herr Verteidiger noch etwas dazu zu sagen?“
Porgo kann nur mit den Schultern zucken. Auch Primo weiß keinen Rat. So kommt es zur Abstimmung. Kolles und Golinas Eltern enthalten sich der Stimme, während Magolus, Birta, Kaus, Jarga, Olum und auch der alte Lausius „sicherheitshalber“ dafür stimmen, dass Ruuna fürs Erste das Dorf nicht mehr betreten darf. Primo, Golina, Kolle, Margi und Porgo stimmen für Ruuna, doch es steht sechs zu fünf für eine Verurteilung.
„Können wir die Strafe nicht zur Bewährung aussetzen?“, schlägt Willert vor.
„Was soll denn das heißen?“, fragt Magolus.
„Das bedeutet, dass die Strafe erst in Kraft gesetzt wird, wenn Ruuna eine erneute Katastrophe auslöst“, erklärt Asimov. „Wobei ich darauf hinweisen möchte, dass beim nächsten Mal dann vielleicht keiner mehr da ist, der das Urteil noch vollstrecken könnte, weil sie das ganze Dorf in die Luft gesprengt oder vergiftet hat oder was weiß ich.“
Nach diesem Einwurf wird auch Willerts Vorschlag abgelehnt. Er und Ruuna müssen das Dorf sofort verlassen, und Ruuna darf es nie wieder betreten.
Traurig verabschieden sich Primo und seine Freunde von den beiden.
„Wir kommen euch ganz oft besuchen“, verspricht Primo.
„Wir können doch auch im Wald wohnen, Papa“, schlägt Nano vor. „Dann müssen wir nicht mehr so weit laufen. Und außerdem wohnen wir dann nicht mehr im selben Dorf wie die blöde Birta.“
„Nano!“, schimpft Golina, obwohl Primo die Idee gar nicht so dumm findet. Aber in der jetzigen Situation wäre es unklug, den Streit noch weiter zu verschärfen. Schließlich ist er der offizielle Dorfbeschützer, und es ist seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Frieden im Dorf herrscht.
„Du wirst sehen, die beruhigen sich schon irgendwann wieder“, sagt er zu Ruuna. „Dann wird das Urteil wegen guter Führung aufgehoben und du darfst wieder ins Dorf kommen.“
„Ich hoffe es“, sagt Ruuna und schnieft.
Sie umarmen sich zum Abschied, dann drehen sich die beiden um, durchqueren den Fluss und verschwinden auf der anderen Seite im Wald.