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1. Schlaflose Nächte

„Nur ein einziges Mal noch, ja?“, fragt Ruuna, die Hexe. Sie versucht, Augen zu machen, die so groß und rund und süß sind wie die der Katze Mina, was sie dennoch nicht ganz so niedlich erscheinen lässt. „Nur ganz kurz. Zwei drei Runden, dann lass ich wieder den Enderman fahren, ja?“

„Nein“, sagt Primo energisch. „Nein, nein, nein! Ich hab’s dir doch schon erklärt! Wenn wir die Kreisbahn jemals abschalten, hält die Lore an, und Artrax teleportiert sich weg.“

„Na und? Der durfte doch schon die ganze Zeit fahren. Jetzt bin ich auch mal dran!“

„Ruuna, die Kreisbahn ist nicht zum Spaß da, sondern um den Enderman gefangenzuhalten“, ruft Primo entnervt. „Sie bleibt eingeschaltet und niemand darf damit fahren, Schluss aus basta!“

„Das ist gemein!“, sagt Ruuna und zieht schmollend ab.

Er seufzt. Eine Woche ist es jetzt her, seit der böse Enderman gefangen wurde, als er versucht hat, das kleine Dorf am Rand der Schlucht ein zweites Mal zu zerstören. Seitdem hat Primo kaum richtig geschlafen.

Nach ihrem großartigen Sieg über die Mächte der Finsternis gingen die Dorfbewohner schnell wieder zur Tagesordnung über: Priester Magolus überlegte, wie er gegenüber seinem Erzrivalen Wumpus aus dem Wüstendorf mit dem gefangenen Dämon angeben könnte, seine Assistentin Birta tat so, als sei sie die Chefin im Dorf, und kommandierte jeden herum, Kolles Vater Nimrod steckte zusammen mit dem alten Lausius seine Nase in die Bücherstapel der Bibliothek auf der Suche nach alten Geheimnissen, die anderen gingen ihrem Tagesgeschäft als Bauern, Fischer, Schäfer oder Fleischer nach. Sie ignorierten die Kreisbahn einfach, so als sei damit das Problem des Endermans für alle Zeiten gelöst und er werde von nun an auf der Wiese neben der Schlucht so zuverlässig seine Kreise drehen, wie die Sonne morgens auf- und abends unterging.

Nur Primo ließ die Sache keine Ruhe. Schon in der ersten Nacht schlief er schlecht, immer wieder geweckt von Alpträumen, in denen der Enderman es irgendwie geschafft hatte, sich aus der Bahn fort zu teleportieren. Schweißgebadet lief er dann jedes Mal mitten in der Nacht zur Kreisbahn, um sich zu vergewissern, dass Artrax immer noch dort war.

Am nächsten Tag erwischte er eines von Jargas Schafen beim Grasen in dem Oval aus Gleisen. Er versuchte, es zu verscheuchen, wobei das dumme Vieh beinahe den Hebel berührt hätte, mit dem die Bahn abgeschaltet werden konnte. Irgendwann schaffte er es, das Tier aus dem Oval zu befördern, ohne dabei von der rasend schnell im Kreis herumfahrenden Lore mit dem wütenden Enderman gerammt zu werden. Zum Dank machte ihm Jarga Vorwürfe, er habe ihrem Schaf einen Riesenschreck eingejagt.

Tags darauf spielten Hakun, Olum, Bendo und Kaus auf der Wiese neben der Schlucht Fußschädel. Es dauerte nicht lange, da flog der Schädel in hohem Bogen genau auf den Hebel zu. Er traf ihn nur deshalb nicht, weil im letzten Moment die Kreisbahn dazwischen fuhr, so dass der Schädel vom Kopf des Endermans abprallte und ins Tor von Hakun und Kaus rollte. Es folgte eine mehrstündige Diskussion darüber, ob das Tor galt oder nicht, aber niemand hörte auf Primos Appelle, doch bitte auf der anderen Seite der Schlucht weiterzuspielen.

Die Vorfälle machten Primo endgültig klar, dass es nicht reichte, den Enderman zu fangen – man musste auch dafür sorgen, dass er nicht wieder entkommen konnte. Er schlug vor, eine große Pyramide aus Steinblöcken über dem Gleisoval zu errichten, oder wenigstens eine hohe Mauer darum herum zu bauen, um Schafe, Hühner und herumfliegende Schädel fernzuhalten. Doch Magolus verwahrte sich dagegen, den Blick auf „unsere neuste Dorfattraktion“ zu verbauen, und die anderen Dorfbewohner waren der Ansicht, so etwas verschandele die Landschaft.

Auch die Idee, Asimov mit dem Schutz der Kreisbahn zu beauftragen, scheiterte, denn der Golem behauptete, der Aufenthalt in der Nähe der starken, von der Bahn ausgehenden Magnetfelder sei schlecht für seine Schaltkreise, was immer das bedeuten mochte.

In seiner Verzweiflung wandte sich Primo an Lausius, von dem der Plan für die Kreisbahn stammte, doch der Alte hörte ihm wie üblich nicht zu und gab ihm keinen brauchbaren Rat. Selbst sein sonst so kluger Vater Porgo empfahl ihm nur, sich keine Sorgen zu machen. Der hatte gut reden! Er hatte ja nicht ins Ende und auf eine entlegene Insel voller Riesenpilze reisen müssen, um den bösen Enderman unschädlich zu machen. Auch seine Freundin Golina, sein bester Freund Kolle und dessen Freundin Marga hatten keinen besseren Vorschlag als „die Augen offenzuhalten“. Genau diese Aufgabe blieb am Ende bei ihm, Primo, hängen.

Also verbrachte er seitdem etliche Stunden jeden Tag und jede Nacht in der Nähe der Kreisbahn und achtete darauf, dass sich niemand dem Gleisoval auf weniger als zehn Schritte näherte – kein Dorfbewohner, kein Monster, keines der zahllosen Hühner, die im Dorf herumflatterten, keine von Hakuns Kühen, Jargas Schafen oder Olums Fischen (nicht, dass er schon einmal einen Fisch auf der Wiese hätte herumplatschen sehen, aber man konnte ja nie wissen). Kurz, er hatte alle Hände voll damit zu tun, eine Katastrophe zu verhindern, von der die Frage nicht war, ob sie passieren würde, sondern nur, wann.

Und jetzt auch noch Ruuna! Primo mag die Hexe, wobei er nicht ganz sicher ist, ob trotz oder wegen ihrer oft seltsamen Einfälle. Deshalb hat er sich gefreut, dass sie mal wieder mit Willert aus ihrer Hütte im Wald zu Besuch kam. Aber nun geht sie ihm mit ihrem Genörgel auf die Nerven. Ist denn wirklich keiner außer ihm in der Lage, zu sehen, welche Gefahr nach wie vor von dem Enderman ausgeht?

„Er lässt mich nicht mit der Kreisbahn fahren!“, mault Ruuna, als Willert, Kolle, Margi und Golina zur Kreisbahn kommen.

„Ich hab’s dir doch schon erklärt, meine Fledermaus“, sagt Willert. „Das geht nun mal nicht, solange der Enderman da drin sitzt.“

„Aber das ist es ja: Ich finde, der hat langsam genug.“

„Das können wir nicht riskieren. Primo hat recht: Niemand darf mit der Bahn fahren.“

„Das ist gemein!“

„Ach, hier bist du schon wieder“, sagt Golina. Sie wirkt angespannt, als sei sie wegen irgendetwas unzufrieden. „Wir warten alle auf dich. Wir wollten doch den Kuchen essen, den ich gebacken habe.“

„Du siehst ja, was hier los ist“, erwidert Primo.

„Findest du nicht, dass deine Faszination für diese Kreisbahn ein bisschen übertrieben ist? Ich kann ja verstehen, dass ihr Jungs euch für Technik begeistert, aber den ganzen Tag nur vor diesem Ding zu stehen und ihm dabei zuzugucken, wie es im Kreis herum fährt, muss doch sterbenslangweilig sein.“

Primo schüttelt nur traurig den Kopf. Es hat einfach keinen Sinn. Niemand versteht seine Sorgen – nicht einmal Golina.

„Na, wenigstens bist du beschäftigt, während du hier spielst, und kommst nicht wieder auf dumme Gedanken“, sagt sie.

„Dumme Gedanken? Was für dumme Gedanken? Und außerdem spiele ich nicht! Ich versuche lediglich, eine schreckliche ...“

„Du weißt genau, was ich meine. Sobald man dich mal für fünf Minuten aus den Augen lässt, fängst du irgendein Abenteuer an und bringst dich in tödliche Gefahr.“

„Aber das ist es ja gerade. Ich versuche doch, zu verhindern, dass ...“

„Schwöre mir, dass du das nie wieder tust!“, verlangt sie.

„Dass ich was nie wieder tue?“

„Abenteuer erleben!“

„Wie soll ich das denn schwören?“

Golina zieht eine Schnute. „Dachte ich‘s mir doch! Du stehst hier rum und glotzt dieses blöde Kreisding an, statt dich um mich zu kümmern, und insgeheim planst du wahrscheinlich schon wieder einen Ausflug an irgendeinen unerreichbaren Ort voller schrecklicher Monster!“

„Tu ich überhaupt nicht!“

„Dann schwöre es!“

„Aber Golina, man kann doch nicht schwören, dass man keine Abenteuer erleben wird!“

„Aber andere können es doch auch! Guck dir Hakun an, oder Olum. Die sind noch nie losgezogen, um ein Abenteuer zu erleben.“

„Haben sie das denn geschworen?“

„Was? Weiß ich nicht. Ist mir doch egal, ob sie es geschworen haben. Ich will, dass du es mir schwörst!“ Plötzlich glänzen Tränen in ihren Augen. „Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht, als du auf dieser Pilzinsel warst. Niemand wusste, ob du noch lebst. Ich will das nie wieder erleben, nie wieder! Also entweder, du schwörst, dass du so etwas nie mehr machst, oder ...“

„Können wir jetzt endlich Kuchen essen, oder quatscht ihr beide da, bis die Sonne untergeht?“, unterbricht Ruuna sie.

Golina wirft der Hexe einen giftigen Blick zu, aber dann seufzt sie und sagt: „Na gut, komm!“

Primo blickt noch einmal sorgenvoll zu der Kreisbahn, bevor er ihr zum Haus ihrer Eltern folgt.

Das Dorf Band 7

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